Leben

Florian L. Arnold: Das flüchtige Licht

Inhalt:

Für den Monsignore, einen großen Filmemacher, ist das ganze Leben ein Schauspiel. Doch für den routinierten Regisseur ändert sich alles, als er das Straßenkind Enzo vor die Kamera holt. „Das flüchtige Licht“ erzählt die Geschichte von vier Menschen, deren leben durch das Kino und die Leidenschaft eines exzentrischen Geschichtensammlers bestimmt wird. (Klappentext)

Rezension:

Es ist eine Illusion, die nach dem Willen eines einzelnen Mannes entsteht, doch sobald die Linse ihren Auftrag erfüllt hat, verschwindet diese von Kameras eingefangene Welt. Der trockene Staub legt sich in den überhitzten Gassen, wenn die Schauspielenden und ihr Filmemacher verschwinden und den schönen Schein in Kisten verpacken. Fortan geht ein jeder wieder seine Wege. Bis zum nächsten Mal. Für Enzo, der einst eher zufällig in die Aufnahmen des Monsignore hineinplatzt, ist diese sehr flüchtige Welt real oder zumindest viel zugetaner als die Wirklichkeit, die es schon in seiner Kindheit nicht gut mit ihm meint.

Ausgeschlossen ist er dort gewesen, immer am Rande einer Gruppe von Jungen, die ihm den Zugang zu der kleinen und verschworenen Gemeinschaft verwehren, bis diese sich auflöst, als sie alle nach und nach aus ihrem Heimatdort ausbrechen. Doch auch danach lässt sie der rothaarige Schatten ihrer Kindheit nicht los. Die Welt der Illusionen hat Enzo da schon verschlungen.

Florian L. Arnolds Roman „Das flüchtige Licht“ ist eine Hommage an eben diese, der Hochzeiten des italienischen Kinos und dem Mann, der sie erheblich mitgeprägt hat. Fellini ist das Vorbild des Monsignore, der Figur, der Enzo Halt zu geben vermag, so lange dieser bereit ist, seine Geschichten zu erzählen, für die er dann ein Leben in der Welt der Cinecitta bekommt, die ihm jedoch immer wieder durch die Hände rinnt.

Langsam und behutsam nähern wir uns den Protagonisten an, deren Verhältnisse zueinander sich im Verlauf der Erzählung umkehren werden und doch nicht aus ihrer Haut heraus können. Dieses Spannungsverhältnis bestimmt den Roman, der selbst wie einer dieser italienischen Streifen wirkt. Man kann sie förmlich vor sich sehen, die Gassen, die Suche von Enzo nach sich selbst, der sich in die Abhängigkeit eines einzelnen Mannes begibt, der doch selbst von ihm, einmal in den Bann gezogen, nicht von ihm los kommt.

Die ruhig gehaltene Erzählung wirkt durch ihre Figuren, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Die verschworene Gemeinschaft, die sich einst schwor, immer zusammen zu bleiben, Kontakt zu halten, um sich dann letztendlich doch zu verlieren auf der einen Seite. Enzo auf der anderen, der da nie hinein finden wird und auch in der Welt des Monsignore die Rolle des Außenseiters übernehmen muss, um auf irgendeine Art und Weise doch dazu zugehören. Ist der Film im Kasten endet oft auch das, bis zum nächsten Mal.

Figuren entstehen zu lassen, die nicht mit-, aber eben auch nicht ohne einander können, schafft Arnold mit prägnanten Sätzen, auf den Punkt ausformuliert, ohne dass ein Wort zu viel wäre. Nur manchmal scheint diese beschriebene flüchtige Welt beim Lesen durch die Finger zu rinnen, wie es eben dem Medium eigen ist, welches Hauptgegenstand der Erzählung ist. Viel näher würde man gerne an den einzelnen Protagonisten dran sein. Es hätte nicht geschadet, hier und dort etwas länger zu verweilen.

Orte, die zu einander gegensätzlich sind, sind es auch, die diesen Roman ausfüllen. Der Kinosaal etwa, in dem man sich der Illusion für ein paar Stunden hingeben kann, im Kontrast zu den Gassen, die nach dem Dreh wieder einsam und verlassen sind. Auch das verschafft der Erzählung starke Momente.

Dieses Zusammenspiel verschafft mitsamt der Perspektivwechsel innerhalb der Kapitel einen Lesefluss, innerhalb dessen man die eine oder andere Figur für einen Moment verliert, um im nächsten einen einzelnen Satz zu lesen, der präzise formuliert die Geschichte vorantreibt. Wenn die Protagonisten dann zurückblicken, holt sie die Wirklichkeit mit ihrer ganzen Wucht schnell wieder ein, insbesondere Enzo, dessen Leben gleichsam der Filme, derer Bestandteil er ist, plötzlich leer scheint, als die letzte Szene gedreht, die letzte Geschichte erzählt ist.

Der Roman, der selbst wie ein Film wirkt, schafft es trotz seiner ruhigen Art und Weise, einem in den Bann zu ziehen. Auf jeder Seite ist das Herzblut des Autoren zu spüren, der an der Erzählung jahrelang gearbeitet hat, verpackt in wunderschöner Sprache, die ihr Ziel erreicht. Einzelne Momente hätte ich mir noch etwas mehr ausformuliert gewünscht, auch, dass einige der Charaktere einem nicht so schnell durch die Finger rinnen. Auch eine Bitte hätte ich, könnte sich jemand um die filmische Umsetzung kümmern?

Es wäre genial.

Autor:

Florian L. Arnold wurde 1977 in Ulm geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Illustrator. Er studierte in Augsburg Kunstwissenschaftler und war danach freiberuflich als Grafiker und Schriftsteller tätig und gab u. a. das Kunst- und Kulturmagazin ES heraus. Arnold ist Initiator und Programmleiter des Literaturfestivals Literaturwoche Donau in Ulm/Neu-Ulm und stellt dort seit 2013 die Arbeit unabhängiger Verlage vor. Auchin Neu-Ulm initiierte er das Begegnungsformat Literatur unter Bäumen, zudem kuratiert und moderiert er zahlreiche Veranstaltungen der Aegis-Buchhandlung in Ulm. Er veröffentlichte mehrere Romane, Erzählungen und ein satirisches Wörterbuch.

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Werner Sonne: Israel und wir

Inhalt:

Werner Sonne war am 7. Oktober 2023 in Israel. Schon 50 Jahre zuvor hatte er als junger Reporter über den Jom-Kippur-Krieg berichtet – und nun wiederholte sich die Geschichte. In diesem Buch blickt der bekannte ARD-Journalist auf die hitzigen deutschen Debatten mit Israel. Zugleich erzählt er die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen – von den schwierigen Anfängen unter Adenauer und Ben-Gurion bis zum Kauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 und der Frage, was die Formel von der Sicherheit Israels als „Staatsräson“ Deutschlands konkret bedeutet. So bietet dieses anschaulich geschriebene Buch Hintergründe, macht Argumente verständlich und liefert „food for thought“ für eine der drängendsten und umstrittensten Debatten der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Nicht erst seit dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den sich daran anschließenden neuen Gaza-Krieg wird in Deutschland intensiv über das Verhältnis zu Israel diskutiert. Während sich antisemitische Verfälle häufen, der Ton sich nicht nur in den sozialen Netzwerken verschärft, stellt sich die Politik dagegen mehrheitlich klar an die Seite Israels. Die Sicherheit des Landes sei Staatsräson, heißt es immer wieder, doch was bedeutet dies überhaupt? Wie weit geht Solidarität?

Sollte sie bedingungslos sein und kann sie das überhaupt, angesichts einer Regierung, der rechtsextreme Minister angehören, überdies in Anbetracht eines Konflikts der auch in Zukunft kaum aufzulösen sein wird? Der Journalist Werner Sonne, der bereits als junger Reporter aus Israel berichtete, untersucht unser Verhältnis zu Israel und stellt die Frage, was ist legitime Kritik und wo beginnt als Israelkritik verbrämter Antisemitismus.

