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Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

Inhalt:

Mitunter ist man im Vatikan der himmlischen Ruhe näher, als einem lieb ist. Diese Erfahrung macht auch das Ermittlerduo Commissario Bariello und Weihbischof Montebello in seinem dritten Fall: Als die Archäologie geheiligte Glaubensgrundsätze zu erschüttern droht, ruft sie Verteidiger auf den Plan, die vor nichts zurückschrecken. In einem Nebel aus Lügen, Intrigen und rätselhaften Todesfällen scheint ein unseliges Machtkartell auf dem Weg zum ewigen Heil sehr irdische Interessen zu verfolgen. Hinter den Mauern des Vatikans ist bald schon niemand mehr sicher. (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 1 – Das Grab der Jungfrau
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 2 – Hochamt in Neapel
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

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Rezension:

Selbst Rom kann sehr kalt sein. Dennoch ist Commissario Bariello überrascht, als er zu einem Toten gerufen wird, der offenbar erfroren ist. Wie das im Hochsommer möglich ist, ist zunächst völlig unklar, ebenso, was es mit den Dämonen auf sich hat, die das Opfer, ein Priester und Redakteur des Osservatore Romano zuvor zu sehen geglaubt hatte.

Vor einem ganz anderen Rätsel steht indes Montebello, der Weihbischof von Neapel, der in einer einzigartigen Ausgabe der Legenda Aurea, einst das meistgelesene Buch des Mittelalters, Zeichnungen entdeckt, die die Grundfeste der katholischen Kirche erschüttern könnten. Beide Nachforschungen stören schnell offenbar gleichermaßen die Interessen von Wirtschaftspotentaten und Kirchenfürsten. Sehr schnell häufen sich die Todesfälle. Innerhalb der Mauern des Vatikans ist bald niemand mehr sicher.

Dass das Machtzentrum der katholischen Welt sich für packende Geschichten förmlich anbietet, dürfte spätestens mit den Veröffentlichungen von dan Brown oder etwa Robert Harris jedem bewusst sein. Auch im Verlag C. H. Beck, der jetzt nicht gerade für packende Krimis bekannt ist, die gehören normalerweise nicht zum Verlagsprogramm, ist eine derart und doch sehr besonders angelegte Reihe zu finden, die es in sich hat. Vorausgeschickt, die vorangestellten Bände sind mir noch unbekannt, und so habe ich den dritten sozusagen als Stand Alone ohne Vorwissen mir zu Gemüte geführt. Das funktioniert mit Kriminalromane recht gut und auch hier wurde ich nicht enttäuscht, konnte ohne Probleme in die Geschichte eintauchen.

Stefan von der Lahr hat hier nur wenige Seiten benötigt, um die Vorgeschichte aufzubauen, die für einen Kriminalroman zunächst relativ unscheinbar beginnt, gleichwohl man ahnt, dass mit wenigen Sätzen eine Dynamik angelegt wird, derer man sich lesend kaum entziehen wird können. Schnell gewinnt die Geschichte an Tempo. Vielleicht muss man, wer jetzt nicht häufig mit südländischen Namen in Berührung und von kirchlichen Hierarchien keine Ahnung hat, das eine oder andere Mal innehalten, aber das gibt sich schnell. Genau so wie die Perspektivwechsel der sehr kompakt angelegten Kapitel, die ihren Anteil zur Dynamik beitragen.

Interessant ist, das wird mit den vorangegangenen Bänden nicht anders sein, die Figurenkonstellation, durch die zunächst getrennte Ansätze in der Ermittlung durchgeführt, jedoch sehr schnell zusammengeführt werden müssen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen des Ermittler-Duos, diese Perspektiven werden spannend dargestellt, was jedoch dem Autoren nicht genügt. So hat von der Lahr auch die Sichtweisen der Gegenspieler eingewoben, ohne sich in der Vielzahl der Handlungsstränge zu verlieren. Der Autor behält den Überblick bis zuletzt, den sich die Lesenden zusammen mit den beiden sympathischen Protagonisten Bariello und Montebello erst schaffen müssen.

Beide Charaktere sind gut ausgestaltet, wozu man jetzt keine Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden haben muss, wenn auch Anspielungen natürlich vorhanden sind. Die sind dann durch Fußnoten gekennzeichnet. Nicht nur daran erkennt man übrigens, die Nähe des Autoren zum Verlagshaus. Das dem Roman zugrunde liegende Recherchematerial, welches zur Konstruktion des Szenarios verwendet wurde, wird ebenso aufgelistet, wie verschiedene Begriffe innerhalb eines Glossars und richtig gut, ein Personenverzeichnis. Könnte dies bitte jeder Roman oder Krimi bekommen? Es erleichtert wirklich das Behalten des Überblicks ungemein.

Mit diesen Aspekten versehen liegt hier eine sehr spannende und schlüssige Erzählung vor, in der penibel darauf geachtet wurde, keine sichtbaren Logikfehler aufkommen zu lassen. Um dies so auszugestalten braucht es die für das Genre doch im Vergleich zu anderen Werken relativ hohe Seitenzahl. Keine Zeile ist überflüssig, jedes Wort ist notwendig und keines zu viel. Auch das trägt zur Spannung bei, wie auch zahlreiche Wendungen, die vor allem in der Zahl der den Handlungssträngen zu Opfer fallenden begründet liegen. Gefühlt zumindest stirbt ständig jemand. Ob das wirklich so ist, ist es wert, das selbst herauszufinden.

Stefan von der Lahr schafft es damit, die Lesenden in diese sehr eigentümliche Welt, in der nicht nur religiöse Interessen verfolgt werden, hinein zu ziehen. Fast meint man, die Abläufe hinter den Mauern des Vatikans sich genau so vorstellen zu können. Das ist dann auch irgendwie bezeichnend für die reale Instution. Den Weg der Auflösung des Falls und die Zusammenhänge zu ergründen, ist ungeheuer spannend, nicht nur für Fans der an solch besonderen Orten spielenden Geschichten, die natürlich für eine sehr eigene Atmosphäre sorgen.

Auch Lesende klassischer Krimis mit einem einnehmenden Ermittler-Duo im Vordergrund kommen auf ihre Kosten. Wer dazu noch schon Gelegenheit hatte, einmal die italienische Hauptstadt und den Vatikan selbst zu besuchen, für dem ist das entstehende Kopfkino perfekt. Ob man wohl mit diesem Krimi in der Tasche eingelassen werden würde?

Nochmal zu den Vorkenntnissen, weder religiöse noch zu den vorangegangenen Bänden muss man welche haben. Unklarheiten werden durch die Figuren selbst beseitigt. Die Lust, Buch 1 und 2 zu lesen, ergibt sich ohnehin durch die Lektüre. Und das muss ein dritter Band auch erst mal schaffen. Es lohnt sich sicherlich und es bleibt zu hoffen, dass mögliche Nachfolge-Bände genau so packend sein werden. Der Spurensuche Bariellos und Montebellos folgt man nämlich gern.

Autor:

Stefan von der Lahr ist promovierter Altertumswissenschaftler und arbeitet seit dreißig Jahren bei C. H. Beck.

