Familie

Holger Kreymeier: Hashtag #DDR

Inhalt:

2023 im geteilten Deutschland. Der Widerstand in der DDR findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Netz. Die DDR-Führung strebt die strengere Kontrolle des Internets und Zerschlagung der Oppositionsgruppen an, braucht aber Milliardenhilfen in D-Mark, die ihr die Bonner Regierung in Aussicht stellt. Nachdem YouTube-Entertainer Lonzo den realen Zustand der DDR mit seinem Video “Die Zerstörung der DDR” entlarvt hat, bekommt er die Unterstützung der freien Presse der Bundesrepublik. Doch dann wird er zum Sicherheitsrisiko – für beide deutsche Staaten … (Klappentext)

Rezension:

Es ist eines der viel erzählten Szenarien der fiktiven Geschichtsforschung, sich die Frage nach dem “Was wäre wenn?” zu stellen, wenn sich Ereignisse nicht so wie tatsächlich, sondern in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hätten. Diese Gedankenspiele sind Grundlage für zahlreiche Erzählungen und manchmal sind diese uns erschreckend nah.

Der Schriftsteller Holger Kreymeier hat den Zeitstrahl verschoben. Nachdem Gorbatschow verunglückt ist, ist die deutsche Teilung immer noch knallharte Realität. Ihr, der großen Politik, stehen Social Media Influencer auf beiden Seiten entgegen und ebenso wie in unserer Welt stellen sie Weichen. Manchmal bringen sie dabei Lawinen ins Rollen, die sie kaum mehr aufhalten können. Oder wollen. Ein gefährliches Spiel beginnt.

Dystopische Szenarien haben ihre Schwächen. Oft genug merkt man, dass diese nicht konsequent ausgeführt werden. Die Welt, in der uns der Autor hier entführt, ist jedoch greifbar. Gleich eines Spielfilms sehen wir die Geschichte vor unserem inneren Auge auferstehen und begleiten die Figuren auf ihren Weg, der spannungsgeladener nicht sein könnte.

Die Vorstellung gelingt, da man sofort zu fast jeder Person ein reales Vorbild erkennen kann und auch sonst die Ecken und Kanten nachvollziehbar bleiben, etwa, wenn der eine deutsche Staat die innere Opposition gerne umfassend überwachen würde, dies jedoch an der Überalterung von Führungspersonen bis hin zum kaum vorhandenen technischen Know-how scheitert oder auf der anderen Seite der schwierige Balanceakt zwischen Diplomatie und Notwendigkeit austariert werden muss. Zudem sind auch die Protagonisten viel mehr Graubereichen zuzuordnen, als dem bloßen Schwarz und Weiß, was den kompakt gehaltenen Roman glaubwürdig erscheinen lässt. Das schnelle Erzähltempo tut sein Übriges dazu.

In einem Zeitraum von nur wenigen Wochen zwischen Ost und West wird die Geschichte erzählt. Holger Kreymeier hat es hierbei geschafft, zahlreiche Facetten des politischen Spektrums der damaligen Zeit in die Gegenwart hinein zu transportieren. Der Perspektivwechsel zwischen den Protagonisten trägt zum Fluss der Erzählung bei, Kurznachrichten a la Twitter unterstreichen das Gegenwartsgefühl.

Die Geschichte wirkt in sich schlüssig, über kleinere Sprünge wird man ob der spannungsreichen Erzählung gerne hinweg sehen, jedoch wäre die Ausformulierung mancher Szenarien, die teilweise doch knapp formuliert sind, wünschenswert gewesen. Auch das Ende der Erzählung reicht nicht ganz an den starken Auftakt heran, lässt jedoch Spielraum für eine Fortführung. Der Roman hat das Potenzial, weitererzählt zu werden. Man möchte das auch gerne lesen.

Bestimmte geschilderte Auswirkungen lassen ob der Realitätsnähe einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. In bestimmten Punkten gleicht der Roman einer Warnung a la Orwell. Hier merkt man die Erfahrungen Kreymeiers mit den Medien an und eine genaue Beobachtungsgabe, die einerseits durchaus kritisch betrachtet, andererseits Interesse an vorhandenen Möglichkeiten zeigt.

Die Erzählung ist für Geschichtsinteressierte gleichsam wie für Dystopie-Lesende eine weitere Ergänzung zur bestehenden Literatur. Die Nähe zu real existierenden Punkten der Vergangenheit und Gegenwart machen die Handlung greifbar. Manchmal fehlen Details, einige Male wünscht man sich etwas mehr Ausführlichkeit und den einen oder anderen Sprung. Für eine Fortsetzung wird man aber in jedem Fall zu haben sein.

Autor:

Holger Kreymeier wurde 1971 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Journalist und Medienunternehmer. Er studierte zunächst Soziologie an der Universität Hamburg, absolvierte währenddessen ein Praktikum bei OK Radio und bei der Zeitschrift Cinema. Anschließend war er bei einem Tochterunternehmen des Axel Springer Verlags tätig, arbeitete danach freiberuflich für verschiedene Medienunternehmen. Zwischen 2007 und 2018 betrieb er die Online-Magazinsendung Fernsehkritik-TV. “Hashtag #DDR” ist sein viertes Buch.

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Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Inhalt:

Mit der ersten großen Liebe ist für uns oft ein Duft verbunden. Für Feurat Alani sind der Duft und der Geschmack von köstlichem Aprikoseneis, das er als Kind in Bagdad gekostet hat, für immer mit dem Irak verbunden. In 1000 Tweets berichtet er von dieser ersten Reise in das Herkunftsland seiner Familie und von den späteren Reisen als erwachsener Journalist, vom Krieg und dem Wandel, den dieser im Traumland seiner Kindheit bewirkt hat. Wir begleiten den Autor bei der Entdeckung eines orientalischen Landes voller unbekannter Düfte, aber auch bei seiner Trauer um das, was später unwiederbringlich verloren ging. Die berührenden und scharfsichtigen Beobachtungen des Kindes und des jungen Erwachsenen hat Léonard Cohen mit seinen Zeichnungen eindrücklich illustriert. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

In Mansour halten wir an einer Eisdiele. Ich koste von dem besten Eis, dass ich je gegessen habe. Aprikose. Der Duft von Bagdad.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Gerade als der Iran-Irak-Krieg vorbei ist, lernt Feurat im Alter von neun Jahren die Heimat seines Vaters kennen. Das Land wirkt anders als in den Medienberichten, modern und offen. Die einfachen Leute fahren VW Passat. Melonen werden am Fluss eingegraben, um sie abends gekühlt essen zu können. Doch das Gesicht Saddam Husseins bestimmt den Irak. Seinen Namen sollen sie nicht laut aussprechen. Als seine kleine Schwester es dennoch tut, kennt Feurat fortan nun auch den Duft der Diktatur.

