Gesellschaft

Donato Carrisi: Ich bin der Abgrund

Inhalt:
Es ist zehn vor fünf morgens. Der Müllmann beginnt mit seiner Arbeit. Er mag sie – er weiß, dass in dem, was die Menschen wegwerfen, die größten Geheimnisse verborgen sind. Und auch er hat eines: den gelegentlichen denkwürdigen Abend, der seine Routine bricht. Was er nicht weiß, dass bald alles auf den Kopf gestellt werden wird.

Er wird in die unsägliche Geschichte eines Mädchens mit einer lila Haarsträhne verwickelt werden. Und noch etwas weiß der Müllmann nicht – da draußen sucht jemand nach ihm. Die Fliegenjägerin hat nur eine Mission: den Schatten im Herzen des Abgrunds zur Strecke bringen. (Klappentext)

Rezension:
Die alltägliche Routine gibt ihm Sicherheit, ihm, der sonst nicht viele Gewissheiten hat. Am Rande der Gesellschaft lässt er den Unrat der Anderen so unauffällig verschwinden, wie auch er unsichtbar scheint. Der Müllmann weiß, im Zurückgelassenen liegen die Geheimnisse der Menschen vor ihm ausgebreitet.

Auch er selbst ist ein Geheimnis, hat eines und sucht nach dessen Lösung. Gedankenversunken macht er sich an die Arbeit, bis dieses Ritual unterbrochen wird. Ein Mädchen droht zu ertrinken. Er rettet es und setzt damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die alle in seiner Umgebung, auch ihn selbst, in den Angrund reißen werden.

So viel zum Auftakt des nun vorliegenden Kriminalromans, des italienischen Schriftstellers Donato Carrisi, der inspiriert vom Fall des „Monster von Foligio“ Luigi Chiatti, erneut die finsteren Abgründe des Menschen seziert. Diesmal verlegt am geheimnisvollen Comer See, setzt die Geschichte den Protagonisten von Zeile zu Zeile so dermaßen zu, dass man sowohl mit Opfer, Ermittler und dem Täter selbst leidet, der sich von Beginn an erahnen lässt. Hier ist der Weg, die Ermittlungsarbeit das Ziel. Scham, Zweifel und nicht erfolgte Vergangenheitsbewältigung sind handlungstreibende Elemente.

Aus wechselnden Perspektive wird „Ich bin der Abgrund“ erzählt, was die Spannung hält, jedoch das eine oder andere Detail hinunterfallen lässt, welches später auch kaum mehr aufgegriffen wird. So wirkt mancher Wechsel zu abrupt, zu gewollt. Ausgeglichen wird dies jedoch dadurch, dass es Carrisi gelingt, hier mit der psychischen Verfassung der Beteiligten gekonnt zu spielen. Was macht uns zu dem, was wir sind? Welche Folgen hat dies, für uns und unsere Umgebung? Anfangs führt dies zu etwas chaotischen Sprüngen, die sich jedoch nach und nach zu einem klaren Gesamtbild fügen und einem beim Lesen komplett in diesen Kriminalfall eintauchen lassen. Zuletzt gelingt dem Autoren dann doch, keinen der Handlungsstränge aus den Augen zu verlieren. Hier hat, zumindest aus der Erinnerung heraus, Donato Carissi sich gegenüber „Enigmas Schweigen“ verbessern können.

Positiv ist hier hervorzuheben, im Gegensatz zu den Kriminalromanen aus dem englischsprachigen Raum herrschen hier nicht nur abgehakte oder sehr kurze Sätze vor. Sprachlich schafft der Autor hier eine unheilvolle Atmosphäre, der man sich nicht entziehen mag, auch wenn es durchaus Längen gibt, die ein wenig Durchhaltevermögen beim Lesenden erfordern.‘

Was der See nimmt, gibt er nicht so leicht wieder her. In ihm sind viele Geschichten verborgen. Diese immerhin, kann man durchaus lesen.

Autor:

Donato Carrisi wurde 1973 geboren und ist ein italienischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Zunächst studierte er Rechtswissenschaften in Rom, spezialisierte sich dabei auf Kriminologie und Verhaltensforschung und beschäftigte sich dabei mit Serienmördern, was ihn später zu seinem ersten Thriller inspirierte. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Anwalt, wandte sich jedoch der Schriftstellerei zu und schrieb diverse Drehbücher für Film und Fernsehen.

Sein erster Thriller wurde 2010 ins Deutsche übersetzt, ein Jahr zuvor wurde Carrisis Debütroman mit dem Premio Bancarella ausgezeichnet. Der Autor lebt frei arbeitend in Rom, schreibt zudem Kolumnen für den Corriere della Sera.

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Blai Bonet: Das Meer

Inhalt:

Ein folgenschweres geheimnis verbindet Andreu Ramallo, Manuel Tur und Francisca Luna seit ihrer Kindheit. In einem Sanatorium kreuzen sich Jahre später ihre Wege. Überspannt von malerischen Beschreibungen der Landschaft Mallorcas, eingebettet in die wenig bekannte Episode italienischer Faschisten auf Mallorca und ausweglos zwischen Exzessen von Bigotterie und Gewalt steuert das kurze Leben der Protagonisten auf die vorbestimmte Katastrophe zu. (Inhaltsangabe Buchrücken)

Rezension:

In einem Sanatorium kurieren Andreu Ramallo und Manuel Tur ihre Lungenerkrankung aus. Es verbindet sie jedoch mehr als das körperliche Gebrechen. Ein Geheimnis aus Kindertagen verbindet die beiden jungen Männern und die über all dem schwebende Frage der Schuld. Im Zentrum steht das Leiden, der Glaube, verbunden durch Gewalt. Im Rückblick auf das vergangene Geschehen steuern die beiden Protagonisten auf eine Katastrophe zu. Dies sind die handlungstreibenden Elemente von Blai Bonets poetischen Roman.

