Freundschaft

Hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Inhalt:

Am Rand der südkoreanischen Metropole Seoul liegt die “Blumeninsel”, eine gigantische Müllhalde, Lebensgrundlage und Wohnstätte einer Kolonie von Habenichtsen und Ausgestoßenen, die dort ihre Claims abgesteckt haben. Unentwegt durchkämmen sie den frischen Abfall der boomenden Stadt nach Verwertbaren. hier landet der 13-jährige Glupschaug zusammen mit seiner Mutter, nachdem sein Vater von der regierung in ein “Umerziehungslager” gesteckt wurde.

Es ist kein tiefer Fall, denn sie kommen aus den wuchernden Slums der Mega-City, wo seine Mutter Straßenhändlerin ist. Glupschaug hat die Schule abgebrochen und geht seiner Mutter zur Hand, für die sich ein in der Hackordnung weit oben stehender Müllhaldenbewohner interessiert. Dieser “Baron” ist Glupschaug unsympathisch, eine verhasste Stiefvaterfigur. Mit Glatzfleck, dem Sohn des Barons, freundet er sich jedoch rasch an. Glatzfleck nimmt ihn mit auf seine Abenteuergänge und eröffnet ihm eine geheimnisvolle Welt jenseits der gewaltigen Müllberge. (Klappentext)

Rezension:

Das Leben in Millionenstädten ist ein unaufhörlicher Verdrängungswettbewerb, der täglich Existenzen scheitern lässt. Wie Gegenstände, die sich überholt haben oder nicht mehr gebraucht werden, werden auch die Menschen sehr schnell aussortiert, an den Rand gedrängt. In einigen Ländern greift dann ein soziales Netz, welches die schlimmsten Auswirkungen abfedert.

Vielerorts gibt es das jedoch nicht. So finden sich auch der 13-jährige Glupschaug und seine Mutter am Rande einer Mülldeponie wieder, auf der sie fortan leben sollen. Der einzige Platz, der ihnen in der Mega-City Seoul noch bleibt. Glupschaug muss mit der neuen Situation zurechtkommen, denn die Deponie verzeiht nichts, doch findet er schnell Anschluss in dieser eigentümlichen Welt.

In seinem Roman “Vertraute Welt” verdeutlicht der südkoreanische Schriftsteller Hwang Sok-yong die Schattenseiten des Erfolgs seines Landes. “Tigerstaat” nennt man Südkorea zuweilen, dass in Sachen Technologie Spitzenpositionen einnimmt, doch rau ist zu den Menschen, die diesen Fortschritt schaffen.

Wer nicht aufpasst, bleibt zurück, der Fall ist mitunter tief und so nimmt der Autor uns mit zu jenen, die damit nicht mithalten können. All jenen Vergessenen, die die Gesellschaft wie gerade weggeworfene Gegenstände behandelt, gibt er eine Stimme.

Von Beginn an begleiten wir den sehr sympathischen Hauptprotagonisten, einen Jungen, der in dieser rauen Umgebung zu schnell erwachsen werden muss und doch immer wieder an grenzen stößt, die aufzeigen, dass er eben doch nur ein Kind, ein Jugendlicher ist. Wir durchstreifen mit ihm eine eigentümliche welt, die hwang Sok-yong uns sehr plastisch vor Augen führt. . Fast ist es, als würde man den Müll in seiner gaballten Form vor sich sehen, spüren, wie sich Gerüche von Vergangenem in Kleidung und Haut festsetzen, während Gase einen metallischen Geschmack auf der Zunge hinterlassen.

Glupschaug lebte nun schon länger als einen Monat auf der Blumeninsel. Seine Mutter hatte ihm gleich am Anfang einreden wollen, dies sei eben auch nur ein Ort wie viele anderer, wo Menschen hausten. Doch er ließ sich nichts vormachen. Es war ein Mishaufen. Hier landeten Sachen, die man weggeworfen hatte. Verbraucht, nicht mehr interessant, kaputt. Und auch die Menschen, die hier lebten, waren von der Stadt aussortierte und entsorgte Existenzen.

hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Viele Worte verliert er dabei nicht, dafür um so härtere. Trotzdem blitzen hin und wieder kleine Momente des Glücks auf, die es auch dort gibt. Sonst würde man die Erzählung kaum durchhalten. Die Figuren sind klar gezeichnet, haben alle ihre Geheimnisse, Ecken und Kanten, auch die Welt des Slums, der ein reales Vorbild nahe dem berühmten Stadtteil Gangnam hat, wird sehr kompakt geschildert. Hart und kompromisslos schildert er diese Leben, immer aus Sicht Glupschaugs.

Für die Entwicklung des Hauptprotagonisten und jenen, die ihn direkt umgeben, gibt Sok-yong dagegen Raum. Wir begleiten Glupschaug, der auf diesen Spitznamen stolz ist, da ehrlich errungen, durch die Müllberge, Hütten aus Wellblech und Pappe Mit jeder voranschreitender Zeile spüren wir die sich heranschleichende Katastrophe, in dieser dennoch irgendwie heilen Welt, wenn man davon sprechen kann.

Der Autor übt Kritik, wie in seinem Leben schon so oft, und legt den Finger in die Wunde. Die Härte der asiatischen Gesellschaft zu den sozial Schwachen wird ebenso dargestellt, wie die Wegwerfmentalität unserer Wohlstandsgesellschaft. Welchen Preis lassen wir die unteren Schichten für unser Leben zahlen? Was wird aus uns, wenn wir selbst aussortiert werden, wie der Müll um uns herum?

Autor:

Hwang Sok-yong wurde 1943 in Xinjing, damaliges Mandschukou, heute zu China gehörig, geboren und ist ein südkoreabnischer Autor, der schon als Schüler Erzählungen schrieb. Er schloss ein Philosophiestudium ab und kehrte 1969 aus dem Vietnamkrieg zurück, engagierte sich später aktiv in der Demokratiebewegung der 1970er und 80er Jahre. In den 1970er Jahren entstanden seine ersten Romane, die sich mit der Frage der Arbeiterbewegung und der Teilung Koreas beschäftigten.

