Paris

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Inhalt:

Die aufregende Geschichte des Albatross-Verlags – gegründet Ende 1931 in Hamburg – beschreibt in bester John-le-Carre-Manier, wie drei Glücksritter die Nazis austricksten, und ganz nebenbei die dramatischen Anfänge des modernen Taschenbuchs. (Klappentext)

Rezension:

Praktisch über Nacht überflügelte der Albatross seine Konkurrenten und blieb lange sichtbar das Wappentier eines der erfolgreichsten Verlage, die mitten im Europa des Zweiten Weltkriegs, tätig waren. Als Grenzen nahezu unüberwindbar waren, schufen die Gründer des Albatross-Verlags ein dichtes wirtschaftliches Netz und waren zuweilen so erfolgreich, dass sie selbst die strenge Zensur argwöhnischer NS-Behörden umgehen konnten, die dem Unternehmen misstrauten, es andererseits jedoch auch für ihre Ziele einzuspannen versuchten.

Ein Unternehmen, welches so nur in besonderen Zeiten existieren konnte und heutzutage fast dem Vergessen anheim gefallen ist, nachzuspüren, dieser Aufgabe hat sich sich die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Michele K. Troy gewidmet und so das entwirrt, was schon vor Augen der damaligen deutschen Obrigkeit schier undurchdringlich schien. In „Die Albatross Connection“ beschreibt sie detailliert die Entstehungsgeschichte eines Verlagsunternehmens und damit auch der Menschen, die einst englische Literatur auf den Kontinent heimisch machen und verbreiten wollten.

Und vorzüglich verpackt waren sie allerdings. Wenn Kleider Leute machtem, wie übrigens auch der schnittige persönliche Auftritt der Albatross-Chefs zu sagen schien, so machten die farbenfrohen Einbände und Schutzumschläge ihre Taschenbücher zu einer Klasse für sich.

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Aus Puzzleteilen zahlreicher privater und staatlicher Archive entstand in jahrelanger Recherche ein so spannendes Stück Literaturgeschichte, dass man diese zugleich als Krimi, Spionageroman oder Biografie der drei Albatross-Gründer lesen kann. Aber eben auch, dass (sich) am Schicksal dieses Unternehmens viele Köpfe zerbrachen.

Jahrelang verbarg sich Albatross, sichtbar für alle Welt. Nebelwerfen bewährte sich nicht nur als die beste Verteidigung gegen die Bürokratie des Nazistaates, sondern gewährte deutschen Lesern auch Zugang zu englischer und amerikanischer Literatur, als in Hitlerdeutschland die Reinigung des Volkstums von fremden Einflüssen längst im Gange war.

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Im Bann gezogen ist man dann, wenn die autorin etwa beschreibt, wie der Gründer John Holroy-Reece mithilfe von britisch-jüdischen Intellektuellen Finanzmittel auftreiben konnte, selbst jedoch für seine Mitstreiter kaum zu fassen war, gleichwohl diese in den gegnerisch zueinander stehenden Ländern Deutschland und Frankreich ihrerseits den Verlag am Leben erhielten.

Albatross hatte die duetschen Behörden glauben lassen, was sie glauben wollten […].

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Ohne den Faden bei ihren Recherchen verloren zu haben, taucht die Autorin in wundersame und erschreckende Zeiten ein, führt Lesenden die Fallstricke und Herausforderungen vor Augen, denen sich die Albatross-Connection, bestehend aus Holroyd-Reece, Kurt Enoch und Max Christian Wegner ausgesetzt sah, stellt jedoch auch dar, wie Wagemut und fast zu oft eine ungehörige Portion Glück ein Unternehmen unter den Augen eines Regimes überleben lassen haben, welches dessen Ideologie diametral entgegen stand.

Mit diesen Werk lässt Troy ein beeindruckendes Stück europäischer und nicht zuletzt deutscher Literaturgeschichte wieder lebendig werden, welches sicher seinen Eingang in die Bibliotheken entsprechender Hochschulen und Universitäten finden wird, so dass man dort eine detaillierte Überblicksschrift in den Händen halten kann. Doch nicht nur dort wird man beeindruckt zurückbleiben, ob dessen der Autorin es gelungen ist, die Puzzleteile aufzustöbern und zusammen zu fügen.

