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Susanna Partsch: Wer klaute die Mona Lisa?

Inhalt:

Vom Diebstahl der Mona Lisa 1911 bis zum Juwelenraub im Grünen Gewölbe 2019 – dieses Buch steckt voller fesselnder und unglaublicher Geschichten. Susanne Partsch hat die spektakulärsten Kunstdiebstähle ausgewählt und erzählt von gewieften Mafia-Clans, als Polizisten verkleideten Tätern, findigen Kunstdetektiven, zerschnittenen Gemälden, besessenen Kunstliebhabern und Lösegeldforderungen in Millionenhöhe – Fälle wie aus einem Kriminalroman, die aber das Leben schrieb. (Klappentext)

Rezension:

Zum ersten Mal im Louvre-Museum in Paris zieht es die meisten Besuchenden gleich zu den Publikumsmagneten, allen voran der Mona Lisa, gemalt von Leonardo da Vinci. Heute ist dieses Gemälde geschützt durch eine davor montierte Glasscheibe und modernster Sicherheitstechnik. Besucher werden daran vorbei geschleust, dürfen nicht stehen bleiben. Das war nicht immer so. Am 21. August 1911 hing das Bild schon einmal in diesem Museum und verschwand über Nacht. Erst am nächsten Tag wurde der Diebstahl bemerkt.

Die Ereignisse um die Mona Lisa, machten sie erst zu den weltberühmten Kunstwerk, welches wir heute in ihr sehen, doch gab es auch danach und gibt es immer noch weitere Kunstdiebstähle, die die Welt bewegen. Das FBI fahndet mit einer Liste der wertvollsten verschwundenen Kunstgegenstände und auch Italien hat eine eigene Einheit bei der Polizei, die sich rein mit diesem Metier befasst, verschwinden dort, etwa aus Kirchen verhältnismäßig viele Kunstgegenstände und bleiben es, teilweise, für immer. Die Kunsthistorikerin Susanna Partsch hat sich aufgemacht, die spektakulärsten Fälle darzustellen und ihre Geschichten zu erzählen.

In anderen Werken wird Raub- und Beutekunst thematisiert. Hier konzentriert sich die Autorin auf Kunstdiebstähle in Europa, wo teilweise ganze Altäre aus Kirchen verschwinden, und Amerika. Alleine dieses Feld gibt inzwischen so viel Material her, dass man kaum alle Geschichten erzählen kann. Stattdessen wird hier eine Auswahl dargestellt und anhand kurzer Kapitel dargestellt, wie und warum so manches Kunstwerk verschwand oder welche Geschichte sich hinter dem Wiederauffinden verbarg. Schon diese auswahl zu treffen, dürfte schwer gefallen sein, mit ihrer Fachkenntnis füllt Partsch Lücken und hat damit eine sonst trockende Thematik spannend wie ein Krimi aufbereitet.

Sie erzählt die Geschichte der Werke von ihrer Entstehung bishin zum Verschwinden der Werke, beschreibt, was dies für die Museumskultur bedeutet, wo Häuser gleichsam zwischen Offenheit und Nahbarkeit, sowie Sicherheitsdenken abwägen müssen, um sich selbst vor Begehrlichkeiten zu schützen, auch müssen manchmal die Angestellten dieser Häuser etwas näher unter die Lupe genommen werden.

Eine Balance dazwischen zu finden ist ein nahezu unmögliches Unterfangen und so könnte dieses Buch auch in Zukunft fortlaufend mit neuen Fällen ergänzt werden. Einige der spektakulärsten findet man in diesem kleinen als Übersicht gehaltenen Werk.

Autorin:

Susanna Partsch wurde 1952 in bad Godesberg geboren und ist eine deutsche Kunsthistorikerin und Autorin. Nach der Schule studierte sie in den 1970er Jahren Kunstgeschichte, Ethnologier und Pädagoik in Heidelberg, wo sie 1980 promovierte. Anschließend arbeitete sie im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein. Seit 1985 arbeitet sie alös Autorin für Kunstbücher, Monografien, Kataloge und Reisefüher (u. a.). 1998 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Sie verfasste zahlreiche Artikel für das Allgemeine Künstlerlexikon.

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Frank Vorpahl: Schliemann und das Gold von Troja

Inhalt:

Kaufmannsgehilfe, Goldsucher, Schiffbrüchiger, Kriegsgewinnler, Raubgräber und “Entdecker von Troja” auf den Spuren Homers – Heinrich Schliemanns unglaubliches Leben und die bis heute anhaltenden diplomatischen Verwicklungen um seine Funde. (Klappentext)

Rezension:

Bis heute ist er ein Faszinosum, seine Funde sind erstaunlich, sein Erbe hochumstritten. Die BiografieHeinrich Schliemann, 1822 geboren, liest sich wie die klassische Tellerwäschergeschichte, der zunächst im Krimkrieg das große Geld machte, später über sein Interesse an Homers “Illias” im Osmanischen Reich nach den wahren Kern von Troja suchte und spektakuläre Funde machte.

Alleine, seine Grabungsmethoden und die nicht stetig wissenschaftliche Herangehensweise waren bei Schliemanns Zeitgenossen umstritten, in wichtigen Punkten irrte der Altertumsbegeisterte zudem. Doch, wer war der Mann wirklich, der dennoch die Grundlagen für die moderne Archäologie legte, der mit seinen Publikationen viel für die Popularität dieses Wissenschaftszweiges tat, um dessen Funde bis heute gerungen wird? Der Journalist und Autor Frank Vorpahl begab sich auf Spurensuche.

