Freundschaft

Fabio Genovesi: Wo man im Meer nicht mehr stehen kann

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Wo man im Meer nicht mehr stehen kann Autor: Fabio Genovesi C. Bertelsmann Verlag Erschienen am: 13.05.2019 ISBN: 978-3-570-10349-4 Übersetzerin: Mirjam Bitter

Inhalt:
Der sechsjährige Fabio ist der Mittelpunkt einer exzentrischen Großfamilie in der Toskana. Als Liebling seiner „zehn Großväter“ – der schrulligen unverheirateten Brüdern seines Opas – wird er zu den kuriosesten Unternehmungen mitgenommen, die selten kindgerecht, aber dafür unvergesslich sind.

Dies wappnet den Jungen für die Abenteuer und Gefahren, mit denen er beim Heranwachsen zu kämpfen hat. Denn eine Lebensweisheit hat Fabio früh erkannt: Schwimmen lernt man nur dort, wo man im Meer nicht mehr stehen kann. (Klappentext)

Rezension:
Familie und andere Katastrophen. Ungefähr so könnte der Untertitel dieses großen Romans lauten, in dem Fabio Genovesi sein jüngeres Ich die Welt entdecken lässt. Aufgewachsen ist der Autor inmitten einer schrulligen Großfamilie, genauer gesagt, den Brüdern seines bereits früh verstorbenen Großvaters.

Getrieben von der Angst, dass ihm mit dem vierzigsten Lebensjahr der berüchtigte Familienfluch befällt, entdeckt er die Welt um sich herum, die sich anfangs nur auf den Straßenzug, den ausschließlich seine Familie bewohnt, später auf das Dorf und die Umgebung erstreckt. Alleine, zusammen mit seinen Eltern und noch viel mehr mit den zehn Großvätern, die Fabio unter sich per Wochenplan herumreichen. Ausgang, einer mehr als turbulenten Kindheit.

Der Leser begleitet den zu Beginn im Vorschulalter befindlichen Ich-Erzähler bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr durch die Höhen und Tiefen des Heranwachsens. Genovesis Stärke ist es hier, die genaue Beobachtungsgabe des Kindes herauszustellen und diese den gesamten Roman tragen zu lassen.

Die anderen Protagonisten sind mehr oder weniger unwichtig, bleiben an manchen Stellen zu schwach gezeichnet, was eine Wohltat in dem Sinne ist, da besonders die antreibenden Großväter ein gewisses Nervpotenzial haben. Macht nichts, vieles macht der Sprachwitz wieder wett.

Formulierungen wie phantastische Titelüberschriften, wie „Die Regenwürmer des heiligen Fabio“, machen diesen Roman zu einem kleinen Juwel und so mag man sich an seine eigene Kindheit erinnern oder an Familiengeschichten, die als Anekdoten immer wieder erzählt werden und längst ein Eigenleben entwickelt haben.

Zwar kann auch Genovesi mit dem großen Knall einer Familientragödie aufwarten, doch tut er dies behutsam und lässt sein Vergangenheits-Ich daran wachsen. Erzählt werden die Bande unserer engsten Vertrauten, aber auch die Entdeckung zur Liebe der Literatur und das ist vielleicht auch einer der schönen Aspekte dieses Romans. Wobei Fabio Genovesi mit vielen ganz wunderbaren Momenten aufwarten kann.

Dieser Roman erzählt von Liebe und Hoffnung, Ängsten und Mut, Zuversicht und Scheitern, Freundschaft und Familie. Einfach eine liebevolle Geschichte.

Autor:
Fabio Genovesi wurde 1974 in Italien geboren und hat schon als Bademeister, Radsporttrainer und Kellner gearbeitet, bevor er als Übersetzer tätig wurde. Heute schreibt er Drehbücher und Romane und wurde mit dem „Premio Viareggio“ ausgezeichnet. Er lebt in Forte dei Marmi.

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Sy Montgomery: Einfach Mensch sein

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Einfach Mensch sein Sy Montgomery Erschienen am: 20.03.2019 Diogenes Seiten: 207 ISBN: 978-3-257-07064-4 Übersetzerin: Heide Sommer

Inhalt:

Machen uns Tiere zu besseren Menschen? Vertrauen, Instinkt und Gespür: Im Einssein mit der Natur finden wir unsere Lebendigkeit wieder. Im Beisein der Tiere wachsen wir manchmal über uns selbst hinaus. Ein Weisheitsbuch für unsere Zeit mit vielen Illustrationen und einem Nachwort von Donna Leon. (Klappentext)

Rezension:

In wie weit verändern uns zufällige Begegnungen mit Tieren? Welchen Einfluss nehmen Haus- und Nutztiere auf unser Leben? Viel ist schon darüber geschrieben worden. Ganze Aufsätze gibt es etwa über die Domestikation des Wolfes, woraus die verschiedenen Haushunde entstanden, die Unabhängigkeit der Katze, die den Mensch als „Dosenöffner“ duldet oder etwa in der Landwirtschaft der Nutzen von Schweinen und Kühen, der sich für viele in die Anzahl von Litern Milch bzw. Kilogramm Schwein fassen lässt.

Doch, was machen Tier mit unserer Psyche? Welchen Einfluss nehmen sie auf unser Wohlbefinden und was können wir von ihnen lernen? Die Autorin und Naturforscherin Sy Montgomery nimmt uns mit, auf eine erstaunliche Reise.

Nach dem durchschlagenden Erfolg ihres Bestsellers „Rendezvouz mit einem Oktopus“ erweitert die Schriftstellerin das Spektrum und wirft einen Blick auf verschiedene Tierarten. zwar ist ein achtarmiges Exemplar auch wieder dabei, doch geht es diesmal auch um schräge Vögel, einem Schwein und eigensinnigen Hunden. Montgomery schaut zurück auf diese Begegnungen und erklärt an der Wirkung auf sie selbst den Einfluss unserer tierischen Begleiter.

