Geschichte

Klaus Brinkbäumer/Stephan Lamby: Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe

Im Wahn - Die amerikanische Katastrophe Book Cover
Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe Klaus Brinkbäumer/Stephan Lamby C.H. Beck Verlag Erschienen am: 28.09.2020 Seiten: 389 ISBN: 978-3-406-75639-9

Inhalt:

Nach vier Jahren einer fatalen Präsidentschaft sind die USA eine wütende, nur noch im Hass vereinte Nation – und erleben in der gegenwärtigen Weltkrise eine mutible Katastrophe. Der ehemalige Chefredakteur des SPIEGEL Klas Brinkbäumer und der preisgekrönte Dokumentarfilmer Stephan Lamby berichten von den zahlreichen Fronten.

Ihr Buch ist eine investigative Reportage über ein zerfallendes Land, das seinen Kompass und seine Wahrheiten verloren hat. (Klappentext)

Rezension:

Einen Trümmerhaufen gleich, liegt die amerikanische Demokratie am Boden. Ein Scherbenhaufen, der in immer noch kleinere Teile zerstoßen wird und kaum mehr verbunden werden kann, zu dem, was dieses Land einst zur Weltmacht ersten Ranges gemacht hat.

Seit Jahrzehnten haben viel zu viele daran gearbeitet, dieses System zu zerstören, erst langsam, dann immer schneller und so ziehen sich heute kaum zu überwindende Gräben durch die amerikanische Gesellschaft, Medien und Familien.

Symptom dessen ist seit 2016 ein amerikanischer Präsident, der von Demokratie und Meinungsfreiheit nichts hält, Wissenschaftlern nicht traut und überdies nur seine eigene Sicht der Dinge gelten lässt, seine Bürger nach Strich und Faden belügt. Der Feind bestimmt den politischen Alltag. Ein Diskurs fast unmöglich. Die Journalisten Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby haben sich auf Spurensuche begeben und fahnden nach einer Nation im Wahn..

So viele Bücher sind bereits von allen Fronten her erschienen, über die präsidentschaft Trumps, die nun wohl ein Ende findet. Der Scherbenhaufen, den der Immobilienmogul hinterlässt, gibt jedoch Anlass zur Sorge. Denen, die bis dato davon profitiert haben und Angst vor einer Zukunft nach einem Politikwechsel haben, denen, die sich dafür fürchten, was passiert, wenn das zerstörte System der amerikanischen Demokratie nicht mehr repariert werden kann.

Feinfühlig und dicht öffnen die beiden deutschen Journalisten ihren LeserInnen, was für Außenstehende kaum zu begreifen ist. Sie fragen nach, zu beiden Seiten der politischen Lager, die sich verfeindet gegenüber stehen, versuchen zu verstehen und dennoch fühlt man sich Zeile für Zeile einem kommenden Bürgerkrieg näher, den man kaum ausweichen kann. Als ausländischer Betrachter zum ratlosen Zuschauen verdammt.

Rechercheleistung durch die jüngere amerikanische Geschichte, die zeigt, welche Auswirkungen die Sklaverei noch heute führt, weshalb sich die Kolonialisatoren von einst heute bedroht fühlen und immer radikaler denken.

Das und dazu die Betrachtung einer politischen Welt, die sich ihre Feindbilder selbst schafft, dabei sich immer mehr vom Normalbürger entfernt, der dann unter Umständen sogar dazu bereit ist, Lügen eines Staatsoberhauptes zu akzeptieren. Denn, „die anderen lügen mehr als wir, also ist ein wenig Lügen in Ordnung“. Der neue Maßstab, der alles vorher Dagewesene ins Wanken bringt.

Die Journalisten zeichnen die Entwicklung der Präsidentschaft eines Menschen nach, der sich Autokraten näher fühlt als den Werten einer Nation, die er vertreten soll, von seinen Anfängen bis kurz vor der Wahl 2020, zeigen Weichenstellungen auf und Medien, die praktisch Amtshilfe zur Zerstörung der Demokratie geleistet haben, und heute auf wenige Leuchttürme zusammengeschrumpft, um die Deutungshoheit kämpfen.

Beidseitig ist der Blick, nach links und rechts. Voreingenommen nicht. So wird dann auch das Buch eines John Bolton durchaus kritisch gesehen, ebenso die Bücher der ganzen „in Ungunst Gefallenen“, Leichen auf den Weg des Präsidenten.

Erschütternd ist dieser Zustandbericht zu lesen. Nur klein sind die Hoffnungsschimmer, die die beiden Autoren entdecken. Zu wenig vielleicht, um noch zu retten, was die USA einst waren. Brinkbäumers und Lambys Buch sollte zugleich eine Warnung davor sein, was moderne Demagogen anrichten können, wovor auch in Europa kein Land gefeit ist.

Zeile für Zeile so zu analysieren, woran eine Gesellschaft krankt, dabei versuchen nicht zu einseitig zu werden, ist eine Leistung die hier durchaus erbracht wurde, die uns genug Denkanstöße zum Erhalt dessen geben sollte, was den transatlantischen Nachbarn so gar nicht gelungen ist.

Was bleibt? Wie wird es weitergehen? Wird der Nachfolger Trumps nur noch Verwalter eines Scherbenhaufens sein oder kann man der Zerstörung irgendwie Herr werden? Die Amerikaner sollten es versuchen, so die Autoren. Zu ihrem eigenen Schutz. Die Frage, die sich den diesen Bericht lesenden Publikum stellen wird, ist jedoch, ob sie das überhaupt wollen?

Autoren:

Klaus Brinkbäumer wurde 1967 in Münster geboren und ist ein deutscher Journalist. Zunächst arbeitete er bei den Westfälischen Nachrichten, studierte danach in Santa Barbara (Kalifornien) und in München, bevor er ein Volontariat bei Weltbild absolvierte.

Ab 1993 arbeitete er beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und wurde Chefredakteur (2018), sowie Herausgeber von Spiegel Online. Im jahr darauf wechselte er zur Zeitung „Die Zeit“, moderierte einen eigenen Podcast. Brinkbäumer ist Dozent an der Henri-Nannen-Schule und lebt in Hamburg.

Stephan Lamby wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Journalist, Autor und Produzent. Zunächst studerte er in Marburg, später dann Hamburg, Germanistik und Anglistik, bevor er als freier Journalist in New York City arbeitete.

Nach einer Zwischenstation im Rundfunk wechselte er zum Fernsehmagatin der Zeitung „Die Zeit“ und veröffentlichte Dokumentationen zu u.a. Politik, Wirtschaft, Geschichte und Wissenschaft. 2018 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis, ein Jahr später die Goldene Kamera. Von zahlreichen Politikern fertigte er Fernsehporträts, u.a. Henry Kissinger und Fidel Castro.

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Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Book Cover
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Esther Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 05.11.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-462-05222-0 Übersetzer: Tobias Schnettler

Inhalt:

Esther Safran Foer, die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die in der schrecklichen Dunkelheit des Nationalsozialismus begraben wurde.