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Banana Yoshimoto: Kitchen

Inhalt:

Als Mikage ihre Großmutter verliert, ist sie vollkommen allein in der großen Wohnung. Nur in der Küche, wo sie das Brummen des Kühlschranks in den Schlaf wiegt, kommt sie zur Ruhe. Aus ihrer Einsamkeit holt sie Yuichi. Er schlägt ihr vor, zu ihm und seiner Mutter zu ziehen. Denn Eiriko, die wunderschöne „Mutter“ Yuichis, hat eine schillernde Vergangenheit. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich vom Klappentext leiten lässt, kommt darin um. Die Inhaltsangabe passt zu einer Geschichte, etwas weiter gefasst zu zwei Erzählungen, jedoch nicht die Handlung derer drei, die in dieser Kurzromansammlung zusammengefasst wurden. Eine Sammlung ist dies, von Texten unterschiedlicher Entstehungszeit, jedoch aus den Jahren, in denen sich die japanische Autorin Banana Yoshimoto noch neu an das Schreiben und Erzählen herangewagt hat.

Doch schon hier werden die großen Themen der Kunst, der Literatur und des Lebens behandelt. Um letzteres geht es auch, genau so wie um Tod, Trauer und den steinigen Weg der Verarbeitung, den man nie ganz verlassen können wird, besonders wenn man einen geliebten Menschen verloren hat.

Alle drei Erzählungen sind für sich genommen kompakt und werden nur durch die Themen zusammengehalten, können jedoch als Einzelwerk gut wirken. Eines mehr als die anderen. In dieser Zusammenstellung wirkt der Mittelteil am schwächsten und verschwimmt mit zunehmender gelesener Zeilenanzahl der dritten Erzählung. Das Lesen hintereinanderweg, wie dies mit einem Großteil der westlichen Literatur funktioniert, ist hier nicht möglich.

Es lohnt sich immer wieder innezuhalten, einzelne Abschnitte, die so kunstvoll geschrieben sind wie ein Gemälde, auf sich wirken zu lassen. Zu erwähnen ist aber auch, dass andere Sätze aber mit der Holzhammermethode aufzeigen, dass sich dahinter noch verschiedene Ebenen verbergen. Ob man die allerdings greifen kann, hängt davon ab, wie viel Erfahrungen man schon mit dieser Art von Texten gesammelt hat.

In allen Erzählungen beschränkt sich die Autorin auf wenige Figuren und einer überschaubaren Anzahl von Perspektivwechseln, die sehr gewählt gesetzt sind, jedoch manche Länge haben entstehen lassen. Das ist schade, denn dem Zugang zu den Geschichten ist dies nicht unbedingt zuträglich.

Auch wirken manche Szenarien wie durch einem Nebelschleier, wenn man auch anerkennen muss, dass die Autorin durchaus gesellschaftliche und literarische Grenzen mit ihren Erzählungen in Japan aufgebrochen hat. Das sagt uns zumindest ein einordnendes Nachwort, hier von Giorgio Amitrano. Unbedingt notwendig für jene, die noch nie etwas von der Autorin gelesen haben oder gar mit Yoshimoto einen Einstieg in die japanische Literatur versuchen möchten. Von Letzteren würde ich allerdings abraten.

Wenn man sie einmal zu fassen bekommt, zerrinnen einem die Figuren im nächsten Moment wieder zwischen den Fingern. Mitfühlen fällt jedoch leichter, wenn man ähnlichen Verlust schon einmal erlebt hat oder benennen kann. Anders ist es schwer, auch wenn man allgemein Probleme damit hat, Gefühl zu beschreiben, zu benennen. Hier hätte vielleicht ein etwas anderer Schreibstil gut getan, was aber auch an der Übersetzung selbst liegen kann.

Spannend ist es für jene geschrieben, denen das Sezieren von Gefühlswelten liegt, große Überraschungen bleiben jedoch auch dann aus. Die braucht es dann jedoch auch nicht.

Wer die Kurzgeschichten wirklich als solche liest und nicht hintereinanderweg schmökert, sondern zwischendurch innehält, gewinnt dadurch mehr. Daher empfiehlt es sich, zwischendurch eine Pause einzulegen. Das sollte man aber vielleicht vorher wissen.

Nun denn, ihr wisst das jetzt. Vielleicht ist euer Urteil dann milder.

Autorin:

Banana Yoshimot ist das Pseudonym der japanischen Autorin Mahoko Yoshimoto. Geboren wurde sie 1964 und studierte nach der Schule japanische Literatur. Für ihre Abschlussarbeit bekam sie 1986 den Dekanspreis ihrer Universität. ein Jahr später für ihre Erzählung „Kitchen“ den 6. Kaien-Literaturpreis für Debütanten. Weitere Werke folgten, die mehrfach ausgezeichnet und übersetzt wurden.

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Donald Antrim: An einem Freitag im April

Inhalt:

Ein schonungsloser ehrlicher Bericht über Todesnähe als Lebensbegleiter: Donald Antrim beleuchtet Tragödie und Stigma des Suizids und bietet Trost, der Leben retten kann. (Klappentext)

Rezension:

Hinterher weiß Donald Antrim nicht einmal mehr, was ihn diesmal angetrieben hat, die Feuertreppe seines Hauses hochzusteigen. Prüfend tritt er ans Geländer, um in den Abgrund zu schauen. Er hält sich fest, um loszulassen. zumindest mit einer Hand, die dann doch wieder den sicheren Halt sucht. Wie wird es sein, das Sterben? Wird es schmerzhaft werden? Spürt man nichts? Wird Antrim es bereuen, in den Sekunden zwischen Leben und Tod, diese Entscheidung getroffen zu haben? An diesem Tage wird er es nicht erfahren. Aus irgendeinem Grund entscheidet er sich um, geht zurück in seine Wohnung. Ein langer, steiniger Weg über Klinikaufenthalte und Therapien folgt diesem Ereignis, ebenfalls nur ein trauriger Punkt in seinem Leben, zudem der Suizid schon lange gehört.

Wir sagen auch, dass wir das wollen, aber stimmt das auch?

Donald Antrim: An einem Freitag im April

In einer Mischung aus Essay und bericht beschäftigt sich der amerikanische Autor mit Suizid als Prozess. Als solchem sieht er das, was auch Freitod, Selbstmord oder Selbsttötung genannt wird und oft nur den eigentlichen Schlusspunkt meint. Doch ist es das oder vielmehr eine Krankheit, die die Betroffenen zu einer an sich selbst grausamen oder erlösenden, auch das je nach Blinkwinkel, Handlung bringt. Er stellt dar, wie es ist, mit diesem Gefühl zu leben, sich ein Ende zu wünschen oder darauf meinen hinwirken zu müssen. Doch durchzieht den Bericht auch Hoffnung.

Wenn man beispielsweise sagt, Suizidanten seien von Natur aus impulsive Menschen, unterschlägt man die Stunden, Monate und Jahre der Angst und des körperlichen Niedergangs, der Furcht und scheinbaren Resignation, mit denen wir in den Tod gehen. Oder vielleicht halten wir den Katatoniker für antriebslos und verstehen nicht die Qual, das Gefühl, dass der Körper irgendwie vibriert, die Paralyse. Der Mann auf der Brücke hockt vielleicht stundenlang am Geländer, starrt nach unten und hat zugleich Angst davor, hinzusehenn. Die Frau in den Wellen plantscht nicht ins Meer hinaus, sondern geht eher langsam, bis sie untertaucht.

Donald Antrim: An einem Freitag im April

Klar wägt Antrim ab. Es ist ein ruhiger Text, immer wieder sich selbst prüfend. Wenn ein steiniger Weg ins Unausweichliche führt, kann man auch abbiegen und den Teufelskreis durchbrechen? Der Autor hat das versucht, wollte sich helfen lassen. Dieser Weg ist noch mehr von klippen und spalten durchzogen, Umwegen und Rückschlägen. Er berichtet von seinem Weg, ohne außer Acht zu lassen, dass dieser ihm geholfen hat und für andere etwas anderes gelten mag.