Kapitelweise widmet sie sich einer Bekanntschaft nmit einem Tier, nicht selten auch ein Wegbegleiter und zeigt nebenbei, wie man auch Lebensabschnitte in solche Portionen einteilen. Nach dem Haustier in der Kindheit etwa oder der schönsten Spinne Clarabelle.

Kurzweilig und melancholisch schildert sie ihr Leben mit und neben Tieren, zeigt, dass wir an ihnen wachsen, ebenso unserem eigenen Leben einen Sinn geben können. Ein jeder Haustierbesitzer kann das bestätigen. Fast literarisch mutet ihr Sachbuch an, schöne Umschreibungen, wie man sie selten in solchen Werken findet. Hier ist die Autorin unglaublich stark.

Genau da jedoch beginnt auch ihre große Schwäche, die sich schon in „Rendezvouz mit einem Oktopus“ allzu deutlich gezeigt hat. Natürlich sind manche Begegnungen mit Tieren sehr emotional, können uns aus der Bahn werfen und ausbremsen, doch Verklärungen, wie es einer Naturkennerin wie Montgomery nicht passieren darf; gut, lassen wir mal haustiere außen vor, aber selbst dann; hier jedoch zu oft geschehen, sind fehl am Platz. Ein Tier ist schließlich immer noch ein Tier.

Das ist Kritik auf hohem Niveau, zumal sich die Autorin immer wieder fängt und nochmals die Kurve bekommt. Dieses Werk, am ehesten ein literarisches Sachbuch, macht neugierig sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Wie würde wohl ein Roman der Schriftstellerin Montgomery über ihre Tierbegegnungen sich lesen oder ein reines Sachbuch der Wissenschaftlerin?

Der Perspektivwechsel würde sich interessant machen. Bis dahin bleibt nur, entweder das Buch zu lesen oder das eigene Haustier (und andere Tiere) mit anderen Augen zu betrachten. Und vielleicht lernen wir dabei noch etwas anderes? Zum Beispiel, einfach Mensch zu sein.

Autorin:

Sy Montgomery wurde 1958 in Frankfurt/Main geboren und ist eine Naturforscherin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 1979 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University in den Fächern Journalismus, Französisch und Literatur ab, sowie in Psychologie. Ihr wurden zwei Ehrendoktortitel verlieren.

Ihre Bücher, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, wurden für verschiedene Preise nominiert, u,.a. den National Book Award im Bereich Sachbuch. Sie schreibt Drehbücher u.a. für National Geographic TV und beteiligt sich an wissenschaftlichen Studien und Expeditionen im Bereich der Naturforschung.

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Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

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Niemand weiß, dass du hier bist Nicoletta Giampietro Piper Erschienen am: 01.03.2019 Seiten: 416 ISBN: 978-3-492-05918-3

Inhalt:

Der zwölfjährige Lorenzo soll bei seiner Tante in Siena unterkommen, bis der Krieg vorüber ist. Die Toskana gilt als sicher. Mit seinem neuen Freund Franco träumt Lorenzo vom glorreichen Triumph des faschistischen Italiens. Doch die Begegnung mit Daniele bringt seine Überzeugungen ins Wanken. Daniele ist Jude. Als die Stadt schließlich von den Deutschen besetzt wird, schweben er und seine Eltern in großer Gefahr. Und Lorenzo trifft eine folgenreiche Entscheidung. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt Romane, deren Geschichten verschwinden, sobald man den Buchdeckel zugeklappt hat und andere, die bleiben und nachwirken. Zur letzteren Sorte gehört „Niemand weiß, dass du hier bist“ von Nicoletta Giampietro. Das Debüt der italienischen Autorin erzählt die Geschichte des kleinen Lorenzo, der vor den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges in Afrika ins vermeintlich sichere Italien zu Verwandten gebracht wird und dort mit seinem neuen Freund Franco vom Siegeszug des Faschismus träumt.

Zunächst ist alles noch aufregend, auch wenn erste Anzeichen von der Grausamkeit und Bedingungslosigkeit auch den Kinderaugen des Zwölfjährigen nicht entgehen. Jüdische Mitschüler verschwinden aus dem Unterricht, immer schwieriger wird es, an Lebensmittel zu kommen, die Tante eckt mit allzu freier Meinungsäußerung an.

Im Szenario einer Kleinstadt, Siena, in der Toskana konzentrieren sich die Auswirkungen des Krieges. Viel packt die Autorin hinein. An historischen Gegebenheiten orierentierent, an realen Personen nur leicht angelehnt, hat sie einen Aufarbeitungsversuch eines Stückes italienischer Geschichte geschaffen, der fasst zu vergessen werden drohte.

Zunächst die Protagonisten, in deren Zentrum der anfangs zwölfjährige Lorenzo steht. Aufgewachsen in Tripolis, ist er der wache Charakter, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Zugleich außenstehender Beobachter und Beteiligter trägt der Protagonist die Geschichte.

Detailliert zeigt die Autorin den Zwiespalt auf, in dem Lorenzo sich befindet, vor allem in den gegensätzlichen Freundschaften, einerseits zum gleichaltrigen Franco, dessen Familie vom Faschismus profitiert, er selbst ist ganz der Ideologie verfallen, andererseits im späteren Verlauf zu Daniele, der nur knapp dem Unheil der Deportation entgeht. Beide Freundschaften bringen Lorenzo, auf die eine oder andere Art und Weise, in Gefahr.

Immer wieder fallen dabei bezeichnende Sätze, wie dieser:

Ich war an einem sicheren Ort gebracht und zurückgelassen worden. Aber Kriege sind unberechenbar. Und sichere Orte auch.

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Die Geschichte entfaltet eine Sogwirkung, zunächst nur leicht, mit zunehmender Seitenzahl immer stärker, der man sich nicht entziehen kann. Dazu trägt ein kontinuierlicher Spannungsbogen bei und die Tatsache, dass die Autorin möglichst viele Themen gezielt untergebracht hat.

