Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Inhalt:
Ben Oppenheim balanciert zwischen Ex-Frau, zwei Kindern und seiner Liebe zu Julia. er hat Rückenschmerzen und Geldsorgen, aber was ihn wirklich ängstigt, ist der Krieg in osteuropa. Getrieben vom jüdischen Fluchtinstinkt steigt er eines Morgens kurzerhand in ein Flugzeug nach Brasilien. Mitsamt Ex-Frau und Kindern, aber ohne Julia. Im Krisenmodus läuft Benn zur Hochform auf. Nur der Atomkrieg lässt auf sich warten. Ben dämmert, dass er sich ändern muss, wenn sich etwas ändern soll. (Klappentext)

Rezension:
Eine Geschichte voller Misstrauen gegen sich selbst, eingebettet im kriselnden Weltgeschehen und transgenerationalen Trauma liegt mit Micha Lewinskys Erzählung „Sobald wir angekommen sind“ vor. Der Roman führt uns vom beschaulichen Zürich einmal um den halben Globus und zeigt sehr eingängig, dass auch vermeintliche Kurzschlussreaktionen ihre Hintergründe haben und das deren Folgen gewaltig sein können.

Düster erscheint die Welt dem Protagonisten, der sich von Beginn an von allen Seiten gedrängt sieht. Der berufliche Erfolg bleibt schon länger aus, im Leben seiner Familie hat er keinen sicheren Stand, ebenso schwebend ist die Beziehung zu seiner Geliebten, zu deren Sohn er keinen rechten Zugang finden möchte. Die immer bedrohlicheren Nachrichten aus Osteuropa tun ihr Übriges.

Nur noch weg möchte Ben, der sich als Getriebener sieht, schon qua der Historie seiner jüdischen Vorfahren, deren Schicksal er bereits zu Anfang so sehr verinnerlicht hat, dass nur noch die Flucht nach vorne bleibt. Mit Kindern und Ex-Frau macht Ben sich auf nach Brasilien, wo er mit der Zeit feststellen muss, dass es leicht ist, einem geografischem Ort zu entfliehen, sich selbst und seinen Problemen jedoch fast unmöglich ist zu entkommen.

„Je schlechter es dir geht, desto lustiger bist du.“
„Danke“, sagte Ben. „Ohne deine Hilfe könnte ich das nicht.“

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Der temporeiche Roman, der eine Flucht auf mehreren Ebenen erzählt, behandelt wichtige Themen, ohne dabei die Hauptfigur zu schonen, die mit ihren Umgang nicht gerade nervenschonend seinen Mitmenschen und, das sei hier schon mal festgestellt, mit uns Lesenden umgeht. Transgenerationales Trauma wurde erstmals im Blick auf Überlebende der Shoah und deren Nachfahren beschrieben, nur wandelt sich dieses Getriebenensein im übertragenden Sinne für Ben zu einer selbsterfüllenden Prophezeihung.

Flucht natürlich, sagte Bens Nervensystem. Flucht, Flucht. Flucht.
Renn!, riefen die Ahnen.

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Die Hauptfigur tut sich bis an die Schmerzgrenze selbst leid, auch wenn der gezeichnete Gegenpart, hier die Ex-Frau, sich kaum sympathischer anstellt. Nur schütteln möchte man den gehetzt wirkenden Protagonisten, dessen Familie sich mit und wegen ihm mehrfach am Rande des Abgrundes bewegt. Alle scheinen, so sieht es Ben, nicht die Tragweite der Geschehnisse zu erfassen, machen es mit ihren Anforderungen an ihm nur noch schlimmer. Und er sieht sich folgerichtig mit den Rücken zur Wand.

Abgesehen vom weinerlichen, sich selbst bemitleidenden Hauptprotagonisten kann man auch an kaum einer anderen Figur ein gutes Haar lassen, wobei die Sympathien mit steigender Entfernung zu Ben zunehmen. Lewinsky spielt dabei mit unzähligen Grauschattierungen, die da aufeinanderprallen und mit zahlreichen Kontrasten. Letztere geben schon die Handlungsorte wieder.

Sie hatten sich so an ihre Privilegien gewöhnt, dass sie sich bedroht fühlen mussten, sobald sich etwas veränderte. Sie standen ganz oben in der Nahrungskette, aber stark waren sie dennoch nicht. Eigentlich konnten sie sich kaum noch rühren, so satt lagen sie in ihren bewachten Wohntürmen. Unfähig zu fliegen, unfähig, sich zu wehren. Sie mussten sich verbarrikadieren und bewaffnen. Mit der Kuchengabel in der Hand […]

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Ein Exil soll es sein, so hofft es der Protagonist, doch entpuppt sich das gewählte Ziel als Ferienort, in welchem im übertragenen Sinne all die Herausforderungen der Heimat warten. Diese Irritation im Gegenspiel zum geografischen Raum darzustellen, gelingt dem Autoren, der mit seinem Roman auch Stefan Zweig gedenkt, der seinerseits vor den Nazis ins südamerikanische Exil geflohen war und stellt Ben dem gegenüber.

Ben hatte sich die Südamerikaner immer dunkler vorgestellt. Gut gelaunt. Und im Grunde tanzend. Nun musste er sich eingestehen, dass er sein zukünftiges Zuhause vor allem von Bildern des Karnevals kannte.

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Die Frage, wann der richtige Moment zur Flucht ist, scheint da durch, ebenso, wann es eine unverhältnismäßige Kurzschlossreaktion wäre. Wo da der Protganist zu verorten ist, beantwortet sich schon in den ersten Kapiteln der Erzählung.