Die Paralyse des Suizids ist keine Apathie oder Stille. Wir fühlen uns eingekapselt, irgendwie eingeengt. Unsere Körper könnten zerbrechen, oder etwas außerhalb von uns wird zerbrechen. Was wird zerbrechen?

Donald Antrim: An einem Freitag im April

Donald Antrim bricht das Schweigen über ein Tabuthema, welches viel öfter zur Sprache kommen sollte, um Zugang zu den Betroffenen zu finden, vielleicht einen Weg, sie aus diesem Teufelskreis herauszunehmen und in Sicherheit zu halten. In einer Mischung aus biografischen Rückblicken, Verarbeitung und nüchternen Bericht ist der Text keine leichte Kost.

Förmlich spürt man die bleierne Last, die dem Autoren die Luft zum Atmen genommen hat. Man muss dann beim Lesen innehalten, blättert zurück, liest einzelne Abschnitte nochmals und fragt sich unweigerlich, wie man selbst in dieser Situation gehandelt hätte. Wäre man stark genug für eine Therapie? Was passiert bei einem Rückschlag? Würde man sich helfen lassen (wollen)? Wann wäre der Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gäbe? Glücklich, wer sich damit noch nie beschäftigen musste. Für die an Suizid leidenden (bleiben wir bei der Betrachtung als Krankheit statt Schlusspunkt) ein tägliches Abwägen. Wann gewinnt was die Oberhand?

Ich bin der Überzeugung, dass Suizid eine Entwicklungsgeschichte ist, ein Krankheitsprozess, keine Handlung oder Entscheidung, kein Entschluss oder Wunsch. Ich verstehe Suizif nicht als Reaktion auf Schmerz oder als Botschaft an die Lebenden – zumindest nicht nur.

Donald Antrim: An einem Freitag im April

Als Teil der Verarbeitung und Enttabuisierung ein notwendiges und wichtiges Schriftstück, wirbt Antrim für diesen Blickwinkel. Vielleicht sollte man aber wirklich gefestigt sein, um diesen Text lesen zu können. Schließlich ist der so stark wie die Thematik selbst.

Autor:

Donald antrim wurde 1958 geboren und ist ein US-amerikanischer Autor. Nach einem Studium an der Brown University veröffentlichte er 1993 seinen ersten Roman, dem weitere folgten. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heyden Fellow for Fiction an der American Academy in Berlin. 2013 erhielt er den MacArthur Fellowship. Er lehrt Literatur an der Columbia University.

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Tim Herden: Insel-Krimi 7 – Schabernack

Bücher der Reihe:

Tim Herden: Insel-Krimi 1 – Gellengold
Tim Herden: Insel-Krimi 2 – Toter Kerl
Tim Herden: Insel-Krimi 3 – Norderende

Tim Herden: Insel-Krimi 4 – Harter Ort

Tim Herden: Insel-Krimi 5 – Schwarzer Peter
Tim Herden: Insel-Krimi 6 – Süderende

Tim Herden: Insel-Krimi 7 – Schabernack

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Inhalt:

Sommerstimmung auf Hiddensee. Der Polizist Ole Damp kehrt nach drei Jahren auf die Insel zurück. Gleich an seinem ersten Arbeitstag als Revierleiter kommt es zu einer Kollision zwischen einem Fahrgastschiff und einem Kutter im Schaproder Bodden. Bei der Untersuchung des Bootes entdecken Damp und Hauptkommissar Stefan Rieder die Leiche des Fischers Peter Kaut. Schnell geraten Umweltschützer in Verdacht, Kaut aus Rache getötet zu haben…

Wieder vereint, ermitteln die Kommissare Rieder und Damp, dieses Mal im Streit zwischen Fischern und Umweltschützern, der nicht nur ein Opfer fordert. Spannend und mit viel Liebe zu „seinem“ Hiddensee erzählt Tim Herden auch den siebten Fall der Inselkrimis in typischer Ostseemanier. (Klappentext)

Rezension:

Jedes Kaff muss hierzulande ein eigenes Ermittler-Team im Tatort-Universum haben, so wollen es ein deutsches Fernsehgesetz und das Gehabe der Landesfürsten hiesiger öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten. Nicht ganz zu Unrecht allerdings, garantieren diese Sendungen im Zeitalter der Streamingdienste verhältnismäßig stabile Quoten, zumindest bei der Zielgruppe, die wahrscheinlich zeitgleich zu diesen Dinosauriern einmal aussterben wird.

In der Landschaft der gedruckten Worte sieht es kaum besser aus. Auch hier kann man, zumindest gefühlt, für jeden Quadratmeter Landschaft, zumal wenn die an touristisch annehmbaren Orten zu finden sind, Ermittelnde auftun, die gegen den Sumpf des Verbrechens in ihrer unmittelbaren Umgebung ankämpfen. Dies geht dann zu Lasten der Qualität, wenn der eigentliche Kriminalfall wieder einmal hinter den ausufernd detaillierten Beschreibungen von Lokalkolorit zurückstecken muss.

Umso erfreulicher, wenn man einmal diesen Rant vergessen kann. Im vorliegenden Kriminalroman entführt uns der Schriftsteller Tim Herden auf die Ostseeinsel Hiddensee und nutzt deren Landschaft für einen packenden Krimi, deren Verästelungen und aufgebende Rätsel im Vordergrund stehen, sowie die Verbindungen und Brüche einer in sich verästelten Gemeinschaft. Lokalkolorit erfüllt hier seinen Zweck als schmückendes Beiwerk, tatsächlich aber ist das Psychogram der einzelnen Figuren viel interessanter.

Den siebten Fall der Insel-Krimireihe, den man für sich losgelöst von den vorangegangenen Bänden zu Gemüte führen kann, führt uns in eine Gemengelage der Veränderungen, denen sich die ansässigen Fischer ausgesetzt sehen und dabei schon des Längeren im Konflikt mit Umweltschützern stehen. In ihrer Existenz bedroht, kommt es dabei seit einiger Zeit immer wieder zu Konfrontationen, die nun Schlag auf Schlag zu eskalieren scheinen. Das ermittelnde Duo Damp und Rieder muss plötzlich nicht nur das Rätsel um nur einen Mord lösen, der schnell ganz neue Dimensionen annimmt.

Schnell steigt man in die Handlung ein, das notwendige Wissen aus vorangegangenen Bänden erschließt sich während des Lesens auch jenen, die erst mit diesem Band in die Reihe einsteigen, ansonsten ist man direkt mittendrin in eine spannende Krimi-Handlung, die dem Schema klassischer Krimis folgt. Puzzleteile werden uns Lesenden an die Hand gegeben, wie auch die Ermittler erst nach und nach zu einem immer klarer werdenden Bild kommen. Was zunächst wirkt, wie ein kleiner für sich stehender Fall, weißt mehrere überraschende Wendungen auf und hebt sich auch damit ab vom klassischen, allein für touristische Zwecke geschriebenen Krimi, der nur örtlicher Vermarktungszwecke zu dienen scheint.

Die Handlung vorantreibend, begleiten wir die zwei ermittelnden Hauptprotagonisten, die vom Autoren fein säuberlich ausgearbeitet wurden, wie auch die Verästelungen einer verschworenen, aber auseinanderbrechenden Gemeinschaft aufgezeigt werden. Auf wenige Perspektiven wird sich hier beschränkt, Fronten werden schnell geklärt, doch das klassische Schema von Gut und Böse wird durch sparsam aber effektvoll eingesetzte Wendungen durchbrochen, die diesen Band noch einmal vom ermüdenden Schema F abheben, ohne unglaubwürdig zu werden. Auch weiß der Autor mit Worten seine Leserschaft gekonnt auf die falsche Fährte zu bringen und den Spannungsbogen zu halten.