Soweit das Grundgerüst dieses kompakt gehaltenen Sachbuchs, welches vom Ausgangspunkt der neuesten Entwicklungen einen Blick in die Geschichte wirft. Hier beginnend, nach dem Zweiten Weltkrieg, zeigt Werner Sonne, wie bereits die Gründer der Staaten, im Hintergrund an einer Zusammenarbeit werkelten, die bis in unsere heutige Zeit hinein wirkt.

Zunächst im Hintergrund geheim gehalten, ist die Kooperation beider Länder auf geheimdienstlichen und militärischen Gebiet heute sehr dicht und intensiv. Widerstände dagegen gab es anfangs auf beiden Seiten. In Israel protestierten zu Beginn nicht wenige auf politischer Seite und in der Bevölkerung gegen eine Zusammenarbeit mit den Deutschen, die unmenschliches Leid über fast alle Familien gebracht hatten. Wie konnte man da etwa verlangen, Uniformen für die im Aufbau befindliche neue deutsche Armee zu nähen, wo doch manche in den KZs einige Jahre zuvor gezwungen waren, für die SS dergleichen zu tun? Verbat es sich anderseits, im Anbetracht beider Geschichte, Rüstungsgüter wie U-Boote von den Deutschen zu beziehen?

Der Autor schaut nicht nur auf die militärische wie geheimdienstliche Zusammenarbeit. Werner Sonne zeigt, was die Sicherheitskooperation Israels mit Deutschland und umgekehrt in den ersten Jahren ausmachte und worin sie heute besteht, beleuchtet ein Verhältnis, welches von Beginn an besonderer Natur gewesen ist und weshalb dies wichtig ist, zu durchdenken, wenn wir über die heutige politische Lage zwischen beiden Ländern und in der Region selbst diskutieren. Hält so der Ausspruch von der Staatsräson Deutschlands gegenüber Israel noch stand?

Mit diesem sehr sachlich gehaltenen Werk zeigt Werner Sonne die historische Entwicklung einer besonderen Beziehung auf und gibt Denkanstöße und Material für Diskussionen. Er stellt sich dabei nicht auf eine Seite oder präsentiert vermeintliche Lösungen. Beim Lesen wird man nicht umhin kommen, an der einen oder anderen Stelle vielleicht einen anderen Standpunkt einzunehmen, doch wird man vielleicht einzelne Entscheidungen der Politik besser nachvollziehen können, warum sie so gefallen sind.

Wenn das erreicht ist und gewisse Denkanstöße damit gegeben sind, ist mit diesem Werk schon viel gewonnen und das ist mehr als man von einem historischen Beziehungsabriss als Diskussionsbeitrag erwarten darf.

Autor:

Werner Sonne wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Seine journalistische Ausbildung begann er beim Kölner Stadt-Anzeiger, wo er sein Volontariat abschloss, anschließend arbeitete er bei der Nachrichtenagentur UPI und wechselte dann zum Hörfunk des Westdeutschen Rundfunks. Dort berichtete er als Korrespondent aus Bonn und Washington, bevor er 1981 zum Fernsehen wechselte. Nach verschiedenen Stationen arbeitete er als Auslandskorrespondent und Studioleiter, u. a. in Bonn, Washington und Warschau. 2004 wurde er Korrespondent beim ARD-Morgenmagazin. 2012 verabschiedete sich Sonne in den Ruhestand.

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Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Inhalt:

Constanze zieht nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten in die Wohngemeinschaft von Jörg, Anke und Murat. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, entpuppt sich als zunehmend stabil. Da ist Jörg, dem die Wohnung gehört und der eine große Reise plant; Anke, die als mittelalte Schauspielerin kaum noch gebucht wird und plötzlich nicht mehr die einzige Frau in der WG ist; und Murat, der sich einfach keine Sorgen machen will und dessen Lebenslust auf die anderen mitreißend und manchmal auch enervierend wirkt.

Constanze sorgt als Neuankömmling dafür, dass sich die bisherige Tektonik gehörig verschiebt. Alle vier haben ihre eigenen Träume und Sehnsüchte und müssen sich irgendwann der Frage stellen, ob sie eine reine Zweck-WG sind oder doch die Wahlfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Ein Kammerspiel zwischen zwei Buchdeckeln ist der neue Roman „Wohnverwandtschaften“ der Hamburger Autorin und Übersetzerin Isabel Bogdan, die nun einem Ein-Pfauen- und einem Ein-Personen-Stück der Dynamik von Vieren folgt und so eine kurzweilige Erzählung schafft, deren Figuren einem praktisch sofort ans Herz wachsen.

Sie alle haben sich zusammengefunden, grundverschieden, doch zusammen ist man weniger allein, das gilt in verschiedener Art und Weise für die Protagonisten, deren Leben wir über den Zeitraum von zwei Jahren verfolgen, aus derer Sicht abwechselnd erzählt wird. Schnell bekommen Anke, Constanze, Murat und Jörg ihre Konturen innerhalb derer ihnen zugeschriebenen Kapitel, die mal als innerer Monolog als auch Gespräch zwischen mehreren daher kommen, jede Figur dabei in ihrem ganz eigenen Duktus.

ANKE: Ehrlich gesagt: Du bist manchmal ein bisschen unempfindlich für so was. Ist dir schon mal aufgefallen, dass alle anderen die Klotür hinter sich zumachen? Und etwas anhaben, wenn sie nicht allein sind.
MURAT: Ich wohne hier!
ANKE: Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit!
BEIDE lachen.

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

In diese Art Erzählstruktur muss man erst hineinfinden, doch schnell gewinnt man Übersicht, kann sich diese Wohngemeinschaft vorstellen, in der jeder seine inneren Konflikte und Gedanken einbringt, Haarrisse zeigen sich schnell, doch dunkle aufziehende Wolken fordern erst schleichend, dann immer mehr die Konfrontation.

Doch noch bleiben? Ich will gar nicht so richtig nach Hause, ich will nicht Jörgs Verwirrtheit ertragen, ich will nicht so gereizt reagieren, wenn er zum hundertsten Mal irgendein Quatsch fragt. Hoffentlich geht das wieder weg, es ist jetzt schon ganz schön lange so.

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Einzelne Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, mit zunehmender Seitenzahl verschärfen sie sich, was zugleich Auswirkungen auf das Erzähltempo hat. Der Konflikt der Gruppe ist glaubwürdig dargestellt, wird zum Handlungsgegenstand, um den sich alles dreht, könnte sich so reell abspielen. Man darf aber auch feststellen, dass Bogdans Figuren ein Glücksfall für das aufgebaute Szenario sind.

Eingebettet in der quirligen Hafenmetropole braucht es nicht viel, um mit dem Roman warm zu werden. Wer ein wenig sucht, findet jedoch Anspielungen aus Musik und Literatur oder aus dem ersten Buch Isabel Bogdans „Sachen machen“. Eine gewisse Band taucht da wieder auf. Ansonsten ist natürlich der Konflikt einer, wie er in vielen Familien irgendwann auftauchen dürfte. Wie hart aber, wenn es eine Gemeinschaft trifft, die man sich selbst erwählt hat? Es trifft mitten hinein ins Herz.

Aber bei Jörg ist was passiert, bei Jörg ist viel zu viel passiert, nur das Falsche, Jörg hat diesen riesigen Stein im Kopf, den man nicht ausgraben kann, es gibt keinen Spaten für die Versteinerung eines Gehirns, man muss doch irgendwas tun können? Irgendwas?

[…]

Wie soll das weitergehen?

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Das dröselt die Autorin feinfühlig auf, mitsamt einer Bandbreite vorstellbarer Reaktionen, wie sie in einer solch kompakt gehaltenen Erzählung möglich ist. Kein Wort ist dabei zu viel. Jeder Sprung, jede Lücke sind bewusst gesetzt, ergeben mitsamt der unterschiedlichen Figurenstile ein harmonisches stimmiges Bild.