Das vorliegende Sachbuch ist gleichsam Personenbiografie wie auch Diagram nach der Jagd dessen, was damalige Zeitgenossen Schliemanns zuweilen als Hirngespinst abtaten, galt doch die Archäologie bis dato eher als kostspieliges Hobby, denn als ernstzunehmende Wissenschaft und waren die Methoden des zunächst amateurhaften Suchers schlicht als unkonventionell. Heute ist klar, durch Unachtsamkeit zerstörte Schliemann anfangs vieler seiner Funde und grub zwar bedeutende Schätze aus, die jedoch schlicht etwas anderes sind als die Namen, die man ihnen gab.

Der Autor schlüsselt die zuweilen fieberhafte Suche Schliemanns auf und lässt den Pionier der Archäologie vor den Augen Interessierter wieder auferstehen. Vorpahl hangelt sich entlang der wichtigen Stationen eines Mannes, zeigt, wie dieser gegen die Fachwelt an seinem ehrgezigen Plan festhielt, es jedoch schaffte, aus der anfänglichen Quantität seiner Grabungen eine gewisse Qualität herauszuarbeiten. Das liest sich leicht und zuweilen wie ein Krimi, nicht nur wenn Vorpahl den Ringen mit Konkurrenten nachspürt, sondern auch Schliemanns Kampf um Grabungsgenehmigungen mit Behörden oder später, lange nach dessen Tod, um die Herausgabe der Schätze, die als Kriegsbeute in die Hallen des russischen Puschkin-Museums verschwanden.

Auffällig hierbei ist die Begeisterungsfähigkeit Vorpahls, die sich in jeder einzelnen Zeile niederschlägt, ohne die Kritik an Heinrich Schliemann aus den Augen zu verlieren. Zudem muss dem Sachbuch eine unbändige Rechercheleistung zu Grunde liegen, die von Ortsbegehungen über Tagebuchaufzeichnungen reicht und ergänz wird durch ein umfangreiches Anmerkungs- und bibliografisches Verzeichnis. Ein Fototeil visualisiert dies. Die Geschichte der Suche nach Troja liest sich wie ein Krimi. Wenn man überhaupt etwas zu bemängeln hat, ist es, dass eine Kurzbiografie am Anhang schlicht und ergreifend fehlt, sowie Kartenmaterial in der Ausgabe nicht vorhanden ist. Das gibt zwar Potenzial für eigene Recherchen, ist jedoch erforderlich um das Werk als solches abzurunden.

Der wissenschaftliche Disput zu Lebzeiten Schliemanns und darüber hinaus wird anschaulich dargestellt. Das Sachbuch richtet sich dabei vor allem an Laieninteressierte, die fasziniert vor den Vitrinen Schliemannscher Funde stehen und auch sonst sich für Troja oder die Antike allgemein interessieren. Zuweilen fühlt man den Staub der Grabungen selbst auf der Haut, die körperlichen Strapazen, denen sich Schliemann aussetzte und wenn das dieses Werk schafft, hat der Autor vieles richtig gemacht. Heute wird übrigens immer noch unter deutscher Beteiligung gegraben. Schliemanns “Erben” schreiben die Geschichte fort.

Planet-Wissen.de I Wikipedia I ZDF Info – Das Gold von Troja: Schliemann und der Schatz des Priamos I Universität Tübingen – Troia: Ausgrabungen und Plan

Autor:

Frank Vorpahl wurde 1963 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. 1996 begleitete er als Redakteur für das Magazin “Aspekte” die Enthüllung des Schliemann-Schatzes durch die Chefin des Puschkin-Museums. Seit dem verfolgt er die wissenschaftliche Debatte um Troja und den neueren Grabungen in Hissarlik, sowie die Restitutionsfragen rund um Schliemanns Funde. 2018 veröffentlichte er eine Biografie zu Georg Forster, der die Weltumsegelung James Cooks begleitete.

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Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Bücher der Reihe:

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 1 – Leichenblume

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 3 – Grabesstern

[Einklappen]

Inhalt:

Kopenhagen: Investigativ-Journalistin Heloise Kaldan hat gerade eine Recherche zu traumatisierten Soldaten begonnen, als sie eine persönliche Entscheidung treffen muss über Leben uns Zukunft. Noch bevor sie irgendetwas tun kann, erfährt sie vom Verschwinden eines zehnjährigen Jungen.

Vor Ort trifft Heloise ihren guten Freund Kommissar Erik Schäfer, der in dem Fall ermittelt. Die Spuren zu dem Jungen sind verwirrend, nichts passt zusammen. Heloise versucht, Erik Schäfer zu helfen, das entscheidende Muster zu erkennen. Und begegnet ihren innersten Dämonen.
(Klappentext)

Rezension:

Das Verschwinden des eigenen Kindes, es ist die Urangst aller eltern und doch geschieht es am hellichten Tage vor einer Kopenhagener Schule. Vom zehnjährigen Lukas fehlt plötzlich jede Spur. Die Hinweise, die es gibt, führen ins Leere oder passen nicht zusammen.

So hatte sich Kommissar Erik Schäfer die Rückkehr aus seinem Urlaub nicht vorgestellt und auch Heloise Kaldan, Invesitigativ-Journalistin Heloise Kaldan, die mit ihrer derzeitigen Artikelrecherche zu traumatisierten Soldaten kaum vorankommt, zudem mit privaten Problemen zu kämpfen hat, wird auf die Vorkommnisse aufmerksam, weiß zunächst jedoch ebenfalls nicht weiter. Beide sind beunruhigt, erkennen zunächst keine Zusammenhänge. Was haben sie übersehen? Nur eines wissen sie zu gut.