Im Irak herrscht Lebenslust, zumindest damals, trotz bereits vorhandener Einschränkungen. Vor dem Embargo leben die Menschen gut, doch das Glück der Menschen, schon damals Spielball der Gegensätze, wird im Laufe der Jahre zerrinnen. Bis nichts mehr davon übrig ist. Über die Jahre wirft der Autor, zunächst mit den Augen des Kindes, später als junger Journalist, immer wieder einen Blick auf dieses Land, welches wir kaum fassen können. Doch wie der Irak, so stet Feurat Alani selbst stets unter Spannung zwischen den Welten. Als Iraker und Franzose. Seine Beobachtungen hat er nun zusammengestellt. In Form einer Tweet-Sammlung. Ergänzt durch minimalistische Zeichnungen entstand so das Portrait seine Autobiografie, ein Blick auf die jüngere Geschichte eines Landes, eine Graphic Novel und ein Zustandsbericht, der einem den Atem stocken lässt.

Als Ziad und ich uns an diesem Tag trennen, gehe ich mit einem Gefühl der Scham. Mir wird alles geschenkt. Und ihnen alles genommen.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

In dieser Kombination ist das Werk “Der Geschmack von Aprikoseneis” ungewöhnlich einprägsam. Kurz und prägnant sind die Sätze, den Möglichkeiten der Social Media Plattform Twitter nachempfunden. Momentaufnahmen, die sich stapeln und fließend ineinander übergehen. Sie zeigen den Wandel eines Landes, zugleich die Veränderung des Blickwinkels. Der des Kindes weicht dem jungen Erwachsenen, der dokumentieren, festhalten und der Welt von der irakischen Wirklichkeit berichtigen möchte.

Das Gefühl, nie am richtigen Ort zu sein. Unrechtmäßigkeit. Schuld. Ich möchte meine Erlebnisse im Irak vergessen, aber sie lassen mir keine Ruhe.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Zeichnungen, die beinahe wie Scherenschnitte wirken und dennoch die Strahlkraft von Fotos besitzen, unterstreichen den Text, ohne überhand zu nehmen. Sie prägen sich ein. Lesend nimmt man die beobachtende Position ein und verliert sich in diesem Strudel der Emotionen. Das funktioniert in dieser Kombination ebenso, wie dies der Tatsache geschuldet ist, dass Seitenzahlen völlig fehlen, was den unmerklichen und doch schnellen Wandel verdeutlicht, bis zum Zusammenbruch einer Gesellschaft.

Immer ist Feurat Alani Beobachter und Akteur zugleich, nebenan der Schauplätze und mittendrin. Einzelne Nadelstiche summieren sich, werden zu hörbaren Explosionen, einer Platzwunde, einer versuchten Entführung. Einschläge werden fassbar, kommen immer näher, bis es auch die Familie des Autoren zerreißt. Diktaturen kennen keine Gnade. Chaos erst Recht nicht. Dreizeiler in Absätzen prägen das Bild. Nur Ausschnitte hält der Betrachtende fest und doch das wichtige. Platz für Nebensächlichkeiten bleibt da nicht. Zunehmend müssen auch die Menschen sich damit beschäftigen, zu überleben. Bald ist das die einzige Tätigkeit.

Ein trauriger Anblick. Einer der Insassen liegt auf dem Boden. Die Rettungskräfte sind da. Der Sommer beginnt mit einem Toten. Das gefällt mir nicht.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Aufgrund der ungewöhnlichen Erzählstruktur, ergänzt durch eine Chronologie der Ereignisse ist diese Biografie einer Person, eines Landes, einprägsam und verdeutlicht zugleich, wie schnell etwas Intaktes, auch wenn die Oberfläche bereits von Beginn an Risse aufweist, in die Brüche gehen kann. Wer ein Gefühl dafür erlangen möchte, wird dieses Werk mit Gewinn lesen können. Mit mehr Spannung als ein Roman das könnte. Jeder Tweet ist eine Tür. Die mehrteilige Serie “Fremde Heimat Irak“, die bei Arte zu finden und im gleichen grafischen Stil gehalten ist, sei ebenfalls ans Herz gelegt.

Autor:

Feurat Alani wurde als Sohn irakischer Eltern in Paris geboren. In Bagdad hat er als Korrespondent für die Sender I-Tele und Le Point gearbeitet. Er war auch regelmäßiger Mitarbeiter von Le Monde diplomatique und Geo, bevor er seine eigene Produktionsfirma gründete. Sein Dokumentarfilm Irak: les enfants sacrifi és de Fallujah (2011) wurde auf mehreren Festivals prämiert.

Illustrator:
Léonard Cohen ist Absolvent der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs de Paris. Im Jahr 2010 wurde sein Abschlussfilm Plato auf vielen Festivals gezeigt und gewann mehrere Preise, darunter jenen für den besten Studenten-Kurzfilm und den Preis der Junior-Jury auf dem renommierten Internationalen Trickfilmfestival von Annecy. Cohen arbeitet freiberuflich und entwickelt vor allem Animationsprojekte.

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Christian Linker: Boy from Mars

Inhalt:

Im Jahr 2099 lebt der dreizehnjährige Jonto mit seinem Großvater auf dem Mars. Als Opa Ben stirbt, muss Jonto sich auf den Weg zur Erde machen, zu seiner Mutter, die er seit zwölf Jahren nicht gesehen hat. Im Gepäck hat er das Tagebuch seines Opas voll rätselhafter Andeutungen auf eine spektakuläre Erfindung. Angeblich soll es eine Superwaffe zum Schutz des Klimas sein. Neugierig begeben Jonto und seine neuen Freunde sich auf die Suche danach. Doch sie sind nicht die Einzigen, die Interesse am Supergenerator haben … (Klappentext)

Rezension:

Das vorliegende Jugendbuch von des deutschen Autoren Christian Linker entführt uns in eine nicht allzu ferne Zukunft. Im Jahr 2099 leben Menschen nicht nur auf der Erde, auch der rote Planet ist besiedelt. In Kolonien auf den Mars leben die Pioniere und bauen dort eine neue Gesellschaft auf, nachdem die Zurückgebliebenen dabei sind, die Folgen der gerade erst beendeten Klimakriege zu überwinden. Jonto kennt kein anderes Leben als unter den Kuppeln der Marskolonien. Der Dreizehnjährige liebt seinen Großvater, mit dem er Wanderungen auf den Kratern des Planeten unternimmt und den populären Sport Gravity Dunk.

Doch als sein Opa stirbt, muss er zurück, zu seiner Mutter, die er, wie auch den Planeten Erde, nur von Bildern kennt, ohne zu ahnen, dass das größte Abenteuer ihn noch bevorsteht. Eines, welches das Leben aller verändern könnte.