1985 formulierte er ein Manifest für die Demokratiebwegung in Korea. Nach Teilnahme an einem Treffen von Schriftstellern in Nordkorea lebte er für mehrere Jahre abwechselnd in Berlin und New York, wurde nach seiner Rückkehr nach Südkorea wegen seiner Besuche im Nachbarland zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1998 wurde er begnadigt und zum südkoreanischen Kulturbotschafter für Nordkorea ernannt. Seine Werke wurden mehrfach übersetzt, teilweise verfilmt und ausgezeichnet.

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Michael Göring: Dresden – Roman einer Familie

Inhalt:

Fabian reist 1975 zum ersten Mal über die deutsch-deutsche Grenze zur Familie Gersberger nach Dresden. Danach kommt er fast jedes Jahr. Er verliebt sich in Anne, freundet sich an mit ihrem Bruder Kai und wird Zeuge, wie die Unzufriedenheit mit dem Staat von Jahr zu Jahr wächst. Gleichzeitig erlebt Fabian eine zwischenmenschliche Wärme in der Familie, die ihn, den Westbesucher, herausfordert und verändert.

Michael Göring schreibt eine bewegende Familiengeschichte und erzählt einfühlsam und präzise von den entscheidenden Jahren 1975-1989. (Klappentext)

Rezension:

Wie umfassend kann ein zeithistorisches Portrait sein? Wie komplex die Betrachtungen der Sichtweisen und wie vielschichtig die Protagonisten? Daran scheitern die Schreibenden großer historischer Romane immer wieder, zumal wenn zwischen vergleichsweise wenigen Seiten viel erzählt werden soll.

Besser ist es, sich auf einen genau umrissenen Ausschnitt zu konzentrieren. Das versucht der Schriftsteller Michael Göring mit seiner Erzählung “Dresden – Roman einer Familie”.

Die in Zeitsprüngen erzählte Handlung umfasst die letzten Jahre der DDR, deren Wandel er aus der Sicht des zunächst wohlwollenden Westbesuchers erzählt, der jugendlich optimistisch zunächst die Schwächen des Systems großzügig übersieht, wozu auch die ihm umgebenden Protagonisten beitragen.

Der Besucher von “Drüben” soll einen guten Eindruck bekommen, schon die menschliche Wärme der Gastgeber nimmt Fabian in sich auf, nichts ahnend, dass sein Schicksal vom ersten Treffen an mit denen der Gersbergers eng verknüpft sein wird. So erlebt auch er immer mehr das Leben hinter der zunehmend bröckelnden Fassade, aber auch die verschiedenen Innenansichten, die die Jahre 1975-1989 prägten.

Der Autor zeichnet die Protagonisten klar, die jenigen, die sich im System eingerichtet haben und ihr kleines Glück gefunden haben, eben so, wie diese, die an den Schwächen zweifeln oder gar ihr Heil in der Flucht suchen. Das gelingt an vielen Stellen, anderes muss man mit eigenen Erfahrungen abgleichen oder mit den Geschichten, die einem selbst erzählt worden.

Klar ist, der Autor bringt in den Hauptprotagonisten teilweise seine Perspektive ein, die wohlwollend wirkt, aber nichts übersieht. Gleichsam machen auch die anderen Figuren eine langsame Wandlung durch, verstärkt durch den Kontrast der Zeitsprünge, die kapitelweise erfolgen.

Beim Lesen muss bewusst sein, dass es neben dieser auch unzählige andere Sichtweisen gibt, ja, geben muss, der Fokus liegt hier aber vor allem auf die familiäre Dynamik zwischen den Jahren, derer man sich nicht entziehen möchte.

Es ist kein Roman mit Knalleffekt oder mit Zeigefinger, zumal an nicht wenigen Stellen einfach zu knapp gehalten, gar ein sprachlicher Geniestreich. Eine nette Familiengeschichte bekommt man. Nicht mehr und nicht weniger. Manchmal reicht das aber.

Autor:

Michael Göring wurde 1956 in Lippstadt geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Zuinächst studierte er Anglistik, Geografie, Amerikanistik und Philosophie, bevor er sich mit englischen Literaturwissenschaften beschäftigte.

1986 war er als Hochschulassistent an der Universität München tätig und wechselte darauf zur Studienstiftung des deutschen Volkes nach Bonn. 2011 erschien sein erster Roman, darauf folgten weitere. Er ist Mitglied und Vorsitzender der ZEIT-Stiftung und lehrt an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Göring wurde mehrfach ausgezeichnet und gehört zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union.

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Sasha Filipenko: Der ehemalige Sohn

Inhalt:

Wie fühlt sich ein junger, lebenshungriger Mann in Belarus? Eine hochaktuelle Geschichte über die Sehnsucht nach Freiheit. Eigentlich sollte Fransisk Cello üben fürs Konservatorium, doch lieber genießt er das Leben in Minsk. Auf dem Weg zu einem Rockkonzert verunfallt er schwer und fällt ins Koma. Alle, seine Eltern, seine Freundin, die Ärzte, geben ihn auf. Nur seine Großmutter ist überzeugt, dass er eines Tages wieder die Augen öffnen wird. Und nach einem Jahrzehnt geschieht das auch. Aber Zisk erwacht in einem Land, das in der Zeit eingefroren scheint. (Klappentext)

Rezension:

Immer mehr Menschen drängen Richtung U-Bahn-Schacht, als ein Unwetter über sie hereinbricht und schieben die anderen vor sich her. Schutz suchen sie. Immer enger wird es im Tunnel, immer weniger Luft bekommen jene, die sich schon im Inneren befinden. Noch, als der Schacht voll ist, bewegen sich die Massen, die ersten werden niedergetrampelt, förmlich zerquetscht. Am Ende des Tages wird es unzählige Verletzte geben und zu viele Tote. Auch der jugendliche Cello-Schüler Franzisk ist unter den Opfern und wird darauf hin zehn Jahre lang im Koma liegen. Als er wieder erwacht, ist die Welt eine andere und doch stehengeblieben.