Zwar nur haarscharf an der Überfrachtung vorbei, sind auch die Nebenfiguren so detailliert gezeichnet, dass sie fassbar werden, allen voran Figuren wie Matteo oder Zia Chiara, die durchaus zur Identifikation taugen. Lorenzo steht irgendwo dazwischen. Auch thematisch macht es Giampietro ihren Lesern nicht leicht. Geschont wird niemand.

Es werden die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag, das Denken und Handeln der Partisanen, der Mitläufer und der Täter behandelt, aber auch dort immer wieder gezeigt, dass jede Geschichte zwei seiten hat, eine großer Stärke des Romans, unterstützt durch sprachlich wunderbare Bilder.

… fast verschmolzen mit der Wand, zitternd wie ein Pappelblatt im Wind, schmutzig und mit riesigen, angsterfüllten Augen, …

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Geschichtliche Aufarbeitung kennen wir von deutscher, niederländischer oder von polnischer Seite, dieser Roman zeigt einen Versuch etwas Unfassbares fassbar zu machen aus italienischer Sicht. So gelungen, habe ich selten etwas gelesen und kann diesen Roman nur jeden Interessierten ans Herz legen.

In klarer verständlicher Sprache und nicht allzu langen Kapiteln verfolgt die Autorin das Handeln ihres Protgonisten über mehrere Jahre, in denen Lorenzo einen Prozess des zu schnellen Erwachsenwerdens durchmachen muss. Leben, damit der andere überlebt, dabei einen klareren Blick bekommen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen?

Emotional, nicht kitschig, beschreibt die Autorin Lorenzos Weg und zeigt im Nachwort auf, welchen realen Gegebenheiten einzelne Elemente der Handlung und Beschreibungen entlehnt sind. Gerade dies macht „Niemand weiß, dass du da bist“ zu einem unglaublich starken Roman, dessen Geschichte sich so oder ähnlich tatsächlich hätte abspielen können. Manche Szenen sind der Realität entlehnt.

Wer diesen Roman liest, wird dies mit zunehmend offenen Mund tun und viel Stoff zum Nachdenken bekommen. Eine Geschichte mit Nachhall, die ihres Gleichen sucht, gegen das Vergessen und für das Erinnern. Eine unbedingte Empfehlung.

Autorin:

Nicoletta Giampietro wurde 1960 in Mailand geboren und wuchs in einer italienisch-französischen Familie auf. Sie studierte nach der Schule Politikwissenschaften und geschichte in Mailand und Tübingen, zog 1986 nach Deutschland. Seit 1995 lebt sie in mainz, nach Stationen in Köln und Rotterdam. Sie spricht mehrere Sprachen. „Niemand weiß, dass du hier bist“ ist ihr erster Roman.

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Stephan Lohse: Ein fauler Gott

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Ein fauler Gott Stephan Lohse Suhrkamp Erschienen am: 06.03.2017 Seiten: 330 ISBN: 978-3-518-42587-0

Inhalt:

Sommer 1972. Benjamin ist vor einigen Wochen elf geworden. Im nächsten Schuljahr wird er ein Herrenrad bekommen, eine Freundin und vielleicht eine tiefe Stimme. Doch dann stirbt sein kleiner Bruder Jonas. Nachts sitzt Bens Mutter auf einer Heizdecke und weint.

Ben kommt nun extra pünktlich nach Hause, er spielt ihr auf der C-Flöte vor und unterhält sich mit ihr über den Archaeopteryx. An Jonas denkt er immer seltener. Ben hat mit dem Leben zu tun, er muss für das Fußballtor wachsen, sein bester Freund erklärt ihm die Eierstöcke, und sein erster Kuss schmeckt nach Regenwurm. Mit seiner neuen Armbanduhr berechnet er die Zeit. (Umschlagtext)

Rezension:

Ben ist ein ganz normaler Junge mit den üblichen vorpubertären Problemen. Nicht der beliebteste Junge der Klasse, aber eben auch nicht der unbeliebteste, freundet er sich mit den neuen Mitschüler, den Sohn der neuen Französischlehrerin an, und wandelt mit seinen Klassenkameraden durch die Tage.

Mit einem alten Herren in der Nachbarschaft freunden er und sein kleiner Bruder sich an, und auch sonst ist das Leben in Ordnung, er, sein Bruder und seine alleinerziehende Mutter. Doch, nach einem Schwimmbadunfall, verstirbt Jonas und die heile Welt gerät aus den Fugen. Nichts ist so, wie es mal war. Dennoch geht das Leben weiter. Ben ist plötzlich Einzelkind.

Er und seine Mutter müssen das Trauern lernen.

Es ist ein an vielen Stellen nachdenklicher Roman, den uns Stephan Lohse hier vorsetzt, der gespickt mit der tragischen Komik des Beginns der Pubertät, trotzdem zum einen oder anderen Lacher führt.

Natürlich ist der Tod Dreh- und Angelpunkt, die Botschaft Lohses ist jedoch eine andere. Das Leben geht weiter, auch mit positiven Momenten, die nicht aufhören und trotzdem ist es erlaubt, ja wichtig, zu trauern.

Der Autor beschreibt wunderbare Alltagsmomente, die zwar hier in der Zeit der 1970er Jahre angelegt sind, ansonsten in jedem Jahrzehnt hätten statfinden können, und so nachvollziehbar für auch jüngere Leser werden können.

So liegt das Buch zumeist bei den Erwachsenenbüchern in den Buchhandlungen aus, hat aber durchaus auch eine Berechtigung im Jugendbuchbereich. Schließlich sind Tod und Krankheit etwa, aber eben auch das Leben, wichtige Themen, mit denen man sich schon sehr früh ernsthaft auseinandersetzt.