Der Schriftsteller schrieb diesen Roman als Kritik an die gesellschaftlichen Zustände seines Landes, welches sich damals inmitten der Militärdiktatur Francos. „Das Meer“ wurde gekürzt, durch die Selbstzensur des Autoren, sowohl als auch durch die Zensur der Behörden, die gleich ein ganzes Kapitel strichen und liegt nun erstmals in Übersetzung vollständig vor. Damals stieß Bonet dennoch in ein Wespennest, was sowohl der hoch gehaltenenen katholischen Kirche missfallen musste, als auch den damaligen staatlichen Organen. Heute sind die Themen immer noch brisant, doch alleine in der Art der Verarbeitung funktioniert der Roman „Das Meer“ nicht mehr.

Die Sprache ist beinahe zu poetisch für einen Roman und machte diesen schon zu damaliger Zeit nur schwer zugänglich. Dazu kommt die Erzählung der Geschichte aus wechselnder Perspektive, die innerhalb der recht kompakten Kapitel teilweise zeitliche Ebenen wechseln. Zudem wirkt es oft genug so, als hätte eine Figur mehrere Ich-Perspektiven. Als wäre das nicht genug, fließen auch noch kritische Anspielungen mit hinein, die wohl kaum jemand zu deuten weiß, der nicht selbst die Zeit des spanischen Bürgerkriegs oder der Franco-Diktatur erlebt hat oder sich minutiös damit beschäftigt.

Das ist viel zu viel des Guten und ist damit ein Paradebeispiel für einen Roman, der nur für ein bestimmtes Publikum geschrieben und auch nur dort seine gewünschte Wirkung entfalten kann, ein paar Jahre später allenfalls nur extrem spezialisierte Historiker oder Literaturwissenschaftler gefangen nehmen düfte. Für andere bleibt ein heute schwer zu lesendes und kaum zu verstehendes Konstrukt.

Autor:

Blai Bonet wurde 1926 geboren und war ein spanischer Schriftsteller, Dichter und Kunstkritiker. „Das Meer“ war sein erster Roman, für den er 1957 den Premi Joanot Martorell, den seinerzeit wichtigsten Preis für unveröffentlichte Prosa in katalanischer Sprache. Er starb 1997.

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Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 3 – Grabesstern

Bücher der Reihe:

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 1 – Leichenblume

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 3 – Grabesstern

[Einklappen]

Inhalt:

Eigentlich wollte Journalistin Heloise Kaldan nur einen Artikel über Sterbebegleitung schreiben. Doch als sie sich mit dem todkranken Jan Fischhof anfreundet, beginnt ihr die Sache nahezugehen. Jan scheint etwas auf dem Gewissen zu haben. Seine Hinweise führen Heloise nach Jütland, an die Flensburger Förde, zu einem lange zurückliegenden Fall. Heloises guter freund Kommissar erik Schäfer ist misstrauisch: Was weiß sie wirklich über Jan Fischhof? Heloise stößt in ein gefährliches Wespennest. Kann sie ihrer Intuition trauen?

(Klappentext)

Rezension:

Was verbirgt sich gegen Ende des Lebens hinter unseren Fassaden? Sind wir bereit, reinen Tisch zu machen, uns Erleichterung für die Seele zu verschaffen?

An all dies denkt die Kopenhagener Journalistin Heloise Kaldan zunächst nicht, als sie den todkranken Jan Fischhof betreut, um für eine Artikelserie über Sterbebegleitung zu recherchieren. Seine Andeutungen jedoch, lassen sie nicht mehr los. Heloise begibt sich auf die Suche. Nicht ahnend, was und wen sie damit alles aufschreckt.

Dies ist der Auftakt des nunmehr dritten Bandes dieser temporeichen Krimireihe, die uns diesmal von Kopenhagen dicht an die deutsche Grenze führt. Hier gelten andere Gesetze als in der dänischen Hauptstadt, vor allem im Zusammenleben untereinander und so wirbelt die Protagonistin zunächst ziemlich viel Staub auf, der sich zu einem kontrastreichen Showdown hin entwickelt.

Dabei nimmt sich die Autorin zu Beginn wieder Zeit, um die Handlung aufzubauen und Bilder von den Figuren zu schaffen, die man mit all ihren Ecken und Kanten förmlich vor sich sieht. Auch die Hintergründe der Hauptprotagonistin selbst werden nochmals dargestellt, so dass man den Band unabhängig von seinen Vorgängern lesen kann, ohne Fascetten zu verlieren.

Was zunächst wie ein einziger Handlungstrang wirkt, entpuppt sich schnell als Puzzle zwischen mehreren Zeitebenen, aufgedröselt durch die Hauptfigur, aus derer Sicht die Geschichte erzählt wird. Wendungen im Verlauf sind dabei teilweise hvorzusehen, jedoch folgerichtig. Das Ende funktioniert sowohl als Abschluss dieser Trilogie, als auch als Cliffhanger für mögliche weitere Bände.

Mit zunehmender Seitenzahl, in der auch die Handlung an Tempo gewinnt, schwedischer Mehltau ist dänischen Thrillern offenbar fremd, auch wirkt dieser nicht ganz so brutal wie manch anderer, gewinnen die Figuren an Kontur. Dies auch, wenn einzelne Fragen durch die Autorin bewusst offengelassen werden.

Alleine der Abschluss wirkt etwas zu gefühlsduselig, gemäß einer Vorabendkrimiserie im Fernsehen, was nicht hätte unbedingt sein müssen. Ansonsten jedoch durchaus eine Leseempfehlung zwischen Geheimnissen der Vergangenheit, verschwiegener Gemeinschaften und Machenschaften eines Familienclans, in die man sich besser nicht einmischt.