Praktisch unmöglich, so gar keinen Zugang zu bekommen, gerade da es eine Thematik betrifft, die folgerichtig wie eindrücklich dargestellt wird, derer man bei einem selbst nahestehenden Personen (und wohl später auch bei sich selbst) zunächst nicht eingestehen möchte, dass sie problematisch ist.

Sie sind jetzt natürlich alle da, ich kenne die Gesichter, aber ich habe nicht alle Namen parat, […].

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Erkennt man es, ist es beinahe zu spät. Alle Tragik und Traurigkeit hat Isabel Bogdan hier hineingesteckt und doch ist „Wohnverwandtschaften“ ein lebensbejahender Roman und ein Appell, die gemeinsame Zeit, die man mit seinen Liebsten hat, zu genießen. Nicht nur deshalb lesenswert.

Autorin:
Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben. Ihre Romane „Der Pfau“ (2016) und „Laufen“ (2019) wurden verfilmt.

Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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Scott Alexander Howard: Das andere Tal

Inhalt:
Dieses Tal ist ein besonderer Ort. Geht man nach Osten oder Westen, stößt man auf die gleichen Häuser, Hügel, Straßen – doch alles ist zwanzig Jahre zeitversetzt. Nur in Trauerfällen dürfen die Grenzen passiert werden. Als die junge Odile in Besuchern aus der Zukunft die Eltern ihres Freundes Edme erkennt, weiß sie, dass er bald sterben wird. Was wäre, wenn Odile das ihr auferlegte Schweigen bricht? Ein bewegendes und außergewöhnliches Debüt über Freiheit und die Macht des Schicksals. (Klappentext)

Rezension:
Ein Schlag in die Magengrube, der einem zum Nachdenken bringen wird, ist das schriftstellerische Debüt Scott Alexander Howards, der mit „Das andere Tal“ ein philosophisches Gedankenexperiment in einer kühlen dystopischen Welt wagt, welches in eine Coming of Age Geschichte eingebettet ist.

Anfangs ist nicht klar, wohin die Reise geht, genau so wie der Mantel der Erzählung sich erst nach und nach erschließt, wagt auch die Hauptprotagonistin zunächst den Blick über die Grenzen ihrer Welt hinaus. Das Leben beschränkt sich auf das von ihren Mitmenschen und ihr bewohnte Tal, dessen Grenzen man nur unter strengen Voraussetzungen überschreiten darf.

Je nach welche Richtung man einschlägt, reist man damit entweder zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurück oder in die Zukunft, doch wer dies tut, könnte unachtsam das Leben aller im Hier und Jetzt und allen Zeiten für immer verändern. Das mächtige Conceil und die Gendarmerie wachen seit jeher über dieses gesellschaftliche Konstrukt, doch was gilt das noch, wenn es einen engen Freund betrifft?

Kühl ist die Atmosphäre in diesem Roman, dessen Figuren über lange Strecken genau so kühl bleiben, auch die Hauptprotagonistin selbst, wie auch die Enge des Tals es ist, deren Beschreibung einem förmlich die Luft zum Atmen nimmt. Der Autor hat sich dabei Zeit für den Aufbau der Geschichte genommen, die zunächst langsam voranschreitet, um dann unweigerlich scheint, auf die Katastrophe hin zu steuern.

Dabei steht zum Einem die Frage im Raum, wie viel sind wir bereit als Einzelne an Verantwortung zu tragen oder wie weit einem gesellschaftlichen Konstrukt, welchem uns die Kehle zu schnürt, uns einengt? Wie weit aber würden wir selbst gehen, im Wissen, das ein kleinster Fehltritt alles Passierte vielleicht noch verschlimmern könnte. Fragen, die wie ein Damokles-Schwert ständig über die Hauptfigur schweben. Irgendwann, so ahnt man bereits zu Beginn, wird Odile für sich selbst Antworten darauf finden müssen.

Als beinahe einzige Figur mit Ecken und Kanten versehen, verblassen neben ihr beinahe alle anderen Figuren. Aus der Realität genommene Elemente werden dagegen in den Vordergrund gestellt. Zu weilen wirken damit gesellschaftliche und weltenbildende Elemente plastischer als das Figurenensemble selbst.

Die Grenze zwischen den Tälern mit einer Art Niemandsland erinnert zu sehr an den Eisernen Vorhang oder die innerdeutsche Grenze, die Frage nach der Erlaubnis um Betreten oder Ausreise zu grausam an nicht zu ferne Fragen, die heute den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Der Autor zeigt mit dieser Art von Verarbeitung und Übertragung, welche inneren Konflikte damit einhergehen können, so dass man am Ende doch wieder mit der Hauptfigur Odile mitfühlen wird, die es förmlich im Inneren zerreißt.

Nur aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt, die wir sie von früher Kindheit an bis hinein ins Erwachsenenalter begleiten. Fragen, die erklärungswürdig wären, wie etwa der Erhalt einer Gesellschaft, wenn im Grunde nichts von außen dringt, werden bewusst ausgeklammert, um sich alleine auf den Konflikt Odiles zu konzentrieren, was zwangsläufig zu Lücken führt, über die man beim Lesen stolpern wird.

Solcherlei Auslassungen führen dazu, kurz innehalten zu müssen. Nein, man hat nichts überlesen. Diese Information bekommt man nicht. Man muss mit der Lücke leben, die nicht wenig zu einem beklemmenden Gefühl beitragen wird.

Im letzten Drittel steigern sich sowohl Beklemmung als auch Erzähltempo. Man fiebert mit und bleibt doch bis zum Ende seltsam distanziert. Eine fiktionale Dystopie, die weder zeitlich noch örtlich irgendwo einzusortieren ist, wirkt wie die der Erzählung zugrundeliegenden Überlegung. Man liest sich eben durch eine Modelbetrachtung in Romanform.

Dieser Stil ist nicht für jedem etwas, wenn auch die behandelten Fragen interessant und sehr diskutabel sind. Ob das jedoch ausreicht, um sich dieser Lektüre hinzugeben, muss sich jeder selbst beantworten.

Autor:

Scott Alexander Howard lebt in Vancouver, British Columbia. Er wurde an der Universität von Toronto in Philosophie promoviert und war Postdoktorand in Harvard, wo er sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Emotionen und Literatur beschäftigte. Das andere Tal ist sein erster Roman.

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Henning Kreitel: August Barthel 1 – Der Mord an der Mühle

Inhalt:

August Barthel ist Bürgerpolizist in der Sächsischen Schweiz. Nach einer Wanderung hört er Hilferufe aus einer nahe gelegenen Schlucht. Er vermutet, dass sie von Friedrich Hauer stammen, dem Zimmermann. Hinweise auf ein Verbrechen findet er dort aber nicht, nur dessen Handy. Vom Zuhälter Carlo Wolff erfährt Barthel von Hauers Plänen, die ehemalige Lochmühle bei Pirna in einen Edelpuff umzuwandeln. Auf Hauers Handy entdeckt er aufreizende Fotos der Wildhüterin Ronja Gräfe. Als er sie zur Rede stellen will, flieht sie. Hauer bleibt derweil verschwunden. Ein Mord wird immer wahrscheinlicher … (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Henning Kreitel: August Barthel 1 – Der Mord an der Mühle

[Einklappen]

Rezension:

Von der quirligen Metropole Berlin verschlägt es den Polizisten August Barthel inmitten der Sächsischen Schweiz, als er das Haus seines verstorbenen Vaters erbt. Fortan nimmt er dort für zwei Gemeinden die Stelle des Bürgerpolizisten wahr, ein stiller Posten, den ihn mancher Kollege neidet. Mit der Ruhe indes ist es bald vorbei, als der umtriebige Zimmermann des Ortes verschwindet. Barthel beginnt sofort mit seinen Ermittlungen, nicht ahnend, in welches Wespennest er sticht.