Diese ist in sich schlüssig ohne Lücken und mutet zuweilen wie ein Fernsehspiel an. Zwar sind die Handlungen nachvollziehbar, die Zeichnung des Protagonisten geht einem jedoch nicht sonderlich nahe. Gerade, wenn man sich eher rational denkend verortet. Hier ist die Figur auch gegenüber sich selbst im ständigen Widerspruch. Und da kann man wie auch immer geartete Traumta gelten lassen, im Gegensatz zum Jammertal, in dem sich Ben ständig zu befinden scheint. Schauplätze sind indes nachvollziehbar beschrieben.

Ein Roman mit einer fast unsympathischen Hauptfigur muss man mögen zu lesen. Dann aber eröffnet sich eine Erzählung, die auf so vielen Ebenen wirkt. Transgenerationales Trauma, Unsicherheiten in einer sich den Krisenherden ausgesetzten Welt, Flucht- und Schutzinstinkt hat Micha Lewinsky zu einem Dschungel nicht nur für Ben verwoben. Ob dies aber reicht, um den Wald vor lauter Bäumen am Ende des Tages zu sehen?

Autor:
Micha Lewinsky wurde 1972 in Kassel geboren und ist ein Schweizer Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller. Mit seiner Regiarbeit „Herr Goldstein“ wurde er 2005 mit dem Pardino d’Oro ausgezeichnet, für sein Spielfilm-Regiedebüt erhielt er 2008 den Schweizer Filmpreis in der Kategorie Bester Spielfilm. 2022 erschien sein erstes Buch.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind Weiterlesen »

Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt – Ein Szenario

Inhalt:

März 2028: Russische Truppen erobern die estnische Kleinstadt Narwa und die Insel Hiiumaa in der Ostsee. Der Angriff auf das Baltikum hat begonnen. Jetzt rächt sich, dass Europa nach dem Ende des Krieges in der Ukraine nicht aufgerüstet hat und wichtige Fähigkeiten fehlen. Gilt Artikel 5 der NATO? Wie wird sich die Allianz entscheiden? Riskiert sie den atomkrieg?

Wir haben uns daran gewöhnt, dass am Ende alles gut ausgeht. Aber was, wenn nicht? Was, wenn Russland gewinnt? Es ist nur ein hypothetisches Zukunftsszenario, das der renommierte Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala in seinem neuen Buch entwirft – aber es zeigt auf besonders drastische Weise, was heute auf dem Spiel steht. (Klappentext)

Rezension:

Als die Ukraine am Boden liegend einen Waffenstillstand schließen muss, der einer Kapitulation gleichkommt, gibt der russische Präsident Putin überraschend sein Amt ab und lässt eine neue jüngere Generation an die Schalthebel der Macht. Der Neue im Kreml ist im kriegsmüden Westen ein unbeschriebenes Blatt, doch in den Morgenstunden des März 2028 besetzen russische Truppen eine kleine Estland vorgelagerte Insel und eine Kleinstadt mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung, gleichzeitig mehren sich in Europa Sabotageakte.

Doch, was will Russland, welches sich zunächst nicht weiterbewegt wirklich und wie soll man darauf reagieren? Estland und die anderen baltischen Staaten fordern die Auslösung von Art. 5, den Bündnisfall des militärischen Beistandsvertrages. Nicht alle Mitglieder der NATO aber wollen das Risiko eines Krieges, möglicherweise mit Atomwaffen eingehen. Wie viel aber ist dann das Bündnis wert und was wären die Folgen?

Szenarien, Planspiele sind seit jeher Bestandteile militärischen Denkens. Einen Schritt voraus zu sein, sich auf alle Möglichkeiten und Eventualitäten vorzubereiten, um dann im Ernstfall folgerichtig reagieren zu können, ist notwendiger den je geworden. In Cyber-Kriegen werden Trollarmeen ins Feld geführt, um ganze Gesellschaften und Systeme zu destabilisieren.

Mit ihrem Auftreten stellen einige Staaten die gegenwärtige Weltordnung in Frage. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala zeigt an einer dieser Gedankenspiralen, wie viel davon abhängt, wie wir auf etwaige Bedrohungslagen reagieren und wählt einen der nächsten realistischen Ausgangspunkte. Der Angriff auf das Territorium der baltischen Staaten ist so weit weg nicht. Schon heute wird an deren Grenzen massiv aufgerüstet, während auf der anderen Seite der Zäune Russland Militärübungen abhält und sich regelmäßig versucht, in innerpolitsche Belange der Länder einzumischen, die es zu seiner Einflussspähre zählt.

Der Autor zeigt dabei in sehr komprimierter Form die politische Schrittfolge und verdeutlicht die Klaviatur, auf der Russland mit den Ängsten der Europäer zu spielen vermag, aber auch, was es bedeutet, wenn Europa nicht geeint und geschlossen handelt und vor allem, weiter es versäumt, Lücken zu schließen, die entstehen, sollte Amerika sich entgültig aus dem gemeinsamen Militärbündnis verabschieden.

In einzelnen Kapiteln verfolgen wir an unterschiedlichen Schauplätzen, die im zeitlichen Verlauf in dichter Abfolge wechseln. Klare Sätze verdeutlichen die Brisanz der Thematik, ohne die verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen- Am Ende ist klar, es gibt viele Verlierer, einenen scheinbaren Gewinner und einen lachenden Dritten. Und das sind weder Russland, die USA noch Europa.

Ein strategisches Planspiel, in welchem alle Akteure mit den Muskeln spielen, um das Beste für sich herauszuholen ohne das Schlimmste eintreten zu lassen, liegt hier vor und liest sich beinahe wie ein Politthriller. Nur, dass alles tatsächlich so geschehen könnte, wenn wir nicht aufpassen, ist eben das, weshalb es so wichtig ist, solche und andere Szenarien zu durchdenken und entsprechend Lehren daraus zu ziehen. Carlo Masala versucht, hier vereinfacht aber deutlich aufzuzeigen, dass sich die NATO und ihre Partner nicht länger herausreden können, wenn es um das Verteidigen unserer Freiheiten geht, auch wenn es uns nicht immer direkt betrifft.