Der Albatross bildete die Grundlage des modernen Taschenbuchs, wie wir es heute kennen. Nicht nur für Literaturbegeisterte ist das Werk jedoch auch eine besondere Schrift gegen das Vergessen.

Autorin:

Michele K. Troy ist Professorin für Englische Literatur an der University of Hartford. Sie forscht zur angloamerikanischen Kultur in Europa zwischen und während der Weltkriege, sowie zur Entwicklung des modernen Taschenbuch und des Buchhandels während der NS-Zeit.

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Susanna Partsch: Wer klaute die Mona Lisa?

Inhalt:

Vom Diebstahl der Mona Lisa 1911 bis zum Juwelenraub im Grünen Gewölbe 2019 – dieses Buch steckt voller fesselnder und unglaublicher Geschichten. Susanne Partsch hat die spektakulärsten Kunstdiebstähle ausgewählt und erzählt von gewieften Mafia-Clans, als Polizisten verkleideten Tätern, findigen Kunstdetektiven, zerschnittenen Gemälden, besessenen Kunstliebhabern und Lösegeldforderungen in Millionenhöhe – Fälle wie aus einem Kriminalroman, die aber das Leben schrieb. (Klappentext)

Rezension:

Zum ersten Mal im Louvre-Museum in Paris zieht es die meisten Besuchenden gleich zu den Publikumsmagneten, allen voran der Mona Lisa, gemalt von Leonardo da Vinci. Heute ist dieses Gemälde geschützt durch eine davor montierte Glasscheibe und modernster Sicherheitstechnik. Besucher werden daran vorbei geschleust, dürfen nicht stehen bleiben. Das war nicht immer so. Am 21. August 1911 hing das Bild schon einmal in diesem Museum und verschwand über Nacht. Erst am nächsten Tag wurde der Diebstahl bemerkt.

Die Ereignisse um die Mona Lisa, machten sie erst zu den weltberühmten Kunstwerk, welches wir heute in ihr sehen, doch gab es auch danach und gibt es immer noch weitere Kunstdiebstähle, die die Welt bewegen. Das FBI fahndet mit einer Liste der wertvollsten verschwundenen Kunstgegenstände und auch Italien hat eine eigene Einheit bei der Polizei, die sich rein mit diesem Metier befasst, verschwinden dort, etwa aus Kirchen verhältnismäßig viele Kunstgegenstände und bleiben es, teilweise, für immer. Die Kunsthistorikerin Susanna Partsch hat sich aufgemacht, die spektakulärsten Fälle darzustellen und ihre Geschichten zu erzählen.

In anderen Werken wird Raub- und Beutekunst thematisiert. Hier konzentriert sich die Autorin auf Kunstdiebstähle in Europa, wo teilweise ganze Altäre aus Kirchen verschwinden, und Amerika. Alleine dieses Feld gibt inzwischen so viel Material her, dass man kaum alle Geschichten erzählen kann. Stattdessen wird hier eine Auswahl dargestellt und anhand kurzer Kapitel dargestellt, wie und warum so manches Kunstwerk verschwand oder welche Geschichte sich hinter dem Wiederauffinden verbarg. Schon diese auswahl zu treffen, dürfte schwer gefallen sein, mit ihrer Fachkenntnis füllt Partsch Lücken und hat damit eine sonst trockende Thematik spannend wie ein Krimi aufbereitet.

Sie erzählt die Geschichte der Werke von ihrer Entstehung bishin zum Verschwinden der Werke, beschreibt, was dies für die Museumskultur bedeutet, wo Häuser gleichsam zwischen Offenheit und Nahbarkeit, sowie Sicherheitsdenken abwägen müssen, um sich selbst vor Begehrlichkeiten zu schützen, auch müssen manchmal die Angestellten dieser Häuser etwas näher unter die Lupe genommen werden.

Eine Balance dazwischen zu finden ist ein nahezu unmögliches Unterfangen und so könnte dieses Buch auch in Zukunft fortlaufend mit neuen Fällen ergänzt werden. Einige der spektakulärsten findet man in diesem kleinen als Übersicht gehaltenen Werk.

