Krim

Navid Kermani: Entlang der Gräben

Entlang den Gräben Book Cover
Entlang den Gräben Navid Kermani C.H. Beck Erschienen am: 26.01.2018 Seiten: 442 ISBN: 978-3-406-71402-3

Inhalt:

Ein immer noch fremd anmutendes, von Kriegen und Katastrophen zerklüftetes Gebiet beginnt östlich von Deutschland und erstreckt sich über Russland bis zum Orient. Navid Kermani ist entlang den Gräben gereist, die sich gegenwertig in Europa auftun: von seiner Heimatstadt Köln nach Osten bis ins Baltikum und von dort südlich über den Kaukasus bis nach Isfahan, die Heimat seiner Eltern.

Mit untrüglichem Gespür für sprechende Details erzählt er in seinem Reisetagebuch von vergessenen Regionen, in denen auch heute Geschichte gemacht wird. (Klappentext)

Rezension:

Europa ist ein politisches geschaffenes Gebilde, welches den Frieden auf den gleichnamigen Kontinent sichert. So scheint es. Doch im Inneren und an den Rändern gährt es.

Egal ob wir von den Parallelgesellschaften reden, die sich längst innerhalb der deutschen Städte aus Religions- und Volksgruppen gebildetet haben, ob man sich in Polen mit der Aufarbeitung der eigenen und fremden Geschichte schwer tut oder in der Ukraine im Spannungsfeld des Konfliktes im Donbass versucht, zu überleben, die Gräben in Europa scheinen tief.

Navid Kermani hat sich im Auftrag des Magazins Der Spiegel aufgemacht, diese Regionen aufzusuchen und zu erfahren.

Vom heimischen Köln bis hinein nach Isfahan, der ursprünglichen Heimat seiner Eltern. Er trifft die jenigen, die am Rande vergessener Konflikte leben müssen, mit den politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten zurechtkommen müssen. Einfache Bewohner in der Region im Sperrgebiet von Tschernobyl, geschasste Schriftsteller in Aserbaidschan, Weissrussen und Iraner, die auf die Zukunft nach den jetzt dort herrschenden Mächten hoffen.

In mehreren Etappen durchquert er den Kontinent, stöbert interessante und nachdenklich stimmende Lebensläufe und Geschichten auf. Mit feiner Beobachtungsgabe seziert er den Zustand Europas, erkennt, dass es Konflikte auch hier gibt, die unlösbar scheinen, Menschen jedoch überall mit den gleichen Sehnsüchten nach Frieden zu Hause sind.

Obwohl Kermani für mehrmalige Reisen in die verschiedensten Winkel Europas aufgebrochen ist, ergibt sich eine zusammenhängende Route, die der Leser anhand von zwei Karten innerhalb der Buchdeckel verfolgen kann. Genau so übersichtlich sind auch die Berichte, geschrieben als Tagebucheinträge des Reiseberichts.

Detailliert beschreibt der Autor, was er sieht, welche Gespräche sich ergeben, manchmal mit Nennung der Namens seiner Kontakte, oft genug musste er jedoch Namen ändern, um die Personen in ihren Heimatländern keiner Gefahr auszusetzen.

Entstanden ist ein intimes Portrait einer Kette von Ländern, die uns oberflächlich gesehen, nicht ferner liegen könnten und doch so nah sind. Und immer wieder stößt er auf Neues, was den Autor selbst überrascht, wenn etwa das Brot in der selben Tradition hergestellt wird, wie bei uns, nur hunderte Kilometer von Deutschland entfernt und Literaturmuseen dort auftauchen, wo man es am wenigsten erwartet.

Besonders eindrücklich schildert er den Umgang der machthabenden Behörden mit den Menschen in den jeweiligen Ländern, aber auch die verschiedenen Sichtweisen, die etwa den Konflikt in der Ukraine und auf der Krim wachhalten, sowie das Zerwürfnis zwischen Aserbaidschan und Armenien.

Mit wohlwollenden und zuweilen traurigen Blick beobachtet er Vorgänge, die der Sichtweise eines friedlichen kulturellen Europas zumindest an seinen Rändern Lügen strafen. Detailliert schreibt er auf, ohne seine poetische Sprache zu verlieren, was er sieht.

Das Besondere sind die Bilder, die er wie ein Schwamm aufsaugt, Bilder von örtlichen Begebenheiten und von Menschen, deren Mut und Zuversicht, manchmal auch nur bloßer Wille zu überleben in jeder einzelnen Zeile sichtbar wird. Wer etwas über Europa lernen möchte, der sollte zu diesem Buch greifen.

Als Kind iranischer Eltern kommt er im Osten mit AfD-Wählern ins Gespräch, überall sonst berichtet er jeweils von beiden Seiten des zu benennenden Konflikts. Immer ausgewogen zu sein, Markenzeichen seiner Reportagereise, die packender und einprägsamer nicht erzählt werden könnte.

Kermani auf der Suche nach der Idee von Europa, und wie sie an den Rändern des Kontinents in Frage gestellt wird, zuletzt auch eine Suche nach sich selbst, die es sich zu begleiten lohnt. Eine sehr eindrückliche Leseempfehlung im Sachbuch-Bereich.

Autor:

Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist. Er arbeitere nach der Schule als freier Mitarbeiter und Redakteuer für verschiedene Zeitungen, studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften. Seit 2007 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Von 2006-2009 war er Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und beschäftigen sich mit Grenzerfahrungen im Alltag, der Auseinandersetzung mit Tod und der islamischen Mystik. Für den Spiegel berichtete er aus mehreren Krisengebieten der Welt. Kermani lebt mit seiner Familie in Köln.

