Rezension

Lorenz Wagner: Der Junge, der zu viel fühlte

Der Junge, der zu viel fühlte Book Cover
Der Junge, der zu viel fühlte Rezensionsexemplar/Sachbuch Europaverlag Hardcover Seiten: 214 ISBN: 978-3-95890-229-9

Inhalt:

Henry Makram zählt zu den bekanntesten Hirnforschern der Welt. Seine Arbeiten gewinnen Preise, die größten Universitäten umwerben ihn, doch dann wird sein Sohn Kai geboren. Schnell wird klar: Kai ist anders, er ist Autist. Henry fühlt sich so hilflos wie alle Eltern. Schmerzhaft wird ihn bewusst, wie wenig seine vielbeachteten Aufsätze ihn zu helfen vermögen und so stürzt sich der Forscher auf die Frage, was Autismus wirklich ist.

Erst als sich der Blick des Wissenschaftlers mit dem des Vaters verbindet, gelingt nach Jahren der Durchbruch. Seine Erkenntnisse stürzen um, was wir bisher über Autismus zu wissen glaubten. Lorenz Wagner hat Makram und seinen Sohn begleitet. Beide haben ihm ihre Geschichte erzählt.

Rezension:

Wer über Autismus spricht, meint zumeist eine bestimmte Spielart dieses Syndroms. Wir alle kennen Filme wie Mercury Puzzle oder Rain Men. Einigen von uns ist vielleicht die Reportage im Gedächtnis, wo für ein Autist über eine Häuserskyline geflogen wurde und diese hinterher fenstergenau auf einen Bogen Papier zeichnen konnte.

Zwischen vollständiger Zurückgezogenheit und Hochintelligenz scheint es nichts anderes zu geben und doch umfasst Autismus unzählige Varianten. Wer einen Autisten kennt, kennt genau einen und so ist es schwierig, ein allgemeingültiges Bild zu bekommen.

Das gilt für Laien, aber auch für die Wissenschaft. Zumindest seit kurzem. Einem, den das schmerzhaft bewusst wurde, ist der Hirnforscher Henry Makram. Der Journalist Lorenz Wagner hat ihn einige Wochen begleitet und dessen Geschichte aufgeschrieben.

Henry Makram ist nicht irgendwer, sondern jemand, der sein Fachgebiet versteht. Dort anerkannt, forschte er über Jahre hinweg über Zusammensetzung und Kommunikation zwischen Gehirnzellen und entwickelte sich zu einem gefragten Experten.

Seine Aufsätze waren viel beachtet, doch muss selbst eine Koryphäe irgendwann an seine Grenzen stoßen. Das geschah bei Makram jedoch nicht im wissenschaftlichen, sondern im privaten Bereich, als sein Sohn geboren wurde, der sich anders und langsamer entwickelte als gleichaltrige Kinder.

Schnell ist klar, Kai ist Autist und so stürzte Henry sich zur Problemlösung auch hier in die Forschungen. Was ist Autismus? Wodurch wird es ausgelöst? Wie kann man Betroffenen helfen und zugleich Verständnis der Mitmenschen für eben diese fördern?

Ein ums andere Mal stehen der Hirnforscher und sein Team vor einer Lösung, scheitern jedoch immer wieder, bis sie alle bisherigen Erkenntnisse in Frage stellen. Dann gelingt der Durchbruch. Lassen sich die Erkenntnisse auf die Allgemeinheit der Autisten übertragen? Der Rest der wissenschaftlichen Welt ist skeptisch und Kai, seinem Sohn, ist noch immer nicht geholfen.

Lorenz Wagner hat die Familie Makram über Wochen begleitet, für eine Reportageriehe des SZ-Magazins, aus der dieses Buch entstand.

Zunächst skeptisch, da ich selbst mit einer Spielart von Autismus umgehen muss, auch mit anderen Autisten im Alltag zu tun habe, Vorurteile kenne und Verallgemeinerungen skeptisch gegenüber stehe, war ich doch neugierig über die Ansichten Henry Makrams, der eine neue Sichtweise in die noch junge Autismusforschung hinein gebracht hat, die jedoch immer mehr Anhänger gewinnt.

Bisher war es so, dass in der Arbeit mit Autisten empfohlen wurde, diese bestimmten Reizen auszusetzen, um sie so in die „normale“ Welt zurück zu holen. was aber, wenn genau das falsch ist?

Wenn man eher die Zurückgezogenheit und Reizarmut fördern sollte, um sich so der Gefühlswelt von Autisten anzunähern? Was, wenn Autisten nicht gefühlsarm wären, sondern sich zurückzogen, weil sie in einer reizüberfluteten Welt zu viel fühlen mussten?

Waren dann nicht alle bisherigen Behandlungsansätze falsch? Wie genau muss sich unser Bild von Autismus ändern, damit Betroffene als vollwertig angesehen werden? Muss sich die Umgebung nicht den Autisten anpassen, nicht umgekehrt?

Der Journalist, der den Forscher und dessen Familie begleitet hat, entwarf das interessante Portrait eben dieser, welches zugleich den jüngeren Wandel in der Autismusforschung wiederspiegelt. Entstanden ist ein hoch interessantes Buch, welches die neuen Ansätze, die langsam in Betrachtung der Autisten Fuß fassen, Laien und Interessierten, sowie Angehörigen von Betroffenen, verständlich näher bringt.

Tatsächlich kann ich nicht wenige Erkenntnisse Makrams auf mich übertragen, die aus den Betrachtungen seines Sohnes Kai und aus seinen Forschungen heraus entstanden. Die neuen Ansätze werden in Zukunft helfen, einen freundlicheren und verständnisvolleren Umgang mit Autisten zu fördern, alleine dies ist schon ein großer Verdienst Makrams für die Forschung, denWagner hier hervorhebt.

Es geht jedoch noch weiter. Der Journalist beschreibt in verständlicher und einfacher Sprache, Laien zugänglich, in wie weit Henrys Arbeiten dazu beigetragen haben, Aktivitäten des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln, wobei man mit den Forschungen noch lange nicht am Ende ist, und warum Tierversuche bis zu einem gewissen Punkt wichtig waren, um heute vielfach ohne Tierversuche auszukommen.

Diese kleinen Exkurse, die alle aus der beschäftigung mit Autismus heraus entstanden, zeigen zugleich den Wandel der medizinischen Wissenschaft und der Wirkung, die neue Erkenntnisse haben können.