Autorin:

Anne Mette Hancock wurde 1979 geboren und ist eine dänische Schriftstellerin. Sie studierte Geschichte und Journalismus in Roskulde, bevor sie als freie Journalistin für Tageszeitungen und verschiedene dänische Magazine im Lifestyle-Bereich arbeitete. Nach Aufenthalten in Frankreich und den USA lebt sie mit ihrer Familie in Kopenhagen. Ihre Thriller wurden bereits mehrfach übersetzt und ausgezeichnet.

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Isabel Bogdan: Mein Helgoland

Inhalt:

Mit Helgoland verbindet Isabel Bogdan eine innige Schreibbeziehung. Oft schon ist sie in Hamburg auf den Katamaran gestiegen, der sie zu „Deutschlands einziger Hochseeinsel“ bringt. Denn dort, mit Rundumblick aufs Meer, schreibt es sich viel besser als am heimischen Schreibtisch (wo sie dafür problemlos übersetzen kann). Doch warum ist das so? Nähert man sich einer Geschichte auf dieselbe Weise, wie man eine Insel für sich entdeckt? Auf welcher Seite der Insel beginnt man – und wie findet man in einen Roman?

Isabel Bogdan erzählt nicht nur von den Besonderheiten kleiner Inselgemeinden, von Helgolands wechselvoller Historie, von seltenen Vögeln oder Geheimrezepten gegen Seekrankheit. Vielmehr spannt sie den Bogen vom Schaffen des berühmtesten Helgoländer Geschichtenerzählers James Krüss zu der Frage, was gutes Erzählen eigentlich ausmacht und ob man es erlernen kann.
(Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Wer zu Deutschlands einziger Hochseeinsel aufbricht, muss seefest sein. Die Nordsee ist rau und unerbittlich, alleine der Anblick der am Horizont auftauchenden rostroten Felsen und brachialen Brandungsmauern vermag zu entschädigen. Doch, Isabel Bogdan ist nicht hier wie so viele, um zollfrei einzukaufen, sondern die Abgeschiedenheit zu nutzen, um ungestört zu Papier zu bringen, was erzählt werden möchte.

Hier schreibt die Autorin am liebsten ihre Romane, ganz in der Tradition von Helgolands berühmtesten Geschichtenerzähler James Krüss und ist so ganz nebenbei dem Charme der Insel erlegen, der sich meist erst auf den zweiten Blick erschließt.

Isabel Bogdan hat, bis zu Veröffentlichung ihrer ersten eigenen Schreibarbeit, vor allem im Hintergrund gearbeitet. Sträflich vernachlässigt werden Übersetzende, in Besprechungen und Rezensionen kaum genannt, doch hat sie u. a. mit Jonathan Safran Foer ins Deutsche übertragen, bis sie zusätzlich begann, selbst Geschichten zu erzählen.

Ganz in der Tradition von Helgolands berühmtesten Geschichtenerzähler James Krüss ist auch für sie die Insel zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Kreativität geworden, die sich oft genug erst auf den zweiten oder dritten Blick Außenstehenden erschließt. Hier verbringt sie die Tage mit dem Schreiben und erzählt in diesem kompakten Band davon und zugleich von den Geschichten, die diese Hochseeinsel zu bieten hat.

Rau und nüchtern wirken die Sätze zu Beginn, solch eine Überfahrt muss man ja auch erst einmal überstehen, bevor man wieder scheinbar festen Boden unter den Füßen hat, der an den Rändern stetig bröckelt. In den Erzählstil hat man jedoch bald hineingefunden. Alles Offensichtliche auf Helgoland lässt sich schnell erkunden. Zu Fuß natürlich. Kaum und nur offzielle Elektroautos gibt es, Fahrräder nur für Kinder bis zum Alter von 12 Jahren. Dafür um so mehr Vogelkundler und im Sommer zahlreiche Tagestouristen.

Isabel Bogdan erzählt davon, beobachtet, lässt sich ablenken und inspirieren, um dann wieder an ihrem Laptop eigene Geschichten zu Papier zu bringen. Das funktioniert besser als am heimischen Schreibtisch, doch warum ist das eigentlich so? So entsteht Seite für Seite eine Hommage an das Leben auf Helgoland, welches nicht nur für Trottellummen oder Robben unerbittlich sein kann, auch für die Menschen selbst. Der Friedhof der Namenlosen, er zeugt davon.

„Wanst und Phallus“. Auch das habe ich im Gespräch mit klugen Kollegen gelernt: Wanst und Phallus sind die beiden Pole, die im Menschen stecken. Der lange Dünne und der kleine Dicke, der eine will hinaus in die Welt, Abenteuer erleben, Neues entdecken, das Leben auskosten, gucken, was hinter der nächsten Ecke ist. Der andere möchte gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, wasSchönes kochen und sich unter der Decke einkuscheln.

Isabel Bogdan: Mein Helgoland

Zugleich ist für die Autorin die Insel jedoch auch eine Metapher für das Schreiben an sich. Isabel Bogdan sinniert über das Schreiben von Krüss und Kollegen, über Tipps, die nur für den Tippgeber selbst Gültigkeit besitzen, leere Blätter mit Figuren und Inhalten zu füllen. Überhaupt, was macht eine Figur aus? Was eine gute Geschichte? Unaufgeregt, mit einem Hauch von Melancholie, stellt Bogdan die Insel in Bezug zu ihrer Arbeit und berichtet vom wechselhaften Inselleben vergangener Jahrzehnte, Geheimnissen im Fels und Marathonläufen zwischen Ober- und Unterland. Mit kleinem Holzhammer knackt sie Krebsvorscher und lernt kleine graue Vögel zu unterscheiden. Entstehen so nicht gute Erzählungen? „Das Leben und das Schreiben“, kompakt und ganz anders.