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Simon Sebag Montefoire: Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918

Die Romanows - Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Book Cover
Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Simon Sebag Montefoire Verlag: S. Fischer Erschienen am: 27.10.2016 Seiten: 1038 ISBN: 978-3-10-050610-8 Übersetzer: (u.a.) Gabriele Gockel

Inhalt:

Wie kein anderes Adelsgeschlecht sind die Romanows der Inbegriff von schillerndem Prunk, Macht, Dekadenz und Grausamkeit. Über 300 Jahre dominierten sie das russische Reich, mehr als 20 Zaren und Zarinnen gingen aus dem Geschlecht hervor, allesamt getrieben von unbändigem Machthunger und rücksichtslosem Willen zu herrschen – einige dem Wahnsinn näher als dem Genie.

Simon Sebag Montefiore erzählt die Saga dieser unglaublichen Familie, in der Rivalität, Giftmorde und sexuelle Exzesse regelrecht auf der Tagesordnung standen.

Basierend auf neuester Forschung und unbekanntem Archivmaterial zeichnet er die Schicksale und politischen Verwicklungen nach. Weder zuvor noch danach gab es ein so gewaltiges Reich, in dem sich Glanz und Grausamkeit auf so unheilvolle Weise verbündeten. (Verlagstext)

Rezension:

Die Öffentlichkeit kennt die Geschichte der Familie des letzten Zaren ebenso gut wie die von Katharina II. (Die Große), Peter dem Großen oder Iwan dem Schrecklichen.

Doch, was ist mit den anderen, fast zwanzig Zaren, die aus dem einst allmächtigen Herrschergeschlecht hervorgingen? Was, mit Michael I., der als Kind den Thron bestieg und damit den Auftakt bildete für eine Dynastie, die Europa, Asien und zeitweise Alaska in Amerika kontrollieren sollte? Weshalb war die Familie so erfolgreich, wie keine andere zuvor?

Weshalb brauchte es zu deren Sturz nur einen “Wanderprediger” und eine neurotische Zarin? Diesen und vielen anderen spannenden Fragen geht Simon Sebag Montefiore mit erstaunlicher Akrebie nach, befragt Verwandte, die von Zeitzeugen abstammen, stöbert in Archiven und holt bisher ungeöffnete Briefe und Korrespodenzen ans Tageslicht. Herausgekommen dabei ist ein historisches Standardwerk, was eine einzigartige Familiengeschichte beleuchtet.

Die Geschichte der Romanows beginnt und endet quasi mit zwei Jungen. Der Eine wollte keinesfalls Zar werden, legte jedoch den Grundstein für eine sehr erfolgreiche Herrschaft, der andere wurde brutal ermordert, womit sich für alle Zukunft die Aussicht auf eine Fortführung der Romanowschen Geschichte zerschlugen, die einige wenige während des Zerfalls der Sowjetunion zur Sprache brachten.

Dabei zeigt sich die Geschichte als eine Art Kreislauf, deren wichtigstes Element, die Autokratie, im größten Land der Welt auch heute noch in abgewandelter Form eine bedeutende Rolle spielt.

Warum dies so ist, erklärt Sebag Montefiore anhand der Portraitierung der Epochen und zeigt, wie die Zaren Privates und Politisches miteinander verbunden. Keinesfalls schwerfällig aber fakten- und erkenntnisreich untermauert der Autor seine schonungslose Analyse, die auch das romantisierte Bild Katharina der Großen oder Nikolaus II. ins Wanken bringt und die Wirklichkeit voranstellt.

Eine Stammbaum-Übersicht, Landkarte, zahlreiche Fotos und am Anfang eines jeden Kapitels geschrieben Auflistung der Personen des jeweiligen Zeitabschnitts machen es leicht, den Anschluss zu behalten, auch wenn man als Leser förmlich in den Strudel dieser faszierenden Geschichte, die packender ist als jeder historische Roman, hineingesogen wird.

Der Verlag bewirbt die umfangreiche Ausarbeitung mit dem Satz: “Dagegen ist ‘Games of Thrones’ das reinste Kaffeekränzchen.”, und zitiert damit Anthony Beevor, einem anderen großen Historiker.

Wer dieser Rezension nicht glauben mag, sollte zumindest ihm folgen und sich auf eine Geschichte der Familie einlassen, die mehrere Kontinente und unzählige Völker beeinflusst hat, Menschen schon zu Lebzeiten fasziniert und verhasst zugleich war.

Es bleibt die Frage ob Russlands heutige “Zaren” von den Romanows gelernt haben? Für alle anderen lohnt sich eine genaue Betrachtung derer.

Autor:

Simon Jonathan Sebag Montefiore wurde am 27. Juni 1965 in London geboren und ist ein britischer Historiker, Moderator und Gewinner mehrmaliger Auszeichnungen für die Veröffentlichung geschichtlicher Sachbücher und Romane.

Er stammt aus einer jüdischen Familie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Russischen Zarenreich vor antijüdischen Progromen floh. Er studierte Geschichte am Gonville & Caius College in Cambridge und machte dort seinen Doktor in Philosophie.

Zugleich gewann er am College eine Ausstellung. Bevor er als Schriftsteller wirkte, arbeitete er als Bankangestellter, Jounalist und Korrespondent und tat sich durch seine Berichterstattung während des Zerfalls der Sowjetunion hervor.

2004 gewann er mit seiner Biografie “Stalin: Der rote Zar” die British Book Awards. neben zahlreichen Sachbüchern veröffentlichte er einige Romane. Er ist Mitglied der Royal Academy of Literature und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in London.

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