Familie

Günter Lucks: Der rote Hitlerjunge

Der rote Hitlerjunge Book Cover
Der rote Hitlerjunge Günter Lucks Rowohlt Taschenbuch Erschienen am: 31.07.2015 Seiten: 234 ISBN: 978-3-499-62923-5

Handlung:

Ein Familienbild aus den Arbeiterbezirken des Hamburger Ostens in den 30er Jahren: Der Stiefvater ist Kommunist, der Vater gar im Rotfrontkämpferbund. Der eine Großvater ist Monarchist, der andere ein kommunistischer Schneider, der Onkel wiederum Sozialdemokrat. Die Stiefmutter aber schwärmt für Hitler.

Und plötzlich will der kleine Günter zum Schrecken seines Vaters in die Hitlerjugend. Günter Lucks erzählt die Geschichte seiner abenteuerlichen Kindheit, einer Kindheit zwischen den Extremen. Sie spielt in einem untergegangenen Großstadtmilieu, von dem aus erster Hand heute kaum noch ein Zeitzeuge berichten kann. (Klappentext)

Einordnung Genre:

Dieses Buch ist autobiographisch, weshalb ich es hier eingeordnet habe. Es könnte aber genau so gut bei Kinder- und Jugendbüchern stehen, da es das Erleben einer Zeitepoche aus Kindersicht erzählt.

Wenn man es als solche Literatur betrachtet, empfehle ich das Buch für 13- bis 14-jährige, die schon mit einigen Begriffen Kontakt hatten und damit umgehen können. Aufgrund der anderen Bücher des Autors, habe ich mich trotzdem für “Biographie” entschieden.

Rezension:

Es ist eine sonderbare Welt in der der kleine Günter aufwächst. Die Wirtschaft kriselt, im armen Hamburger Arbeiterbezirk sowie so und seine Eltern verehren die KPD-Größen Etkar Andre oder Fiete Schulz. Seine Eltern streiten sich über den Sinn eines Weihnachtsfestes, was der Vater als entschieden zu bürgerlich ablehnt und die Regierungen wechseln schnell.

Doch, dann kommt Hitler an die Macht. Günter darf nicht mehr sagen, was er will, zumindest in der Öffentlichkeit nicht, überall werden jetzt Menschen “abgeholt”, die den neuen Machthabern nicht genehm sind.

Und der Junge beginnt sich zunehmend für die Hitlerjugend zu interessieren. Er bewundert die Uniform, die jetzt “alle” in seinem Alter tragen, doch wird er bald erkennen, wie ernst der Spagat zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist. und so wird er schließlich Hitlerjunge, aber ein roter.

Ein kleines faszinierendes Büchlein über eine Kinder-Biografie, wie sie für Hamburg in dieser Zeit vielleicht nicht einmal so selten gewesen sein dürfte. Den Leser nimmt der Autor mit auf eine Reise durch eine heute nicht mehr existierende Welt, beschreibt einfühlend die Sorgen, den Zwiespalt, die Ängste und später auch den Hunger und die Katastrophe, unter die die Menschen litten.

Mit all den damit verbundenen Problemen und den Spagat, den die Menschen zu leisten hatten. Aus Kinder- und Jugendsicht einer Generation, die viel zu schnell erwachsen werden musste. Der Schreibstil klar und deutlich, kann das Buch auch von jüngeren Lesern gelesen werden, die an das Thema herangeführt werden wollen oder einfach nur erfahren möchte, wie Kinder ihres Alters diese Zeit erlebt haben.

Gleichwohl richtet sich Lucks nicht an eine bestimmte Zielgruppe und erzählt einfach nur aus seiner Sicht. Ohne irgendetwas zu beschönigen oder wegzureden. Es gibt da keine Längen. Mit “Der rote Hitlerjunge” ist ein interessanter Zeitzeugenbericht entstanden, der es in sich hat und das Dilemma einer Kindheit beschreibt, die viel zu schnell beendet wurde.

Autor:

Günter Lucks wurde 1928 in Hamburg geboren und besuchte die Volksschule. Nach einer Ausbildung bei der Post arbeitete er bis zur Rente in der Druckerei und bei der Poststelle des Axel Springer Verlags.

In den Hamburger Bombennächten wehrend des “Feuersturms” verlor er mehrere Familienmitglieder u.a. seinen Bruder. er veröffentlichte mehrere Bücher über seine Zeit als Kriegskind oder als Kindersoldat unter Hitler.