In sofern ist dieses Portrait eben nicht nur Betroffenheitsbericht und Familiengeschichte, sondern zeigt auch den Wandel in der jüngeren Medizingeschichte. So einfach und verständnisvoll, dabei nicht einseitig und sehr aufgeschlossen betrachtet, liest man dies noch viel zu selten, weshalb jeden Interessierten die Lektüre zu empfehlen ist.

Manche Erläuterungen zwar, hätte ich mir persönlich etwas ausführlicher gewünscht, doch auch so dürfte Wagners feinfühlige Erzählweise und Makrams differenzierte Autismusforschung das Bild verändern, welches wir von Autisten haben. Dies ist Beider Verdienst.

Autor:

Lorenz Wagner wurde 1970 geboren, studierte u.a. Romanistik und schloss ein Wirtschaftsstudium ab. Nach dem Volontariat arbeitete er für die Financial Times Deutschland als Redakteur, derzeit schreibt er für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Bekannt wurde er durch das einzige private Interview mit BMW-Erbin Susanne Klatten.

Seine Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit den Theodor-Wolff-Preis. Zu den meistgelesenen Artikeln wurde die Erzählung der Geschichte des Hirnforschers Henry Makrams und seines autistischen Sohnes, woraus dieses Buch entstand.

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Eyal Megged: Oschralien

Oschralien Book Cover
Oschralien Eyal Megged Berlin Verlag Erschienen am: 02.05.2018 Seiten: 378 ISBN: 978-3-8270-1349-1 Übersetzerin: Ruth Achlama

Inhalt:

Hillel hat kaum eine Beziehung zu seinem Sohn Roy. Nach dem Scheitern seiner Ehe sträubte er sich von Anfang an gegen diese Vaterschaft, gegen die Möglichkeit einer neuen Familie. Seine Reise nach Australien zu Roy und dessen Mutter könnte eine zweite Chance sein – aber wer sagt, dass Hillel die will…? (Klappentext)

Rezension:
Es liegt nicht am Autoren, an der Übersetzung, an der Geschichte selbst, es liegt an mir. Ich hoffe mal, es ist so, anders kann ich mir den Effekt nicht erklären, den dieser Roman auf mich hatte. Dabei ist die Grundidee an sich nicht schlecht.

Ein orientierungsloser und beruflich nicht gerade erfolgreicher Mann wird vom anderen Ende des Globus‘ aus angerufen und aufgefordert, seinen Erziehungspflichten dem gegenüber nachzukommen, den er in einem unbedachten berauschenden Moment gezeugt hat.

Doch, der Sohn will seinen nun auftauchenden Vater nicht und zeigt es ihm mit allen Mitteln, die dem Rotzbengel zur Verfügung stehen. Mutter und Vater sind machtlos gegen den kleinen Vulkan, der ständig explodiert und kommen sich näher, unfähig jedoch, auf lange Sicht eine Beziehung aufzubauen.

Das ist ein Stoff für große und ausschweifende Romane, aber in jedem Falle nicht der von Eyal Megged. Lange nicht mehr habe ich solch einen zusammengewürfelten Mist mir angetan.

Wie gesagt, an der Idee liegt’s nicht, eher an der Ausführung. In feinster Sprache befindet sich der Leser gleichsam in einer Art philosophischer Vorlesung über das Wohl und Wehe, dem Zusammenhalt und Auseinadertriften von Menschen und ihrer Beziehungen.

Das Studium jedenfalls, merkt man dem Autoren an, da das darin zusammengeklaubte Wissen, aus jeder niedergeschriebenen Zeile trieft. Das ist für jeden Leser einfach nur ermüdend und langweilig, jedenfalls nicht zielführend, wenn er oder sie mit Philosophie nichts anfangen kann oder sich einfach nur mit der Lektüre fallen lassen möchte. Ein hilfloses Unterfangen, zumindest hier.

Und wenn man der schwülstigen Sprache nichts abgewinnen kann, der Handlung und was der Autor daraus macht, ebenso wenig, einzig die Idee bleibt, ist nicht mehr viel, was übrig bleibt.

Tatsächlich haben sich an der Grundidee schon unzählige Autoren versucht und es ist ihnen fast allen besser gelungen, als Megged, von dem ich hoffe, dass seine Geschichte im Original eine völlig andere Wirkung hat, wobei das ja ein schlechtes Zeichen für die Übersetzerin wäre. Wenn sich das ungefähr gleicht, ist es für beide kein Ruhmesblatt. „Oschralien“ ist die transportierte Langeweile schlecht hin und ein gutes Schlafmittel.

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Autor:
Eyal Megged wurde 1948 in New York geboren und ist ein israelischer Schriftsteller, Kolumnist und Journalist. Er wuchs in Tel Aviv auf, wo er Philosophie und Kunstgeschichte studierte. Der Autor arbeitete zunnächst als Redakteur für einen Hörfunksender und schreibt als Jornalist für israelische Tageszeitungen über Literatur, Kultur und Sport.

1993 wurde er mit dem Macmillan Prize ausgezeichnet. Mehrere seiner Werke wurden ins Deutsche, sowie ins Englische übersetzt. Mit seiner Familie lebt er in Tel Aviv.

Nebenbemerkung:
Es müsste jetzt vielleicht jemand die Geschichte lesen und daran Gefallen finden. Ich möchte wirklich wissen, ob es Menschen gibt, die den Zugang bekommen, den ich nicht gefunden habe.

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Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1938 (1)

Botschafter in Berlin 1931-1938 Book Cover
Botschafter in Berlin 1931-1938 Andre Francois-Poncet
Buchserie: Teil 1
Europaverlag Erschienen am: 21.09.2018 (Neuauflage) Hardcover ISBN: 978-3-95890-224-4

Inhalt:

Andre Francois-Poncet war seinerzeit der dienstälteste und erfahrenste Diplomat und Botschafter im Deutschen Reich, der den Aufstieg der Nazis in Berlin beobachtete und für sein Land analysierte.

Von 1931 an schrieb er regelmäßig Telegramme und schickte Berichte an das französische Außenministerium, konferierte mit Nazi-Größen und stellt im ersten Teil seiner Erinnerungen dar, wie Rechtstaatlichkeit und Demokratie unterwandert und ausgehölt wurden, wie der politische Quereinsteiger Hitler zum mächtigsten Mann werden sollte, der Europa und die Welt in den Abgrund stürzte.