Stephan Lohse tut dies in kurzweiligen Kapiteln, in denen sich die Erzählperspektive zwischen den zwei Hauptprotagonisten Mutter und Sohn ständig abwechselt, in klarer und einfacher Sprache, die zu vielen witzigen Momenten führt. So ist es von der dänischen Königin bis zur Kommunistin oft nur eine Seitenlänge, herrlich die Beschreibungen von kuriosen Situationen, in denen wortwörtlich alles in Butter ist, oder eben auch nicht.

Die Stärke des Romans liegt in den stillen Momenten, wenn die Figuren um sich selbst kreisen und versuchen, mit der Trauer um den Verlust umzugehen. Nach und nach finden die Protagonisten, zumindest die beiden hauptfiguren sehr tief ausgestaltet, wieder ins normale Leben zurück.

So ist dieses Werk ein positiver, trauriger, aber vor allem schöner Roman über den Tod und das Leben, welcher sich zu lesen lohnt. Eine klare Empfehlung.

Autor:

Stephan Lohse wurde 1964 in Hamburg geboren und studierte am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Er war am Thalia Theater Hamburg tätig, an der Schaubühne Berlin und im Schauspielhaus Wien. 2017 erschien mit „Ein fauler Gott“ sein Debütroman. Der Autor lebt in Berlin.

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Stephen Davies: Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang

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Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang Stephen Davies Aladin Verlag Erschienen am: 28.02.2018 Seiten: 128 ISBN: 978-3-8489-2103-4

Inhalt:

Die Titanic sticht in See – und Jimmy und Omar sind mit an Bord. Die beiden erkunden den Ozeanriesen bis in den letzten Winkel, schleichen sich zu Mitternachtspartys, entdecken Drachenblut im Frachtraum und dringen sogar bis in den Gymnastikraum der 1. Klasse vor. Für sie ist das Schiff wie ein großer Freizeitpark. Doch als es einen Eisberg rammt, wird der Traum zum Albtraum: Es gibt nur 20 Rettungsboote – nicht annähernd genug für 2228 Passagiere. (Klappentext)

Rezension:

Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Glaube an den Fortschritt, an die Technik und der Bezwingbarkeit der Natur noch ungebrochen, als das damals größte Passagierschiff der Welt in See sticht. Ziel Amerika, Sehnsuchtsort für unzählige Menschen, die ihr Glück in der Neuen Welt versuchen und die Trostlosigkeit, vor allem Armut, ihrer alten Heimat hinter sich lassen wollen.

Nicht ahnend, dass der Traum für nicht wenige nach ein paar Tagen zur tödlichen Falle werden würde.

Stephen Davies erzählt, grafisch schon aufbereitet durch Torben Kuhlmann, die Geschichte zweier Jungen, die es so tatsächlich an Bord der Titanic gegeben haben könnte. Zunächst erscheint für die beiden Protagonisten alles wie ein einzig großes Abenteuer.

Zusammen schleichen sich Omar und Jimmy, die sich zu Beginn finden und schnell anfreunden, wie es Kinder in dem Alter eben tun, des Nachts aus ihren Kabinen und erkunden dieses technische Wunderwerk. Sie schleichen sich durch Mannschafts- und Frachträume, einmal bis zum großen imposanten Treppenaufgang der Ersten Klasse und kommen aus den Staunen nicht mehr heraus.

Immer auf der Hut, von den Erwachsenen, insbesondere den Mannschaftspersonal, nicht erwischt zu werden. Dabei machen sie interessante Entdeckungen, wie sie nur 10- bis 12-jährige Jungen berauschend finden, die von solch einem Luxus, beide sind Passagiere der Dritten Klasse, nur träumen dürfen.

Sie begegnen imposanten John Jacob Astor, damals einer der reichsten Männer der Welt und Kapitän Edward Smith. Plötzlich jedoch, befinden sich Jimmy und Omar inmitten einer Katastrophe. Jetzt zählt nur noch, einen der raren Plätze in den Rettungsbooten zu bekommen. Doch, die Familien beider schlafen nichts ahnend in ihren Kabinen.

Kinderbücher können spannend sein und dabei Interessen wecken, wahre Begebenheiten verständlich und fassbar rüberbringen. Genau da tut Stephen Davies, der Jimmy, seinen Hauptprotagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, dabei die Grausamkeit, Absurdität der Ereignisse und die menschlichen Qualen nicht verschweigt, aber für das Zielpublikum altersgerecht verpackt.

Aufgelockert mit Zeichnungen erschließt sich so ein historisches Ereignis, welches für Friedenszeiten eine der größten menschlichen Katastrophen werden sollte, deren Blickwinkel auf Technik und menschliches Beherrschungsvermögen über die Naturgewalten für immer verändert werden sollten.

Für technikinteressierte Kinder und denen, die kleine kompakt aber kurzweilige Geschichten mögen, ist dieser kleine Roman ideal. Davies orientiert sich sehr an verbürgte Ereignisse des Untergangs, die wege der Jungen waren so möglich und auch das im Klappentext erwähnte Drachenblut gab es tatsächlich. was es allerdings damit auf sich hat, muss man schon selbst nachlesen.

Davies verschönt nichts, gibt der Geschichte aber bereits zu Beginn eine sinnvolle Richtung, die nicht verschreckt und zudem Eigenschaften wie Mut, Freundschaft und Zusammenhalt als Grundstock nimmt. Natürlich, für Erwachsene ist vorhersehbar, wie es für speziell Omar und Jimmy ausgeht, dennoch für diese Altersgruppe eine spannende Geschichte, die Lust darauf macht, mehr erfahren zu wollen und einlädt, zu recherchieren. Bitte mehr von dieser Sorte ganz wunderbarer Kinderbücher.