Wenig temporeich beginnt vergleichsweise unscheinbar der erste Band der vorliegenden Krimi-Reihe aus der Feder Henning Kreitels, der uns Lesende in die idyllische Sächsische Schweiz entführt und nach und nach immer rätselhafter anmutet. Beinahe novellenhaft liest sich der leichtgängige Roman, mit dessen Figuren man sich leicht identifizieren kann. Dem Autoren ist hier die Ausarbeitung nicht nur seines Hauptprotagonisten gelungen. Klar, jedoch mit Ecken und Kanten hat Kreitel die Dorffiguren versehen und füllt damit einen Regionalkrimi von der besseren Seite und spielt mit Klischees wie Charakterzügen.

Der Kriminalfall wird ruhig erzählt, ohne haarsträubende Wendungen aufzunehmen, denen man schnell nicht mehr folgen könnte. Man folgt der Ermittlerfigur, wie sie nach und nach Puzzleteile auffindet, wieder verwirft oder neu zusammensetzt. Der Autor beweist hier, dass auch ohne hohem Erzähltempo ein spannendes Rätsel aufgebaut werden kann, wenn auch, gerade wer mehr den modernen Thriller oder Krimi gewohnt ist, sich in diese Art Erzählung wieder einfinden muss.

Ohne zu viele Worte zu verlieren, auf kompakten Raum, wird hier ein Zeitraum von wenigen Tagen erzählt, und ein Geflecht aufgebaut, welches August Barthel zu entwirren und überblicken versucht, der nicht nur gegen den Argwohn seiner Kollegen ankämpfen, sondern auch als praktisch wieder Zugezogener sich in die Empfindlichkeiten seines Ortes neu eindenken muss. Nicht klar zunächst, wer die Gegenspieler sind, vermeintliche sind beim Lesen schnell ausgemacht. Der Autor weiß jedoch mit Grautönen ebenso zu spielen, wie er auch Landschaftsbilder vor dem inneren Auge entstehen lassen kann.

Hier liegen die Stärken Henning Kreitels, der atmosphärisch seinen Reihenauftakt gestaltet, ohne erzählerische Lücken oder unbedachte Sprünge zu machen. An mancher Stelle wirkt diese Komposition fast zu ruhig, doch fängt sich der Roman sehr schnell, so dass man kaum von größeren Längen sprechen kann. Den Fokus hat Kreitel auf seinem Hauptprotagonisten und die Verstrickungen der handelnden Figuren untereinander gelegt, die ebenso gut vorzustellen sind wie die Gegend, in der die Handlung spielt. Damit ist die Art von Kriminalroman geschaffen, deren Ermittelnden man gerne auf den Pfaden weiterer Fälle folgen wird und so darf man gespannt sein, auch um die Entwicklung der Protagonisten willen, was uns mit August Barthel noch alles erwartet.

Ein viel versprechender Reihenauftakt, der an manchen Stellen fast vorabendserientauglich (Schreibt man das so?) daherkommt, mit zu vernachlässigenden Abzügen in der B-Note. Ein Kammerspiel auf Ortsgröße gebracht. Das ist doch etwas.

Autor:

Henning Kreitel wurde 1982 in Weimar geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Fotograf. Er absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann und studierte anschließend Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie in Stuttgart. Seit 2012 entstanden erste literarische Texte. Während eines Austauschsemesters in Island wurde eine seiner fotografischen Serien ausgestellt. 2014 schloss er sein Studium ab und ist seitdem als freiberuflicher Schriftsteller und Fotograf tätig. Seine Bilder wurden mehrfach ausgestellt, zudem ist er in der Deutschen Gesellschaft für Fotografie und im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller tätig, Vorsitzender deren Berliner Landesverbands. Kreitel, der in Berlin lebt, wurde 2022 in das PEN-Zentrum Deutschlands aufgenommen.

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Die Frankfurter Buchmesse 2024

Meine Premiere im vergangenen Jahr bedurfte einer Wiederholung und so bin ich auch diesmal wieder auf der Frankfurter Buchmesse gewesen, habe mich aber an meinem Vorsatz gehalten, nur die Fachbesuchertage zu nutzen. Im letzten Jahr war es stellenweise viel zu voll, was ich mir nicht mehr antun möchte, zumal, wenn ich schon die Gelegenheit habe, es anders machen zu dürfen. Einen Tag vorher bin ich mit der Bahn problemlos angereist, übrigens heute ebenso problemlos zurück, auch wenn der eigentliche Zug für die Rückfahrt bereits eine Woche zuvor von der Deutschen Bahn gecancelt wurde. Manchmal muss man halt Glück haben.

Auch mit meinem Hotel, welches im berüchtigten Bahnhofsviertel lag, war das so. Von außen sehr zweifelhaft, was noch freundlich ausgedrückt ist, war es zumindest von innen zwar sehr einfach, aber sauber, auf den Gang vielleicht etwas hellhörig, aber Fenster zum Hof ohne Straßenlärm, den ich eh nicht höre, wenn ich denn einmal schlafe.

Und mehr tut man ja eh nicht in einem Hotel, wenn man eine Städtereise macht, wegen was auch immer. Nach Einchecken im Hotel ging es dann auf das Messegelände, da ich in die Pressekonferenz zur Eröffnung hineinkommen wollte. Dafür aber hätte man extra Tickets gebraucht, die ich nicht hatte, auch nicht bekam und so habe ich den ersten „Eklat“ der Buchmesse verpasst, dem einige schon vorausgegangen waren und weitere folgen sollten.

Gastland war in diesem Jahr Italien, was aufgrund seiner Regierung, nicht allen gefällt, bestimmt doch das Gastland z. B. die Auswahl von Autoren und Autorinnen, die im Rahmen der Messe offiziell das Land vertreten „dürfen“. Kritiker der postfaschistischen Regierung kamen daher nicht auf offiziellen Wege auf die Buchmesse, konnten dennoch aber daran teilnehmen, auf Einladung ihrer Verlage hin.

Auf der Eröffnungsveranstaltung gab es jemanden, so zumindest Social Media, der diese demonstrativ verließ, als der italienische Kulturminister gesprochen hatte. Meine Frage ist, warum man sich eine solche Veranstaltung antut, auf der man weiß, wer sprechen wird und vor allem, mit welcher Ausrichtung sich der oder diejenigen wahrscheinlich präsentieren werden? Spart man sich das dann nicht lieber?

Wie dem auch sei, das ist eine kleine Randnotiz, trotzdem habe ich mir auch in diesem Jahr natürlich die Halle des Gastlandes angeschaut. Da konnte man jedoch die Klaviatur moderner Propaganda sehen. Ein Saal mit stilisierten römischen Säulen, die Bücher an den Rand gedrängt. Ein höherer Rückgriff als auf die Symboliken des alten Roms und der Bauten römischer Kaiser hätte nicht sein können, während im letzten Jahr das Gastland Slowenien noch die Bücher und ihre Übersetzungen in den Vordergrund gestellt hatte.

Los ging es aber mit einem anderen Italienbezug. Tobias Roth sprach am Stand von DLF Kultur über sein Werk „Florenz in der Welt der Renaissance“, an einem anderen Tag auf der Messe ebenso über „Rom in der Welt der Renaissance“, eines von denen wurde mir später übergeben zum Rezensieren, dem anschließend in einem Pavillon im Hof der Messe ein Gespräch über „Ein Jahr nach dem 7. Oktober“ folgte, als Versuch einer Bestandsaufnahme der aktuellen Entwicklungen in Israel. Auch das nächste Gespräch über Demokratien vs. Autokratien war nicht minder spannend, wie auch der Besuch des Bloggertreffens des Wagenbach-Verlags.

