Inhalt:
Ngaba, Osttibet: Als sich ein junger Mönch mitten auf der Hauptstraße mit Kerosin übergießt und anzündet, deutet noch nichts darauf hin, dass dies eine ganze Bewegung auslösen wird. Bald darauf wird die kleine tibetische Stadt in der chinesischen Provinz Sichuan zur Welthauptstadt der Selbstverbrennungen – aus Protest gegen die Unterdrückung durch die chinesische Regierung. (Klappentext)
Rezension:
In der westlichen Welt beinahe unbeobachtet, wird dieser Konflikt an die Oberfläche gespült, wenn das geistliche Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, zu sehen ist, zumal, wenn dieser von Staatsoberhäuptern hofiert und bei hoch offiziellen Anlässen gezeigt wird. Dann bleiben sich empörende, protestierende Kommentare der chinesischen Staatsführung nicht aus und der Staatengemeinschaft wird eine Auseinandersetzung in Erinnerung gerufen, die Ende der 1950er Jahre ihren Anfang nahm.
Die renommierte amerikanische Journalistin Barbara Demick und ehemalige Asienkorrespondentin der Los Angeles Times seziert dieses tragische Stück Geschichte eines Volkes, welche zuletzt eine erschreckende Form des Protests annahm und legt nach intensiver und nicht ganz ungefährlicher Recherche, dieses Portrait der jüngeren Geschichte Tibets vor.
Im Zentrum steht die Geschichte verschiedener Personen, die die Autorin anhand von Archivmaterial und Interviews, ob heimlich in Tibet selbst, bishin nach Indien oder Amerika, über Jahrzehnte verfolgt. Überschneidungen inklusive. Der Fokus wird dabei auf bestimmte Schlüsselmomente gelegt, Auslöser für Handlungen der Menschen dieses Ortes, der zum Dreh- und Angelpunkt eines leidvollen Protests wurde.
Nach allem, was Tapey geschehen war – der Mönch, der seine Selbstverbrennung zwei Jahre zuvor überlebt hatte und nun als verstümmelter Invalide in einem chinesischen Gefängniskrankenhaus dahinvegitierte und gelegentlich zu Propagandazwecken im chinesischen Staatsfernsehen vorgezeigt wurde -, hatte er eine solche Tat nicht mehr erwartet. Wer war so dumm, es noch einmal zu versuchen? Oder – wer hatte solchen Mut?
Barbara Demick „Buddhas vergessene Kinder“, 383 Seiten, ISBN: 978-3-426-28186-4, erschienen bei Droemer.
Mit Sympathie erzählt sie vom Leben der Menschen, ihren Beweggründen, Träumen und Zielen, kleinen Siegen, größeren Niederlagen, ihren Hoffnungen, aber auch von der Macht des chinesischen Staates, politischer Diskriminierung und Unterdrückung, füllt Lücken mit intensiver Eigenrecherche und zeigt anhand eines reichen Quellenverzeichnisses, wie Journalismus zu dieser Thematik auch in China selbst funktioniert, ohne zu einseitig zu berichten.
Die wechselnde Perspektive von Menschen unterschiedlicher Schichten vervollständigt dieses Werk, wobei rote Fäden immer wieder aufgegriffen werden. Das kann verwirrend sein, doch hilft es, eine klare Sicht der Ereignisse zu bewaren und Beweggründe der Menschen, sowohl der Tibeter als auch die politischen Zusammenhänge zu verstehen, die sich teilweise sehr gut von der chinesischen Staatsführung, vor der Weltöffentlichkeit, verstecken lassen.
Barabara Demick wertet nicht selbst, lässt die Personen sprechen, deren Geschichte sie erzählt und hält sich damit wohltuend zurück. Einmal etwas anderes, als man es sonst von jenseits des großen Teiches gewohnt ist und eine gute Ergänzung für all jene, die sich mit der jüngeren Geschichte Tibets beschäftigen möchte.
Dabei sollte man sich jedoch voll und ganz auf die Lektüre konzentrieren und auch kleinere Längen verschmerzen. Die Vielzahl der Lebenswege, denen die Autorin nachspürt, und nicht zuletzt die für westliche Ohren ungewohnt klingenden Namen, erfordern die gesamte Aufmerksamkeit der Leserschaft.
Autorin:
Barbara Demick ist eine amerikanische Journalistin, die zunächst 1993-1997 für den Philadelphia Inquirer arbeitete. Für ihre Reportage über einen Straßenzug in Sarajevo gewann sie mehrere Preise und war im Finale für den Pulitzer. 1996 erschien ihr erstes Buch „Die Rosen von Sarajevo. 2001 wechselte sie zur Los Angeles Times, war dort 2007-2016 Leiterin des pekinger Büros und veröffentlichte 2010 ein Werk über Nordkorea. Mit dem Human Rights Book Award wurde sie für ihre engagierten Bücher ausgezeichnet.
Ich hege ja große Sympathien für Tibet. Kennst du das Buch „Die Macht der Geopolitik“ von Tim Marshall? Da wird erklärt, warum China Tibet besetzt. Ich weiß gar nicht, ob man noch „besetzt“ sagen kann. Ich glaube, inzwischen wurde es zu China gehörig anerkannt.
Ich habe auch überlegt, ob ich das Buch lesen soll. Aber im Moment ist mir nicht nach Lektüre, die einem ans Herz geht.
Lieben Gruß
Petrissa
Hallo Petrissa,
inzwischen ist es ja so, dass selbst der Dalai Lama Tibet als zugehörig zu China anerkennt.
Wenn auch, gezwungenermaßen, da es sich wohl nicht mehr rückgängig machen lässt und die Staatengemeinschaft nicht eingreifen kann oder will, die Tibeter selbst ziemlich alleine dastehen.
Die Bücher von Tim Marshall kenne ich bisher noch nicht, klingen aber sehr interessant.
Ob das ans Herz gehende Lektüre ist, weiß ich nicht. Die Autorin berichtet mit sehr großer Sympathie, aber ausgewogen und journalistisch nüchtern.
Glaube, auch nur so kann man das Thema vielschichtig aufbereiten.
Viele Grüße,
findo
Das wusste ich nicht, dass der Dalai Lama das inzwischen auch so sagt.
Tim Marshall schreibt, dass der wichtigste Fluss Chinas in Tibet seine Quelle hat. China und Indien sind ziemliche Kontrahenten. Würde China nicht Tibet einnehmen, bestünde die Gefahr, dass Indien Tibet besetzt und China das Wasser abdreht.
Das Buch von Tim Marshall ist richtig klasse. Das kann ich nur voll empfehlen. Durch das Buch habe ich plötzlich auch Putins Handeln verstanden.
Wenn das Buch hier vor allem nüchtern geschrieben ist, werde ich es mir mal merken. Vielleicht bekommt es ja die Bücherei rein.
Liebe Grüße
Petrissa
Ich fürchte, der Dalai Lama ist in einer miserablen Position.
Niemand kann sich so richtig gegen China werden (oder möchte es nicht), was soll er also tun?
Er muss das „Beste“ aus dieser Situation machen. Das Buch von Marshall hatte ich auch schon in der Hand.
Wieder so ein Thema, worüber es sich viel zu erfahren lohnt, da hierzulande fast vergessen.