In einer Mischung aus moderner Zukunftsvision und Abenteuerroman folgen wir den jungen Protagonisten Jonto auf seiner Reise zur Erde, die dort in ein rasantes Abenteuer mündet. Der Dreizehnjährige hadert dabei zunächst mit sich selbst und den Gegebenheiten, denen er zunächst nichts entgegensetzen kann und gibt damit eine perfekte Identifikationsfigur ab, wie auch die Erzählung selbst aus eine Aneinanderreihung vieler Punkte besteht, die Jugendliche beschäftigen. Der Schriftsteller Christian Linker hat damit eine interessante Mischung geschaffen, sowohl die Konfrontation mit der harten Realität der Welt der Erwachsenen darzustellen, als auch die Ängste und Befürchtungen der jungen Generation in Bezug auf Klimaveränderungen und dem Leben in der Zukunft aufzunehmen.

Ohne unlogische Brüche funktioniert die Erzählung, derer wir in kompakten Kapiteln folgen, die Vision eines Autoren, der ein Szenario erschaffen hat, dem man gerne folgen möchte, zudem immer auch ein Hauch optimistischen Untertons mitschwingt. Dazu tragen die Figuren bei, deren Weg und Handlung nachvollziehbar gestaltet ist, welche schnell Konturen bekommen. Hier ist klar, wer Sympathieträger ist. Positiv ist aber zu erwähnen, dass auch die Gründe für das Handeln der Antagonisten glaubwürdig dargestellt werden. Das erzeugt einen Sog, den man sich nicht entziehen kann. Die Ausgestaltung dieser Welt, sowohl des roten als auch des blauen Planeten, wirkt mit jeder einzelnen Zeile.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Hauptprotagonisten, der erkennen muss, dass die Zukunft der Menschen in der Vergangenheit zu suchen ist und dabei mehr als einmal vor schwierigen Entscheidungen gestellt wird, die zu groß wirken für einen Dreizehnjährigen, selbst wenn einem eine Digi-Linse zum Durchblick verhilft. Linker hat seine Figur mit Ecken, Kanten, der rastlosigkeit und gelegentlichen Stimmungsschwankungen versehen, auch das macht Jonto zu einem glaubwürdigen Protagonisten.

Der Roman wirkt in sich schlüssig, die Welt greifbar. Linkers Stärken liegen nicht nur in der Ausgestaltung seiner Figuren, auch Landschaftsbeschreibungen erzielen ihre Wirkung. Actionreiche Szenen fühlen sich beim Lesen an, einstweilen wie im Film, trotzdem gibt es in “Boy from Mars”, auch sehr ruhige, einfühlsame Momente, die die Erzählung komplettieren.

Christian Linker hat mit diesen Roman für Jugendliche einen spannenden Einstieg in die Welt der Dystopien geschaffen, zugleich Ankerpunkte zu so vielen anderen Genres und einen sympathischen Protagonisten, dessen Weg mit seinen Freunden in diesem wirklich gut ausgestalteten Stand Alone man gerne verfolgt. Und vielleicht muss sich eines Tages wirklich ein Junge auf den Weg vom Mars zur Erde machen und dabei alles verändern.

Autor:

Christian Linker wurde 1975 in Leverkusen geboren und ist ein deutscher Jugendbuchautor. Zunächst studierte er Theologie in Bonn und arbeitete freiberuflich als PR-Redakteur und als Bildungsreferent in der außerschulischen Jugendbildung. Einige Jahre war er in Köln als hauptamtlicher Diözesanvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend tätig. Sein erstes Buch erschien 1999. Sein Roman “RaumZeit” wurde 2003 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Die Bücher wurden teilweise für das Theater adaptiert. Es folgte 2018 der Jugendbuchpreis Goldene Leslie.

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Alex Schulman: Endstation Malma

Inhalt:
Ein Zug fährt durch eine Sommerlandschaft. An Bord: ein Ehepaar in der Krise, ein Vater mit seiner kleinen Tochter, eine Frau, die das Rätsel ihres Lebens lösen will. Sie alle fahren nach Malma, einem kleinen Ort, wenige Stunden von Stockholm entfernt, umgeben von Wäldern. Und keiner von ihnen weiß, wie ihre Schicksale verwoben sind und was sie in Malma erwartet. (Klappentext)

Rezension:

Zeitebenen, aneinandergereiht wie Waggons eines Zuges, sind es, die wir verfolgen, während wir den Spuren der Protagonisten des neuen Romans von Alex Schulman verfolgen, der in einer Mischung aus Fiktion und faszinierenden Psychogram wieder einmal eine eindrückliche Erzählung aufmacht.

Nicht ganz einfach ist sie, diese Geschichte, in der wir die Figuren bis zu ihren jeweiligen Wendepunkten verfolgen. Alles läuft und entscheidet sich im fiktiven Ort Malma, wenige Stunden von Stockholm entfernt. Ein Ehepaar am Scheideweg, eine Frau auf der Suche, eine Tochter dazwischen, sie alle haben Fragen. Wird ihnen jemand diese beantworten können? Werden sie sich, teilweise selbst, überwinden?

Alex Schulman gehört zu den wohl faszinierenden zeitgenössischen Autoren Schwedens, die außerhalb des sonst so klischeehaft beliebten Krimi-Genres brillieren, schafft er es in seinen Romanen eigene Dramen mit Fiktion zu verweben. Dies gelingt so gut, dass man sich im Norden Europas zuweilen fragt, welche Szenarien quasi Erlebten entsprechen und was frei erfunden ist, macht die Erzählung zuweilen jedoch nicht immer in Gänze zugänglich.

Schwierig hineinzufinden ist es in den Text, in dem die Figuren sofort mit ihren Ecken und Kanten auffallen. Nicht einmal das Kind wirkt von Beginn an bedingungslos sympathisch, zudem sehr bald das große Thema Depression dunkle Wolken am schwedischen Firmament aufziehen lässt. Wortgewandt vermag das der Autor zu beschreiben, immer tiefer droht man dann doch zu versinken. Darauf sollte man sich nur einlassen, wenn man nicht dazu neigt, sich allzu sehr hinunterziehen zu lassen.

Leicht ist etwas anderes. Schon die Zeitebenen machen es nicht unbedingt leicht, den Überblick zu wahren, die Protagonisten tun ihrerseits das Übrige. Sie streben voneinander weg, kommen doch nicht voneinander los. Ein Familiendrama in drei Akten, auf unterschiedlichen Ebenen, bei denen man sich die Haare raufen und die Figuren eine nach der anderen schütteln möchte. Ohne zu wissen, ob man enttäuscht, wütend oder einfach nur genervt ist.

Landschaftsbeschreibungen indes kann der Autor so, wie er auch Figuren ausgestaltet, jedoch ohne Meta-Ebene. Orte, sei es nun der Bahnsteig, das Innere des Waggons oder auch Wohnungsszenen sind sehr plastisch beschrieben. Genau so stellt man sich das alles vor. Hier gelingt das Spiel mit der Sprache. Einzelne Sätze sind es, wie auch bei “Die Überlebenden”, die sich einbrennen.

