Rezension

Christopher Wilson: Guten Morgen, Genosse Elefant

Guten Morgen, Genosse Elefant Book Cover
Guten Morgen, Genosse Elefant Rezensionsexemplar/Roman Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 266 ISBN: 978-3-452-05076-9

Inhalt:

Die lustige, traurige, spannende, lehrreiche, herzzereißende Geschichte des zwölfjĂ€hrigen Juri, Sohn des Zoodirektors, der ein so liebes Gesicht hat, dass ihm jeder ungefragt seine Geheimnisse erzĂ€hlt. Er gerĂ€t ins RĂ€derwerk der Geschichte, als er ein paar Wochen in Stalins Datscha verbringt und sein Vertrauter und Vorkoster erster Klasse wird. (Klappentext)

Rezension:

Juri ist ein wenig langsamer im Denken als andere Kinder seines Alters, aber ansonsten fehlt ihm nichts. Im Gegenteil, wie eine BlechbĂŒche, zwar ein wenig verbeult, seit ihm einmal fast eine Straßenbahn und ein LKW ĂŒberrollt haben, ist er immer noch da und beobachtet die Menschen um sich herum.

Und die betrachten ihn als kleinen harmlosen Idioten, der zwar alles sieht aber den man alles anvertrauen kann, ohne das es gefÀhrlich wird. Wichtig in diesen Zeiten, wo Terror und Angst das Land regieren.

Schon bald kommt Juri mit dessen Zentrum in BerĂŒhrung, als sein Vater und er vom Geheimdienst abgeholt und in ein Haus am Rande Moskaus gebracht werden, um einen Patienten zu behandeln. Nicht die ĂŒblichen VerdĂ€chtigen, die Zootiere, die sein Vater als VeterinĂ€r sonst immer behandelt, sondern einen anderen großen Elefanten, der so Ă€hnlich aussieht wie der StĂ€hlerne.

Ehe Juri sich versieht, steht er plötzlich im Strudel der Aufmerksamkeit des kranken Mannes, vor dem so viele Angst haben. Den RÀnkespielen um Macht und mögliche Nachfolge kann sich auch der ZwölfjÀhrige nicht entziehen.

Gleichsam „Der Junge auf den Berg“ von John Boyne, nur etwas naiver, erzĂ€hlt der Schriftsteller Christopher Wilson die Geschichte von Macht Angst und wie sie uns vereinnahmen, so wir unter ihren Einfluss stehen, anhand eines kleinen Jungen, der die gesamte Handlung ĂŒber Randfigur bleibt, und zugleich Hauptperson ist.

Randfigur im Sinne der beobachtenden Person, die ihre Umgebung genau wahrnimmt und durch die kindlichen Bemerkungen eher unbewusst das Verhalten der anderen Protagonisten steuert, selbst aber zumindest zu Anfang eher unbeteiligt ist, Hauptperson, da Juri die ErzÀhlposition einnimmt und die Wirkung Stalins auf dessen Umgebung nur um so klarer verdeutlicht werden.

ErzĂ€hltechnisch und sprachlich sehr schön gemacht, ist der zwölfjĂ€hrige Protagonist SympathietrĂ€ger, und, gefĂ€hrlich, auch der rote Diktator in seinen letzten LebenszĂŒgen, wĂ€hrend die anderen Protagonisten klar Gegenpole bilden.

Wenn der Alpha-Wolf schwĂ€chelt, zeigen die Beta ihre ZĂ€hne und so begegnen wir einer reihe von damaligen PolitgrĂ¶ĂŸen, die zwar durch kindliche Spitznamen verklausuliert, aber dennoch zu erraten sind. Genosse Bruhah ist z.B. der Geheimdienstchef und AusfĂŒhrer des stalinschen Terrors Beria, und so geht es nahtlos weiter.

Mit jedem noch dazukommenden Protagonisten verschĂ€rft sich die Lage, erhöht sich die Spannung und das ErzĂ€hltempo, wird der Hauptfigur jedoch klarer, in welcher Gefahrenzone er sich befindet. Der große Knall, er kommt auf leisen, dann immer lauter werdenden Sohlen.

Eine temporeiche ErzĂ€hlung mit kontinuierlichen Spannungsbogen, kindlicher Beobachtungsgabe und einem großen Finale, gebĂŒndelt auf relativ wenigen Seiten. So kompakt und gut erzĂ€hlt, wie man es kaum erwarten wird, und doch steckt hinter den Buchdeckeln ein kleiner großer Roman.

Abstriche gibt es, weil man vielleicht gerne mehr erfahren hÀtte, wie es mit Juri weiterginge, aber das lÀsst sich verschmerzen. Der Autor hat es bewusst vermieden, seine Geschichte totzuschreiben. Auch das gelingt ja nicht jeden. Eine klare Leseempfehlung.

Autor:

Christopher Wilson ist ein britischer Schriftsteller und veröffentlichte zahlreiche Romane und Kurzgeschichten Seine Werke wurden in mehreren Sprachen ĂŒbersetzt und fĂŒr’s Theater adaptiert. Mehrmals wurde er fĂŒr den Booker Prize und den Whitbread Fiction Prize nominiert.

Zuvor studierte er Psychologie unnd lehrte an der Goldsmith UniversitÀt London. Wilson unterrichtet Kreatives Schreiben in GefÀngnissen und lebt in London.

Christopher Wilson: Guten Morgen, Genosse Elefant Weiterlesen »

RĂŒdiger Frank: Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates

Nordkorea - Innenansichten eines totalen Staates Book Cover
Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates RĂŒdiger Frank Pantheon Verlag Seiten: 461 Broschur ISBN: 978-3-570-55293-3

Inhalt:

Nordkorea und seine diktatorischen Machthaber aus der Kim-Familie werden gefĂŒrchtet und verlacht. GefĂŒrchtet, weil das Regime mit Atomkrieg droht und die Bevölkerung im letzten staatssozialistischen System der Erde unterjocht. Verlacht, weil auf westliche Betrachte RĂŒckstĂ€ndigkeit und MassenaufmĂ€rche vor allem kurios wirken. Aber das wird dem Land kaum gerecht.

RĂŒdiger Frank, einer der besten Kenner Nordkoreas, der regelmĂ€ĂŸig dorthin reist, versucht in diesem Buch eine AnnĂ€herung an das abgeschottete Land, aus dem nur wenig verlĂ€ssliche Nachrichten dringen. Aus seiner reichen Erfahrung heraus erklĂ€rt er Geschichte und SelbstverstĂ€ndnis, die Machtstrukturen und die seit einiger Zeit zu beobachtenden Änderungen im Alltag und in den wirtschaftlichen VerhĂ€tlnissen.

Und er wagt einen Ausblick auf die Frage einer möglichen Wiedervereinigung mit SĂŒdkorea. (Klappentext)

Rezension:
Nordkorea ist als kleines Land die große Unbekannte unter den Staaten Asiens. Über kaum ein Land dringt so wenig nach Außen, ĂŒber kaum ein Land gibt es so wenige Informationen und wird so einseitig berichtet, wie dieses auf der koreanischen Halbinsel.