Autorin:

Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben. Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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Stefan Zweig: Schachnovelle

Inhalt:

Am Bord eines Passagierdampfers, auf den Weg von New York nach Buenos Aires, wird Schach gespielt. Was als Zeitvertreib wohlhabender Reisender und eines amtierenden Großmeisters beginnt, ruft traumatische Erinnerungen bei Dr. B. an seine Zeit als Gefangener der Gestapo in Wien hervor, zwischen psychischen Abgründen und perfiden Foltermethoden. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Einordnung:

Die Rezension bezieht sich auf die klassische Reclam-Ausgabe, die die Geschichte um ein erklärendes Nachwort ergänzt.

Rezension:

Auf einem Passagierdampfer wird Schach gespielt. Das spiel der Könige erhitzt die Gemüter der Reisenden, nicht zuletzt, da ein kaum nahbarer Großmeister an Bord ist und ruft Erinnerung an vergangene Zeiten wach. Nicht gute sind das, an die Dr. B. denken muss, der sich verschüttet geglaubten Dämonen erwehren muss, als er nach Jahren nun wieder einem Schachspiel beiwohnt, sich ganz dem Schwarz und Weiß der Bewegungen hingibt.

Wer die Form einer Novelle wählt, spielt im begrenzten Raum, ist sie doch nur eine längere Form der Kurzgeschichte. Diese beherrschte der Schriftsteller Stefan Zweig meisterhaft und zeigte hier ein letztes Mal sein großes Können. Auf einem Passagierdampfer lässt er Reisende aufeinandertreffen, die sich schließlich um ein schwarz-weißes Brett zusammen findet, welches längst vergrabene Erinnerungen wieder an die Oberfläche kehrt. Das Schachspiel ist hier das Dingsymbol, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, wie auch die Figuren Pole zueinander bilden.

Der Kampf zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse, das miteinander Ringen, das strategische Ausspielen und Vorausdenken, bringt Zweig jedoch nicht nur in den Bewegungen der Figuren zum Ausdruck, überträgt sie auch im besonderen auf einem der Hauptprotagonisten, dessen Schweißtropfen auf der Stirn, zitternde Hände man förmlich vor sich sehen kann, bevor die Katastrophe naht.

Hier kann froh sein, wer die Verfilmungen nicht kennt oder, noch mehr, zu Schulzeiten mit der Lektüre nicht gequält wurde. Unbefangen sollte man an die Novelle herangehen, die sehr kopflastig daherkommt und in die Zweig noch einmal alle Ängste und Befürchtungen hineingepackt hatte, bevor er Suizid begang.

Noch Monate sollte es dauern, bis mit der Kapitulation der Deutschen in Stalingrad der Zweite Weltkrieg eine Wendung nehmen sollte. Der Schriftsteller, der sich fast sein ganzes Leben lang für den Frieden eingesetzt hatte, hatte vorher schon längst alle Hoffnung verloren.

Diese Verzweiflung, diesen Schmerz spürt man zwischen jeder einzelnen Zeile, dabei erfährt man auch vieles über die grausamen Methoden der gestapo und was psychische Folter mit Menschen macht. So ist es keine Lektüre, die man eben mal sich zu Gemüte führen sollte. Stefan Zweig verlangt Aufmerksamkeit und Konzentration, lässt sich jedoch, rein vom Schreib- und Erzählstil her, im Gegensatz zu anderen Schrifstellenden seiner Zeit immer noch gut lesen.

Die Ausarbeitung der wenigen Charaktere ist hier gelungen, besonders der Fokus auf den Hauptprotagonisten, der sich auf einem erzählerischen Monolg konzentriert. Für diese art des Erzählens, die mitunter sehr kopflastig daherkommt, sollte man allerdings offen sein, damit dies funktioniert.

Der Abschluss indes wirkt nicht ganz so rund. Nun gibt die Form einer Novelle aus Platzgründen nicht unbedingt viel her, der Zustand Stefan Zweigs beim Schreiben muss hier ebenfalls berücksichtigt werden, dennoch ist mir die Geschichte beinahe zu einfach aufgelöst. Während die Beschreibungen, selbst von Partien, hier spannend wie einzelne Krimis wirken, ist die Auflösung recht simpel. Vielleicht kann man es so sehen: Das Schachspiel wird hier zum ersten Mal durchbrochen.

Autor:

Stefan Zweig wurde 1881 in Wien geboren und war ein österreichischer Schriftsteller. Er verfasste Gedichte, Erzählungen und Romane, Theaterstücke und Essays, war überdies als Übersetzer und Herausgeber tätig und schrieb Beiträge für diverse zeitungen und Zeitschriften. Von 1919 an lebte er in Salzburg, welches er nach Hitlers Machtergreifung 1934 verließ. Fünf Jahre später nahm er die britische Staatsbürgerschaft an. 1940 verließ er Europa entgültig. 1942 nahmen er und seine Frau sich in Petropolis/Brasilien das Leben. Kurz zuvor hatte Zweig das Manuskript „Schachnovelle“ an seinen Verleger versendet

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Hideo Yokoyama: 2

Inhalt:

Ein legendärer Kriminaldirektor, der sich aus dunklen Gründen weigert, seinen Posten zu räumen – und eine junge, aufstrebende Polizistin, die von einem Tag auf den anderen nicht mehr zur Arbeit erscheint. Zwei Fälle, ein Schauplatz: Japan, Polizeipräsidium Präfektur D.