Die Handlung, die für sich genommen, in einem überschaubaren Zeitrahmen spielt, könnte so auch in vielen anderen sich wandelnden Fischerorten spielen, ist in sich schlüssig und ohne diverse Logikfehler moderner Krimis. Ruhig wird sie erzählt, jedoch ohne der Melancholie skandinavischer Krimis sich annähern zu wollen. Dänemark liegt in Reichweite. Auslassungen und Vorwegnahmen lassen mal uns Lesende, manchmal das ermittelnde Duo einen kleineren Wissensvorsprung. Auch dadurch entsteht eine Dynamik, der man sich nicht entziehen mag.

In dieses Gefüge kann man sich gut hinein versetzen, kennen doch alle diese verschworenen örtlichen Gemeinschaften, die nur auf der Oberfläche glänzen, die darunter diverse Abgründe verbirgt. Dies darzustellen, ohne ins Absurde zu geraten oder durch das Lokalkolorit die Krimihandlung zu übertünchen, nein, hier unterstützt Eines das Andere, ist sehr gut gelungen. so, dass man gerne mehr Fälle dieses ermittelnden Duos lesen möchte. Einmal ein positiver Tatort-Effekt. Natürlich auch, um dann die Entwicklung der handelnden Hauptfiguren zu erfassen. Wenn diese genauso feinfühlig und gekonnt beschrieben ist, ist die Reihe, nicht nur dieser band, eine wohltuende und spannende Abwechslung in unserer Krimi-Landschaft.

Autor:

Tim Herden wurde 1965 in Halle/Saale geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Nach einem Studium der Journalistik in Leipzig arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, danach als Redakteur beim Deutschen fernsehfunk, bevor 1991 er als Redakteur und Reporter beim Mitteldeutschen Rundfunk begann. Seit 1999 ist er Korrespondent und Kommentator im ARD-Hauptstadtstudio, von 2003-2008 leitete er zudem das MDR-Studium Berlin. Im Jahr 2010 wurde sein erster Insel-Krimi veröffentlicht, dem weitere folgten.

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Milan Zimmermann: Murder Suicide – Der inszenierte Tod

Inhalt:

Eine junge Mutter erstickt ihre fünf Kinder und springt danach vor einen Zug; ein betagter Rentner ersticht seine demente Frau und tötet sich selbst mit einer Plastiktüte über dem Kopf; beim Landeanflug auf einen Flughafen bringt ein Pilot eine Passagiermaschine mit 174 Menschen zum Absturz. Und jedes Mal trauert und schweigt eine fassungslose Öffentlichkeit.

Milan Zimmermann, Experte für erweiterte Suizide, hat Dutzende solcher Fälle untersucht. Er blickt hinter die Mauer des Schweigens und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Viele solcher Verbrechen könnten verhindert werden. (Klappentext)

Rezension:

Zu Recht schwer greifbar ist in unserer Gesellschaft die Thematik der erweiterten Suizide, gibt es doch keine einheitlichen Kriterien, nach denen eine Tat als solcher eingestuft wird. Nein, weltweit definiert man die Merkmale sog. erweiterter Suizide anders. Einheitliche Datenbanken und Maßnahmen, um dergleichen zu verhindern, sind so kaum möglich. Was ein Mord ist und wie mit Tat und Tätern wird, weiß man vielleicht. Angebote zur Prävention von Suiziden sind schon weniger bekannt. Wie sieht es da im Zwischenbereich aus? Nicht viel besser. Der Neurologe Milan Zimmermann setzt mit seinem Sachbuch hier nun an und füllt eine wichtige Lücke.

Wer nun glaubt, eine Aneinanderreihung von Fallbeispielen vor sich zu haben, der irrt. Im sehr nüchtern gehaltenen Stil versucht der Autor hier Unterscheidungsmerkmale näherzubringen und unterschiedliche Kategorien erweiterter Suizide darzustellen.

Sehr sachlich geht er dabei vor allem auf neurologische und psychische Komponenten ein, aber auch auf den Blick der Gesellschaft, sowie derer, die diese Taten begehen. Zimmermann stellt dar, warum gerade die medizinische Betrachtung sehr komplex und nicht nur systembedingt sehr komplex und voller Widrigkeiten steckt, was zuweilen sehr ausschweifend und so detailliert geschieht, dass man sich als Laie schon arg konzentrieren muss, um mitzuhalten. Fallbeispiele gehen da schnell unter. Die Kapitel sind themabedingt sehr ausführlich gehalten, wobei es durchaus gelingt, Unterschiede herauszustellen. Trotz allem empfiehlt sich langsames Lesen.

Nachdem begriffliche Unterschiede ausführlich betrachtet, medizinisch und gesellschaftlich beleuchtet sind, werden Präventionsmaßnahmen im Einzelnen und zum Schluss nochmals zusammenfassend dargestellt. Hiermit ist dann die Relevanz gegeben, die die ernste Natur des Werks unterstreicht, die Ausführungen unterstreicht und vielleicht sogar in der Lage versetzt, aufmerksamer gegenüber der eigenen Umgebung zu sein und zu verhindern, bevor es zum Schlimmsten kommt.

Wir müssen endlich von einer Stigmatisierung psychiatrischer Erkrankungen wegkommen.

Milan Zimmermann: Murder Suicide – Der inszenierte Tod

An manchen Stellen wären mehr Fallbeispiele wünschenswert gewesen, vielleicht die medizinisch-psychologischen Ausführungen in einem Kapitel gebündelt, um die Lektüre weniger anstrengend zu gestalten. Auch der Schreibstil hätte nicht ganz so schwer sein dürfen, wenn es schon die Thematik nicht ist. Hier kommt der Mediziner, der Wissenschaftler durch, der den Sachverhalt ergründen und näherbringen möchte. Das zumindest muss man anerkennen. Überhaupt ist es wichtig, dass einmal erweiterte Selbstmorde überhaupt zur Sprache gebracht werden, zudem mit dem Ziel, vielleicht einen Beitrag zu ihrer Verhinderung zu leisten.

Am Informationsgehalt und der Recherchequalität liegts nicht, eher an der Gliederung, die entweder anders oder kleinteiliger hätte ausfallen können und am sehr nüchtern gehaltenen Schreibstil, der doch nicht wenig an Konzentration verlangt. Dass die Thematik selbst kein Wohlfühlthema ist, versteht sich von selbst. So aber sollte man ohnehin nicht da herangehen. Wer sich etwas ernsthafter mit Kriminalistik abseits vom beinahe unterhaltenden True Crime beschäftigen möchte, sich auch für psychologische Komponenten davon interessiert, für jene ist die Lektüre empfehlenswert. Alle anderen sollten sich aber in jedem Fall das letzte Kapitel zu Gemüte führen.

Autor:
Milan Zimmermann ist seit 2016 Neurologe an der Universitätsklinik Tübingen und forscht am Hertie Institute for Clinical Brain Research über neurodegenerative Erkrankungen. Zuvor hat er am Institut für Rechtsmedizin der Berliner Charite mit seiner Arbeit über erweiterte Suizide promoviert. Er betreibt einen YouTube-Kanal MediKuss, der medizinisches Wissen auf leicht verständliche Weise vermittelt, zudem ist er nebenberuflich als Privatdozent tätig.

