Israel

Michael Wolffsohn: Wir waren Glückskinder – trotz allem

Inhalt:

Thea Saalheimer ist siebzehn, als sie mit ihrer Familie vor dem Naziterror nach Tel Aviv flieht. Dort verliebt sie sich in Max Wolffsohn und baut mit ihm ein neues Leben auf. Fünfzehn Jahre später kehren die beiden mit ihrem Sohn Michael ins Nachkriegsdeutschland zurück. Wie erlebten Thea und ihre Familie den Nationalsozialismus und die Emigration in ein Land, das ihnen in jeder Hinsicht fremd war? Wie kam es, dass sie ins Land der Täter zurückzogen? (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, realisierte kaum jemand die von ihnen ausgehenden Gefahren. Geheimnisse daraus indes, hatten sie gemacht. Von Anfang an waren deren Ziele klar. Von Beginn an, wirkten sie darauf hin. Warum jedoch, realisierten allzu viele die Zeichen erst, als es längst zu spät war?

Warum erkannten nur wenige die Zeichen der Zeit und schafften es, rechtzeitig zu fliehen? Der Autor Michael Wolffsohn versucht eine Erklärung zu finden und nimmt dabei die Geschichte seiner Familie auf.

Wem das bekannt vorkommt, der hat Recht. Schon einmal hat sich der Historiker damit beschäftigt. In „Deutschjüdische Glückskinder – Eine Weltgeschichte meiner Familie“ hat er diese bereits vor einigen Jahren aufgearbeitet. Ausführlicher und detaillierter, jedoch gefühlt neutraler. Diese Variante hier ist kompakter, liest sich schneller und von der Tonalität gleicht es einem Buch für ältere Kinder oder einem für jüngere Jugendliche, um diese an diese Thematik heranzuführen und mit entsprechenden Fragestellungen zu konfrontieren, ist auch so entsprechend angedacht.

Der Autor gleichsam Erzähler und Beobachter führt die Lesenden entlang der wechselhaften Geschichte seiner Familie. Wie erlebten seine Großeltern den Umbruch, der alles veränderte, die beginnende und immer deutlich zu Tage tretende Ausgrenzung? Wie schwer fiel es der Familie den Entschluss zu fassen, alles Bekannte zurückzulassen, trotz der Gefahren, die immer sichtbarer wurden?

Weshalb entschlossen sich die Wolffsohns zu den, nur wenige Jahre nach dem Krieg, für viele Juden unbegreiflichen Schritt, wieder nach Deutschland zurückzukehren? Fragen, die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihen und komplexer Antworten bedürfen. Fragen, mit denen der Schreibende die jungen Lesenden dazu bringen möchte, selbst Fragen zu stellen, die Dilemma zu erkennen, vor denen seine Familie stand, auf dass der heute wieder deutlich werdende Hass keine Chance bekommt, ein neues 1933 zu weden.

Das Werk selbst, kann als Einführung in die Geschichte genutzt werden, ist so aufbereitet auch durchaus als Unterrichtslektüre denkbar. Für ältere Leser empfiehlt sich die komplexere Variante für Erwachsene. Für sie könnte alleine der Erzählstil etwas angestrengt wirken, zumal das Jugendbuch nicht ganz so detailreich wird. In der entsprechenden Altersgruppe gelesen, ist es dennoch gut vorstellbar.

Autor:

Michael Wolffsohn wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. In Tel Aviv geboren, kehrte er mit seiner Familie 1954 nach Deutschland zurück, aus dem diese einst im Zuge des Holocausts fliehen musste. Nach der Schule studierte er Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte in Berlin, Tel Aviv und den USA, nahm später Stellen an verschiedenen Universitäten an. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet Internationaler Beziehungen, der deutschen und jüdischen Geschichte, sowie der historischen Demoskopie. In der Bundeswehruniversität Münschen begründete er 1991 die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. Wolffsohn ist Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache.

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Maxim Leo: Wo wir zu Hause sind

Wo wir zu Hause sind Book Cover
Wo wir zu Hause sind Maxim Leo Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 14.02.2019 Seiten: 368 ISBN: 978-3-462-05081-3

Inhalt:

Wenn vier Menschen um einen Tisch sitzen, dann ist Maxim leos Berliner Familie schon fast vollständig versammelt. Die vielen anderen Leos, die in den 30er-Jahren vor den Nazis flohen, waren immer fern, über den ganzen Erdball verstreut. Zu ihnen macht er sich auf, nach England, Israel und Frnkreich, und erzählt ihre unglaublichen Geschichten.