Leise kommen die Romane von Filipenko daher, um die Lesenden dann in einem Strudel von Gefühlen zu werfen, dem man sich kaum entziehen kann. Dies ist so, auch im zweiten Roman aus der Feder des belarussischen Schriftstellers Sasha Filipenko, der es auch hier versteht, seine Leserschaft mitzureißen. Er erzählt von Belarus damals und heute, von Trostlosigkeit und Tristesse, von der Hoffnungslosig- und Müdigkeit der Menschen und dem Glauben daran, was wäre, wenn doch noch das Unmögliche geschieht.

“… Verzeihen Sie, wenn ich unhöflich bin, aber Sie sind schon ein wenig mühsam, das ist, verdammt nochmal das Leben. Ihr Enkel ist tot! Tot, verstehen Sie? Finden Sie sich damit ab. Er ist tot. Wenn Ihnen dieses Wort nicht in den Kopf hineingeht, dann vielleicht >krepiert<. Es ist aus mit ihm. Er ist gestorben. Das Gehirn ihres Enkels wird nie wieder funktionieren, nie, hören Sie mich?” “Wissen Sie was, Herr Doktor? Lecken Sie mich am Arsch!”

Sasha Filipenko: Der ehemalige Sohn

Dabei ist der Hauptteil des Romans sehr düster gehalten. Nur ganz wenige positiv besetzte Protagonisten begegnen hier vielen Unsympathen, denen man im realen Leben lieber ausweichen sollte. Wer in die Geschichte um Franzisk eingesogen wird, muss das über sehr weite Strecken aushalten können, wird immer nur kurz mit wenigen Funken Hoffnung für die Figuren entlohnt. Filipenko, der auf Russisch im Nachbarland über die Stadt seiner Kindheit schreibt, greift hier die brodelnde Stimmung seiner Heimat auf, beschreibt diese aus der Sicht des Ausgewanderten, des Entfernten und doch ganz nahen Beobachters.

Bevor er seine Leserschaft ins kalte Wasser einer Stadt wirft, deren Obere der dort lebenden Bevölkerung längst das Herz herausgerissen haben, stimmt er seine Leser im Vorwort darauf ein. Die Übersetzerin Ruth Altenhofer ordnet, sortiert und erklärt im Nachwort, wie viel Sasha Filipenko eigentlich an Themen gelungen ist, auch zwischen den Zeilen zu verarbeiten, egal ob dies geschichtliche und politische Ereignisse in Belarus betrifft oder die jenigen, die grausame Paten standen, für die Geschehnisse des Romans.

Die Angst floss aus seinem Körper ins Haus. Die Angst war in seiner Wohnung und in der Wohnung gegenüber, hier, überall, in der ganzen Stadt.

Sasha Filipenko: Der ehemalige Sohn

Der Autor zeigt einem lebenshungrigen Protagonisten, der aus dem Alltag herausgerissen und umgeworfen wurde, aber auch, dass es sich lohnt, für sich selbst zu kämpfen, übertragen, dass vielleicht auch der Kampf der jungen Menschen in Belarus für eine Zukunft ihres Landes, für Freiheit und Demokratie, eines Tages Früchte tragen wird. Gäbe es das Nachwort nicht, müsste man vieles davon zwischen den Zeilen lesen, dort wird es denen, die das nicht können, erklärt.

Die Grundstimmung der Erzählung macht das fortlaufend geschriebene Werk nicht gerade zu einer einfachen Lektüre, zumal diese einem nachdenklich und bedrückt zurücklassen wird. Filipenko beeindruckt und legt im Gegensatz zu seinem Debüt, welches vergleichsweise leise daherkam, noch einmal eine Schippe drauf. Großartig ist das, gleichsam ein Cellospiel in Worten.

Autor:

Sasha Filipenko wurde 1984 in Minsk geboren und ist ein weißrussischer Schriftsteller der auf Russisch schreibt. In seiner Wahlheimat St. Petersburg studierte er nach einer abgebrochenen Musikausbildung Literatur und widmete sich der journalistischen Arbeit, war Drehbuch-Autor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und Fernsehmoderator.

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Björn Stephan: Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau

Inhalt:

Sommer, 1994. Sascha Labude ist ein etwas verträumter 13-Jähriger, der einzigartige Worte sammelt. Sein Leben ist relativ ereignislos, also abgesehen davon, dass das alte Land untergegangen und Saschas Vater verstummt ist und sein bester Freund Sonny so berühmt werden will wie Elton John.

Doch dann zieht Juri in die Siedlung, ein Mädchen, das alles über das Universum weiß und ganz anders ist als Sascha – nämlich mutig. sogar so mutig, es mit den schlimmsten Schlägern der Siedlung aufzunehmen. (Klappentext)

Rezension:

Der Brief, er liegt schon länger auf dem Schreibtisch des einstigen Kindes, wird geöffnet. Erinnerungen durchfluten Jenni, die nun junge Frau, die bis dahin erfolgreich verdrängt hat, was damals passierte. Die Perspektive wechselnd, Leserin und Leserschaft reisen zurück, in eine Zeit, in der sich alles veränderte, nichts blieb, wie es vorher war.

Beinahe zu ruhig beginnt das Autorendebüt, was uns Leserschaft hier vorliegt und wird doch immer schneller, heftiger werden, mit jeder Zeile, die uns in die Geschichte einsaugt. Wir begleiten den Hauptprotagonisten, der sich selbst für nicht sichtbar für seine Umgebung hält, durch die Tage.