Man möge dieses Buch sämtlichen beschwichtigenden Politikern um die Ohren hauen.

Autor:

Carlo Masala wurde 1968 geboren und ist Professor für Internationale Politk an der Universität der Bundeswehr in München und Kommentator für deutsche und ausländische Medien. Er gilt als Experte für bewaffnete Konflikte.

Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt – Ein Szenario Weiterlesen »

Emilie Aubry/Frank Tetart: Die Welt der Gegenwart

Inhalt:

Vom Ukrainekrieg über den Nahostkonflikt bis zur Krise in der Sahelzone, von der Grenzfrage und der gesellschaftlichen Spaltung in den USA bis zu Chinas Griff nach der Vorherrschaft im Indopazifik – die Macher der ARTE-Sendung „Mit offenen Karten“ Emilie Aubry und Frank Tetart führen uns in ihrem einzigartigen Atlas überall dorthin, wo im 21. Jahrhundert die entscheidenden Konflikte über Land, Ressourcen und die Zukunft der Demokratie stattfinden. Sie durchstreifen die Kontinente und berichten von den wichtigsten geopolitischen Umwälzungen der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Die Konfliktlinien unserer Zeit sind so vielfältig wie herausfordernd und vor allem allgegenwärtig. Überall auf unserem Planeten sehen sich wir Menschen damit konfrontiert, egal ob eine politisch heraufbeschworene Krise, bereits lang anhaltende Auseinadersetzung zwischen Interessensgruppen dem zu Grunde liegt oder der Klimawandel die Existenz ganzer Staaten in Frage stellt.

Die Macher der Informationssendung „Mit offenen Karten„, die regelmäßig auf Arte sich geopolitischen Fragen widmet, haben mit „Die Welt der Gegenwart“ eine Übersicht des Ist-Standes rund um den Globus geschaffen. Zwei Jahre später liegt dieser nun seit 2024 in der deutschen Übersetzung vor.

Gerade, wenn es um sehr dynamische Geschehnisse geht, wie sie gegenwärtige Konflikte nun einmal bieten, ist dies herausfordernd und problematisch zugleich, zudem wenn aus einer so komplex vernetzten Welt wie der unseren Beispiele zunächst herausgefildert werden müssen. Eines ist nämlich gleich zu Beginn der Lektüre klar, eine vollständige Übersicht ist nicht möglich, doch Emilie Aubry und Frank Tetart kommen mit ihrer Zusammenstellung einer nach, die umfangreichen Informations- und Erkenntniswert bietet.

Schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbart, dass sich die Autoren den herausfordernsten der Konflikte pro Erdteil vorgenommen haben, diese in sehr kompakter Form darzustellen. Nach Kontinenten gegliedert, wird in kompakter Form etwa auf die poltische Änderung an der brasilianischen Staatsspitze eingegangen, ebenso auf deren Auswirkungen im Zusammenhang mit den Abholzungen des dort befindlichen Regenwaldbestandes, das Machtstreben Chinas vor seiner Haustür, welches insbesondere das vorgelagerte Taiwan bedroht, veranschaulicht, ohne die historischen Hintergründe zu vernachlässigen.

Viele der im Buch beschriebenen Konflikte sind nur kurze Zeit auf den Titelseiten der großen Zeitungen und innerhalb der Hauptsendezeiten der Nachrichten zu finden gewesen, schwelen aber weiter, auch wenn das öffentliche Interesse seither abgenommen hat. Die Autoren rufen mit ihrer strukturierten Publikation eben diese wieder in Erinnerung, da die Gegenwart und unserer Umgang mit ihr erheblichen Einfluss darauf hat, was die Zukunft bringen mag.

Dabei werden Aubry und Tetart nicht, informieren nur mit ihrem sehr gut recherchierten Werk, welches zahlreiche geografische Karten beinhaltet, die die einzelnen Konfliktlinien visualisieren, wenn es etwa um die Verteilung von Bodenschätzen geht, Bevölkerungsmehrheiten oder der Sprengkraft des Arabischen Frühlings.

Jedem Abschnitt vorangestellt ist innerhalb der Kapitel die Erläuterung des Konfliktes meist anhand eines beispielgebenden Ortes. So wird etwa sehr kompakt dem Kapitel der politischen Umwälzungen in den USA, vorangestellt, an den 6. Januar 2021 erinnert, als eine Meute angestachelt durch Donald Trump, in der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. das Kapitol stürmte.

Das ist alles, da ausgiebig recherchiert, sehr informativ und verständlich, doch haben an der einen oder anderen Stelle die Ereignisse die Erscheinung der ersten Ausgabe in Frankreich überrollt, so dass aktualisiert werden musste, um dann gleich wieder ins Hintertreffen zu geraten. Der 7. Oktober 2023, als Kämpfer der Hamas nach Israel eindrangen und zahlreiche Menschenleben forderten, ist Bestandteil der vorliegenden Ausgabe. Donald Trump als wiedergewählter Präsident noch nicht. Je nach dem sollte man also zusehen, möglichst die aktuelle Auflage zu erwischen, vorausgesetzt eine Aktualisierung wird fortgeführt.

„Die Welt der Gegenwart – Ein geopolitischer Atlas“, in der Übersetzung von Anna und Wolf Heinrich Leube ist aber auch so die Sammlung erstklassiker journalistischer Informationsvermittlung, die aus der großen Masse an Sensations- und Katastrophenjournalismusartikeln hervorsticht. Ohne das man den Blick auf alle beteiligten Akteure zu verlieren oder einen derer zu vernachlässigen droht.

Alleine um den Blick zu schärfen, lohnt sich die Lektüre, die einem mehr als nachdenklich zurücklassen wird.