Wer einmal etwas anderes als das lesen möchte, was man sonst aus dem skandinavischen Raum bekommt, ist auch mit dieser Erzählung von Alex Schulman gut bedient, wenn auch Schönheitsfehler in der B-Note diesen Roman nicht an das zuerst ins Deutsche übersetzte Werk heranreichen lassen. Dazu ist “Endstation Malma” etwas zu sperrig. Wie auch die Figuren ist diese Erzählung sehr eigen. Darauf muss man sich einlassen wollen. Nur so funktioniert es.

Autor:
Alex Schulman wurde 1976 in Hemmesdygne, Schweden, geboren und ist ein skandinavischer Schriftsteller, Journalist und Blogger. Er schreibt für diverse TV-Shows und startete im Jahr 2006 einen Blog, zudem für diverse Zeitungen und Magazine Beiträge, zuletzt moderierte er eine TV-Sendung und startete 2012 einen eigenen Podcast.

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Angela Findlay: Im Schatten meines Großvaters

Inhalt:

Als die in England aufgewachsene Angela Findlay im Rahmen eines Kunstprojekts ein Gefängnis betritt, hat sie sofort das unerklärliche Gefühl,als ob sie dorthin gehörte. Jahrelang hatte sie mit einem diffusen Schuldgefühl in sich gerungen. Doch nun beginnt sie, nach den Ursachen zu forschen,und so entsteht ein immer detaillierteres Bild von Nazi-Deutschland und vom Leben ihres toten Großvaters, eines hochdekorierten Generals der Wehrmacht. (Klappentext)

Rezension:

Immer detailreicher werden die Erkenntnisse, die sich aus den Forschungen generationsübergreifender Traumata ergeben, doch noch wird dieses Phänomen anhand zu weniger Perspektiven beleuchtet. Inzwischen gibt es Bücher, in denen die Nachfahren von Migranten darüber berichten, schon früh hingegen erschienen die Erfahrungen der Nachfahren Holocaust-Überlebender. Nun ist mit “Im Schatten meines Großvaters” der Blick um eine faszinierende Facette ergänzt worden.

Da sind zunächst einzelne Bemerkungen seitens der Mutter, Momente der Kindheit und eine Art Wissen, auf die sich die Autorin keinen Reim machen kann, doch erlebt Angela Findlay im Rahmen der von ihr gestalteten Kunst-Projekte zunächst, was Verarbeitung bei anderen Menschen bewirkt. Erst später beginnt sie die Hintergründe ihrer eigenen Gefühle zu recherchieren und macht sich auf eine Reise durch die Vergangenheit ihres Großvaters.

Den Blick voller Wohlwollen war da immer die Frage, wie viel wusste der General vom Grauen des Holocaust hinter der Front, in wie fern war er selbst beteiligt? Hat er weg gesehen, mitgemacht oder, bestenfalls, dagegen Widerstand geleistet? In der Hoffnung auf letzteres recherchierte die Autorin quer durch Europa auf der Suche nach Antworten, legt Schicht um Schicht ein Bild voller Grauschattierungen frei und kommt damit auch ihren eigenen Gefühlen immer näher.

Diese psychologische Reportage ist faszinierend zu lesen, allein fehlt manchmal die Einordnung eines fachlichen Historikers, doch in Ergänzung zu anderer Literatur ist auch dieses Buch unglaublich wertvoll. Was hier gut nachzuvollziehen ist, ist die innere Zerrissenheit Findlays, was sich auch auf andere übertragen lässt, die sich mit vererbten Traumata herumschlagen müssen. Medizinische Hintergründe werden dabei angerissen, jedoch so, dass es für die Laien unter uns nachvollziehbar bleibt.

An mancher Stelle fehlt eine sachlich-nüchterne Tonalität, an anderen wären detailreichere Ausführungen interessant gewesen. Trotzdem ist diese psychologische Spurensuche ungemein lesenswert. Ich kann sie nur empfehlen.

Autorin:

Angela Findlay wurde 1964 geboren und ist eine Künstlerin und Vortragsrednerin. Sie unterrichtete Kunst in Gefängnissen und war Koordinatorin für Koestler Arts Charity. Daneben beschäftigt sie sich mit den Folgen ungelöster generationsübergreifender Traumata.Sie lebt in England und Deutschland.

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Homeira Qaderi: Dich zu verlieren oder mich

Inhalt:

Wie wird ein Mädchen zur Frau in einer Gesellschaft, die ihm alle Möglichkeiten verwehrt? Wie wählt eine Mutter zwischen ihrem Kind und ihrer Zukunft? Dich zu verlieren oder mich ist die bewegende Lebensgeschichte der afghanischen Autorin und Frauenrechtlerin Homeira Qaderi – und ihre stärkste Waffe im Kampf für Gleichberechtigung in ihrer Heimat. (Klappentext)

Rezension:

Über Nacht änderte sich das Leben für die Menschen, als nach dem Abzug der Sowjets die Taliban die Macht übernahmen. Das Leben in Afghanistan war nie einfach, doch vor allem für die Frauen wurde in der ohnehin patriarchalischen Gesellschaft die Luft zum Atmen immer dünner. Plötzlich waren sie wie Vögel eingesperrt, im eigenen Land. Zu dieser Zeit, “im Land der unsichtbaren Kugeln und des angekündigten Todes” wächst Homeira auf, ihr Glück findet das Mädchen, die Jugendliche im Lesen und Schreiben, doch Bildung ist den Frauen Afghanistans untersagt, wie auch sonst das Leben der Bevölkerungen von Tradition und Gesellschaft eingeschränkt ist. Bereits im jungen Alter wehrt sich die künftige Autorin dagegen, bringt gleichaltrigen Mädchen heimlich das Schreiben bei, doch der größte Kampf steht ihr bevor, als sie als junge Mutter vor der Entscheidung steht, entweder sich selbst zu verlieren oder ihren Sohn.

Ein Land mit einer Kultur und gesellschaftlichen Sichtweisen, die uns kaum ferner liegen könnten, offenbart nur selten Perspektiven aus dessen Inneren. Erfahrungsberichte und Biografien wie diese sind rar gesät und so sich “Dich zu verlieren oder mich” heraus und verlangt, gehört zu werden. Hunderttausende Frauen mögen unter der Terror- und Willkürherrschaft des Regimes der Taliban leiden, begünstigt durch eine fatale Interpretation von Religion und verkrusteten traditionellen Strukturen, die nur schwer aufgebrochen werden können. Als eine von wenigen ist das der Autorin gelungen, die stille Momente im Geheimen als auch den Mantel der Geschichte zum richtigen Zeitpunkt für sich nutzen konnte.

Die Veränderung war fast augenblicklich spürbar. Auf den Straßen waren schlagartig keine Frauen mehr zu sehen. […] Während dieser ganzen Zeit fühlte ich mich wie ein Vogel im Käfig, ich schlug mit den Flügeln gegen die Stäbe und versuchte noch immer zu fliehen.