Autorin:

Susanna Partsch wurde 1952 in bad Godesberg geboren und ist eine deutsche Kunsthistorikerin und Autorin. Nach der Schule studierte sie in den 1970er Jahren Kunstgeschichte, Ethnologier und Pädagoik in Heidelberg, wo sie 1980 promovierte. Anschließend arbeitete sie im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein. Seit 1985 arbeitet sie alös Autorin für Kunstbücher, Monografien, Kataloge und Reisefüher (u. a.). 1998 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Sie verfasste zahlreiche Artikel für das Allgemeine Künstlerlexikon.

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Antoine Leiris: Danach, das Leben

Danach, das Leben Book Cover
Danach, das Leben Antoine Leiris S. Fischer Erschienen am: 07.10.2020 Seiten: 192 ISBN: 978-3-10-397044-9 Übersetzerin: Doris Heinemann

Inhalt:

Fünf Jahre nach dem Tod seiner Frau im Pariser Bataclan erzählt Antoine Leiris, wie er ins Leben zurückfand. Für seinen Sohn und gemeinsam mit ihm.

Eines Morgens, ein Jahr danach: Antoine packt die Schätze, die ihm von Helene geblieben sind, in schwarze Säcke. Zusammen mit dem kleinen Melvil trägt er sie nach unten, um sie den Müllmännern zu übergeben. Keine Tränen – Melvil ist stolz, seinem Vater zu helfen. Für Antoine ein Akt der Befreiung, des Loslassens, ein Schritt zurück ins Leben.

Einer von vielen. So zieht sich der Schmerz Stück für Stück zurück, mit jedem Jahr, das vergeht. Doch obwohl die Trauer verblasst, wird Helene ihn nie verlassen. Sie bleibt wie ein guter Geist, die Erinnerung an eine einzigartige Liebe. Er aber ist ein anderer geworden. Ein liebender Vater, der wieder gelernt hat, unbeschwert mit seinem Sohn zu lachen. Gemeinsam sind sie stark, besiegen die Dunkelheit. Ein wahrhaftiges Buch über Trauer, die Liebe und das Leben. (Klappentext)

Rezension:

Plötzlich schien Frankreich für einem Moment still zu stehen. Unzählige Terroranschläge hatte es bereits in Europa gegeben. Am 13. November 2015 wurde die quirlige Stadt an der Seine mitten ins Herz getroffen. Terroristen töteten im Bataclan-Theater 89 Menschen. Unzählige weitere mussten in den umliegenden Cafes udn Restaurants sterben. Mit einem Mal wurden Menschen aus dem Leben gerissen, Familien zerstört. Auch Antoine Leiris‘ Glück endete schlagartig, als seine Frau dabei ums Leben kam.

Der Journalist und junge Familienvater tut das, was er am besten kann, schreibt sich seine Trauer von der Seele. Entstanden ist der Text „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, später daraus ein Theaterstück. Doch, kann es danach weitergehen? Zuerst nur unmerklich, dann mit immer größeren Schritten findet Leiris ins Leben zurück und beginnt vom Neuen. Für sich. Für seinen kleinen Sohn.

Zu Beginn liest er sich schleppend, der Text, der als Prosa daherkommt und dennoch als Sachbuch vermarktet wird. Literarisches Sachbuch ist das eher, diese Trauerarbeit in Schriftform. Man merkt den Text die anfängliche Schwere an, wenn sich Tage ziehen und sich jede noch so kleine Tätigkeit schwer anfüllt. Immer wieder schweifen die Gedanken des Autors zurück, an das was war.

Durchbrochen nur von den Launen, dem Lachen, dem Weinen seines kleinen Sohnes. Verbindungsglied zu einem vergangenen Leben, gleichsam Dreh- und Angelpunkt des Textes. Um Melvil dreht sich alles, muss sich drehen. Für den kleinen Sohn muss es weitergehen, darf der Vater nicht aufgeben und muss sich wieder ins Leben zurückfinden.