Autoren:

Emilie Aubry wurde 1975 in Paris geboren und ist eine französische Journalistin und Moderatorin. Nach ihrem Studium begann sie 2001 beim Fernsehkanal des französischen Parlaments und präsentierte die Fernsehnachrichten. Danach leitete sie mehrere Debatten im Zusammenhang von Vorwahlen. Im Jahr 2007 interviewte sie die französischen Präsidentschaftskandidaten.

Seit 2009 moderierte sie auf Arte das Magazin Global Mag. Weitere Formate folgten, u. a. auch das Literaturmagazin La Cite du Livre. Seit 2017 ist sie Chefredakteurin des Magazins „Mit offenen Karten“, sowie Moderatorin einer Radiosendung auf France Culturel.

Frank Tetart studierte Internationale Beziehungen und promovierte anschließend in Geopolitik. Er war viele Jahre Berater der Sendung „Mit offenen Karten“ und unterichtet an Sekundarschulen, sowie an der Universität Paris 1. Er ist Autor mehrerer Atlanten.

Emilie Aubry/Frank Tetart: Die Welt der Gegenwart Weiterlesen »

Dem Wort auf’s Maul schauen: Die Wortschau

Mit Sprache, mit Worten spielen, kann zugleich erhellend und herausfordernd sein, zudem wenn die Texte kompakt gehalten sind. Um so kürzer die Aneinanderreihung der Worte, um so weniger Spiel hat man, die Lesenden zu überzeugen, für sich einzunehmen, in ihren Bann zu ziehen. Um so schöner, wenn dies gelingt. Seit 2007 versuchen es die verschiedensten Autorinnen und Autoren im von Johanna Hansen und Wolfgang Allinger herausgegebenen Magazin „Wortschau„, aus dem heraus gerade einmal neun Jahre später der gleichnamige Verlag entstand, der nicht nur dort, sondern auch in seinen verschiedenen Kunstbüchern und Büchern unterschiedlichste Kunstformen miteinander verbindet.

Ausgabe „Selbstgespräche“ des Literatur-Magazins Wortschau (Quelle: Wortschau Verlag)

Jedem Magazin, welches von einem Bildenden Künstler oder einer Bildenden Künstlerin illustriert wird, steht ein Motto voran, welches den verschiedenen Autorinnen und Autoren zur Inspiration diente, ihre Gedanken dazu zu verschriftlichen. Die gewählten Formen dann sind so unterschiedlich, wie die Schreibenden selbst. In den Heften finden sich sowohl Kurzgeschichten als auch Gedichte, Texte, die ihrer Formatierung wegen ins Auge stechen, die sich keiner Form zuordnen lassen wollen. Nicht jeder Beitrag findet Zugang zur lesenden Person, doch ist für alle etwas dabei. „Selbstgespräche“ etwa, so heißt die dem Blog vorliegende Ausgabe, können auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden. Katia Tangian erlaubt mit „Datscha-Storys“ einen Blick in die Kindheit. Auf Worte-Suche, Zeichen für Zeichen, geht Ulrike Damm in „Ich will lernen Text zu schreiben“, während Katahrina Kiening in ihrem Gedicht „Momente“ versucht, selbige zu fassen.

Ebenso liegt hier ein Sonderheft. In „Nahaufnahmen„, welches in Zusammenarbeit mit dem Sprengel Museum Hannover entstand, werden die Arbeiten verschiedener Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts herausgestellt, von denen sich zahlreiche Autorinnen zu Texten inspirieren lassen haben. Die Präsenz von Frauen in der zeitgenössischen Kunst, ist stärker denn je, doch existiert immer noch ein Ungleichgewicht. Für die Literatur gilt das nicht minder. Und so verschafft das Heft hier Frauen beider Kunstformen Aufmerksam- und vor allem Sichtbarkeit. Auch hier gilt, zu manchem Text braucht es schon der Formatierung wegen eine Weile, um Zugang zu finden. Nicht immer gelingt dies, aber das ist ja bei Gemälden nicht anders und doch immer wieder interessant, wie unterschiedlich Sichtweisen sein können.

Intensiv mit Lyrik zuletzt zu Schulzeiten in Berührung gekommen und mit Texten, die kleiner sind als das, was man landläufig als Novellenroman ansieht, so seine Schwierigkeiten habend, war dies eine erfrischende, manchmal herausfordernde Leseerfahrung. Es liest sich eben nicht alles so zwischendurch, schon gar nicht hintereinander weg. Okay, manches schon und irgendwie hat es sich mit beiden Heften angefühlt wie ein Besuch in einem noch nicht bekannten Museum. Man hat vielleicht ungefähr so eine Ahnung, was einem erwartet und geht hinterher mit neuen Eindrücken raus. Und das ist doch sehr schön.

Dem Wort auf’s Maul schauen: Die Wortschau Weiterlesen »

Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner

Inhalt:
Der Wolf ist zurück in der Lüneburger Heide. Und während Jannes – wie schon sein Vater und sein Großvater – täglich seine Schafe über die Heideflächen treibt, kochen die Emotionen im Dorf hoch. Kann Heimatschutz Gewalt rechtfertigen? Wo es vordergründig um Wolfspolitik geht, stößt er bald auf Hass, völkische Ideolofie – und auf ein tiefes Schweigen. „Von Norden rollt ein Donner“ ist eine Spurensuche in der westdeutschen Provinz, die Geschichte eines brüchigen „urdeutschen“ Idylls. (Klappentext)

Rezension:

In der Lüneburger Heide hat die Schafszucht und Weidebewirtschaftung Tradition, doch mehren sich die Zeichen einer Veränderung, die einen Riss in der Gesellschaft offenbart. Der Wolf ist zurück in der Region und so fürchten die Hirten um ihr Vieh und damit um ihre Existenz. Der Schriftsteller Markus Thielemann zeichnet in seinem Roman „Von Norden rollt ein Donner“das Psychogramm einer ländlichen Gemeinschaft, die in Angesicht einer kommenden Bedrohung vereinnahmt wird und in der Vergangenes wieder zu Tage tritt.

