Hubert C. Kueter: Mein verdorbenes Blut

Inhalt:
Als Horst im Jahr 1936 sechs Jahre alt ist, verstirbt sein deutscher Vater, und er bleibt mit seiner jüdischen Mutter in Breslau. Dort überleben sie die Kriegsjahre. Nach dem Krieg fliehen sie wie viele Deutsche nach Westen. Im Nachkriegsdeutschland erleben sie wieder Antisemitismus. Horst entwickelt einen starken Überlebensinstinkt, der ihm in vielen Situationen hilft, seine Familie und Freunde vor Hunger und Not zu bewahren. Sein Leben wird von seiner angeborenen Faszination für Kochkunst, Musik und Sport geprägt.

Der Roman ist mit Witz und Eleganz geschrieben, macht aber auch die tief sitzende Traurigkeit spürbar, die mit der Geschichte der deutschen Juden verbunden ist. (Klappentext)

Rezension:

Ihre “Fahrkarte nach Amerika” im Gepäck, begeben sich Mutter und Sohn nach Kriegsende, zusammen mit einem russischen Offizier auf die Flucht gen Westen, möchten sie dort ein neues Leben, unbehelligt von Anfeindungen und Ausgrenzung beginnen. Krieg und Holocaust haben sie mehr schlecht als recht überstanden, nicht zuletzt auch durch Horsts Einfallsreichtum und Wagemut. Den werden sie auch im Westen Europas benötigen. Vor allem Horst aber ahnt nicht, wie weit der Schatten der Vergangenheit reichen wird.

Doch selbst bis dahin gibt es viel zu erzählen. Der Autor Hubert C. Kueter taucht tief ein in seine Familiengeschichte und hat damit eine Erzählung geschaffen, die zwischen Biografie, Historienschau und Kriegsroman pendelt, zudem für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen lesenswert ist. Dabei ist dies ein sich sehr rasant lesender Text, in dem der Schreibende viele Ereignisse in enger Taktung aufeinander folgen lässt. Krieg verzeiht nichts, sondern wirbelt die Menschen umher. Das begreift man sehr schnell. Immer wieder jedoch gibt es ruhige Momente, die einem durchatmen und hungrig werden lassen.

Ja, auch das ist “Mein verdorbenes Blut”, welches nicht nur vom Leben in der Schwebe erzählt, sondern auch ein großer kulinarischer Roman, den man nicht mit leeren Magen lesen sollte. Der Autor schon als Kind Liebhaber guten Essens lässt hier die ganze Fülle der schlesischen Küche aufleben. Nebst der im Roman ausgestalteten Protagonisten sind zahlreiche Speisen hier die Hauptfigur, worauf dann auch der Untertitel verweist.

Das macht großen Spaß, wie auch dem Kind und Jugendlichen Horst auf seinen Hamstertouren zu folgen und Zeile für Zeile ihn und anderen Figuren Konturen angedeihen zu lassen. Durchbrochen werden die Erzählungen durch Tagebucheinträge der Mutter, die auf ihre Art versucht, sich und ihren Sohn das Überleben zu ermöglichen, in einer von Wirren und zahlreichen Unsicherheiten geprägten Zeit. Auch ihre Person nimmt sehr schnell Gestalt an, während andere Protagonisten über die Länge des Textes Nebenfiguren bleiben müssen, gleichwohl der Autor um deren Rolle weiß. Die Konzentration indes auf das Wesentliche tut dem Lesen der Erinnerungen gut.

Wichtig sind solche Zeitzeugenberichte gerade heute und lange war es nicht möglich, diesen Text in deutscher Sprache zu lesen. Der Autor Hubert C. Kueter hat seine Lebensgeschichte, die da zwischen den Genres schwankt, bereits 2008 im Englischen veröffentlicht. Erst durch eine Crowdfunding-Kampagne konnten Übersetzung und Druck im Yalden-Verlag realisiert werden. Nicht nur deshalb wünscht man diesem Werk möglichst viele Lesende.

Kueter beschreibt sehr eindrücklich Geschehnisse und kann Orte vor dem inneren Auge entstehen, nicht zuletzt einem das Wasser im Munde laufen lassen, wenn es um Rezepte und der Formulierung von schlesischen und anderen Gerichten geht. Man müsste das Werk geradezu zusammen mit einem Stück Streuselkuchen erwerben können. Das wäre toll. Die Erzählung umfasst die Kindheits- und Jugendjahre des Autoren, wirkt dabei recht kurzweilig, auch da ständig etwas passiert. Ereignislos war die damalige Zeit ja nicht.

Traurigkeit über Verlorenes wechselt mit kindlicher Neugier und jugendlichen (Über-)Mut, der einem den Atem anhalten und im nächsten Moment herzhaft lachen lässt. Der Autor schaut zurück, doch wirkt es insgesamt als stünde man direkt neben ihn in seinen jungen Jahren und erlebe all jene Geschehnisse mit. Nicht nur ausführliche und detaillierte Beschreibungen derer tun ihr übriges dazu. Man kann sich das alles bildlich vorstellen. Gleichzeitig ahnt man nur, wie viel auch Düsteres die Mutter von ihrem Sohn fernhalten konnte. Auch diesen Anstrengungen setzt Kueter hier ein Denkmal, welches berührt.

Dieses Werk ist zum einem Lebensgeschichte und Autobiografie, Erinnerung und Kriegsroman, sowie ein Buch, welches von Jugendlichen wie von Erwachsenen gleichermaßen gelesen werden kann. Bedauerlich ist einzig, dass nicht weiter erzählt wird, wie es dem Autor danach ergangen ist.

Zudem habe ich gerade keinen Streuselkuchen. 

Autor:
Hubert C. Kueter wurde 1930 in Breslau geboren und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika aus. Dort studierte er Germanistik und war von 1965 an bis 1997 als Professor am Colby College in Waterville, Maine, tätig, wo er Deutsch und Literatur unterrichtete. Zudem betrieb er zwischen 1975 bis 2003 ein Restaurant. Nach dem Ruhestand verfasste er seinen Memoiren-Roman, den er 2007 veröffentlichte.

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