Berlin

Christian Bommarius: Im Rausch des Aufruhrs – Deutschland 1923

Inhalt:

Franzosen und Belgier besetzen das Ruhrgebiet. Tucholsky wirft hin und geht zur Bank. Hemingway wird nicht bedient. Das Rheinland will sich vom Reich abspalten. Anita Berber hat sie alle in der Hand, Joseph Roth steht vor dem Durchbruch. In Hamburg proben Kommunisten den Aufstand und Hitlers Bierkellerputsch scheitert in München blutig. Ein Brot kostet 399 Milliarden Mark.
(Klappentext)

Rezension:

Die neue Demokratie steht auf wackligen Beinen, akzeptiert wird sie nur von wenigen. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs ist noch nicht zu lange her. Einen Weg zur Stabilisierung hat man noch nicht gefunden, gefundenes Fressen für radikale Kräfte. Das Geld verliert immer mehr an Wert. Bald schon wird der Lohn in Schubkarren ausgegeben werden müssen.

Für Banken arbeitende Druckereien suchen händeringend Angestellte. Auch ein späterer Propagandaminister, sowie ein kranker Schriftsteller finden sich hinter Bankschalter wieder. Es ist das Jahr 1923, kurz bevor der deutsche Staat sich zu stabilisieren beginnt und zugleich auch Risse bekommt, die ihn später mit zu Fall bringen sollten. Der Journalist Christian Bommarius hat sich mit der rührigen Zeitspanne von zwölf ereignisreichen Monaten beschäftigt.

Ein Sachbuch als historischer Kalender, dies ist die Aufmachung, in der jedem Monatskapitel zunächst eine Übersicht der zu den Zeitpunkt stattfindenden Ereignisse vorangestellt wird, eingeführt durch jeweils mehrere bezeichnende Fotos. Fast literarisch wird die Zusammenfassung danach aufgefächert. Wir begleiten Politiker und solche, die es einmal werden, Putschisten, Künstler und Literaten durch dieses flirrende Jahr und einen geschassten Monarchen, der von seiner Rückkehr träumt.

Die Fakten sind bekannt. Beiderseits der Grenze des Ruhrgebiets, welches von den Franzosen besetzt wird, nichts Neues. Trotzdem wirken die Texte zuweilen hölzern. Leichtgängig ist etwas anderes. Ein Lesefluss entsteht alleine nicht durch den vielseitigen Wechsel der beschriebenen Ereignisse, die zwar ausgiebig recherchiert wurden, aber für Sprunghaftigkeit wirken. Es gilt, Überblickswissen zu erlangen. Wer dieses bereits hat, sollte sich spezialisierter Lektüre zuwenden. Hier wird Grundlagenwissen aufgefrischt.

Eine gute Ergänzung ist das Personenverzeichnis hintenan, welches einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der im Text aufgeführten Biografien gibt, deren Weichen auch und besonders im Jahr 1923 gestellt wurden.

Was sehr interessant dargestellt wird, sind die Auswirkungen der Inflation auf die einzelnen Wege der jeweiligen Personen, doch immer dort, wo es spannend wird, erfolgt der Wechsel zum nächsten Momentum. Dabei hat der Autor ein umfangreiches Detailwissen vorzuweisen. Vielleicht wäre hier die Konzentration auf einen Bereich, etwa Kunst und Kultur, nur Wirtschaft oder nur Politiker, vorteilhafter gewesen? Eine Einführung und Übersicht ist es jedoch allemal.

Autor:

Christian Bommarius wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften und Germanistik, bevor er als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht arbeitete. Er war von 1998 bis 2017 Redakteur bei der “Berliner Zeitung”, anschließend Kolumnist der “Süddeutschen Zeitung”. Er arbeitet zudem als freier Autor und wurde bereits mit dem otto-Brenner-Preis (2018) und den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Berlin, ausgezeichnet.

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Über ein physisches Leseerlebnis und Appetit auf Wöbkenbrot

Als der aktuellen Lage geschuldet, Messen ausfielen, wurden so einige Verlage, Autoren und Autorinnen aktiv und haben die Möglichkeiten der sozialen Medien sehr ausführlich genutzt und auch diverse Tools, die wir ausgiebig in unserem Arbeitsalltag integriert haben dürften. So konnten Lesungen, Interviews und Gesprächsrunden weiter stattfinden.

Der Kontakt zwischen Literaturszene und Leserschaft kam so nicht zum Erliegen, doch ein kleiner Stich im Herzen ließ Präsenzveranstaltungen schmerzlich vermissen. AutorInnen direkt gegenüber zu stehen, mit denen zu sprechen, vielleicht ein Foto zu machen und sich eine Signatur zu holen, ein persönliches Feedback zu geben, ist doch etwas anderes, als Bildschirm-Atmosphäre zu spüren, die wir ja sowie so zu oft spüren.

Die erste größere Gelegenheit war jetzt für mich die jüngst vergangene PopUp-Buchmesse in Leipzig, aus der von den dort anwesenden Verlagen noch einige Werke hier nach und nach vorgestellt werden und nun, in etwas kleineren Rahmen die Veranstaltung des Mirabilis Verlags und der Letretage Berlin, in der der Autor Jürgen Meier aus seinem Roman „Wöbkenbrot und Pinselstrich“ las.

Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich
Seiten: 343, ISBN: 978-3-947857-08-1
Mirabilis Verlag

Weder den Veranstaltungsort, noch das Ankerzentrum für Literatur Lettretage kannte ich vorher, auch nicht Jürgen Meier und so bin ich dort ganz unbefangen gewesen, ohne zu wissen, was mich eigentlich erwartet. Der Ort selbst sehr unscheinbar, der Raum übersichtlich, ist wohl das, was man in Berlin als atmosphärisch bezeichnen würde. Gewirkt hat er in jedem Fall und vor allem der Autor selbst.

Mehrere Abschnitte las er im kleineren Rahmen aus seinem Werk vor, welches hier noch näher vorgestellt werden wird und entfachte quasi einen vor dem Publikum ablaufenden Film, über zwei Familien über ein Jahrhundert. Und das funktionierte gut, sehr gut sogar, so dass ich gespannt darauf bin, Protagonisten, Orte, die Handlung und die Kunst selbst zu entdecken. Ich werde davon berichten.

Danach ging es ins Gespräch. Der Autor und das Publikum, die Verlagsmitarbeiterin, die Literaturagentin, Freunde, Bekannte des Schreibenden und irgendwo auch ich. Jeder unterhielt sich im Laufe des Abends mit jedem, diskutierte und entdeckte das Gesicht hinter E-Mai-Adressen und auch sonst. Der Film, den der Autor entfacht hatte, lief also praktisch weiter.

Ich freue mich jetzt auf die Lektüre, vertiefte Kontakte und die eine oder andere Idee für Projekte, die ich im Kopf habe und vielleicht mit anderen weiterspinnen werde. Das hätte eine Online-Veranstaltung so nicht gekonnt, bin ich mir sicher. Schon das Lesen von Jürgen Meier hätte nicht annähernd so wirken können, wie es live gewesen ist. So blieb am Ende nicht nur der Appetit auf Wöbkenbrot.

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Florian Schwiecker/Michael Tsokos: Eberhardt & Jarmer 2 – Der 13. Mann

Inhalt:

Ein Mann. Eine Leiche. Ein Abgrund.
Rocco Eberhardt kann kaum glauben, was den unscheinbaren Timo Krampe in seine Anwaltskanzlei führt: Timo wollte mit seinem Freund Jörg einen Skandal von enormer Sprengkraft aufdecken, doch nun ist Jörg verschwunden. Emordet, wie Rechtsmediziner Justus Jarmer angesichts der Wasserleiche auf seinem Tisch vermutet.

Und auch Timos Leben scheint in Gefahr, denn seine Enthüllung ist wahrlich brisant: Im Rahmen des Granther-Experiments hatten Berliner Jugendämter noch bis 2003 Pflegekinder bewusst an pädophile Männer vermittelt – auch Timo und Jörg. Und die Verantwortlichen sitzen inzwischen an den Schalthebeln der Macht… (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Rezension:

Ein rechtsmedizinisch, nur angehauchter, Justiz-Krimi ist das, was diesmal die Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos vorgelegt haben, der jedoch um so spannender daherkommt, wie auch die Anlehnung an reale Geschehnisse hoch brisant ist.

Wieder enstpannt sich ein zunächst relativ harmloser, dennoch düster erscheinender Fall um das ungleiche Ermittler-Duo, den Rechtsmediziner Justus Jarmer, der eine aus einem Berliner Kanal geborgene Leiche obduzieren muss, und Strafverteidiger Rocco Eberhardt, der diesmal in die Verlegenheit kommt, ein Opfer mit einer unglaublichen Geschichte vertreten zu müssen. Beide Fälle sind schnell einer und der wirbelt genug Staub auf, dass nicht nur die beiden Hauptprotagonisten sich bald einem gewaltigen Sturm gegenüber sehen.

Dabei ist der Erzählstil, wie auch schon mit Auftakt der Reihe, weiterhin sehr ruhig, wenn auch zahlreiche Thriller-Elemente, wie Kapitel, erzählt aus den verschiedenen Sichtweisen der handlungsgebenden Figuren, vorhanden sind und genug Wendungen, um Lesende zu verwirren und aufs Glatteis zu führen.

Dabei gelingt den Schreibenden die Protagonisten mit einer genügenden Prise Realität auszustatten und sich entlang von Geschehnissen zu hangeln, die dennoch genügend verfremdet und abgewandelt wurden, wie man anhand des Nachworts erfährt. Schließlich ist nichts grausamer als die Realität.

Spannend ist hier die psychologische Komponente der Figur Timo Krampe herausgearbeitet, genau so, wie die des zuerst unscheinbar bleibenden Gegenspielenden. Dessen Identität und Rolle wird schnell klar, nur beinahe zu schnell. Mit wenigen Kapiteln rückt das Taktieren der Protagonisten in den Vordergrund, woraus eine interessante Dynamik entsteht.

Nicht ganz so detailliert sind gerichtsmedizinische Elemente, weshalb dieser Krimi durchaus, wenn auch mit Vorsicht, jene sich zu Gemüte führen können, die es nicht ganz so blutig mögen. Insgesamt kann man den beiden Autoren zuschreiben, einen Band geschrieben zu haben, der nicht schwächer ist als der erste, an Erzähltempo zulegt und Lust macht, auf weitere Fälle (die ansonsten unabhängig voneinander gelesen werden können).