Selbst die Schläger, die im selben Treppenaufgang wohnen, wie er, beachten Sascha nicht. Dem verträumten Jungen, der noch blasser neben seinem besten Freund wirkt, ist dies nur Recht. Seinen größten Schatz hütet er in einem unscheinbaren Heft. Wörter, die es nur einmal auf der Welt in einer einzigen Sprache gibt und die nur dort eine bestimmte Bedeutung haben. Sascha sammelt sie, hält fest, um sich an etwas zu halten. So kann es bleiben.

Tut es nicht. Diesen Sommer wird sich das Lebend es Jungen schlagartig ändern, wie auch die Welt um ihn herum sich ändert. So beobachtet der/die Lesende den Hauptprotagonisten, der zunächst Beobachter, dann Akteur der Ereignisse ist.

Vielschichtig sind die Protagonisten um ihn herum, die Beschreibungen Björn Stephans tun ihr übriges, um sofort den typischen Geschmack des damals angesagten Kaugummis im Mund zu haben und die flirrende Umgebung der Plattenbauten zu spüren, die den Handlungsort prägen. Der Autor indes hat sich hier viel vorgenommen.

Er erzählt von der Zeit zwischen Kindheit und Jugend, von Freundschaft und erster Liebe, von Beobachtung und Irrtum, Angst, Mut und dem Erkennen, dass nichts ist, wie es scheint.

Stephan gelingt es kunstvoll, nicht nur Zeitsprünge zu verbinden, sondern auch Klippen des Kitsches zu umschiffen, einmal haarscharf, zudem mehrere Enden unterzubringen. Jeder Strang wird zu Ende erzählt. Lücken werden durch das Kopfkino gefüllt, besonders gegen Ende eine kleine Herausforderung für die Leserschaft.

Ein Roman, der auf vergleichsweise wenigen Seiten so viel zu erzählen hat und auf mehreren Ebenen die Lesenden nachdenklich zurücklässt, dabei sprachlich schön geschrieben ist, bleibt. So wie die Wörter in Saschas Heft.

Autor:

Björn Stephan wurde 1987 in Schkeuditz geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Aufgewachsen in Schwerin, studierte er zunächst in Berlin Geschichte und Politikwissenschaft und besuchte anschließend die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Er schreibt für die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, arbeitet als freier Reporter. Seine Texte und Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Sozialpreis und dem Reporterpreis. Im Jahr 2021 erschien sein erster Roman. Der Autor lebt in München.

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Ulrike Ulrich: Während wir feiern

Während wir feiern Book Cover
Während wir feiern Ulrike Ulrich Piper/Berlin Verlag Erschienen am: 06.07.2020 Seiten: 272 ISBN: 978-3-8270-1408-5

Inhalt:

Ein einziger Tag. Symbolisch aufgeladen. Während die einen feiern, kämpfen andere um die Existenz. In ihrem kaleidoskopartig aufgebauten Roman erzählt Ulrike Ulrich klug, anspielungsreich und mit großem Witz von dem, was hier und jetzt passiert, und davon wie auch kleine Entscheidungen unsere Leben und die der anderen beeinflussen. (Klappentext)

Rezension:

Wie in jedem Jahr feiert die deutsche Sängerin Alexa am Abend des Schweizer Nationalfeiertages ihren Geburtstag mit einer Dachparty, leider noch ohne Einbürgerungsbescheid. Doch, in diesem Jahr scheinen sich die Ereignisse schon vorher zusammen zu brauen und schließlich zu überschlagen.

So beginnt der zunächst ruhig erscheinende Roman, der quasi einer Zustandsbeschreibung der in die Schweiz Eingewanderten gleicht und das nicht zu knapp. Einwanderung, Einbürgerung, Heimat ist das große Thema, Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Ulrike Ulrich legt mit klaren Worten den Finger in die Wunde der Diskussion, zeigt die Ungleichbehandlung verschiedener Suchender auf und verwebt die Handlungsstränge bis hin zu einem großen Finale.

Sprachlich fein gearbeitet, wechseln sich schnelle stakkatohafte Sätze mit langsamen beschaulichen Abschnitten ab, die im Perspektivwechsel die Geschichte um Alexa und ihres Bekanntenkreises erzählen. Die Hauptprotagonisten sind vielschichtig ausgearbeitet, mit all ihren Grautönen und Problemen, die nicht zu kurz abgehandelt werden und doch die Lesenden nicht über Gebühr strapazieren.

Aufhänger dabei ist das traditionelle Guggisberglied, ein Schweizer Volkslied, welches das Thema des sich stetig drehenden Mühlrads zum Ausdruck bringt, welches sich wiederum auf die einzelnen Handlungsstränge übertragen lässt.

Interpretation des Guggisberglieds von Stephan Eichner.

Eigentlich hat er am meisten Angst davor, dass es wächst, wenn er davon spricht. Dass es größer wird. Und es könnte gut sein, dass sie es größer machen wird. Dass ihr Blick, ihre Fragen, ihre Art, damit umzugehen, dazu beitragen werden, dass er es nicht mehr kontrollieren kann. Und was dann?

Aus Ulrike Ulrich “Während wir feiern”, Berlin Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-8270-1408-5.

Der Roman selbst ist durch Absätze und Leerzeilen, Perspektivwechsel gegliedert, lässt sich so auch ohne Kapiteleinteilung leicht in kurze Abschnitte gliedern und leicht lesen. Zwar wechseln sich schnell und langsam zu lesende Abschnitte ab, dies passt jedoch zu den jeweilig erzählenden Protagonisten. Deren Handlungsstränge bauen logisch aufeinander auf, laufen erst getrennt und werden nach und nach verknüpft.

Ulrike Ulrich lässt Welten und Sichtweisen aufeinander prallen, zeigt, wie unsere Entscheidungen das Leben anderer Personen beeinflusst und dass jede Feier zu einem “Tanz auf den Vulkan” werden kann, zumal man die Gedanken der Hauptprotagonistin ganz leicht auf die Autorin selbst übertragen kann. Ähnlicher Hintergrund, Migrationsgeschichte, Sozialisierung.