Von der Machtergreifung bis zum letzten Aufbäumen des Friedens, der Konferenz von München, skizziert Francois-Poncet die deutsche Politik der 1930er Jahre. ihre Wirkung im Inneren und auf das Ausland. (eigene Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1938 (1)

Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Andre Francois-Poncet: Tagebuch eines Gefangenen (3)

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Rezension:
Von vielen Seiten ist sie bereits beschrieben worden und wird auch immer noch beleuchtet werden, die deutsche Geschichte in wundersamen aber grausamen Zeiten.

Grausam, weil nur wenige Zeitgenossen ernstnahmen, was ihre Schlächter laut verkündeten, einige hießen die Vorhaben sogar gut, wundersam, weil sich nicht wenige die Augen rieben ob der neuen Töne, die im Regierungsviertel Berlins der 1930er Jahre herrschten. Dies nun sind die neu aufgelegten Erinnerungen des wohl erfahrensten Diplomaten jener Zeit, des französischen Botschafters Andre Fracois-Poncet 1931-1938.

Neu verlegt im Europaverlag öffnen sich dem Leser die Türen des diplomatischen Parketts und er erfährt, welche Hürden die Politik des Auslands im Umgang mit den neuen Machthabern des Deutschen Reiches zu nehmen hatten, woran sie schließlich scheitern sollten.

Zwei Jahre nach Kriegsende in Frankreich erstmals erschienen, ein wenig später auch dort, was von Deutschland übrig geblieben war, erzählt Francois-Poncet, wie er erstaunt die Erosion der Rechtstaatlichkeit und demokratie zur Kenntnis nehmen musste und welche Schwierigkeiten sich ergaben, erkannten die neuen Machthaber gültige Verträge nur scheinbar an, nutzten Hintertürchen und spielten mit falschen Karten, um In- und Ausland immer wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen, die in den Abgrund führen sollten.

Detailliert schildert der ehemalige Botschafter Begegnungen mit Nazi-größen von Göring bis Hitler, beschreibt die brodelnde Stimmung auf den Straßen Berlins und die Vorgänge des Notenaustausches zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges, die nicht an einem Strang zogen und somit die Tore öffneten, für das politsche Va banque Spiel, welches die Nazis auszureizen wussten.

Pointiert beschreibt der Autor die Entmachtung der Weimarer Demokratie, die Vorgänge zur Machtsicherung um den Röhm-Putsch und schildert, welch politische Hektik dem Austritt deutschlands aus den Völkerbund oder dem Ende von Locarno voraus gingen.

Bishin zum letzten Aufbäumen, der Münchener Konferenz, gelingt so ein Blick hinter die Kulissen und abseits des Geschichtsunterricht bekommt der Leser ein Gefühl dafür, wie aufwendig und fragil es war, mit den Nazis Politik zu machen, die dann doch nicht halten sollte.

Im Gegensatz zu seinen privaten Erinnerungen „Tagebuch eines Gefangenen“, die später veröffentlicht wurden, ist hier der Ton lt. des Herausgebers Thomas Gayda sehr diplomatisch gehalten, eben so, wie Francois-Poncet die Mehrheit der Deutschen, deren Kultur er schätzte, verstand.

Um so größer wirkt die Erschütterung, die der Autor durchblicken lässt, resultierend aus unerhörten Ereignissen in unerhörten Tagen. Dem kann man sich als Leser kaum entziehen. Die Sogwirkung solcher Zeitzeugenberichte ist einfach zu groß und gerade darin liegt der Wert des Berichts, zumal hier eben mal eine ganz andere Draufsicht, die französische, als die bekanntere Sicht deutscher Zeitzeugen oder die amerikanischer und britischer Historiker, zum Tragen kommt.

Das funktioniert auch heute noch. Ja, vielleicht sogar besonders gut, wo sich wieder eine Partei in Deutschland anschickt, demokratische und rechtstaatliche Werte auszuhöhlen.

Francois-Poncet hätte die Parallelen mit Sicherheit gesehen und davor gewarnt und so ist „Botschafter in Berlin 1931-1938“ ein hoch politisches und aktuelles Dokument, welches ernstgenommen werden muss. Zu viel steht auf den Spiel.

Ein gut lesbarer und erschütternder Bericht, über das, was damals niemand wahrhaben wollte, auch im benachbarten Ausland nicht und eine Analyse dessen, wie schnell die demokratischen Fundamente von Weimar unter den willfährigen Händen der Nazis und ihrer Gönner zerbröselten, die später die Deutschen mitsamt ihrer neuen Führungsriege in den Abgrund stürzen sollten.

Der Diplomat Andre Francois-Poncet, der später wieder an die Deutschen glauben und einer der ersten befürworter einer Verständigung nach dem Krieg gewesen ist, beschreibt klar die internen und von außen sichtbaren Vorgänge und setzte sich ein Denk- und den Deutschen ein Mahnmal.

Es bleibt diesen überlassen, es heute wieder anzunehmen. Europas und Deutschlands Frieden wäre es zu wünschen.

Autor:
Andre Francois-Poncet wurde 1887 in Frankreich geboren und war Germanist, Politiker und Diplomat, französischer Botschafter in Berlin und später in Rom. Nach dem Krieg begleitete er den Posten des französischen Hohen Kommissars in Deutschland von 1949-1955.

Er wurde 1943 von den Deutschen verhaftet. Nach der Befreiung begleitete er verschiedene diplomatische Posten und fungierte als Präsident des Französischen Roten Kreuzes 1955-1967, ab 1960 als Präsident des Rats der Europäischen Bewegung. Er starb 1978 in Paris.

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D.B. John: Stern des Nordens

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Stern des Nordens Autor: D.B. John Rezensionsexemplar/Thriller Rowohlt/Wunderlich Taschenbuch Seiten: 541 ISBN: 978-3-8052-0032-5

Inhalt:
Nordkorea, 2010. Niemand kennt das verbotene Land so gut wie sie.
Die CIA erwählt sie für eine tödliche Mission. Doch Jenna Williams hat noch ein anderes Ziel: Sie muss ihre Zwillingsschwester finden.
Und sich selbst retten. (Klappentext)

Rezension:
Die meisten Thriller funktionieren nach Schemen, die sich bewährt haben, für gute und vor allem spannende Unterhaltung sorgen und daher immer wieder bemüht werden. Das beginnt schon bei den Handlungsorten, die sich fast gänzlich in Skandinavien, Amerika, in einer europäischen Großstadt oder, noch schlimmer, in der ländlichen Provinz befinden und so ist es wohltuend, wenn das eine oder andere Werk dann doch mal davon abweichen.