Nur mit einem Schwarz-Weiß-Foto und einer handgezeichneten Karte reist sie zusammen mit ihrem Sohn in die heutige Ukraine, um das Schtetl zu finden, in dem sich ihr Vater während des Krieges versteckt hatte. Ein Buch gegen das Vergessen und ein kleiner Triumph über den Faschismus.

Rezension:

Kaum eine Familie lebt ohne sie, diesen Anekdoten, denen man sich kaum entziehen kann. Diesen Ereignissen, die immer wieder zur Sprache kommen und so zur Wahrheit eines jeden einzelnen Familienmitgliedes werden, auch wenn dieses das Erzählte selbst nicht erlebt hat.

Es gibt aber auch die andere Form, die unausgesprochenen Ereignisse, Weichenstellungen, Schicksalsschläge, die kaum erzählt werden, nur beiläufig erwähnt oder in ganz besonderen Momenten in Worte gefasst werden.

Etwas, worüber nur selten in Ausnahmefällen gesprochen wird. Einem solchen Moment wohnt Esther Safran Foer bei, als ihre Mutter von der Vergangenheit ihres Mannes beiläufig erzählt. Darauf beginnt eine jahrelange Suche und das Aufbrechen der finstersten Jahre ihrer Familiengeschichte.

Es ist die Geschichte einer Familie, die man vielleicht nicht lesen würde, wenn nicht die Schreibende selbst Mutter eines erfolgreichen Autoren wäre, doch Esther Safran Foer nimmt sich beim Beschreiben dieser, ihres Vaters und ihrer Mutter, bewusst zurück. Die Autorin hält sich an Fakten, lässt die Emotionen dieser Bewältigungsarbeit behutsam einfließen und herausgekommen ist ein liebevolles erschütterndes Porträt.

Wie viel Leid, wie viel Ruhelosigkeit vermag eine junge Familie zu ertragen? Welchen unbewussten Einfluss hat die Geschichte auf das Schreiben ihrer Söhne und ist Verarbeitung ein generationsübergreifender Prozess, der nie beendet werden kann? Diese und andere Fragen stellt man sich unwillkürlich beim Lesen der Zeilen.

Sehr dicht, sehr schnell, fast gedrängt beschreibt die Autorin das Zusammenführen der Puzzleteile, die sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren führt, um diesen nahe zu sein und einen, wie auch immer gearteten Abschluss zu finden.

Es ist ein Streifzug durch die Geschichte der Foers, der fiktionalisiert im Roman „Alles ist erleuchtet“ des einen Sohnes begann, sich über die Jahre immer wieder durch das Leben von Esther Safran Foer zieht. Wie ein Detektiv, der lose Fäden findet und zusammenfügen muss, beschreibt sie, wie eine Antwort zu unzähligen neuen Fragen führt, wie ihre Mutter eigentlich mit der Vergangenheit abschließen wollte, doch diese für die Tochter fast zur Obsession wurde.

Wie viel kann eine Familie ertragen? Wie groß müssen Abstände zum Unaussprechlichen sein, um weiterleben zu können? geht das überhaupt? wie groß ist der Einfluss, auf das, was nachfolgt, aquf das Leben weiterer Generationen?

Die Biografie einer Suche nach Antworten, fast so literarisch wie die Schreibarbeit von Jonathan Safran Foer selbst, erschütternd jedoch, wie so vieles, was in den Wirren der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschehen ist, als die Nazis weite Teile Europas in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen ermordeten, nicht zuletzt derer jüdischen Glaubens, wie Teile der Familie Safran, denen mit „Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind“ ein Denkmal gesetzt wurde.

Vielleicht kann diese Familienbiografie, die sich eine Episode herausgreift, zum Anlass genommen werden, einmal selbst in der Vergangenheit der eigenen Familie nachzuforschen? Um Klarheit zu schaffen, aber auch offene Fragen zu beantworten und andere aufzuwerfen.

Autorin:

Esther Safran Foer wurde 1946 in Lodz geboren und ist eine US-amerikanische Autorin und ehemalige Geschäftsführerin eines jüdischen Kulturzentrums. Nach dem Holocaust und einige Jahre in einem DP-Lager in Deutschland wanderte die Familie nach Amerika aus.

Sie studierte Politikwissenschaften und arbeitete 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gründete 2002 eine PR-Agentur. Von 2007 bis 2016 leitete sie das jüdische Kulturzentrum „Sixth & I Historic Synagogue“.

2020 schrieb Foer ihre Suche nach der ersten Frau ihres Vaters und dessen Tochter nieder, die beide im Holocaust umkamen. Ihre Söhne sind der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und die Journalisten Franklin und Joshua Foer.

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Yuval Noah Harari: Sapiens – Der Aufstieg

Sapiens - Der Aufstieg Book Cover
Sapiens – Der Aufstieg Yuval Noah Harari Rezensionsexemplar/Graphic Novel C.H. Beck Hardcover Seiten: 246 ISBN: 978-3-406-75893-5
Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Der Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ als Graphic Novel.

Schon bevor die Menschen sesshaft wurden, hatten sie der Erde ihren Stempel aufgedrückt. Wie konnte ein eigentlich so schwaches Tier wie der Mensch sich den Planeten untertan machen? In Sapiens, der Graphic Novel, tritt Yuval Noah Harari selbst auf und geht zusammen mit seiner Nichte Zoe diesem Rätsel auf den Grund – mit Hararis unvergleichlichem Witz, viel Charme und einer Menge an schrägen Ideen.

Noch zugänglicher, noch unterhaltsamer, aber genauso intelligent und lehrreich wie sein Kultbuch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“.

Rezension:

Der Historiker Yuval Noah Harari ist sicherlich einer der gefragten Vordenker unserer Zeit. Seine Expertisen sind sowohl in der großen Politik gefragt, als auch beim Publikum und so landen seine Überblickswerke regelmäßig auf verschiedenen Bestsellerlisten.

Nur eine Frage der Zeit also, bis sein Werk auch jüngeren Lesern zugänglich gemacht werden sollte und einem breiteren Publikum nun als Graphic Novel vorgelegt wird. Herausgekommen ist dabei das vorliegende Werk „Sapiens – Der Aufsteig“.

Im Großformat ist nun die Adaption seines Weltbestsellers „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ fällig, welche schon vom Titel her irreführend ist. Es handelt sich keineswegs um eine Überblicksgeschichte, die hier geliefert wird, viel mehr um eine Konzentration auf die Entwicklung der ersten Menschen, worauf ein Bogen in die heutige Zeit gespannt und große Teile der Menschheitsgeschichte ausgelassen werden. Der Mut zur Lücke in allen Ehren, hier wird er zu großzügig ausgelegt.

Farbenfroh und sehr detailliert werden die ersten Schritte des Menschen dargelegt, Einschübe der heutigen Zeit, die sich oft auf Harari selbst beziehen, der im Austausch mit anderen Vordenkern und Wissenschaftlern, aber auch mit der nachfolgenden Generation in Gestalt seiner Nichte, gzeigt wird. Dies lockert die eigentlich dargestellte Thematik auf, zumal auch die beiden Illustratoren es nicht lassen konnten, Hararis erhobenen Zeigefinger bildlich umzusetzen. Das ist sehr detailreich, aber unglaublich anstrengend zu lesen. Eine Graphic Novel sollte dem Leser zugänglicher sein.