Homeira Qaderi: Dich zu verlieren oder mich

Homeira Qaderi hangelt sich von ihren Kindheitserinnerungen an bis zur titelgebenden Frage, auf der letztendlich alles hinausläuft. Anschaulich beschreibt sie die Veränderungen, denen das Land fortwährend ausgesetzt war und was dies vor allem für die Frauen bedeutete. Einzelne Sätze geben dieser doch sehr kompakt gehaltenen Biografie Literarität, während andere sehr sachlich auf den Boden der Tatsachen zurückführen, welcher gespickt ist von Kälte, Trost- und Hoffnungslosigkeit. Wie die Geschichte jedoch ausgeht, lässt sich erahnen, alleine schon dadurch, dass wir diesen Text in den Händen halten. Manchmal setzt sich eben doch der Funken Glück durch, sei er auch noch so klein.

[…] all meine Träume und Ziele verdorrten wie nicht gegossene Blumen.

Homeira Qaderi: Dich zu verlieren oder mich

Die Geschichte der Autorin ist Beispiel dafür, dass man die Hoffnung nicht aufgeben darf, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Qaderi zeigt jedoch auch die Gefahren eines gesellschaftlichen Systems, welches das Lebensglück seiner Menschen dermaßen mit den Füßen tritt. So ist der Text zugleich vor allem Stimme für jene Frauen, die die ihre nicht mehr erheben können, die an Afghanistan zerbrochen sind. Man kann ja auch kaum anders, wenn man vor der Wahl zwischen der Liebe zu seinem Kind und dem Wunsch nach Freiheit steht, dabei weiß, die dunkle Seite jeder Entscheidung könnte zum Schlimmsten führen. Wie würde man sich sich selbst entscheiden, ohne zu wissen, ob dies nicht in eine noch größere Katastrophe führt.

Ein Text über lebenslanges Kämpfen für sich selbst, für die Frauen Afghanistans und für das eigene Kind. Kaum möglich, davon loszukommen.

Autorin:

Homeira Qaderi wurde 1980 geboren und ist eine afghanische Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Professorin für Literatur. Nach der Machtübernahme der Taliban 1989 organisierte sie heimlich Grundalphabetisierungskurse für Mädchen aus der Nachbarschaft, unterrichtete selbst und veröffentlichte als Jugendliche eine Kurzgeschichte, die von den Taliban scharf kritisiert wurde. Im Jahr 2001 ging sie in den Iran und setzte ihre unterbrochene Ausbildung fort, studierte persische Literatur, worin sie schließlich 2014 in New Dehli promovierte.

Im Jahr 2011 wurde sie Beraterin der afghanischen Regierung. Während des Falls von Kabul 2021 gehörte sie m it ihrem Sohn zu den Letzten, die das Land an Bord eines amerikanischen Flugzeugs verlassen konnten. Seit dem lebt und arbeitet sie in den USA als Autorin und Professorin und setzt sich weiterhin für Frauenrechte ein. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und wurde verschiedenfach ausgezeichnet.

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Thomas von Steinaecker: Die Privilegierten

Inhalt:

In Norwegen beginnt der Winter. Der erste seit vielen Jahren. In einer abgelegenen Hütte muss sich Bastian eingestehen, dass er zu alt ist, um dort zu überleben. Anstatt zur weit entfernten Siedlung aufzubrechen, beginnt er, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Mit seiner Kindheit in den 90ern zwischen Star Wars, Magnum-Eis und Lichterketten gegen Rechts. Der Zeit als junger Vater und der Herausforderung, Familie, Karriere und eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Und mit den Jahren in der geschützten Wohnsiedlung in der Nähe Münchens, in denen die Welt immer bedrohlicher wurde.

(Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Der neue Roman von Thomas von Steinaecker ist das vielschichtige Porträt unserer Gegenwart in all ihren Widersprüchen. Vor allem aber auch: eine bewegende Geschichte von Liebe und wahrer Freundschaft.

Angaben des Verlags

Das meint zumindest der Verlag, doch zunächst begegnen wir den Protagonisten am Ende der Welt, der Einsam- und Unerbittlichkeit des kargen und unerbittlichen norwegischen Winters ausgesetzt. Bastians Vorräte gehen zu Neige. Er weiß, wenn nicht bald etwas passiert, ist sein Ende nicht weit. Zeit zurückzublicken, zu resümieren, ist genug vorhanden.

Bastian, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Dinge um ihn herum zu katalogisieren und fernab aller Menschen zu leben, beginnt aufzuschreiben, was einst geschah. Von den ersten Kindheitserinnerungen an bis hin zum Zeitpunkt, der alles veränderte.

Nachdem der Rahmen so festgelegt ist, schlittern wir lesend in eine Mischung aus Generationen- und Familienroman, Gesellschaftskritik und Dystopie, die zu gleichen Teilen ausufernd wie beinahe nichts sagend erzählt wird. Schon zu Beginn der eigentlichen Erzählung beschleicht einem das Gefühl, hier wollte jemand möglichst viele Seiten füllen, um des Textes Willen. Gleich in den ersten Abschnitten hätte etwas weniger Detailliertheit der Handlung gut getan. So richtig warm wird man damit nie, was um so schwerer wiegt, da der Umfang eines Mammutwerks sich nicht mal eben schnell weglesen lässt.

Dabei hat die Geschichte alles an Potential, greift der Autor doch tief genug in die Nostalgiekiste hinein, zudem funktionieren Familienerzählungen grundlegend immer, wenn sie vor allem aus einer Perspektive heraus beschrieben werden. Doch weder der Ich-Erzähler noch die anderen Protagonisten gewinnen im Verlauf der Handlung an Sympathie.

Manchmal weiß man so gar nicht, an wen man sich denn halten kann, zudem bei einiger Ausgestaltung gehörig Kitsch eingeflossen ist, um mal nur den Mutter-Theresa-behafteten Sohn Bastians zu nennen, der wohl ein Gleichnis zur Letzten Generation darstellen soll oder den Erzähler selbst, der dem Klischee eines Boomers par excellence entspricht. Irgendwann ist’s auch mal gut. Hier oft genug davon viel zu viel. So kann man aber eben auch Gegensätze schaffen. Ein Mitfühlen, mit dem einen oder anderen ist aber nur in einzelnen Momenten gegeben.

So wie Genre und Protagonisten schwer zu fassen sind, bewegen wir uns durch die jüngere Vergangenheit bis hinein in die unmittelbar bevorstehende Zukunft, in der bestehende Gewissheiten auseinander gebrochen sind. Die Veränderungen zu beschreiben, ist Thomas von Steinaecker durchaus geglückt, in dem gewollten Sinne auch logisch, doch möchte man die sich darin bewegenden Figuren durchweg schütteln.

Ein gewisser Spannungsbogen ist allein durch den beschriebenen Zeitstrahl gegeben, auch wenn da leicht überprüfbare Fakten, die eingewoben wurden, schon zu Beginn durcheinander geraten. Dass man sich bei Jahreszahlen vertippt mag ja noch angehen, der Regierungswechsel von Kohl zu Schröder fand im Jahr 1998 statt, nicht zwei Jahre zuvor. Im Kanzleramt saß dann aber letzterer und nicht Joschka Fischer. Gerade solche Sachen sollten spätestens im Lektorat auffallen. Es bleibt zu hoffen, dass das mindestens mit den kommenden Auflagen oder der Taschenbuchausgabe korrigiert wird.