Der „Stern des Nordens“ von D.B. John ist ein solches, welches gleich drei Handlungsorte und -stränge aufweist und damit von Anfang an eine Dynamik mit sich bringt, die die gesamte Lesezeit über anhalten wird. Zum einen haben wir zwar den in Amerika beginnenden Handlungsstrang um die Professorin Jenna Williams, die mit den Familienschicksal der verschwundenen Schwester hadert und später von der CIA für eine heikle Mission ausgewählt wird, aber wir haben eben auch zwei andere Erzählstränge, die in Nordkoreas Gefilden spielen.

Da gibt es den der nordkoreanischen Landbewohnerin, die sich und ihren Mann mehr schlecht als recht durchs Leben bringt, ständig bedroht durch Hunger oder den Gängeleien der örtlichen staatlichen Kräfte und den anderen, in dem ein nordkoreanischer Diplomat genau so schnell aufsteigt, wie er später fallen wird. Heraus kommt dabei eine Erzählung, die an Spannung und Grusel kaum zu überbieten ist. Ein Politthriller, der sich von der auf den Büchertischen verfügbaren Masse abhebt.

Das Unbekannte ist es, was reizt und so sind die zwei letztgenannten Handlungsstränge der Trumpf D.B. Johns, mit dessen Ausarbeitung der Autor in diesem Werk glänzt. Recherchearbeit und Hintergrundwissen merkt man ihm an. Tatsächlich hat der Schriftsteller selbst schon Nordkorea bereist. Anders kann man auch wohl kaum so authentisch Landschaft und das Gefühl beschreiben, welches einem schon als Außenstehenden umgeben muss.

Wie mag es dann erst für die Bewohner Nordkoreas selbst sein, die sich täglich mit den Absurditäten und Differenzen auseinandersetzen müssen, die ihr Leben bestimmen? Für den Leser jedenfalls ergibt sich alleine daraus ein spannender Nervenkitzel, der es in sich hat. Abweichungen, die sich zur Realität ergeben, klärt der Autor in den hintenan gestellten Anmerkungen auf und sorgt für den nötigen Hintergrund bei seiner Leserschaft, auch das ein großes Plus. Wenn das nur alle Schreiberlinge machen würden.

Nicht ganz so überzeugend ist der erste Handlungsstrang, was aber zumindest am Anfang an den fehlenden Spannungsmomenten liegt, die Zusammenführung ist auch nicht perfekt, was widerum jedoch Jammern auf hohem Niveau ist. Ansonsten liegt hier ein Werk vor, von jemanden, der schreiben kann, gut lektoriert und vorher recherchiert wurde, um die nötigen Hintergründe auch glaubwürdig einzuflechten. Das gelang D.B. John in „Stern des Nordens“ sehr gut und so ergibt sich ein Thriller, der sich wirklich von anderen Werken abhebt.

Die Protagonisten sind scharfkantig und entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter. Nebencharaktere tragen zu Spannungsmomenten und der Dynamik des Werkes bei. Örtliche Beschreibungen gehen teilweise so unter die Haut, dass man glauben möchte, der Autor hätte all das tatsächlich gesehen, was man sich bei einigen Kapiteln jedoch für Niemanden wünschen mag.

Hier wird vieles zusammengeführt. Die Sicht von Außen, aus dem Inneren dieses kuriosem Staates, politische Einflechtungen und eine darauf basierende Thrillebene, die nicht loslässt. Die Faszination des Bösen, komprimiert zwischen zwei Buchdeckeln. Den „Stern des Nordens“ wird man sich kaum entziehen können.

Autor:
D.B. John studierte zunächst Jura, verlegte sich jedoch in das Publizieren von Büchern und Editieren von Kinderliteratur. 2009 zog der in Wales geborene Schriftsteller nach Berlin und schrieb seinen ersten Roman. Zuvor hat John lange in Südkorea gelebt, eine Reise in den Norden inspirierte ihn schließlich zu diesen Roman.

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Karina Urbach: Queen Victoria – Eine Biografie

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Queen Victoria – Eine Biografie Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H.Beck Hardcover Seiten: 284 ISBN: 978-3-406-72753-5

Inhalt:
Als Victoria 1837 im Alter von achtzehn Jahren den Thron bestieg, hätte niemand ihr zugetraut, eine erfolgreiche Königin zu werden – geschweige denn, ein ganzes Zeitalter zu prägen. Die Historikerin Karina Urbach erzählt in dieser glänzend geschriebenen Biografie, wie Victoria in ihrer 63-jährigen Regierungszeit allen politischen Stürmen und persönlichen Widrigkeiten standhielt und zur mächtigsten Frau des 19. Jahrhunderts wurde. (Klappentext)

Einordnung:
Die Rezension umfasst die erweiterte und aktualisierte Fassung der Biografie, die jetzt im C.H. Beck Verlag erschien.

Rezension:
Sehr knapp gehaltene Biografien haben oft genug den Nachteil, eher einseitig orientiert zu sein und nicht alle Aspekte einer Person in ihren Einzelheiten zu analysieren. Aufgrund Platzmangels fällt so manche wichtige Begebenheit herunter und wenn dazu dann noch eine etwas klägliche Quellenlage kommt, hat man meist eine unausgegorene Arbeit in den Händen, die es sich nicht zu lesen lohnt. Ganz anders die Biografie Queen Victorias, geschrieben von Karina Urbach.

Karina Urbach beherrscht die Kunst der Verknappung ohne den Fehler zu machen, zu einseitig die Person zu analysieren, die Hauptthema ihres Werkes ist.
Auf nicht einmal 300 Seiten wird einer der größten Herrscherinnen Europas auf den Zahn gefühlt und nahezu alle Aspekte, vom politischen Standpunkt und Wandel bishin zum Privatleben beleuchtet, was bei Monarchen bekanntlich fließend ineinander übergeht.

Die Autorin verfolgt dabei eine lineare Strategie, trennt diese Punkte nicht voneinander, sondern orientiert sich an den Jahreszahlen. Sie beschreibt den Werdegang dieser beeindruckenden Frau, das wechselnde politische Gefüge und private Konstellationen, in denen Victoria agieren musste.

Detailliert, jedoch nicht ausufernd, beschreibt die Historikerin, welchen Einfluss die englische Königin auf die politischen Entscheidungen ihrer Premierminister hatte (oder auch nicht), wie sie die Familiengeschicke lenkte, deren Verbindungen in beinahe sämtliche europäischen Herrscherhäuser hineinreichte.
Einzelne Aspekte wie das interesse an sozialen Missständen werden hervorgehoben, aber auch Kritik nicht ausgespart. So wird die fehlgeleitete Irlandpolitik ebenso zur Sprache gebracht, wie die Heiratspolitik, die erbliche Krankheiten quer in die Königshäuser Europas brachte, aber auch einige Mitglieder des britischen Königshauses schwer treffen sollte.