Hart zu lesen. Starker Tobak ist das, Zeile für Zeile. Doch, die harte Schale wird aufgebrochen. Immer sensibler werden die beschriebenen Momente. Der Blick des Trauernden, die Perspektive des Autoren beginnt die Vergangenheit zu nehmen und auf das Zukünftige zu fixieren. Förmlich spürt man es beim Lesen, wie das Schreiben leichter von der Hand ging, mit zunehmender Seitenzahl.

Es gibt nur diese eine Perspektive, andere umgebende Menschen werden beobachtet. Deren Leben dreht sich ja auch weiter. Der Sohn noch zu klein, um zu ahnen, dass auch ihn das alles betrifft. Bleibt nur die Frage, warum jemand anderes das lesen soll, lesen möchte? Einen solch persönlichen Text, der alles frei legt. Beinahe zu viel des Gutem?

Lesbar für all jene, die selbst etwas zu verarbeiten haben oder hatten, die versuchen, einen unbegreiflichen Schicksalsschlag irgendwie zu fassen, sich für sich selbst oder für andere wieder aufrappeln wollen, müssen. Dann funktioniert dieses kleine Werk, in dem viel Großes Steckt wunderbar. Alle anderen Lesenden ist „Danach, das Leben“ nur mit Vorsicht zu empfehlen.

Wer möchte sich schon freiwillig von melancholischer Schwere, zumindest zu Beginn, erdrücken lassen?

Autor:

Antoine Leiris wurde 1981 geboren und ist ein französischer Journalist. Zunächst arbeitete er für den Radiosender France Info, bevor er 2014 kündigte, um einen Roman zu schreiben.

Stattdessen veröffentlichte ernach dem Tod seiner Frau, die bei dem Anschlag auf den Pariser Bataclan ums Leben kam, seinen Text „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, der zu einem Theaterstück verarbeitet wurde. Seit 2018 arbeitet er als Redenschreiber für die Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Mit seinem Sohn lebt Leiris in Paris.

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Maxim Leo: Wo wir zu Hause sind

Wo wir zu Hause sind Book Cover
Wo wir zu Hause sind Maxim Leo Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 14.02.2019 Seiten: 368 ISBN: 978-3-462-05081-3

Inhalt:

Wenn vier Menschen um einen Tisch sitzen, dann ist Maxim leos Berliner Familie schon fast vollständig versammelt. Die vielen anderen Leos, die in den 30er-Jahren vor den Nazis flohen, waren immer fern, über den ganzen Erdball verstreut. Zu ihnen macht er sich auf, nach England, Israel und Frnkreich, und erzählt ihre unglaublichen Geschichten.

Die von Hilde, der Schauspielerin, die in London zur Millionärin wurde. Die von Irmgard, der Jura-Studentin, die einen Kibbuz in den Golanhöhen gründete. Die von Ilse, der Gymnasiastin, die im französischen Untergrund überlebte. Und die ihrer Kinder und Enkelkinder, die jetzt nach Berlin zurückkehren, in die verlorene Heimat ihrer Vorfahren. (Klappentext)

Rezension:

In Interviews mit Schriftstellern fällt öfter der satz, am besten schreibe man über das, was man kennt. Doch, schon bei der eigenen Familiengeschichte wird es schwierig, ist sie doch etwas, was meist episodenhaft in den Köpfen einzelner Familienmitgleider herumgeistert und zumeist nicht tiefgehender erläutert wird. Wer wagt es schon, alte Wunden aufzureißen, genauer nachzufragen?

Wie wirken sich Entscheidungen, die einzelne Familienmitglieder Generationen zuvor getroffen haben, auf ihre Nachfahren aus und gibt es so etwas, wie ein kollektives Familiengedächtnis? Maxim Leo meint ja, und begibt sich auf Spurensuche quer über den Erdball zu den Wurzeln seiner Familie.

Die Geschichte seiner Familie ist vor allem in der beginnenden Verzweigung der 30er-Jahre die Geschichte von Frauen, denen besonderes abverlangt wurde in besonderen Zeiten. Der Autor führte Interviews mit den Nachfahren, Kindern und Enkeln und findet sich plötzlich wieder im Strudel der Geschehnisse, die die Familie quer über den Erdball verteilten und nur ein paar Leos in Berlin zurückließen. Die Stadt, in der alles ihren Anfang nahm.