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G.D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

Einordnung in der Reihe:

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 1 – Tod in Weißen Nächten

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

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Inhalt:

In einer eisigen Januarnacht wird Natalja Iwanowa an eine Landstraße nahe Sankt Petersburg gerufen. Dort liegt die Leiche einer jungen Frau. Was nach einem Erfrierungstod aussieht, stellt sich als Mord heraus. Bevor die Kommissarin mit ihren Ermittlungen beginnen kann, wird ihr der Fall vom russischen Inlandsgeheimdienst entzogen. Denn die Ermordete war Mitglied einer politischen Protestgruppe. Weitere Aktivisten sollen kaltgestellt werden, befürchtet Natalja. Sie muss den Täter finden. Im Namen der Toten und der Gerechtigkeit. (Klappentext)

Rezension:

Mit einer sehr interessanten, da geladenen Mischung, hat der Schriftsteller G. D. Abson seine Krimi-Reihe um die russische Kommissarin Natalja Iwanowa nun fortgesetzt, nicht zuletzt vor den aktuellen politischen Ereignissen, die noch einmal sehr tief in das dortige System der einzelnen Verschachtelungen staatlicher Organe blicken lassen.

Während jedoch andere Fortsetzungen des Öfteren an Spannungsmomenten hat der Autor es hier geschafft, das Niveau seines Debüts zu halten. So begleiten wir erneut die ermittelnde Hauptprotagonistin durch das winterliche Sankt Petersburg und geraten sehr schnell in ein Strudel aus Korruption, Absprachen und den Fallstricken eines politischen Systems, welches auch Natalja Iwanowa an ihre Grenzen bringen wird.

Sie öffnete die Arbeitszimmertür. Die Schubladen mit ihren Unterlagen waren leer, und auch der Computer stand nicht mehr auf dem Schreibtisch. An seiner Stelle lag dort eine Beschlagnahmungsquittung unter einem Briefbeschwerer. „Sieht doch gar nicht so schlimm aus“, sagte Sergej. „Das täuscht, es ist schlimmer – hätte mir das Sledkom Angst einjagen wollen, hätten sie die Bude auseinandergenommen. Aber das hier war eine gezielte Durchsuchungsaktion.“ „Hast du denn etwas zu verbergen?“

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

So ist der vorliegende Band nicht nur ein klassischer Krimi, in dem es um die Ermittlung selbst gehen, sondern auch mit Politthrill-Elementen gespickt, die es in sich haben. Natürlich ist der Erzählstil leichtgängig. Selbst wenn man den Auftaktband sich noch nicht zu Gemüte geführt hat, findet man schnell Zugang zur Geschichte und zu den einzelnen Figuren.

Spannende Wendungen ergeben sich hier jedoch nicht so sehr sich aus den Ermittlungen der Protagonistin, eher aus den Tücken des Systems, innerhalb dessen Iwanowa agieren muss. Die Kapitel sind im typisch modernen Stil sehr kompakt, genügend Cliffhanger sorgen für ein schnelles Vorankommen. Neben der bereits erwähnten Ebene des mit in die Handlung eingewobenen politischen Systems, kommt auch das Privatleben der Akteurin ins Trudeln. Jedoch, um das nachvollziehen zu können, muss man nicht, es ist jedoch hilfreich, den ersten Teil der Reihe gelesen haben. Der Zeitraum des Handlungsrahmens ist indes überschaubar.

Abson konzentriert sich wieder auf relativ wenige Hauptfiguren, die dafür umso stärker ausgearbeitet wurden. Alle anderen sind nur dazu da, um die Handlung voranzutreiben. Die Perspektive bleibt immer die der Hauptprotagonistin. Nichts wirkt hier überfrachtet, dazu der eingearbeitete Flair des Handlungsortes, der sich einmal mehr von seiner düsteren Seite zeigen darf.

Kleinere Logikfehler sind zu verschmerzen, durch den Bezug auf real geschehene Ereignisse und existierender staatliche Strukturen, die die Erzählung sehr authentisch erscheinen lassen, wenn auch das Ende an kleinen Stellen zu wünschen übrig lässt. Das ist jedoch vielleicht auch der Fluch des zweiten Bandes, der zumindest Lust auf die Fortsetzung macht.

Wer gerne rasante, leichtgängige Thriller liest, ohne allzu abstruse Wendungen serviert zu bekommen, sich auch mal an andere Schauplätze als die typischen angelsächsischen Gefilde heranwagt, ist auch mit dem zweiten Band um Kommissarin Natalja Iwanowa gut bedient.

Autor:

G. D. Abson wuchs auf Militärbasen in Deutschland und Singapur auf, bevor er nach Großbritannien zurückkehrte und unter anderem Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Russland studierte. Heute lebt und arbeitet er als selbstständiger Business-Analyst im Süden Englands.

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Charlotte Schallie (Hrsg.): Aber ich lebe

Inhalt:

Emmie Abel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern. Zusammen mit den Überlebenden haben drei international bekannte Zeichner:innen deren Geschichten in Graphic Novels erzählt, die unvergesslich vor Augen führen, was der Holocaust für Kinder bedeutete – und nicht nur für sie. (Klappentext)

Rezension:

Immer weniger Zeitzeugen gibt es, die uns und vor allem den nachfolgenden Generationen erzählen können, wie es war, aufzuwachsen, inmitten des Holocausts, einem unvorstellbaren Terror ausgeliefert zu sein, in dem ein winziger Moment des Zögerns, eine falsche Entscheidung, ein unvorsichtiger Augenblick den Tod bedeuten konnte. Um so wichtiger ist es, deren Erinnerungen festzuhalten und sie so aufzubereiten, dass Interesse geweckt wird und die Geschichten der Erzählenden im Gedächtnis bleiben.

In einer Mischung aus Sachbuch und Graphic Novel versuchen dies mit „Aber ich lebe“ drei Illustratoren, die zusammen mit ihren Interview-Partnern deren Kindheit nachspüren und fangen mit unterschiedlichen Zeichenstilen sehr individuell deren und nicht zuletzt ihre eigenen Eindrücke ein, bevor am Ende der Streifzüge eine Nachbereitung in Textform eingefügt ist.

Zunächst Barbara Yelin, die die Geschichte von Emmie Arbel nachspürt. In düsteren und dunklen Farben erzählt sie die Geschichte des kleinen Mädchens, welches kaum alt genug ist, um zu begreifen und doch schon gelernt hat, zu überleben. Frohe Momente, sowie die heutige Zeit sind dagegen hell gehalten. Die Konturen verschwimmen, wenn Erinnerungen diffus werden, der Blick verliert sich in Details. Wie wirken Schrecken und Grauen der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter hinein?

But I live / Barbara Yelin über Emmie Arbel

Eine andere Facette beleuchtet Miriam Libicki. Sie erzählt die Geschichte von David Schaffer, der am anderen Ende Europas den Folgen des Holocausts entkam. Die Zeichnerin setzt auf klare Konturen, im Gegensatz zu Yelin, auch die Farben sind leuchtender, heller gehalten. Hier ist es der Hintergrund der an detailschärfe verliert, während die Figuren immer fassbar und bestimmt bleiben. Manche Zeichnungen wirken beinahe holzschnittartig, als würde man mit Puppen das Erlebte lebendig werden lassen. Im Gegensatz zur ersten Geschichte bindet sich Libicki nicht ein, um Kontrast und Wirkung zu schaffen.