Schnell ist man in der atmosphärischen Beschreibung der kompakt gehaltenen Erzählung gefangen, die uns schnell Teil des Alltags von Jannes, den Protagonisten, teilhaben lässt, der in einer Linie von Schäfern seine Herde auf die Weiden treibt, während sein Stiefvater mit Sorge die sich nähernden Wolfsrisse mit Stecknadeln auf eine Karte markiert. Ein jeder geht in der Familie mit der für alle neuen Situation anders um. Als wäre dies nicht genug, nehmen Wahnvorstellungen und Vergessen mehr Raum ein, als ein Mensch in der Lage ist, zu ignorieren.

Dabei zeichnet der Autor eine ursprüngliche Landschaft, sowie verwobene Gemeinschaft nach, deren Idyll nicht nur von den Gegebenheiten der Natur bedroht wird. Zahlreiche Anspielungen in die eine, wie andere Richtung durchziehen die Kapitel, so dass sich mehrere Ebenen innerhalb der Handlungsstränge auftun, die jedoch nicht in all ihren Konsequenzen auserzählt werden. Eine mögliche Variante des Erzählens, die man mögen muss, jedoch ein etwas unrundes Ende ergibt.

Dabei spürt der Roman einen Zeitraum von wenigen Monaten nach, in denen ein überschaubares Personentableau agiert, auch einer Gefahr nach, die von einer ganz anderen Ecke kommt. Dies geschieht so feinfühlig, anfangs kaum wahrnehmbar, so dass einem dies beim Lesen fast entgeht, wenn man nicht aufmerksam genug liest. Die Hauptfigur ist dabei fein gezeichnet, mit Ecken und Kanten gezeichnet. Markus Thielemann erzählt über die anderen weniger, gerade jedoch genug, um Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.

Das Gute und Böse ist hier nicht immer klar, vielmehr überwiegen Grauschattierungen die Charakterzeichnungen. Leider jedoch so, dass man überwiegend kaum eine Beziehungseben zu diesen herstellen mag, die die gesamte Lektüre über anhält. Traum und Wirklichkeit, Vorahnung; Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen dabei. Übergänge wirken nicht immer glatt, auch ein paar eingebaute Klischees tragen jetzt nicht unbedingt dem Lesevergnügen bei.

Fast filmisch wirken dagegen Ortsbeschreibungen. Schauplätze sind eine Stärke dieses Romans. Auch die Beschreibung eines im städtischen Leben nicht vorkommenden Handwerks führt der Autor gelungen vor Augen, ob das jedoch ausreichend ist, ist fraglich. Eine Konzentration auf eine der Ebenen oder Handlungsstränge hätte hier gut getan.

Der schleichende Rechtsruck einer Gesellschaft, einmal handelnd in westdeutschen Gefilden, zu lesen, funktioniert aber gut, zudem wer in der Lage ist, bestimte Anspielungen zu entdecken. Immerhin laden diese zum selbstständigen Recherchieren ein. Ansonsten bleibt dies leider ein Heimatroman mit den entsprechenden Schwächen.

Markus Thielemann hat mit „Von Norden rollt ein Donner“ einen interessanten zweiten Roman hingelegt, der an der einen oder anderen Stelle etwas runder hätte sein können, insbesondere im letzten Kapitel. Wer darüber hinweglesen kann, für den eröffnet sich eine vielschichtige Lektüre.

Autor:

Markus Thielemann wurde 1992 in Ludwigsburg geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Geografie und Philosophie in Osnabrück, gefolgt von Kreatives Schreiben am Hildesheimer Literaturinstitut. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 2021. 2024 stand er mit „Von Norden rollt ein Donner“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner Weiterlesen »

Eva-Martina Weyer: Tabakpech

Inhalt:

„Tabakpech“ erzählt eine Familiengeschichte aus den Jahren 1930 bis 1995 im unteren Odertal, wo die Grenzen von Preußen und Pommern, von Hochdeutsch und Platt verwischen. Das Leben der Menschen ist vom Tabakanbau und von Traditionen geprägt.

Tabakpech, der Saft, der beim Ernten aus der Pflanze tritt, klebt schwarz an den Händen, hält die Familien fest auf ihren Höfen, auch wenn dabei mancher Traum zugrunde geht. (Klappentext)

Rezension:

Nur eine Bewegung ist es, die über Glück und Unglück der Menschen im Odertal entscheidet. Das Eintauchen der Arme des Aufkäufers, mit dem dieser die Qualität der Ernte prüft, zwischen die Tabakbunde, entscheidet, ob es ein erfolgreiches Jahr gewesen ist oder alle Mühen umsonst waren.

Die Region ist hart zu den Menschen, doch die Nachfahren hugenottischer Einwanderer haben auch ihr Glück im Tabak gefunden. Und so entspannt sich eine Geschichte vom Wandel der Landwirtschaft über mehrere Familiengenerationen, eindrücklich erzählt von Eva-Martina Weyer.

Der Rhythmus der Jahreszeiten, die Erntefolge bestimmt den Takt, in dem Einwohner des kleinen Ortes denen die Autorin in ihrem kompakt gehaltenen Roman verfolgt, um eine Familiengeschichte von Beständigkeit und Veränderung zu erzählen, wie sie dort auch tatsächlich stattgefunden haben könnte.

Dabei werden der gesellschaftliche und persönliche Wandel innerhalb von wenigen Jahrzehnten thematisiert, sowie die sich verändernde Rolle und Stellung von Frauen, die auf den Feldern so manchen Traum abhanden kommen lassen müssen und dann in entscheidenden Momenten selbstbewusst das Heft in die Hand nehmen. Erzählt wird ein Strukturwandel in vielerlei Hinsicht.