Rezension:

Japan ist das Land der zwei Geschwindigkeiten. Einerseits bestimmt das Leben auf der Überholspur die Menschen, die laufen müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren, was widerum mit althergebrachten Traditionen und längst veralteten Rollenbildern kollidiert. Ständig. In diesem Szenario siedelt Hideo Yokoyama seine beiden hier vorliegenden Kurzkrimis an und zeigt damit eine hier nahezu unbekannte Seite des Inselstaats.

Zunächst entführt uns der Autor in die Verwaltungsabteilung eines Polizeipräsidiums und setzt damit gleich zu Beginn den Fokus nicht auf den klassischen Ermittler, sondern auf den Beamten, der ein bürokratisches Problem zu lösen versucht. So trocken sich dies anhört, so ruhig entwickelt sich die Geschichte zu einem unterschwellig spannenden Szenario, welches in dieser kompakten Form allenfalls als Kriminalromannovelle zu bezeichnen ist. Die Kurzgeschichte unter dem Genre Thriller laufen zu lassen, mag eine verlegerisch durchdachte Entscheidung beruhen, ist für mich ob der stoischen Ruhe des Textes kaum nachzuvollziehen.

Andererseits fehlt mir, dies muss fairerweise erwähnt werden, der Vergleich zu weiteren Krimis und Thrillern aus diesen geografischen Raum. Die zweite Geschichte weist da ein etwas höheres Erzähltempo auf. Beide lassen sie sich jedoch flüssig lesen. Für nicht an asiatische Namen gewöhnte Augen sorgt eine Namensliste für den Überblick.

In beiden Geschichten setzt der Autor zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten mit der Lösung an. Hier kommt es sehr darauf an, wie man selbst gerne liest und wie Handlungsstränge wirken. Die Protagonisten sind feinfühlig ausgearbeitet. Eine gewisse Distanz zum Lesenden, gleichsam dem asiatischen Gesellschaftsbild nach immer funktionieren zu müssen, sich nicht in das Seelenleben hineinschauen zu lassen, ist immer vorhanden. Hier zeigt sich Yokoyama durchaus gesellschaftskritisch, auch was den Umgang mit traditionellen Rollenbildern angeht.

So ist, wer einen Krimi nach englischen oder skandinavischen Vorbild erwartet, hier falsch, doch wer gerne einmal Novellen mit gesellschaftskritischen Tönen liest, hier an der geeigneten Lektüre. Die Krimihandlung, die ich hier aufgrund der Kürze der Geschichten, umschiffen musste, spielt ohnehin eine nebensächliche Rolle. Zum „Antesten“, ob Schreib- und Erzählstil von Hideo Yokoyama für einem selbst geeignet sind, ist „2“ jedoch passend.

Autor:

Hideo Yokoyama wurde 1957 in Tokio geboren und ist ein japanischer Autor und Journalist. Nach seiner journalistischen Arbeit begann er Kriminalromane zu schreiben, die in mehrere Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet wurden. Sein Werk „64“ wurde als bester japanischer Kriminalroman im Jahr 2013 ausgezeichnet, ein Jahr darauf erhielt er den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International.

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Vanessa Nakate: Unser Haus steht längst in Flammen

Inhalt:

Vanessa Nakate wächst in Uganda auf und erlebt, wie es Jahr für Jahr heißer wird, die Ernten immer kleiner werden, Armut und Hunger zunehmen. Als sie sich 2019 mit dem Klimawandel auseinandersetzt, wird ihr klar: Wenn sie nicht handelt, wer dann?

Doch während die Schulstreiks von Fridays for Future in Europa einem farbenfrohen Happening gleichkommen, droht Streikenden in Uganda Gefängnisstrafe. Vanessa schweigt nicht! Entgegen aller Widerstände nimmt sie den Kampf gegen die Klimaerhitzung auf.

(Inhaltsangabe Kurzform)

Rezension:

Als Vanessa Nakate die Berichte über die Klima-Proteste vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2020 zu Gesicht bekommt, traut sie ihren Augen kaum. Neben all den Aktivist*innen, die sich mit ihr für Klimagerechtigkeit und -schutz einsetzen, hätte sie auf den Bildern einer großen weltweit tätigen Presseagentur zu sehen sein müssen, doch wurde sie aus dem Bild getilgt, eine Praxis, wie man sie nur mehr von Diktaturen kennt. Wieder einmal ist Afrikas Stimme unter den Klimaprotesten damit unhör- und unsichtbar gemacht wurden.

Ein Jahr zuvor hat die Uganderin zum ersten Mal von den Protesten in der westlichen Welt erfahren, um sich daraufhin selbst über den Klimawandel zu informieren, und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, in ihrer Heimat sich für den Klimaschutz einzusetzen und die Menschen darauf aufmerksam zu machen. In Uganda ist dies mit vielen Hürden verbunden. Die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, Proteste nur bedingt möglich und der Willkür des Regimes ausgeliefert. Die traditionelle Rolle, die Frauen zugestanden wird, lassen kaum Entfaltungsmöglichkeiten zu. Dennoch wagt es die Autorin, zunächst nur mit Unterstützung einiger Familienmitglieder, auch in Uganda auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und ahnt dabei nicht, welche Steine sie ins Rollen bringt.

Inzwischen gibt es ganze Bücher und reihen über den Klimawandel und Porträts der bekanntesten Gesichter der Klimabewegung, was ungemein wichtig ist und den Regierungen allerorts immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden muss. Doch Stimmen aus anderen als den westlichen regionen der Erde, sind kaum hörbar. Woran liegt das?

