Alkohol

Douglas Stuart: Shuggie Bain

Inhalt:

Glasgow zur Thatscher-Zeit. Shuggie wäre gern wie die anderen Jungen in der Arbeitersiedlung, aber sein Gang ist feminim und er hasst Fußball, was in der Schule brutal geächtet wird. Er liebt alles Schöne, vor allem seine Mutter Agnes, die der Armut und Tristesse ihres Daseins mit stolzer Eleganz und makellosem Make-up entgegentritt, egal wie viel sie getrunken hat.

Sie vorm Trinken zu bewahen, ist die Aufgabe, der sich Shuggie mit unbedingter Liebe verschreibt, bis er irgendwann erkennen muss, dass er nur sich selbst retten kann. (Klappentext)

Rezension:

Offenbar scheinen sie gut zu funktionieren, die Romane, die autobiografisch angehaucht vom Strukturwandel, besser vom brutalen Umbruch der Thatcher-Jahre, erzählen, als vor allem in Arbeiterstädten die Menschen dank der rücksichtslosen Reformen plötzlich vor dem Nichts standen.

Das hat mit “Billy Elliot” von Lee Hall geklappt, auch mit der Kulisse der benachbarten irischen Inseln im Roman “Die Asche meiner Mutter” von Frank McCourt ist das so, auch wenn dessen Handlung ein paar Jahrzehnte früher angesetzt ist. Brüche können sie dort wunderbar ausformulieren. Da fügt sich das Autorendebüt von Douglas Stuart gut ein.

Erzählt wird eine Geschichte der Trost- und Hoffnungslosigkeit aus der Sicht des zu Beginn fünfjährigen Shuggie, und die ihn umgebenden Menschen, die mit der Schließung der Zechen und Tagebaue in ihrer Umgebung auf der Verlierseite der Reformen Thatchers stehen. London ist weit weg, Alternativen nicht in Sicht und so ist ein Großteil der Glasgower Bevölkerung plötzlich arbeitslos.

Die Armut drängt die Menschen, so auch Shuggies Familie, in die Armenviertel der Stadt, seine Mutter Agnes in die Alkoholsucht. Der Vater ist ohnehin in absentia. In den ersten Jahren kann der Abstieg noch kaschiert werden. Die Mutter trägt schöne Kleider, der Gaszähler wird da schon mehrmals manipuliert und auch sonst kämpft sich die Familie so durch. Die Fassade indes bekommt bereits zu Beginn der Geschichte, Anfang der 1980er Jahre, erste Risse.

So kommt sie ins Rollen, diese traurige Erzählung, in der Shuggie all das erleidet, was man keinem Kind zumuten möchte. Mittelpunkt des Romans ist die titelgebende Hauptfigur, doch genau wie der Autor durch die Jahre springt, wechselt er auch die Perspektiven, so ist Shuggie nicht der Einzige, aus dessen Sicht erzählt wird.

Das macht die Figuren greifbar, für manches Verhalten mag man ein wenig Verständnis aufbringen. Das verpufft dann mit den nächsten Abschnitten gleich wieder. Wie viel vermag ein Mensch zu etragen, möchte man fragen.

Douglas Stuart vermag es der Hoffnungslosigkeit einer ganzen Generation und der Sicht eines Kindes eine Stimme zu geben. Das gelingt, zumal der Autor hier einzelne Punkte seiner Biografie und Kindheitserinnerungen einfließen lässt, so dass man sich von Zeile zu Zeile fragt, welche beschriebenen Punkte nun auf tatsächlichem Erleben beruhen.

Die Protagonisten, auch Shuggie, sind Figuren mit Ecken und Kanten. Schnell hat man ein entsprechendes Bild von ihnen vor Augen, muss ob der Schilderungen mehr als einmal innehalten und durchatmen. Anders ist die Geschichte nicht zu ertragen. Düstere Momente durchziehen den Roman, nur selten unterbrochen, durch Hoffnungsschimmer. Das Erzähltempo tut das Übrige. Momente der Länge gibt es kaum.

Ein Debüt ist das, von den man kaum merkt, dass es eines ist. So gekonnt geht der Autor mit Sprache um. Anders ist die eindrückliche Übersetzung von Sophie Zeitz nicht zu erklären. Man darf also gespannt sein, was da als nächstes kommt. Und dann könnte sogar das Ende ein wenig runder werden. Hier merkt man es an einigen Stellen doch.