Viel Geplänkel um nichts, ein halb verfehlter Titel und eine Art des Erzählens, als würde man seine Leserschaft mit einem Brett auf die Buchseiten drücken, sind nicht gerade dazu angetan, einen neuen Zugang zur Thematik zu schaffen. Die Fingerzeige auf die Graphic Novel selbst sind dabei witzige Einschübe, die sich jedoch nicht wirklich im Gesamtbild einfügen wollen.

Hätte man sich wirklich auf die Frühzeit des Menschen ohne Zeitsprünge ins Heute konzentriert und auf Harari als selbst hin und her springenden Protagonisten verzichtet, wäre die Graphic Novel als Ergänzung zum Sachbuch eine runde Sache gewesen. Momentan ist dies jedoch ein Werk, was so nicht funktioniert und nicht gerade Lust macht, die schriftlichen Werke Hararis näher kennen zu lernen.

Der Zeichenstil schwankt zwischen feingliedrigen Comicstrips und groben Übersichten und setzt die handelnden Protagonisten bewusst divers in Szene, wird doch auf der ganzen Welt zur Thematik geforscht, finden sich auf den Planeten überall Hinweise auf den schon frühzeitigen Einfluss des Menschen auf Flora und Fauna des Planeten. Wenigstens dem hat diese Adaption Rechnung getragen.

Autor:

Yuval Noah Harari wurde 1976 in Kiryat Ata, haifa, geboren und ist ein israelischer Historiker. Seit 2005 lehrt er an der Hebräischen Universität Jerusaelm und forscht zur Militärgeschichte und zu diversen universalhistorischen Themen. 2013 veröffentlichte er „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, vier Jahre später den Nachfolgeband „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“, die beide zu einem internationalen Bestseller avancierten.

Seine Bücher wurden mehrfach übersetzt und ausgezeichnet. 2017 erhielt er den Preis für das Wissensbuch des Jahres. Im Jahr 2019 wurde ein Asteroid nach ihm benannt. Er schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Haaretz.

Adaption, Text und Illustration:

Daniel Casanave wurde 1963 geboren und ist ein französischer Karikaturist, Schriftsteller und Bühnenbildner. Er studierte zunächst an der School of Fine Arts in Reims und arbeitete anschließend für verschiedene Theater im Bereich Bühnenbild, Poster und Grafikdesign. Hauptsächlich zeichnet er Pressekarikaturen und Illustrationen für Kinderbücher.

David Vandermeulen wurde 1968 geboren und ist ein belgischer Designer und Drehbuchautor. Zunächst studierte er an der Königlichen Akademie der Künste in Brüssel, anschließend am Königlichen Institut für Geschichte und Archäologie 1997 gründete er seinen eigenen Verlag. Verschiedene Themen verarbeitete er zu Comic-Adaptionen und Graphic Novels.

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Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein Book Cover
Jeder schreibt für sich allein Anatol Regnier C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 366 ISBN: 978-3-406-75592-7

Inhalt:

Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.

Opportunisten und Konjunkturritter sind dabei, aber auch Autoren, die nur ihrer Arbeit nachgehen wollten und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Mit leichter Hand verknüpft Anatol Regnier die Biografien von Hans Fallada und Erich Kästner, Agnes Miegel und Ina Seidel, Gottfried Benn, Hanns Johst und Will Vesper. Es sind Geschichten von überraschender Widersprüchlichkeit, die das ganze Spektrum menschlichen Verhaltens im Dritten Reich abbilden. (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich gelangten, begann gerade im kulturellen Bereich ein beispielloser Exodus. Schriftsteller, wie der Nobelpreisträger Thomas Mann oder Literaturkritiker, wie Alfred Kerr, flohen ins Ausland. Nur zu gut waren ihre Positionen zu den neuen Machthabern bekannt, die ihre Ziele kaum verheimlichten. Mit einem Schlag war Deutschland einem Großteil seines kulturellen Lebens beraubt. Doch, viele SchriftstellerInnen und DichterInnen blieben, da sie nicht fliehen wollten oder konnten. Dies ist ihre Geschichte.

Anatol Regnier, Enkel des im Jahr 1918 verstorbenen Dramatikers Frank Wedekind, hat mit „Jeder schreibt für sich allein“ ein bemerkenswertes Porträt geschaffen, jener Zeit, in der man sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbiegen musste, um bestehen zu bleiben und überleben zu können. Doch, wie weit musste man als Schriftsteller gehen, der ständig durch das Damoklesschwert Schreibverbot bedroht wurde, zudem, jede Zeile, sei sie auch noch so wohlwollend, kritisch beäugt sah.

Wie gingen Literaten, wie Erich Kästner, der bereits weltbekannt war, als die Nazis die Macht erlangten damit um, wie ein psychisch angeschlagener Hans Fallada und was erhofften sich Ina Seidel und Will Vesper? Anatol Regniers dokumentarischer Bericht zeigt anhand der Werke einer Auswahl von Autoren, was die Zwänge der Diktatur mit den Menschen machten, wozu diese teilweise durch das Regime getrieben wurden.

Hier wird detailliert auf einzelne Biografien Bezug genommen. Andere fallen dabei unter den Tisch. Teils, weil sie zu umfangreich wären für einen Gesamtüberblick, da dies nur eine Übersicht darstellen soll, aber auch, da die ganze Blut-und-Boden-Literatur nur gestreift wird. Vielmehr geht es Regnier, um die jenigen, die zwischen den Stühlen standen und sich nach dem Krieg vor Größen, wie Thomas Mann, verteidigen mussten. Für jede Zeile, die auch nur ansatzweise anrüchig klang.

Der Autor seziert einzelne Werke gründlich. Als Lesender kann man nur vermuten, welche Rechercheleistung dahinter steckt, aber auch die Liebe zur Literatur, die gerade aus dieser Zeit mehrdeutig betrachtet werden muss. Sachlich nüchtern präsentiert der Autor die schreibenden Kollegen jener Zeit, die sich hinterher rechtfertigen mussten und praktisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Er zeigt, welchen Einfluss oder auch nicht, einzelne Kulturschaffende hatten, wie diese sich teilweise bei Behörden und Ministern für ihre Kollegen einsetzen und um jede Zeile kämpfen mussten. Mal mehr, mal weniger. Sehr kompakt geschrieben ist dies, trotzdem spürt man auch beim Lesen des Sachbuchs die ständige Bedrohung, der die Schriftsteller im Nationalsozialismus unterlagen.

Was dabei herauskam, lässt sich heute noch anhand ihrer Werke nachvollziehen, wobei es Autoren wie Erich Kästner auch im Nachkriegsdeutschland gelang, wieder Fuß zu fassen. Anderen, berechtigterweise nicht. Der Zwist der Vielen, die dazwischen standen, ist heute fast vergessen. Um so wichtiger, dieses Buch, welches z.B auch parallel zu Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ gelesen werden kann. Einige Autoren finden sich auch dort wieder.