Zuletzt, die Erinnerungen von Rolf und Nico Kamp, erzählt von Gilad Seliktar. Die Zeichnungen sind in bläulichen und gelblichen Tönen gehalten und wirken beinahe wie ältere Fotos. Auch dieser Stil weiß eine, nein eigentlich zwei, Geschichte eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei natürlich alle drei Geschichten auf ihre Art in Erinnerung bleiben werden.

„Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust“, nach den Erinnerungen von Emmie Arbel, David Schaffer, Nico Kamp und Rolf Kamp (Quelle: C. H. Beck)

Diese sind dann auch nicht zu werten. Erlebt ist erlebt, wobei die Konzentration auf einzelne Szenen liegt. Keine Geschichte ist mit der anderen zu vergleichen und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Das Ziel der Mitwirkenden ist in jedem Fall erreicht, um so mehr noch als auch der Entstehungsprozess, das Zusammenfinden der Zeichnenden mit Machern und Zeitzeugen illustriert dargestellt wird und eine Nachbereitung in Textform die weitergehenden Biografien von David Schaffer, Nico und Rolf Kamp, sowie Emmie Arbel beleuchtet.

Hier ist das Kunststück gelungen, Geschichte für die Nachwelt modern aufzubereiten, nicht nur für Kinder und Jugendliche. Im Englischen gibt es wohl dazu auch begleitendes Unterrichtsmaterial. Mit der Konzentration der Illustrierenden auf einzelne Punkte der Erinnerungen der Zeitzeugen werden zudem bestimmte Aspekte herausgestellt, zudem ein schwieriges Thema niedrigschwellig und doch anspruchsvoll aufbereitet.

Diese Art, Geschichte zu erzählen, funktioniert wunderbar, wenn die Zeichnenden, wie hier, nicht den Menschen aus den Blick verlieren. So reiht sich „Aber ich lebe“ gut ein, zu den Büchern gegen das Vergessen. Wünschenswert wäre es, noch mehr Werke dieser Art zu schaffen.

Leseprobe des Verlags: hier klicken

Verantwortliche:

Charlotte Schallié ist Professorin an der University of Victoria in Kanada und unterrichtet sowohl Germanistik als auch Holocaust Studies. 1965 in Toronto, Kanada geboren, wuchs sie in der Schweiz auf und studierte zunächst Geschichte und Germanistik in Vancouver. Sie veröffentlichte mehrere Werke u. a. zur Schweizerischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg.

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comic-Künstlerin. Sie studierte zunächst Illustration in Hamburg und zeichnete mehrere Comic-Geschichten, die in verschiedenen Zeitungen und Anthologien erschienen. 2012 erhielt sie eine Gastprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, 2013-2015 war sie Dozentin in Erlangen.

Miriam Libicki ist Autorin der Graphic Novel „Jobnik!“ über ihren Wehrdienst in Israel sowie zahlreicher Nonfiction Comics. Sie wurde 2017 mit dem Vine Award for Canadian Jewish Literature ausgezeichnet.

Gilad Seliktar illustriert Kinderbücher, zeichnet Comics und Illustrationen für verschiedene israelische Zeichnungen unnd wurde 2018 bei der Vergabe des Israel Museum Ben-Yitzhak Award ausgezeichnet. Er ist autor mehrerer Graphic Novels und lehrt in Jerusalem an der Bezalel Academy of Arts and Design.

Sie erzählen die Geschichten von Emmie ArbelRolf und Nico Kamp, sowie David Schaffer.

Für externe Inhalte wird keine Haftung übernommen, diese gehören den Erstellern.

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Dorothy B. Hughes: Ein einsamer Ort

Inhalt:

Einsam und frustriert lebt der ehemalige Jagdflieger Dix Steele im Los Angeles der späten 1940er Jahre. Nachts streift er durch die Stadt und stellt Frauen nach. Als er einen alten freund wieder trifft, ist er fasziniert von dessen Arbeit als Detective. Unmittelbar kann Dix mitverfolgen, wie Brub die Morde an einer Reihe junger Frauen untersucht – und es beginnt ein nervenaufreibendes Spiel, bei dem immer unklarer wird, wer eigentlich auf der Jagd nach wem ist.

Dorothy B. Hughes, die lange vergessene Pionierin der Kriminalliteratur, blickt unerschrocken und hellsichtig in die Abgründe von Frauenfeindlichkeit und Gewalt.
(Klappentext)

Rezension:

Nicht wenige der modernen Thriller dieser Tage setzen auf den Effekt und rasanten Wendungen, gleichsam eines rasanten Films, in dessen Handlungssträngen Details versteckt werden, die man normal zuschauend, gar nicht so schnell wahrnehmen kann. Der klassische Kriminalroman früherer Jahre kommt leiser daher, setzt auf die charakterliche Ausarbeitung der Figuren, der psychologische Effekt steht im Vordergrund oder das Ermitteln selbst. Der Weg ist das Ziel, welcher zu einer überraschenden Wendung und schließlich zur Auflösung führt.

Mit „Ein einsamer Ort“ ist ein solches Erzählstück wieder neu aufgelegt worden, der mit Erscheinen Weichen stellte. Die amerikanische Autorin Dorothy B. Hughes durchbrach, nicht nur hier, bis dahin geltende klassische Erzählkonventionen (was hier nicht näher erläutert werden kann, sonst würde man einen Teil der Auflösung verraten) und schuf eine Geschichte, in die sich auch heute noch gut eintauchen lässt.

Das beginnt schon mit der Konzentration auf nur eine Perspektive, aus deren Sicht erzählt wird. Verdächtig ruhig ist es im Los Angeles der 1940er Jahre, fast zu ruhig, doch im Inneren des städtischen Ballungsraumes rumort es. Eine Mordserie an Frauen erschüttert die Metropole. Die ermittelnde Polizei tappt im Dunkeln. Lange ist nicht klar, wird auch den Lesenden nicht klar sein, wer hier Täter ist, auch wenn sich ein Verdacht aufgrund der Art des Erzählens schnell ergibt. Fast zu schnell. Doch Beweise fehlen lange.

Fast nüchtern wird aus der Sicht des ehemaligen Jagdfliegers erzählt, dessen Charakter zunächst schwer zu fassen, dann greifbar ist. Er ist es auch, aus dessen Perspektive die anderen Figuren beleuchtet, gewertet werden. Dorothy B. Hughes hat es verstanden, ihren Figuren klare Konturen zu geben, die Lesenden förmlich in eine trügerische Stille einzulullen, um dann nur eine einzige überraschende Wendung einzuführen, die zum Ziel gereicht. Die Rollenzuteilung bei der Auflösung war schon für damalige Zeiten überraschend und wirkt auch aus heutiger Sicht sehr modern.

Der Zeitraum der Handlung umfasst wenige Wochen und die Anzahl der Charaktere, die alle ein entgegengesetztes Gegenüber besitzen, ist überschaubar, was das Einfinden in die Erzählung erleichtert. Der nüchterne Ton wirkt zuweilen kalt und unnahbar. Wer nur moderne Thriller gewohnt ist, wird zunächst irritiert sein. Es finden sich kaum Darstellungen von Gewalt, ausführliche Beschreibungen. Die Bedrohung bleibt für lange Zeit sehr diffus. Unterschwellig ist sie jedoch immer vorhanden.