Der Erzählstil lässt dies vermuten, auch ihre gegenteiligen Ansichten zu den rechten Rändern der Gesellschaft, die es auch in der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie gibt. So ist dieser Roman ein Stück Literatur, welches die Frage in den Mittelpunkt stellt, welche Entscheidungen wir treffen wollen und warum, mit der Aufforderung den Einfluss dieser auf andere Leben zu überdenken und zu hinterfragen.

Wer nicht so weit denkt, findet dabei immer noch eine schöne, lesenswerte Geschichte, im heutigen Zürich spielend. Und das soll ja nicht unansehlich sein.

Autorin:

Ulrike Ulrich wurde 1968 in Düsseldorf geboren und ist eine schweizerisch-deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie Germanistik, Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft, bevor sie im Bereich Kommunikationslinguistik arbeitete. Nach Aufenthalt in Wien, lebt sie seit 2004 in Zürich. Sie schreibt Prosa, Lyrik, Drehbücher, Kolumnen und Hörspiele, ist zudem als Herausgeberin für Anthologien tätig.

Die Autorin, die 2004 ihr erstes Buch veröffentlichte, ist Mitglied des Schriftstellerverbandes “Autorinnen und Autoren der Schweiz”, sowie des Deutschschweizer PEN-Zentrums. Ulrichs Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit den Walter-Serner-Preis im Jahr 2010.

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Chris McGeorge: Der Tunnel

Der Tunnel - Nur Einer kommt zurück Book Cover
Der Tunnel – Nur Einer kommt zurück Chris McGeorge Droemer Knaur Erschienen am: 04.05.2020 Seiten: 346 ISBN: 978-3-426-22709-1 Übersetzer: Karl-Heinz Ebnet

Inhalt:

Sechs junge Leute, seit Jahren beste Freunde, fahren mit dem Boot in Englands längsten Kanaltunnel – ein Abenteuer in beklemmender Dunkelheit. Als das Boot am anderen Ende des Tunnels wieder auftaucht, sind fünf der Freunde spurlos verschwunden. Der sechste, Matthew, ist bewusstlos. er beteuert seine Unschuld, ist aber der einzige Verdächtige in diesem mysteriösen Fall, bei dem sich die Presse erstaunlich bedeckt hält. Was ist während der Fahrt geschehen? (Klappentext)

Rezension:

Beklommenheit breitet sich in denen aus, die eine Fahrt unterhalb des Penninengebirges wagen, von Masden nach Diggle im nördlichen England. Dort befinden sich die Standedge-Tunnels, eine wagemutige Leistung britischer Ingenieurskunst, die den Transport von Waren und Menschen in der Region vereinfachen sollte. Doch, was ist, wenn in den zum teil stillgelegten Röhrren plötzlich Menschen verschwinden? Nun hat der englische Autor Chris McGeorge diesen Gedanken heraus einen düsteren Thriller gestrickt.

Aus der Perspektive des mittelmäßig erfolgreichen Autoren Robin Ferringham wird die Geschichte erzählt, derer eine reale geografische Situation zugrunde liegt. Robin Ferringham, gerade dabei, wenig erfolgreich das spurlose Verschwinden seiner Frau zu verarbeiten, erhält einen mysteriösen Anruf aus einem Gefängnis im nördlichen England.

Am anderen Ende der leitung, ein des Mordes an fünf Menschen Verdächtiger, der behauptet Informationen zu den Vorfall zu besitzen, der Robins Leben auf ewig veränderte und nebenbei unschuldig zu sein, an dessen, was man ihm vorwirft.Ttrotz aller Zweifel begibt sich der Protagonist nach Masden und entdeckt nicht nur die verstörenden Tunnel und eine trauernde Dorfgemeinschaft, wird jedoch bald selbst Teil eines mörderischen Spiels.

Die große Zeit englische Kriminalliteratur ist vorbei, möchte man meinen, jedenfalls wenn man diese Art von Literatur sich zu Gemüte führt. Tatsächlich hat der zunächst spannend und auf realen Gegebenheiten aufgebaute Thriller so einige Schwächen, die die positiven Seiten schnell in den Hintergrund rücken.

Die realen Gegebenheiten bieten zunächst eine Steilvorlage für hochspannende Storys, die man praktisch nur noch einfügen muss, sind dabei noch die Protagonisten und ihre Motive detailreich ausgearbeitet, würde ein solches Werk funktionieren. Die Hauptprotagonisten hier sind anfangs farblos, hier hat der Autor jedoch im Laufe des schreibens nachgebessert, für die imens wichtigen Nebencharaktere gilt dies jedoch nicht. So richtig klar wird bis zum Ende weder Motiv noch sonstiger Beweggrund, auch der Rätselfaktor bleibt nicht durchgehend bis zum Ende erhalten. Ein netter Versuch.

Pluspunkte Chris McGeorges sind Schreib- und Erzählstil, denn dies kann der Autor, wenn auch der Spannungsbogen hin und wieder gibt, doch hin und wieder gibt. “Der Tunnel”, lässt sich fließend lesen, kommt mit kurzen, dicht aufeinander folgenden Kapiteln daher. Nicht auf der Habenseite ist jedoch die Tatsache, dass die reale Geschichte der Tunnel interessanter wirkt, als die herumgewobene Geschichte.

Zudem wirkt zu oft das Konstrukt wie ein bleiender Mehltau, der bereits mehrfach erzählt wurde. Auch kann man hier kein einheitliches Tempo erkennen. Entweder man baut die Handlung in immer schneller aufeinander folgenden Schritten auf, bleibt in einer gemächlichen Schrittfolge oder erzählt rasant. Hier jedoch gibt es mehrere Brüche, die man selbst als ungeübter Krimileser merkt und Übergänge, die nicht gerade als nahtlos zu bezeichnen sind.