Die von Hilde, der Schauspielerin, die in London zur Millionärin wurde. Die von Irmgard, der Jura-Studentin, die einen Kibbuz in den Golanhöhen gründete. Die von Ilse, der Gymnasiastin, die im französischen Untergrund überlebte. Und die ihrer Kinder und Enkelkinder, die jetzt nach Berlin zurückkehren, in die verlorene Heimat ihrer Vorfahren. (Klappentext)

Rezension:

In Interviews mit Schriftstellern fällt öfter der satz, am besten schreibe man über das, was man kennt. Doch, schon bei der eigenen Familiengeschichte wird es schwierig, ist sie doch etwas, was meist episodenhaft in den Köpfen einzelner Familienmitgleider herumgeistert und zumeist nicht tiefgehender erläutert wird. Wer wagt es schon, alte Wunden aufzureißen, genauer nachzufragen?

Wie wirken sich Entscheidungen, die einzelne Familienmitglieder Generationen zuvor getroffen haben, auf ihre Nachfahren aus und gibt es so etwas, wie ein kollektives Familiengedächtnis? Maxim Leo meint ja, und begibt sich auf Spurensuche quer über den Erdball zu den Wurzeln seiner Familie.

Die Geschichte seiner Familie ist vor allem in der beginnenden Verzweigung der 30er-Jahre die Geschichte von Frauen, denen besonderes abverlangt wurde in besonderen Zeiten. Der Autor führte Interviews mit den Nachfahren, Kindern und Enkeln und findet sich plötzlich wieder im Strudel der Geschehnisse, die die Familie quer über den Erdball verteilten und nur ein paar Leos in Berlin zurückließen. Die Stadt, in der alles ihren Anfang nahm.

Einfühlsam und emotional müssen die langen Gespräche gewesen sein, die Maxim Leo mit unzähligen Mitgliedern geführt haben muss und so spürt er minutiös seiner eigenen Vergangenheit nach oder dem, was heute noch nachwirkt. Das ist beeindruckend und macht nachdenklich, aber auch Lust, die eigene Familiengeschichte mal etwas näher zu betrachten, mal etwas tiefgehender zu hinterfragen.

Ungemein spannend beschreibt er die Besonderheit der Zeit, der seine Vorfahren ausgesetzt waren, aber auch, dass die drei Frauen, deren Kinder, Enkel und Urenkel, heute in Wien, Haifa, London und im ländlichen Frankreich zu Hause sind, nicht zum Opfer werden wollten, sondern für sich und ihre Nachkommen ums Überleben gekämpft haben.

Er vollzieht die Geschichte nach und die Erkenntnis, dass wir vielleicht weniger selbst entscheiden als in unserem kollektiven Gedächtnis festgelegt ist, folgt auf den Fuße. Bleibt die Frage, warum man jemand anderes Familiensagen sich zu Gemüte führen sollte? Ganz einfach, weil Familie eben das ist, was man sich nicht aussuchen kann, was bleibt und was wir zu dieser machen. Zudem ist es interessant zu erfahren, wie ähnlich und doch verschieden sich manche Biografien verhalten und dass eben nicht alles so „warm und selbstverständlich“ ist, wie es zunächst scheint.

Autor:

Maxim Leo wurde 1970 in Ost-Berlin geboren und ist ein deutscher Journalisst, Drehbuchautor und Schriftsteller. Nach einer Ausbildung zum Chemielaboranten holte er 1990 das Abitur nach und studierte zunächst Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, sowie in Paris. Er war Nachrichtenredakteur bei RTL und seit 1997 ist er zudem Redakteur bei der Berliner Zeitung.

2002 bekam er für seine Arbeit den Deutsch-Französischen Journalistenpreis, 2006 den Theodor-Wolff-Preis verliehen. Er ist Autor mehrerer Spaß-Bücher, sowie 2011 eines biografischen Werkes, wofür er 2011 den Europäischen Buchpreis erhielt. 2018 erschien mit „Wo wir zu Hause sind“ ein weiteres biografisches Buch. Leo schreibt Drehbücher für die Serie „Tatort“ und lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Eyal Megged: Oschralien

Oschralien Book Cover
Oschralien Eyal Megged Berlin Verlag Erschienen am: 02.05.2018 Seiten: 378 ISBN: 978-3-8270-1349-1 Übersetzerin: Ruth Achlama

Inhalt:

Hillel hat kaum eine Beziehung zu seinem Sohn Roy. Nach dem Scheitern seiner Ehe sträubte er sich von Anfang an gegen diese Vaterschaft, gegen die Möglichkeit einer neuen Familie. Seine Reise nach Australien zu Roy und dessen Mutter könnte eine zweite Chance sein – aber wer sagt, dass Hillel die will…? (Klappentext)

Rezension:
Es liegt nicht am Autoren, an der Übersetzung, an der Geschichte selbst, es liegt an mir. Ich hoffe mal, es ist so, anders kann ich mir den Effekt nicht erklären, den dieser Roman auf mich hatte. Dabei ist die Grundidee an sich nicht schlecht.

