Schauspieler

Florence Aubenas: Er ist keiner von uns

Inhalt:

Ein Dorf in der französischen Provinz, Dezember 2008. Um 8:30 Uhr schließt Catherine Burgod die kleine Postfiliale in der Dorfmitte auf. Eine halbe Stunde später ist sie tot, mit achtundzwanzig Messerstichen brutal ermordet. Die aufgebrachte Bevölkerung sucht einen Schuldigen, und der Verdacht fällt auf den Fremden im Dorf …

Nach jahrelanger Recherche erzählt die preisgekrönte Journalistin Florence Aubenas die Geschichte dieses bis heute ungelösten Kriminalfalls – atmosphärisch, packend und erschütternd. (Klappentext)

Rezension:

Eigentlich ein vergleichsweise belangloser Kriminalfall, ist der im französischen Monreal-la-Cluse geschehene Mord an einer Postangestellten ein Geschehen, welches bis heute viel mehr Fragen aufwirft als beantwortet werden können, zumal der für lange Zeit Hauptverdächtige kurz vor einer letzten Gegenüberstellung spurlos verschwand.

Die Journalistin Florence Aubenas hat recherchiert und nicht nur ein Ermittlungsporträt erstellt, auch ein spannend zu lesendes Psychogram eines Menschen, der tiefer kaum fallen konnte.

Hierzulande kaum bekannt, dürfte dieser Fall in Frankreich ein paar Wellen geschlagen haben, ist der des Mordes Hauptverdächtige kein geringerer als der für seinen Film “Le petit criminel” 1991 mit dem Cesar ausgezeichnete Jungschauspieler Gerald Thomassin, dessen Biografie schon zuvor mit zahlreichen Hindernissen und Stolpersteinen gespickt war.

Aufgrund von Drogen- und Beziehungsproblemen verschlug es ihn später in den Ort, der Jahre später zum Schauplatz eines Verbrechens werden sollte, was die Region erschüttern sollte. Aufgrund von getätigten Aussagen und Formulierungen Thomassins selbst, rückt dieser schnell in der stetig kleiner werdenden Liste der Hauptverdächtigen, was eine über Jahre andauernde Dynamik ins Rollen bringen sollte.

Die Autorin rollt den Fall auf und beleuchtet von allen Seiten die Biografie Thomassins und die Dynamik eines Geschehens, welche eine örtliche Gemeinschaft auseinanderbrechen ließ und nicht nur ein Leben zerstörte. Beinahe an der Grenze zum Roman schlüsselt Aubenas Ereignisse auf, sucht Wendepunkte und Puzzleteile zusammen zu setzen.

Dabei streift sie die Abgründe der Gesellschaft, ebenso den Kontrast zur gegensätzlichen französischen Filmwelt, aber eben auch die Innereien einer Justiz- und Ermittlunsgarbeit, die zwangsläufig irgendwann auf die Stelle tritt, wenn alle Spuren und Indizien kaum handfeste Ergebnisse zu Tage befördern.

Vor allem versucht sie einen Charakter zu verstehen, welcher schon zu Zeiten seines schauspielerischen Schaffens für die ihn Umgebenden kaum zu fassen gewesen sein muss, beschäftigt sich jedoch auch mit der gegenüberstehenden Seite. Was macht dies mit den Angehörigen, denen man das Liebste nimmt? Welche Sichtweisen entstehen, wenn man die für selbstverständlich wahrgenommene Sicherheit herausnimmt?

Sehr sachlich, ruhig geht die Journalistin hier vor, so dass man das Gefühl hat, ohne die Quellenlage freilich genau zu kennen, dass hier intensiv recherchiert und befragt wurde. Vom Stil her kann man diese Reportage den Büchern Asne Seierstads zuordnen oder Michelle McNamara, die ebenfalls zu Fällen ihrer Heimatländer recherchierten.

Vieles bleibt aufgrund der Informationslage dennoch im Verborgenen, so musste Aubenas ergänzen und Schlüsse ziehen. Wirklich gelöst wurde der Fall nie, wenn auch gegen Ende der Ermittlungen sich ein neues, anderes Bild ergab als dies zunächst schien.

Wer sich mit dem französischen Film etwas tiefgehender beschäftigt, wird um die Geschichte des Schauspielers Gerald Thomassin und seine Verwicklungen in diesem Kriminalfall wohl früher oder später kaum drum herumkommen. Für andere mag die beschriebene Dynamik oder Arbeit des Rechts- und Justizsystems eines anderen Landes ein interessanter Aspekt sein, sowie die psychologische Komponente oder gesellschaftliche Wahrnehmung.

Der Schreibstil, oder die Übersetzung haben hier ein paar Längen entstehen lassen, zumal man gen Ende lesend genauso ratlos sein wird, wie Angehörige, ermittelnde und die Journalistin selbst. Wird dieser Fall jemals gänzlich gelöst werden können?

Autorin:

Florence Aubenas wurde 1961 in Brüssel geboren und ist eine französische Journalistin. In Paris studierte sie bis 1984 an der Journalistenschule “Centre de formation des journalistes” und arbeitete anschließend bei einem Wirtschaftsmagazin.

Seit 1986 ist sei bei der Zeitung “Liberation” tätig und war als Kriegs- und Krisenreporterin in Ruanda, Kosovo und Afghanistan im Einsatz. Über den Völkermord von Ruanda und über die Globalisierung schrieb sie viel beachtete Bücher. 2010 wurde ihr im Stile Günter Wallraffs veröffentlichter Bericht über die Erfahrungen als Putzfrau in Frankreich ein Beststeller, der auch ins Deutsche übersetzt wurde.