Autor:

Stephen Davies wurde 1976 geboren und ist ein britischer Kinderbuchautor. Er lebte von 2001 bis 2014 in Burkina Faso. Davies arbeitete schon als Erntehelfer, Missionär, Englisch-Lehrer, schrieb Reiseberichte für verschiedene Zeitungen, bevor er 2006 sein erstes Kinderbuch veröffentlichte. Seine Reiseberichte und Kinderbücher wurden mehrfach ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in London.

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Paul Auster: Das rote Notizbuch

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Das rote Notizbuch Paul Auster Rezensionsexemplar/Essays Rowohlt Hardcover Seiten: 108 ISBN: 978-3-498-07402-9

Inhalt:
Wie wirkt der Zufall auf unser Leben und was steckt hinter dieser seltsamen Macht? Diese Fragen durchziehen Austers gesamte Werke. In dieser Ausgabe versammelt der Autor all die Zufälle, die sein Leben prägten und in die entscheidende Richtung lenkten.

In einem roten Notizbuch hat Auster all die seltsamen und unergründlichen Ereignisse festgehalten, die man der schriftstellerischen Phantasie zuschreiben möchte, die sich jedoch tatsächlich zugetragen haben. Kntstanden ist eine Sammlung feinsinniger und kurzer Erzählung, erstmals vollständig versammelt. (Klappentext)

Rezension:
Es ist bezeichnend, wenn Autoren auf mehreren hundert Seiten großartige Geschichten lebendig werden lassen können, aber ebenso bewundernswert, wenn dies mit wenigen Zeilen gelingt. Paul Auster, einer der großen amerikanischen Gegenwartsliteraten, gelingt beides.

Sein Werk „4 3 2 1“ schlug dies- und jenseits des großen Teiches ein wie eine Bombe, ein vom Umfang her überschaubareres Werk wird es ebenso tun. Paul Auster veröffentlichte bereits in den 1990er Jahren Teile seines Notizbuches in der er all die Alltäglichkeiten, die Besonderheiten des Erlebten, die Zufälle schriftstellerisch festhielt, um diese zu ergründen. Nun liegt dieses kleine, dennoch nicht geringe Werk erstmals vollständig vor.

Feinsinnig erzählt Auster, wie sich seine Wege, die seiner Familie, mit anderen Menschen kreuzten, wie der Zufall bestimmte, wen der Autor zu seinen Freunden zählen würde, wen Auster aus den Augen verlieren und später wieder begegnen sollte.

Fasziniert vom Zufall und der Kunst vom Schicksal, welches das Leben bestimmt und dennoch immer wieder zu den Schriftsteller führt, der Auster ist. Bestseller-Autor, Romancier, Lyriker. Schreibkünstler, wie kaum ein Zweiter. Kurz und prägnant sind die Texte, niemals überladen, und keinesfalls überflüssig.

Sie öffnen den Zugang zum Schriftsteller. Der Leser wird eingesogen und ist versucht, selbst nach den Zufällen seines Lebens zu suchen, die Eckpunkte und Meilensteine zu bestimmen, die man aufgenommen oder beiseite gelassen hat, die das Leben in gute und weniger gute Abschnitte bisher geteilt haben.
Die Kraft des Zufalls ist faszinierend, gut und böse zugleich, doch immer Dreh- und Angelpunkt.

Der verbrannte Zwiebelkuchen, dessen Geschmack alles andere übertüncht, das Haus, in dem die Familie zeitweilig in der Nachbarschaft zu einem anderen weltberühmten Autoren gelebt hat, der reflexhafte Griff, der Leben rettet, dem Retter auf ewig im Bewusstsein eingebrannt, der Geretteten nur eine weitere sekundenlange Episode in ihrem Leben. Sie alle und noch viele mehr sind hier versammelt.

Kurzweilige unterhaltende Literatur, die zum Nachdenken anregt, wenn man das möchte. Ansonsten zählt nur Ersteres, was genügt, um die Texte Austers zu würdigen.

In flüssiger, niemals komplizierter Schreibweise, vom Ausdruck gar nicht zu reden, ist dieses nun vollständige Notizbuch zwar nicht mehr vom Cover her rot, jedoch ein Must-have für Liebhaber moderner amerikanischer Literatur, und auch sonst ein herausragendes Stück Textarbeit. Sehr lesenswert.

Autor:
Paul Auster wurde 1949 in Newark, New Jersey, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaften an der Columbia University, arbeitete zunächst in Frankreich, später dann u.a. als Telefonist für die New York Times.

Weltbekannt wurde er durch seine New York-Trilogie, eine Reihe experimenteller Kriminalromane. Auster verfasste jedoch auch zahlreiche Essays und Gedichte, fertigte zudem Übersetzungen an. Im Jahr 2017 erschien sein Bestseller „4 3 2 1“.
Der Autor ist Verfasser mehrerer Drehbücher und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie die Ehrendoktorwürde der Universität Kopenhagen und den NEA Fellowship für Poesie.

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Kurzblick 2: VDSIS – Still und Stumm – Kurzfilm

Inzwischen ist er gelaufen und hat, auf der Premiere wie auch in den Social Media Kanälen, einen ungeheuren Zuspruch erhalten.

Der VDSIS-Film „Still und Stumm“. Im Januar wurde hier über das Projekt -Von der Straße ins Studio- berichtet, welches im Zusammenhang mit dem Verein Schule ohne Gewalt e.V. Projekte mit Kindern und Jugendlichen initiiert, die eine Alternative zur handfesten Mentalität unserer Öffentlichkeit aufzeigen, die teilnehmenden Kinder in Kommunikation und Selbstbewusstsein stärken sollen.

Dies tut der Verein, in dem er Kinder in die Produktion von kleinen Musik-Clips einbindet. Ob als Darsteller, Ideengeber, Textschreiber, vor oder hinter der Kamera, hier dürfen Jugendliche sich ausprobieren, und am Ende stolz ihr jeweiliges Projekt präsentieren.