Ein orientierungsloser und beruflich nicht gerade erfolgreicher Mann wird vom anderen Ende des Globus‘ aus angerufen und aufgefordert, seinen Erziehungspflichten dem gegenüber nachzukommen, den er in einem unbedachten berauschenden Moment gezeugt hat.

Doch, der Sohn will seinen nun auftauchenden Vater nicht und zeigt es ihm mit allen Mitteln, die dem Rotzbengel zur Verfügung stehen. Mutter und Vater sind machtlos gegen den kleinen Vulkan, der ständig explodiert und kommen sich näher, unfähig jedoch, auf lange Sicht eine Beziehung aufzubauen.

Das ist ein Stoff für große und ausschweifende Romane, aber in jedem Falle nicht der von Eyal Megged. Lange nicht mehr habe ich solch einen zusammengewürfelten Mist mir angetan.

Wie gesagt, an der Idee liegt’s nicht, eher an der Ausführung. In feinster Sprache befindet sich der Leser gleichsam in einer Art philosophischer Vorlesung über das Wohl und Wehe, dem Zusammenhalt und Auseinadertriften von Menschen und ihrer Beziehungen.

Das Studium jedenfalls, merkt man dem Autoren an, da das darin zusammengeklaubte Wissen, aus jeder niedergeschriebenen Zeile trieft. Das ist für jeden Leser einfach nur ermüdend und langweilig, jedenfalls nicht zielführend, wenn er oder sie mit Philosophie nichts anfangen kann oder sich einfach nur mit der Lektüre fallen lassen möchte. Ein hilfloses Unterfangen, zumindest hier.

Und wenn man der schwülstigen Sprache nichts abgewinnen kann, der Handlung und was der Autor daraus macht, ebenso wenig, einzig die Idee bleibt, ist nicht mehr viel, was übrig bleibt.

Tatsächlich haben sich an der Grundidee schon unzählige Autoren versucht und es ist ihnen fast allen besser gelungen, als Megged, von dem ich hoffe, dass seine Geschichte im Original eine völlig andere Wirkung hat, wobei das ja ein schlechtes Zeichen für die Übersetzerin wäre. Wenn sich das ungefähr gleicht, ist es für beide kein Ruhmesblatt. „Oschralien“ ist die transportierte Langeweile schlecht hin und ein gutes Schlafmittel.

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Autor:
Eyal Megged wurde 1948 in New York geboren und ist ein israelischer Schriftsteller, Kolumnist und Journalist. Er wuchs in Tel Aviv auf, wo er Philosophie und Kunstgeschichte studierte. Der Autor arbeitete zunnächst als Redakteur für einen Hörfunksender und schreibt als Jornalist für israelische Tageszeitungen über Literatur, Kultur und Sport.

1993 wurde er mit dem Macmillan Prize ausgezeichnet. Mehrere seiner Werke wurden ins Deutsche, sowie ins Englische übersetzt. Mit seiner Familie lebt er in Tel Aviv.

Nebenbemerkung:
Es müsste jetzt vielleicht jemand die Geschichte lesen und daran Gefallen finden. Ich möchte wirklich wissen, ob es Menschen gibt, die den Zugang bekommen, den ich nicht gefunden habe.

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Michael Brenner: Israel – Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates

Israel - Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates Book Cover
Israel – Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates Michael Brenner C.H. Beck Erschienen am: 21.01.2016 Seiten: 288 ISBN: 978-3-406-68822-5

Inhalt:

Juden waren über Jahrhunderte verfolgte Außenseiter. Die Gründung des Staatsollte endlich eine ganz normale Heimat für sie schaffen. Doch heute sieht sich der jüdische Staat selbst in der Rolle des misstrauisch beobachteten Außenseites.

Michael Brenner erklärt, wie es dazu kommen konnte. Er verwebt auf meisterhafte Weise die politische und gesellschaftliche Entwicklung Israels mit der Geschichte seiner Selbstentwürfe, Träume und Traumata. Nur wer diese Tiefendimensionen kennt, kann das große kleine Land, das immer wieder die Welt in Atem hält, wirklich verstehen. (Klappentext)

Rezension:

Über kaum ein anderes Land wird im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl und Flächengröße so unverhältnismäßig viel berichtet, wie über Israel, ist dieser Staat doch ein künstlich geschaffenes Gebilder in einer schon damalig existierenden Konfliktregion, was nicht gerade zum Frieden unter den bereits dort lebenden Menschen beigetragen hat.