Die Bezeichnung Thriller ist eine Entscheidung, die man treffen kann. Für mich ist es jedoch ein klassisch ortsgebundener Krimi, der es nicht für geübte Leser schafft, sich aus der schieren Masse an Büchern gleicher Art herauszuheben. Wer relativ selten in diesem Genre liest, mag Chris McGeorges Geschichte mit Gewinn sich zu Gemüte führen. Alle anderen sollten es sich überlegen. Hier ist eher auf folgende Werke von Chris McGeorge zu hoffen.

Autor:

Chris McGeorge öebt in Durham und studierte Kreatives Schreiben an der City University of London. Er ist Teil einer Amateurtheatergruppe. Vorbilder sind Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle.

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James Gould-Bourn: Pandatage

Pandatage Book Cover
Pandatage James Gould-Bourn Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 02.05.2020 Seiten: 382 ISBN: 978-3-462-05364-7 Übersetzer: Stephan Kleiner

Inhalt:

Danny Maloony hat es schwer. Ein Glückspilz war er noch nie, aber seitdem seine Frau vor etwas mehr als einem Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, läuft gar nichts mehr glatt.

Sein Sohn Will hat aufgehört zu sprechen, Danny verliert den Job, und als ihm auch noch sein Vermieter mit Rausschmiss droht, kauft er von seinem letzten Geld ein Pandakostüm, um als Tanzbär Geld zu verdienen. Doch tanzen kann er leider auch nicht… (Klappentext)

Rezension:

Dass auch eine grobe Schreibarbeit zu einer wundervollen und berührenden Geschichte führen kann, beweist James Gould-Bourn, der mit seinem Debütroman “Pandatage” eine einfühlsame Erzählung zu Papier gebracht hat. Hauptprotagonist ist der alleinerziehende Danny Maloony, der mit Haushalt, traumatisierten Sohn und seiner eigenen Trauer zu kämpfen hat, nachdem seine Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.

Seit dem scheint ihm nichts mehr zu gelingen. Von einem auf den anderen Tag steht der Bauarbeiter beinahe vor dem Nichts. Auf der anderen Seite sein Sohn Will, der ebenso trauert, nicht mehr spricht, in der Schule zum Punchingball der Klassenschläger geworden ist, sich emotional immer mehr von Danny entfernt. Danny sieht in einem Pandakostüm schließlich die Chance auf bessere Tage. Doch, auch das erweist sich als einfacher als gedacht.

Nicht gerade fein ausgearbeitet ist diese Erzählung einer Vater-Sohn-Geschichte, tatsächlich ist der Schreibstil eher platt, die Protagonisten bis auf die beiden Hauptcharaktere sehr einseitig konstruiert und auch der Humor dürfte nicht jedermanns Sache sein. Dennoch hat James Gould-Bourn eine Geschichte geschrieben, die zu berühren mag. In ihrer Gesamtheit ist sie stimmig.

Das war Pandamonium!

James Gould-Bourn: Pandatage, Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das Klischee, dass sonst immer, wenn von Alleinerziehenden die Rede ist, von einer Mutter-Kind-Beziehung gesprochen wird, wird aufgebrochen, stehen doch Männer in dieser Situation vor den gleichen Problemen, auch der Umgang mit Trauer ist hier sehr schön dargestellt, zudem welche Bedeutung Menschen haben, die einfühlsam für einem auch in schlechten Zeiten da sind.

Der Humor des Autors ist speziell, wer sich jedoch darauf einlässt, entdeckt einen nachdenklich schwermütigen Roman, der immer genau dann aufgebrochen wird, wenn den Lesern die Last der Protagonisten förmlich zu erdrücken droht.

Ich wünschte, ich wäre gestorben, mit Mum zusammen, weil ich lieber tot wäre, als allein mit dir zu sein.

James Gould-Bourn: Pandatage. Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das wäre wiederum feinfühlig.

Die Stärke dieser Schreibarbeit liegt hier eindeutig im Beginn und Mittelteil. Der Schluss ist fast zu schnell erzählt. Hier hätte etwas mehr Ausgestaltung der Geschichte gut getan und nur mit den Blick, dass es praktisch egal sein kann, wie man sein Geld verdient, kann man die Auflösung gelten lassen. In der Realität halte ich das für schwierig.

Der Wortwitz und die Protagonisten, die man von der ersten Seite an liebgewinnt, machen “Pandatage” zu einem lesenswerten Roman über Trauer, familie, Freundschaft, Glauben und Zuversicht, der in seiner Gesamtheit ein stimmiges Bild abgibt und funktioniert, da James Gould-Bourn diesen Stil von Beginn bis zum Ende durchhält.

Kurzweilige, flüssig zu lesende Kapitel aus wechselnder Perspektive, zeigen was möglich und dass es durchaus richtig ist, an “Pandatage” zu glauben. Eine lesenswerte Erzählung in Pandakostüm.

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Kristina Palten: Allein durch den Iran

Allein durch den Iran Book Cover
Allein durch den Iran Kristina Palten Erschienen am: 08.04.2020 Kiepenheuer & Witsch seiten: 344 ISBN: 978-3-462-05412-5 Übersetzer: Paul Berf

Inhalt:

Kristina Palten ist 31, als sie zum ersten mal das Laufen für sich entdeckt. Nach einer Lebenskrise steigert sie ihr Pensum und bricht als Ultraläuferin alle Rekorde.

Doch auch das reicht ihr irgendwann nicht mehr: Sie will ihre eigenen Vorurteile und Ängste besiegen und allein durch den Iran laufen. Mit ihrer Geschichte zeigt uns Kristina Palten, was möglich ist, wenn wir unsere Angst überwinden. (Klappentext)

Rezension:

Undurchsichtig ist für die meisten Menschen in Europa dieses Land zwischen Kaspischen Meer und Persischen Golf, ein Hort der Unterdrückung und eine Quelle des Bösen für die anderen. Doch, wie ist es den Iranern von heute in ihrem Land zu begegnen, sich einzulassen auf eine uns fremde Kultur und Lebensweise?