Doch, abseits von Halbwissen und Begrifflichkeiten wie der „Achse des Bösen“, wozu die Vereinigten Staaten das Land zĂ€hlen, „Atomtests“ und „Hungersnöte“, fragt sich der westliche Beobachter, wie es den Land bis heute gelingt, zu existieren, wĂ€hrend andere LĂ€nder mit Ă€hnlichen Staatssystemen zusammenbrachen oder zumindest wirtschaftlich eine 180-Gradwende vollzogen, allen voran Nordkoreas großer Nachbar China.

Wie gelang es dem Regime sich trotz Hungersnöte und technologischen RĂŒckstand zu halten? Wir alle haben die Satellitenbilder im Kopf, die ein dunkles Nordkorea zeigen, umgeben von durch ElektrizitĂ€t hell erleuchteten Nachbarstaaten. Worauf baut der Staat auf? Welche Ideologien stecken dahinter und sind diese wirklich so starr, wie es scheint?

Oder durchlebt der Nachbar SĂŒdkoreas gerade eine Phase des langsamen, aber kontinuierlichen Umbruchs? Wie gestaltet sich die Gesellschaft Nordkoreas ihren Alltag? Gibt es ein Umdenken im Umgang mit den Regime und den Nachbarn?

Weshalb ist die Teilung Koreas und dem zu Folge eine mögliche Wiederveinigung nicht mit der Deutschlands zu vergleichen, auch wenn beide Staaten nach Berlin schauen und die Wiedervereinigung Fernziel fĂŒr beide ist? Und, wo liegen die Fallstricke?

RĂŒdiger Frank, der beide koreanische Staaten vom Äußern und insbesondere vom Inneren her kennt, analysiert Korea und zeichnet das Bild eines Staates, welches mehr interessante Fragen bereithĂ€lt, als dass es Fragen beantwortet.

Zu spannend ist es, zu beobachten, was derzeit in Nordkorea passiert, wenn es sich auch fĂŒr den Beobachter, der jetzt nur die BeitrĂ€ge aus den westlichen Medien kennt, selten so zu erkennen gibt. Man muss schon dorthin reisen und Kontakte in beide koreanische Staaten haben, um analysieren zu können und genau dies tut Frank in diesem Buch.

ZunĂ€chst beschĂ€ftigt sich der Autor mit der Geschichte Koreas, die in die Teilung von Außen heraus fĂŒhrte und folgend mit den ideologischen Überbau, der als erstaunlich wandlungs- und interpretationsfĂ€hig beschrieben wird. Sowohl von der staatlichen Seite als auch von der Bevölkerung selbst. Das politische System wird, soweit möglich, aufgegliedert und die wackelige Wirtschaft analysiert.

Der Autor beschreibt den Wandel Nordkoreas anhand von Reformversuchen des Regimes, zeigt, was funktioniert und was trotz Scheitern, etwa der Remormen 2002, trotzdem zurĂŒckbleibt und eines Tages helfen könnte, zu einem völligen Wandel beizutragen. Mit oder ohne den derzeitigen Machthabern.

RĂŒdiger Frank geht noch einen Schritt weiter und schildert die Rolle der Sonderwirtschaftszonen und die Rolle des derzeitigen Machthabers Kim-Jong-Un im staatlichen System Nordkoreas, sowie, wie Propaganda als Sonderweg zwischen Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion, China und den Erfeind USA funktioniert. Er wagt aber auch zugleich einen Blick in die Glaskugel, bezĂŒglich Varianten einer Wiederveinigung beider koreanischen Staaten.

So gegliedert, ergibt sich ein ausgiebiges und detailliertes Standardwerk ĂŒber die aktuelle Situation Nordkoreas und ein anderes Bild, abseits der ĂŒblichen Medien-Berichte, welches man unbedingt verinnerlichen sollte.

RĂŒdiger Frank zeigt auf, wo das Regime an sich selbst scheitert, aber auch, was funktioniert und welche roten Linien die internationale Staatengemeinschaft ĂŒberdenken sollte, die sich zu sehr auf’s einseitige Handeln verlegt hat und damit alle Chancen der AnnĂ€herung verspielt, wenngleich Nordkorea nicht unschuldig daran ist.

Der Autor gibt einen sehr differenzierten und interessierten Einblick, der auf jeden Fall das Wissen ĂŒber Nordkorea erweitert und dazu anstĂ¶ĂŸt, sich eben nicht mit zweiminĂŒtigen Berichten in der Tagesschau zufrieden zu geben, sondern mehr zu erfahren.

In klarer und verstĂ€ndlicher Sprache zeichnet der Autor dieses Bild, dennoch verlangt das Lesen Konzentration ab, die man halten muss. Es ist kein Werk zum Nebenherlesen, aber so spannend beschrieben, wie Geschichte, Politik und Wirtschaft sonst nicht sein können. DafĂŒr und fĂŒr eine etwas klarerer Sicht auf ein, uns so unbekanntes, Land, lohnt sich die LektĂŒre.

Autor:
RĂŒdiger Frank wurde 1969 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Wirtschafts- und Ostasienwissenschaftler. 1991/92 verbrachte er ein einsemestriges Sprachstudium an der Kim-Il-Sung-UniversitĂ€t im nordkoreanischen Pjörnjang, finanziert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und studierte an der Humboldt-UniversitĂ€t zu Berlin Koreanistik, sowie Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen.

SpĂ€ter lehrte er in New York, wurde 2007 zum Professort fĂŒr „East Asian Economy and Society“ an der UniversitĂ€t Wien ernannt und ist seit 2012 Vorstand des Instituts fĂŒr Ostasienwissenschaften in Wien. In Seoul ist er als außerplanmĂ€ĂŸiger Professor tĂ€tig und besucht beide Staaten regelmĂ€ĂŸig. Er war Mitglied mehrerer EU-Delegationen und des World Economic Forum.

RĂŒdiger Frank: Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates Weiterlesen »

S.E. Miederer: Arme Schlucker – Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen

Arme Schlucker - Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen Book Cover
Arme Schlucker – Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen S.E. Miederer edition fischer Erschienen am: 01.02.2016 Seiten: 95 ISBN: 978-3-86455-841-2

Inhalt:

Die GrĂŒnde, aus denen Menschen Dinge verschlucken, sind so unterschiedlich wie die GegenstĂ€nde selbst. Ob nun der Insassse eines GefĂ€ngnisses, der sich ein paar Tage Krankenhaus erschleichen möchte, oder der Gast einer Party, der aus Versehen das HĂ€ppchen samt ungenießbarer Deko verschluckt – dank medizinischer Errungenschaften können in den meisten FĂ€llen die Fremdkörper komplikationslos wieder entfernt werden.