Bei verschwundenen Kindern zählt jede einzelne Minute.

Der zweite Band um die Journalistin Heloise Kaldan und Kommissar Erik schäfer führt uns erneut in die dänische Hauptstadt und wartet mit einem spannenden Auftakt an, dessen Moment sich bis zum Ende halten wird. Tatsächlich ist hier gar nichts mehr vom melancholischen Mehltau früherer skandinavischer Krimis zu spüren.

Die Autorin legt einen kompakten Schreibstil an den Tag, mit relativ hoher Schlagzahl und ebenso vielseitigen Perspektivwechseln. Konzentriert ist alles auf zwei Erzählstränge, die zunächst verhältnismäßig parallel verlaufen, sich hin und wieder kreuzen und später langsam zusammengeführt werden.

So wird die Sichtweise der beiden Hauptprotagonisten herausgestellt, die den Fall aus den verschiedenen Blickwinkel ihrer beruflichen Vorgehensweisen betrachten und somit Schritt für Schritt die verschiedenen Puzzelteile aufdecken, schließlich zusammensetzen.

Das funktioniert auch, wenn man den Auftakt, der bisher auf drei Teile angelegten Reihe, nicht gelesen hat. Die privaten Zusammenhänge und Zwischenmenschlichkeiten werden ohne sich aufzudrängen erklärt bzw. erschließen sich beim Lesen. Der Fall selbst kann, wie üblich, unabhängig gelesen werden. Bezeichnend ist hier, dass es die Autorin schafft, eine Vielzahl von Themen in Zusammenhang zu bringen und dabei keines bis zum Ende aus den Augen zu verlieren.

Der Umgang mit traumatisierten Soldaten durch Staat und Gesellschaft wird ebenso thematisiert, wie die Schludrigkeit der Behörden im Umgang mit Eltern und deren Kindern. Zuweilen ist dies harter Tobak, Hancock webt jedoch daraus eine geschichte mit unvorhersehbaren Wendungen und einem Figurennetz, welches einem mehr als einmal auf die falsche Fährte bringt.

Das Privatleben der beiden Hauptprotagonisten ist hier Beiwerk und wird genutzt, um manches Handeln der Personen zu erklären, nicht jedoch, um das Gesamtwerk ins Kitschige zu ziehen, was diesen Krimi, für einen Thriller ist die psychische Spannungslage dann doch ein wenig dünn, wohltuend von anderen abhebt.

Autorin:

Anne Mette Hancock wurde 1979 geboren und ist eine dänische Schriftstellerin. Sie studierte Geschichte und Journalismus in Roskulde, bevor sie als freie Journalistin für Tageszeitungen und verschiedene dänische Magazine im Lifestyle-Bereich arbeitete. Nach Aufenthalten in Frankreich und den USA lebt sie mit ihrer Familie in Kopenhagen. Ihre Thriller wurden bereits mehrfach übersetzt und ausgezeichnet.

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Torbjorn Ekelund: Mein Sohn und der Berg

Inhalt:

August ist sieben Jahre alt, als sein Vater Torbjorn Ekelund ihn auf eine erste große Tour in die Natur mitnimmt. Mit Rucksack und Zelt wandern sie durch magische Kiefernwälder und über felsige Pfade. Ihr Ziel: ein Berggipfel südwestlich von Oslo.

Dabei folgen sie den Spuren eines kleinen Jungen, der 122 Jahre zuvor auf der Route verschwunden ist. Ekelund sucht nach einer Erklärung, was damals passiert sein könnte und beobachtet fasziniert, wie spielerisch sein Sohn sich durch die Landschaft bewegt. Ein zärtlicher Text über unsere Verbundenheit mit den Elementen und die Beziehung zwischen Vater und Sohn. (Klappentext)

Rezension:

In der Nähe von Norwegens Hauptstadt Oslo liegt die kleine, aber doch zerklüftete und immer wieder Überraschungen bereithaltende Gebirgslandschaft des Skrim. Es ist nicht die größte unter den skandinavischen Naturlandschaften, doch betritt man sie, ist man in mitten einer der letzten ursprünglichen Gegenden Nordeuropas. Vor mehr als hundert Jahren spielte sich dort eine der schlimmsten Katastrophen ab, denen Eltern ausgesetzt sein können. Der norwegische Journalist Torbjorn Ekelund begab sich nun auf Spurensuche.

Es ist der Bericht einer faszinierenden Wanderung, die Beschreibung einer Vater-Sohn-Erfahrung und ein Stück nahezu unbekannter Geschichte, die uns hier erzählt wird. Einfühlsam nimmt der Autor seine Leserschaft mit auf eine Reise, die doch nur ein paar Tage andauert, doch deren Strapazen man beim Lesen förmlich selbst in den Knochen spüren wird.

Torbjorn Ekelund lässt sowohl die zuweilen unbarmherzige Natur des Skrim vor den Augen entstehen, nimmt uns zugleich jedoch mit, wenn er die Geschichte des kleinen Hans Torske erzählt, dabei selbst immer auf seinem Sohn ein wachsames Auge hat, der ihn auf die Reise begleitet und die Welt durch Kinderaugen erleben lässt. Für diesen ist es ein Abenteuer zwischen Vater und Sohn, mitten in der Natur. Jeder Stein wird umgedreht, jeder Stock inspiziert. Für den Vater geht es auch um die Erfahrung? Was geschah mit dem Jungen, in dem Alter seines Sohnes? Warum verirrte er sich? Was macht die Natur mit den Menschen?