Hauptsächlich aus dem Blick von Elfi betrachten wir das Geschehen, die als Waisenkind von Wilmine aufgenommen, ihren Weg zwischen den Tabakpflanzen gehen wird. Beeindruckend hat die Autorin eine Hauptprotagonistin mit Ecken und Kanten versehen, die handlungstreibend wirken. Einerseits ist da die Träumerin, phantasiebegabt, manchmal unsicher, andererseits jene, die mit zunehmenden Jahren immer selbstbewusster auftreten kann. Auch die anderen Figuren wurden feinfühlig ausgestaltet. Eine Gemeinschaft, in der ein jeder zwischen Hoffnungen und Zwängen und dem Gesspür für Veränderung und Tradition agieren muss.

Das strukturschwache Odertal mit seiner landwirtschaftlichen Prägung, war einst eines der größten Tabakanbaugebiete der Welt. Dieser Schauplatz, viel mehr das Dorf, in dem die Hauptprotagonistin aufwächst, wird anhand sehr detaillierter Beschreibungen greifbar. Auch die Handlungen der Protagonisten, die in all ihren Grauschattierungen gezeichnet werden, werden teilweise plastisch beschrieben. Manchmal sehr hart an der Grenze zum Kitsch, gerade wenn es gefühlig wird. Rentnerhafte ARD-Wohlfühlatmosphäre braucht dennoch niemand zu befürchten.

Werden andere Perspektiven eingenommen, als die der Hauptprotagonistin, kündigt sich eine handlungstreibender Wandel an. Das Erzähltempo bleibt dabei gleichförmig. Eva-Martina Weyer lässt dabei keine unlogischen Wendungen oder gar Lücken zu und bleibt im Gegensatz zu anderen Autor:innen von Familien-Epen bodenständig in ihrer kompakten Erzählung.

Diese bleibt bis zum Ende nachvollziehbar. Nicht nur zwischen den Zeilen merkt man, dass die Autorin die Gegend gut kennt. Man bekommt durchaus Lust, der wahren Geschichte des Tabakanbaus in der Region nachzuspüren, wo man doch in die Handlung hineingezogen wird. Nicht nur für Lesende, die das Odertal und ihre Menschen gut kennen, wird hier ein Kulturerbe verschriftlicht, welches diese über Jahrhunderte prägte.

Der Roman lässt einem die körperlichen Anstrengungen, das Hoffen und Bangen förmlich selbst spüren, wenn auch an mancher Stelle ein schnelleres Erzähltempo vermissen. Der Tupfen auf dem I versinkt dabei leider im Tabakpech. Bis zum Schluss bleibt er lesenswert, eben nicht nur der hervorzuhebenden grafischen Gestaltung wegen.

Tabakmuseum:

Wer dem Tabak nachspüren möchte, kann das tun. In Vierraden, Schwedt/Oder.

Autorin:

Eva-Martina Weyer wurde 1961 in Anklam geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Sie wuchs in Schwedt/Oder auf und studierte Journalismus, arbeitete in diesem Beruf für eine große Regionalzeitung Berlins. Als selbstständige Journalistin recherchierte sie zum Tabakanbau in der Uckermark. „Tabakpech“ ist ihr erster Roman.

Eva-Martina Weyer: Tabakpech Weiterlesen »

Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 3 & 4

Manchmal sucht man zwischen Instagram-Posts und Messe-App Verlagsstände, die eigentlich da sein müssten, findet sie aber nicht. Gefühlt fünf Mal bin ich die vergangenen Messe-Tage am Stand des Unionverlags vorbeigegangen. Ist halt leicht zu übersehen, wenn die Schriftgröße gefühlt 100 ist :lol: , aber der Verlag inzwischen zu einem anderen Verlag gehört. Gott sei Dank einem meiner großen Lieblingsverlage. C. H. Beck, wo mir von beiden das kommende Programm vorgestellt wurde. Ja, ich freue mich.

Ebenso über Wagenbach, bei denen ich auch vorbeischauen konnte, nachdem ich per Zufall eine Veranstaltung zu Sprache und Übersetzung im audiovisuellen Bereich entdeckt hatte. Da ging es um Untertitel und Synchronisation von Texten. Spannend auch einmal diese Thematik zu erleben. Im Anschluss habe ich beim Europa-Verlag ebenso über künftige Titel mich informieren können und über ein Buch zu einem Programm gegen Rassismus, welches ich wohl als solches, unabhängig von der Rezension, vorstellen werde dürfen.

Volle Messehallen am Wochenende. (Quelle: Privatarchiv)

Beim Mitteldeutschen Verlag endete mein Tag ebenfalls mit einem Treffen wirklich lieber Verlagsmenschen, die taz-Veranstaltung zum Gaza-Krieg dagegen konnte ich gar nicht besuchen. Der Stand dieser Zeitung ist aufgrund guter Programmpunkte immer sehr beliebt, nur leider für das Interesse viel zu klein. Da war einfach kein Herankommen möglich.

Am letzten Messe-Tag machen sich immer die Füße bemerkbar, zudem ist der Kopf bereits voll und so hatte ich mir nur wenige Veranstaltungen notiert, keine „Pflicht-Termine“ mehr. Trotzdem waren da noch einige interessante Verlage zu entdecken, einer zum Beispiel mit den Plan ein technisches Verkaufsportal aufzusetzen, nur für unabhängige kleine Verlage als Gegenentwurf zu Amazon. Vielleicht wird ja was daraus. Ich verfolge das mal.

Eva-Maria Weyer und Verlegerin mit ihrem Roman „Tabakpech“ (Quelle: Privatarchiv)

Auf einer nachfolgenden Lesung „Verschleppt, verbannt, verschwunden“ ging es um Jugendliche, verschleppt in Stalins Lagern und im Anschluss bei einer Lesung von „Tabakpech“ von Eva-Martina Meyer zum ehemals größten Tabakanbaugebiet der Welt. Das lag lange Zeit in Europa. Einer Lesung zu „Emigrant des Lebens – Erich Kästners letzte Jahre“ folgte noch „Wenn Russland gewinnt – Ein Szenario“ von Carlo Masala und damit endete schließlich auch meine Leipziger Buchmesse 2025.