Prof. Dr. S. E. Miederer erzĂ€hlt erschreckende, witzige, skurrile Geschichten aus seinem Alltag als Gastroenterologe – dokumentiert mit zahlreichen abbildungen. Die hier vorgestellte Sammlung ist zum Teil im Deutschen Museum Bonn zu besichtigen. (Klappentext)

Rezension:
Entscheidend ist, was hinten raus kommt. Wenn etwas raus kommt. Im schlechten Falle bleibt es stecken. Dabei können erstaunlich viele Dinge den menschlichen Verdauungstrakt problemlos passieren, auch wenn sie ĂŒberhaupt nicht zum Verzehr geeignet sind. Manchmal jedoch hilft nur ein kleiner medizinischer Eingriff, um der Lage Herr zu werden.

Prof Dr. Miederer, erfahrener langjĂ€hriger Gastroenterologe erzĂ€hlt, anonymisiert natĂŒrlich, die Geschichten seiner Patienten und der FundstĂŒcke, die er seiner Sammlung im Laufe der Jahre einverleibte. Warum verschluckte ein kleiner Junge etwa eine Batterie, was passiert, wenn die Leidenschaft Leiden schafft und wenn mal Ebbe im Portemonaie ist, kann der Blick -ins- eigene Kind nicht schaden? Vielleicht findet sich ja dort noch die eine oder andere MĂŒnze.

Spoiler

Da fĂ€llt die in meiner Kindheit verschluckte Plastik-Pommesgal nicht mal ins Gewicht. Sie fand den natĂŒrlichen Weg nach draußen. 😉

[Einklappen]

Angehenden Medizinern und all den anderen Interessierten ist dieses kleine BĂŒchlein zu empfehlen, in dem mit viel Humor beschrieben wird, wie die Patienten aus ihrer misslichen Lage befreit wurden, die dann zumeist (nicht immer) im Positiven endete.

AmĂŒsant zu lesen sind die Geschichten und irgendwie ist es auch beruhigend, dass die meisten GegenstĂ€nde problemlos entfernt werden können. Nicht zu unterschĂ€tzen ist dennoch der Struwwelpeter-Effekt, den die LektĂŒre zweifellos haben dĂŒrfte, bei Kindern und Erwachsenen. Die Sammlung der GegenstĂ€nde ist heutzutage in Bonn zu bewundern.

Kurzweilig, lockerer Schreibstil, sehr episodenhaft gliedert sich das Buch. Die Kapitel gliedern sich in die Art des „Verschwindens“ der GegenstĂ€nde mit derer erfolgten Auflistung und dann der jeweiligen Situationsbeschreibung.

Medizinisches Fachchinesisch hat der Autor vermieden, wo er jedoch nicht umhinkommt, entsprechendes Vokabular zu verwenden, wird dieses im Text erklĂ€rt, sowie der jeweilige Eingriff anschaulich beschrieben. Die jeweiligen GegenstĂ€nde sind entsprechend abgebildet. Wer ein wenig schmunzeln möchte, fĂŒr den ist dieses BĂŒchlein zu empfehlen. FĂŒr alle anderen auch. Nur aufpassen sollte man, falls man sich dabei etwas in den Mund steckt. Man könnte es ja verschlucken.

Autor:
Prof Dr. S.E. Miederer wurde 1942 in Berlin geboren, wuchs in bayern auf und studierte an der UniversitĂ€t Erlangen Medizin, wo er promovierte. Er ist Mit-Entdecker des lebenswichtigen Akute-Phase-Eiweißes Haptoglobin und entwickelte 1976 das weltweit erste DesinfektionsgerĂ€t fĂŒr flexible Endoskope. Habilitierte er sich fĂŒr das Fach Innere Medizin und war bis 1987 Leiter der Gastroenterologischen Abteilung, bevor er Direktor der Medizinischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld wurde. Er lebt in Berlin und Bielefeld.

S.E. Miederer: Arme Schlucker – Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen Weiterlesen »

Tim Krohn: Menschliche Regungen 3 – Julia Sommer sĂ€t aus

Julia Sommer sÀt aus Book Cover
Julia Sommer sĂ€t aus Reihe: Menschliche Regungen – 3 Rezensionsexemplar/Roman Galiani Berlin Hardcover Seiten: 474 ISBN: 978-3-86971-171-3

Inhalt:

Die große (GefĂŒhls-)Welt, gespiegelt in der kleinen Welt eines Mehrfamilienhauses in ZĂŒrich. In „Julia Sommer sĂ€t aus“, geht es um Neuaufbau und das Arbeiten an Utopien. Tim Krohns Figuren erleben GefĂŒhle aller Coleur, es wird gesĂ€t, gejĂ€tet, gestutzt und gepflegt: Pflanzen auf Fenstersimsen, Balkonen, im Garten – und Gedanken und LebensentwĂŒrfe in den Köpfen vieler Menschen. (Klappentext)

Reihenfolge der BĂŒcher:

Tim Krohn: Menschliche Regungen 1 – Herr BrechbĂŒhl sucht eine Katze

Tim Krohn: Menschliche Regungen 2 – Erich Wyss ĂŒbt den freien Fall

Tim Krohn: Menschliche Regungen 3 – Julia Sommer sĂ€t aus

[Einklappen]

Rezension:
Manchmal schreiben Autoren die Geschichten ihrer alten Ego, manche einen WĂ€lzer, der alles und doch nichts erzĂ€hlt. Tim krohn widerrum macht etwas ganz anderes. Der Schweizer Autor nimmt die menschlichen GefĂŒhlszustĂ€nde und schmeißt sie in ein Topf und bringt daraus etwas sehr Abwechslungsreiches zu Papier.

So in etwa kann man sich den Entstehungsprozess der Romanserie „GefĂŒhlswelt – Menschliche Regungen“ vorstellen, an denen neben dem Autoren auch seine Leser beteiligt waren. Worum geht es?

Auch im dritten Band verschlĂ€gt es den Leser in die Gemeinschaft eines bunt gemischten ZĂŒricher Mietshauses. Da gibt es den grantigen Alten, der seiner verstorbenen Frau hinterhertrauert und ansonsten mit seinen Launen die ĂŒbrigen Bewohner des Hauses traktiert, die Alleinerziehende mit Kind, der frisch geewordene Rentner, das sĂŒdlĂ€ndische wilde Ehepaar und das ebenso chaotische wie vertrĂ€umte StudentenpĂ€rchen und alle leben sie ihr Leben, und dennoch irgendwie zusammen.

Ganz normale Alltagssituationen wechseln sich ab mit großen und kleinen Katastrophen und wirbeln die Tage der Protagonisten gehörig durcheinander. Das ist anrĂŒhrend, beruhigend, aufwĂŒhlend und manchmal sehr komisch.

Der unaufgeregte ErzĂ€hlstil des Autoren prĂ€gt auch den dritten Band, genau so wie die Ideen und Vorgaben seiner Leser. Diese hatten zuvor, wie auch fĂŒr die VorgĂ€nger, im Rahmen eines Corwdfundings die Kapitel finanziert, und mit jeweils drei Begriffen gefĂŒttert, die der Autor in den jeweiligen Kapiteln unterbringen musste.