Autor:

Anatol Regnier wurde 1945 in Sankt Heinrich geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Chansonsänger und Gitarrist. Sein Großvater ist der Dramatiker und Schriftsteller Frank Wedekind, über den er 2008 eine Biografie veröffentlichte.

Regnier selbst, studierte am Royal College of Music in London und dozierte selbst am Konservattorium in München. Mitte der 1980er Jahre lebte er in Australien. Im Jahre 2003 erschien seine Familienbiofie. Zwei Jahre später erhielt er den Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München, sowie den Schwabinger Kunstpreis, 2012. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und lebt heute in München.

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Alan Gratz: Vor uns das Meer

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Vor uns das Meer Alan Gratz Erschienen am: 17.02.2020 Hanser Seiten: 301 ISBN: 978-3-446-26613-1 Übersetzerin: Meritxell Janina Piel

Inhalt:

Wenn das eigene Zuhause zu einem Ort der Angst und Unmenschlichkeit wird, ist es kein Zuhause mehr.

Josef ist 11, als er 1939 mit seiner Familie aus Deutschland vor den Nazis fliehen muss. Isabel lebt im Jahr 1994 in Kuba und leidet Hunger – auch sie begibt sich auf eine gefährliche Reise in das verheißungsvolle Amerika. Und der 12-jährige Mahmoud verlässt im Jahr 2015 seine zerstörte Heimatstadt Aleppo, um in Deutschland neu anzufangen.

Alan Gratz verwebt geschickt und ungemein spannend die Geschichten und Schicksale dreier Kinder aus unterschiedlichen Zeiten. Ein zeitloses Buch über Vertreibung und Hoffnung, über die Sehnsucht nach Heimat und Ankommen. (Klappentext)

Rezension:

Unerwartet taucht zwischen den Büchern in den Regalen manchmal ein Juwel auf, was nachhaltig beeindruckt. Rar und kostbar, wenn die Protagonisten berühren und der Schreibende es schafft, seine Leser zu fesseln und nachdenklich zu stimmen. Ein solches Kunststück ist Alan Gratz gelungen. Der amerikanische Autor bringt wie kaum jemand anderes drei Geschichten, drei Zeitebenen, drei Handlungsstränge zusammen und versucht so, kaum zu Erklärendes begreifbar zu machen.

Kapitelweise wechselt die Perspektive zwischen den Zeiten. Die drei Hauptprotagonisten erzählen aus der Ich-Perspektive vom Grauen, welches sie erleben, ihren Sehnsüchten, Träumen. Wir Leser erleben, wenn Hoffnung in Verzweiflung umschlägt und Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden müssen, von jenen, die eigentlich noch Kinder sind, aber viel zu schnell erwachsen werden müssen. 1933 übernehmen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Die jüdische Bevölkerung wird an den Rand gedrängt.

Auch Josefs Familie sucht einen Ausweg und ergattert Tickets für das Schiff St. Louis nach Kuba. Jahrzehnte später sucht auch Isabels Familie, die in Kuba hungert und politisch bedrängt wird, nach einem Ausweg und schließlich muss 2015 auch Mahmouds Familie den Kriegswirren in Syrien entfliehen. Verbindendes Element sind Sehnsüchte und Hoffnungen, eine böse Ahnung von Gefahr, falls die Flucht schiefgehen sollte. Werden die drei Jugendlichen ihr Ziel erreichen?

Spannend und einfühlsam beschreibt Alan Gratz den Weg der drei, der anhand von gezeichneten Karten im Anhang des Romans nachvollzogen werdne, nicht zuletzt durch eine historische Einordnung des Autoren im Nachwort. Der Lesende wird mitfiebern, mitleiden.

Unerträglich die Spannung, nur ganz karg blitzen sie auf, die kleinen Momente des Glücks, das Hervorscheinen einer viel zu schnell beendeten Kindheit, nur damit das Schicksal im nächsten Moment wieder mit aller Härte zurückschlagen kann. Ja, so könnte die Geschichte von drei Kindern tatsächlich verlaufen sein. Nachvollziehbar ehrlich geht Gratz mit der Zielgruppe um, wenn auch ein paar Momente ganz klar over the top sind und nicht so recht passen mögen.

Das schmälert die Lektüre nicht und so ist dieses Werk auf einer Linie mit z.B. „Damals war es Friedrich“, von Hans Peter Richter zu nennen, wenn auch Gratz gleich mehrere Zeitebenen zu fassen bekommt. Der kontinuierliche Spannungsbogen aller drei Geschichten lässt bis zum Ende nicht locker, wird unscheinbar miteinander verwoben. Die Auflösung selbst vermag zu überraschen, wirkt wie ein Schrei und schüttelt die Leser förmlich.

Wir haben es in der Hand, nicht mehr zu zu lassen, dass sich solche Geschichte wiederholt. Alleine, uns gelingt dies nicht, wie die jüngste der drei Zeitebenen zeigt.

Wie ist das, die Heimat, die gewohnte Umgebung, Spielkameraden, eine Perspektive aufzugeben und dann ständig auf der Hut zu sein? Immer die Gefahr vor Augen, beim nächsten falschen Wort, mit der nächsten falschen Bewegung umzukommen? Beieindruckend in der Lektüre, nachhallend wie kaum anderes.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Alan Gratz wurde 1972 in Knoxville, Tennessee, und ist ein amerikanischer Schriftsteller. Er studierte Kreatives Schreiben und veröffentlichte 2006 sein erstes Jugendbuch. Weitere folgten. 2017 gewann er den National Jewish Book Award. Der Autor lebt in Asheville, North Carolina.

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Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht

Was nicht mehr im Duden steht Book Cover
Was nicht mehr im Duden steht Peter Graf Duden Verlag Erschienen am. 12.08.2020 (neu) Seiten: 240 ISBN: 978-3-411-70405-7

Inhalt:

Immer wenn ein neuer Rechtschreibduden erscheint, fragen die Journalistinnen und Journalisten zunächst nach den Wörtern, die erstmals Einzug in DAS Wörterbuch der Deutschen gehalten haben. Anhand dieser Wörter lässt sich Zeitgeschichte erzählen. Das gilt aber auch für die Wörter, die gestrichen wurden.

Was sagen sie uns über die Zeit, in der sie im Duden standen, und was über die, in der sie gestrichen wurden? In dieser aktualisierten Ausgabe stehen in 21 Essays samt Anhängen nun also Wörter im Mittelpunkt, die einmal wichtig waren und die uns sozial-, kultur- und sprachgeschichtliche Einblicke in die letzten gut 100 Jahre gewähren. (Klappentext)

Rezension:

Es gleicht einer Sisyphusarbeit, die sich die Redaktion des Wörterbuchs der Deutschen stellt, schließlich ist unsere Sprache im ständigen Wandel begriffen. Neue Wörter werden aufgenommen, andere fallen raus und so kann der Verlag heute aus einem sog. „Dudenkorpus“ von über 5,6 Milliarden Wortformen schöpfen, von denen 148.000 Stück in der aktuellen 28. Auflage des Dudens zu finden sind.