Es ist ein liebevoller Bericht ohne mahnende Zeigefinger, wenn es um die Schönheit des Naturerlebnisses oder das Aufwachsen von Kindern in heutiger Zeit geht, gleichzeitig natürlich ein Gedenken an ein Stück Geschichte, welche sonst auch innerhalb der Region vor den Toren Oslos verloren ginge. Diese kleinen Erfahrungs-, Reisebericht wird man gerne lesen, nicht unbedingt erforderlich zwar, aber es schadet zumindest nicht. Nur ein Wermutstropfen bleibt. Eine Karte der Wanderung oder zumindest der Landschaft hätte gut als Ergänzung gewirkt.

Autor:

Torbjorn Ekelund wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Journalist und Autor. Er schreibt u. a. für die norwegische Zeitung Dagbladet und ist Mitherausgeber eines kleinen unabhängigen Buchverlags. Er begründete ein Onlinemagazin mit und veröffentlichte mehrere Bücher, die bereits in mehreren Sprachen erschienen sind.

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Daniel Lee: Der Sessel

Inhalt:

Ein unglaublicher Fund: In einem Sesselpolster werden Jahrzehnte nach Kriegsende persönliche Papiere des SS-Offiziers Robert Griesinger entdeckt. Wie kamen sie dorthin? Wer wollte sie verstecken? Der Historiker Daniel Lee nimmt den Faden auf und begibt sich auf eine abenteuerliche Recherchereise. Nach und nach setzt er aus einzelnen Puzzleteilen ein ganzes Leben zusammen und schildert, wie aus einem pflichtbewussten Beamten und Familienvater ein ganz normaler Täter werden konnte. Eine fesselnde Erzählung über Schuld und Verantwortung, Erinnern und Vergessen. (Klappentext)

Rezension:

Was die oberen Hierarchie-Ebenen der für den Zweiten Weltkrieg und des Holocausts verantwortlichen Akteure betrifft, ist die Verarbeitung der Geschehnisse und ihrer Folgen weit vorangeschritten, wenn auch dieser fortlaufende Prozess nie ganz abgeschlossen sein wird. Anders sieht es mit der Betrachtung derer aus, auf die sich das NS-Regime stützen konnte.

Warum unterstützten tausende Menschen ein System der willkür, Unterdrückung und des Unrechts? Wie viel wussten die Schreibtischtäter, die vielleicht nicht selbst mordeten, jedoch Befehle bekanntmachten, Verordnungen umsetzten? Was konnte der Einzelne bestimmen und wo entzog sich den Beamten, behördlichen Angestellten die Kontrolle? Wie nutzten die Nationalsozialisten die Menschen für sich?

Ein loser Stapel Dokumente, eingenäht im Stoffpolster eines Sessels, machte den britischen Historiker Daniel Lee neugierig? Zu wen gehörten die Papiere? Wer war der Mensch hinter den Schriftstücken? Warum wurden diese versteckt? Welche Geschichte können diese noch erzählen und wie viel Recherche ist notwendig, um die einzelnen rätselhaften Teile zusammen zu setzen? Herausgekommen ist ein zweiteiliges Porträt, eines über die Person Robert Griesinger, dessen Leben der Autor nachspürt, zum anderen eines über die Arbeitsweise des Historikers selbst.

Verwoben erzählt Lee in diesem Sachbuch mit sehr unscheinbaren Titel, wie ein diffuses Bild immer klarer an Kontur gewinnt und beantwortet dabei nach und nach die zu Eingang gestellten Fragen, nach den unteren Ebenen, auf die sich die Nationalsozialisten stützen konnten, aber auch, welche Rechercheleistung notwendig ist, um den Fragestellungen zu ihren komplexen antworten zu verhelfen und wo die Grenzen für einen Historiker liegen, selbst wenn der Gegenstand verhältnismäßig jüngere Geschichte darstellt.

Sehr kleinteilig beschreibt der Autor seine Suche, die der Leserschaft Konzentration abverlangt, dieser zu folgen, jedoch nicht langatmig daherkommt. Lee weiß spannend zu erzählen, jedoch sachlich zu argumentiere und Fragen, nicht nur der Nachfahren der Person Robert Griesinger, zu beantworten. Auf diesen Ebenen ein wichtiger Beitrag zur weiteren Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und Holocausts, aber auch wichtig, um Laien zu verdeutlichen, wie wichtig die Arbeit von Historikern ist, v. a. wie sie funktioniert.

Autor:

Daniel Lee ist ein britischer Historiker, dessen Forschungsschwerpunkte der Zweite Weltkrieg, der Holocaust, die Geschichte der Juden in Frankreich und Nordafrika darstellen. Nach seiner Promotion lehrte er u.a. in Yad Vashem und am United States Holocaust Memorial Museum. Derzeit unterrichtet er in London und verfasst regelmäßig Beiträge für die BBC.

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Joachim B. Schmidt: Kalmann

Inhalt:

Kalmann Odinsson ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn. Er hat alles im Griff. Kein Grund zur Sorge. Er ist ein waschechter Isländer, auch wenn sein Vater amerikaner war, und ein Original, das in den beinahe ausgestorbenen Dorf dafür sorgt, dass alles seinen Gang geht. er wuchs bei seinem Großvater auf, der ihm das Jagen beibrachte, wie man aus Grönlandhai den besten Gammelhai der Insel herstellt und auch sonst alles, was ein Mann im Leben wissen muss.