Einfühlsam und emotional müssen die langen Gespräche gewesen sein, die Maxim Leo mit unzähligen Mitgliedern geführt haben muss und so spürt er minutiös seiner eigenen Vergangenheit nach oder dem, was heute noch nachwirkt. Das ist beeindruckend und macht nachdenklich, aber auch Lust, die eigene Familiengeschichte mal etwas näher zu betrachten, mal etwas tiefgehender zu hinterfragen.

Ungemein spannend beschreibt er die Besonderheit der Zeit, der seine Vorfahren ausgesetzt waren, aber auch, dass die drei Frauen, deren Kinder, Enkel und Urenkel, heute in Wien, Haifa, London und im ländlichen Frankreich zu Hause sind, nicht zum Opfer werden wollten, sondern für sich und ihre Nachkommen ums Überleben gekämpft haben.

Er vollzieht die Geschichte nach und die Erkenntnis, dass wir vielleicht weniger selbst entscheiden als in unserem kollektiven Gedächtnis festgelegt ist, folgt auf den Fuße. Bleibt die Frage, warum man jemand anderes Familiensagen sich zu Gemüte führen sollte? Ganz einfach, weil Familie eben das ist, was man sich nicht aussuchen kann, was bleibt und was wir zu dieser machen. Zudem ist es interessant zu erfahren, wie ähnlich und doch verschieden sich manche Biografien verhalten und dass eben nicht alles so „warm und selbstverständlich“ ist, wie es zunächst scheint.

Autor:

Maxim Leo wurde 1970 in Ost-Berlin geboren und ist ein deutscher Journalisst, Drehbuchautor und Schriftsteller. Nach einer Ausbildung zum Chemielaboranten holte er 1990 das Abitur nach und studierte zunächst Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, sowie in Paris. Er war Nachrichtenredakteur bei RTL und seit 1997 ist er zudem Redakteur bei der Berliner Zeitung.

2002 bekam er für seine Arbeit den Deutsch-Französischen Journalistenpreis, 2006 den Theodor-Wolff-Preis verliehen. Er ist Autor mehrerer Spaß-Bücher, sowie 2011 eines biografischen Werkes, wofür er 2011 den Europäischen Buchpreis erhielt. 2018 erschien mit „Wo wir zu Hause sind“ ein weiteres biografisches Buch. Leo schreibt Drehbücher für die Serie „Tatort“ und lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Joseph Joffo: Ein Sack voll Murmeln

Ein Sack voll Murmeln Book Cover
Ein Sack voll Murmeln Joseph Joffo Erfahrungsbericht Verlag ullstein Taschenbuch Seiten: 335 ISBN: 978-3-548-29026-3

Inhalt:
Zwei Jungen fliehen durch das kriegsversehrte Frankreich: Die beiden Brüder Joseph und Maurice sind zehn und dreizehn Jahre alt, als sie sich 1942 auf die Flucht aus Paris begeben.

Mit fünfzig Francs in der Tasche schlagen sie sich durch in die noch freie Zone, entkommen der Gestapo, verlieren ihre Familie – und nehmen sich in den trübsten Stunden Zeit für ein kleines Fußballmatch, zum Murmelspielen oder für trickreiche Schwarzmarktgeschäfte. Die einzigartige Geschichte zweier Jungen, die sich – um eine unbeschwerte Kindheit gebracht – immer ihren Galgenhumor bewahren. (Klappentext)

Rezension:
Ein Sack voll Murmeln wird eingetauscht gegen einen gelben Stern, den Joseph sich von seinem Hemd reißt. So verabschiedet sich der Zehnjährige von seinem besten Freund, ohne es zu wissen. Es ist einer seiner letzten Tage in Paris, einer der letzten seiner Kindheit. Die Vorzeichen richtig deutend, schickt der Vater seine Söhne alleine los, in die freie Zone, wo die Nazis noch keine volle Kontrolle haben. Mit fünfzig Francs in der Tasche machen sich die beiden Brüder auf eine Reise ins Ungewisse.