Doch, wer wählt aus, was nicht mehr im wohl gebräuchlichsten aller Nachschlagewerke zu verzeichnen ist und wie schaffen es Wörter in den Duden hinein? Spannend ist sie, die Reise durch unsere Sprachgeschichte, seit 1880 Konrad Duden das erste „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ vorstellte. Der Autor Peter Graf nimmt die Leser mit auf eine Reise zu Wörtern, die es nicht mehr gibt.

Thematisch geordnet ist sie, diese Sprachreise, die mal amüsant, mal sehr bedrückend scheint. So vielfältig sind auch die Gründe, warum Wörter neu in unserem Alltag integriert werden, dann wieder sang- und klanglos verschwinden.

LeserInnen finden heraus, um welche Wörter uns Medizin und Naturwissenschaften einst bereicherten, welche Begriffe in Technik und Handwerk gebräuchlich waren, was der Kolonialismus und der Nationalsozialismus mit unserer Sprache und letztendlich mit dem heute gelben Nachschlagewerk machten.

Präsentiert wird eine Auswahl, wie auch der Rechtschreibduden als erster Band der vom Verlag ständig aktualisierten Reihe, nur eine Auswahl der gebräuchlichsten Wörter unserer Zeit darstellt. Nur führt uns diese Reise in die Vergangenheit.

Wer weiß schon, was einst Automatenrestaurants gewesen sind, wo sie doch von großen Fastfoodketten erst von der Straße, schließlich aus dem Wörterbuch verdrängt wurden? Wen schimpfte man einst einen deutschen Knollmichel und wann ersetzten die Begriffe Nichte und Neffe entgültig das veraltete Wort Schwesterkind?

So spannend und teilweise witzig ist kein Deutschunterricht, wenn man auch hier mit einigen Längen kämpfen muss. Immerhin kann man sich hier in handlichen Kapiteln zu den Themen Wörter anlesen, die einem interessieren. Wie viele Anglizismen gibt es in unserer Sprache wirklich und wie viele kommen tatsächlich davon zur Anwendung?

Welchen Unterschied machten die Auflagen in Ost und West vor der Wiedervereinigung? Und geht Liebe nicht nur durch den Magen, sondern auch durch den Wortschatz? Sehr sachlich, immer wieder unterhaltsam beschreibt der Autor, was im Duden beschrieben wird, und warum.

Beeindruckend die Schilderungen, wie die Duden-Redaktion nicht nur bei der Auswahl der Wörter des Jahres eine Auswahl treffen muss, sondern auch bei jeder neuen Auflage dieses sehr komplexen Werkes und weshalb unsere Sprache immer noch sehr lebendig ist.

Ein interessanter Streifzug durch die Geschichte von Konrad Duden über den Versuch, ein Wörterbuch zu erstellen, welches dem Wortschatz Goethes gerecht wird, bis hinein in unsere Zeit. Viel Spaß dabei.

Autor:

Peter Graf leitet die Verlagsagentur Walde und Graf und ist einer der Gründer des Verlags „Das kulturelle Gedächtnis“.

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Bücher gegen das Vergessen #05

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Der Untergang der Titanic 1912 – Eine Auswahl an Literatur.

Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Technik war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ungebrochen, doch erlitt er schon am Beginn des zweiten Jahrzehnts desselben einen herben Dämpfer. Der Untergang der Titanic 1912, das damals größte und luxuriöseste Passagierschiff der Welt, forderte über 1500 Menschenleben und erschütterte die Gemüter zu beiden Seiten des Ozeans.

Wer versucht, den Bann des Ereignisses der Nacht des 14. Aprils zu begreifen, die damalige Faszination für dieses Flaggschiff der Reederei White Star Line zu erfassen, landet heute bei einigen Filmen und einer ganzen Reihe literarischer Werke, die sich damit beschäftigen. Zeit, sich einiges näher davon anzusehen.

Grundlage dessen, was wir über die Geschehnisse an Bord des Schiffes wissen, bildet eine Sammlung von Augenzeugenberichten, die erstmalig 1955 erschien. Der Sachbuchautor Walter Lord konnte noch über sechzig Zeugen der Katastrophe, Überlebende, befragen und kurz vor seinem Tode James Camerons Team für die Dreharbeiten zu ihrem Film beraten.

Walter Lord „Die letzte Nacht der Titanic – Augenzeugen erzählen“
Seiten: 272, erschienen bei S.Fischer, ISBN: 978-3-596-19269-4
Übersetzer: Erwin Duncker

Zwar reichten seine Kenntnisse als das Buch erschien, nicht an dem heran, was wir heute über den Untergang wissen, doch alleine die Versammlung der Berichte überlebender Passagiere ist historisch wertvoll und nicht zu unterschlagen.

Natürlich hatte kein Passagier mit einer solchen Katastrophe gerechnet. Wer tut das schon, wenn man solch eine Überfahrt bucht? Vielleicht ohne Wiederkehr als Einwanderer mit dem Ziel, in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen oder, als Passagier der ersten Klasse, einfach die Annehmlichkeiten, den Luxus der Art einer solchen Reise zu genießen? Getrost der Kategorien heutiger Kreuzfahrtschiffe, kann man ja auch die Titanic als eine Art „schwimmende Stadt“ bezeichnen.

Begeben wir uns also in die Rolle eines Reisenden an Bord der Titanic. Der ehemalige Marineoffizier und Nautiker John Blake hat eine fiktive Handreichung für Passagiere verfasst.

Wir begrüßen Sie auf der Titanic zur Jungfernfahrt nach New York.

Damit Sie sich zurechtfinden, hier ist Ihr Bordbuch. Dort finden Sie alles, was Sie über unser Schiff wissen, Informationen zum Aufenthalt und zur Orientierung in allen Klassen, die Anordnung der Decks und Unterkünfte, und, und, und,… Wir hoffen, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt.

John Blake „Das Titanic-Bordbuch – Eine Handreichung für Passagiere“
Seiten: 128, erschienen bei Delius Klasing, ISBN: 978-3-667-11079-4
Übersetzer: Klaus Neumann

Reich bebildert und sehr detailliert bekommen wir so als Passagiere ein erstes Bild von dem, was uns erwartet.

Wie angenehm ist es doch, auf diese Art zu reisen. Wo war jetzt gleich nochmal meine Kabine? Wie gelangt man zu den Rettungsbooten? Wobei, das passiert sowie so nicht.

Natürlich gibt es auch viel romanhaftes über die Schiffskatastrophe zu lesen und auch darüber lohnt es sich, einen Blick zu werfen. Gleichsam eine Vorwegnahme, wenn nicht gar Vorahnung der Ereignisse ist der bereits 1898 erschiene Roman von Morgan Robertson „Titan. Eine Liebesgeschichte auf hoher See.“, in der ein Unglück beschrieben wird, in welchem das Schiff „Titan“ erstaunlichen Parallelen zur später erbauten Titanic aufweist.