Durch die Konzentration aufs Wesentliche hat sich Dorothy B. Hughes nicht verzettelt, sondern ihre Handlungsstränge konzentriert zu Ende geführt. Logikfehler sind keine zu entdecken oder zumindest zu vernachlässigen. Klassische Rollenmuster werden durchbrochen, einzelne kleine Blickpunkte auf das amerikanische Alltagsleben und schon damals vorhandene gesellschaftliche Gegensätze gegeben, ohne dass die Handlung verloren wird. Interessant aus heutiger Sicht die Beschreibung derer, die aus den Schrecken des Krieges aus Europa zurückgekehrt sind und wieder in einen Alltag sich einfinden müssen, der nicht mehr der ihre ist. Der Kriminalroman wurde zwei Jahre nach Kriegsende, 1947, veröffentlicht.

Wer liest findet sich ein, überrascht vielleicht am Ende von der Perspektive, die man die gesamte Zeit über eingenommen hat. Dorothy B. Hughes ist nichts für den Fan rasanter Kriminalliteratur oder blutrünstiger Thriller. Wer psychologische Aspekte mag, eingebettet in einer ruhigen Erzählung und dennoch überraschender Wendungen, die hier sehr sparsam gesetzt sind, wird mit „Ein einsamer Ort“ jedoch spannende Stunden erleben.

Autorin:

Dorothy Belle Hughes wurde 1904 in Kansas City, Missouri geboren und ist eine US-amerikanische Kriminalschriftstellerin und Literaturkritikerin gewesen. Zunächst studierte sie Journalismus und arbeitete für verschiedene Zeitungen, belegte an mehreren Universitäten Kurse. 1931 gewann sie mit ihrem Schreibdebüt, einem Gedichtband einen wichtigen Literaturwettbewerb, bevor sie 1940 ihren ersten Kriminalroman veröffentlichte.

Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der amerikanischen Hardboiled Literature. 1963 erschien ihr letzter Roman. Ihre Werke wurden teilweise verfilmt, zudem betätigte sie sich als Literaturkritikerin. Dafür gewann sie mehrere Male den Edgar Allan Poe Award. Hughes starb 1993.

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Stephen King: Die Leiche

Inhalt:

In einer heißen Sommernacht brechen der zwölfjährige Gordie und seine drei Freunde in die Wälder Maines auf. Die Leiche eines vermissten Jungen soll dort irgendwo an den Bahngleisen liegen. Schon bald erfahren sie, dass Monster nicht etwa unter dem Bett oder im Schrank auf einen lauern, sondern sich in jedem von uns verstecken. (Klappentext)

Rezension:

Der letzte Sommer der Kindheit hält mitunter Magisches bereit und das eine oder andere große Abenteuer. Dies ist es, was der Schriftsteller Stephen King 1982 in seiner Novelle „Die Leiche“ beschrieben hat und auch in einigen seiner anderen Geschichten hier ebenso zur Perfektion getrieben hat. Melancholisch angehaucht ist die Erzählung, in der der Großmeister
amerikanischer Literatur Realität mit Fiktion verwoben hat.

Schnell findet man hinein und beginnt sozusagen einen Roadtrip zu Fuß, aus der Sicht des zwölfjährigen Hauptprotagonisten Gordie, der sich mit seinen Freunden auf den Weg
macht, um die Leiche eines gleichaltrigen Jungen zu finden, der in der Gegend verunglückt sein soll.

Die Aussicht auf den Fund, eine Bande älterer Jugendlicher trüben die Ereignisse, zudem hat jeder der vier sein Päckchen zu tragen, was zumeist mit den älteren Brüdern oder der Familienbande allgemein zusammenhängt. Auf den Weg, der unbewusst zum Ziel selbst wird, kommen Ängste, Hoffnungen und Träume zum Vorschein. Besonders der Hauptprotagonist und sein bester Freund Chris werden über sich hinauswachsen müssen. Gelingt das?

Ich versuchte nicht, ihm etwas anderes zu erzählen. Man erschrickt, wenn man erfährt, dass ein anderer, und sei es ein Freund, genau weiß, wie schlecht es um einen bestellt ist.

Stephen King: Die Leiche

Kurz gesagt, ja. Stephen Kings Fähigkeiten, sich mehr oder weniger in vielen literarischen Genres zu bewegen, dürfte mittlerweile unbestritten sein, doch diese Novelle ist unter seinen Werken, natürlich neben „Es“ ein Klassiker, auf den man sich einlassen kann. Auch hier schafft der Autor wieder ein Gefüge von Kindern und lässt unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen, dies innerhalb eines sensiblen kleinstädtischen Gefüge, welches man wohl schon damals zu den abgehängten Regionen Amerikas zählen dürfte.

Über einen Zeitraum von einigen Tagen erstreckt sich die Geschichte, die mit Rückblenden und nicht zuletzt der Phantasie des erzählenden Hauptprotagonisten breiter aufgefächert wird. Zudem wird aus dem Off erzählt, sozusagen aus der Vogelperspektive des Erwachsenen, der die Geschehnisse der Vergangenheit reflektiert.

Das funktioniert wunderbar, wobei besonders die Konstruktion der Gegensätze gelungen ist. Die befreundeten Kinder, noch unschuldig, neugierig einerseits, die jedoch mehr verstehen, als die meisten Erwachsenen glauben, die der Jugendlichen, die bereits abgehängt sind, bevor sich ansatzweise Chancen auftun könnten.

Freunde kommen und gehen wie Kellner im Restaurant, oder ist das bei euch anders? Wenn ich jedoch an den Traum denke, an die Leichen im Wasser, die mich erbarmungslos herabziehen wollen, dann erscheint es mir richtig, dass es so ist. Ein paar ertrinken, das ist alles. Es ist nicht fair, aber es passiert. Ein paar ertrinken.

Stephen King: Die Leiche

Interessant hierbei übrigens die Parallele zur späteren Verfilmung „Stand by me“, deren Kinderdarsteller real schablonenartig ähnliche Schicksalsschläge erleiden müssen, wie sie auch der Autor für seine Protagonisten erdacht hat. Wer die Verfilmung kennt, es ist beinahe so, wenn auch nur marginal, als hätte Stephen King etwas vorweg genommen, um dies dann zu verarbeiten. Auf ein paar seiner Kindheitserlebnisse, die sich dort wiederfinden, trifft auch das zu.

Trotzdem liest sich das leicht, die Handlung ist nachvollziehbar, sowie auch die Charaktere der einzelnen Protagonisten bis hin zu den Nebenfiguren wunderbar ausgestaltet sind, was lt. Rezensionen einiger neuerer Werke von Stephen King dort nicht immer der Fall ist.

Abwechslung bringen die Einschübe in Form von Geschichten, die der Hauptprotagonist seinen Freunden erzählt etwa, und später als Schriftsteller zu Papier bringen wird. Auch dies ist ein wiederkehrendes Element. Der kindliche Protagonist ist später Schriftsteller. Auch ein manchmal unvorhersehbarer Autor hat eben seine Schablonen und Motive, die immer wieder funktionieren und ja, mitunter auch erwartet werden.

Wechsel, Rückblenden und Einschübe erhöhen hier die Spannung einer Geschichte, bei der man schnell ahnt, wie sie ausgehen könnte, was jedoch nicht stört, da diese Coming of Age Erzählung damit spielt und den Bogen nicht überreizt. Tatsächlich wird man in ein Amerika hinengezogen, welches es noch vor gar nicht allzu vielen Jahren gab. Alleine schon dafür lohnt es sich. Hier können alle etwas für sich herausziehen.

Wir wussten genau, wer wir waren und wohin wir wollten. Es war herrlich.