Hinzu kommt, dass die Menschen inner- wie außerhalb immernoch eine Definition für dieses Land suchen, was die Welt in Atem hält. Wie definiert sich die Heimstätte der juden? Was ist das überhaupt? Welche Religion sollte die Religion spielen?

Basis sein für eine Gesellschaft oder eher lose Werte-Orientierung? Wer ist Israeli, wer nicht, wer ist jüdischer Staatsbürger und wer kann dazu werden? Welche Rechte und Pflichten hat welche gesellschaftliche Gruppe in diesem Mittelmeer-Anrainerstaat und wo liegen die Grenzen? Geografisch, politisch, gesekllschaftlich, religiös und überhaupt?

Diese Fragen führten unter den jüdischen wie auch nicht-jüdischen Gruppen auf der ganzen Welt immer wieder zu Diskussionen undunüberbrückbaren Streitigkeiten, die heutzutage wieder zu Spannungen führen, die Israel um seine Zukunft bangen lassen.

Ideologische und religiöse Grabenkämpfe werden zwischend den Nachfahren der Holocaust-Überlebenden in In- und Ausland geführt. Immer wieder bestimmen Fragen über Einwanderer, Auswanderer, Rückkehrer und Juden in Israel selbst und der Welt sowie so die Wahlkämpfe und Regierungskoalitionen israelischer Politiker und am Ende bleibt nur eines.

Der israelische Staat sieht sich als besonderer Staat, der normal sein will, ein „klein Albanien“ unter den Ländern der Erde, es aber nicht sein kann, da sein Volk schon seit jeher eine Sonderrolle hat.

Und damit ist schwer umzugehen. Für Juden, Israelis und für den Rest der Welt schwer zu verstehen und kaum zu lösen. Michael Brenner erklärt hier eindrucksvoll, warum gerade Israel nicht zu begreifen ist aber uns immer wieder faszinieren und gleichzeitig erschrecken vermag.

Warum dieser kleine Staat, der kum so groß ist wie das Bundesland Hessen, in nahezu jeder gesellschaftlichen und politischen Frage vor einer Zerreißprobe steht und die Zukunft des hochtechnologisierten Landes gerade heute auf dem Spiel steht.

Wer Israel verstehen möchte, wird dieses Buch mit Gewinn lesen, hat am Ende jedoch mehr Fragen auf der Zunge, die sich Israel stellen muss, soll dieses Land auch weiterhin eine Existenzberechtigung haben.

Wohlgemerkt, diese stellen heute nicht zuletzt die jüdische Bevölkerung selbst infrage, deren Dreh- und Angelpunkte im Spannungsfeld zwischen dem säkularem Tel Aviv, dem religiösen Jerusalem, dem politischen Washington D.C. und der wieder anziehenden Metropole Berlin liegen.

Michael Brenner greift dies auf, verlangt dem Leser Konzentration und Denkvermögen ab und stößt einen gesellschaftlichen Diskurs an, der von den Juden geführt werden muss. Nur dann hat Israel seine Berechtigung und eine Chance, weiterhin den Stellenwert zu halten, den das Land in der Welt heute einnimmt.

Autor:

Michael Brenner wurde 1964 in Weiden geboren und wuchs als sohn zweier Shoa-Überlebenden in Bayern auf. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische geschichte und Kultur an der Universität München und Direktor des Center vor Israel Studies an der American University in Washington D.C.

Seit 2009 ist er ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und wurde 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zum Thema Jüdische Geschiche, u.a. „Kleine Jüdische Geschichte“, im Jahr 2008.

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Michelle Cohen Corasanti: Der Junge, der vom Frieden träumte

Der Junge, der vom Frieden träumte Book Cover
Der Junge, der vom Frieden träumte Michelle Cohen Corasanti Fischer Taschenbuch Erschienen am: 25.05.2016 Seiten: 399 ISBN: 978-3-596-03283-9 Übersetzerin: Adelheid Zöfel

Inhalt:

Der zwölfjährige Palästinenserjunge Achmed kämpft um das Überleben seiner Familie, der einst eine blühende Orangenfarm gehörte. Auf der Jagd nach einem Schmetterling kommt seine zweijährige Schwester Amal in einem Minenfeld ums Leben.

