Christopher Wilson: Guten Morgen, Genosse Elefant
Inhalt:
Die lustige, traurige, spannende, lehrreiche, herzzereiĂende Geschichte des zwölfjĂ€hrigen Juri, Sohn des Zoodirektors, der ein so liebes Gesicht hat, dass ihm jeder ungefragt seine Geheimnisse erzĂ€hlt. Er gerĂ€t ins RĂ€derwerk der Geschichte, als er ein paar Wochen in Stalins Datscha verbringt und sein Vertrauter und Vorkoster erster Klasse wird. (Klappentext)
Rezension:
Juri ist ein wenig langsamer im Denken als andere Kinder seines Alters, aber ansonsten fehlt ihm nichts. Im Gegenteil, wie eine BlechbĂŒche, zwar ein wenig verbeult, seit ihm einmal fast eine StraĂenbahn und ein LKW ĂŒberrollt haben, ist er immer noch da und beobachtet die Menschen um sich herum.
Und die betrachten ihn als kleinen harmlosen Idioten, der zwar alles sieht aber den man alles anvertrauen kann, ohne das es gefÀhrlich wird. Wichtig in diesen Zeiten, wo Terror und Angst das Land regieren.
Schon bald kommt Juri mit dessen Zentrum in BerĂŒhrung, als sein Vater und er vom Geheimdienst abgeholt und in ein Haus am Rande Moskaus gebracht werden, um einen Patienten zu behandeln. Nicht die ĂŒblichen VerdĂ€chtigen, die Zootiere, die sein Vater als VeterinĂ€r sonst immer behandelt, sondern einen anderen groĂen Elefanten, der so Ă€hnlich aussieht wie der StĂ€hlerne.
Ehe Juri sich versieht, steht er plötzlich im Strudel der Aufmerksamkeit des kranken Mannes, vor dem so viele Angst haben. Den RÀnkespielen um Macht und mögliche Nachfolge kann sich auch der ZwölfjÀhrige nicht entziehen.
Gleichsam „Der Junge auf den Berg“ von John Boyne, nur etwas naiver, erzĂ€hlt der Schriftsteller Christopher Wilson die Geschichte von Macht Angst und wie sie uns vereinnahmen, so wir unter ihren Einfluss stehen, anhand eines kleinen Jungen, der die gesamte Handlung ĂŒber Randfigur bleibt, und zugleich Hauptperson ist.
Randfigur im Sinne der beobachtenden Person, die ihre Umgebung genau wahrnimmt und durch die kindlichen Bemerkungen eher unbewusst das Verhalten der anderen Protagonisten steuert, selbst aber zumindest zu Anfang eher unbeteiligt ist, Hauptperson, da Juri die ErzÀhlposition einnimmt und die Wirkung Stalins auf dessen Umgebung nur um so klarer verdeutlicht werden.
ErzĂ€hltechnisch und sprachlich sehr schön gemacht, ist der zwölfjĂ€hrige Protagonist SympathietrĂ€ger, und, gefĂ€hrlich, auch der rote Diktator in seinen letzten LebenszĂŒgen, wĂ€hrend die anderen Protagonisten klar Gegenpole bilden.
Wenn der Alpha-Wolf schwĂ€chelt, zeigen die Beta ihre ZĂ€hne und so begegnen wir einer reihe von damaligen PolitgröĂen, die zwar durch kindliche Spitznamen verklausuliert, aber dennoch zu erraten sind. Genosse Bruhah ist z.B. der Geheimdienstchef und AusfĂŒhrer des stalinschen Terrors Beria, und so geht es nahtlos weiter.
Mit jedem noch dazukommenden Protagonisten verschĂ€rft sich die Lage, erhöht sich die Spannung und das ErzĂ€hltempo, wird der Hauptfigur jedoch klarer, in welcher Gefahrenzone er sich befindet. Der groĂe Knall, er kommt auf leisen, dann immer lauter werdenden Sohlen.
Eine temporeiche ErzĂ€hlung mit kontinuierlichen Spannungsbogen, kindlicher Beobachtungsgabe und einem groĂen Finale, gebĂŒndelt auf relativ wenigen Seiten. So kompakt und gut erzĂ€hlt, wie man es kaum erwarten wird, und doch steckt hinter den Buchdeckeln ein kleiner groĂer Roman.
Abstriche gibt es, weil man vielleicht gerne mehr erfahren hÀtte, wie es mit Juri weiterginge, aber das lÀsst sich verschmerzen. Der Autor hat es bewusst vermieden, seine Geschichte totzuschreiben. Auch das gelingt ja nicht jeden. Eine klare Leseempfehlung.
Autor:
Christopher Wilson ist ein britischer Schriftsteller und veröffentlichte zahlreiche Romane und Kurzgeschichten Seine Werke wurden in mehreren Sprachen ĂŒbersetzt und fĂŒr’s Theater adaptiert. Mehrmals wurde er fĂŒr den Booker Prize und den Whitbread Fiction Prize nominiert.
Zuvor studierte er Psychologie unnd lehrte an der Goldsmith UniversitÀt London. Wilson unterrichtet Kreatives Schreiben in GefÀngnissen und lebt in London.
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