Kurzblick: Fall eines Kritikers

In den Fluten der Berichterstattung geht derzeit zurecht eine Diskussion unter, die zunächst hintenan gestellt werden musste. Zu erschütternd sind gerade die Bilder aus dem Westen der Republik, zu erschreckend die Nachrichtenlage, in der es um verlorenes Hab und Gut, zerstörte Existenzen, tote und vermisste Personen geht und einer Großwetterlage, in der mehr denn je die Unfähigkeit eines Kanzlerkandidaten zu Tage tritt. Damit muss und sollte man sich beschäftigen.

Nichts desto trotz ist ein anderer Aufreger aktuell auch erschütternd. Der Kritiker Denis Scheck stellt in mehreren Videos eine Art Anti-Kanon der Literatur vor und empört damit einmal mehr.

Am Anfang stand ein Video zum wohl größten Machwerk der Geschichte. Denis Scheck spricht über „Mein Kampf“, dem Buch, in dem Adolf Hitler seine Gedanken und kruden Theorien formulierte, dem später grausamste Taten folgten, die Millionen von Menschen das Leben kosteten. Das Video selbst wurde inzwischen vom verantwortlichen Fernsehsender offline genommen, doch die anderen Beiträge sind weiterhin zu sehen.

Denis Scheck spricht da z. B. über ein Buch von Christa Wolf, über Johannes R. Becher, Stefan Fitzek und Stefan George. Andere Videos werden sicher folgen, über AutorInnen, deren Werk der Literaturkritiker quasi gottgleich per Blitze vernichtet, die Scheck aus den Händen schießen und mit denen er seines Erachtens Unlesbares eliminiert.

Nun darf Literatur genau so augenzwinkernd ironisch sein, wie auch bösartigen Spott enthalten, auch muss niemand die Bücher eines Thriller-Bestsellerautoren mögen, aber hier passiert dem SWR, nein, Denis Scheck genau das, was noch vor einigen Jahren Booktubern von den etablierten Medien vorgeworfen wurde. Der Kritiker spricht hier nicht vernünftig gegen Bücher, untermauert nicht, sondern bleibt oberflächlich, erhebt sich gottgleich (Keine andere Assoziation lässt der weiße Anzug Schecks zu.) über AutorIn und Werk. Ein Literaturpapst benötigt kein Argument, so die folgerichtige Aussage. Ein Blitz genügt.

Noch nicht im weißen Anzug, auf der Buchmesse Leipzig 2018 fotografiert. (privates Foto)

Was das ZDF mit dem Format „Filmgorillas“ im Bereich Filmkritik gelingt, in dem sich vier Film-Liebhaber kritisch mit cineastischen Werken auseinandersetzen, gelingt dem SWR hier im Bereich Literatur ganz und gar nicht. Dabei gibt es sie noch, Literaturformate im Fernsehen, die sich wohltuend abheben und in denen es um Bücher geht, nicht primär den Kritiker in Szene setzen. So ist in 3sat etwa vier Mal pro Jahr das Format „Buchzeit“ zu sehen, das Schweizer Fernsehen SRF geht monatlich mit seinem Literaturclub auf Sendung, für Deutsche in der Mediathek des Senders abrufbar.

In beiden Formaten stehen die besprochenen Werke im Vordergrund. Es wird verhältnismäßig ruhig miteinander diskutiert, sich ausgetauscht, für oder gegen ein Werk argumentiert. So funktioniert Kritik und so niveauvoll gibt es das bei vielen Booktubern und Bloggern, die mitnichten nur die Cover in die Kamera halten, sondern sich auch mit Sprache und Wirkung, literarischen Stilmitteln und eben all den Dingen auseinandersetzen, die zu guter Literaturkritik gehören. Dabei sind viele kreative Ideen und Formate zu sehen. Inzwischen täte es Sendern wie dem SWR gut, sich das einmal genauer anzuschauen.

Es reicht eben nicht, Werke per Blitz zu eliminieren, zumal die Assoziation zur Bücherverbrennung trotzdem steht, auch wenn sich der Sender inzwischen zumindest für das „Mein Kampf“-Video entschuldigt hat. Simone Barrientos setzte sich mit Schecks Kritik zu Christa Wolfs Werk „Kassandra“ auseinander, bei DeutschlandFunkKultur ist vom „Kritik-Clown“ (nicht Gott) zu lesen, der Literaturkritiker Jörg Magenau findet deutliche Worte, sowie das Magazin Der Spiegel und ich sehe einmal mehr, dass echte Literaturkritik, die sich wirklich argumentativ mit dem Werk auseinandersetzt, inzwischen woanders stattfindet. Beim SWR kann es nur um bloße Aufmerksamkeit gegangen sein. Substantielle Literaturkritik ist das zumindest nicht.

Zu Göttern in Weiß hatte ich bisher jedoch eine andere Assoziation.

Anmerkungen: Links wurden zum Stand des Veröffentlichungszeitpunktes des Textes geprüft. Der Autor übernimmt dafür keine Haftung und betont überdies, dass dieser Beitrag die eigene sehr subjektive Meinung darstellt und nichts anderes.

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1 Kommentar zu „Kurzblick: Fall eines Kritikers“

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