Die Resonanz ist dabei von Anfang an sehr hoch gewesen und es war nur folgerichtig, dass über kurz oder lang eine größere Arbeit entstand. Und die wurde am 25.02. in einem Fuldaer Kino präsentiert. Der Film „Still und Stumm„.

Titelsong des Films. "Kinder dieser Erde", gesungen von Julian Busse und einem Kinderchor der VDSIS.

In diesem Film steht die Freundschaft zweier Jungen im Fokus, die Träume wie alle anderen Zehn- oder Elfjährigen haben, doch deren Erreichbarkeit in weiter Ferne liegt. Beide sind Waisen, wachsen bei Pflegefamilien auf und gehen in die örtliche Schule, die von einem drakonischen Direktor geleitet wird, der nichts mehr liebt als Disziplin und Ordnung.

Film: Still und Stumm
Darsteller: Kristo Krebs, Janis Bausch, Jörg Alt
Projekt: VDSIS / Schule ohne Gewalt
Jahr: 2018
Laufzeit: 37:02 Minuten
Produktion: Fulda und Umgebung
Regie: Timm Fütterer
Kamera: Dennis Steib

Und natürlich das Machtausüben über seine Schützlinge, die auch mal mit den Zeigestock gemaßregelt werden. Unbehelligt von anderen Erwachsenen, getragen vom Druck der Kinder untereinander. Keiner sagt und tut etwas dagegen.

Max und Oskar, hervorragend gespielt durch die Schüler Kristo Krebs und Janis Bausch, sind die Leidtragenden.

Letzterer besonders, der ein Freigeist ist und als solcher positiv zu denken vermag und immer wieder bei dem selbstherrlichen Schulrektor (Jörg Alt) unangenehm auffällt. Es passiert, was passieren muss. es komnmt zur Katastrophe, denn alle haben weggesehen, eben still und stumm.

Es ist ein hervorragender Film, der Gewalt, gleich woher sie kommt, verurteilt und dabei ohne erhobenen Zeigefinger aufruft, einzuschreiten, wo immer man sie sieht. Ob nun, wie im dargestellten Fall an Schulen oder auch sonst.

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Kristo Krebs (Max), Jörg Alt (Direktor), Janis Bausch (Oskar)

Das einfühlsame Spiel der Jungen, die Interpretation Jörg alts seiner Rolle als grausamer Rektor oder auch die zahlreichen Nebenrollen, die ihrerseits zum gelungenen Spiel beitragen.

Zusammen mit den Drehorten, die den gemeinen Fuldaer leidlich bekannt sein dürften, ergibt sich eine stimmige Geschichte, wie sie durchaus passieren könnte. um so eindringlicher ist die Botschaft der Filmemacher.

Gleichwohl merkt man dem Projekt an, dass es sich um eine Lowbudget-Produktion (übrigens die erste Filmproduktion in Fulda seit Jahrzehnten) handelt, wenn die Hintergrundmusik zu laut ist oder der gesprochene Text wie abgelesen oder eben ein Gedicht auswendig gelernt und aufgesagt wird, aber es darf hier eben nicht der Maßstab einer professionellen Filmproduktion angesetzt werden.

Hier geht es um mehr. Um den Inhalt, die Leidenschaft, mit denen die Macher und Darsteller für dieses Projekt stehen, und den Potential insbesondere von Janis Bausch und Kristo Krebs, die sicherlich in weiteren Clips der VDSIS auftauchen werden. Vielleicht irgendwann wieder einmal in einem Film? Wünschenswert wäre es.

Euer findo.

Der Film ist auf den Youtube-Kanal VDSIS zu sehen. Hier klicken. Er soll keine Kritik an Lehrkräfte oder Schulen darstellen, da Gewalt an Kindern überall stattfindet. Der dargestellte Direktor ist Symbol für alle Erwachsenen, die Kindern gegenüber gewalttätig werden. Auf dem Youtube-Kanal finden sich weitere Videos, Making-of oder Einblicke in die Premiere, sowie der Filmproduktion selbst.

Der virtuelle Spendenhut

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Lois Pryce: Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren…

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Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren… Lois Pryce Dumont/mairdumont Erschienen am: 25.09.2017 Seiten: 330 ISBN: 978-3-7701-6681-7 Übersetzerin: Monika Baark

Inhalt:

Eine Frau, ein Motorrad und die wagemutigste Reise ihres Lebens…

Eines Tages entdeckt Lois Pryce in London einen Zettel an ihrem weitgereisten Motorrad: Eine persönliche Einladung in den Iran, geschrieben von einem Fremden namens Habib. Die Neugier der Abenteuerin ist geweckt.

Dass Frauen im Iran offiziell gar kein Motorrad fahren dürfen… und alle Bekannten ihr dringend davon abraten… geschenkt! Ihre ebenso mutige wie überraschende Reise in den echten Iran kann beginnen: 5000 Kilometer mit Helm und Hidschab – und zahllosen unvergesslichen Begegnungen. (Klappentext)

Rezension:

Heutzutage kann man die großen Abenteuer immer dann erleben, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen. Oft passiert genau dann unerwartetes. Fur Lois Pryce beginnt dies mit einem Zettel, den ein Wildfremder an ihr Motorrad heftete. Mitten in der Londoner Innenstadt.

Es ist die Zeit des Tiefpunkts diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Iran, und doch bekommt Pryce eine Einladung, sich dieses Land anzuschauen.

Nun ist die Abenteuerin weit gereist und in Groß-Britannien keine Unbekannte, doch die Ungewissheit ist da. Was würde sie, abseits der Bilder, die in den Medien kursierten, erwarten? Ein, besonders in bezug auf Frauen, rückständiges Land oder etwas völlig anderes?

Lois Pryce macht sich auf den Weg. Mit Hidschab und Motorrad, es herauszufinden. Das größte Abenteuer ihres Lebens beginnt.