Die Autorin berichtet von ihrem eigenen Weg hin zu den Protesten selbst, über die Situation der Menschen in ihrem Land und die Auswirkungen, die der Klimawandel schon jetzt in Uganda hat. Nakate ist dabei durchaus kritisch mit sich selbst, stellt jedoch auch dar, was selbst vermeindlich kleine Schritte bewegen können und wie vielgestaltig Aktivismus eben auch sein kann, in Gegenden, in denen man vorsichtig mit der eigenen Meinung hausieren gehen muss.

Nun in Buchform ist diese Stimme sichtbar und damit im Fokus der westlichen Welt, , was sich manchmal spannend wie ein Krimi liest, jedoch immer wieder vor Augen führt, dass es eben auch in Afrika Menschen gibt, die sich für den Klimawandel interessieren und dagegen kämpfen wollen, dass dies jedoch teilweise anders aussehen muss, als wir dies zuweilen auf den Schirm haben, jedoch nicht aus unserem Blickfeld geraten darf.

So ist dieses Werk teils Biografie, Handreichung dafür, wie man selbst sich für Klima- und Umweltschutz einsetzen kann, egal, wie vermeintlich klein Mittel und Wege sind, aber auch Bericht der Entwicklung einer jungen Frau, die man für ihren Mut und Zielstrebigkeit nur bewundern kann. An mancher Stelle rutscht dies sehr ins Emotionale ab, was vielleicht nicht falsch ist, mich aber aus dem Lesefluss herausgebracht hat. Ich hätte mir zudem noch eine ausführlichere Erläuterung von Beispielen des Einsetzens von Klimaaktivist*innen in Afrika gewünscht, als sie die Autorin in ihrem Buch ausführt.

Dennoch ist es gut und richtig, jetzt auch diese Perspektive für alle sichtbar zu haben.

Autorin:

Vanessa Nakate wurde 1996 in Uganda geboren und ist eine ugandische Klimaschutzaktivistin, die sich u. a. für Fridays for Future engagiert. Sie wuchs in der ugandischen Hauptstadt Kampala auf und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Makerere-Universität, seit 2019 setzt sie sich für Klimaschutz ein und nahm an mehreren Aktionen der Klimaschutzbewegung teil, zudem initierte sie eigene Projekte, wie dem Ausstatten von Schulen in Uganda mit Solarzellen, sie hält zudem Vorträge und hilft anderen sich für den Klimaschutz vernetzen.

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Mieko Kawakami: Heaven

Inhalt:

Sie sind beide Außenseiter und Opfer übler Mobbing-Attacken und haben doch noch kein Wort miteinander gewechselt: der vierzehnjährige namenlose Ich-Erzähler und seine Klassenkameradin Kojima. Als Kojima aber beginnt, Nachrichten zu schreiben, entwickelt sich ein Dialog zwischen den beiden, entsteht etwas Schönes, Zartes. Bald jedoch wird die gerade geschlossene Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

In ihrem packenden Roman erzählt Mieko Kawakami die Geschichte zweier Jugendlicher, die anders sind, in einer Gesellschaft, die kein Anderssein erträgt, und stellt damit abermals ihr schriftstellerisches Talent unter Beweis.
(Klappentext)

Rezension:

Mobbing wird definiert als fortgesetzte Handlung zumeist psychischer, aber auch körperliche Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Schwächeren über einen längeren Zeitraum und das Ausnutzen überlegener Kräfte durch stärkere Personen. In zahlreichen Varianten kommt dies vor, verdeckt oder offen, und erstreckt sich auf Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten. Wie gibt man einer solchen Thematik, die schon in der Realität kaum flächenwirksam diskutiert wird, fast immer nur dann, wenn sich die Opfer nicht anders zu helfen wissen, als zum Äußersten zu greifen, um sich dem zu entziehen, Raum, zumal in einer von Grund auf eher zurückhaltenden Gesellschaft?

Die japanische Autorin Mieko Kawakami hat dies versucht und erzählt die Geschichte zweier Schüler, wie sie wohl überall auf der Welt vorkommt. Aus der Perspektive eines namenlosen Ich-Erzählers erleben wir von Beginn an die Grausamkeiten, denen er sich ausgesetzt sieht, aufgrund einer Fehlstellung seiner Augen.

Er beschreibt die körperlichen Schmerzen und psychischen Quälereien, die ihm immer mehr verzweifeln und resignieren lassen, bis er eines Tages ein Brief von einer ebenso gequälten Mitschülerin erhält.

Zunächst nur wenige Worte, formen sich schließlich Säütze und ein reger Briefwechsel daraus. Kojima gibt dem Jungen Halt und wird selbst plötzlich gesehen. Zarte Bande, die von den Peinigern Beider nicht unbemerkt bleiben, was Konsequenzen haben wird. Dieses Zusteuern auf die Katastrophe, die Unausweichlichkeit, das Drama, man ahnt das schon zu Beginn, hofft und bangt, gerät gleichfalls der beiden Protagonisten in einem Sog, den man sich nicht entziehen kann.

Aber warum hatte ich Angst? Weil sie mich verletzten? Wenn ich fürchtete, verletzt zu werden, warum tat ich dann nichts? Was hieß das überhaupt: verletzt? Warum wehrte ich mich nicht? Warum ergab ich mich einfach? Was hieß das: sich ergeben? Wovor hatte ich Angst? was ist Angst? Doch so lange ich auch grübelte, zu einem Ergebnis kam ich nicht.

Mieko Kawakami: Heaven

Die Autorin schafft es die Verzweiflung des vierzehnjährigen Ich-Erzählers zwischen den Zeilen mit zunehmenden Seiten immer mehr einzustreuen, eindrucksvoll die inneren Monologe, die Erklärungsversuche des Protagonisten, ebeenso wird das Sinnfreie im Dialog mit einem der Mobber deutlich, dessen Sicht dem Opfer immer mehr die Luft zum Atmen nimmt. Kurze Sätze der Unausweichlichkeit wechseln mit ausufernden, die den Jungen immer mehr in die Tiefe ziehen. Der weg von Kojima nimmt einen anderen Verlauf.