Am Stand hat sich der Verlag allen Anwesenden einmal vorgestellt, bevor dort für uns eine Lesung mit dem italienischen Autoren Mario Desiati startete. Nur leider kann er nicht ganz so gut Deutsch und hatte auch kein Mikrofon, so dass man ihn an den äußeren Ecken, wo wir teilweise auf Schaumstoffwolken saßen, kaum verstanden hat. Wenn ich also einen Wunsch frei hätte: Gebt den Autoren und Autorinnen bitte ein Mikrofon in die Hand und lasst sie entweder Englisch oder in ihrer Sprache sprechen und stellt jemanden daneben, der übersetzt. Ist für alle angenehmer, wäre es auch in diesem Falle sicherlich für den armen Autoren gewesen.

Besser hat dies am nächsten Tag für Martina Berscheid geklappt. Sie hat ihren Roman „Fremder Champagner“ auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage vorstellen und daraus lesen können. Hier gab es Mikrofone. Anschließend habe ich ein paar Worte mit ihr und der Verlegerin des Mirabilis-Verlags (welcher in diesem Jahr mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde) wechseln können.

Es war toll, beide zu treffen, wie auch Dmitry Glukhovsky, der ein wenig später am Stand der RandomHouse-Verlage sein neuestes Werk vorstellen durfte, eine Zusammenstellung vieler Zeitungsartikel und Kolumnen aus seiner Feder, über die Entwicklung Russlands. Gedanklich landete dieses Buch nebst vielen anderen natürlich auf meiner Wunschliste.

Nicht auf der Wunschliste, wie so viele, landete in meinen Koffer, wie ebenso viele, ein wenig später „Mein Freund YBor“, das Kinderbuch von Rüdiger Kinting, welchen ich danach treffen durfte. Diese Gespräche und Treffen sind es, die für mich diese Messen ausmachen. Wenn jemand ganz begeistert über sein Buch spricht, die Findung der Geschichte, der Gestaltung, ist das doch ansteckend. Ich bin in jedem Fall positiv gespannt auf dieses kleine Werk und freue mich schon, es zu lesen.

Ein anderer Aspekt der Messen, eher für den Blog wichtig oder den Schrittzähler, den ich nicht besitze, sind die Rundgänge zu den Verlagen. Das ist in Frankfurt ungleich schwieriger als in Leipzig, da alle ständig Termine haben und ich jetzt niemand bin, der selbige sprengt. Nach und nach hat es dann aber doch geklappt, auch wenn mir wiederholt Verlage begegnet sind, die keine Visitenkarten annehmen dürfen (Warum?) oder andere, die meinen, Bloggende nicht zu brauchen. Finde ich schwierig, in Zeiten, wo gerade kleine Verlage darum kämpfen müssen, sichtbar für das Publikum zu sein und doch jeder Beitrag doch nur helfen kann.

Man muss aber auch dazu sagen, dass das Ausnahmen waren. Viele freuen sich über das Interesse, erinnern sich an die eine oder andere Rezension und geben auch das Feedback, dass sie es tatsächlich an den Verkaufszahlen merken, wenn Beiträge über die Bücher erscheinen, übrigens auch in Literaturforen.

Den Abschluss des Tages bildete ein Umtrunk am Stand des Karl Rauch Verlags, dessen Bücher so unterschiedlich wie schön gestaltet sind und anschließend eine Veranstaltung des Netzwerks schöner Bücher von zehn unabhängigen Verlagen. Gott sei Dank, nachdem meine Kopfschmerzen wohl zu müde waren, um weiterzumachen. Die hatten mich von früh an leider begleitet. Aber zu den Zeitpunkt war alles wieder soweit in Ordnung, weshalb ich den Abend genießen und bei Pizza und Getränken mit Verlagen und Bloggenden ein paar wunderbare Stunden verbringen und wir Gleichgesinnte uns austauschen durften.

Natürlich ging es dabei auch um Bücher, aber schaut bitte selbst beim Netzwerk schöner Bücher vorbei. Einige davon werde ich im Laufe der Zeit vorstellen, aber hinter jedem stecken Verlegerinnen und Verleger, die tolle kreative Ideen umsetzen und sich nebenbei zum Teil gesellschaftlich engagieren, was viel mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte.

Der Abend endete spät, der nächste Tag startete früh und begann wieder mit Verlagsrundgängen und dem Bloggertreffen von Rowohlt. Dort wurde das kommende Verlagsprogramm vorgestellt und zwei Autorinnen durften zudem ihre Romane vorstellen. Jen Besser mit „Dirty Diana“ und Raphaelle Red mit „Adikou“. Von beiden Büchern lagen zu wenige Exemplare aus, als dass alle eines bekommen hätten, selbst, wenn alle sich nur für einem der beiden Romane entschieden hätten.

Ich habe keines genommen, da für mich die Programmvorstellung im Fokus stand und mich andere Sachen interessieren, aber wenn man sieht, dass so wenige Bücher ausliegen, nimmt man sich doch bitte nur eines, damit mehr Menschen die Chance bekommen, eines zu erhalten. So gehe ich zumindest bei solchen Veranstaltungen vor. Es ist ein Privileg, die Bücher kostenfrei zu erhalten, nur sollte man einschätzen können, was man daraus macht.

Ein Beispiel hierzu, ich hatte es wegen des Bloggertreffens nicht zu einer parallel stattgefundenen Signierstunde von Sasha Filipenko geschafft, der dort seinen neuesten Roman signiert hatte. Deswegen hatte ich vorher dem Verlag geschrieben, ob es vielleicht möglich wäre, für mich, eventuell eines signieren und zurücklegen zu lassen.

Nicht selbstverständlich auf einer Messe, wo alle Termine haben, auch noch solche Anfragen irgendwo zu vermerken und das auch nicht zu vergessen, was ich verstanden hätte. Aber das war ein ganz toller Moment, was mich riesig gefreut hat. Fast schon Tradition hat ein Gespräch mit einer mir bekannten Literaturagentin, bei dem wir uns über unsere Messeeindrücke unterhalten. Auch das ein Bälle einander zuspielen, weswegen ich solche Messen mag und das Bloggen liebe. Es hat schon was, zu sehen, dass auch andere diese Arbeit, die man macht, schätzen.

Danach ging es zum Bloggertreffen von Kiepenheuer & Witsch, wo die Übersetzerin und Autorin Isabel Bogdan ihren neuen Roman „Wohnverwandtschaften“ vorstellte und daraus las. Ich mag ihre Bücher sehr und freue mich darauf, auch dieses zu lesen. Meines hatte ich bereits, so dass ich mich anschließend nur mit meinen Büchern von ihr, die noch nicht signiert waren, in die Schlange einreihen konnte. Die Autorin hat sich jedenfalls sowohl beim Lesen als auch im Gespräch bei der Fragerunde sehr sympathisch gezeigt.

Bei Dorling & Kindersley (DK), Verlag toller Bildbände zu den verschiedensten Themen, wie auch Kochbücher oder Bildenzyklopädien, habe ich anschließend zusammen mit anderen den Tag ausklingen lassen, wieder mit tollen Gesprächen und (hier) mit einem Glas Kaffeecocktail. Am Samstag gab es dann nur noch ein Treffen mit meiner Ansprechpartnerin vom Verlag C. H. Beck, sowie ebenso beim Mitteldeutschen Verlag. Danach jedoch musste ich schon den Zug nach Hause nehmen. Oder wollte es, um den Besuchermassen zu entgehen. Hat geklappt, auch im ausgewählten (da nicht mehr an die Reservierung wegen Zugausfall gebundenen) Zug schnell einen Sitzplatz gefunden.

Im Zug erfuhr ich dann beim Verfolgen der Nachrichten und Social Media von der Debatte um Clemens Meyer, die hier zumindest einmal (und danach nicht wieder) erwähnt werden soll, welcher auf der Preisverleihung des Deutschen Buchpreises das Verhalten eines Kindergartenkindes gezeigt hat, was natürlich die mediale Aufmerksamkeit jetzt von der ausgezeichneten Preisträgerin Martina Hefter für ihren Roman „Hey, guten Morgen, wie geht es Dir?“ ablenkt. Kurzfristig mag das Clemens Meyer ein paar Bucheinkäufe mehr einbringen, langfristig wahrscheinlich aber jeder Verlagsmarketingkampagne schaden, zudem wird er vielleicht so schnell nicht mehr für einen Preis überhaupt nominiert werden.