Im Fokus steht die Liebesgeschichte der darin vorkommenden Protagonisten, eine Vorhersehung der Ereignisse hat der Autor natürlich später mehrfach in Befragungen verneint, manchmal jedoch sind Zufälle recht sonderbar.

Jüngeren Lesern einen Zugang zu der Katastrophe zu geben, gelingt dem Kinderbuchautoren Stephen Davies, der in seinem Roman „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“ eine Jungen-Freundschaft in den Fokus stellt. Zunächst erleben Jimmy und Omar bei der Erkundung des Schiffes Abenteuer auf ihrer „Entdeckungsreise“, als es zum Untergang kommt, überschlagen sich jedoch die Ereignisse. Werden sie es schaffen, auf einem der Rettungsboote unterzukommen, auf denen es insgesamt nicht einmal annähernd genug Plätze für alle Personen an Bord gibt?

Stephen Davies „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“
Seiten: 127, erschienen bei Aladin, ISBN: 978-3-8489-2103-4
Übersetzerin: Ann Lecker

Das wunderbar illustrierte Werk mit einem angeschlossenen historischem Glossar erzählt es. Eine Rezension davon, gibt es hier zu lesen. Vorweggenommen, der Autor orientiert sich am überlieferten Geschehen, wie zum Beispiel diese, dass bis fast zuletzt eine Gruppe von Musikern zur Beruhigung der Passagiere Instrumente spielte.

Erik Fosnes Hansen „Choral am Ende der Reise“
Seiten: 512, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3-462-05388-3
Übersetzer: Jörg Scherzer

Der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen setzte diesem mit seinem Roman „Choral am Ende der Reise“ ein Denkmal. Die nachgezeichneten Biografien der Musiker sind fiktiv, doch im Bereich der Prosa wird man nicht umhinkommen, sich auch damit zu beschäftigen.

Geschichte zum Anfassen jedoch, gelingt am Leichtesten mit Fundstücken oder, wo nicht verfügbar, Nachbildungen, so genannten Memorabilien. Auch rund um die Titanic gibt es solche, wie z.B. von Memorabilia Pack Company, die damit verschiedene historische Ereignisse lebendig werden lassen. Enthalten sind mehrere Fotopostkarten mit Motiven der Titanic, eine Ticketnachbildung, ein Telegramm, ein Booklet für Passagiere, Plakate, eine Dinner-Karte und vieles mehr, was in die Zeit eintauchen lässt. Für Liebhaber allem Historischem sehr zu empfehlen.

Memorabilia Pack Company „Titanic Replica Pack“
Enthalten sind folgende Nachbildungen, u.a. Ticket, Brief, Telegram, Booklet für Passsagiere, Dinner Karte, Poster, Flyer, Fotos, Postkarten, Zeitungsnachbildung, Poster etc.
Leo stellt den Inhalt einmal vor. Achtung, Englisch. 🙂

Anhand von Biografien lässt sich die Katastrophe nachvollziehen, egal ob das die Geschichte eines einfachen Passagiers ist oder die des Zeitungsjungen Ned Parfett, der am Tag nach der Katastrophe Magazine vor dem Büro der Reederei verkaufte. Augenzeugenberichte, daraus entstandene Romane und Filme sind es, die die Faszination weiterleben und das Ereignis nicht vergessen lassen.

In Anbetracht unserer vollen Weltmeere mit immer mehr und größeren Kreuzfahrtschiffen, die die Titanic um Welten übertreffen, wenn auch die Sicherheitsstandards gestiegen sind, ist das nicht falsch. Heute genügt der Name „Titanic“, um die Illusion absoluter Sicherheit und Unfehlbarkeit zu zerstören.

Cover gehören, wie immer den Verlagen, das erste Video auch. Das zweite einem sehr engagierten kleinen Youtuber, der das Memorablia Pack vorstellt.

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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer

Nach der Flut das Feuer Book Cover
Nach der Flut das Feuer James Baldwin dtv Erschienen: 19.06.2020 (Neuauflage) Seiten: 128 ISBN: 978-3-423-14736-1 Übersetzerin: Miriam Mandelkow

Inhalt:

James Baldwin ist 10 Jahre alt, als er zum ersten Mal Opfer weißer Polizeigewalt wurde. 30 Jahre später, 1963, brach „Nach der Flut das Feuer“ – „The Fire Next Time“ – wie ein Inferno über die amerikanische Gesellschaft herein und wurde sofort zum Bestseller.

Baldwin rief dazu auf, dem rassistischen Albtraum, der die Weißen ebenso plage wie die Schwarzen, gemeinsam ein Ende zu machen. Ein Ruf, der heute wieder sein ganzes provokatives Potenzial entlädt. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Überall wird sie inzwischen wieder geführt, diese Debatte um die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Religion oder Sexualität, nachdem vielerorts geglaubt wurde, dass rassistische Auswüchse der Vergangenheit angehören. Dem ist nicht so. Bilder, rund um den Globus, beweisen es. Gewalt gegen Minderheiten allerorts greift zuweilen um sich und wird immer aggressiver und brutaler offensichtlich.

Doch, auch heute gibt es die jenigen, die sich dem entgegenstellen und auch die Texte von vor Jahrzehnten, die wieder aktuell werden und zur Diskussion stehen. Ganz vorne dabei, James Baldwins Essays und Romane, in denen sich der in New York geborene Schriftsteller für die Gleichheit aller einsetzte und damit zu einem Sprachrohr der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde.

Seine erste Veröffentlichung „The Fire Next Time“, der weitere folgten, besaß innerhalb Amerikas schon damals genug Sprengkraft, um die Massen aufhorchen zu lassen. heute ist dies wieder der Fall.

Was ist eigentlich Rassismus, wo beginnt solcher und welche Auswirkungen hat dies eigentlich, auf die jenigen, die unter ihn leiden, aber auch auf jene, die ihn entfesseln und tragen? Baldwin legt Zeile um Zeile eine komplexe Problematik frei, die man kaum erfassen kann, der auch keine Rezension eines solchen Textes nur annähernd gerecht wird.

Ich glaube, dass die Menschen besser sein können als angenommen, und ich glaube, dass Menschen besser sein können, als sie sind.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

In Baldwins Text wird der Wille, etwas zum Positiven zu bewegen, deutlich. Zeile für Zeile deutet er auf das Negative, macht jedoch auch klar, an das Positive, den Willen des Menschen zur Veränderung zu glauben. In klaren Worten drückt er aus, was damals war, was heute unter anderen Vorzeichen immer noch ist und welche Wurzeln der Rassismus der Weißen in Amerika hat.

Seine eigenen Erinnerung an erlebte Ungerechtigkeit hat er ebenso eingearbeitet, wie die Großen der jüngeren amerikanischen Geschichte, die Baldwin erlebte. Welche Rolle spielt Religion, welche Hautfarbe und warum ist das so? Wie können wir dies überwinden? Baldwin stellt Fragen, die immer neue aufwerfen.