Autoren:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite Berlin. Seit 2007 leitet er dort das Institut für Rechtsmedizin und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin-Moabit. Zudem ist er als Autor von Sachbüchern und Thrillern, oft in Kombination mit anderen Autoren tätig.Seit 2014 engagiert er sich als Botschafter des Deutschen Kindervereins.

Florian Schwiecker wurde 1972 in Kiel geboren und ist vom Beruf Strafverteidiger. 2017 erschien sein erster Thriller. Für eine Zeitung schreibt er regelmäßig eine Thriller-Kolumne.

Der Autor lebt in Berlin.

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Kurzblick: Poetisiert Euch.

Wieder einmal ist es Zeit für einen Beitrag der Kategorie “Kurzblick”. Hier erscheint alles, was sonst nicht recht in irgendeine andere Kategorie passen möchte, was einer anderen Form bedarf oder wozu der Schreibende noch nicht allzu viel Vergleichsmaterial in der Hinterhand hält. Heute soll es dabei um einen kleinen Independent-Verlag gehen, der seit 2005 ganz im Zeichen von Lyrik und Illustration steht.

Wie ist es mit euch? Lyrik, das war der Part im Unterricht, mit den man sich eine gute Note zu Schulzeiten holen konnte, wer keine Probleme hatte, Texte auswendig zu lernen, aber auch dieser, der manchen von uns zu Fall brachte, wenn es um die ausführliche Interpretation ging. Wehe dem, man folgte der Meinung einschlägiger Lehrbücher oder -personen nicht und hatte irgendetwas in der Argumentation übersehen.

Lyrik ist jedoch schon immer mehr gewesen, als das starre Entlanghangeln und Festhalten an Formen. Das kann man natürlich tun, doch darf sie natürlich dazu dienen, den Gedanken freien Lauf zu lassen, zum Nachdenken anzuregen, Perspektiven zu gewinnen und einfach einmal zu zeigen, was mit Sprache möglich wird, wenn man sie nutzt. Der Text ist das eine, die haptische Form ist das andere. Die Gründer und Schreibenden des Verlagshaus Berlin bringen beides überein.
Dabei entstehen Werke, in denen man sich verlieren kann, wenn man es zulässt.

Lea Schneider, z. B., lebte einige Zeit in China und wirkt als freie Übersetzerin, Autorin und Lyrikerin, bringt ihre Gedanken zum Reich der Mitte in ihrem Lyrik-Band “made in china” zum Ausdruck. Durchstreift werden sechs Orte, die alle pulsieren, voller Leben sind, von der Vergangenheit zehren, sie nicht loslassen können und doch unaufhaltsam voranschreiten, der Zukunft entgegen. Der Spagat, den die Bewohner von Beijing, Shanghai oder Hong Kong machen, täglich, zwischen alter Tradition und Geschichte und chinesischer Interpretation eines modernen Staats kommt dabei zum Tragen. Wie viel wissen oder was glauben wir zu wissen, über China, deren Städte sich zu gleichen scheinen, und doch ganz verschieden sind?

“made in china”, Gedichte von Lea Schneider, Illustrationen von Yimeng Wu
Edition Belletristik im Verlagshaus Berlin
Seiten: 108, ISBN: 978-3-945832-38-7

Odile Kennel begibt sich dagegen auf die Suche nach einem Gefühl. Was ist Lust? Worin besteht die überhaupt? Worauf kann man Lust haben, was bewirkt sie, wo durch wird sie ausgelöst? Können Texte, kann Sprache Lust bereiten? Sind Wörter körperlich? Mit der Sprache nach ihrem Lusthorizont suchend, im Rahmen der im Verlag herausgegegebenen Edition Poeticon sucht die Autorin, findet nicht, findet doch. Auch hier, man muss sich darauf einlassen, man muss sich den Text erschließen, auf sich wirken lassen.

“Lust” von Odile Kennel
Edition Poeticon im Verlagshaus Berlin
Seiten: 48, ISBN: 978-3-945832-47-9

Inzwischen gibt es mehrere dieser Reihen, die auf Entdeckung durch uns Lesende warten. Wem dies nicht genügt, kann vom Verlagshaus Berlin auch die Lyrik abonnieren. Kurzum: Poetisiert Euch.

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Hans Peter Schütz: Wolfgang Schäuble – Zwei Leben

Inhalt:

Wolfgang Schäuble prägt seit einem halben Jahrhundert die deutsche Politik: Bundestagsabgeordneter der CDU, später Innenminister, Finanzminister und jetzt Bundestagspräsident. Sein Intellekt, seine Disziplin und Loyalität sind auch beim politischen Gegner anerkannt. Hans Peter Schütz hat für seine umfassend aktualisierte und erweiterte Biografie mit Schäuble und dessen Familie gesprochen, Weggefährten und politische Gegner befragt. So schildert er nicht nur den Weg eines Ausnahmepolitikers, sonder auch die weniger bekannte Seite des Menschen schäuble. (Klappentext)

Rezension:

Als die Schüsse fielen, veränderte sich sein Leben von einem Moment auf den anderen komplett. Seit dem 12. Oktober 1990 ist der heute dienstälteste Politiker des deutschen Bundestags gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Seit dem gibt es für Wolfgang Schäuble ein Leben vor dem Attentat und eines danach. Wer ist der Mann aus dem baden-württembergischen Offenburg, der hart gegen sich selbst, beinahe ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, Politik gemacht und dessen Genauigkeit, Durchhaltevermögen und Detailversessenheit bei politischen Gegnern und Freunden berühmt, zu weilen auch berüchtigt ist?