Es ist ein beeindruckender Reisebericht, den Lois Pryce hier vorlegt. Genau wie sie ins kalte Wasser geworfen wurde, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise zwischen den Kulturen und erlebt was passiert, wenn man hinter den Vorhang der internationalen Presse blickt.

Sie entdeckt den Iran abseits der Politik, der zwischen Tradition und Moderne schwankt. Dessen Waage zu Gunsten der letzteren zu kippen beginnt. Pryce entdeckt die wörtlich zu nehmende persische Gastfreundschaft, persisches Essen, eine große Vergangenheit und Fallstricke in den Beziehungen beider Länder, aber auch, was passiert, wenn man auf die Menschen zugeht, sie anhört.

Was übrig bleibt vom Bild der Medien ist nicht viel, ein völlig anderer Eindruck entsteht. Einfühlsam beschreibt die Autorin ihren kritischen Blick auf das Land und die Begeisterung für die Herzlichkeit der Menschen, die dort leben. Das Bild wandelt sich von Seite zu Seite, natürlich nicht kritiklos, doch ist die Autorin ganz Abenteuerin erst einmal ins Gelingen verliebt. Und dies geschieht auch.

Eine Annäherung zweier so gegensätzlicher Welten ist möglich, von den Iranern gewollt, von dessen Mächtigen gefürchtet, von der westlichen Welt kritisch beäugt. Der autoritäre Staat ist im Privatleben der iraner beriets durchlässig, rissig. Immer mehr Iraner streben nach westlichen Werten und trotzden den autoritären Mullahs.

Die Reise einer Frau in ein Land, dessen Zukunft gerade erst begonnen hat, gespalten zwischen den Welten religiöser Vorgaben und westlichen Sehnsüchten.

Spannend und nahbar erzählt, ein erstaunlicher Roadtrip durch eine wahrhaft faszinierende Landschaft und interessanten Begegnungen. Von heiklen Grenzübertritten in das Verkehrschaos Teherans bis hinein in die Stadt der Poesie. Und der Blick auf das Land der „Achse des Bösen“ wird ein völlig anderer sein.

Autorin:

Lois Pryce wurde 1973 in Aberdeen geboren, wuchs in Bristol auf und ist eine britische Autorin und Journalistin. Sie ist Gründerin und Kuratorin des Adventure Travel Film Festivals:und verfasste mehrere Bücher über ihre Abenteuerreisen mit Motorrad.

Sie schreibt freiberuflich für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, nachdem Sie ihre sichere Stelle bei der BBC aufgab, um in der Welt Abenteuer zu erleben. Die britische Zeitung „The Telegraph“ zeichnete sie als eine der „zehn größten Abenteuerinnen unserer Zeit“ aus.

Seit 2002 lebt sie in London.

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Gavin Extence: Das unerhörte Leben des Alex Woods

Das unerhörte Leben des Alex Woods Book Cover
Das unerhörte Leben des Alex Woods Gavin Extence Blanvalet Verlag Erschienen am: Seiten: 477 ISBN: 978-3-7341-0098-7

Inhalt:

Alex Woods ist zehn Jahre alt, und er weiß, dass man sich mit einer hellseherisch begabten Mutter bei den Mitschülern nicht beliebt macht. Und dass die unwahrscheinlichsten Ereignisse eintreten können – er trägt Narben, die das beweisen. Was Alex noch nicht weiß, ist, dass er in dem übellaunigen Mr. Peterson einen ungleichen Freund finden wird. Der ihm sagt, dass man nur ein einziges leben hat und immer die bestmöglichen Entscheidungen treffen sollte. Darum ist Alex, als er sieben Jahre später mit 113 Gramm Marihuana und einer Urne voller Asche in Dover gestoppt wird, einigermaßen sicher, dass er das Richtige getan hat… (Klappentext)

Rezension:

An sich ist es eine Geschichte, die ähnlich schon hundertfach erzählt sein dürfte. Eine sich langsam entwickelnde Freundschaft zwischen zwei Personen, die eigentlich nichts miteinander gemeinsam haben aber feststellen, dass sie einander brauchen und das Leben des jeweils Anderen mit Sinn erfüllen. So auch hier. Gavin Extence stützt sich auf dieses altbekannte Konstrukt, entwickelt daraus jedoch gleich auf den ersten Seiten eine Geschichte, die die Leser in ihren Bann zieht.

Zunächst liegt das an den unheimlich symphatischen Protagonisten, den wir zu Beginn des Romans am Ende der Geschichte treffen und der diese dann gedanklich aufrollt aber auch an die verqueren Gegenparts von Alex Woods, der für sein Alter immer ein wenig zu altklug und sonderbar wirkt, den aber ein Naturphänomen entgültig zur lokalen Berühmtheit, zumindest zeitweilig, und zum Sonderling unter seinen Mitschülern macht.

Und, es ist nicht der Himmel, der ihm auf den Kopf fällt.

Einfühlsam beschreibt der Autor den nicht so ganz gewöhnlichen Alltag seines Protagonisten aus der Ich-Perspektive, welche eine Nähe zum Leser herstellt, die zweifelsfrei funktioniert. Fast hat man das Gefühl, daneben zu stehen und Alex‘ Erzählungen zu lauschen. Noch realistischer dadurch, dass keine der Figuren aalglatt wirkt, viele nicht gerade gesellschaftskonform. Ecken udn Kanten, die sich jedoch im Zeitraum von sieben Jahren, in dem die Geschichte spielt, weiterentwickeln dürfen, was extence behutsam, jedoch mit immer schnelleren Erzähltempo, vorantreibt.

Dabei klingt der Plot der Geschichte in Form eines Himmelsobjektes zun#ächst einmal unglaubwürdig, doch gibt es ihn tatsächlich. Der deutsche Alex Woods heißt Gerry Blank und wurde als 14-jähriger 2009 von einem Meteoriten auf den Schulweg getroffen. Man darf also streiten, ob alles Gute wirklich von Oben kommt.