Dabei war vorher nicht klar, welche GefĂŒhle sich die Leser als Thematik wĂŒnschen wĂŒrden und so folgte Krohn den vorgegebenen Pfaden. Und das funktioniert erstaunlich gut.

Kritik kommt da zum Tragen, wo einzelne Figuren schwĂ€cheln, wenn man auch das GefĂŒhl hat, dass der Autor die Geschichten der Protagonisten aufzufĂ€chern beginnt.

Der Anfang ist gemacht, doch ahnt man die Gefahr, sollten noch mehr HandlungsstrĂ€nge hinzukommen, sich zu verzetteln und so, wie sich die Geschichte seit Band Eins entwickelt, sieht es eben aus, Man kann sich nur wĂŒnschen, dass Krohn eben nicht das passiert, denn die Idee, die Leser an der Entstehung dieses Projekts und an den Figuren so teilhaben zu lassen, ist genial.

Schade, wenn dies in die BrĂŒche gehen wĂŒrde, aber noch ist es nicht so weit. TatsĂ€chlich freut man sich schon auf weitere Werke im Rahmen dieser Reihe, so man die letzte Seite ZĂŒricher Leben umgeschlagen hat. Eine perfekte SommerlektĂŒre. Und, wer hat’s erfunden? Ein Schweizer.

Bemerkung:

Mittlerweile sieht es so aus, als wĂŒrde die Reihe nicht fortgesetzt werden.

Autor:
Tim Krohn wurde 1965 in WiedenbrĂŒck geboren und lebt in der Schweiz. In Glarus aufgewachsen, studierte er Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft, arbeitet er heute als freier Schriftsteller und Verfasser von Prosatexten, Dramen und Hörspielen. Er ist Mitglied des Verbands der Autorinnen und Autoren der Schweiz und war von 1998 bis 2001 PrĂ€sident der VorgĂ€ngerorganisation des Schweizerischen Schriftstellerverbandes.

1993 erhielt er den UNDA-Radiopreis, den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis 1994, 2007 erhielt er den Preis fĂŒr das beste Schweizer Buch. Weitere Preise folgten. Krohn schrieb die BĂŒhnenvorlage fĂŒr das Einsiedler Welttheater, 2013. Der Auftaktband seines „Menschliche Regungen“-Projektes stand 2017 in den Schweizer Bestsellerlisten.

Tim Krohn: Menschliche Regungen 3 – Julia Sommer sĂ€t aus Weiterlesen »

Nikolaij A. Sokoloff: Der Todesweg des Zaren

Der Todesweg des Zaren Book Cover
Der Todesweg des Zaren Nikolaij A. Sokoloff Meistersprung Literatur Erschienen: 12.01.2017 Taschenbuch Seiten: 177 ISBN: 978-1-4230-0223

Inhalt:

Im Jahr 1917 kam es in Russland zu Demonstrationen, Streiks und Revolten. Nikolaus II. wurde zum RĂŒcktritt gezwungen und stand fortan unter Hausarrest. Der ehemalige Zar und seine Familie wurden in die Verbannung geschickt, wĂ€hrend im Land ein grausamer BĂŒrgerkrieg herrschte.

Im Sommer 1918 verbreiteten sich ĂŒber die Ermordung des Zaren GerĂŒchte. Nikolaj A. Sokoloff war einer der ersten, die die Ermordung des Zaren und seine Familie systematisch untersuchten und die Ergebnisse veröffentlichte. Mit der Zeit gerieten seine Erkenntnisse in Vergessenheit. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Wer kennt sie nicht, die Legenden, die sich um die Familie des letzten Zaren von Russland Nikolaus II. ranken? Angeblich ĂŒberlebende Zarenkinder, die nach Jahren als Erwachsene aufgetaucht sind und einigermaßen plausible Geschichten erzĂ€hlten, GerĂŒchte, wonach bolschewistische Soldaten einer der Zarentöchter halfen, aus der Hölle des Massakers zu entkommen.

Es fehlten ja, als man die Gebeine der Ermordeten fand zunĂ€chst zwei Gebeine (die man erst spĂ€ter ein paar Meter weiter fand) und ĂŒberhaupt, was war eigentlich in der Mordnacht geschehen?

Nikolai A. Sokolofff, russischer Untersuchungsrichter, begab sich bereit 1919, beauftragt damals noch von der gegen die Bolschewiken kĂ€mpfende „Weiße Armee“, auf Spurensuche. Herausgekommen ist ein Untersuchungsbericht, der Grauenvolles enthĂŒllt.

Der Bericht selbst wurde 1925, nach dem Tode Sokoloffs veröffentlicht, und geriet dann fĂŒr lĂ€ngere Zeit in Vergessenheit. Dies ist nun der Nachdruck des Originals, natĂŒrlich ĂŒbersetzt. Immer noch ist es die Hauptquelle fĂŒr Autoren und Historiker, zu ergrĂŒnden, was damals geschah, denn Spurensuche ist schwierig.

Das Ipatjew-Haus, die letzte Unterkunft und schließlich Todesfalle der Familie, existiert nicht mehr und auch sonst ist der Tathergang mangels lebender Zeugen nur schwer nachzuvollziehen. TagebĂŒcher, einige wenige Fotos, ein paar Tonbandaufnahmen von Aussagen der Bewacher der Familie sind alles, was ĂŒbrig geblieben ist, und eben dieses Dokument.

Auffallend ist, wie gewissenhaft Sokoloff selbst in dieser schweren Zeit, wir erinnern uns, 1919 war BĂŒrgerkrieg in Russland, recherchiert hat, Zeugen vernommen und orte besucht hat, die mit den letzten Tagen der Zarenfamilie zusammenhingen.

WĂ€hrend damals jedoch der Bericht von ĂŒĂŒberlebenden Verwandten des Zaren angezweifelt wurde, können wir heute noch einen Punkt Sokoloff zurechnen. Seine PrĂ€zension, die in jeder Zeile zu spĂŒren ist. Nur die Überreste der Familie fand er nĂ€mlich nicht, bei so ziemlich allen anderen Punkten hatte Sokoloff das richtige GespĂŒr.

Da dieser Bericht einer der Hauptgrundlagen um die letzte Zarenfamilie ist, sei es jeden Interessierten empfohlen, dies zu lesen. Man sollte es jedoch nicht ohne Vorkenntnisse tun, wird ansonsten schwierig.

Der Schreibstil ist nĂŒchtern gehalten, es ist halt ein Untersuchungsbericht, jedoch dadurch um so verstĂ€ndlich. Ein Namensverzeichnis wĂ€re gut gewesen, ist aber schon im Original nicht vorhanden, also, folgerichtig, auch nicht im Nachdruck. Trotzdem ein sehr lesenswertes Dokument.