Warum scheiterte Schäuble daran, Bundeskanzler oder -präsident zu werden, gleichwohl er für seine politische Arbeit geachtet und manchmal auch gefürchtet wurde. Der Journalist Hans Peter Schütz hat über Jahre den Politiker begleitet, Freunde, Weggefährten, Familie und Gegner gesprochen. Herausgekommen dabei ist 2012 ein vielschichtiges Porträt. Nun liegt seine Aktualisierung vor.

Politische Biografen begehen häufig einen kaum zu gelingenden Balanceakt. Bindet man die zu porträtierende Person sehr stark mit ein, besteht die Gefahr, den objektiven Blick zu verlieren und wenig Kritik zu zulassen. Hält man sich dagegen nur an externe Quellen entfernt man sich von dem Menschen, dessen Vielschichtigkeit dann gar nicht gut genug herausgearbeitet werden kann.

Der Versuch Hans Peter Schütz’ gelingt zu großen Teilen, dies einmal vorab, da beide Seiten des vor allem politischen Leben Wolfgang Schäubles herausgearbeitet werden. Der Blick des Journalisten richtet sich dennoch an die Wegmarken des Ausnahmetalents, dessen Loyalität häufig missbraucht wurde, dennoch dieser einstweilen wie Sisyphos immerzu neue Herausforderungen in der Politik suchte. Oft genug fanden sie ihn.

Der Autor und Journalist schildert, wie das Attentat das politische Leben und Arbeiten YSchäuble veränderten, welche Rolle dieser einnahm in der Neuregelung der Hauptstadtfrage und wie zu den Architekten der Einheit von bundesdeutscher Seite aus nicht nur Kohl oder Genscher, sondern auch Schäuble gezählt werden müssen und worin heute seine politischen Leitlinien bestehen.

Kritik wird da geäußert, wo der Politiker seinen selbstgestellten Anforderungen nicht gerecht wurde oder Schäubles Ungeduld und Härte in die falsche Richtung wirkte. Dabei spannt Schütz einen großen Bogen von den politischen Anfängen in den 1960er Jahren bis heute, erzählt detail- und kenntnisreich von den kleinen und großen Anekdoten Schäubles, ohne wichtiges aus den Augen zu verlieren. Unterstützt wird dies durch die zahlreichen Interviews und Befragungen von Wegbegleitern und politischen Gegnern.

Natürlich orientiert sich die Biografie kapitelmäßig an einer Art Zeitstrahl, dennoch hat man nicht unbedingt das Gefühl ein starres Konstrukt sich zu gemüte zu führen. So ist dieser Text, der weder Schmähschrift noch Huldigung ist, leicht zugänglich. Es stellt sich die Frage, wie die Politik aussehe, wenn es mehr Politiker vom Format Schäubles geben würde? Diese Frage muss man nach dem Leben sich selbst beantworten.

Autor:

Hans Peter Schütz wurde 1939 in Donaueschingen geboren und war ein deutscher Politikjournalist und Autor. Zunächst studierte er Soziologie an der Freien Universität Berlin und begann ein Volontariat beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen, bevor er als Politikredakteur der Ulmer Südwest Presse arbeitete.

Für diese und die Stuttgarter Nachrichten war er 1974 bis 1988 Korrespondent in Bonn. 1988 wurde er Leiter des Bonner Büros des Nachrichtenmagazins Stern, ab 1992 stellvertretender Chefredaktuer bei der Südwest presse. 1996 übernahm er die Ressortleitung Politik beim Stern. seit 2007 arbeitete er als freier Autor. 2012 veröffentlichte er eine Biografie zu Wolfgang Schäuble, die 2021 nochmals aktualisiert wurde. Schütz starb am 17. Mai 2021 bei Berlin.

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Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Inhalt:

Rabbiner, Intellektueller, Liberaler und sprecher der jüdischen Gemeinde in dunkelsten Zeiten der Verfolgung: Leo Baeck gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte. Michael A. Meyer lässt in seiner anschaulichen Biografie einen engagierten Denker lebendig werden, der hinter seiner Rolle als Ikone der deusch-jüdischen Geschichte zu verschwinden drohte. (Klappentext)

Rezension:

Oft genug kommen bei vielen namhaften Persönlichkeiten öffentliche Wirksamkeit und Privatleben nicht zur Deckung, Bei viel zu wenigen ist die Übereinstimmung zwischen Gesagten und letztendlichen Taten so groß, wie bei Leo Baeck.

Doch, wer war dieser Mann, der als oberster Repräsentant der organisierten deutsch-jüdischen Gemeinschaft nicht nur ein beeindruckendes Pensum an wissenschaftlichen Ausarbeitungen vorweisen konnte, auch Menschen jüdischen Glaubens half, unterzutauchen, zu emigireren oder wenigstens die Moral derer zu stärken und Nöte zu lesen, von denen, die keine andere Wahl hatten als in Deutschland zu bleiben?

Wie ist sein Wirken im Berlin der Nazi-Zeit, im Ghetto Theresienstadt und nach Kriegsende zwischen Amerika und London zu beurteilen und was bleibt von der Person Baecks in der heutigen Zeit? Der Historiker Michael A. Meyer begab sich auf Spurensuche. Dabei ist die vorliegende, sehr eindrucksvolle Biografie entstanden. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten, deren Wirken heute teilweise fast vergessen ist, nimmt Leo Baeck eine Sonderstellung ein. An einzelne Abschnitte wird heute erinnert, doch wie ist der Rabbiner, der Wissenschaftler, der Denker und die Person in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.