Den Lesenden muss klar werden, dass es einfache Antworten nicht geben kann, nicht geben wird, sondern an diesen Stellschrauben immer wieder gedreht und die Debatte lebendig gehalten werden muss.

Doch solange wir im Westen der Hautfarbe eine solche Bedeutung beimessen, machen wir es der Masse unmöglich, sich nach irgendwelchen anderen Kriterien zusammenzuschließen. Hauptfarbe ist keine menschliche oder persönliche Realität; sie ist eine politische Realität.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

Der Autor appelliert daran, nachzudenken, hinzuschauen, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden und zu hinterfragen. Wie schaffen wir es, eine andere Gesellschaft zu werden, in der Determinanten wie Hautfarbe und Religion keine Rolle spielen, wenn auch aus letzterer vor allem Baldwin seine Kraft zieht, etwas ungewohnt für europäische Lesende. Was kann ein jeder tun?

Fragen, die bis heute brandaktuell bleiben. James Baldwin reiht seine Gedanken wie Perlen einer Kette aneinander und zwingt die Leser sich der rauen Wirklichkeit zu stellen. Zugleich verdeutlicht er, dass Hass nicht die Lösung sein kann, egal von welcher Seite man diese Debatte führt, sondern Liebe und Verständnis für einander.

Baldwin ist voller Wut, jedoch auch voller Zuversicht, beschreibt Geschichtsverläufe und legte frei, was lange verborgen blieb, nach seinem Tod zu lange in Vergessenheit geriet und heute wieder hervorgeholt wird.

Was Weiße über Schwarze nicht wissen, offenbart also genau und unerbittlich ihr Unwissen über sich selbst.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

Fast jede Seite ist gekennzeichnet vom Willen zur Veränderung, nicht nur für die Benachteiligten, Ausgegrenzten, sondern für alle Menschen, vor allem in Amerika, natürlich mit den Blick über den Tellerrand weltweit. Baldwin beschreibt die Schwierigkeiten einer Gesellschaft, von der wir lange geglaubt haben, sie überwunden zu haben.

Jüngste Vorfälle von rassistischer Gewalt diesseits und jenseits des großen Teiches zeigen das Gegenteil. Und so gilt weiterhin ein Zitat Baldwins, nicht Bestandteil dieses Textes, welcher sich lohnt zu lesen:

Wie ich euch nenne, sagt nichts über euch aus oder nur ganz selten; wie ich euch nenne, sagt aber alles über mich.

James Baldwin, 1963, Rede vor Schülern einer amerikanische High School.

Es ist ein beeindruckender Text. Selten war das Gefühl so groß, einem Werk in der Rezension nicht gerecht werden zu können, obwohl ich mir so viele wichtige Stellen markiert habe. Oder, gerade deswegen?

Autor:

James Arthur Baldwin wurde 1924 in Harlem, New York City geboren und war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach seinem Schulabschluss machte sich Baldwin als Essayist und Rezesent einen Namen und setzte sich mit seinen Texten für Gleichberechtigung, unabhängig von Hautfarbe, Sexualität und Religion ein. 1953 veröffentlichte er in Paris seinen ersten Roman. Immer wieder engagierte sich Baldwin zudem in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, schrieb zahlreiche Gedichte und Theaterstücke. Baldwin starb 1987 in Südfrankreich.

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Charlie Mackesy: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Meer

Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Meer Book Cover
Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Meer Charlie Mackesy Ullstein/List Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 128 ISBN: 978-3-4713-60217 Übersetzerin: Susanne Goga-Klinkenberg

Inhalt:

Ein Junge und ein Maulwurf begegnen einander, ein Fuchs und ein Pferd schließen sich den beiden an. Gemeinsam gehen sie gegen die Einsamkeit an, gegen die Traurigkeit und die Angst. Aus den ungleichen Gestalten werden Freunde, die einander bestärken und füreinander da sind. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Was soll man schon sagen, über diese Art Coffee Table Bücher, die selbst nicht viele Worte beinhalten, in denen man dennoch versinkt? Antoine de Saint-Exupery hat es vorgemacht, sein Werk, seine Zeichnungen vom kleinen Prinzen ist inzwischen zu einem Klassiker avanciert. Der Ausspruch: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“, ist als gefügeltes Wort in aller Munde.

https://www.instagram.com/p/CDEtHV6K60U/?igshid=1ub78v1assvjb
Ein paar Eindrücke aus dem Werk.

Dergleichen könnte auch mit diesem vorliegenden Werk von Charlie Mackesy passieren. Ja, es ist ihm sogar zu wünschen. Die Zeichnungen mit dem auf das Wesentliche reduzierenden Pinselstrich tragen das Werk, sowohl im Bildmaterial, Farbgebung als auch in der Schrift. Der Text ist limitiert. Die Wirkung ist ungleich größer.

„Manchmal fürchte ich, ihr merkt, dass ich gewöhnlich bin“, sagte der Junge. „Um geliebt zu werden, musst du nicht außergewöhnlich sein“, sagte der Maulwurf.

Charlie Mackesy: „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“

Die Geschichte ist schnell erzählt. Vier ungleiche Protagonisten mit all ihren Ängsten und Schwächen, Unzulänglichkeiten, begegnen einander. Die verschiedenen Charaktere schließen Freundschaft und gehen einen Weg gemeinsam. Wohin, ist nicht wichtig. Der Weg, die Freundschaft, der Zusammenhalt ist das Ziel. Gemeinsam ist man stärker, doch auch aus Schwächen kann Stärke erwachsen.

„Eine unserer größten Freiheiten liegt darin, wie wir auf Dinge reagieren.“

Charlie Mackesy: „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“

Mackesy lässt sich schnell lesen, doch die Zeichnungen laden ein, der Autor im Vorwort ausdrücklich dazu, zu verweilen, zwischen den Seiten zu springen und sich darin zu verlieren. Dem kommt man gerne nach. Zu schnell lieb gewinnt man den Jungen und seine ungleichen Begleiter. Mit diesen lacht man, seufzt, wird nachdenklich, melancholisch oder glücklich.

Eindrücke sagen hier mehr als Worte. Das Werk muss man in den Händen halten, sich anschauen, um die Wirkung zu verstehen und die Faszination des Rezensenten. Ein Kleinod, was im Bücherregal verbleiben wird, immer wieder zum Hervorholen, um das Positive aus den Zeichnungen, dem Text hervorzuholen und den Tag in einem anderen Licht zu sehen. Und das ist doch auch mal schön, oder?