Urbach zeigt, wie Victoria sich zum Fixpunkt des Adels entwickelte, der beim Wegfallenfast zwangsweise (nach ihrem Tod) in die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts führen sollte. Die Biografie zeichnet das Bild einer Frau ohne jedwedes innenpolitisches Gespür, dafür um so mehr außenpolitischen Glück und Machtbewusstsein, eines Menschen, der sich seiner Fehler bewusst war, bestimmte Wendungen jedoch nicht vermochte, zu verhindern.

So differenziert ist „Victoria – Eine Biografie“ ein Werk, um sich einen ersten Überblick über eine Königin zu verschaffen, die eine ganze Epoche ihren Stempel aufdrücken sollte, welche jedoch ohne sie keine Chancen hatte, zu überleben.
Karina Urbach über ein britisches „National Treasure“, welche zwar viele Fehler gehabt, jedoch das Bild prägen sollte, welches teilweise heute noch Groß-Britannien und die britische Königsfamile im Besonderen hat.

Autorin:
Karina Urbach ist eine deutsche Historikerin mit den Spezialgebieten Drittes Reich, sowie Monarchien. An der University of Cambridge studierte sie Geschichte und Internationale Beziehungen, bevor sie u.a. nach Bayreuth wechselte und dort wirkte. Sie unterrichtete an verschiedenen deutschen und britischen Universitäten und forscht seit 2015 am Institute for Advanced Study in Princeton. Als Fachberaterin war sie an zahlreichen historischen Dokumentationen des ZDF und der BBC beteiligt. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen zur deutschen und britischen Geschichte.

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Tracy Chevalier: Der Neue

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Der Neue Tracy Chevalier Knaus Erschienen am: 16.04.2018 Seiten: 192 ISBN: 978-3-8135-0671-6 Übersetzerin: Sabine Schwenk

Inhalt:

Osei, der afrikanische Diplomatensohn, will vor allem eines: nicht auffallen. An seiner neuen Schule provoziert er jedoch allein durch seine Anwesenheit Schüler und Lehrer. Es ist das Amerika der 1970er Jahre. Gemischte Klassen sind selten, Rassismus ist an der Tagesordnung. Als sich Osei mit der beliebten Dee anfreundet, sieht der Pausenhof-Tyrann Ian rot. geschickt spinnt Ian ein Netz aus Lüge und Verrat, in dem am Ende Schüler und Lehrer gleichermaßen gefangen sind. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Wie aktuell sind eigentlich noch die Werke und Stücke des großen Wiliam Shakespeare? Praktisch weltweit werden diese verfilmt oder für Theaterbühnen adaptiert, wunderbar ist auch diese Modernisierung von „Othello“ gelungen, eines der Meisterleistungen, mit denen sich der Künstler ein Denkmal von Weltrum setzte.

Tracy Chevalier versetzt das Stück in’s 20. Jahrhundert, mitten hinein in die USA. Rassismus in Amerika ist noch viel weiter verbreitet als heute, wo immer noch auf Missstände aufmerksam gemacht werden muss.

Das Land schmückt sich mit den Erfolgen schwarzer Sportler, im Alltag aber begegnet man einander mit Misstrauen und Argwohn. In dieser Situation befindet sich der 12-jährige Osei, der als afrikanischer Diplomatensohn auf eine neue Schule kommt und schon aufgrund seiner Hautfarbe zum Außenseiter wird.

Nur Dee, eines der beliebtesten Mädchen der Klassenstufe, nimmt sich seiner an, doch ahnen die beiden nicht, dass dies der Beginn einer Katastrophe sein wird. Ausgelöst vom Schulhof-Tyrann Ian entspinnt sich ein Netz aus Lügen um den Neuen und umfasst bald die gesamte Schule. Wird Osei sich daraus befreien können?

Ein Roman, wie ein Schrei, der erst leise daherkommt und dann immer lauter und drängender wird. So in etwa könnte man die Struktur der Geschichte beschreiben, in der es viele Grautöne zwischen zwei Antipoden gibt. Gut und Böse. Licht und Schatten.

Dieses Szenario auf die Figuren eines Schulhofes abspielen zu lassen und dabei die Strukturen und die Hackordnung im Klassenzimmer darzustellen, ist die große Stärke der Autorin, die feinsinnig Fäden und Handlungsverläufe miteinander verknüpft und dem großen Knall einige Schüber versetzt, um ein aufrüttelndes und nachdenkliches Ende herbeizuführen.

Wir alle kennen diese Mitschüler, den Tyrannen, der den Mitschülern das Pausenbrot oder Geld abgeknöpft hat, den Sonnyboy, den alle mochten und der alle ebenso leiden konnte, das beliebte Mädchen, die Tusse, den Außenseiter. „Der Neue“ ist eine Sammlung dessen und was passieren kann, fällt ein Dominostein um, der eine Kettenreaktion in Gange setzt.

Es ist ein Roman für Erwachsene, kann aber ohne Einschränkung auch jüngeren Lesern gegeben werden. Besonders wertvolle Lektüre in unserer Zeit, wo es viele Oseis gibt, die heute wieder um ihren Weg kämpfen müssen. Für mich eines der wichtigen Bücher des Jahres.

Autorin:
Tracy Chevalier wurde 1962 geboren und ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und erwarb nach dem College den Abschluss Bachelor of Arts in Englisch. Im Jahr 1984 zog sie nach London, arbeitete als Lektorin und absolvierte einen Kurs im Kreativen Schreiben.

1999 erschien ihr Roman „Das Mädchen mit den Perlohrring“, welcher zu einem Weltbestseller avancierte. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature, arbeitet als Jurorin und kuratiert Ausstellungen. Mit ihrer Familie lebt sie in London.

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Tara Westover: Befreit

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Befreit Rezensionsexemplar/Sachbuch Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 444 ISBN: 978-3-462-05012-7

Inhalt:

Tara Westover ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Schulklasse betritt. Zehn Jahre später kann sie eine beeindruckende akademische Laufbahn vorweisen. Aufgewachsen im ländlichen Amerika, befreit sie sich aus einer ärmlichen, archaischen und von Paranoia und Gewalt geprägten Welt – durch Bildung, durch Aneignung von Wissen, das ihr so lange vorenthalten worden war. (Klappentext)

Rezension:

Für diese Rezension habe ich mir zum ersten Mal des Effektes Willen überlegt, die Kurzbiografie einer Autorin wegzulassen. Vorab sich nämlich nicht über Tara Westover informieren zu können, macht die von ihr erzählte Geschichte noch brisanter, noch mächtiger und noch unglaublicher.