Was bleibt, wo heute das Leben und die Arbeit anderer intellektueller Größen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und an was sollte erinnert werden, gerade bei Baeck, der es von Beginn an geschafft hatte, den unterschiedlichen Strömungen des jüdischen Glaubens eine Stimme zu geben und gerade in Zeiten akuter Bedrohung, zumal für das eigene Leben, zwischen den Stühlen auch seinen Gegnern die Stirn zu bieten.

Welche Diskussionen stieß er in seiner Glaubensgemeinschaft an. Was bedeutete die Person Baecks für die jüdische Gemeinden in Oppeln, Berlin und später in seiner Funktion im Ältestenrat im Ghetto Theresienstadt?

Die Tür öffnete sich und ein SS-Offizier trat ein. Es war Eichmann. Er war sichtlich betroffen, mich zu sehen. “Herr Baeck, Sie leben noch?” Er sah mich sorgfältig an, als wenn er seinen Augen nicht traute, und fügte kalt hinzu: “Ich dachte, Sie wären tot.” “Herr Eichmann, Sie scheinen ein zukünftiges Ereignis vorauszusagen.” “Jetzt verstehe ich. Totgesagte leben länger, nicht wahr?”

Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Michael A. Meyer ist ein Kenner der Schriften Leo Baecks, hat diese ausgewertet und nun in einer eindrucksvollen Biografie zusammengefasst. Erstmals werden Denken, wissenschaftliches und religiöses Arbeiten, sowie der Mensch Baeck gemeinsam bedrachtet und einer Wertung unterzogen, die nur respektvoll und voller Hochachtung vor dieser Person sein kann.

Dabei hält sich der Historiker strikt an die biografischen Stationen und stellt kompakt das Wirken Baecks anhand seiner Schriften dar, zeigt, wo dem rabbiner Grenzen gesetzt waren und welche zweifelhaften Entscheidungen er mitunter auch fällen musste.

Wie Leo Baeck selbst, ist der Historiker Meyer ein Mensch der leisen Töne, was der Biografie mehr als gut tut. Die einzelnen Ausschnitte aus Baecks Arbeiten sind nicht immer leicht zu lesen. Seicht ist etwas anderes. Hierauf muss man sich einlassen. Vorkenntnisse, insb. im Bereich der Strömungen innerhalb der jüdischen Religion, schaden nicht, aber auch sonst vermittelt dieses Werk, welches zu einer Standardlektüre avancieren könnte, viel Information und Wissen über den Menschen, den Gelehrten und Rabbiner Baeck und dessen Zeit.

Immer wieder im Wechsel werden wissenschaftliches Arbeiten, religiöses und gesellschaftliches Wirken beleuchtet und dem Wenigen gegenüber gestellt, was vom Privatmenschen Leo Baeck bekannt ist. Diese Schablonen, entstanden nach intensiver Rechercheleistung, so übereinander gelegt, ergeben ein beeindruckendes Bild, welches noch nach dem Lesen wirkt.

Autor:

Michael Albert Meyer wurde 1937 in Berlin geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker der neuzeitlichen jüdischen Geschichte. Nachdem seine familie über spanien in die USA emigrierte wuchs er in Los Angeles auf und studierte an der University of California Geschichte. Am Hebrew Union College Cincinnaty (HUC) promoviererte er und lehrte ab 1964, wurde drei Jahre später Mitglied des HUC.

Zwischen 2000 und 2008 nahm er zudem regelmäßig Lehraufträge der Hebräischen Universität Jerusalem an. Meyer widmetee sich der Erforschung des Reformjudentums und der Herausgabe verschiedener Schriftebn u.a. Leo Baecks und von Joachim Prinz. Zudem ist er Mitherausgeber einer vierbändigen Deutsch-Jüdischen Geschichte. Von 1991 bis 2013 war er Präsident des Leo-Baeck-Instituts. Im Jahr 2001 erhielt er die Ehrendoktorwürde des Jewish Theological Seminary of America.

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Ernst Peter Fischer/Detlev Ganten: Die Idee des Humanen

Inhalt:

Das moderne Verständnis von Gesundheit verdankt viel dem medizinischen Denken von Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz. Ihr 200ster Geburtstag im Jahre 2021 gibt die Gelegenheit, die großartige Geschichte der beiden zu erzählen. Ihre historische Leistung wird heute von der neuen Berliner Schule und von vielen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt wie Emmanuelle Charpentier und Christian Drosten fortgeführt, damit die Idee des Humanen auch künftig Früchte trägt. (Klappentext)

Rezension:

Als man Berlin ein erstes Pesthaus errichtet, welches schon wenig später „Charite“ genannt werden wird, ahnt noch niemand, dass in diesem Gebäude, später einer Gruppe von Häusern, Medizin- und Wissenschaftsgeschichte geschrieben wird. Fortwährend. Große Namen prägen diese Institution, die bald Gelehrte von Weltruf anziehen wird. Ferdinand Sauerbruch, Emil von Behring, Paul Ehrlich und Robert Koch, viel später noch Forschende wie Christian Drosten oder Emmanuelle Charpentier.