Es war wieder einmal eine tolle Zeit mit vielen Begegnungen und Gesprächen und vor allem auch, mit euch. Bis zum nächsten Mal.

Euer findo

Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 3 & 4 Weiterlesen »

Kris/Vincent Bailly: Ein Sack voll Murmeln – Graphic Novel

Inhalt:

Die Memoiren „Ein Sack voll Murmeln“ erschienen 1973, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zweimal verfilmt und sind längst zum literarischen Klassiker geworden. Darin erzählt Josef Joffo (1931-2018) über seine Kindheit in Paris während der deutschen Besatzung, der Flucht seiner jüdischen Familie und seinen unbändigen Willen im Untergrund zu überleben.

Ein Klassiker, adaptiert als packendes und einfühlsames Comic von Kris und Vincent Bailly.

(Klappentext)

Rezension:

Erinnerungen auf eine komplett andere Form zu übertragen, weit weg vom Ursprungsmedium, ist wagemutig. Dennoch gibt es einige positive Beispiele, neben ganz vielen, die unter die Tische fallen dürfen, wo dies gelungen ist. Bei den Kindheitsmemoiren von Josef Joffo ist dies in beiden Richtungen der Fall.

Ist die erste Verfilmung noch beim Autoren durchgefallen, gilt die zweite als gelungen, was nicht zuletzt großartigen Kinder- und Erwachsenendarstellern, einem klugen Drehbuch und einer nicht minder begabten Regie zu verdanken ist. Auch die hier vorliegende, auf die Biografie fußende Graphic Novel darf als positives Beispiel gelten.

Dabei ist es gar nicht so einfach, eine Geschichte in ein anderes Medium zu übersetzen. Was nimmt man auf, verdichtet man, welche Szenen und Dialoge bleiben? Was lässt man, zwangsweise, außer Acht. Platz ist begrenzt, wird in dieser Erzählform durch die Größe der Panels vorbestimmt.

Auch die Wahl der Farbpalette und des Zeichenstils spielen für die Wirkung eine maßgebliche Rolle. Daraus folgt die Frage, ob die Adaption des Erzählstoffes am Ende als gelungen gelten darf. So möchte ich nicht weiter auf die Geschichte selbst eingehen, die bereits rezensiert wurde, sondern auf die Besonderheiten des vorliegenden Werkes.

Paris ist bunt gehalten, wie alle Szenen, die Hoffnung verkörpern. Ein schneller Strich ins Urban Sketching hinein, manches Panel wirkt beinahe wimmelbildhaft. Temporeich gebietet sich die Graphic Novel, die mit hohem Erzähltempo schnell ins Düstere kommt. Erdtöne dominieren da plötzlich. Einige Panels wirken gedrungen, der Hintergund verschwimmt des Öfteren. Das Auge ruht auf den Vordergrund.

Den Betrachtenden stockt der Atem. Gerade zur rechten Zeit kommen die Momente, die einem durchatmen lassen, nur um im nächsten Moment wieder über den Haufen geworfen zu werden.

Dies gelingt in dieser Adaption, die ein Stück Lebensgeschichte einer neuen Zielgruppe zugänglich und begreiflich machen kann, ohne das Original zu verraten. Tatsächlich hat man nicht das Gefühl, dass wichtige Szenen vergessen wurden, gerade wenn man den Ausgangstext kennt. Der Geist des Originals bleibt erhalten und so kann diese Graphic Novel neben Buch und der zweiten Verfilmung bestehen.

Autor/Illustrationen:

Vincent Bailly wurde 1967 in Nancy geboren und ist ein französischer Comic-Zeichner. Er studierte 1986 an der Kunsthochschule Straßburg und arbeitet seit 1991 für verschiedene Verlage als Illustrator und veröffentlicht seine Zeichnung in Zeitungen und Kinderbüchern. Sein Zeichenstil gilt als düster, so dass ihn der Durchbruch erst spät gelang. Er veröffentlichte in Zusammenarbeit mit anderen Autor/innen mehrere Graphic Novels und unterrichtete von 2000 bis 2009 an der Kunsthochschule ENAAI in Bourget-du-Lac.

Kris ist das Pseudonym des französischen Comic-Autoren Christophe Goret, welcher 1972 in Brest geboren wurde. Zunächst studierte er Geschichte und arbeitete als Buchhändler, bevor er ein Atelier gründete. Im Anschluss schrieb er Drehbücher und arbeitete für die Zeitschrift Spirou. Seine Arbeit, die mehrere Alben und Drehbücher umfasst, wurde mehrfach ausgezeichnet.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Kris/Vincent Bailly: Ein Sack voll Murmeln – Graphic Novel Weiterlesen »

Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 2

Der zweite Messetag begann mit einem Kaffee im Pressezentrum und Foto-Bombing. Die große Treppe in der Glashalle muss einmal pro Messe fotografiert werden. So will es das Gesetz. Da kann man schon mal anderen Buchbloggenden in die Quere kommen. Dann ging es zu S. Fischer, wo wir einfach die neuen Blogger-Betreuer kennenlernen wollten und zu einem Foto mit Thomas Mann auch nicht nein sagen konnten.

Die noch stille Treppe (Quelle: Privatarchiv)

Nein, nicht den echten Thomas. Eine Pappfigur und ein Bilderrahmen musste als Foto-Point herhalten. Eine tolle Idee, die jeden Tag für ein anderes Motiv genutzt werden konnte, soweit ich das aus den Augenwinkel sehen konnte. Aber ein Thomas Mann sticht halt vieles.