Der Protagonist resümiert und verliert sich in vielen Details, die uns gleichsam den Spiegel vorhalten, aber keinen Anker zum Festhalten geben. Dennoch gelingt es, sich die Welt vorzustellen, sowohl die vergangene als auch die dystopisch erdachte, doch bleiben beide seltsam kalt, selbst wenn man die eine tatsächlich ähnlich empfunden oder erlebt haben mag. Die Figuren berühren kaum, wie auch die Erzählung selbst, die kaum in Bewegung kommt, vor Themen, die der Autor unbedingt mit hineinbringen wollte. Viel ist eben nicht gleich gut.

Autor:
Thomas Freiherr von Steinaecker wurde 1977 in Traunstein geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Filmregisseur, Hörspielautor und Journalist. Er studierte zunächst in München und in Cincinnati Literaturwissenschaft, bevor er 2006 über literarische Fototexte promovierte.

Währenddessen arbeitete er für verschiedene Zeitschriften und sendete 2007 dem Bayerischen Rundfunk sein erstes Hörspiel. 2007 erschien sein Debütroman, der auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gelang. Weitere Werke wurden u. a. für den Preis der Leipziger Buchmesse oder den Alfred-Döblin-Preis nominiert.

Zudem betätigt er sich als Film- und Theaterregisseur, schreibt Comic-Rezensionen u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Seit 2017 ist er Mitglied des PEN.

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Alexander Häusser: Karnstedt verschwindet

Inhalt:

Wer in der Schule zu sehr aus der Masse heraussticht, wird schnell zum Außenseiter. Doch für Simon und Karnstedt, die beide gar keine andere Wahl haben, als aufzufallen, bedeutet die Ausgrenzung der Beginn ihrer besonderen Freundschaft. Über zwanzig Jahre später steht Simon vor dem Haus seines Jugendfreundes.

Nach der Schulzeit brach jeglicher Kontakt ab, bis Simon die Nachricht von Karnstedts Verschwinden erreichte. Nun soll sich ausgerechnet Simon um dessen Nachlass kümmern. Als er das Haus betritt, findet er ein heilloses Chaos vor. Und überall dazwischen: Erinnerungen. Von ihm, dem klein gewachsenen Simon, und dem kahlen Karnstedt, der mit seinem Anderssein den Klassenkameraden Tummer und dessen Clique provozierte. Beide teilten damals ein Geheimnis, das der Grund für die rätselhaften Ereignisse zu sein scheint. (Klappentext)

Rezension:

Eine Erzählung, gleichsam wie ein Schrei und doch ganz leise. Das ist “Karnstedt verschwindet” des Schriftstellers Alexander Häusser, dessen Roman sich keinem Genre ausschließlich zuordnen mag. In einer Verbindung einer Coming-of-Age-Geschichte mit einem Kriminalroman und Psychorama erleben wir die Geschichte einer Jungenfreundschaft aus der Sicht dessen, der zurückblicken muss.

Neugierig und ängstlich zu gleich, was er entdecken mag und über diese Verbindung und damit auch über sich selbst herausfinden wird. Der eher kompakt gehaltene Text kommt auf leisen Sohlen daher, wie der Protagonist selbst für sich anhand seiner Umgebung die Vergangenheit aufdröselt, die ihn vielleicht im übertragenen Sinne in den Abgrund führen wird. Genau weiß er das zunächst nicht, auch wir bleiben zu Beginn lesend unwissend.

Drei Handlungsstränge braucht es, die zwischen den Zeitebenen und der Genre wechseln. Nachvollziehbar ist das vor allem anfangs nicht immer, doch nach und nach wird zusammengeführt und es ergibt sich ein klares Bild der überschaubaren Hauptfiguren, die der Autor hier aufeinandertreffen lässt. Welche Figur hat auf wen größeren Einfluss? Wer ist wessen Spielball? Wie die Reaktion? So wird eine Gemenglage aufgebaut, die unweigerlich zum Ausbruch führen muss.

Die Geschichte spielt im Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Rückblenden sind die stärksten Elemente der Erzählung, in denen der Ich-Erzähler immer mehr eigene Konturen gewinnt, sein Konterpart im Wechsel zwischen Faszination und Abstoßen ein sehr differenziertes Bild abgibt. Auch der Antagonist bekommt seine Ecken und Kanten. Ruhige Sätze lullen ein, um mit einem lauten Knall zu überfallen. Einige dieser Momente wirken arg gewollt platziert, doch möchte man unbedingt weiterlesen, erfahren. Ein gewisser Sog ist über Strecken nicht abzusprechen.

Der Erzähler nimmt diese Perspektive dauerhaft ein und setzt in seine Erinnerungslücken einzelne Puzzleteile gleichsam den Überbleibseln seines verschwundenen Gegenübers ein, um sein eigenes Bild zu vervollständigen. Immer wieder gibt es zwischen den Zeilen verschiedene Ebene als verbindende Elemente zwischen den Handlungssträngen. Entstehende Längen durchbrechen dann zuweilen den Lesefluss, dem an einigen Stellen mancher Sprung nicht hilft. Mit dem nächsten Satz hat der Autor jedoch wieder packen können.

Eine unterschwellige Spannung ist die ganze Zeit über zu spüren, wenn auch die Wendungen nicht immer überraschen können. Gerade zum Ende hin, funktioniert dies jedoch gut, was daran liegen mag, dass man sich spätestens ab Mitte des Romans in den Erzählstil eingefunden hat. Der in der Vergangenheit liegende Handlungsstrang wird dabei zu Ende am stärksten in Erinnerung bleiben. Punktuell hätte der Geschichte etwas mehr Detailliertheit gut getan, zudem Häusser passagenweise durchaus filmisch zu beschreiben weiß.

Die Perspektive und Position des Erzählenden wird, außerhalb der Zeitebene, von Beginn an sich nicht ändern. Das Gefühlschaos des Protagonisten tut es dagegen stetig. Simon wächst einem ans Herz, ist nachvollziehbar. Karnstedt als zweite Hauptfigur bleibt wie vom Nebelschleier umhüllt. Glaubt man ihm fassen zu können, endgleitet er einem schon wieder.

Egal, welches Buch man lesen möchte, den nicht ganz einfachen Coming-of-Age-Roman, das Psychogram oder den Kriminalroman, mit “Karnstedt verschwindet”, wird man all das bekommen. Ist nur die Frage, was davon am besten funktioniert. Für mich hat sich das entschieden.

Autor:

Alexander Häusser wurde 1960 in Reutlingen geboren und studierte zunächst Germanistik, Philosophie und Geschichte. Für sein Werk, welches mehrere Romane umfasst, erhielt er Auszeichnungen, wie den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg. Häusser wirkt zudem im Rundfunk mit. Sein Roman “Zeppelin!” wurde für das Kino verfilmt.