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Doris Kuegler: Dschungeljahre

Dschungeljahre Book Cover
Dschungeljahre Doris Kuegler Erschienen am: 01.01.2011 Gerth Medien Seiten: 237 ISBN. 978-3-86591-585-6

Inhalt:

Doris und Klaus Kuegler brechen mit ihren drei Kindern auf, um bei dem neu entdeckten Stamm der Fayu in West-Papua zu leben. Sie wollen die noch unerforschte Sprache studieren und den Stammesmitgliedern von dem Gott erzählen, der alle Menschen liebt.

Eindrücklich beschreibt Doris Kuegler, was eine Mutter empfindet, die ihre Kinder inmitten eines ehemals kannibalischen Volksstammes im Dschungel großzieht. Und was es bedeutet, unter Steinzeit-Bedingungen zu leben. Fesselnd schildert sie auch, wie es den Kueglers gelang, den kriegerischen Fayu Begriffe wie Vergebung, Gnade und Liebe zu vermitteln.

Als Mutter von Sabine Kuegler, die mit ihrer Biografie „Dschungelkind“ einen Weltbestseller schrieb, gewährt Doris Kuegler einen ungeschminkten Einblick in die Dschungeljahre der Familie. Ein beeindruckender Bericht über ein Leben zwischen den Kulturen. (Klappentext)

Rezension:

Wenn jemand vom Glauben, Gott und Missionsarbeit spricht, streuben sich bei mir die Nackenhaare und alle Alarmglocken läuten, was das zeug hält, denn ich halte davon absolut gar nichts.

Anderen Menschen Wertevorstellungen überzustülpen, halte ich eher für ein Verbrechen und Religion ist für mich nur ein Druckmittel, um Macht auszuüben, so schön bestimmte Traditionen, dies auch kaschieren. In sofern war ich gespannt und sehr kritisch, die Seite der bekannten Geschichte des Dschungelkindes zu erfahren.

Mehr über die Arbeit der Eltern von Sabine Kuegler, die natürlich mit bestimmten Zielen nach West-Papua/Indonesien ausgewandert waren. Ziele, mit denen ich nicht besonders konform gehe.

Doch, schon auf den ersten Seiten wird klar, wie die Kueglers Missionsarbeit verstehen. Vorleben, was man glaubt, kein Zwang, kein Druck und keine Macht ausüben, sondern Alternativen anbieten, im Einklang mit den Traditionen, wie sie vor Ort existieren.

Darüber schreibt Doris Kuegler, die Mutter des Dschungelkindes genau so überzeugt wie eindrücklich als auch vom Aufwachsen ihrer Kindheit und wie der Stamm der Fayu die schreckliche Sitte der Blutrache überwandt, die diesen und andere Stämme der Umgebung beinahe an den Rand des Aussterbens gebracht hatte.

Es ist eine ernste und doch von Hoffnung und Liebe gespeiste Ergänzung zu den bereits vorliegenden Büchern von Sabine Kuegler, die deren Mutter hier vorgelegt hat und die es sich zu lesen lohnt.

Rein von der Tatsache, mehr aus dem Leben der Familie zu erfahren, eine andere Sichtweise als die der Kinder zu bekommen und sich natürlich den fragen zu stellen, wie man es zunächst seiner Familie überhaupt zumuten kann, fernab der Zivilisation zu leben und dazu noch mitten in eine Art Bürgerkriegsgebiet, welches ja unter den verschiedenen Stämmen herrschte.

Doris Kuegler berichtet von einer neuen Generation Fayu, die an den alten Traditionen festhält, die schlechten Seiten überwindet, über einen langen und steinigen Prozess, der den Fayu jedoch das Überleben gesichert hat.

Sie brichtet aber auch vom Zweifel an ihrer Arbeit, den Rück- und Schicksalsschlägen und wie aus dem Stamm als Gastgeber Freunde für’s Leben wurden.

Glaube, so wie von den Kueglers gelebt, ist etwas anderes als das, was die meisten Menschen unter Missionsarbeit verstehen und das Leben im Dschungel hat nicht nur romantische Seiten, wie Sabine Kuegler nach ihrem ersten Buch oftmals vorgeworfen wurde, völlig vergessen, dass auch da die schrecklichen Dinge wie Blutrache und Krieg zur Sprache kamen.

Ihre Mutter Doris hat daher völlig zurecht daran getan, eine Ergänzung vorzulegen, die man, wenn man sich mit dem Leben der Ureinwohner West-Papuas und mit der Geschichte der Kueglers auseinandersetzen möchte, unbedingt auch lesen sollte.

