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KATAPULT – Ukraine

Seit den 24. Februar greifen russische Truppen die Ukraine an. Seit dem ist viel passiert und wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der die ersten Tage wie paralysiert vor den Bildschirmen stand und nicht realisiert hat, was er da eigentlich sieht. Vom Verarbeiten ganz zu schweigen. Mittlerweile habe ich den Nachrichtenkonsum, so gut es eben geht, reduziert. Im Vordergrund ist nun die Frage getreten, was kann man selbst tun, um der Hilflosigkeit nicht ganz so viel Raum zu geben?

Mittlerweile spende ich, habe auch schon am hießigen Hauptbahnhof mit geholfen, einzelne Tropfen auf den heißen Stein, die aber zusammen mit vielen anderen doch etwas bewirken können. Jeder Einzelne kann etwas tun. Der KATAPULT Verlag hat ebenso eine Antwort für sich gefunden, sammelt Informationen und unterstützt ukrainische Journalisten, und hat überdies eine Liste an Organisationen zusammengestellt, die Spenden sammeln und unterstützenswert sind.

Und da das so ist, muss dies unbedingt bekannter werden.

Was kannst Du tun?

(c) 2022 KATAPULT – Übersicht “Was kannst du tun?”

Was passiert gerade? Der KATAPULT Live-Blog.

Hier findet ihr eine Liste von Spenden- und Hilfsorganisationen, die ständig ergänzt, erweitert und aktualisiert wird.

(c) 2022 KATAPULT – über den Link mehr zur Spendenaktion.

Informationen und Grafiken sind Inhalte und Eigentum des KATAPULT-Verlags. Der Blog-Inhaber hat sich die Erlaubnis eingeholt, diese ebenfalls auf den Blog veröffentlichen und verbreiten zu dürfen. Grafiken wurden unverändert übernommen, für die Inhalte der verlinkten Seiten wird keine Haftung übernommen, diese wurden soweit möglich, überprüft. Stand der Veröffentlichung: 23.03.2022, 08:51 Uhr.

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Ulrike Ulrich: Während wir feiern

Während wir feiern Book Cover
Während wir feiern Ulrike Ulrich Piper/Berlin Verlag Erschienen am: 06.07.2020 Seiten: 272 ISBN: 978-3-8270-1408-5

Inhalt:

Ein einziger Tag. Symbolisch aufgeladen. Während die einen feiern, kämpfen andere um die Existenz. In ihrem kaleidoskopartig aufgebauten Roman erzählt Ulrike Ulrich klug, anspielungsreich und mit großem Witz von dem, was hier und jetzt passiert, und davon wie auch kleine Entscheidungen unsere Leben und die der anderen beeinflussen. (Klappentext)

Rezension:

Wie in jedem Jahr feiert die deutsche Sängerin Alexa am Abend des Schweizer Nationalfeiertages ihren Geburtstag mit einer Dachparty, leider noch ohne Einbürgerungsbescheid. Doch, in diesem Jahr scheinen sich die Ereignisse schon vorher zusammen zu brauen und schließlich zu überschlagen.

So beginnt der zunächst ruhig erscheinende Roman, der quasi einer Zustandsbeschreibung der in die Schweiz Eingewanderten gleicht und das nicht zu knapp. Einwanderung, Einbürgerung, Heimat ist das große Thema, Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Ulrike Ulrich legt mit klaren Worten den Finger in die Wunde der Diskussion, zeigt die Ungleichbehandlung verschiedener Suchender auf und verwebt die Handlungsstränge bis hin zu einem großen Finale.

Sprachlich fein gearbeitet, wechseln sich schnelle stakkatohafte Sätze mit langsamen beschaulichen Abschnitten ab, die im Perspektivwechsel die Geschichte um Alexa und ihres Bekanntenkreises erzählen. Die Hauptprotagonisten sind vielschichtig ausgearbeitet, mit all ihren Grautönen und Problemen, die nicht zu kurz abgehandelt werden und doch die Lesenden nicht über Gebühr strapazieren.

Aufhänger dabei ist das traditionelle Guggisberglied, ein Schweizer Volkslied, welches das Thema des sich stetig drehenden Mühlrads zum Ausdruck bringt, welches sich wiederum auf die einzelnen Handlungsstränge übertragen lässt.

Interpretation des Guggisberglieds von Stephan Eichner.