Was sich Kalmann am meisten wünscht, ist eine Frau, doch erst einmal muss er aus dem Schlamassel wieder herauskommen, in den er geraten ist, als er eines Winters eine Blutlache im Schnee entdeckte. Und wenn die Räder in Kalmanns Kopf auch manches Mal rückwärtslaufen, wendet er mit seiner naiven Weisheit alles zum Guten. Kein Grund zur Sorge. (Klappentext)

Rezension:

Island einmal nicht als Kulisse eines Thrillers oder faden Naturromans, entführt uns der auf der Insel lebende Schriftsteller Joachim B. Schmidt in das sterbende Dorf Raufarhöfn und hat dabei ein gesellschaftliches Porträt auf kleinsten Raum geschaffen.

Was Joanne K. Rowling in ihrem Roman “Ein plötzlicher Todesfall” ausufernd erzählt, beschreibt Schmidt fasst Schmidt hier in kompakter Form und versucht dabei die Eigenarten Islands und seiner Bewohner einzufangen.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Kalmann, Naturbursche und Isländer, nicht unbedingt ein Sympathieträger, aber auch nicht vollkommen anstößig, wie so viele protagonisten dieses kleinen Romans.

Der letzte Jäger des Grönlandhais, der traditionell erst von seinem Großvater, jetzt von ihm selbst, zu Gammelhai verarbeitet wird, ist eigensinnig und impulsiv, für manchen Gegenüber fast unberechenbar, sorgt jedoch mit seiner Art für einen gewissen Zusammenhalt oder aber wenigstens Zusammenspiel der bewohner des Ortes, zumal er in die unmittelbare Handlung praktisch hineinstolpert.

Landschaftliche Beschreibungen und die Überlegungen Kalmanns, die dieser über das unmittelbare Geschehen und der Dorfbewohner anstellt, sind die großen Stärken des Autoren. Diese tragen die Handlung und lassen mit fortschreitender Seitenzahl doch eine gewisse Spannung aufkommen, die jedoch an der einen oder anderen Stelle zu sehr ins Kitschige abtriftet.

Als lesende Person wird man so immer wieder aus der geschichte hinausgeworfen, um sich dann erneut einfinden zu müssen, zudem das diffuse “Krankheits”-Bild zwar vom Autoren gewollt ist, es die Sache jedoch nicht unbedingt besser macht.

Hier hätte ein wenig mehr konkretisierung, auch beschäftigung mit den Mischformen und Graustufen bestimmter medizinischer Sachen gut getan, wo doch die Grundidee für die Geschichte an sich trägt und dazu geneigt ist, übliche Erzählschemen zu durchbrechen. Vielleicht gelingt dies dem Autoren beim nächsten Roman noch ein wenig besser.

Autor:

Joachim B. Schmidt ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller, der zunächst eine Ausbildung zum diplomierten Hochbauzeichner absolvierte. Mit einer Kurzgeschichte gewann er einen Schreibwettbewerb und veröffentlichte erstmals 2013 seinen ersten Roman. Als Journalist und Touristenquide arbeitet er in Reykjavik, Island, wohin er 2007 ausgewandert ist. Sein Roman “Kalmann” erschien 2020 bei Diogenes.

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Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Book Cover
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Esther Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 05.11.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-462-05222-0 Übersetzer: Tobias Schnettler

Inhalt:

Esther Safran Foer, die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die in der schrecklichen Dunkelheit des Nationalsozialismus begraben wurde.

Nur mit einem Schwarz-Weiß-Foto und einer handgezeichneten Karte reist sie zusammen mit ihrem Sohn in die heutige Ukraine, um das Schtetl zu finden, in dem sich ihr Vater während des Krieges versteckt hatte. Ein Buch gegen das Vergessen und ein kleiner Triumph über den Faschismus.

Rezension:

Kaum eine Familie lebt ohne sie, diesen Anekdoten, denen man sich kaum entziehen kann. Diesen Ereignissen, die immer wieder zur Sprache kommen und so zur Wahrheit eines jeden einzelnen Familienmitgliedes werden, auch wenn dieses das Erzählte selbst nicht erlebt hat.

Es gibt aber auch die andere Form, die unausgesprochenen Ereignisse, Weichenstellungen, Schicksalsschläge, die kaum erzählt werden, nur beiläufig erwähnt oder in ganz besonderen Momenten in Worte gefasst werden.

Etwas, worüber nur selten in Ausnahmefällen gesprochen wird. Einem solchen Moment wohnt Esther Safran Foer bei, als ihre Mutter von der Vergangenheit ihres Mannes beiläufig erzählt. Darauf beginnt eine jahrelange Suche und das Aufbrechen der finstersten Jahre ihrer Familiengeschichte.

Es ist die Geschichte einer Familie, die man vielleicht nicht lesen würde, wenn nicht die Schreibende selbst Mutter eines erfolgreichen Autoren wäre, doch Esther Safran Foer nimmt sich beim Beschreiben dieser, ihres Vaters und ihrer Mutter, bewusst zurück. Die Autorin hält sich an Fakten, lässt die Emotionen dieser Bewältigungsarbeit behutsam einfließen und herausgekommen ist ein liebevolles erschütterndes Porträt.

Wie viel Leid, wie viel Ruhelosigkeit vermag eine junge Familie zu ertragen? Welchen unbewussten Einfluss hat die Geschichte auf das Schreiben ihrer Söhne und ist Verarbeitung ein generationsübergreifender Prozess, der nie beendet werden kann? Diese und andere Fragen stellt man sich unwillkürlich beim Lesen der Zeilen.