Als auch noch sein Vater verhaftet und der Familie alles genommen wird, ist er der Einzige, der sie retten kann. Denn Ahmed ist ein Mathematikgenie und erhält eines der begehrten Stipendien an der Universität von Tel Aviv. Doch dort ist er der einzige Palästinenser unter Juden…

Rezension:

Beinahe bilden die Romane, deren Titel alle so ähnlich klingen, ein eigenes Subgenre. „Der Junge, der…“, „Das Mädchen, dass…“, „Der Hundertjährige, der…“. Sie alle beleuchten das fiktive Leben eines Protagonisten und geben dennoch ein beeindruckendes Bild einer bestimmten Zeitepoche wieder und man meint, beinahe übersättigt zu werden von Romanen dieser Art.

Auf die Gefahr hin, dass dies passiert, hat auch der Fischerverlag zu solch einem Titel gegriffen, was hier jedoch keineswegs stört. Tatsächlich liegt mit Cohen Corasantis Roman ein beeindruckendes Werk vor, was sich unbedingt zu lesen lohnt.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Jungen, dessen Leben praktisch mit einem tiefen Fall in der Kindheit beginnt, geprägt von Armut, Verzweiflung aber auch ein wenig Hoffnung, den Kampf gegen alle Widerstände und schließlich dem Triumph der Hoffnung.

Einen Aufstieg, wie man es vielen Menschen in der Region gönnen, der jedoch nur höchst selten eben jenen gelingt. Corasanti zeichnet zudem sehr sensibel ein Bild der Palästinenser, die in einem schier unlösbaren Konflikt, die Israelis nicht minder, gefangen sind.

Auch das ein Punkt, der unbedingt beachtet werden sollte, verliert man doch diesen mit dem Abschalten der Nachrichten zu schnell aus den Augen. Der Autorin gelingt es, wenigstens für ein paar Stunden dem Leser einen Standpunkt einnehmen zu lassen ohne die andere Seite zu vernachlässigen. Eine große Kunst, dies auf vergleichsweise wenigen Seiten zu schaffen.

Natürlich ist das Ende mehr eine Wunschvorstellung der Autorin als ein realistisches Ereignis, doch man gönnt es den Protagonisten, der so viel durchmachen muss. Man leidet, freut und trauert mit ihm, triumphiert, hofft und bangt.

Der flüssige Schreibstil lässt einem in diese Welt, die gar nicht so weit entfernt ist von unserer eigenen, eintauchen und findet sich in einem von der Gesellschaft fast vergessenen ignorierten Konflikt wieder. Die Protagonisten und ihre Ansichten klingen glaubwürdig, ein „Böser“ macht eine schiere Wandlung durch, die beinahe schmerzt aber auch das gehört dazu.

Wie sonst wäre es wohl zu erklären, wie die Menschen in Palästina und Israel den Alltag dort aushalten können? Natürlich stellt sich die Autorin ganz klar auf eine Seite, was aber auch verständlich ist, wenn man ihre Geschichte betrachtet. Interessant nur, dass es nicht die „ihre“ Seite ist, sondern konkret die andere. Und dies glaubwürdig und ohne Groll.

Mit „Der Junge, der vom Frieden träumte“ sollte man sich ein paar Stunden Zeit nehmen, über den Konflikt Israel-Palästina nachzudenken und vor allem über die Menschen, die in dieser schier unlösbaren Situation sich zurechtfinden, eine Art Alltag leben müssen.

Egal, auf welcher Seite, es gibt unter beiden Schuldige und Anheizer, genau so wie Unschuldige, denen jedes Ausbrechen oder jeder Versuch verweigert wird, Frieden zu erwirken. Für sich und für andere.

Eine Region, die soviel politischen Sprengstoff für noch kommende Jahrzehnte birgen wird, deren Menschen hoffentlich eines Tages erkennen, dass sie nur zusammen all das überwinden und gemeinsam stark sein können.

Cohen Corasanti gibt die Hoffnung nicht auf, dass es dazu kommen wird, im Kleinen und Großen. Wenn mehr Menschen ihren Roman lesen würden, wenn es mehr dieser Ahmeds und Menachems geben würde, wie sie die Autorin beschreibt, wären wir auf einem guten Weg dorthin.

„Der Junge, der vom Frieden träumte“, eine faszinierende und wichtige Geschichtsstunde, vor allem aber ein großartiger Roman.

Autorin:

Michelle Cohen Corasanti ist eine in den USA geborene Jüdin. Ihre Eltern schickten sie nach Israel, um Hebräisch zu lernen, die jüdische Kultur und Religion zu studieren.

Sie besuchte die Hebrew University of Jerusalem, wo sie ihren Master in Nahostwissenschaften machte und arbeitete in Harvard für ihr Diplom. Inzwischen ist sie Anwältin für Menschenrechte. Dies ist ihr erster Roman.

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