Eigentlich hat er am meisten Angst davor, dass es wächst, wenn er davon spricht. Dass es größer wird. Und es könnte gut sein, dass sie es größer machen wird. Dass ihr Blick, ihre Fragen, ihre Art, damit umzugehen, dazu beitragen werden, dass er es nicht mehr kontrollieren kann. Und was dann?

Aus Ulrike Ulrich “Während wir feiern”, Berlin Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-8270-1408-5.

Der Roman selbst ist durch Absätze und Leerzeilen, Perspektivwechsel gegliedert, lässt sich so auch ohne Kapiteleinteilung leicht in kurze Abschnitte gliedern und leicht lesen. Zwar wechseln sich schnell und langsam zu lesende Abschnitte ab, dies passt jedoch zu den jeweilig erzählenden Protagonisten. Deren Handlungsstränge bauen logisch aufeinander auf, laufen erst getrennt und werden nach und nach verknüpft.

Ulrike Ulrich lässt Welten und Sichtweisen aufeinander prallen, zeigt, wie unsere Entscheidungen das Leben anderer Personen beeinflusst und dass jede Feier zu einem “Tanz auf den Vulkan” werden kann, zumal man die Gedanken der Hauptprotagonistin ganz leicht auf die Autorin selbst übertragen kann. Ähnlicher Hintergrund, Migrationsgeschichte, Sozialisierung.

Der Erzählstil lässt dies vermuten, auch ihre gegenteiligen Ansichten zu den rechten Rändern der Gesellschaft, die es auch in der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie gibt. So ist dieser Roman ein Stück Literatur, welches die Frage in den Mittelpunkt stellt, welche Entscheidungen wir treffen wollen und warum, mit der Aufforderung den Einfluss dieser auf andere Leben zu überdenken und zu hinterfragen.

Wer nicht so weit denkt, findet dabei immer noch eine schöne, lesenswerte Geschichte, im heutigen Zürich spielend. Und das soll ja nicht unansehlich sein.

Autorin:

Ulrike Ulrich wurde 1968 in Düsseldorf geboren und ist eine schweizerisch-deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie Germanistik, Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft, bevor sie im Bereich Kommunikationslinguistik arbeitete. Nach Aufenthalt in Wien, lebt sie seit 2004 in Zürich. Sie schreibt Prosa, Lyrik, Drehbücher, Kolumnen und Hörspiele, ist zudem als Herausgeberin für Anthologien tätig.

Die Autorin, die 2004 ihr erstes Buch veröffentlichte, ist Mitglied des Schriftstellerverbandes “Autorinnen und Autoren der Schweiz”, sowie des Deutschschweizer PEN-Zentrums. Ulrichs Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit den Walter-Serner-Preis im Jahr 2010.

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Mario Ludwig: Tierische Jobs

Tierische Jobs Book Cover
Tierische Jobs Sachbuch wbg Theiss Hardcover Seiten: 192 ISBN: 978-3-8062-3964-5

Inhalt:
Was machen Tiere eigentlich beruflich? Ein Frosch als Schwangerschaftstest, Katzen als Spione und ein Esel als Schäferhund?

Unglaublich, aber wahr! Mario Ludwig stellt die unglaublichen und skurillen Berufe unserer tierischen Helfer vor und erzählt, wie sie uns mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten helfen, unseren Alltag besser zu meistern. Zum bewerbungsgespräch um die Stelle als Trüffelsucher taucht da neben dem Schwein auch schon mal ein Hund auf. Und warum nicht mal eine Taube einstellen statt einem Radiologen? (Klappentext)

Rezension:
Blindenhunde oder Pferde und Delfine, die zu therapeutischen zwecken eingesetzt werden, kennt an sich jeder. Auch die Brieftaube dürfte den meisten ein Begriff sein, nicht zuletzt der Schäferhund als Bewacher von Haus und Hof. Doch, unsere tierischen Freunde helfen uns bisweilen in noch ganz anderen Bereichen unseres Alltags. Der Biologe und Autor Dr. Mario Ludwig hat seine kuriosesten Funde einmal zusammengestellt. Entstanden ist ein witziges und kurioses Sachbuch.