Dieses Jahr vielleicht nicht Kristine Bilkau, die mit ihrem Roman „Halbinsel“ in der Kategorie Belletristik den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Die erste Veranstaltung war ein Interview mit ihr, dem ich zuhören wollte, in dem aber die Moderatorin mehr gesprochen hat als Frau Bilkau selbst. Fand ich jetzt nicht gerade günstig, aber ich habe Kristine Bilkau am letzten Messetag nochmal in einem anderen Interview sehen dürfen.

Das Buch und die Preisträger der anderen Kategorien habe ich mir übrigens auch nach Hause geholt. Zwei Sachbücher darunter hat man jetzt auch nicht so häufig.

Danach stellte Viktor Remizov seinen Roman „Permafrost“ vor, der drei Familienschicksale in Sibirien verfolgt. Interessant, der Autor ist eigentlich Russe und lebt in Moskau, ist jedoch mit einer Italienerin verheiratet und hat selbst auch einen italienischen Pass, darf deshalb reisen und kann wohl um einiges freier agieren als andere Autoren, somit auch nicht betroffen von den derzeit noch immer aktiven Sanktionen. Finde ich spannend.

Die Moderatorin Julia Finkernagel stellte im Anschluss ihr Sachbuch „Reisefieber“ vor und Fußballer und Weltmeister Christoph Kramer auf einer Bloggerveranstaltung des Verlags seine Coming of Age Geschichte „Das Leben fing im Sommer an„. Er ist super sympathisch, einige Bookstagrammerinnen auf dieser Veranstaltungen waren es nicht. Teeniehafte kindische Fangirlfragen, die einigen von uns nur die Augen verdrehen haben lassen. Aber, alle wie sie wollen.

Auf einer nachfolgenden Lesung hatten die Illustratorin Bea Davis, die ihre Graphic Novel „Super Gau“ über die Katastrophe von Fukushima vorstellen wollte und ihr Moderator mit der Technik zu kämpfen, was aber nicht sonderlich schlimm gewesen ist. Am Stand von Carlsen hat sie viele ihrer Bücher signieren können und in jeder auch etwas hinein gezeichnet. So, dass dieses Motiv aussieht, als wäre es gedruckt und normal zum Buch gehört. Nicht nur ich fand das toll.

Vor dem nach der Messe folgenden Treffen im Pinguin gab es am Stand von Karl Rauch, dem Verlag des Kleinen Prinzen, ein Meet&Greet mit verschiedenen Autoren und Freunden des Verlags. Eine Signatur konnte ich mir von Mattia Insolia und Hanne Orstavik holen und ein paar Projekte und Ideen besprechen. Es sind auch solche Sachen, weswegen ich diese Messen liebe.

In Kürze folgt dann der Messebericht Tag 3.

Euer findo

Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 2 Weiterlesen »

Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 1

Über die Einlass-Schwierigkeiten wurde hier schon berichtet, sie führten jedoch dazu, dass die Messe den Zugang für die darauf folgenden Tage geändert hatte. Man kam dann insgesamt wohl schneller rein, aber dieser eine Tag hat auch zu einigen Frust bei manchen Aussteller geführt. Wer ein Ausstellerticket hatte, konnte durch einen speziellen Eingang. Autoren und Autorinnen, die nur eine Einladung vom Verlag hatten, nicht. Zudem ist es auch ein Ding der Unmöglichkeit, dass der Organisator des Gastlandes Probleme hat, seine Mitarbeiter auf das Gelände zu bekommen. Zur Erklärung, die gelten als Medienagentur, damit als Presse und dürfen damit zumindest theoretisch weniger als Aussteller.

War man dann einmal drin, waren es jedoch durchaus interessante und abwechslungsreiche Messetage. Wenn man an die Stände herankam, was bei der offiziellen Eröffnung des Gastland-Standes sich für mich als unmöglich erweisen sollte. Den hatte ich am Tag zuvor gesehen, als es eine Pressekonferenz gab, zu der ich eingeladen war.

Nach den üblichen Reden, in denen u. a. thematisiert wurde, dass es einen geringfügigen Ausstellerrückgang geben würde, der sich schlicht durch Marktkonzentration erklären lässt, aber man insgesamt mehr Fläche verkauft hatte, wurden wir zum Norwegen-Stand geführt, wo man sich die Messe über unter den Motto „Worte bewegen Welten“ präsentierten wollte.

Das hat auch geklappt, hatte man einmal an diesen durchaus sehr ansprechend schön gestalteten Stand einen Platz ergattern können. Am ersten offiziellen Messe-Tag hatte ich da keine Chance und bin stattdessen bis zur ersten Blogger-Veranstaltung die Stände der unabhängigen Verlage abgegangen, auch mit Unterstützung des Sammelheftes des Schönen Büchernetzwerkes. Sogar einen Schokopinguin gab es. Beim Verlag Pinguletta.

Die erste Blogger-Veranstaltung, zu der ich angemeldet war, richtete Rowohlt aus, die ihr kommendes Programm aber vor allem zwei Bücher und ihre Autorinnen vorstellten. Sarah Lorenz mit ihrem Roman „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ und Susanne Kaiser mit „Riot Girl„. Anschließend ging es, praktisch im gleichen Raum direkt weiter mit Diogenes und Christian Schünemanns Werk „Bis die Sonne scheint„. Auch er beantwortete Fragen und hat anschließend sein Buch für alle Anwesenden signiert.

Bevor es zum ersten Pinguin-Treffen (stadtbekannte Eisdiele und Gaststätte) mit guten Freunden gehen sollte, die man eben nur auf den Buchmessen sieht bin ich noch einige Verlagsstände abgewandert. Edition Nautilus ebenso, wie Mirabilis oder WortArtPress, die mich entweder für Bücher vormerken konnten oder mir welche demnächst zuschicken. We would see.

(v. l. n. r.: Barbara Miklaw, Nick Hillmann, Katia Tangian, Wolfgang Allinger)

So endete dann auch der erste Messetag in Leipzig. Die Berichte zu den weiteren Tagen folgen.

Euer findo.

Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 1 Weiterlesen »