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Fatih Cevikkollu: Kartonwand

Inhalt:

Sie steht symbolisch für den Traum vom baldigen Glück in der Heimat: eine ganze Wand aus Kartons, in denen alles verstaut wird, was schön und wertvoll ist – für das spätere Leben in der Türkei. Was macht es mit Menschen, wenn sie irgendwann merken: der Traum zurückzukehren hat sich nicht erfüllt? Und das neue Zuhause möchte einen lieber heute als morgen loswerden, egal, wie lange man schon hier lebt und wie sehr man sich auch anstrengt?

Fatih Cevikkollu erzählt von den generationsübergreifenden Wunden, die die Arbeitsmigration gerissen hat, und gibt so einer bisher übersehenen Gruppe eine Stimme: die der sogenannten “Gastarbeiter” und ihrer Familien. (Klappentext)

Rezension:

In einer Mischung aus Familiengeschichte, Biografie, Bericht und Zustandsbeschreibung sucht der Theater- und Fernsehschauspieler Fatih Cevikkollu Antworten auf drängende Fragen, die sich für ihn spätestens seit dem Tod seiner Mutter, hintergründig jedoch schon viel eher gestellt hatten. Wo liegen Ursachen und auslösende Momente der Psychose, die sie ins Unglück stürzten und an denen die Familie augenscheinlich zerbrach und wie weit reichen die Geschehnisse, so sie es tun, in das Tun und Wirken seiner, d. h. der nachfolgenden Generation hinein?

Die Eltern gehören zur ersten Generation der sogenannten Arbeitsmigranten, die in den 1960er Jahren im Rahmen des Abwerbeabkommens mit der Türkei nach Deutschland kamen und so einen bedeuteten Anteil zum Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit beitrugen. Gedankt wurde es ihnen nicht. Der deutsche Staat nicht gewillt, herkommende Menschen zu integrieren, macht es ihnen bis heute nicht leicht, die Gesellschaft ebenso wenig, auch in der ursprünglichen Heimat war später kaum ein Anknüpfen möglich. Und so blieb diese Generation entwurzelt ohne neue Wurzeln schlagen zu können. Dies hatte, ebenso auf sie wie auf die Kinder ihren Einfluss.

Fatih Cevikkollu begibt sich auf die siche, spürt der eigenen Familiengeschichte nach und analysiert zunächst die geschichtlichen Grundlagen und Ausgangsvoraussetzungen, auf die der neue deutsche Staat nach Kriegsende fußte und welche Überlegungen seitens Politik und Gesellschaft den Anwerbeabkommen vorausgingen. Darauf aufbauend nimmt er die eigene Familiengeschichte in Bezug. Lassen sich so seine drängensten Fragen klären? Wie weit gelten sie?

Für die Familie, für die Mutter, die eigentlich psychologischer Hilfe bedurft hätte, aber nie Zugang dazu bekam. Zugleich sachlich und einfühlsam analysiert er in kompakter Form diese Punkte und setzt sie zueinander in Bezug. Anhand von persönlich Erlebten, ob von Familienmitgliedern erzählt oder aus der eigenen Erinnerung heraus, wird das Erzählte verdeutlicht und gibt so einen Einblick in eine Thematik, die bisher kaum registriert wurden ist. Dabei kennt man die Grundproblematik durchaus, in Bezug auf die nachfolgenden Generationen der Überlebenden des Holocausts und der Frage, warum habe ich überlebt? Abgesehen von der Fragestellung ist die Frage, in wie weit Traumata in nachfolgende Generationen hineinreichen, die gleiche.

Der Autor hat sich in “Kartonwand” ein wichtiges Stück der jüngeren Zeitgeschichte vorgenommen, deren Riss sich durch viele Familien in Deutschland und der Türkei zieht und ihre Spuren hinterlassen hat. Von der Ausgangssituation folgen wir seinen Ausführungen über die erste Generation der Migranten bis ins heute zu einem Zeitpunkt, in der deren Kinder längst erwachsen sind und als Folge ihren Platz in der Gesellschaft suchen müssen, was ihnen immernoch erschwert wird.

Wie viel können Menschen aushalten, denen übergreifend immer wieder verdeutlicht wird, dass kein Platz für sie vorgesehen ist. Cevikkollu möchte verstehen, jedoch auch die Aufmerksamkeit schaffen, am Beispiel seiner Familie, welche seelichen Wunden da geschaffen wurden und dass unsere Gesellschaft dies verstehen und danach handeln muss. Zwischen den Zeilen ist berechtigt zu lesen, hier kommt ein Land schlicht und einfach einer Fürsorgepflicht gegenüber denen nach, die alles Recht dazu hätten, dies einzufordern, auch rückwirkend, zumal wenn man sieht, dass es eben doch bei zahlreichen Beispielen funktioniert, wie man z. B. an den ukrainischen Flüchtlingen sieht. Da wurde viel richtig gemacht. Warum nicht so, von Anfang an.

Dies wird nur kurz angesprochen, dem Autoren liegt es fern, Menschen gegeneinander auszuspielen, aber er möchte verdeutlichen und zieht Vergleiche, um zu veranschaulichen. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass er nicht auf Allgemeingültigkeit besteht, sich vor allem auf das Schicksal seiner Mutter und Familie beschränkt und stetig versucht, diesen Fokus aufrechtzuerhalten, um sich so auch viele Gegebenheiten aus seiner Kindheit im Nachhinein zu erklären.

Die detailreiche familienbiografische Analyse, die sich nicht so trocken liest, wie das klingen mag, lässt einem fassungslos zurück, zudem wenn man weiß, wie ein Land und seine Gesellschaft den gleichen Fehler mehrfach begehtm, bis heute. Ausnahmen, siehe oben. “Kartonwand” regt zum Nachdenken an und schafft Grundlage, nicht nur anhand dieser Familiengeschichte etwas aufzuarbeiten, worüber bisher überwiegend geschwiegen wurde. Von beiden Seiten.

In sofern ist dies ein wichtiger, dennoch kurzweilig formulierter, Text, sowohl für Betroffene, vielleicht als Anlass ebenfalls die eigene Familiengeschichte zu verstehen, andererseits die Stimme zu erheben und für die Gesellschaft sollte es ein wichtiger Denkanstoß sein. Vielleicht lassen sich so auch Handlungs- und Denkweisen bestimmter Gruppen nachvollziehen, um künftig Ursachen, die sich so auswirken, gleich aus den Weg räumen. Wenn der Autor mit der Geschichte seiner Familie dazu einen Anstoß gegeben hat, hat er mit “Kartonwand” etwas erreicht.

Autor:

Fatih Cevikkollu wurde 1972 in Köln geboren und ist ein deutscher Theater-, Film- und Fernsehschauspieler und Kabarettist. Er arbeitete zunächst als Theaterschauspieler, bevor er an der Hochschule Ernst Busch in Berlin studierte und ans Düsseldorfer Schauspielhaus ging.