Tara Westover wächst als Kind in einer, von ihrem vater bestimmten Familie auf, die sich komplett von der Außenwelt abgrenzt. Hier geht es nicht nur um die Gegenüberstellung zweier parteipolitischer Ansichten, die heutzutage das medienbild der USA prägen, hier geht es um alles oder nichts.

Eine rechtschaffende, gläubige, Gott zugewandte Familie gegen den Rest der Welt. So sieht das zumindest Taras Vater, der sogar die strengen Vorschriften der Mormonen noch wörtlicher als die meisten Gläubigen nimmt und damit seinen Kindern alle Chancen nimmt.

Diese werden von den staatlichen Schulen genommen, müssen im Familienbetrieb arbeiten, selbst schwerste Verletzungen werden nicht im Krankenhaus behandelt, sondern auf dem heimischen Sofa, unter Zuhilfenahme pseudoätherischer Öle und natürlich Gebeten. Unter diesen Bedingungen wächst die immer größer werdende Kinderschar auf.

Je älter sie werden, um so mehr sehen Tara und, leider nicht alle, ihre Geschwister eine Zukunft, die ihnen verwehrt werden wird, wenn sie nicht ausbrechen. Zwei ihrer älteren Geschwister und sie selbst nehmen diesen Kampf jedoch auf und stellen sich damit gegen Glaube, Familie und vor allem ihrem Vater.

Wie weit muss man gehen, um den Kampf um Selbstbestimmung, Entwicklung und frieheit zu gewinnen? Manche offenbar sehr weit, wenn man Tara Westovers beeindruckende Bildungsbiografie liest.

Als Leser wird man kaum aus den Erstaunen herauskommen, welches Leid die Autorin unter der Tyrannei ihres Vaters zu erdulden hatte, dessen bipolare Störung zur Zerreißprobe für den gesamten Clan geworden ist, dessen beim Streit aufgeplatzte Wunden bis heute nicht verheilt sind.

Nach der Lektüre wird man den Faktor Bildung einen größeren Wert als bisher bemessen, innerlich die Autorin an manch beschriebenen Ereignissen in den Arm nehmen, dann wieder mit den Kopf gegen die Wand des Naheliegenden stoßen wollen.

Eindrucksvoll beschreibt Westover die ihr gestellten Hürden, die sie ohne Hilfe liebenswerter Menschen nicht hätte überwinden können. Tränen, Traurigkeit, Glücksgefühle, Wut. All das wechselt so schnell nacheinander, dass man innehalten muss, um zu Atem zu kommen.

Tara Westover beschreibt ihren Weg in Eigenständigkeit und Selbstwertgefühl, welcher steiniger nicht hätte sein können. Was muss es nur für eine Überwindung und Kraft gekostet haben, diese Zeilen zu Papier zu bringen?

Der Lehrer rief mich auf, und ich las den Satz vor. Als ich an das Wort kam, hielt ich inne. „Dieses Wort kenne ich nicht“, sagte ich. „Was bedeutet es?“

Tara Westover: „Befreit“

An manchen Stellen möchte man brechen. Für mich gehören Eltern, die krank oder nicht, so die Sicherheit ihrer Kinder gefährden wie Westovers dies getan haben, die ihre Kinder jede reelle Chance auf Bildung und damit Freiheit genommen haben, in Gewahrsam.

Um so größer die Bewunderung für Tara Westover, die dennoch einen Funken Liebe noch in sich bewahrt hat, für die zeit, in der ihre Eltwern und sie vielleicht eines Tages aufeinander zugehen können. Diese Biografie ist ein Mahnmal für das, was Zwänge anrichten und was Bildung bewirken kann. Grenzen zu überschreiten, benötigt Zeit.

Manchen macht die Geschichte Tara Westovers hoffentlich Mut genug, ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn das dieses Buch schafft, wäre viel gewonnen.

Autorin:

Tara Westover wurde 1986 in Idaho, USA, geboren und lebt heute in Großbritannien. 2008 erwarb sie den Bachelor of Arts an der Bringham Young University, am Trinity College in Cambridge erhielt sie 2009 ihren Abschluss als Master of Philosophy und promovierte 2014, nach einem Abstecher in Havard in Geschichte. „Befreit“ ist ihr erstes Buch.

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Behnam T. Said: Geschichte al-Qaidas

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Geschichte al-Qaidas Behnam T. Said C.H. Beck Erschienen am: 28.08.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-72585-2

Inhalt:

Die Terrororganisation al-Qaida scheint seit der Abspaltung des „Islamischen Staats“ der Vergangenheit anzugehören, doch in Wahrheit führt sie von Südasien über Nordafrika bis nach Europa einen Krieg an vielen Fronten.

Behnam T. Said erzählt anhand neu erschlosssener Dokumente erstmals die ganze Geschichte des geheimen Netzwerks, das seit dem Niedergang des IS zum Auffangbecken für Tausende Dschihadisten geworden ist und an vielen Orten den Krieg schürt. (Klappentext)

Rezension:
Es gibt wohl kaum ein Thema, welches mit so vielen Emotionen belastet ist, wie Terrorismus und die Auswirkungen, die Anschläge im Namen des Terrors haben. Nicht wenige gehen davon auf das Konto gut vernetzter Organisationen, wie etwa den „Islamischen Staat“ oder al-Qaida, die den größten aller Anschläge am 11. September 2001 durchführen ließen.

Mit Folgen, die in der gesamten Welt noch heute zu spüren sind. Doch, die Geschichte al-Qaidas ist lang. Der Islamwissenschafter Behnam T. Said erzählt sie anhand von neu veröffentlichten Dokumenten, die die USA bei der Tötung Bin Ladens sicherstellen konnten und nun freigegeben haben.

Dicht und gut recherchiertes Überblickswissen, nicht immer einfach zu lesen, detailliert genug, um mehr als das in den Nachrichtenportalen befindliche Material bewerten zu können, aber auch nicht zu hoch gegriffen, so dass man als Laie den Ausführungen folgen kann.