Was bleibt da noch? Das Ende gibt kaum Antworten und bleibt halbwegs offen. So ist das auch im realen Leben. Ein Opfer findet keine einfachen Erklärungen, braucht sie auch nicht, da sie nicht helfen. Nur Hilfe von Außen schafft dies, was schwer genug ist. Wer vertraut sich von selbst schnell genug jemanden an? Das schaffen nur wenige sofort. So bleibt der Leidensweg meist lang. Im Land der Autorin ist die Quote von Fällen von Burnout sehr hoch, ebenso wie die Suizidrate derer, die mit den Konsequenzen einer Gesellschaft, in der jeder für sich bleibt, nicht mehr zurechtkommen. Mieko Kawakami gibt all jenen, nicht nur in Japan, eine Stimme, die so bitter nötig ist.

Autorin:

Mieko Kawakami wurde 1976 in Osaka geboren und ist eine japanische Schriftstellerin und Sängerin. Bekannt wurde sie mit einen Roman, der 2020 in mehreren Sprachen übersetzt wurde, im Deutschen unter den Titel „Brüste und Eier“. Das Buch wurde vom Time Magazine zu den zehn besten Büchern des Jahres gewählt. Doch bereits 2006 debütierte sie als Lyrikerin und veröffentlichte in Japan ihren ersten Roman. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Literaturüpreise, darunter den Akutagawa-Preis und den Murasaki-Shikibu-Preis.

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Roman Deininger/Uwe Ritzer: Die Spiele des Jahrhunderts

Inhalt:

Raus aus den Schatten der NS-Zeit, den Wiederaufbau geschafft – 1972 herrscht Aufbruchsstimmung und die Olympischen Spiele in München sollen der Welt das neue, lässige Deutschland zeigen. Als ein Fest der Demokratie, als Gegenentwurf zur martialischen Propaganda 1936 in Berlin. Unter den verwegenen Zeltdach verkörpern Schwimmer Mark Spitz, die junge Gold-Springerin Ulrike Meyfarth und die Sprinterin Heide Rosendahl mitten im Kalten Krieg den Traum vom friedlichen Miteinander. Dann setzt palästinensicher Terror alledem ein grausames Ende. Doch: „The Games must go on.“

Roman Deininger und Uwe Ritzer erzählen eine große Geschichte, die beinahe 100 Jahre umfasst und sich in den beiden Wochen der Olympischen Spiele dramatisch verdichtet. Virtuos und höchst unterhaltsam entfalten sie das funkelnde Panorama einer ganzen Epoche. (Klappentext)

Rezension:

Als am 05. September Attentäter das Gelände des olympischen Dorfes stürmten und Mitglieder der israelischen Mannschaft in Geiselhaft nahmen, die Befreiung dieser aufgrund eines mangelhaften Sicherheitskonzeptes dramatisch scheiterte, schien die Welt für einen Moment stillzustehen. Deutschland hielt den Atem an. Heitere Spiele hatten es sein sollen, schon die Architektur des Stadions ein kompletter Gegenentwurf zum architektonischen Brutalismus von Berlin 1936.

Zunächst ging diese Rechnung der Organisatoren auch auf. Dramatische Duelle zwischen Sportlern und Sportlerinnen zweier Systeme waren zu bestaunen, im Fernsehen zum ersten Mal in Farbe. In der Politik riecht es nach Aufbruch. Die Blokaden der Olympischen Spiele der Achtziger Jahre waren noch nicht zu erahnen, die Kommerzialisierung des Sports und Dopingskandale noch kleinteilig. Doch, 27 Jahre später kamen wieder Juden auf deutschem Boden ums Leben. Die Journalisten Roman Deininger und Uwe Ritzer begaben sich auf Spurensuche. Was bleibt von den Spielen, die Aufbruch signalisieren sollten und zum Fest am Abgrund wurden?

Wer die Ereignisse der Olympischen Spiele 1972 verstehen und im historischen Kontext einordnen möchte, muss zurückblicken. Die beiden Autoren tun dies und beginnen mit den Ereignissen um 1936, die zur Orientierung der Organisatoren werden sollten, wie man Deutschland keinesfalls der Welt präsentieren wollte. Alles sollte anders werden und so heften sich die Journalisten mithilfe einer Reihe von längeren Interviews und Archivmaterial an die beteiligten Personen der Spiele der Bundesrepublik, um so flirrende Wochen des Sports wieder aufleben zu lassen.

Deininger und und Ritzer zeigen, wie es den Organisatoren gelang, die Olympischen Spiele nach München zu holen und wie zum letzten Mal mehrheitlich AmateursportlerInnen, nicht Profis, gegeneinander antraten, auch im Wettstreit zweier Systeme. Dabei ist das beschriebene Ende nicht das Attentat selbst oder eben die gescheiterte Befreiung der Geiseln, sondern der Ausblick auf die Zeit nach Olympia mit den Folgen von 1972.

Vor dem geistigen Auge lassen die Autoren legendäre Zweikämpfe, kleine und manchmal große Dramen und Momente wieder auferstehen. Sie schaffen es, selbst jene in den Bann zu ziehen, die nicht unbedingt sportbegeistert sind (mich), um so mehr wird das dann ebenfalls beschriebene Drama des Attentats deutlich. Immer wieder geben Deininger und Ritzer Einblicke in die Psyche der Athleten, Angehörigen und Organisatoren, zeigen Widersprüche zu den Ansprüchen auf, mit denen sich nicht nur die Politik, auch und insbesondere das Internationale olympische Komitee konfrontiert sah.