Stephen King: Die Leiche

Wer gerne Coming of Age, Roadtrips (zu Fuß) liest, liegt hier ebenso richtig, wie jene, die sich einfach vom Setting begeistern lassen oder vom Aufeinanderprallen gegensätzlicher Charaktere, wenn auch mein Bild der Figuren durch die Schauspieler geprägt wurde. Den Film sah ich nämlich zuerst, ohne zu wissen, auf welchen Roman dieser beruht. Macht hier nichts. Die Umsetzung ist super, ohne qualitative Abstriche.

Zurück zur Novelle. Die funktioniert so ziemlich für alle. Jugendliche und Erwachsene. Letztere erinnern sich gleichsam an den Sommer, den sie als den letzten ihrer Kindheit definieren dürften, an all die kleinen und großen Abenteuer, Schwierigkeiten und Probleme, denen man ausgesetzt war, wogegen jüngere Lesende an die Hauptprotagonisten altersbedingt einfach nah dran sind. Zudem, was hier im amerikanischen Nirgendwo stattfindet, könnte man auch mühelos in ein bayerisches Kuhdorf und Umgebung dieser Zeit verfrachten. Das würde wohl ähnlich funktionieren.

Diese Geschichte aus der Feder Stephen Kings, der noch viele weitere folgen sollten (und hoffentlich noch folgen werden), ist zudem ein wenig herausgestellt, da sie keine
übernatürlichen Elemente enthält und statt Horror eher unterschwelligen Grusel, und das auch nur ganz leicht. Das hat mir sehr gut gefallen. So kann es dafür nur eine klare Leseempfehlung geben.

Autor:

Stephen Edwin King wurde 1947 in Portland, Maine, geboren und ist ein US-amerikanischer schriftsteller. Unter verschiedenen Pseudonymen und unter seinem eigenen Namen verfasste er vor allem Horror-Literatur, aber auch zahlreiche Kurzromane. Seine Bücher wurden in über 50 Sprachen übersetzt, womit King zu den meistgelesensten und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart zählt.

Nach der Schule studierte er Englisch, unterrichtete in diesem Fach und arbeitete in verschiedenen Berufen, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte. Sein Werk „Carrie“ erschien 1974 in deutscher Übersetzung als erstes Werk von King. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt.

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Peter Vajkoczy: Kopfarbeit

Inhalt:

Die Instrumente sind winzig, die Herausforderungen groß.

Kopfarbeit ist der empathische Bericht des rennomierten Gehirnchirurgen Prof. Dr. Vajkoczy, Chefarzt an der Charite in Berlin. Erstmals erzählt er von seltenen Erkrankungen, komplizierten Operationen und modernsten Operationstechniken. Seine Patienten und der wissenschaftliche Fortschritt sind ihm gleichermaßen wichtig. Und ständig leben Neurochirurgen wie er mit dem Druck, dass die kleinste Komplikation schwerwiegende Folgen haben kann, das Gelingen jedoch den Mut belohnt, nichts unversucht zu lassen – und Leben rettet. (Klappentext)

Rezension:

Der Operateur sieht das, was er tut, nur durch ein Mikroskop in bis zu vierzigfacher Vergrößerung. Stunden dauert es, bis der Schädel geöffnet, das Gehirn erreicht ist, Blutgefäße verödet oder miteinander, mit Fäden der Stärke 0,07 mm vernäht und der Tumor entfernt werden können. Selbst, wenn dies geglückt ist, ist das keine Garantie, dass das gewünschte Ziel erreicht ist. Der Spielraum der Neurochirurgen ist gering.

Die Gefahr für Komplikationen ist groß, dass der Patient nur mit schweren Behinderungen oder gar nicht überlebt. Peter Vajkoczys Bericht „Kopfarbeit“ gibt Einblicke ins Kopfinnere und auf den Pakt zwischen dem Allerschönsten und Allerschrecklichsten.

Peter Vajkoczy gibt Einblick in die Königsdisziplin der Medizin, in der Freud und Leid nah beieinander liegen und zeigt, dass längst nicht mehr ein Halbgott in Weiß für Erfolg oder Misserfolg einer behandlung Sorge trägt, sondern ein ganzes Team notwendig ist, um ein gutes Behandlungsergebnis für die Patienten zu erzielen.

In seinem empathischen Bericht, der sachlich einzelne Fallbeispiele darstellt, zeigt er, wie Präzensionsarbeit, Erfahrung und Forschung ineinander übergreifen, welche Operationenstechniken noch vor wenigen Jahren eine Sensation waren, heute zu den Standards der Neurochirurgie zählen und wie weltweit vernetzt geforscht wird, um immer minimalistischere Eingriffe mit größeren Erfolgen für die Patienten zu verbinden.

Betont sachlich stellt er anhand der Fälle die eigentliche Operation dar, beschreibt um so emotionaler die Vorgeschichte und die Nachwirkungen von Behandlungen, welche Lehren man aus Erfolgen zieht, was Niederlagen für die weitere medizinische Arbeit bedeuten. Vajkoczy erklärt detailliert medizinische Präzisionsarbeit, für Laien verständlich gemacht anhand zusätzlicher schematischer Skizzen, zeigt jedoch auch, wie wichtig das Zusammenspiel eines aufeinander abgestimmten Teams ist, ebenso die Kommunikation mit Patienten und deren Angehörigen.

Der Autor beschönigt dabei nichts. Bewusst werden auch medizinische Verläufe geschildert, die keinen guten Ausgang nahmen, aber eben auch, warum es sich lohnt für seine Patienten tagtäglich aufs Neue zu kämpfen. Immer wieder wird deutlich, wie international verknüpft Vajkoczys Arbeit ist, nicht nur anhand seiner Biografie, auch im Sinne der Vernetzung, wenn es darum geht, Strategien für Behandlungen zu entwickeln, Forschung und Alltag gleichermaßen voran zu bringen.

Peter Vajkoczy zeigt, wie viel bereits möglich ist, woran geforscht wird und was die Schönheit und Faszination der Neurochirurgie für ihn ausmacht, nicht zuletzt, wie viel und wir wenig über die funktionalen Zusammenhänge im Gehirn wissen. Wo sitzt eigentlich die Seele des Menschen? Wie entscheidet man am Behandlungstisch zwischen der Bekämpfung eines Tumors und einer Verlängerung von Lebensqualität? Wie geht Vajkoczy mit urplötzlich auftretenden Komplikationen um oder, wenn sich ein Behandlungserfolg nur Stunden später in eine medizinische Niederlage entwickelt? Auch das kommt zur Sprache.

Und die ist für Laien sehr zugänglich, nimmt vielleicht etwas Distanz zu dieser Disziplin heraus, zumal in dieser Form, wenn man sich anhand von Patientengeschichten entlanghangeln kann. Allerdings ist auch klar, dass Vajkoczy hier nur einen winzigen Ausschnitt seiner Arbeit zeigen kann, eben so wie er es unter dem medizinischen Mikroskop sieht. Schon bevor man die letzte Seite umgeschlagen hat, bleibt man beeindruckt zurück.

Autor:

Prof. Dr. Peter Vajkoczy wurde 1968 geboren und ist ein deutscher Mediziner und Neurochirurg. In München und Heidelberg studierte er Medizin und ist seit 2007 Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Berliner Charite. Vorher war an mehreren Forschu8ngseinrichtungen und Kliniken im Ausland tätig, zudem elf Jahre an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Er ist spezialisiert auf Kopf- und Gehirn-Neurochirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Kinderneurochirurgie, zudem beschäftigt er sich mit der Moyamoya-Erkrankung, einer seltenen Erkrankung der Hirngefäße, bei der es zu einer langsamen Verengung und Verschluss der Halsschlagader kommt.

Für seine medizinische und wissenschaftliche Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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