Später übernahm er eine Rolle in der Fernsehserie “Alles Atze”, spielte auch verschiedene Film- und Fernsehrollen. Seit Mitte der 1990er Jahre war er zudem Mitglied der Hip-Hop-Gruppe Shakkah. 2006 bekam er den Jurypreis Prix Pantheon und 2008 folgte die Veröffentlichung seines ersten Buches, dem weitere folgten. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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Vigdis Hjorth: Die Wahrheiten meiner Mutter

Inhalt:

Johanna ist keine gute Tochter. Um sich zu retten, hat sie die Familie verlassen. Jetzt, dreißig Jahre später, ist sie wieder zu Hause. Sie sucht Nähe, sie will den Kontakt zur Mutter erzwingen, doch die verweigert sich kühl jeder Annäherung. Heimgesucht von den Erinnerungen an die Kindheit zieht Johanna sich in eine einsame Hütte am Fjord zurück, wo es an ihr ist, die Verhältnisse zu ordnen und sich aus den familiären Zwängen zu befreien.

Vigdis Hjorth erzählt drastisch von unseren zerrütteten Beziehungen, von Sehnsucht und Enttäuschung und davon, wie man der Vergangenheit begegnet, ohne sich selbst aufzugeben. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Familiäre Gräben sind tief und breit, kaum zu überbücken. Johanna selbst steht vor einem solchen, als sie in das Land, die Stadt, zurückkehrt, in der sie aufwuchs. Längst ist aus der jungen Frau, die ihrer Heimat einst aufwuchs, eine erfolgreiche Künstlerin geworden. Der Auftakt dazu jedoch war scheinbar der größte Stein, der den Bruch mit den unnahbaren Eltern vor Jahrzehnten mehr als offensichtlich machte. Doch, lassen sich Wunden heilen? Der Mutter, der fremd gewordenen Schwester, die eigenen? Johanna möchte dies versuchen, möchte verstehen und tritt dabei eine innere Lawine los, die sie bald nicht mehr aufzuhalten vermag.

Der neue Roman “Die Wahrheiten meiner Mutter”, der norwegischen Autorin Vigdis Hjorth, beschreibt den Versuch einer Annäherung, von der man bereits zu Beginn ahnt, wie sie ausgehen wird. Der beschrieben Weg ist das Ziel, welches in mit der Seitenzahl zunehmenden Erzähltempo erreicht wird. Zugleich schauen wir ins Innere der Protagonistin, deren Psychogram nach und nach Konturen bekommt, die die Figur zunächst verständig und sympathisch wirken lässt, jedoch auch das Gegenteil von der Inhaltsangabe suggerierenden Wirkung erzielen kann. Nicht nur Wahrheiten verschieben sich langsam, später immer schneller.

Im inneren Monolog sucht die Protagonistin nach Antworten, erkennt die Unüberwindbarkeit der familiären Zerrüttung nicht und greift, um zu verstehen, zu immer drastischeren Maßnahmen. Da wird observiert, verfolgt, sich in eine ausweglose Situation hinein manövriert, die Schuldfrage nur einseitig beleuchtet. Die Protagonistin wird, das ist gleich zu Beginn klar, den Wandel nicht schaffen, nicht erkennen auch, wann man aufhören sollte zu suchen.

Sehr gewöhnungsbedürftig ist dies zu lesen, zu weilen wirken einzelne Kapitel wie eisige Wasserstrahlen. Unangenehm, fast abstoßend. Kurze, kompakt geschriebene Kapitel entfalten dennoch einen Sog, den man sich nicht entziehen mag, zudem wenn das Erzähltempo selbst anzieht. Darin zu versinken ist dennoch nur in der richtigen Stimmung zu empfehlen.

Die Handlung wird konsequent auf einen Zeitraum von wenigen Wochen beschränkt, auch das kleingehaltene Figurenensemble tragen zur Dramatik bei, wenn auch bis auf die Hauptprotagonistin selbst alle anderen vergleichsweise blass gezeichnet werden.Trotzdem bilden sich schnell Gegenpole, die man zumindest lesend nachvollziehen, wenn auch nicht unbedingt gutheißen, kann, was jedoch nichts daran ändert, dass sich das anfangs geschaffene Bild der Hauptprotagonistin schnell ändert. Womit wir beim Interpretieren wären, was man ja bei Kunstwerken gerne mal macht, oberflächlicher Kulminationspunkt des beschriebenen Familienzwists. 

Im Gesamtpaket ist dies verständlich und in sich schlüssig. Grrößere Stolpersteine gibt es nicht, alleine die Art des Umgangs der Figuren miteinander ist für jemanden, der zwar in einer chaotischen und auch durchaus mal streitenden Familie lebt, nicht immer nachvollziehbar. Überraschende Wendungen sind dünn gesät, dann jedoch sehr gezielt wirken, wie auch die Rückblenden sehr wirkungsvoll gesetzt sind. Die Form kompakter Kapitel bringt zudem die Beschrnkung auf wenige Details mit sich, gerade so, dass ein inneres Bild entsteht. Auch und gerade vom Straßenzug einer skandinavischen Stadt oder der in der dortigen Natur befindlichen Waldhütte. Vigdis Hjorth zeigt hier die Stärke innere Zerissenheit, ebenso einnehmende Szenenbilder zu zeichnen.

“Die Wahrheiten meiner Mutter” ist ein sehr interessanter Roman über dysfunktionale Familienverhältnisse, zu großen Teilen schwere Kost, da es die Autorin nicht in allen Facetten uns Lesende leicht macht, die Hauptprotagonistin zu mögen. Immer wieder gibt es da Momente zum Überlegen, ob man da jetzt wirklich noch weiterlesen möchte. Ein interessantes Rezept, was jedoch in jedem Fall in Erinnerung bleiben wird. Ob im Guten oder Schlechten liegt daran, wie man sich zur Hauptfigur positioniert.

Ohne skandinavischen Mehltau, die Prise Melancholie ist hier erträglich, hat Vigdis Hjorth einen sehr ambivalenten Roman geschaffen, bei dem, alle Faktoren zusammen genommen, das Fazit schwerfällt. Rein sprachlich und handwerklich ein guter Text, damit auch mal Lob an die Übersetzerin Gabriele Haefs. Von der Handlung der Protagonistin her, so manches Mal zum Haare raufen.

Autorin:

Vigdis Hjorth wurde 1959 in Oslo geboren und ist eine norwegische Schriftstellerin. Sie studierte Ideengeschichte, Politikwissenschaften und Literatur und veröffentlichte zunächst ein Kinderbuch, lebte in Kopenhagen, Bergen, Schweiz und Frankreich. Es folgten weitere Romane, die mehrfach ausgezeichnet, übersetzt und verfilmt wurden. Sie war für den National Book Award sowie den Literaturpreis des Nordischen Ratzes nominiert.

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