Kristina Palten hat den Blick über den Tellerrand gewagt und sich selbst ein Bild gemacht. So weit die Füße tragen, läuft die gelernte Ingenieurin, die zuvor ihre Stelle bei einem schwedischen Mobilfunk- und Technikkonzern aufgegeben hatte, um sich vollkommen ihrem Hobby zu widmen. Über 1800 km sind es, quer durch das Reich der Mullahs, von der türkischen bis zur turkmenischen Grenze.

Die Läuferin berichtet von einer Strecke, die ihr alles abverlangte, zugleich jedoch zeigte, dass die Wirklichkeit vielschichtiger ist, als es uns die Medienwelt mitunter vorgaukelt.

Unter den Eindruck von Veränderungen in Arbeits- und Privatleben, beginnt Palten die planungen für ihre Reise, die sie umsichtig betreibt und ausführlich beschreibt. Welche Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen, wie Streckenabschnitte, Übernachtungen zu koordinieren?

Wird man sie als alleinstehende Frau überhaupt unbehelligt laufen lassen, in einem Land, welches unter den Deckmantel der Religion das Leben seiner Bürger kontrolliert? Wird sie frei mit den Menschen, auf die sie trifft agieren können? Wen kann sie überhaupt vertrauen?

Mit diesen und anderen Fragen und einen vollbepackten als Gepäckhilfe missbrauchten Kinderwagen beginnt sie im Spätsommer ihre Reise, die erst zwei Monate danach am anderen Ende des Landes beendet sein wird. Und trifft dabei auf Menschen, die ein völlig anderes Bild vermitteln, als sie es selbst vor ihrer Reise hatte.

Gastfreundschaft und Neugier begegnen der Schwedin, der überall Unterkunft gewährt und Begeisterung für ihr Vorhaben, welches sie ohne offizielle Genehmigung von staatlichen Stellen umsetzt, entgegen gebracht wird. Auch die andere Seite des Gottesstaates bekommt sie natürlich zu spüren, doch mit Unterstützung von Freunden gelingt ihr etwas, was den meisten iranischen Frauen nicht vergönnt sein wird.

Es ist das beeindruckende Portrait einer Frau, welches hier in Tagebuchform veröffentlicht wurde. Kristina Palten zeigt, wie leicht es sein kann, den Blick über den Tellerrand hinaus zu öffnen, aber auch, welche Grenzen dem immernoch in unserer Welt gesetzt sind.

Die Läuferin beschreibt ihre Reise, setzt dabei den Fokus auf die Tätigkeit und vor allem, auf die Menschen, denen sie begegnet. Palten zeigt, wie es ihr gelang, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und in welchem Zwiespalt sich die Menschen bewegen. Einfühlsam beschreibt sie in klaren Sätzen Erlebtes, Trauriges, Ernüchterndes und Hoffnungsvolles. Schwedische Gelassenheit und Grundoptimismus traf hier auf Neugier, Offenheit, mancherlei Grenzen.

In kurzweiligen Kapiteln zeigt die Autorin jedoch, was möglich ist, wenn man Mut beweist und einander vertraut. Wenn dies gelingt, ist schon viel gewonnen.

Der Film:

Auf Teilstrecken wurde Kristina Palten von einem Kameramann begleitet. Viel filmte sie zudem selbst. Daraus entstand ein Film über einen sehr besonderen Lauf. Diesen kann man downloaden und ansehen. Hier klicken.

Trailer zum Film über Paltens Lauf durch den Iran.

Mehr Informationen, hier. Über Kristina Palten, hier klicken.

Autorin:

Kristina Palten wurde 1971 in Nordschweden geboren, ist eine Ingenieurin und hält mehrere Rekorde in Marathon- und Ultraläufen. Mit dem Plan, Ängste und Vorurteile abzubauen ist sie knapp zwei Monate, nachdem sie ihren Job aufgegeben hatte, um sich vollkommen dem Laufen zu widmen, 1840 km durch den Iran gelaufen. Von der türkischen bis zur turkmensichen Grenze.

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Katja Brandis: Woodwalkers 6 – Tag der Rache

Tag der Rache Book Cover
Tag der Rache Reihe: Woodwalkers – 6 Kinderbuch Arena Verlag Hardcover Seiten: 341 ISBN: 978-3-401-60397-1

Inhalt:

Es ist so weit! In den Rocky Mountains beginnt der Sommer und mit ihm die Abschlussprüfungen für Carag.

Doch das Lernen fällt dem Pumajungen schwer, denn Millings Großer Tag der Rache steht unmittelbar bevor. Verzweifelt versuchen Carag und seine Freunde, die Menschen vor Millings Verbündeten zu schützen. Schnell steht für Carag, seine Menschenfamilie und die Clearwater Hogh alles auf dem Spiel. Wird es den Verteidigern gelingen, rechtzeitig hinter Millings Geheimnis zu kommen und die gefährlichen Gegner zu stoppen? (Klappentext)

Reihenfolge der Reihe:

Woodwalkers 1 – Carags Verwandlung

Woodwalkers 2 – Gefährliche Freundschaft

Woodwalkers 3 – Hollys Geheimnis

Woodwalkers 4 – Fremde Wildnis

Woodwalkers 5 – Feindliche Spuren

Woodwalkers 6 – Tag der Rache

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Rezension:

Fernab aller Gender-Debatten muss man in den Regalen der Buchhandlungen so manches Mal suchen, wenn man gute Bücher, Romane für Jungen finden möchte.

Zwar gibt es auch in diesem Bereich immer mehr, aber gefühlt gegenüber der für die Zielgruppe der Leserinnen ausgelegte Literatur immer noch zu wenig und so stechen neue Buchreihen, wie die „Woodwalkers“ der Münchener Autorin Katja Brandis wohlwollend heraus. Davon abgesehen können sie natürlich dennoch von beiden Geschlechtern gelesen werden.