Woran liegt das? Was macht die Charite von Beginn an zu solch etwas Besonderen? Dazu lohnt ein Blick in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als diese die Wirkungsstätte zweier Mediziner war, deren Grundverständnis von Medizin und Gesundheit diese spezielle Berliner Einrichtung bis heute prägt.

Die Autoren sind vom Fach, wissen wovon sie schreiben und erzählen ein spannendes Stück Wissenschaftsgeschichte, holen dabei weit aus und werfen einen Blick zurück. Detailliert erläutern sie die Ausgangssituation und das Innovative, welches man bis heute gerade nicht hier vermuten würde, dennoch findet.

Dabei zeigen sie auf, welche Entscheidungen der einstigen preußischen Herrscher den Weg der Charite begünstigten und wie philosophische Prägungen die dort Tätigen lenkten. Medizingeschichte lässt sich spannend erzählen. Gerade ein solches Haus, in dem viele große Persönlichkeiten wirkten, bietet dabei viel Projektionsfläche. An Biografien sich entlang hangelnd, kann man das wissenschaftliche und ärztliche Wirken bestaunen, die Faszination förmlich mit den Händen greifen.

Hans Peter Fischer und Detlev Ganten indes haben diese Chance verstreichen lassen. Im Gegensatz zu etwa Christian Hardinghaus, der anhand von Personen Geschichte spannend zu erzählen weiß, konzentrieren sich die beiden hier auf die Entwicklung eines philosophischen Grundgerüsts, was nur ergiebig ist, wenn man sich auf diesen Fokus von Beginn an einstellt. Der Klappentext suggeriert Medizingeschichte und keinen Aufsatz philosophischer Fragen.

Zumindest nicht hauptsächlich. Dazu kommt eine Aneinanderreihung spröder Formulierungen, die den Text streckenweise nur schwer lesbar erscheinen lassen. Nur gegen Ende wird es dem ähnlich, was man wohl unter einem populärwissenschaftlichen Sachbuch versteht. Bis zu diesem Punkt dürften die meisten LeserInnen jedoch kaum finden.

Immer dort stark ist die Lektüre, wo sich die Autoren auf die Tätigkeit der beiden im Titel genannten Personen konzentrieren und die medizinische Ethik außen vor lassen. Unterschiedlicher, so merkt man schnell, hätten die Ansätze von Virchow und von von Helmholtz kaum sein können und doch waren sie folgerichtig. Die daraus entstandene Dynamik prägt bis heute die Arbeit an der, heute auf mehrere Standorte verteilte Institution und nicht zuletzt das Bild der Charite nach Außen.

Die Begeisterung und Faszination dafür, die Ernst Peter Fischer und Detlev Ganten vermitteln wollten, kommt dabei nur spärlich rüber. Im Gegenteil, was davon vorhanden ist, wird durch philosophische Erläuterungen förmlich übertüncht. In der Medizin würde man wohl von einem Kunstfehler sprechen. Nichts anderem.

Autoren:

Ernst Peter Fischer wurde 1947 in Wuppertal geboren und ist ein deutscher Wissenschaftshistoriker und Publizist. Zunächst studierte er in Köln Mathematik, Physik und Biologie und promovierte 1977 am California Institute of Technology. 1987 habilitierte er in Knstanz und unterreichtete dort Wissenschaftsgeschichte, sowie später an der Universität Heidelberg.

Er schreibt für verschiedene zeitungen und Zeitschriften und ist Mitglied im PEN-Club Liechtenstein. Fischer arbietet u. a. für die Stiftung -Forum für Verantwortung und als Mitherausgeber von “Mensch und Kosmos” (2004) und “Die Zukunft Erde” (2006).

Detlev Ganten wurde 1941 in Lüneburg geboren und ist ein deutscher Pharmakologe. Von 1973 bis 1991 war er Professor am Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg und von 1997 bis 2001 Vorsitzender der Helmholtz Gemeinschaft Deutscher Forschungszentrum. 2004 war er Gründungsdirektor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin und von 2004 bis 2008 Vorsitzender des Stiftungsrates der Charite, seit 2016 dessen Ehrenvorsitzender.

Seine Forschungsgebiete liegen vor allem im Bereich der Blutdruckregulation und der Ursachen des Bluthochdrucks. Er beteiligte sich an der Entwicklung von Konzepten zur Evolutionären Medizin, in Verbindung von Gesundheit und Krankheit und forschte zu der Evolution der Gene zur Herzkreislaufregulation.

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Michael Tsokos: Kaltes Land – Ein Fall für Sabine Yao

Inhalt:

Ein Anruf reißt Rechtsmedizinerin Sabine Yao jäh aus ihrem Berliner Arbeitsalltag im Sektionssaal. Eine Wasserleiche wurde im Umland von Kiel geborgen. Es handelt sich um ihre verschollene Tante. Alles deutet auf Mord hin. Yao fängt an, auf eigene Faust zu ermitteln. Und während sie erkennt, wie wenig sie von ihrer Tante wusste, schließt sich um sie ein Kreis gnadenloser Gewalt… (Klappentext)

Einordnung:

Die Geschichte ist Teil der Short Reads Thriller verschiedener Autoren von Droemer Knaur und kann unabhängig von anderen Geschichten des Autoren gelesen werden, sowie auch von den Büchern der Reihe.