Sehr dicht, sehr schnell, fast gedrängt beschreibt die Autorin das Zusammenführen der Puzzleteile, die sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren führt, um diesen nahe zu sein und einen, wie auch immer gearteten Abschluss zu finden.

Es ist ein Streifzug durch die Geschichte der Foers, der fiktionalisiert im Roman “Alles ist erleuchtet” des einen Sohnes begann, sich über die Jahre immer wieder durch das Leben von Esther Safran Foer zieht. Wie ein Detektiv, der lose Fäden findet und zusammenfügen muss, beschreibt sie, wie eine Antwort zu unzähligen neuen Fragen führt, wie ihre Mutter eigentlich mit der Vergangenheit abschließen wollte, doch diese für die Tochter fast zur Obsession wurde.

Wie viel kann eine Familie ertragen? Wie groß müssen Abstände zum Unaussprechlichen sein, um weiterleben zu können? geht das überhaupt? wie groß ist der Einfluss, auf das, was nachfolgt, aquf das Leben weiterer Generationen?

Die Biografie einer Suche nach Antworten, fast so literarisch wie die Schreibarbeit von Jonathan Safran Foer selbst, erschütternd jedoch, wie so vieles, was in den Wirren der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschehen ist, als die Nazis weite Teile Europas in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen ermordeten, nicht zuletzt derer jüdischen Glaubens, wie Teile der Familie Safran, denen mit “Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind” ein Denkmal gesetzt wurde.

Vielleicht kann diese Familienbiografie, die sich eine Episode herausgreift, zum Anlass genommen werden, einmal selbst in der Vergangenheit der eigenen Familie nachzuforschen? Um Klarheit zu schaffen, aber auch offene Fragen zu beantworten und andere aufzuwerfen.

Autorin:

Esther Safran Foer wurde 1946 in Lodz geboren und ist eine US-amerikanische Autorin und ehemalige Geschäftsführerin eines jüdischen Kulturzentrums. Nach dem Holocaust und einige Jahre in einem DP-Lager in Deutschland wanderte die Familie nach Amerika aus.

Sie studierte Politikwissenschaften und arbeitete 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gründete 2002 eine PR-Agentur. Von 2007 bis 2016 leitete sie das jüdische Kulturzentrum “Sixth & I Historic Synagogue”.

2020 schrieb Foer ihre Suche nach der ersten Frau ihres Vaters und dessen Tochter nieder, die beide im Holocaust umkamen. Ihre Söhne sind der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und die Journalisten Franklin und Joshua Foer.

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Thomas Finn: Bermuda

Bermuda Book Cover
Bermuda Thomas Finn Droemer Knaur Erschienen am: 01.09.2020 Seiten: 522 ISBN: 978-3-426-22719-0

Inhalt:

Nur knapp überleben der Biologe Alex Kirchner und die Kreuzfahrt-Mitarbeiterin Itzil Perez den Untergang ihres Luxusliners, der mitten im Atlantik in einen schrecklichen Hurrikan gerät. Zusammen mit einem Dutzend weiterer Überlebender werden die beiden am Strand einer Vulkaninsel angespült.

Doch die vermeintliche Rettung erweist sich schnell als tödliche Falle: Weder Handys noch Kompasse funktionieren; mumifizierte Leichen werden angespült und nachts kommt es zu unheimlichen Licht- und Geräuchphänomenen. Schließlich kommt der erste Schiffsbrüchige ums Leben. Schleifspuren führen in den Mangrovendschungel, in dem ein namenoses Grauen lauert. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Nördlich der Karibik liegt ein legendenumwobenes und zu Teilen gefürchtetes atlantisches Seengebiet, in dem bereits mehrere Schiffe und Flugzeuge spurlos verschwunden sein sollen. Von der kleinen Jolle bis zum großen Frachtschiff sollen unzählige Objekte Opfer der Fluten geworden sein und so ist es kein Wunder, dass auch in der Literatur das Bermuda-Dreieck Grundlage für unzählige Geschichten bietet.

Zuletzt für den hier vorliegenden Horrorthriller des deutschen Autoren Thomas Finn.

Eine verlegerische Entscheidung sicherlich, ist die Ausformulierung von Klappentexten, doch verrät dieser beinahe zu viel, wenn auch nicht so, als dass es gespoilert wäre, doch beginnt mit der Ausführlichkeit eine Grauzone, die mit Vorsicht zu genießen ist.

Ein zwei Sätze weniger hätten es auch getan. Für diese Rezension habe ich mich daher entschlossen, den Klappentext etwas abzuwandeln. Ansonsten ist dies nämlich ein solider Horrorthriller, der alle Alpträume wahr werden lässt.

Das Motiv der idyllisch wirkenden Tropeninsel, auf der sich nach und nach die Hölle auf Erden entwickelt, sei es durch dem Schauplatz selbst oder durch die Protagonisten, ist nicht neu. Tatsächlich werden hier Elemente aus “Robinson Crusoe” ebenso aufgegriffen, als auch aus “Der Herr der Fliegen”, das gilt zum einen für den Schauplatz als auch für den für die Handlung zufällig zusammengewürfelten Personenkreis.

Der Autor bringt von den ersten Seiten an, Tempo in die Handlung, deren Spannungsbogen sich rasant entwickelt. Dem Lesenden wird so schnell wie den Protagonisten, die sich deutlich in Sympathie- und Antipathieträger unterscheiden, klar, welches Grauen auf dem Eiland vorherrschen muss.

Ein jeder geht damit anders um, zum Überleben oder Nachteil der Gruppe gereichend.