Für andere, die sich weniger Gedanken darüber machen möchten, bleibt dieser feinfühlige Roman über einen sympathischen Nerd und seine Mitmenschen, die einem schnell ans Herz wachsen werden. Fast ist man traurig darüber, wenn man die letzte Seite umgeschlagen hat, doch ein wenig glücklicher als vor dem Lesen.

Dieses Kleinod hat es nicht verdient, auf den Stapeln ungelesener Bücher dieser Welt auf seine Leser zu warten und sollte sofort hervorgeholt werden. Ein Meteoriteneinschlag kann schließlich dein Leben verändern. Für den Protagonisten Alex Woods tut er das ganz wundersam.

Und als Leser bekommen wir eine wunderschöne Geschichte über Freundschaft, Halt und Familie. Darüber, dass es oft die Quer- und Andersdenkenden sind, die in der Gesellschaft vielleicht schief angesehen werden, aber insgesamt ihren Weg ohne größere Fehlschläge gehen und oft die für sie richtigen Entscheidungen treffen. Alex Woods macht dies so wunderbar, wie Gavin Extence, dem mit seinem Debütroman ein großartiger Wurf gelungen ist.

Autor:

Gavin Extence wurde 1982 geboren und wuchs in der englischen Grafschaft Lincolnshire auf. 2013 veröffentlichte er seinen ersten Roman, der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. 2015 veröffentlichte er seinen zweiten Roman, der 2016 ins Deutsche übersetzt wurde. Der Autor lebt mit seiner Familie in Sheffield.

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Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

Ein wenig Leben Book Cover
Ein wenig Leben Hanya Yanagihara Roman Hanser Verlag Hardcover Seiten: 960 ISBN: 978-3-446-25471-8

Inhalt:
„Ein wenig Leben“ handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch.

Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. „Ein wenig Leben“ ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch. (Verlagstext)

Rezension:
Kein anderer Roman schafft es, das Leben seiner Leser so durcheinander zu wirbeln, so in Frage zu stellen, wie „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara. Der Werbesatz des Hanser-Verlages: „Sie werden darüber reden wollen.“, ist kein Gerede, sondern Programm.

Nach Beenden der Lektüre wird man sein Leben, seine Freundschaften, seine Beziehungen hinterfragen wollen und nicht nur die der Protagonisten. Dabei beginnt alles recht harmlos.

Wir begleiten vier Freunde, die sich auf den College kennengelernt haben über Jahrzehnte durch ihren Alltag. Erleben ihr privates Glück und ihre Fehlschläge, ihren beruflichen Werdegang und die kleinen Gemeinheiten des Alltags. so weit, so normal. Der Knall natürlich, erfolgt schnell und erwischt den Leser kalt.
Jude, ein charismatischer junger Anwalt, ist die Hauptfigur des Romans, Fixpunkt des Vierergespanns. Alle anderen umkreisen ihn. Niemand kommt nah an ihn heran. Denn, Jude ist es auch, der eine tragische Vergangenheit vor seinen Mitmenschen verbirgt.

Seite für Seite erfährt der Leser darüber mehr, viel mehr als er wissen möchte, und sieht sich einer Abwärtsspirale ausgesetzt aus der es kein Entkommen gibt.
Dicht ist die Abfolge der beschriebenen Ereignisse, erzählt aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Protagonisten. Feinfühlig geht Yanagihara mit ihren Figuren um, allesamt mit Ecken udn Kanten und einer tiefe, die man so manch anderen Roman wünschen würde.

Doch, es ist schwere Kost, welche die Autorin hier vorsetzt. Sensible Gemüter, die keine psychologischen Querelen aushalten können, sei die Geschichte nicht empfohlen. Wer sich aber auf sie einlässt, erlebt vielleicht mit eines der besten Werke der vergangenen Jahre.
„Ein wenig Leben“ erzählt so viel, dass man alles das bekommt, was man erwartet und noch eine ganze Portion mehr. Natürlich ist man ab und an genervt von den Protagonisten.

Natürlich ist es unmöglich, dieses Buch in einem Rutsch zu lesen, ist man nicht gerade so gefühllos wie ein Teelöffel und natürlich wird dieser Roman nicht so schnell verdrängt werden können, zumal die erzählten fiktiven Ereignisse zu nahe gehen dürften aber diese Erfahrungen sind es schon wert, sich darauf einzulassen.
Das gesammelte Elend trifft hier einen einzigen Menschen, der sich sein Leben lang nicht freimachen kann und doch ist es ein Text für eben dieses. Alleine, wer lebt wird triumphieren. Manchmal aber, will man diesen Sieg nicht haben. Aus guten Gründen.

Hanya Yanagiharas Roman lässt uns unser Leben hinterfragen und sollte daher nur mit Beipackzettel verkauft werden. Entweder die Nebenwirkungen sind positiv und negativ. Persönlich gesehen finde ich, abgesehen von einigen Längen in den Kapiteln, ist der Autorin ein großartiges Meisterwerk gelungen.

Wieder andere werden den Roman aufgrund seiner Dichte, Abfolge der Ereignisse, geschilderten Grausamkeiten womöglich hassen. Eben wie in unser aller wenig Leben.

Autorin:
Hanya Yanagihara wurde 1974 in Los Angeles/Kalifornien geboren und ist eine US-amerikanische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete als Redakteurin eines amerikanischen Reisemagazins, bevor sie stellvertretende Herausgeberin der Wochenbeilage T: The New York Times Stile Magazine wurde.

Davor lebte sie in Maryland und Texas. Yanigaharas erster Roman erschien 2013. Ihr Roman „A little life“ erschien 2015. Das 2017 im Deutschen erschienene Werk stand auf der Shortlist verschiedener Literaturpreise und wochenlang auf den Bestsellerlisten.

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