Rezension:

Für spannungs- und wendungsreiche Thriller, die sich im Blick auf Protagonisten und Handlung überkreuzen und dennoch unabhängig von einander gelesen werden können, zudem immer wieder in Verknüpfung zu Werken anderer Autoren, gibt es zurzeit eine adresse und die liegt im Droemer Knaur Verlag mit dessen Autoren von Sebastian Fitzek bis Michael Tsokos.

Man kennt sich untereinander, tauscht sich aus und schafft zumeist sehr lesenswerte Trilogien. Für die Leserschaft ergeben sich damit folgende Fragen. Ist dies etwas für mich? Womit beginnen? Zumindest den Erzähl- und Schreibstil von Michael Tsokos kann man nun antesten. Mit “Kaltes Land” hat der Autor eine lesenswerte Kurzgeschichte geschaffen.

Beginnen umfangreichere Thriller aus seiner Feder zunächst eher gemächlich, steigt man hier direkt in eine Handlung ein, die schon nach wenigen Zeilen Fahrt aufnimmt. Aus wechselnden Perspektiven wird schnell eine Handlung aufgebaut, die in sich schlüssig ist und natürlich die Rechtsmedizin, Fachgebiet des Autoren, als Hintergrund hat. Allzu blutig wird es dabei nicht, dennoch lassen genug Details Schauer aufkommen, wenn auch der Fokus auf die ermittelnde Hauptprotagonistin außerhalb ihres Spezialgebiets gelegt wird.

Das funktioniert wunderbar. Stakkatohaft reihen sich die Kapitel aneinander und erzählen nicht ganz so wendungsreich, wie gewohnt, die Geschichte. Schnell überliest man da Details, manches wünscht man sich im Nachhinein ausführlicher dargestellt. Einen Langroman mit der Handlung ist gut vorstellbar. Manche Wechsel wirken zu abrupt. Das fällt dies bei dieser Kurzgeschichte nicht ganz so stark ins Gewicht, gibt aber ein Gefühl für Tsokos’ Art, seine Erzählungen wirken zu lassen.

Wer dann noch mehr lesen möchte, kann Rechtsmedizinerin Sabine Yao als eine der zahlreichen Figuren in den anderen Thrillern verfolgen.

Autor:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut für Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite.

1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil, 2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand täig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populärer Sachbücher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Michael Wolffsohn: Wir waren Glückskinder – trotz allem

Inhalt:

Thea Saalheimer ist siebzehn, als sie mit ihrer Familie vor dem Naziterror nach Tel Aviv flieht. Dort verliebt sie sich in Max Wolffsohn und baut mit ihm ein neues Leben auf. Fünfzehn Jahre später kehren die beiden mit ihrem Sohn Michael ins Nachkriegsdeutschland zurück. Wie erlebten Thea und ihre Familie den Nationalsozialismus und die Emigration in ein Land, das ihnen in jeder Hinsicht fremd war? Wie kam es, dass sie ins Land der Täter zurückzogen? (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, realisierte kaum jemand die von ihnen ausgehenden Gefahren. Geheimnisse daraus indes, hatten sie gemacht. Von Anfang an waren deren Ziele klar. Von Beginn an, wirkten sie darauf hin. Warum jedoch, realisierten allzu viele die Zeichen erst, als es längst zu spät war?

Warum erkannten nur wenige die Zeichen der Zeit und schafften es, rechtzeitig zu fliehen? Der Autor Michael Wolffsohn versucht eine Erklärung zu finden und nimmt dabei die Geschichte seiner Familie auf.

Wem das bekannt vorkommt, der hat Recht. Schon einmal hat sich der Historiker damit beschäftigt. In “Deutschjüdische Glückskinder – Eine Weltgeschichte meiner Familie” hat er diese bereits vor einigen Jahren aufgearbeitet. Ausführlicher und detaillierter, jedoch gefühlt neutraler. Diese Variante hier ist kompakter, liest sich schneller und von der Tonalität gleicht es einem Buch für ältere Kinder oder einem für jüngere Jugendliche, um diese an diese Thematik heranzuführen und mit entsprechenden Fragestellungen zu konfrontieren, ist auch so entsprechend angedacht.

Der Autor gleichsam Erzähler und Beobachter führt die Lesenden entlang der wechselhaften Geschichte seiner Familie. Wie erlebten seine Großeltern den Umbruch, der alles veränderte, die beginnende und immer deutlich zu Tage tretende Ausgrenzung? Wie schwer fiel es der Familie den Entschluss zu fassen, alles Bekannte zurückzulassen, trotz der Gefahren, die immer sichtbarer wurden?

Weshalb entschlossen sich die Wolffsohns zu den, nur wenige Jahre nach dem Krieg, für viele Juden unbegreiflichen Schritt, wieder nach Deutschland zurückzukehren? Fragen, die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihen und komplexer Antworten bedürfen. Fragen, mit denen der Schreibende die jungen Lesenden dazu bringen möchte, selbst Fragen zu stellen, die Dilemma zu erkennen, vor denen seine Familie stand, auf dass der heute wieder deutlich werdende Hass keine Chance bekommt, ein neues 1933 zu weden.

Das Werk selbst, kann als Einführung in die Geschichte genutzt werden, ist so aufbereitet auch durchaus als Unterrichtslektüre denkbar. Für ältere Leser empfiehlt sich die komplexere Variante für Erwachsene. Für sie könnte alleine der Erzählstil etwas angestrengt wirken, zumal das Jugendbuch nicht ganz so detailreich wird. In der entsprechenden Altersgruppe gelesen, ist es dennoch gut vorstellbar.