Solche Geschichten lesen sich sehr flüssig, doch gilt es kleinere Logikfehler und so manches Mal harte Sprünge zu ignorieren, zwecks Lesegenuss. Der kommt auf, wirkt zum Teilen jedoch wie ein Horrorzweiteiler in den Öffentlich Rechtlichen, zumindest, was diese als solche bezeichnen.

Eine solide Speise ist das, die man essen kann, von der man satt wird, Begeisterungsstürme jedoch nicht auslöst. Einige Überraschungen gegen Ende runden die Geschichte jedoch in soweit ab, dass die Geschichte kein Fehlschlag ist.

Hervorzuheben ist das Erzähltempo und der Spannungsbogen, sowie das formulierte Ende. Für meinen Geschmack hätten der Geschichte jedoch ein paar mehr Seiten gut getan, sowie die Konzentration auf ein paar weniger Genre-Spielarten, als man diese hier vorfindet.

An manchen Stellen wirkt der Mix aus Horror, Historientrhiller, Wissenschaftsthriller, Science Fiction einfach ein wenig zu sehr over the top, von der fehlenden Subtilität einmal ganz abgesehen. Dass man dies über weite Strecken ignorieren kann, liegt allein an der Formulierungsleistung Thomas Finns.

Autor:

Thomas Finn wurde 1967 in Evanston/Chicago geboren und ist ein Schriftsteller und Journalist. Nach der Schule studierte er Volkswirtschaft in Hamburg und arbeitetete parallel als Journalist und Autor für diverse Verlage. Zuvor hatte er außerdem eine Lehre als Werbekaufmann absolviert. 1992 erhielt er den “ZauberZeit-Lesepreis”. Seit 2001 arbeitet er als Roman-, Spiele- und Drehbuchautor.

Bis 2011 war er zudem im Redaktionsstab des Rollenspiels “Das schwarze Auge” (DSA) tätig. Finn lebt und arbeitet in Hamburg.

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Sasa Stanisic: Herkunft

Autor: Sasa Stanisic

Titel: Herkunft

Seiten: 366

Genre: Biografie/Rezensionsexemplar

Format: Hardcover

ISBN: 978-3-630-87473-9

Verlag: Luchterhand

Inhalt:
“Herkunft” ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. (Klappentext)

Rezension:
Einem Autoren, der den Deutschen Buchpreis bekommen hat, sollte man grundsätzlich misstrauen. So jedenfalls scheint es, wenn man die Meinungen von Feuilleton, Buchhandel und Leserschaft gegenüber stellt. Gerade Stanisics Werke polarisieren.

Doch ist es nicht die vornehmste Aufgabe eines Schriftstellers, die Leser zu zwingen, Stellung zu beziehen? Genau das tut Sasa Stanisic in seinem semibiografischen Werk “Herkunft”, welches als loses Puzzle beginnt, sich erst nach und nach zu einem schlüssigen Gesamtbild zu fügen.

Dabei sind die Themen, aus denen der im ehemaligen Jugoslawien geborene Schriftsteller schöpfen kann, vielfältig. Familie natürlich, spielt immer eine Rolle. Der Begriff “Heimat, was ist das überhaupt, sowie so.

Der Zerfall eines Staates in seine Einzelteile, sowie das Erlangen der Sprache, das Spielen mit der selben und natürlich Biografie, seine selbst und die der Großmutter, die noch in einer anderen Zeit aufgewachsen ist, bedingt durch ihr schwindendes Gedächtnis nur dort wieder Zuflucht findet.

Stanisic zeigt, was es heißt, Heimat zu verlieren, zu gewinnen, aus der Herkunft Kraft zu ziehen und das Leben zu lieben. Trotz der Unwägbarkeiten, oder gerade deshalb.

Das ist zunächst nur schwer zugänglich. Das gekonnte Spielen mit der Sprache, die nicht die erste ist, Zeitsprünge, denen man sich als Leser ausgesetzt sieht, die anfangs nur schwer nachzuvollziehen sind, Puzzelteile, die kein klares Bild ergeben.

Die ersten Seiten muss man sich erkämpfen, das erste Drittel des Werkes auf sich wirken und Schreib- und Erzählstil wirken lassen. Sasa Stanisics Perspektive ist die des Kindes, des Jugendlichen, des Erwachsenen und immer die des Suchenden. Verwirrend ist das, aber gerade zu genial.

Es ist der 7. März 2018 in Visegrad, Bosnien und Herzegowina. Großmutter ist siebenundachtzig Jahre alt und elf Jahre alt.

Sasa Stanisic: “Herkunft”

Wer die dadurch entstandenen Hürden überwindet, entdeckt eine wunderbare Erzählung, zieht Parallelen zur heutigen Zeit. Wie mag es den hunderten Flüchtlingen heute gehen, die natürlich eine Herkunft haben, eine Heimat verloren haben und eine neue suchen?

Was ist das überhaupt, Heimat? Essentielle Fragen, auf die es keine einfache, keine eindeutige Antwort geben kann. Dies zu verdeutlichen, ist Stanisics Stärke, natürlich im Zusammenhang mit dem Spiel der Sprache.

Die Stile vermischen sich. Mal biografische Erzählung, mal Aufsatz, mal Roman und am Ende gar Spielbuch. Entscheide du, wie das Geschriebene endet. Als loses Puzzle, also so, wie “Herkunft” begann, als Phantasiegeschichte des Enkels, der Großmutter oder eben als schlüssiger Roman, der es in sich hat.