Autor:
Nikolai A. Sokoloff wurde 1882 geboren und lebte bis 1924. Er war ein russischer Richter und Untersuchungsrichter, und sollte im Auftrag der Weißen Armee den Verbleib Nikolaus II. und seiner Familie nach der Oktoberrevolution klĂ€ren. WĂ€hrend des BĂŒrgerkriegs flĂŒchtete er sich vor den Bolschewiken nach Frankreich, wo er kurz darauf starb.

Nikolaij A. Sokoloff: Der Todesweg des Zaren Weiterlesen »

Steve Sem-Sandberg: Die ErwÀhlten

Die ErwÀhlten Book Cover
Die ErwĂ€hlten Steve Sem-Sandberg Klett-Cotta Erschienen am: 26.09.2015 Seiten: 525 ISBN: 978-3-608-93987-3 Übersetzerin: Gisela Kosubek

Inhalt:

An einem Januar-Morgen 1941 wird der elfjÀhrige Adrian Ziegler, Sohn einer Wiener Arbeiterfamilie, seinem Zuhause entrissen und in die Klinik Spiegelgrund gebracht. WÀhrend der Zweite Weltkrieg tobt, sind Adrian und die anderen Kinder in der Erziehungsanstalt schutzlos der Hölle des Nazi-Systems ausgeliefert.

Einzig der Anblick des Bergs vor dem Fenster weckt in ihnen die Hoffnung auf einen Schutzengel, der sie von diesem finstersten aller Orte zu retten vermag. Die Klinik wird so zum Spiegel des Nazi-Terrors – und das Überleben zur absolzuten Ausnahme. (Klappentext)

Rezension:
Die Reihe guter dokumentarischer und aufarbeitender Romane ist dĂŒnn gesĂ€t. Viel zu oft werden einzelne Geschehnisse ĂŒberhöht, gar welche dazu erfunden, als wollen die Autoren die Leser in eine bestimmte Zeitebene einfĂŒhren, bitte jedoch mit WohlfĂŒhlfaktor, und wenn ein wenig Schrecken und Grusel dabei ist, ist dann die kriminalistische Ader des Zielpublikums auch bedient. Hier aber, ist’s anders.

Steve Sem-Sandberg, dessen grĂ¶ĂŸter Teil seiner Werke noch gar nicht aus dem Schwedischen ĂŒbersetzt wurde, hat mit „Die ErwĂ€hlten“ in Werk geschaffen, welches ebenso wie „Die Elenden von Lodz“ aufwĂŒhlen und den Blick weiten vermag.

Im Kern geht es um den Wiener Jungen Adrian Ziegler, dessen Elternhaus nicht ins Zeitbild der Nazis passen will und der deshalb in die fÀnge der neuen Machthaber, genauer gesagt, in der Anstalt Spiegelgrund landet.

Dort sammelt das Regime und seine Getreuen all das, was schwer erziehbar oder als abartig, nicht lebensfÀhig gilt. Wer einmal drin ist, verlÀsst dieses System dann auch nicht so schnell. Und schon gar nicht lebendig.

Der zweite Handlungsstrang bezieht sich auf die Kinderkrankenschwester Anna Katschenke, die beim hochangesehenen Jekelius, Leiter der Anstalt, eine Stelle sucht und antritt und nach und nach vom Wirken der Ärzte dort erfĂ€hrt, das Euthanasie-Programm zur Vernichtung lebensunwerten Lebens willfĂ€hrig mittrĂ€gt und unterstĂŒtzt.

Gleich dazu die erste erzÀhlerische Meisterleistung des Autoren. Die TÀter existierten mit den aufgeschriebenen Namen alle wirklich.

Die Namen Gross, Jekelius oder etwa Katschenka lassen sich nachvollziehen, um die ĂŒberlebenden und toten Opfer zu schĂŒtzen, werden diese jedoch anonymisiert, wobei auch hier leicht herauszufinden ist, dass es sich bei der Geschichte um den Jungen Adrian um niemand anderen als Friedrich Zawrel handelt, dessen Lebensgeschichte und Leiden hier als Grundlage fĂŒr die HandlungsstrĂ€nge dient, die mit zunehmender Seitenzahl immer schneller, immer drĂ€ngender erzĂ€hlt werden.

Dabei unterlĂ€sst der Autor es, den Leser zu schonen, begibt sich in die gefĂŒhlswelt der TĂ€ter und wirft seine Leser dann wieder ins kalte Wasser, wenn beschrieben wird, wie Kinder und Jugendliche mit vermeindlicher oder wirklicher Behinderung vorgefĂŒhrt, misshandelt oder erlöst werden.

Letzteres findet vor allem im Kopf statt, nur Andeutungen gibt es reichlich.

UnterfĂŒttert mit z.B. Vernehmungsprotokollen und einer tragischen Wiederbegegnungsszene, die verbĂŒrgt sind, ist dieser Roman kleinteilig, jedoch immer packend. Man möchte die TĂ€ter am liebsten jetzt noch nach ihrem Tode einer gerechten Strafe zufĂŒhren.

Doch, was ist schon gerecht, in Anbetracht der Behandlung, die diese ihren Opfern haben angedeihen lassen?

Erschreckend, diese KaltschnĂ€uzigkeit und diese WillkĂŒr, die damals das geherrscht haben, ebenso diese Berufung auf Vorgesetzte. „Wir haben doch nur Befehle ausgefĂŒhrt.“

Man möchte brechen, auch im Angesicht der Tatsache, dass sich nicht wenige TÀter in die Gesellschaft wieder eingliedern, ihren Beruf wieder aufnehmen konnten, wÀhrend all ihren Opfern, sofern sie mit den Leben davon kamen, Gerechtigkeit meist versagt blieb. Eine Ungeheuerlichkeit.

Im perspektivischen Wechsel gestaltet, hat Sem-Sandberg ein Meisterwerk des Gedenkens geschaffen, welches unbedingt gelesen gehört. Viel zu selten erfĂ€hrt man etwas ĂŒber das Schicksal der Euthanasie-Kinder, deren bekanntestes Beispiel in Deutschland Ernst Lossa ist, doch mĂŒssen, wie hier am Beispiel Friedrich Zawrels unbedingt noch mehr Kinderschicksale aufgearbeitet werden, um in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu geraten.

Zu groß ist die Gefahr des wiederkehrenden Geschehens. Es hat schließlich auch damals nicht mit ĂŒberdorsierten Tabletten oder Spritzen angefangen, sondern mit geschĂŒrten Hass und Ausgrenzung. Dagegen und gegen die Folgen, nicht zuletzt zur Erinnerung, dieser Roman.

Autor:
Steve Sem-Sandberg wurde 1958 in Oslo geboren und ist ein schwedischer Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer. Schon im jungen Erwachsenenalter verfasste er erste Romane. Er war Redakteur bei der Tageszeitung Svenska Dagbladet und wurde fĂŒr seinen Roman „Die Elenden von Lodz“ mit den schwedischen August-Preis ausgezeichnet. Er ĂŒbersetzt zudem auch andere Autoren ins Schwedische. Er lebt in Stockholm und Wien.