Im Nacken die Angst vor Enttarnung, Entdeckung und den Häschern der Nazis und Kollaborateuren. Die Flucht gelingt. Doch, auch die Tage der freien Zone sind gezählt. Bald finden sich Joseph und Maurice wieder, direkt in der Hölle. In den Fängen der Gestapo.

Erlebte Geschichte zählt zu den spannendsten Stücken, die es zu erzählen gibt, auch wenn man hier dem Autor wünschen würde, er hätte dies nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Doch, es ist seine und die seines Bruder Flucht vor den Nazis, von denen Joseph Joffo erzählt. Standartlektüre in französischen Schulen, die jetzt erneut für’s Kino adaptiert und neu übersetzt wurde.

Der Autor berichtet von den Ereignissen, die zu seiner Flucht von der besetzten Hauptstadt an der Seine führten, bishin zum sicher geglaubten Ziel, welches sich beinahe als tödliche Falle erweißen sollte. Mit nachdenklichen Ton berichtet er, aus Kindessicht, von menschlicher Grausamkeit, tiefer Angst und dem kleinen Glück inmitten von Terror und Zerstörung von Leben.

Menschen, die ihn Böses wollten, Menschen, die ihn aus unerfindlichen Gründen halfen, werden messerscharf und überlegt portraitiert.Der Leser nimmt beinahe die Stellung Joffos ein. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn der SS-Offizier den Zehnjährigen zum ersten, zweiten, dritten und vierten Verhör schleift, wenn der Zug für eine Razzia angehalten wird und es nicht die Jungs trifft, sondern eine bemitleidenswerte Frau, wenn mühsam aufgebautes Glück im nächsten Moment wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Den Tränen wird der Leser an manchen Stellen nah sein, an anderen sich das Lachen kaum verkneifen können. In dichter Abfolge sind die Ereignisse beschrieben, eben so wie diese in der Wahrnehmung des Kindes Joseph passierten.

Der einfühlsame Schreibstil, der sich an Erwachsene und jugendliche Leser gleichermaßen richtet, bringt diese besondere Kindheitsbiografie nahe, die sich einreiht in die schriftlichen Hinterlassenschaften etwa Anne Franks oder Petr Ginz‘.
Diesmal in Romanform verpackt bleiben der Nachwelt erneut Erinnerungen an dunkle Zeiten erhalten, denen man sich nicht entziehen kann. Man lebt und leidet mit den Kindern Joseph und Maurice, möchte sie schützen und ihnen all das Leid und die Angst ersparen, die ihnen widerfährt.

Eine Kindheitsbiografie, welch Wort, gegen das Vergessen. Sie sticht heraus, da es sich hier um eine der wenigen französischen Erinnerungsaufzeichnungen handelt, die für den deutschsprachigen Markt übersetzt wurden. Wie in den Niederlanden und Deutschland Anne Frank hat Joseph Joffo für sein Land eine ähnliche Bedeutung. Diese sollten wir ihm auch hier messen.

Autor:
Joseph Joffo wurde 1932 in Paris geboren und floh als Kind vor den Häschern der Nazis in die freie Zone Frankreich, wo er nur knapp der Gestapo entkam.
Er schrieb 1971 seine Kindheitserinnerungen auf, die ein wenig später verfilmt wurden und auf den Bestsellerlisten Frankreichs zu finden waren. Für das Kino wurde das Buch erneut verfilmt, 2017, und ins Deutsche übersetzt. Seiner Familie gehören mehrere Friseursalons in Paris.

Verfilmung 2017:
Die Neuverfilmung ist dem Autoren, so schreibt er in einem Nachwort zur Neuauflage, lieber als die erste aus den 70er Jahren. Der Vater wird korrekter dargestellt, die Ereignisse sind ehrlicher, was heißt, härter dargestellt als im ersten Film.

Eben so, wie sie von Joseph Joffo wahrgenommen wurde. Es sei zudem gesagt, dass Christian Duguay für seinen Film einen großartigen Cast organisierte.
Allen voran Dorian Le Clerch als Joseoph Joffo spielt mühelos auf Augenhöhe mit den Erwachsenen, die nicht nur im französischen Kino bekannt sind.

Trailer zur Verfilmung „Ein Sack voll Murmeln“.

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