Eine detailreiche Übersicht der Ereignisse ist dies, die sich jedoch nicht im Kleinklein verliert und einen entscheidenden Moment auch deutscher Geschichte festhält. Aufgrund des Entlanghangelns anhand einzelner Biografien haben die Journalisten hier verdeutlicht, wie sehr die Olympischen Spiele 1972 zum Brennglas von Ereignissen überall auf der Welt wurden und warum ausgerechnet in München der größte anzunehmende Alptraum Realität wurde. Aufgelockert ist dies mit einem Bildteil zu Beginn eines jeden Kapitels, fassbar durch die abschnittsbezogene Gestaltung des Textes, der gar nicht anders kann als unter die Haut zu gehen.

In München trafen die Welt, die Freude und der Tod aufeinander. Roman Deininger und Uwe Ritzer über dies und was daraus folgte.

Autoren:

Roman Deininger wurde 1978 in Ingolstadt geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach einem Studium der Politischen Wissenschaft, Amerikanischen Kulturgeschichte und Theaterwissenschaft in München, begann er 2004 ein Doktoratsstudium der Politikwissenschaft mit Forschungsaufenthalten in den USA. Nach seiner Dissertation wurde er 2009 in Wien promoviert und arbeitete als freier Jorunalist für verschiedene Zeitungen und Magazine, seit 2007 für die Süddeutsche Zeitung in verschiedenen Positionen. Er veröffentlichte eine vielbeachtete Biografie Markus Söders und erhielt dafür 2017 den Theodor-Wolff-Preis.

Uwe Ritzer wurde 1965 in Franken geboren und ist ein deutscher Journalist. Nach einem Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten war er von ^993 bis 2004 Lokalredakteur bei dem Weißenburger Tagblatt, ab 1998 freier Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. mit investigativen Recherchen, etwa zur Schmiergeldaffäre Siemens, erlangte er größere Bekanntheit und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Nannenpreis, den Wächterpreis und 2013 mit den Helmut-Schmidt-Journalistenpreis.

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Peter James: Roy Grace 14 – Er will dein Ende

Inhalt:

Schon seit längerem läuft es für Kipp Brown richtig schlecht. Er ist zwar ein erfolgreicher Geschäftsmann, aber auch ein lausiger Roulettespieler. Deshalb hätte das Fußballspiel im neuen Stadion von Brighton eine schöne Abwechslung werden können. Doch genau hier beginnt sein schlimmster Albtraum. Sein Sohn wird entführt. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

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Peter James: Roy Grace 14 – Er will dein Ende

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Rezension:

Geschichten, die wie ein TV-Krimi für Samstagabend aufgebaut sind, kranken an der Vorhersehbarkeit der Handlung und der einseitigen Ausgestaltung der Figuren, die nicht über die handelsüblichen Klischees hinauskommen. Auch das Unterbringen zahlreicher Handlungsstränge ist nicht immer vorteilhaft, zumal holzschnittartige Schreibweise nicht unbedingt dazu beiträgt, den Lesefluss immer aufrecht zu erhalten.

Zunächst zum Inhalt. Der Klappentext nimmt Bezug auf den wichtigsten Handlungsstrang, doch Peter James schöpft hier aus den Vollen und bringt praktisch so nebenbei das Wirken einer gewachsenen Parallelgesellschaft, ebenso Clan-Kriminalität und eine Bombendrohung unter, was zu Beginn mehr als wirr wirkt, doch nach und nach zu einer sinnvollen, wenn auch etwas übertreibenden Handlung zusammengeführt wird. Dabei wird diese je nach Kapitel aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, so dass mal der Autor, mal die Figuren selbst, mal wir Lesenden immer einen Schritt im Voraus sind.

Das funktioniert gut und bringt mit zunehmender Seitenzahl ordentlich Tempo in den Verlauf, führt aber auch dazu, dass Übergänge nicht selten sehr abrupt wirken und dies dem Lesefluss schadet. Zudem sind einzelne Punkte durchaus vorhersehbar. Ein großer Pluspunkt dennoch ist, dass man diesen Band auch ohne die Vorgänger zu kennen, sich zu Gemüte führen kann.

Einen Handlungsstrang weniger vielleicht, ein paar Seiten mehr und die Figuren etwas filigraner ausgearbeitet, hätten der Geschichte gut getan. Der Schreib- und Erzählstil trägt zwar zu einem gewissen Lesefluss bei, auch das Register hinten, welches einige Begriffe der britischen Polizeihierarchie klärt, ist nicht unnütz, doch schon zu oft hat man sich schon diese Krimis nach Schema F zu Gemüte geführt. Hier passiert nichts neues, so dass diese Geschichte zwar unterhält, aber das gewisse I-Tüppfelchen vermissen lässt.

Das ist vielleicht das Einzige, was sich nur ergibt, wenn man die bisher erschienen Bände kennt. Die Kennzeichnung des Verlags als Thriller wirft auch Fragen auf, eher ist dies ein Krimi mit thrillerhaften Elementen, diese sind jedoch eben sparsam gesät.

Autor:

Peter James wurde 1948 in Brighton geboren und ist ein britischer Schauspieler, Drehbuchautor, Filmproduzent und Schriftsteller. Nach dem Studium arbeitete er in verschiedenenen Jobs, danach in den 1970er Jahren als Filmproduzent und gründete eine eigene Produktionsfirma. Seit 1981 betätigt er sich als Autor, im Jahr 2005 begann er seine Arbeit an der Krimi-Reihe Roy Grace, die in mehreren Sprachen übersetzt wurde. Zudem betätigt er sich als Produzent für Theaterstücke.

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