Steve Sem-Sandberg: Die ErwÀhlten Weiterlesen »

Maile Meloy: Bewahren Sie Ruhe

Bewahren Sie Ruhe Book Cover
Bewahren Sie Ruhe Maile Meloy Kein & Aber Verlag Erschienen am: 16.03.2018 Seiten: 431 ISBN: 978-3-0369-5776-0 Übersetzung: Anna-Christin Kramer (u.a.)

Inhalt:

Eigentlich war die Kreuzfahrt eine großartige Idee: WĂ€hrend Liz und Nora mit ihren EhemĂ€nnern entspannen, toben sich die vier Kinder im Kids-Club aus. Doch was bei einem Ausflug an Land passiert, ist der Albtraum so ziemlich jeder Familie.

Wegen eines Moments der Unachtsamkeit der MĂŒtter sind die Kinder plötzlich spurlos verschwunden. WĂ€hrend die Eltern zunĂ€chst sich selbst und dann sich gegenseitig beschuldigen, geht es bei den Kindern ums blanke Überleben. (Klappentext)

Rezension:
Eine Kreuzfahrt, die ist lustig. Eine Kreuzfahrt die ist schön. Oder todlangweilig. Und so beschließen zwei amerikanische PĂ€rchen einen Ausflug vom „Animations- und Bespaßungsalltag eines durchorganisierten Kreuzfahrtschiffes zu machen und so macht sich die bunte Truppe zusammen mit einer argentinischen Familie auf, ins Hinterland von Costa Rica. Was zunĂ€chst als harmlose Tour beginnt, bei der die MĂ€nner sich widerwillig von ihren Frauen mitziehen lassen und die Kinder ihren ganz eigenen Spaß haben, endet in einen außerplanmĂ€ĂŸigen Stopp und schließlich in totales Chaos.

Die Kinder verschwunden, machen sich die Frauen selbst, dann gegenseitig VorwĂŒrfe und zum Schluss stehen alle Beteiligten vor ihren seelischen Scherbenhaufen. Nicht ahnend, dass die Kinder in noch grĂ¶ĂŸerer Gefahr schweben. Alle Beteiligten stoßen nach und nach an ihre psychischen Grenzen.

Wenn man das so erzĂ€hlt, klingt es nach einem großartigen Roman, den man rein von der Aufmachung und den Klappentext auch erwarten dĂŒrfte. HochwĂ€rtig ist die Hardcover-Ausgabe verarbeitet, fast so, als wĂŒrde sie dazu einladen, sie auch wirklich auf einer Kreuzfahrt zu lesen, was man sich drei Mal ĂŒberlegen sollte.

Doch, was langsam beginnt und dann immer mher Fahrt aufnimmt, verpufft eben so schnell wie die Dampfwolke aus den Schornsteinen eines altertĂŒmlichen Kreuzfahrtdampfers, obwohl die Beschreibung des Schiffes eher auf einen AIDA-gleichen Riesen abzielt. Die HandlungsstrĂ€nge, deren Spannungsbögen sehr ungleichmĂ€ĂŸig verteilt sind, ziehen den Leser immer wieder aber nicht kontinuierlich in ihren Bann und ob der Charaktere wird man am Ende ebenso ratlos zurĂŒckbleiben.

Kein Protagonist ist wirklich sympathisch bzw. wenigstens die Kinder kann man liebgewinnen, trotz ihrer beschriebenen Macken, aber ansonsten ist auf vielen Seiten einfach Ebbe. Keine Figur, mit der man sich wirklich identifizieren möchte oder kann.

Meloy schafft es jedoch allerdings, das ist hier ein großer Pluspunkt, die Eigenheit klischeehafter US-Amerikaner auf’s Korn zu nehmen, den Glauben, das GlĂŒck fĂŒr sich gepachtet zu haben und schmerzvoll geografie und Gesellschaftskenntnisse durch Katastrophen zu erlernen. Anders funktioniert es ja bei denen nicht, mag mancher Leser der Autorin stillschweigend zustimmen.

Das ist aber viel zu wenig, fĂŒr einen Roman, der durchaus hĂ€tte spannend werden können, stattdessen an Cliffhangern spart und irgndwo zwischen Roman und Krimi pendelt.

Alles in allem schade, weil man hier eine autorin liest, die sicher gut erzĂ€hlen und schreiben kann, aber gefĂŒhlt ihr Potential nicht ausnutzt. So bleibt es bei einer mittelmĂ€ĂŸg erzĂ€hlten Geschichte, die man lesen kann, aber nicht muss.

Autorin:
Maile Meloy wurde 1972 geboren und ist eine amerikanische Schriftstellerin von Kurzgeschichten und Romanen. Sie studierte in Harvard und an der University of California at Irvine Kreatives Schreiben und arbeitete in der Animationsabteilung von Disney.

2002 erschien ihre erste sammlung von Kurzgeschichten, soöter folgte ihr RomandebĂŒt, welches sofort zu einem Bestseller fĂŒhrte. FĂŒr ihre Kurzgeschichten wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Maile Meloy: Bewahren Sie Ruhe Weiterlesen »

Sahm Venter: Nelson Mandela – Briefe aus dem GefĂ€ngnis

Briefe aus dem GefÀngnis Book Cover
Briefe aus dem GefÀngnis Sam Venter (Hrsg.) Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H. Beck Verlag Hardcover Seiten: 752 ISBN: 9078-3-406-71834-2

Inhalt:

Auf den Höhepunkt einer brutalen Kampagne des Apartheid-Regimes in SĂŒdafrika wurde der Anwalt und Aktivist Nelson Mandela verhaftet. FĂŒr seine politischen AktivitĂ€ten um den African National Congress ANC musste er die Jahre 1964-1990 in Haft verbringen.

Der spĂ€tere PrĂ€sident des Landes schrieb in diesen Tagen zahlreiche Briefe an Mitstreiter, RegierungsfunktionĂ€re und an seine Familie. Mehr als 250 ausgewĂ€hlte Briefe aus dieser Zeit geben Einblick in die Welt eines Mannes, der sich seine GĂŒte und den Weitblick in schwierigen Zeiten bewahrte und zuletzt als einer der inspirierendsten Menschen des 20. jahrhunderts verehrt wurde. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Haft, Ausgrenzung und Isolation sind in Diktaturen und artverwandten Regime dazu angedacht, die Gegner zu brechen und mundtot zu machen. Wer aus dem Alltags- und politischen Geschehen herausgehalten wird, wer behindert wird, aktiv zu sein, soll vergessen und dessen Betrachtungen und Ideen keine Chance zum Wachstum haben.

Dies hatten die politischen FĂŒhrer SĂŒdafrikas vor, als sie Nelson Rohlilhala Mandela mit Hilfe einer konstruierten Gerichtsverhandlung einsperrten und damit 27 Jahre lang demĂŒtigten und nur so ihre Vorherrschaft der Minderheit sichern konnten.