Und so endete eine tolle Messezeit für mich, mit vielen interessanten Begegnungen und Gesprächen und Ideen, die ich jetzt erst einmal sortieren muss.

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Johannes Balve: Kirschblüte in Fukushima

Inhalt:

Fremdwerden im fremden und im eigenen Land. Als es zu einem Atomunfall im japanischen Fukushima kommt, beginnen all jene Geschichten mitreißende, beängstigende und tragische Momente anzunehmen. Einige Protagonisten bringen sich in Gefahr, andere versuchen dem Unheil zu entfliehen, ringen um die Suche nach sich selbst und neuer Lebensentwürfe. Ihre Wege kreuzen einander, in einer Zeit, in der Glaube an die Absolutheit der Technik obsolet geworden ist. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Eigentlich soll die französische Journalistin Jeanne für ihre Zeitung nur über ein Städtebauprojekt recherchieren, doch als plötzlich die Erde zu beben beginnt und ein Tsunami sicher geglaubte Grundsätze der japanischen Gesellschaft ins Wanken bringt, versuchen vor allem die Expats einen Ausweg. Möglichst weit weg vom Ort der Katastrophe möchten alle, während vor allem die Journalisten die Neugier packt und sich in der Unterwelt des Inselstaats weiteres Unheil zusammenbraut. Dieses Gerüst trägt den aus der Feder Johannes Balve stammenden vielschichtigen Gesellschaftsroman „Kirschblüte in Fukushima“.

Zunächst beginnt dieser in vergleichsweise gemächlichen Erzähltempo ein Figurentableau aufzufächern, deren handlungsstränge sich im Verlauf der Geschichte immer wieder kreuzen werden, wirft doch die Katastrophe alle lang geglaubte Sicherheiten über Bord. Der Botschaftsangehörige, der sein Team zusammenhalten versucht, das Mitglied eines Handelsvereins, welches die Familie möglichst schnell außer Landes bringen möchte, der Wissenschaftler, der auf taube Ohren stoßen wird. Als gesellschaftskritische Erzählung beginnt der Roman sich pro Handlungsstrang in einen Wissenschaftskrimi, Agententhriller und Familienroman aufzufächern.

Anfangs wirkt das irritierend, wie das sehr umfangreiche Figurenensemble, welchem der Autor schafft, allen ihre Ecken und Kanten zu verleihen. Jeder Protagonist ist so vielschichtig, wie auch handlungstreibend, doch gerade die ersten Seiten muss man noch sehr konzentriert lesen, um kein wichtiges Detail zu übersehen. Schnell aber zeigt sich, dass Johannes Balve es schafft, weder Handlungen noch Figuren aus den Blick zu verlieren. Dabei hat er Maß gehalten. Keine Seite wirkt überzählig, auch wird man nicht das Gefühl haben, es würde etwas fehlen. Für westliche Lesende eher ein Moment, stutzig zu werden, ist die beschriebene Obrighörigkeit innerhalb der japanischen Gesellschaft. Das mag so sein, bildet aber zu Bekannten durchaus einen gewissen Kontrast.

Wer die Stellen der Antagonisten ausfüllt, ist nicht immer ganz klar. Das wechselt auch zwischendurch, schafft aber ebenso eine Dynamik herbeizuführen, deren Sogwirkung man sich nicht entziehen kann. Das wirkt, ohne zu starke Brüche alles durchaus schlüssig, auch wenn die Agentengeschichte mit einigen Punkten durchaus over the top ist. Ob das nun gut oder schlecht ist, entscheidet sich wohl mit den Genrevorlieben. Aus der Perspektive heraus, dass Lesende ja um die Katastrophe wissen, wirken manche Stellen wie ein vor den inneren Auge ablaufender Film, in dem sich spannende mit sehr ruhigen Momenten abwechseln, den einen oder anderen Zeitsprung mit einbezogen.

Johannes Balve schafft es vieler Arten von Romanvorlieben mit „Kirschblüte in Fukushima“ gerecht zu werden, ohne sich zu verheddern. Nicht alle Auflösungen von Handlungssträngen sind dabei gleichermaßen gelungen, trotzdem können wohl alle etwas für sich hier finden. Wann hat man das schon mal? Zudem bei einem Autoren, der es schafft, sehr detailreich zu beschreiben, andererseits durch Auslassungen Bilder zu erzeugen. Empfehlenswert.

Autor:

Johannes Balve ist ein promovierter Literatur- und Bildungswissenschaftler und Schriftsteller. Seit 1990 forscht und lehrt er an deutschen und ausländischen Universitäten. In Japan hat er in Kanazawa den Lehrstuhl für Germanistik und Europäische Kulturwissenschaft inne. Er berät zudem andere japanische Universitäten und ist als wissenschaftlicher Gutachter tätig. Für deutsche Zeitungen und Magazine verfasste er zahlreiche Reportagen über Japan und veröffentlicht in deutschen und internationalen Fachzeitschriften.

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Matthias Sander: China – Auf dem Weg zur digitalen Supermacht

Inhalt:

Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping will sein Land dank Technologie zur Supermacht formen. Bei künstlicher Intelligenz, E-Autos und Computerchips zählt China schon zur Weltspitze. Doch weitere Fortschritte sind bedroht, etwa durch amerikanische Sanktionen und Xis hartes Durchregieren.

Die anschaulichen, erzählenden Texte des Auslandsjournalisten Matthias Sander erkunden Chinas technologische Ambitionen ganz konkret. Seine Reportagen führen durch den digitalen Alltag, stellen innovative Startups vor und beleuchten die staatliche Subventionspolitik. Dabei betrachtet Sander Technologie stets im größeren Kontext von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Individuum – und den Auswirkungen auf Europa. (Klappentext)

Rezension:

Wer aus Europa nach China kommt, dem fällt sofort auf, wie verbreitet Technologie hier ist. Zutrittsschranken an Flughäfen und Wohnanlagen öffnen sich per Gesichtserkennung. Auf den Bürgersteigen filmen Überwachungskameras all paar Meter die Fußgänger. Taxifahrer halten ihren Fahrgästen am Zielort kommentarlos einen ausgedruckten QR-Code hin, damit sie per Handy bezahlen. […] Der Alltag in chinesischen Metropolen ist so digitalisiert wie wohl nirgendwo sonst.

Matthias Sander: China – Auf dem Weg zur digitalen Supermacht

Nach überstandener Quarantäne in einem Hotel fragt der Journalist nach einer Zutrittskarte im Checkkartenformat für seine Wohnanlage, die sonst nur per Gesichtserkennung zu betreten ist. Sander bekommt mehrere ausgehändigt, muss jedoch schnell feststellen, wie praktisch im Alltag diese Art Zutrittsberechtigung ist, vor allem, wenn man z. B. in beiden Händen jeweils eine Einkaufstüte hat.

In der Praxis wird er die Karten höchst selten benutzen. Um so häufiger WeChat, den kleinen Alleskönner, der als App für die Mehrzahl der Chinesen das Internet komplett ersetzt. Taxifahrten und Stromrechnungen kann man u. a. darüber bezahlen, seine Reisen planen und Behördengänge erledigen, vielfach nur auf diesem Wege.

Doch was bedeutet das, wenn auf Algorithmen und Daten der Staat Zugriff hat, über Nutzungsrechte seine Bürger kontrollieren und sanktionieren kann? Was heißt das für Unternehmen, die im vorauseilenden Gehorsam einer politischen Linie folgen müssen und mit Selbstzensur sich ausbremsen, bevor es der Staat tut?