Dies bietet die „Geschichte al-Qaidas“, mit Hilfe der der Autor dem Leser nahebringen möchte, wie sich al-Qaida entwickeln konnte, welche Personen mit welchen Hintergründen entscheidende Strippenzieher waren und sind, und vor allem warum. Said beschreibt minutiös, welche Ziele Männer wie al-Zawahiri und Bin Laden verfolgten und welche Strömungen innerhalb der Organisation, diese so wandlungsfähig und gefährlich machen.

Eine übersichtliche Gliederung beleuchtet zunächst Personenbiografien, bevor es dann zu den Anfängen und Stationen der Wegbereiter des Terrorismus‘ übergeht, gefolgt von den Anschlägen des 11. September und seiner Folgen. Für die einzelnen betroffenen Länder, wie auch den arabischen raum und für al-Qaida selbst.

Said verfolgt ebenso die jüngere Geschichte des „Islamischen Staats“ und wagt einen Ausblick auf die Zukunft der Terrororganisation, beschreibt zugleich, warum diese immer wieder Menschen für ihre ideologien zu vereinnamen vermag.

Sehr dichte, alte und neue Quellen, ergeben so ein Gesamtbild, welches eines der ersten sein dürfte, wobei selbst der Autor dieses für nicht statisch hält. Vielmehr weißt er daraufhin, dass in Zukunft noch mehr Dokumente etwa erschlossen werden könnten, wenn die USA diesen Fundus irgendwann vollständig freigibt.

Bis dahin sind kaum mehr als diese Rundblicke möglich und so könnte Saids Werk bis dahin zum Standard avancieren, für alle, die sich ein wenig mehr als mit zweiminütigen Beiträgen in Fernseh- und Nachrichtenmagazinen beschäftigen und vertiefendes Wissen zu diesem schrecklichen Kapitel der jüngeren Geschichte erfahren möchten.

Autor:
Behnam Timo Said wurde 1982 geboren und ist ein deutscher Islamwissenschaftlicher, Buchautor und ehemals nachrichtendienstlicher Analyst. Said studierte in Hamburg islam- und Politikwissenschaft, sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Seit Februar 2018 arbeitet er für die Justizbehörde Hamburg. 2014 promovierte er an der Universität Jena. Insbesondere beschäftigt er sich in den Bereichen Islamismus, Salafismus und Jihadismus, in diesen widerum mit Extremismusprävention und Resozialisierung.

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Ami Vitale: Pandas – Das verborgene Leben der Großen Bären

Pandas -Das verborgene Leben der großen Bären Book Cover
Pandas -Das verborgene Leben der großen Bären Rezensionsexemplar/Fotobuch Riva Verlag Hardcover Seiten: 159 ISBN: 978-3-7423-0680-7

Inhalt:

Der Große Panda ist ein faszinierendes Tier: majestätisch und drollig zugleich strahlt der plüchige Riese eine angenehme Ruhe auf viele Menschen aus. Doch der Panda ist vom Aussterben bedroht. Nur noch wenige Tiere leben in freier Wildbahn in Naturschutzgebieten in China.

Durch den unermüdlichen Einsatz vieler Tierschützer konnte der Bestand in den letzten Jahren dort aber wieder vergrößert werden. Die Fotografin Ami Vitale hat es geschafft, den sanften Bären ganz nahe zu kommen. Dieses Buch zeigt ihre interessantesten und spektakulärsten Fotos aus Aufzuchtstation und freier Wildbahn.

Gemeinsam mit spannenden Hintergrundinformation entstand so ein bezaubernder Bildband für alle Panda-Fans. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt nur noch wenige hundert Exemplare seiner Art, doch bei kaum einem anderen Tier sind die Bemühungen, diese nachzuzüchten, auch so intensiv. Der Große Panda, das Symbol Chinas, welches selbiges Land nur als Staatsgeschenk verlassen darf, ist faszinierend und zugleich ein geeigneter Botschafter dafür, warum Artenschutz wichtig ist.

Abseits der Pandadiplomatie, die der Staat betreibt, um anderen Ländern sein Wohlwollen zu zeigen oder eben auch zu entziehen und gleichzeitig, die Chancen für das Überleben dieses Symbols zu steigern, erzielt China jedoch auch Erfolge beim Nachzüchten, die noch vor wenigen Jahren so nicht denkbar waren.

Die amerikanische Naturfotografin Ami Vintage hat sie gesucht, in der Wildnis und einer Aufzuchtstation, wo versucht wird, für Nachwuchs zu sorgen und die Pandabären auszuwildern. Entstanden ist ein kleiner süßer Bildband.

Emotionen werden entweder durch berührende Texte ausgelöst oder durch eben solche Bilder. Vom Ersteren hat dieses Buch nicht viel, braucht es auch nicht. Bilder sagen mehr als tausend worte und so kann sich der Leser selbst einen Eindruck von der Schön- und Erhabenheit dieser Tiere verschaffen und weiß dann genau, wie wichtig die intensive Arbeit ist, die in China von Wissenschaftlern und Veterinärmedizinern betrieben wird, um das Überleben der sanften Riesen zu sichern. Das ist schön und berührend.

Der Knackpunkt ist jedoch der, dass Coffetable-Bildbände zwar schön aussehen, jedoch nicht viel bringen. Zwar erfährt man einige interessante Aspekte, etwa in der Frage, warum Chinas Wissenschaftler sich selbst als Panda verkleiden müssen, doch der Gehalt des Buches ist ansonsten gering.

Die Bilder müssen hier für sich wirken. Alleine das Format vergibt da viele Chancen. Im Überformat, so denkt man gleich, würde die Wirkung noch intensiver ausfallen, ein Eye-Catcher halt. Dieser Schritt fehlt etwas. Und, ob sich die leser für den Schutz von Pandas engagieren, ist noch mal eine andere Sache.

Wenn das jedoch bei wenigen Lesern gelingt, ist Ami Vitales Projekt ein voller Erfolg, den man sich nur wünschen kann. Das wäre ja schon mal etwas.

Autorin:

Ami Vitale wurde 1971 geboren und ist eine US-amerikanische Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin. Sie arbeitet für National Geographic und lebt in Montana. Sie studierte zunächst an der University of North Carolina International Studies, sowie an der University of Miami.

Nach ihrem Studium arbeitete sie für Associated Press und erstellte Fotoreportagen über Guina-Bissau und Indien. ihre Reportagen erscheinen in den großen amerikanischen Zeitungen. Austellungen und Arbeiten Vitales wurden bereits mehrfach ausgezeichnet.