Je nach Stimmung, kann man probieren, was für sich funktioniert. Toll. In Bezugnahme auf frühere Texte Stanisics, Reden, Kapitel aus anderen Büchern, zeigt dieses Werk, was so vieles sein soll, so vieles ist, dass hier ein Schriftsteller Träger des deutschen Buchpreises zurecht ist.

Der Lesende wird aus der Lektüre mit mehr Fragen entlassen, als Antworten zu bekommen. In diesem Falle, eine große Stärke.

Autor:

Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad, Jugoslawien, geboren und ist ein deutschsprachiger Schriftsteller. 1992 flüchtete er mit seiner Familie nach Deutschland und studierte nachder Schule Literatur.

Für Erzählungen und Romane, erhielt er u.a. den Preis der Leipziger Buchmesse, sowie zuletzt den Deutschen Buchpreis. 2019 kritisierte er die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke.

Er ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg und des PEN-Zentrums Deutschland. Stanisic lebt mit seiner Familie in Hamburg. Seit 2013 ist er deutscher Staatsbürger.

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Sophie von Maltzahn: Liebe in Lourdes

Liebe in Lourdes Book Cover
Liebe in Lourdes Rezensionsexemplar/Roman Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 218 ISBN: 978-3-462-05205-3

Inhalt:

Jahr für Jahr pilgert der adel in Ordensformation nach Lourdes. Diese spirituelle Reise im Dienste der Bedürftigen ist ein wichtiger Teil der aristokratischen Erziehung – und gleichzeitig ein idealer Heiratsmarkt. Neu dabei ist Kassandra: Großstädterin, Ende dreißig und nur bedingt erlösungswillig. Doch die Tage im “Heiligen Bezirk” werden sie dennoch alles andere als unberührt lassen. (Klappentext)

Rezension:

Wie bewertet und rezensiert man einen Roman, zu den man bis zuletzt kaum Zugang gefunden hat? Zunächst, vielleicht bin ich auch nicht der richtige Leser. total wissenschaftsgläubig, habe ich überhaupt nichts mit Religion am Hut. Grotten interessieren mich höchstens aus naturwissenschaftlicher und Kirchen aus der geschichtlichen und architektonischen Perspektive.

Mit Marienerscheinungen oder religiösen Erfahrungen kann ich nur in sofern etwas anfangen, als dass ich mich frage, was man im Kaffee oder Tee am Morgen gehabt haben muss, um diverse “Wunder” zu erleben. Den Stoff will ich auch. Zwar soll jeder glauben, was er oder sie will, aber mich damit bitte dann auch in Frieden lassen. Und vielleicht war das dann genau die falsche Perspektive, mit der ich an diesen Roman herangegangen bin.

Worum geht es? Jahr für Jahr organisieren kirchliche und Bihinterenverbände Zugfahrten nach Lourdes, einer christlichen Pilgerstätte, deren Grotte, Kirche und Quelle ganz besondere Kräfte zugeschrieben werden. Marienerscheinungen soll es dort gegeben haben, um die siebzig Wunderheilungen hat die katholische Kirche anerkannt und auf diese Begegnungsstätte zurückgeführt. Der Leser dieses Romans begleitet solch einen Pilgerzug und eine Protagonistin, die ähnlich gestrickt ist wie der Rezensent, jedoch ihr ganz eigenes Wunder sucht.

Kritisch beobachtet Kassandra die menschlichen Verwerfungen, die es auch auf einer solch organisierten Fahrt gibt. Konkurrierende Pflegekräfte, Gläubige auf Sinnsuche und behinderte Kinder, denen man etwas gutes tun möchte, es aber eher für das eigene Seelenheil auf sich nimmt, Teil der Gruppe zu sein. Schon hier fragt man sich, was diese Erzählung eigentlich sein soll. Religiöser Erweckungsroman, eher nicht.

Liebeserklärung an Lourdes, bestimmt. Die Autorin Sophie von Maltzahn war bereits mehrmals dort. Erfahrungsroman, auch. Liebesroman, na ja. Fassbarer als auf den ersten Seiten wird’s jedoch nicht.

Tatsächlich ist hier zwar eine Art Handlungsrahmen vorhanden, der Spannungsbogen fehlt jedoch, so dass die gesamte Erzählung erstaunlich farblos bleibt. Die Protagonisten haben alle Ecken und Kanten und sicherlich viel zu erzählen. Mehr Sinnsuche hätte dem Roman gut getan. Der Autorin ist es jedoch nicht gelungen, das auch umzusetzen. An der sprachlichen Ausarbeitung liegt es nicht. Die ist sehr schön gestaltet.

Ein Leser kann sich durchaus in einzelne Szenen verlieben und in Sätzen verlieren, wenn die Sprache und die Figuren jedoch die einzigen Pluspunkte sind, die DDraufsicht nicht funktioniert und die Handlung an jedem Ort der Welt spielen könnte, fehlt das Besondere und macht alle Bemühungen zu nichte, dem Leser einen Zugang zu schaffen.

Nein, die Autorin hat es nicht geschafft, mich zu erreichen. Eine gute Idee und eine schöne Sprache machen noch lange keine gute Erzählung. Vielleicht findet die jedoch jemand von euch? Gebt mir dann Bescheid.

Autorin:

Sophie von Maltzahn wurde 1984 geboren und studierte Betriebswirtschaft, Kunsgeschichte, sowie Ägyptologie. Danach arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für verscgiedene Zeitungen und als Redakteurin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie schrieb an ihren eigenen Blog “Ding und Dinglichkeit”, fuhr mit 24 Jahren zum ersten Mal nach Lourdes. Die Autorin lebt in Berlin.

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