Doch, die Verantwortlichen hatten nicht mit den Willen, Mut und ungeheuren Glaube an das Gute im Menschen, gedacht, welches Mandela Zeit seines Lebens aufrecht hielt, nicht zu vergessen seinen großen Kreis an Freunden, Verwandten und UnterstĂŒtzern. Ihnen schrieb er bestĂ€ndig Briefe. Ein Großteil wird nun der Öffentlichkeit in dieser Ausgabe zugĂ€nglich gemacht.

Dieses Buch ist keine Biografie und auch keine veröffentlichung, die Nelson Mandela selbst forciert hat, dennoch nenne ich ihn hier zumindest an zweiter Stelle als Autor, da er, zwar unwissentlich, aber dennoch fĂŒr den Inhalt dieses Buches gesorgt hat. Wichtig und an erster Stelle zu erwĂ€hnen, ist jedoch Sahm Venter, die mit Beharrlichkeit und Engagement aus Archiven und Privatsammlungen zusammengetragen hat, was ein Ă€ußerst vielschichtiges Bild ergibt, welches einen der wohl faszinierendsten Menschen der jĂŒngeren sĂŒdafrikanischen Geschichte zeigt.

Detailliert gab Mandela Freunden und Verwandten Einblick in seinen GefĂ€ngnisalltag, frustriert von den Eingriffen der Zensurbeamten und GefĂ€ngnisverantwortlichen, so dass der Anwalt und Aktivist aucvh regelmĂ€ĂŸig an Justizminister und andere staatlich Verantwortliche schrieb.

Teilweise sehr schwer zu lesen, da besonders die ersten Briefe unglaublich frustrierend und zermĂŒrbend zu lesen sind, so wie sich eben Mandela gefĂŒhlt haben muss, wird die Sammlung durch ein umfangreiches Personenregister ergĂ€nzt und unter jeden Brief gibt es ErlĂ€uterungen zu den dort verwendeten Begrifflichkeiten, beschriebenen VerwandtschaftsverhĂ€ltnissen oder Ereignissen.

Dies macht die Sammlung so unglaublich wertvoll und informativ, dass man sie in ErgĂ€nzung zu Mandelas Biografie „Der lange Weg zur Freiheit“ lesen sollte, jedoch unbedingt Vorkenntnisse haben muss, um dies mit Genuss und Gewinn zu lesen.

Charaktereigenschaften, die spĂ€ter die Öffentlichkeit faszinieren und diese sehr besondere Sichtweise Mandelas, die schließlich zum Versöhnungsprozess in SĂŒdafrika fĂŒhren sollten, werden in seinen Briefen deutlich, wozu besonders die Vielfalt und Auswahl der Briefe betragen.

FĂŒr die LektĂŒre sollte man sich Zeit nehmen und nichts parallel lesen, um mit der vollen Konzentration dem rechnung zu tragen, welch schwere Zeit Mandela durchlebt hat. Kartenmaterial und Fotos, eine Kurzbiografie, sowie das berĂŒhrende Vorwort einer Enkelin Mandelas machen hier Geschichte erlebbar, eingebetet im historischen Material der Briefsammlung.

Wer SĂŒdafrika verstehen will, sollte zu diesem gut recherchierten und strukturierten Werk greifen, ahnt hinterher aber auch, warum die Regenbogennation heute ohne ihren Übervater eine wankende Zukunft hat. Unbedingte Empfehlung.

Autor:

Nelson Mandela wurde 1918 geboren, war ein fĂŒhrender sĂŒdafrikanischer Aktivist und Politiker. Im Jahrzehnte andauernden Widerstand gegen die Apartheid praktizierte er als Anwalt, bevor er von 1963-1990 in verschiedenen GefĂ€ngnissen SĂŒdafrikas als politischer HĂ€ftling einsaß.

Ab 1944 engagierte er sich im African National Congress (ANC) und wurde zum Symbol und Vorbild im Freiheitskampf gegen UnterdrĂŒckung und Rassentrennung. 1994 wurde er erster schwarzer PrĂ€sident seines Landes und bekam ein Jahr zuvor den Friedensnobelpreis. Er starb 2013 in Johannesburg.

Herausgeberin:

Sahm Venter ist Senior Researcher bei der Nelson Mandela Foundation.

Sahm Venter: Nelson Mandela – Briefe aus dem GefĂ€ngnis Weiterlesen »

Alexander MĂŒnninghoff: Der Stammhalter

Der Stammhalter Book Cover
Der Stammhalter Alexander MĂŒnninghoff C.H. Beck Erschienen am: 20.07.2018 Seiten: 334 ISBN: 978-3-406-72732-0 Übersetzer: Andreas Ecke

Inhalt:

Der findige Großvater mit seiner Firma, ein lebenshungriger Sohn und ein Enkel, der Stammhalter, der entfĂŒhrt werden muss: Zwischen diesen Generationen entspinnt sich die wahre Geschichte vom Niedergang einer Familie im 20. Jahrhundert, nicht durch den Krieg, der gut fĂŒr die GeschĂ€fte ist, sondern weil jeder fĂŒr den anderen „nur das Beste“ will.

Alexander MĂŒnninghoff hat aus den vielschichtigen Beziehungen einer Familie, aus der versunkenen Welt zwischen Riga und Den Haag, einen zauberhaften, bewegenden Roman geschrieben. (Klappentext)

Rezension:

Die ErzĂ€hlung beginnt mit einem Sprung, hinein in eine lĂ€ngst vergessene Zeit. Eine Zeit, in der Großgrundbesitzer die Geschickte Osteuropas bestimmten und die Ruhe trĂŒgerisch ist. Es sind die Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, in die MĂŒnninghoff eintaucht, um den Auf- und Abstieg seiner Familie zu erzĂ€hlen. Eine Geschichte, die dem deutschen Pendant der Buddenbrooks wĂŒrdig ist, nur eben wahr.

EindrĂŒcklich, minutiös, immer wieder Kindheitserinnerungen und spĂ€ter im Erwachsenenalter Erfahrenes aufgreifend, beschreibt MĂŒnninghoff an exemplarischen Szenen die Ecken und Kanten seiner Familie. Förmlich kann man die einzelnen Protagonisten, die einst tatsĂ€chlich sein Leben prĂ€gten, greifen und begleitet sie auf ihren Weg. Der Spannungsbogen steigt stetig an, fĂŒhrt geradewegs in die unausweichliche Katastrophe.

Alles, was einen Aufstieg hat, hat auch irgendwann einen Abstieg. Eine Regel, die der Autor am Beispiel seiner Familie detailliert zu beschreiben weiß. Er geht kritisch um, mit seinen Verwandten, analysiert als Erwachsener, was er als Kind nur beilĂ€ufig aufnehmen und bemerken konnte.