Autor und Zeichner:

Charlie Mackesy ist Künstler und Illustrator, lebte in Südafrika und Amerika, derzeit in Brixton und zeichnete Cartons für diverse Zeitungen und Zeitschriften, gestaltete Bücher für den Verlag Oxford University Press. In Galerien stellt er seine Werke aus. Die aktuelle Arbeit von Mackesy ist hier zu sehen: https://www.charliemackesy.com/

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Morten Traavik: Liebesgrüße aus Nordkorea

Liebesgrüße aus Nordkorea Book Cover
Liebesgrüße aus Nordkorea Morten Traavik Suhrkamp Erschienen am: 18.05.2020 Seiten: 292 ISBN: 978-3-518-47053-4 Übersetzer: Stefan Pluschkat

Inhalt:

In den letzten zehn Jahren ist Morten Traavik mehr als zwanzig Mal nach Nordkorea gereist, dem abgeschottesten Land der Welt, als offizieller Kulturattache Norwegens. In Zusammenarbeit mit den notorisch verschlossenen Behörden gelangen ihm bahnbrechende Projekte – wie das erste Rockkonzert auf nordkoreanischen Boden – bis zum Herbst 2017, als er alle Beziehungen zum Land kappen musste.

Jetzt erzählt er, was er erlebt hat: Durch die unerwartete Freundschaft mit einem nordkoreanischen Staatsdiener dringt Traavik immer tiefer in die Irrungen und wirrungen dieses Landes ein, bis der regierung seine kontroversen und subversiven Ideen zu weit gehen… (Klappentext)

Rezension:

Man kann sich wahrlich leichtere Herausforderungen suchen, als in einem der undurchsichtigsten Ländern der Welt kulturelle Projekte anstoßen zu wollen, und doch hat der Norweger morten Traavik genau das getan. Damit gewann er einen Einblick in das Funktionieren dieses Staates, wie es wohl kaum jemanden bisher gelungen ist. Nun ist sein erstes Buch, ausgerechnet dazu, in deutscher Übersetzung erschienen. Doch, wer ist Morten Traavik eigentlich genau?

Künstler, Musiker, Regisseur, Kommentator, irgendwie treffen all diese und noch mehr Bezeichnungen auf den Skandinavier zu, der sich in jedem Fall den Verdienst gemacht hat, das abgeschottete Land, sein Regime und die Menschen, die dort leben, verstehen zu wollen. Das ist ihm in gewisser Weise gelungen.

Er erzählt von seiner Arbeit und der Tuchfühlung mit einem unberechenbaren Gegenüber, verliert dabei nicht den Blick für das Wesentliche. Wie setzt man, behutsam, Ideen um, wenn der Partner willkürlich und wechselhaft handelt, wenn dein Kontakt genau so oder noch mehr Angst hat vor den Konsequenzen, und seien diese auch nur rein hypothetisch?

So kann es schon einmal in teils slapstickhaften Situationen ausarten, sich mit einer Disco-Kugel bei einem Propagandaevent fotografieren zu lassen oder einem Ausflug in den Versuch eines Spagat Nordkoreas auf Tauchfühlung mit den sonst verhassten Kapitalismus. Mit detaillierten Kenntnissen stellt Traavik die Geschichte Koreas dar, die letztendlich in der teilung der halbinsel mündete, zeigt die Bedeutung der Kim-Dynastie auf, und das, was das Regime bis heute daraus macht. Sachlich erklärt er das Funktionieren des Unverständlichen.

Auflockert wird die Aneinanderreihung von teils unverdaulichen Eindrücken durch genau so ungewöhnliche Rezepte. Würde man mit einem Hund nach Nordkorea einreisen, wäre dies an sich eine Einführung von Lebensmitteln?

Davon abgesehen bezieht er Stellung zum Fall Otto Warmbier, versucht Lügen, Propaganda und tatsächliches Geschehen so gut, wie möglich auseinander zu halten, erklärt, warum diese Episode der Geschichte so abgelaufen ist, warum dies aus Sicht Nordkoreas kaum anders hätte funktionieren können, zumal mit Blick auf den eigenen Machterhalt.

Nicht dabei, aber an einigen anderen Stellen geht er etwas zu freundlich mit dem totalitären Staat um, worüber zu diskutieren wäre. Dazu müsste man sich jedoch selbst ein ebenso detailliertes Bild machen, wie dies der Autor getan hat.

Komödie ist Tragödie plus Zeit.

Morten Traavik: „Liebesgrüße aus Nordkorea“, Suhrkamp.

Nach diesem Motto berichtet, durchsetzt mit einem Fototeil, von einem Land, welches zwar nicht zu unterschätzen ist, aber in teilen gnadenlos überschätzt wird. Interessant, sein Einblick in die Zusammenarbeit mit den nordkoreanischen Behörden, aber auch den örtlichen Gegebenheiten , zugleich die Linkliste als ergänzende Quellen.

So gehört „Liebesgrüße aus Nordkorea“ zu der wenig vorhandenen kritisch hoffnungsvollen Literatur, die es in diesem Bereich zu finden gibt, kann man lesen, sollte sich jedoch auch ergänzend mit weiterführenden Berichten, etwa Geflohener und anderer Kenner des Landes beschäftigen, um ein abgerundetes Bild zu bekommen. Alleine dieses Sachbuch mit den kurzweiligen episodenhaften und flüssig zu lesenden Abschnitten, tut dies nicht.

Autor:

Morten Traavik wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Reggisseur und Künstler. Er arbeitete in Russland und Schweden an kulturellen projekten und stellte in Zusammenarbeit mit dem nordkoreanischen Regime mehrere Projekte auf die Beine, die kurz vor der vollendung gestoppt wurden. Er engagiert sich gegen Landminen in Angola und Kambodscha und arbeitet über kunst- und Genregrenzen hinweg.

Ergänzungen nach der Rezension:

In seiner Jugend war der Autor Mitglied einer Gruppe von Leuten, die den Austausch mit Nordkorea wollten und wohl auch die Ideologie nicht ganz schlecht fanden, um das einmal so zu formulieren. So ist der Gedanke für die weitere Arbeit des späteren Künstlers entstanden. Nordkorea galt vor den Hungersnöten zum Teil in Skandinavien als durchaus solventer Staat.

Die Projekte später waren aber 2017 schon dem Regime zu heikel, im Blick auf die vewobenenen und sich überschneidenden Kompetenzen der einzelnen Behörden und die politische Tonlage wurde schärfer, so dass man da schon die Arbeit beendete. Wohlgemerkt, Nordkorea mit ihm. Das Buch entstand später.

Zudem, dass er sich zu Warmbier in diesem Werk ausführlich äußert und durchaus die Inszenierungen des Schauprozesses zu deuten weiß, das erzwungene falsche Geständnis, aber auch, welche Fehler der Amerikaner wohl gemacht haben könnte, dürfte den nordkoreanischen Behörden ebenso sauer aufstoßen. Traavik trennt hier ganz gut das Geschehen auf.

Wo ich Zweifel habe, ist, dass er einen doch in manchen Teilen etwas zu sehr optimistischen Blick auf die Sicht der Dinge hat.

Das müsstet ihr aber wirklich selbst lesen.

Sachliteratur, die man vielleicht zuerst gelesen haben sollte:

Rüdiger Frank: Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates

Rüdiger Frank: Unterwegs in Nordkorea – eine Gratwanderung

Morten Traavik: Liebesgrüße aus Nordkorea Weiterlesen »