In kleine Häppchen zum Nebenherschmökern zeigt der Autor, welche Tätigkeiten tiere schon eingenommen haben, um unseren Alltag zu bewältigen. Außen vor gelassen wird das Schicksal von medizinischen Versuchstieren ganz bewusst, da es zu diesem Themenkomplex bereits ausreichende und weiterführende Literatur gibt, doch wie sieht es eigentlich mit der ersten Hündin und dem ersten Schimpansen im Weltraum aus?

Weshalb bekommt eine bestimmte Rattenart eine Spezialausbildung als Minensucher und warum scheiterten die Amerikaner Katzen als Spione auszubilden? All dies erläutert der Autor im zuweilen ernsten, jedoch immer humorigen Unterton und zeigt, dass es manchmal ohne unsere tierischen Helfer nicht geht, zumal in vergangenen Zeiten als technische Lösungen noch weit eintfernt waren von unseren heutigen Möglichkeiten.

Jedes Kapitel umfasst maximal eine Hand voll Seiten und jede erdenkliche Tierart, die sich als Fußpfleger zuweilen aber auch als Archäologe betätigen. Und vielleicht steckt in unseren Haustieren doch mehr als wir denken? Der Autor jedenfalls, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern auch zu eigenständiger Recherche einlädt, ist überzeugt von den tierischen Fähigkeiten, weiß jedoch auch um das Tierwohl, welches nicht außer Acht gelassen wird.

Nicht umsonst ist der meiste Purpurfarbstoff heute künstlichen Ursprungs und Vanillearoma aus Kuhdung zum Glück sehr selten.

Unterlegt ist das amüsante Sachbuch mit einer umfassenden Quellenangabe, doch wer unseren tierischen Helfern auf die Schliche kommen möchte, weiß am Ende wie gesucht werden soll. Wissenserwerb oder reine Unterhaltung, Mario Ludwig gelingt beides umfassend.

Autor:
Mario Ludwig wurde 1957 in Heidelberg geboren und ist ein deutscher Biologe und Autor. Nach der Schule studierte er zunächst Biologie und Sportwissenschaften, arbeitete bis 1992 am Zoologischen Institut der Universität Heidelberg.

Seit 1992 ist er in leitender Funktion bei der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage tätig und seit 1994 im Bereich der schädlingsbekämpfung und Gewässergüte tätig. Seit 1993 schreibt er Bücher über Tiere und Natur undist häufiger Gast in Fernseh- und Hörfunksendungen. Ludwig ist zudem als Dozent, Vortragsredner und Interviewpartner gefragt.

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Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Niemand weiß, dass du hier bist Book Cover
Niemand weiß, dass du hier bist Nicoletta Giampietro Piper Erschienen am: 01.03.2019 Seiten: 416 ISBN: 978-3-492-05918-3

Inhalt:

Der zwölfjährige Lorenzo soll bei seiner Tante in Siena unterkommen, bis der Krieg vorüber ist. Die Toskana gilt als sicher. Mit seinem neuen Freund Franco träumt Lorenzo vom glorreichen Triumph des faschistischen Italiens. Doch die Begegnung mit Daniele bringt seine Überzeugungen ins Wanken. Daniele ist Jude. Als die Stadt schließlich von den Deutschen besetzt wird, schweben er und seine Eltern in großer Gefahr. Und Lorenzo trifft eine folgenreiche Entscheidung. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt Romane, deren Geschichten verschwinden, sobald man den Buchdeckel zugeklappt hat und andere, die bleiben und nachwirken. Zur letzteren Sorte gehört “Niemand weiß, dass du hier bist” von Nicoletta Giampietro. Das Debüt der italienischen Autorin erzählt die Geschichte des kleinen Lorenzo, der vor den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges in Afrika ins vermeintlich sichere Italien zu Verwandten gebracht wird und dort mit seinem neuen Freund Franco vom Siegeszug des Faschismus träumt.

Zunächst ist alles noch aufregend, auch wenn erste Anzeichen von der Grausamkeit und Bedingungslosigkeit auch den Kinderaugen des Zwölfjährigen nicht entgehen. Jüdische Mitschüler verschwinden aus dem Unterricht, immer schwieriger wird es, an Lebensmittel zu kommen, die Tante eckt mit allzu freier Meinungsäußerung an.

Im Szenario einer Kleinstadt, Siena, in der Toskana konzentrieren sich die Auswirkungen des Krieges. Viel packt die Autorin hinein. An historischen Gegebenheiten orierentierent, an realen Personen nur leicht angelehnt, hat sie einen Aufarbeitungsversuch eines Stückes italienischer Geschichte geschaffen, der fasst zu vergessen werden drohte.