Bis zu welchem Grad kann so Fortschritt gehalten werden und Innovation nachhaltig entstehen? Matthias Sander hat sich auf Spurensuche begeben und erlebt beinahe autonom fahrende Autos, durchleuchtet die handfesten wirtschaftlichen Hintergründe des Taiwan-Konflikts und zeigt die vielen Schattenseiten des vermeintlichen Fortschritts des Landes auf.

Die „Große Firewall“ ist keine harte Mauer. Sie bedeutet, dass die chinesische Regierung den grenzüberschreitenden Datenverkehr filtert und gegebenenfalls blockiert. Das ist in China relativ einfach, weil das Netz ganz bewusst nur an wenigen Knotenpunkten mit dem globalen Internet verbunden ist.

Matthias Sander: China – Auf dem Weg zur digitalen Supermacht

Entstanden ist dieses hoch interessante Sachbuch aus einer Zusammenstellung von Zeitungsartikeln des Autoren, die unvoreingenommen kritisch, fasziniert, von verschiedenen Aspekten Chinas berichten und über Technologie immer wieder sowohl zur Bedeutung dessen im Alltag der normalen Bevölkerung kommen als auch zur großen Politik und derer Auswirkungen auf die Welt.

Geordnet nach verschiedenen Themenbereichen beleuchtet Sander das unaufhaltsame Streben nach wirtschaftlicher Autarkie und politischen Voranpreschen in einer Vielzahl technologischer Bereiche und zeigt eine Politik, die nach absoluter Kontrolle strebt, aber damit jede Innovation zunächst einmal ausbremst oder kappt, wenn sie zu mächtig, damit unbeherrschbar werden droht.

Sander zeigt ein Land im Zwiespalt. Startups etwa, die der KI Chat-GPT nacheifern wollen, jedoch sich bereits im Voraus selbst zensieren und so keinen umfassenden Nutzen bringen, sondern sich auf eng umgrenzte Bereiche fokussieren, wie ein Internet, welches ebenso determiniert zeigt, was die chinesische Staatsführung eben zulässt, aber eben auch ein China, welches stolz seine Erfolge präsentiert. Die größten Hersteller von E-Autos sind alles inländische Firmen, selbst Tesla präsentiert sich dort wie eine einheimische Marke.

Doch was bedeutet der technologische Fortschritt für die Menschen in Bezug auf geopolitische Konflikte, im Wettbewerb mit ausländischen Firmen, die einerseits um die Chancen auf dem chinesischen Markt wissen, anderseits dort zumeist in Joint-Ventures gezwungen, Ideen- und Patentklau befürchten müssen? Wie wappnen sich amerikanische und europäische Firmen dagegen, wo lernen sie voneinander?

Teslas Erfolg mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich stecken die USA und China in einem Wettstreit um die Tech-Vorherrschaft. China will bei Schlüsseltechnologien wie Elektroautos, autonomem Fahren und Batterien Selbstversorger werden. Daten, wie Tesla sie massenhaft zur Entwicklung des autonomen Fahrens benötigt, gelten für Peking als Produktionsfaktor und sollen das Land praktisch nicht mehr verlassen. Wie also erklärt sich der Erfolg für Tesla in China? Und wie lange kann er anhalten?

Matthias Sander: China – Auf dem Weg zur digitalen Supermacht

Sander beobachtet, zeigt einen Innovationsgeist, der wohl noch größer wäre, würde er nicht durch politische Vorgaben eingeengt werden, doch verfällt er nicht in reiner Lobhudelei oder alles verdammender Kritik, sondern versucht die Bedeutung dessen, was er sieht, zu beleuchten. Hintergründe und Geschichten dortiger Unternehmen im Kontext der chinesischen Politik, werden beleuchtet, als auch deren schlimmste Auswüchse aufgezeigt, etwa was geschieht, wenn Wissenschaftler zunächst einmal fernab jeder Moralvorstellung agieren können.

Über jeden dieser ursprünglichen Zeitungsartikel, die nun in Themenbereiche gegliedert sind, steht das Entstehungsdatum, was so sortiert noch einmal das unaufhaltsame Tempo aufzeigt, in welchem sich die chinesische Gesell- und Wirtschaft bewegt. Auch kann man diese häppchenweise lesen oder hintereinander weg als ganzes Bild. Dabei sind auch sehr komplexe Inhalte so aufbereitet, dass sie auch für Laien gut zugänglich sind und so zum Verständnis beitragen, ohne bestimmte Mittel und Wege diskussionslos gutheißen zu müssen.

Sander zeigt die Auswirkungen scheinbar unaufhaltsamen Voranschreitens, aber auch die vielen großen Aber, damit auch, wie wichtig es ist, solchen Technologiedystopien etwas eigenes, positives entgegenzusetzen. Gelingt das, so zeigt diese Sammlung von Reportagen, können wir vor allem den hier geschilderten negativen Auswirkungen Alternativen gegenüberstellen. In diesem spannenden Sachbuch zeigt sich, gerade in China ist nicht alles Gold was glänzt. Manches kann übernommen oder adaptiert werden. Anderes ist mit großer Vorsicht zu genießen, selbst wenn der erste Blick zum Staunen einlädt.

Autor:

Matthias Sander wurde 1996 in Mainz geboren und studierte zunächst Politik und Soziologie. Seit 2014 ist er Journalist der Neuen Zürcher Zeitung NZZ aus der Schweiz. 2020-2023 war er China-Korrespondent der Zeitung und berichtete zunächst aus Taiwan, danach aus Shenzhen, seit 2024 ist er Korrespondent der französischsprachigen Schweiz.

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Wolfgang Krüger: Serienmörder des Dritten Reiches 1933-1945

Inhalt:

Auch in der vermeintlich fast lückenlos überwachten Diktatur des Dritten Reiches konnten Serienmörder ihr Unwesen treiben. Nach umfangreichen Recherchen legt Wolfgang Krüger nun einen weiteren Band zu Mordfällen aus der Zeit des Dritten Reiches vor. Diesmal begibt er sich auf die Spur unheimlicher Serienmörder. Er beschreibt detailliert die Verbrechen des berüchtigten Münchner Triebtäters Eichhorn und des Berliner S-Bahn-Mörders Ogorzow.

Er zeichnet aber auch die Vorgehensweise der Dortmunder „Raubmord-GmbH“ nach, die Untaten eines Serienmörders am Rande des Schwarzwaldes, die erschütternden Morde eines Melkers, der 1940 innerhalb von drei Wochen die Mark Brandenburg, Magdeburg und das sudetendeutsche Eger heimsuchte, indem er vier kleine Mädchen an sich lockte, sie missbrauchte und tötete. Schließlich wird der polnische Serienmörder Wignaniec geschildert, der als Fremdarbeiter im westfälischen Osnabrück drei seiner Landsleute ermordete und beraubte. (Klappentext)

Rezension:

Selbst als der Staat sich zum größten aller Massenmörder avancierte, gab es sie, die dunklen Kapitel der klassischen Kriminalistik, die in der Form von Serienmördern die Bevölkerung in Atem hielt. Auch in der absoluten Diktatur konnten diese ihr Unwesen treiben, Behörden und Polizeiorgane narren, welches Menschenleben kostete und für ein dem Anspruch nach alles unter Kontrolle haben wollende Gebilde schlicht Gesichtsverlust bedeutete, würde man den oder die Täter nicht habhaft werden können.

So suchte man möglichst schnell und geräuschlos, teilweise mit Mitteln, wie sie nur in einer Diktatur zur Verfügung stehen konnten, auch den Serienmördern auf die Spur zu kommen, von denen im vorliegenden Werk der Autor Wolfgang Krüger erzählt, beginnend bei den ersten Taten bis hin zur Vollstreckung der gefällten Urteile.