Autor:

Douglas Stuart wurde 1976 in Glasgow geboren und ist ein schottisch-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Modedesign und zog nach New York City, wo er als Modedesigner für Calvin Klein, Ralph Lauren und Gap arbeitete. “Shuggie Bain” ist sein erster Roman, für den er 2020 mit den Booker Prize ausgezeichnet wurde, zudem gelangte sein Werk auf die Shortlist des amerikanischen National Book Awards.

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J.R. Moehringer: Tender Bar

Tender Bar Book Cover
Tender Bar J.R. Moehringer Fischer Verlag Erschienen am: 01.04.2008 Seiten: 459 ISBN: 978-3-596-17515-1

Inhalt:

Eine Kindheit in Long Island, in einer verrauchten Bar voller liebenswürdiger Gestalten, eine Mutter, die mit lebensklugen Lügen die Moral aufrechterhält, und mittendrinn der kleine Junge JR, der lernt, dass zwischen Bier und Whisky manchmal Weltenliegen. Ein abwechselnd anrührender und witziger Roman über tapfere Kinder, mitfühlende Männer, starke Mütter und die Kraft von Träumen. (Klappentext)

Rezension:

Romane, in denen jede Zeile ein zu lesender Genuss ist, gibt es einige. Geschichten, in der man die Protagonisten lieb gewinnt und gespannt ihren Weg verfolgt, viele und Handlungen, die überraschen und nachdenklich machen, werden auch oft genug beschrieben.

Gott sei Dank. Hin und wieder aber wird dem Leser auch ein Schriftstück schmackhaft gemacht, was sich bei genauerer Betrachtung nur in Begleitung von schlechten Rotwein oder abgestandenen Bier ertragen lässt.

Mit “Tender Bar” legt J.R. Moehringer den Versuch eines Coming-of-Age-Romans vor, der in all seinen Facetten gründlich misslingt. Schon die Handlung lässt sich auf wenige Zeilen reduzieren, so dass eine Kurzgeschichte noch viel zu gut gemeint wäre.

Alleine der Klappentext ist schon zu viel. Die Fast-Säufer-Autobiografie, die ständig um das eigene Scheitern und das seiner Mitmenschen kreist, davon jedoch nicht loskommt, liest sich dröge und eintönig, genau so wie die sich in ständigen Variationen wiederholenden Charakterbeschreibungen von Protagonisten, über die man allesamt nur die Augen rollen kann.

Beinahe religiös verehrt der Autor die Bar und ihre Anhängsel, muss er vielleicht sogar, nachdem die eigenen Eltern, getrennt, sich in verschiedener Hinsicht als unfähig erweisen, wenn dis auch bei der Mutter rein durch ihre finanzielle Stellung geschuldet ist.

Ansonsten nimmt der Leser vielleicht noch aus diesem Werk mit, wie schädigend Wetten udn Alkohol sind, und nutzt das nächste Mal den Buchdeckel als Unterlegscheibe für das frisch Gezapfte. Dann hätte das Aufschreiben der Geschichte wenigstens Sinn gehabt. Wie kann man nur seine eigene Geschichte so langweilig erzählen?

Der Roman hielt sich mit Erscheinen länger in den Bestsellerlisten. An den Werken großer amerikanischer Schriftsteller wie Jonathan Safran Foer oder Hanya Yannigihara, die für mich den Maßstab in Bezug auf amerikanischer Literatur bilden, kommt Moehringer nicht heran. Leider.

Autor:

J.R. Moehringer wurde 1964 in new York City geboren und ist ein amerikanischer Autor und Journalist. Nach der Schule studierte er in Yale und arbeitete zunächst als Volontär bei der New York Times, bevor er bei den Rocky Mountain News und der los Angeles Times anfing.

Er gewann den Pulitzer-Prize 2000, für den er zwei Jahre zuvor bereits nominiert war und veröffentlichte mehrere Romane. Er arbeitete als Co-Autor für Agassis Autorbiografie, nachdem dieser bei ihm angefragt hatte.