Autor:

Michael Wolffsohn wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. In Tel Aviv geboren, kehrte er mit seiner Familie 1954 nach Deutschland zurück, aus dem diese einst im Zuge des Holocausts fliehen musste. Nach der Schule studierte er Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte in Berlin, Tel Aviv und den USA, nahm später Stellen an verschiedenen Universitäten an. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet Internationaler Beziehungen, der deutschen und jüdischen Geschichte, sowie der historischen Demoskopie. In der Bundeswehruniversität Münschen begründete er 1991 die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. Wolffsohn ist Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache.

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Ferdinand Schwanenburg: Machtergreifung

Inhalt:

Flüchtlingskrise, Virus-Pandemie, Terror und wachsene Kriminalität: Die Deutschen fürchten sich vor Kontrollverlust und wirtschaftlichen Abschwung. Während die etablierten Parteien Antworten schuldig bleiben, wächst in der Bevölkerung der Unmut. Immer mehr Menschen sehnen sich wieder nach einem starken Mann, der die Dinge in die Hand nimmt.

Friedrich Sehlings träumt schon lange von einem Führerstaat. Als sich die neue Deutschlandpartei gründet, wittert er seine große Chance. Schnell macht er sich zum unverzichtbaren Organisator der rechten Alternativ-Partei, unterwandert sie mit seinen Leuten und räumt jeden aus dem Weg, der seiner Mission gefährlich werden könnte. Als die Partei immer mehr Wähler gewinnt, sieht er seine Zeit gekommen: Geschickt sorgt er für Chaos und Unruhe und schmiedet einen perfiden Plan, um die Macht im Land an sich zu reißen… (Klappentext)

Rezension:

Die Bilder gleichen sich. Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik und die Entscheidungsträger stehen dem mehr oder weniger hilflos gegenüber, kämpfen mit aus der Zeit gefallenen Mitteln oder sympathisieren gar mit jenen, die sich eine vollkommene Entmachtung der Demokratie wünschen. Das trifft, aus verschiedenen Gründen, die reale Welt, in der wir leben, eben so, wie im Szenario, welches dem nicht ganz unähnlich ist, welches der Autor Ferdinand Schwanenburg beschreibt, dessen Protagonisten.

Immer schnelllebiger werden die Zeiten, immer unberechenbarer die Ereignisse, immer unsicherer die Menschen, die sich dem ausgesetzt fühlen. Nährboden für Intrigen und Intriganten, Terrain für jene, die den Umsturz wollen. So beginnt der Roman “Machtergreifung” schleichend, fast langsam.

Der Autor beschreibt haarklein, wie der Prozess der Radikalisierung den deutschen Staat in den Abgrund treibt. Ganz nah ist er da an realen Personen, an der Partei, die innerhalb von wenigen Jahren in allen Landesparlamenten eingezogen und schließlich in den Bundestag hineingewählt wurde. Namen werden nicht gemeint, doch alle Lesenden werden wissen, was oder wer gemeint ist. Ein Protokoll der Machtergreifung, wie sie ablaufen könnte, wenn wir die Augen erneut verschließen.

Dabei ist das Erzähltempo zunächst vor allem eines. Extrem langsam kommt die Geschichte ins Rollen und entwickelt doch sehr schnell eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Die Protagonisten sind vielschichtig in ihrer Ratlosigkeit, Zielstrebigkeit, Skrupellosigkeit und Intriganz. Zuweilen sogar sympathisch, auch wenn man lesend genau weiß, dass sie das nicht sein sollten. Auch Anspielungen auf unsere Geschichte und Gegenwart gibt es zahlreiche. Der Autor führt uns hier den Spiegel vor. Seht, hier ist sie, die Gefahr. Erkennt ihr sie? Was macht ihr? Entscheidet euch.

Schwanenburg kann das gut, hat er doch selbst für die Teufel in persona gearbeitet, kennt den Politikbetrieb auch als Lobbyist und die Mechanismen der Macht bei der Bundeswehr. Sein realer Name ist verdeckt. Gut so, dieser Roman ist eine Warnung für uns, die wir fassungslos die Balken jeder Wählerumfrage beobachten oder die Prognosen am Wahltag.

Der Autor kann beschreiben, nutzt real existierende Steilvorlagen. So stellt man es sich vor, die Ränkespiele und auch die Gefahr, der unsere Demokratie ausgesetzt ist. Vieles wird ähnlich abgelaufen sein. Hoffen wir, dass der Autor im Weiteren keine Glaskugel besitzt. Der Schreibende versucht hier klarzustellen, ein: “Das haben wir nicht kommen sehen.”, ist diesmal nicht gegeben.

Autor:

Ferdinand Schwanenburg ist das Pseudonym eines deutschen Politik- und Kommunikationsberaters, der bereits für viele Politiker großer Parteien gearbeitet hat. Er war Journalist, Pressesprecher und Rüstungslobbyist und ist Reserveoffizier der Bundeswehr. Er hat tief hinter die Kulissen des Politikbetriebs und der Medienindustrie geblickt und kennt die Mechanismen der Macht. Von 2015 bis 2017 hat er für verschiedene AfD-Fraktionen gearbeitet. Heute warnt er vor den Gefahren, die von der AfD für Deutschland und unsere Demokratie ausgehen.

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