Aus dieser Perspektive, spĂ€ter die des jungen Erwachsenen, der seinen Vater charakterlich ĂŒber den Kopf wĂ€chst, erzĂ€hlt er, was nicht sein durfte, was war und daraus folgte.

Lebendig beschrieben sind die Figuren, haarscharf die Formulierungen, und doch ist nichts so, wie es scheint. Den Vater, den der junge Alexander MĂŒnninghoff bewundert, steht er spĂ€ter immer kritischer gegenĂŒber. Fassungslos, manchmal jedoch ausnĂŒtzend, betrachtet der Jugendliche dann seine Familie. Nichts ist Schwarz und nichts ist Weiß. Grautöne bestimmen die Bilder, die im Kopf entstehen und lĂ€ngst vergangene Zeiten lebendig werden lassen.

Es mag von dieser Art Familienbiografien UnzĂ€hlige geben, die sich wahrscheinlich auch noch gleichen, und vielleicht wird man, wie so oft, die eine oder andere Parallele zu seiner eigenen Familie entdecken. Wer weiß schon, was man da fĂŒr Leichen im Keller findet? MĂŒnninghoff jedenfalls hat sich auf die Suche begeben. Eine, die es sich zu begleiten lohnt.

Autor:

Alexander MĂŒnninghoff wurde 1944 in Posen geboren und ist ein niederlĂ€ndischer Journalist. Von 1974-2007 arbeitete er fĂŒr die Haagsche Courant und gewann 1983 den NiederlĂ€ndischen Preis fĂŒr Zeitungsjournalismus.

Er veröffentlichte mehrere BĂŒcher ĂŒber das Schachspiel und grĂŒndete 2009 eine Partei, fĂŒr die er jedoch nicht mehr aktiv tĂ€tig ist. FĂŒr seine Familienchronik „De Stamhouder“ wurde er 2015 mit den Libris History Prize ausgezeichnet.

Alexander MĂŒnninghoff: Der Stammhalter Weiterlesen »

Leonie March: Mandelas Traum

Mandelas Traum Book Cover
Mandelas Traum Leonie March Erschienen am: 23.04.2018 Dumont/Mairdumont Seiten: 300 ISBN: 978-3-7701-8289-3

Inhalt:

Was hĂ€lt SĂŒdafrika im Innersten zusammen? Wie nah am Ideal der Regenbogennation des Übervaters nelson Mandela ist das Land heute tatsĂ€chlich? Leonie March begibt sich auf eine große Erkundingsreise: von der Beachfront Durbans ĂŒber die Drakensberge, vom Eastern bis zum Western Cape und durch die pulsierenden Metropolen Johannesburg und Kapstadt. „Mandelas Traum“ ist das PortrĂ€t eines faszinierenden Landens am Scheideweg. (Klappentext)

Rezension:

Wo WidersprĂŒche sich in großer Anzahl sammeln, Kontraste grĂ¶ĂŸer nicht sein könnten, die Hautfarbe oder das Wohnviertel ausschlaggebend ist fĂŒr Erfolg oder Misserfolg, dort ist SĂŒdafrika nicht weit. Das Land am Kap steckt ĂŒber zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer in alten Konflikten fest, neue sind bis heute hinzugekommen.

Doch, warum sind die Menschen dort immer noch voller Hoffnung, verfolgen unbeirrt ihre PlĂ€ne und suchen weiter nach den Weg zur Regenbogennation, die der erste schwarze PrĂ€sident Nelson Mandela sich fĂŒr sein Land ertrĂ€umte? Die freie Journalistin Leonie March begibt sich auf Spurensuche durch ihre Wahlheimat und entdeckt bisher unbekannte Facetten von SĂŒdafrika.

Reiseberichte können nie alle Aspekte und Ansichten innerhalb eines Landes wiedergeben, und so stellt auch dieser nur eine Momentaufnahme der detaillierten Beobachtungen der Autorin dar. Mehr möchte Leonie March auch nicht, muss sie auch nicht, denn alleine ihr Sammelsurium an Geschichten, die sie aufgetragen hat, vermag Faszination zu wecken.

Anhand von zwei Karten auf den Innenseiten des Umschlages und einer klaren Reiseroute hat sie viele Aspekte dieses Landes aufgefangen, die in keinem ReisefĂŒhrer so zu finden sind. Klar, kaum jemand wĂŒrde touristisch wohl in ein aktives Bergwerkgebiet fahren oder sich in die verrufensten Wege der Townships verirren, aber March gelingt es hiermit, mit den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Schichten ins GesprĂ€ch zu kommen.

In jedem Abschnitt wartet sie mit einer neuen Geschichte auf, und zeigt, dass es abseits der Klischees ĂŒber KriminalitĂ€t, den ĂŒblichen touristischen Highlights und korrupten Politikern jede Menge SĂŒdafrikaner gibt, die mit Eigeninitiative Projekte fĂŒhren, die ihnen und ihren Landsleuten eine Perspektive geben sollen.

Nicht immer gleich spannend sind diese Geschichten, doch die Begeisterung der Autorin ist gleichwohl ansteckend. Wenn auch sie selbst sich nicht immer ganz von ihrer rosaroten Brille entfernt. Am Interessantesten wird es, wenn sie kritisch hinterfragt, Überlegungen zur Geschichte oder Zukunft ihrer GesprĂ€chspartner anstellt oder sich bei ihrer Reise einfach treiben lĂ€sst.

Fast beduert man es, dass die Fotos allesamt eher kleinformatig und in Graustufe gehalten sind, und von ihrer Anzahl eher gering. Gerne hĂ€tte man noch mehr bildliche EindrĂŒcke, kann sich aber dank der guten Beobachtungsgabe der Autorin alles wunderbar vorstellen.

Noch ein paar Seiten mehr hĂ€tten „Mandelas Traum“ jedoch gut getan. Die Autorin konzentriert sich, zwar nicht ausschließlich, bei ihren Besuchen vor allem auf abkömmlinge der StĂ€mme und Urvölker SĂŒdafrikas, um den entgegengesetzten Kontrast zu haben, hĂ€tte ich mir noch mehr Einblicke in die Geschichte des Landes gewĂŒnscht, die auch vorkamen.

Diese hĂ€tten mehr ausformuliert werden mĂŒssen. NatĂŒrlich fraglich, in wie weit man das in einer solchen Art Bericht umsetzen kann, aber ein Versuch wĂ€re es wert gewesen. Ansonsten jedoch die faszinierende Momentaufnahme eines großen Landes und seiner Bevölkerung.

Autorin:

Leonie March wurde 1974 geboren und arbeitet als freie Journalistin in SĂŒdafrika und berichtet von dort von diesem und den NachbarlĂ€ndern Simbabwe, Mosambik und Sambia. Sie ist Mitglied eines weltweiten Korrespondenten-Netzwerkes und erarbeitet fĂŒr Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau und verschiedenen Rundfunksendern Reportagen. Sie lebt mit ihrem Partner in Durban.

Leonie March: Mandelas Traum Weiterlesen »