„Woodwalkers – Der Tag der Rache“, ist der Finalband dieser abenteuer- und actiongeladenen Serie, in der die jungen Gestaltwandler, Carag und seine Freunde, nicht nur den Abschlussprüfungen des Jahrgangs entgegen bibbern, sondern sich zudem auf den kommenden Schlag ihres Erzfeindes Andrew Milling vorbereiten müssen.

Mehr sei vom Inhalt kaum verraten, nur, dass es auch hier wieder zu dramatischen Entwicklungen und Wendungen kommt, die so einige Stunden fesselnden Lesestoff versprechen. Der über die Bände hinweg kontinuierlich aufgebaute und konsequent gehaltene Spannungsbogen, aus der Ich-Perspektive Carags erzählt, die feinen Charakterzeichnungen, die sich hier als durchaus wandlungsfähig, nicht nur im Sinne ihrer zwei Gestalten, zeigen, tun ihr übriges, um als runde Sache gelten zu können.

Carag, Holly, Brandon und die anderen sind den Lesern ans Herz gewachsen und so fern man gerade nicht altersgemäß zur Zielgruppe gehört, ahnt man während des Lesens zwar, wohin das alles führen und wie die Geschichte enden wird, für die jüngere Leserschaft aber, ist es ein Lesegenuss ohne geringste Abstriche.

Gestützt auf die Legenden der amerikanischen Urvölker, hat die Autorin hier kunstvoll die Idee der Gestaltwandler augfgegriffen, so dass man zwangsläufig die Welt Carags und seiner Freunde liebgewonnen hat. Wer darin noch ein wenig verweilen möchte, kann mitgewachsen, dies in der demnächst erscheinenden Jugendbuchreihe „Seawalkers“, es wird nass, tun.

Alles in allem hat mich diese Reihe von Anfang an überzeugt. Besonders auffällig ist hier vielleicht zu erwähnen, dass an sich keiner der Zwischenbände schwächelt und man nicht mit dem Gefühl zurückgelassen wird, dass irgendetwas fehlen würde.

Ohne erhobenen Zeigefinger hat die Münchener Autorin Themen wie Charaktereigenschaften verarbeitet und gezeigt, dass auch gerade auf den deutschen Kinderbuchmarkt sich Perlen verstecken können, die mitunter auch über Altersgrenzen hinweg funktionieren.

Es hat Spaß gemacht, den Weg Carags auf Puma- und anderen Fährten zu folgen, von denen man nach diesem letzten Band gerne Abschied nimmt. Wer die Autorin bis dato nicht auf den Schirm hatte, sowie ihre zahlreichen Pseudonyme, der sollte dies spätestens mit diesen Band. Davon abgesehen lohnt es sich vielleicht, sein Haustier mal etwas genauer zu beobachten. Vielleicht ist das ja mehr Mensch als man denkt.

Autorin:

Katja Brandis, geb. 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat inzwischen zahlreiche Romane für junge Leser veröffentlicht. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.

katja-brandis.de/biografie

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Bücher gegen das Vergessen #02

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Bisher in dieser Rubrik erschienen:

#01: Die Tagebücher des Petr Ginz

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Kressmann Taylor “Adressat unbekannt”

Es sind nur ein paar Briefe, auf denen diese kleine Novelle beruht und doch traf die Autorin einen Nerv bei ihrem Lesepublikum, als ihre Geschichte als Fortsetzungsreihe 1938 veröffentlichte. Unter Pseudonym in der Zeitschrift “Story” publiziert, erzählt Kathrine Taylor in Form eines Briefwechsels vom Zerbrechen einer Freundschaft aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933.

Wenige Seiten sind es, nicht einmal 60, auf denen ein Strudel von Ereignissen sich abspielt. Zunächst ist da die Freundschaft zweier, die zusammen eine kleine Kunstgalerie in San Francisco gründeten und nun getrennt voneinander leben. Der Eine, seiner Familie zu Liebe in Deutschland, macht nun in der Stadtverwaltung von München Karriere. Martins Freund dagegen, Max, leitet nun alleine die Galerie.

Meine Ausgabe ist eine bei Rowohlt erschienene Taschenbuchausgabe.

Verlinkt ist die aktuell verfügbare.

Sprengstoff tut sich auf. Max ist jüdischer Abstammung und nimmt die aus Deutschland kommenden Berichte mit Sorge auf. Er hakt bei seinem Freund nach, der zunächst beschwichtigt, jedoch immer mehr der grausamen Ideologie der Nazis verfällt. Natürlich muss die Freundschaft zuerbrechen, natürlich macht die Politik auch nicht vor Max’ Familie in Deutschland halt. Natürlich macht sich Martin schuldig.

Die kleine Novelle besteht nur aus diesen Briefen, die man in sich aufnimmt und immer hilfloser Zeile für Zeile liest. Kressmann Taylor reißt ihre Leser, gleichsam wie ihre beiden Protagonisten, in den Abgrund. Der wahre Hintergrund ist es, der diese Geschichte so grausam werden lässt. Die Nazis hatten das Büchlein in Deutschland wohlweißlich verboten.

Im Jahr 1995, anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung der Vernichtungslager wurde die Novelle, von der nicht viel mehr verraten werden kann, nicht verraten werden darf, wieder aufgelegt. Diesmal in mehr als fünfzehn Sprachen. Es ist eines dieser Bücher, die so ganz unscheinbar sind, von denen man sich angesichts ihrer Dichte nicht viel erhofft, die einem dann jedoch umhauen und nicht mehr loslassen.

Wie viele Freundschaften mögen auf ähnliche Art und Weise zerstört worden sein? Wie erging es den Menschen, die hinter den Briefen steckten, die die Vorlage für diesen erschütternden Roman bildeten? Zumindest von einem der Protagonisten kann man das Schicksal erahnen. Dessen Brief kam mit dem Stempel “Adressat unbekannt” zurück.

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