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Khaled Hosseini: Am Abend vor dem Meer

Am Abend vor dem Meer Book Cover
Am Abend vor dem Meer Khaled Hosseini/Dan Williams S. Fischer Verlag Erschienen am: 29.08.2018 Seiten: 48 ISBN: 978-3-10-397409-6

Inhalt:

Am 02. September 2015 ertrank Alan Kurdi bei dem Versuch, sich über das Mittelmeer nach Europa in Sicherheit zu bringen. Er war drei Jahre alt und stammte aus Syrien. Khaled Hosseini war selbst ein Flüchtlingsjunge, der fern von seinem Heimatland Afghanistan aufwuchs.

Diese Erfahrung von Trennung und Heimweh prägt die einzigartie emotionale Kraft seiner Bücher und wurde schriftstellerischer Antrieb wie gesellschaftlicher Auftrag: Seit vielen Jahren unterhält er eine eigene Stiftung und ist Sonderbotschafter des UNHCR.

Im „Am Abend vor dem Meer“ kommt beides zusammen. Die atmosphärisch dichte Erzählung, eindringlich farbig illustriert von Dan Williams, erzählt in einem Brief eines Vaters an seinem Sohn vom Abschied von zu Hause und der Gefahr der Überfahrt auf der Flucht. (Verlagstext)

Rezension:
Das Thema „Flüchtlinge“ dominiert seit Jahren die Schlagzeilen in Europa, lässt die Gemüter kochen und spaltet das politische Leben. Viele Politiker sind längst nach rechts gerückt, demokratische Werte zählen nicht mehr viel, Grundwerte wie Menschlichkeit ohnehin nicht. Viel wird diskutiert, über die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, wer integriert werden darf, wer nicht, und wie das alles aussehen soll.

Die Fluchtursachen geraten immer mehr in den Hintergrund, sind vielerorts schon fast vergessen. Immer noch machen sich daher Männer, Frauen und Kinder auf den gefährlichen Weg nach Europa, da ihre Heimat keine Zukunft und kein Leben bieten kann. Nicht wenige sterben bei den Versuch, zu Land oder zu Wasser Hilfe zu erreichen.

So auch der kleine Alan Kurdi, der im Jahr 2015 im Mittelmeer ertrank. Das Bild des kleinen Jungen, dessen lebloser Körper am Strand lag, ging um die Welt, wurde instrumentalisiert. Ihm und den anderen zahlreichen Opfern der Flucht ist dieses Buch gewidmet.

Es ist viel weniger ein Buch als eine kleine Briefnovelle, die es auf so wenigen Seiten gehörig in sich hat. Ein Vater, offenbar schon am Ziel, schreibt einen Brief an seinen kleinen Sohn, der den gefährlichen Weg über’s Mittelmeer noch vor sich hat.

Er schreibt von der Stadt Homs, wie einst der Vater sie kannte und in welchen Gegensatz sie der Sohn sieht, schreibt von den Gefahren der Überfahrt über das Meer und hofft inständig, dass der Sohn nicht Opfer von den Gewalten der Mutter Natur werden wird. Das Ende indes bleibt offen.

Dieser eine Brief durchzieht das gesamte Buch, pro Seite immer nur einpaar Zeilen, die wirkungsvoll durch die Zeichnungen Dan Williams‘ unterstrichen werden. Die Aquarelle wirken zuerst fröhlich, weichen nach und nach immer düster wirkenden Bildern, die alleine schon Eindruck genug machen und dem Leser sehr nahe gehen werden.

Es passiert mir nicht oft, dass ich mich dermaßen emotional beeindrucken lasse, doch hat es bei mir im Inneren etwas ausgelöst und einen Schalter umgelegt. Einige Tränen sind tatsächlich geflossen.

Was die täglichen Nachrichten betrifft, versuche ich das Geschehen in diesem Teil der Welt und die Auswirkungen hier, die einen Teil der Bevölkerungen gefährlich nahe an den Rand rutschen lässt, der 1933 das NS-Regime an die Macht gebracht hatte, nicht an mich heran zu lassen. Es gelingt mir jedoch immer weniger.

Khaled Hosseini und Dan Williams führen uns mit wenigen Worten und eindrucksvollen Bildern die Situation vor Augen, der jeder Flüchtling gegenüber steht. Es wird klar, dass sich niemand grundlos auf diese gefährliche Reise begibt, dass die, die in unseren gesellschaftlichen Fokus geraten sind, lieber in ihren Ländern leben würden, wenn die Situation es zuließe.

Auch klar wird, dass grundlos nichts passiert und das wir in der Pflicht sind, uns zu kümmern. Wir dürfen uns nicht mit Vereinfachungen und Stammtischparolen zufrieden geben, auch nicht mit minutenlangen Berichten in den Nachrichten.

Es muss sich endlich um die Fluchtursachen gekümmert werden, die Länder und Staaten, die so viel Elend und Leid bringen, dass zu viele ihr Leben dort als nicht lebenswert betrachten können, lieber die Gefahren der Flucht auf sich nehmen, müssen wieder ins Blickfeld geraten. Damit nicht noch mehr Erwachsene und vor allem Kinder wie Alan Kurdi sterben.

Mit den Kauf des Buches ist zumindest ein kleiner Schritt getan. Die Leser unterstützen damit die Khaled Hosseini Foundation und den UNCHR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, die lebensrettende Nothilfemaßnahmen finanziert, um Flüchtlingen überall auf der Welt eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Autor:
Khaled Hosseini wurde 1965 in Kabul, Afghanistan, geboren und ist ein amerikanischer Schriftsteller und Arzt. Sein Vater arbeitete für das afghanische Außenministerium von 1970 bis 73 in Teheran, 1976 zog die Familie nach Paris, wo dieser in der afghanischen Botschaft arbeitete.

1976, nach der sowjetischen Invasion, beantragte die Familie politisches Asyl in den USA, welches 1980 gewährt wurde. 1984 erlangte Khaled Hosseini seinen High-School-Abschluss, studierte anschließend Biologie und Medizin, worin er 1993 promovierte. Seit 1996 arbeitet er als Internist. Im Jahr 2003 veröffentlichte er seinen ersten Roman, der verfilmt wurde, 2007 und 2013 folgten weitere Erzählungen.

Illustrator:
Dan Williams ist Künstler und Illustrator. Seine Arbeiten erscheinen in zahlreichen Zeitungen, wie etwa „Guardian“ oder Magazinen wie „National Geographic“ und „Wall Street Jounal“. Für mehrere Verlage illustrierte er bereits Publikationen. Williams‘ Werke wurden mehrfach ausgestellt.

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