Zunächst wird in dieser schaurigen Sammlung dieser düsteren Seite deutscher Kriminalgeschichte die Definition derer erläutert, die Hauptgegenstand der Betrachtung sind, bevor sich kapitelweise den einzelnen Tätern gewidmet wird. Der Fokus liegt hier auf männliche Serientäter, die jeder für sich eine erschütternde Mordserie zu verantworten haben.

Detailliert beschreibt der Autor sowohl die Vorgehensweise, etwa des Schwarzwälder Serienmörders Josef Schäfer als auch die Umstände, wie dieser und andere ihre Opfer auswählten und nach dem Leben trachteten. Dabei werden Tathergang und Vorgehensweise fast nüchtern detailliert beschrieben als auch, warum selbst in einer so lückenlosen und grausamen Diktatur wie dieser solch ein Morden möglich war.

Teilweise zu plastisch wird dies durch Bilder aus den kriminalistischen Ermittlungsakten, die auch in der Qualität von damals nichts für schwache Gemüter sind. Zeit zum Durchatmen bleibt dabei kaum, denn auch die Ermittlungsarbeit selbst bis zur Aburteilung sind in ihrer historischen Betrachtung sowohl interessant als auch erschreckend.

Wie gingen klassische Behörden damals vor und wann und warum machten sie sich die Organe des NS-Regimes zu Nutze. Hier wäre eine ausführlichere und zuweilen kritischere Betrachtung wünschenswert gewesen, auch über das Verhältnis der einzelnen Kapitel zueinander kann man diskutieren.

Natürlich ist es vor allem der Quellenlage geschuldet, wenn man, in diesem Falle einer Mordserie knapp 60, einer anderen gerade mal fünf Seiten widmen kann, doch sollte man letztere dann überhaupt zur Sprache bringen? Diese kann schon alleine aufgrund des Seitenverhältnisses nicht die gleiche Wirkung auf die Lesenden entfalten, wie andere ausführlichere Schilderungen oder man hätte dieses Kapitel in der Reihenfolge anders sortieren müssen.

Auch ein Rahmen, z. B. durch ein Nachwort fehlt hier, in dem man voran gebrachte Kritikpunkte hätte erläutern können, was die aufgearbeitete Thematik, obwohl interessant, etwas unrund wirken lässt. Trotzdem, für historisch Interessierte eröffnen sich mit der Lektüre sicherlich einige eher unbekannte Aspekte. Und da ist dieses Sachbuch sicherlich eine Ergänzung.

Autor:

Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut in eigener Praxis. Ihn beschäftigt seit Jahrzehnten, wie unsre Seele die Gesundheit stärkt. Außerdem publizierte er erfolgreiche Bücher über die Liebe, Treue, Sexualität, Freundschaften, Eifersucht, Geld, Humor , Selbstachtung und Großeltern.

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Martina Berscheid: Fremder Champagner

Inhalt:

Ein Familienfest, für das es scheinbar keinen konkreten Anlass gibt. Wie immer in den letzten Jahren haben sich die drei Geschwister und ihre Eltern kaum etwas zu sagen. – Nirgends wird so viel gelogen und verschwiegen wie in Familien, denkt Claire. Oder ist das nur in ihrer Familie so? Doch dann werden die Geschwister unverhofft mit ihren Kindheitserinnerungen konfrontiert …

Fünfzehn Erzählungen von Martina Berscheid über Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, einfühlsam und genau beobachtet, mit einem feinen Gespür für Stimmungen und zwischenmenschliche Beziehungen. (Klappentext)

Rezension:

Wie feine Zahnräder greifen wir mit dem unseren in die Leben anderer ein und auch selbst werden wir von der dadurch entstehenden Dynamik erfasst. Daraus entstehen Ereignisse, die richtungsändernd wirken können. Wendepunkte, für die es ein feinsinniges Gespür braucht, diese zu erkennen, wie in diesem Falle, literarisch zu erzählen. Fünfzehn solcher Momente hat die Schriftstellerin Martina Berscheid zu Papier gebracht. Damit entstanden ist eine sensible Sammlung voller Geschichten, nicht nur literarisch wunderschön.

Ein Verlag, der mir Kurzgeschichten zu lesen gibt, beweist Mut, da diese relativ häufig durchfallen. Oft zu kurz, wenig Platz, um Geschichten und Momente entstehe zu lassen, Figuren ihre Wirkung entfalten zu lassen, dazu eine schwankende Qualität im Schreib- und Erzählstil, zumal wenn unterschiedliche Entstehungszeitpunkte den Ausschlag geben oder ein Vielleser, das wäre dann ich, der mit der Masse an Werken einfach kritischer geworden ist. Wenn jedoch der oder die Schreibende es wirklich vermögen, mit wenigen Worten verdichtet, viel zu erzählen, dann ist dies ein um so schöneres Leseerlebnis. Der Autorin Martina Berscheid ist dies mit allen der hier versammelten Erzählungen gelungen.

Aus Sicht der Hauptprotagonisten ihrer jeweiligen Kurzgeschichte öffnet die Autorin einen kurzen Einblick in Lebens- und Gefühlsmomente, die alleine durch die Beschreibungen der Figuren und dessen, was diese beobachten, nach außen und in sich hinein horchend, lebendig wird. Immer sind es ganz unterschiedliche Situationen, in denen sich die Protagonistinnen, es sind zumeist Frauen, befinden, die erwachsenen Geschwister, die sich mit einer Entscheidung der Eltern, ebenso mit ihrer Kindheit konfrontiert sehen, die Freundin, die ihrem Partner die Belästigungen am Arbeitsplatz verheimlicht, die Frau, die ihrer Nachbarin in den sozialen Medien näher ist als von Angesicht zu Angesicht …

Situationen, die man nachvollziehen kann, die bekannt sind, die alle schon auf irgendeine Art und Weise erlebt haben und doch stehen wir immer wieder vor Abgründen und Weggabelungen, die uns verzweifeln oder kämpferisch werden lassen. Trotz der wenigen Seiten pro Geschichte zeigt die Autorin, dass es auch in diesem Format mit einem durchaus ruhigen Erzähltempo ohne viele Worte ganz viel zur Sprache zu bringen. Wer sind wir eigentlich in diesen Momenten? Was macht uns eigentlich zu dem, wer wir sind? Wie sieht es in unserem Inneren aus, bevor wir eine Entscheidung fällen, deren Richtung vielleicht unumkehrbar ist?

Feinsinnige Protagonisten-Zeichnungen, die im Gegensatz oft zu vergleichsweise blassen Nebencharakteren stehen, passen da gut ins Bild, kennen wir uns doch selbst immer am besten. Innerhalb der einzelnen Geschichten sind Handlungsrahmen wie Anzahl der Figuren begrenzt, die Geschichten so angeordnet, dass der Kontrast der unterschiedlichen Lebenssituationen seine Wirkung entfalten kann. Dabei hat Berscheid nicht davor gescheut, ihren Figuren Ecken und Kanten zu geben, was durchaus starke Momente erzeugt.

Es sind kurzweilige Erzählungen, die zwar unabhängig von einander gelesen werden können, dennoch wie aus einem Guss scheinen. Der rote Faden ist klar erkennbar, oder auch das Tuch, welches man im Stil des Covers bestellen kann, wenn man dies auf der Verlagsseite (aktuell zum Zeitpunkt des Schreibens der Rezension möglich) tut. Diese Kurzgeschichten-Sammlung hat mich menschlich wie sprachlich erreichen können, mit vielen ruhigen Momenten, in denen wir kurz innehalten sollten. Manchmal hilft das.

Autorin:
Martina Berscheid wurde 1973 in Kaiserslautern geboren und ist eine deutsche Biologin und Autorin. Sie studierte nach der Schule Biologie und absolvierte anschließend eine journalistische Ausbildung. Danach war sie als PR-Referentin tätig, sowie als Volkshochschuldozentin. Als Autorin veröffentlicht sie seit 2010 Werke u. a. in Anthologien und Literaturzeitschiften. 2015 erhielt sie den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis der Stadt Saarbrücken.

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