Denn sie lohnt sich wirklich. Es ist interessant, in diese, den meisten Menschen für immer verschlossene Welt einzutauchen, Trauer und Schmerz aber auch Liebe und Vergebung mitzuerleben aber auch die Bilanz einer Mutter zu erfahren, die diese aus dem Aufwachsen ihrer Kinder unter den Fayu zieht und für diesen Stamm sowie so, mit denen sie auf ewig verbunden bleiben werden.

Autorin:

Doris Kuegler wurde 1941 geboren und ging nach einer Ausbildung zur Krankenschwester früh in die Missionsarbeit. Sie wanderte 1971 mit ihrem Mann und ihrer Tochter Judith nach Nepal, wo sie als Sprachforscher und Missionare in einem kleinen Bergdrof lebten. Dort kamen ihre Kinder Sabine und Christian zur Welt.

1978 wanderte die Familie nach West-Papua in Indonesien aus, um bei einem bisher unentdeckten Stamm der Fayu zu leben und ebenfalls die Sprache zu erforsachen.

Seit 2006 lebt Doris Kuegler wieder in Deutschland. Die Geschichte der Familie wurde bekannt, als ihre Tochter Sabine Kuegler von ihrer Kindheit im Dschungel berichtete. Diese wurde unter dem gleichnamigen Titel “Dschungelkind” verfilmt.

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Fredy Gareis: 100 Gramm Wodka

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100 Gramm Wodka Fredy Gareis Rezensionsexemplar/Reisebericht Malik Seiten: 252 ISBN: 978-3-89029-457-5

Inhalt:

Was hat es mit dem geheimnisvollen Himbeersee auf sich, an dem Fredy gareis’ Großmutter in einem Straflager war? Und wieso trägt seine Mutter den Geburtsort “Soda Kombinat” im Pass? Als Kind von Russlanddeutschen wächst Fredy gareis mit vielen offenen Fragen auf.

Um endlich Antworten zu finden, macht er sich auf den Weg. Drei Monate fährt er quer durch Russland und versucht zu ergründen, was es mit diesem Land auf sich hat, von dem es heißt, dass man es nicht mit dem Verstand fassen kann, sondern nur mit dem Herzen. (Klappentext)

Rezension:

Blut ist dicker als Wasser und so macht sich der Journalist Fredy Gareis auf Spurensuche nach der Vergangenheit seiner Familie und fährt dabei Russland einmal quer durch. Mit nicht vertrauenswürdig aussehenden ausrangierten Militärfahrzeugen, russischen PKW oder auf Schienenspur der Transibirischen Eisenbahn.

Vorbei am Moskauer Vorort-Villenviertel, wo sich Politiker und Oligarchen die Klinke in die Hand geben oder auf die Straße des Todes. Mit Hilfe von Freunden und fernen Verwandten und Bekannten bringt er Stück für Stück Licht ins Dunkel seiner Vergangenheit, der Vergangenheit seiner Familie, die ihm seine Eltern und Großeltern nicht erklären konnten oder wollten.

Dabei entstand eine eindrückliche Momentaufnahme des vergangenen und des heutigen Russlands, in dem sich die Älterern ihrer Vergangenheit beraubt und einer unsicheren Zukunft ausgesetzt sehen und die Jungen gegen die zunehmende Einengung des putinschen Systems ankämpfen. Zumeist, in dem sie zwei Leben leben. Ein öffentliches und ein privates. Oder ins Ausland gehen.

Der Autor legt hier ein wunderschönes Länder-Portrait und eine berührende Familiengeschichte vor, wie sie vielleicht nicht wenige Russlanddeutsche haben und lässt dem Leser an seine Gefühlswelt wehrend der Reise teilhaben.

Ein ständiges Auf und Ab, Zweifel an der Reise, Entdeckungen, Seltsames und immer wieder die Geschichten der Menschen auch vor Ort. Wie sie leben, was sie denken. Und er zeigt, wie schnell der russische Staat alle “notwendigen” Informationen zusammenhat, um über jeden der im Land lebt und durch das Land reist im Bilde zu sein.

Zwar ist dies nur ein kleiner Teil, eine Episode dieser Tour von Sankt Petersburg bis nach Magadan aber die Ereignisse reihen sich auf einer solchen Reise wie die Perlen einer Kette aneinander.

Der Schreibstil lässt einen ruhigen Lesefluss zu und nur den. Man hat den Eindruck als wolle der Autor den Leser bewusst an sein gemächliches Reisetempo anpassen, was aber eben schnell ermüdend sein kann.

Denn, nicht für jeden mag dessen Familiengeschichte interessant sein oder zumindest nicht alle Aspekte. So sind dann Längen vorhanden, die der Autor nicht verschuldet hat, da für ihn natürlich diese Reise und die Familiengeschichte eine ganz andere Bedeutung hat.