Während ihrer Arbeit in Bagdad wurde sie entführt und erst nach fünf Monaten Geiselhaft wieder freigelassen. Ihre literarisch aufgearbeiteten Recherchen wurden mehrfach ausgezeichnet.

Auch interessant:

Wikipedia-Eintrag zu Gerald Thomassin

Dokumentation über den Kriminalfall (französisch)

Trailer zu “Le petit criminel” mit Gerald Thomassin

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Klaus-Dieter Felsmann: Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg

Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg Book Cover
Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg Klaus-Dieter Felsmann/Bernd Sahling Verlag: DEFA Stiftung Erschienen: 01.02.2010 Seiten: 172 ISBN: 978-3-00-030098-1

Inhalt:

Der DEFA-Kinderfilm erfreute sich aufgrund seiner liebevollen Machart und thematischen Vielfalt großer Beliebtheit beim DDR-Publikum. Klaus-Dieter Felsmann beleuchtet nun zum ersten Mal, welche Rolle der DEFA-Kinderfilm in der Bundesrepublik Deutschland spielte.

In Zeiten der politischen Trennung stellte er ein kleines aber durchaus verbindendes Element der Kinolandschaft beider Staaten dar. Dabei wird sein Anteil am Kinderkino der Bundesrepublik und dessen Kinderfilmfestivals, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und seine Wirkungsrelevanz für die Kinderfilmkultur untersucht.

Bernd Sahling führt Gespräche mit den Kinderfilmregisseuren der DEFA. […] Sie berichten aus ihrem reichen Erfahrungsschatz und lassen den Leser Hintergründe und Arbeitsweise der damaligen Produktionen besser verstehen. (Klappentext)

Rezension:

Die Spielfilme der DEFA sind inzwischen Kult. Egal, ob “Moritz in der Litfaßsäule” oder “Der kleine Muck”, dessen Requisiten man immer noch in den Filmstudios Babelsberg betrachten kann, Kinderfilme waren nicht nur ein verhältnismäßig vom politischen Druck freies Feld für Regisseure in der DDR, sie waren über die Jahre ein kontinuierliches Band zum Westen.

In Kinos in Bayern, im Ruhrpott oder an der Nordsee wurden die Filme gezeigt, ebenso im bundesdeutschen Fernsehprogramm. Doch, wie arbeitete es sich in den Filmstätten in Potsdam?

Wie entstanden die legendären Streifen und welche Voraussetzung gab es auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs für den deutschen Kinderfilm?

Klaus-Dieter Felsmann und Bernd Sahling haben sich durch die Archive der DEFA gearbeitet, Regisseure wie Helmut Dzuba und Hannelore Unterberg interviewt und liefern einen einzigartigen Einblick von der Idee zum Film, bis zum Suchen und der Arbeit mit den Kinderschauspielern und einen Ausblick auf die heutige Situation des Kinderfilms im vereinigten Deutschland.

Die Schriftenreihe der DEFA ist für Cinemasten ein Muss, wird hier doch qualitativ hochwertig ausgewertet, was in den dortigen Studios einst entstand und heute teilweise Sammlerwerte besitzt, die auf Ebay Preise erzielen, wenn sie nicht gar immer mal wieder im Fernsehprogramm oder auch bei öffentlichen Vorführungen zu finden sind.

Es geht um Zahlen, um die Wirkung von Filmen, Technik und Metern von Filmrollen, um nervige politische Diskussionen,w as gedreht werden durfte, was nicht und um das kleine Glück, mit ganz besonderen Darstellerkindern arbeiten zu dürfen.

Unaufgeregt, einige zu verschmerzende Längen mitgenommen, analysieren die beiden Autoren das Filmschaffen von vier Regisseuren, die vor dem Mauerfall viel wollten und teilweise auch machen durften, nach der Wende von der bundesdeutschen Konkurrenz an den Rand gedrängt, da es nun um das Abgreifen von Fördergeldern ging.

Bis auf Günter Meyer konnte keiner der DEFA-Regisseure an frühere Erfolge mehr anknüpfen, doch halten Feldmann und Sahlinger eine für Filmschaffende wundersame zeit fest, die es zu entdecken gilt.

Spannend die Interviews über das Aussuchen der Kinderdarsteller, Drehtage und Entstehungsprozesse, die von einem ganz anderen Tempo und Hintergrund geprägt waren, als es heutige Filmemacher erleben.

Mit einem kritischen Blick in die Entwicklung und der Sparte des Kinderfilms, der von Fernsehschaffenden und Kinobetreibern kritisch beäugt und stiefmütterlich behandelt wird, früher jedoch einen ganz anderen Stellenwert hatte.

Man muss sich schon für Filme interessieren, sollte vielleicht den einen oder anderen zumindest vom Namen her kennen und zeitlich einordnen können, um die Gedankengänge aller Personen zu verstehen, die zu Wort kommen, dann aber ist dies ein beeindruckender Band festgehaltener Filmgeschichte und ein willkommener Anlass, sich diese Filme nochmals zu Gemüte zu führen (heute wieder möglich, da ein Großteil inzwischen auch auf DVD erschienen ist).

Bis dahin kann man sich zumindest lesetechnisch schon mal einstimmen.

Autoren:

Klaus-Dieter Felsmann wurde 1951 geboren und studierte Germanistik und Geschichte, lebt als freier Publizist und Autor in Berlin. 1997 übernahm er die Leitung der “Buckower Mediengespräche”.

Bernd Sahling wurde 1961 geboren und arbeitete nach einem Volontariat im DEFA-Spielfilmstudio babelsberg als Regieassistent, bevor er ein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen, ebenfalls in Babelsberg, begann. Daneben arbeitete er als Regisseur und autor und gibt Workshops zum Thema Kinderfilme.

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