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Delphine de Vigan: Loyalitäten

Loyalitäten Book Cover
Loyalitäten Delphine de Vigan Dumont Verlag Erscheinen am: 12.10.2018 Seiten: 174 ISBN: 978-3-8321-8359-2

Inhalt:

Theo ist ein vorbildlicher Sohn: selbstständig, fürsorglich und ein guter Schüler. Er scheint zu funktionieren. Doch eine Lehrerin schlägt Alarm, und auch die Mutter seines besten Freundes beobachtet ihn mit Misstrauen. Die beiden Frauen haben die richtige Ahnung: Theo ist mit seinem Leben überfordert und sucht einen gefährlichen Ausweg. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt Romane, die zunächst so unscheinbar sind, dass sie bereits auf den ersten Seiten vermögen zu überraschen und dann immer noch mit einem großen Knall aufwarten können. Solch ein Werk ist der Autorin delphine de Vigan gelungen. Die französische Schriftstellerin beschreibt in “Loyalitäten” eine Welt kaputter Erwachsener, die die Probleme der Kleinsten kaum wahrnehmen, so dass diese immer mehr in einen Strudel Richtung Katastrophe hineingeraten.

Hauptfigur ist der zwölfjährige Theo. zurückhaltend und verschlossen, gilt er als unkompliziert. Seine Noten sind gut. Diese Fassade bröckelt jedoch mit dem Verlassen des Schulgebäudes, wenn der Junge zwischen seinen geschiedenen Eltern hin- und herpendeln muss. Die Mutter misstrauisch, ob des vorangegangenen Aufenthaltes bei seinem Vater, der Vater arbeits-, kraft- und mutlos, dazwischen der Junge, der allem versucht gerecht zu werden und seinen Kummer in Alkohol ertränkt, den er sich über seinen besten Freund Matthi beschafft.

Die Erwachsenen um ihn herum, nehmen die wachsenden probleme kaum war, haben selbst mit sich genug zu kämpfen, selbst seine Lehrerin, die die ersten Anzeichen zu deuten weiß. Mit unaufhaltsamen Schritten naht die Katastrophe. Immer größer und bedrohlicher. Doch, Theos Umgebung ist so sehr in einem Netz aus Loyalitäten gefangen, dass ihnen der wahre Gefangene entgleitet. Immer mehr.

In wechselnden Kapiteln erzählt die Autorin kurzweilig diese Geschichte, die mehr Aufmerksamkeit verdient als sie bekommt. Ohne erhobenen zeigefinger, auch wenn das erste Lesens des Inhaltes so klingen mag, nähert sie sich der Wahrnehmung der beiden gerade noch kindlichen und fast jugendlichen Hauptfiguren an, die als Einzige Sympathieträger sind.

Selbst die Protagonistin Helene, Theos Klassenlehrerin, ist zunächst einfach nur nervig, auch wenn de Vigan es schafft, sie im Verlauf der Handlung etwas differenzierter zu beschreiben. Alle anderen Erwachsenen taugen zu nichts Positiven, als den Kontrast zur Verletztheit der Kinder darzustellen, die ungeschützt immer mehr die Kontrolle verlieren. Insbesondere eben Theo.

Um Distanz zu schaffen wird nur den beiden Erwachsenen, die zunächst nur ansatzweise begreifen, die ich-Perspektive zugebilligt. Alles andere wird in der dritten Person erzählt und bekommt dadurch einen größeren Kontrast, der die Wirkung noch einmal verstärkt. Die Wirrungen der Gefühlswelt der Kinder und die Zerrissenheit Theos, die schiere Ausweg- und Hoffnugnslosigkeit hätte die Autorin noch mehr ausbauen können.

Noch ein paar Seiten mehr den Jungen zu widmen, der so befürchtet man beim Lesen kurzzeitig, beinahe Randfigur wird, was de Vigan dann doch glücklicherweise nicht passiert, hätten dem Gesamteindruck gut getan. Dennoch ist “Loyalitäten” eine gut erzählte Geschichte, die es wert ist, gelesen zu werden, um seinen Blick zu schärfen.

So ähnlich beschrieben kommt sie wahrscheinlich tausendfach in der Realität vor. Wie oft sind wir da, um den Schwächsten zu helfen, ohne die Angst vor richtigen und falschen Loyalitäten zu haben? Darüber nachzudenken lohnt sich.

Autorin:

Delphine de Vigan wurde 1966 geboren und zählt zu den wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Neben ihrer Arbeit in einem Meinungsforschungsinstitut schrieb sie, zunächst unter Pseudonymk, ihre ersten Romane, welche ab 2001 veröffentlicht wurden. 2007 gelang ihr mit “No & ich” der Durrchbruch, seit dem lebt sie vom Schreiben.

Sie erhielt mehrfach Auszeichnungen, u.a. den Prix des Libraires 2008. Ihre Romane wurden bereits in über 20 Sprachen übersetzt, teilweise auch verfilmt.

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