Kann man aber ganz gut und gerne mit 100 Gramm Wodka überprüfen. Denn, obwohl Alkoholismus im Riesenland ein Problem darstellt, heißt es, dass es sogar wohltuend ist, 100 ml Wodka täglich zu trinken. Wer mehr konsumiert ist ein Säufer.

Autor:

Fredy Gareis wurde 1975 in Alma-Ata geboren und ist in Rüsselsheim aufgewachsen. Nach Nebenjobs als Putzmann, Taxifahrer und Barkeeper stieg er in den Journalismus ein, nachdem er die Münchener Journalistenschule besucht hatte.

Als freier Reporter schrieb er für die Zeitung “Die Zeit”, den Tagesspiegel und war unterwegs für Deutschlandradio. Von 2010 bis 2012 berichtete er aus Israel und dem Nahen Osten.

Für seine Reportage “Ein Picasso in Palästina” wurde er mit dem Journalistenpreis des Deutschen Kulturrats ausgezeichnet. Im Sommer 2015 machte er sich für eine Reportage auf der Suche nach Raubkunst (kunstjagd.de).

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J. M. Coetzee: Der Junge

Der Junge Book Cover
Der Junge J.M. Coetzee Fischer Taschenbuch Erschienen am: 01.05.2000 Seiten: 200 ISBN: 978-3-5961-4837-0 (vergriffen)

Handlung:

J. M. Coetzee eindringliches, vollkommen unsentimentales, dbei oft genug hochpetischens Buch der Erinnerung an eine schwierige Kindheit in einem öden Provinznest unweit von Kapstadt liest sich wie ein Roman.

Als Meisterwerk narrativer Autobiographik von der Kritik gefeiert, zeichnet dieses Buch das Porträt eines Jungen, in dem sich schon früh der Schriftsteller ankündigt. (Klappentext)

Rezension:

Er ist ein intelligenter Beobachter seiner Umgebung, Klassenprimus aus Angst davor, wegen schlechter Leistungen den Rohrstock seiner Lehrer spüren zu bekommen und obwohl noch Kind schon tonangebend in seiner Familie.

Dem Vater, der seine Familie ins Unglück stürzen wird misstraut, die Mutter vergöttert er und quält sie zugleich mit seinen Forderungen. Der kleine Bruder ist nur ein Abklatsch seiner selbst. Dies ist die Geschichte der Kindheit Coetzees, der später Schriftsteller werden und 2003 den Nobelpreis für Literatur erhalten sollte.

Ein autobiographischer Roman, der es in sich hat, im Hintergrund des Apartheid-Regimes Südafrikas als Nachkömmling europäisch-burischer Eltern seinen Platz in der Gesellschaft suchend.

So beschreibt der Autor detaillreich, ohne Längen, das Aufwachsen in diesem sonderbaren Land der Gegensätze und man beginnt Coetzee zu begreifen und damit auch eine ganze Generation von weißen Jungen, die noch im System der Rassen-Ideologie erzogen wurden und später erlebten, wie ein Land sich verändern musste.

Es ist ein beeindruckender kleiner Roman ohne Längen. Der Schreibstil zieht einem in den Bann. Fast ist es als wäre man selbst dieser Junge, der zwar mittendrin ist aber doch irgendwie immer Außenseiter.

Ob in der Schule, wo er sich zwanghaft irgendwo einordnen versucht oder in der Familie, wo er ebenso seinen Platz nicht wirklich finden will oder kann. Ein Roman über einen Jungen, der gerne wie jeder andere wäre, “normal” und zugleich weiß, dass er es nicht ist, sondern schon früh begreift, dass er einmal ein vollkommen anderes Leben einschlagen wird als in seiner Schicht, in seiner Familie akzeptiert wird.

Mir hat es unheimlich Spaß gemacht über die Kindheit des Autors in dieser Form zu lesen, die ständig zwischen der Tyrannei und dem Jähzorn, dann wieder Intelligenz und Liebenswürdigkeit eines kleinen Jungen hin und her pendelte. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Autor:

John M. Coetzee wurde 1940 in Kapstadt geborenn und studierte nach der Schule Literatur. Seur 1972 lehrte er an verschiedenen UniversitätenLiteratur, seit 1996 ust er zudem Mitglied des Committee of Social Thought der University of Chicago.

Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. zwei Mal mit dem Booker Prize. 2003 bekam er den Nobelpreis für Literatur. Der Autor lebt heute in Australien.

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