Zunächst die Protagonisten, in deren Zentrum der anfangs zwölfjährige Lorenzo steht. Aufgewachsen in Tripolis, ist er der wache Charakter, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Zugleich außenstehender Beobachter und Beteiligter trägt der Protagonist die Geschichte.

Detailliert zeigt die Autorin den Zwiespalt auf, in dem Lorenzo sich befindet, vor allem in den gegensätzlichen Freundschaften, einerseits zum gleichaltrigen Franco, dessen Familie vom Faschismus profitiert, er selbst ist ganz der Ideologie verfallen, andererseits im späteren Verlauf zu Daniele, der nur knapp dem Unheil der Deportation entgeht. Beide Freundschaften bringen Lorenzo, auf die eine oder andere Art und Weise, in Gefahr.

Immer wieder fallen dabei bezeichnende Sätze, wie dieser:

Ich war an einem sicheren Ort gebracht und zurückgelassen worden. Aber Kriege sind unberechenbar. Und sichere Orte auch.

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Die Geschichte entfaltet eine Sogwirkung, zunächst nur leicht, mit zunehmender Seitenzahl immer stärker, der man sich nicht entziehen kann. Dazu trägt ein kontinuierlicher Spannungsbogen bei und die Tatsache, dass die Autorin möglichst viele Themen gezielt untergebracht hat.

Zwar nur haarscharf an der Überfrachtung vorbei, sind auch die Nebenfiguren so detailliert gezeichnet, dass sie fassbar werden, allen voran Figuren wie Matteo oder Zia Chiara, die durchaus zur Identifikation taugen. Lorenzo steht irgendwo dazwischen. Auch thematisch macht es Giampietro ihren Lesern nicht leicht. Geschont wird niemand.

Es werden die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag, das Denken und Handeln der Partisanen, der Mitläufer und der Täter behandelt, aber auch dort immer wieder gezeigt, dass jede Geschichte zwei seiten hat, eine großer Stärke des Romans, unterstützt durch sprachlich wunderbare Bilder.

… fast verschmolzen mit der Wand, zitternd wie ein Pappelblatt im Wind, schmutzig und mit riesigen, angsterfüllten Augen, …

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Geschichtliche Aufarbeitung kennen wir von deutscher, niederländischer oder von polnischer Seite, dieser Roman zeigt einen Versuch etwas Unfassbares fassbar zu machen aus italienischer Sicht. So gelungen, habe ich selten etwas gelesen und kann diesen Roman nur jeden Interessierten ans Herz legen.

In klarer verständlicher Sprache und nicht allzu langen Kapiteln verfolgt die Autorin das Handeln ihres Protgonisten über mehrere Jahre, in denen Lorenzo einen Prozess des zu schnellen Erwachsenwerdens durchmachen muss. Leben, damit der andere überlebt, dabei einen klareren Blick bekommen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen?

Emotional, nicht kitschig, beschreibt die Autorin Lorenzos Weg und zeigt im Nachwort auf, welchen realen Gegebenheiten einzelne Elemente der Handlung und Beschreibungen entlehnt sind. Gerade dies macht “Niemand weiß, dass du da bist” zu einem unglaublich starken Roman, dessen Geschichte sich so oder ähnlich tatsächlich hätte abspielen können. Manche Szenen sind der Realität entlehnt.

Wer diesen Roman liest, wird dies mit zunehmend offenen Mund tun und viel Stoff zum Nachdenken bekommen. Eine Geschichte mit Nachhall, die ihres Gleichen sucht, gegen das Vergessen und für das Erinnern. Eine unbedingte Empfehlung.

Autorin:

Nicoletta Giampietro wurde 1960 in Mailand geboren und wuchs in einer italienisch-französischen Familie auf. Sie studierte nach der Schule Politikwissenschaften und geschichte in Mailand und Tübingen, zog 1986 nach Deutschland. Seit 1995 lebt sie in mainz, nach Stationen in Köln und Rotterdam. Sie spricht mehrere Sprachen. “Niemand weiß, dass du hier bist” ist ihr erster Roman.

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Christian Hardinghaus: Ferdinand Sauerbruch und die Charite

Ferdinand Sauerbruch und die Charite Book Cover
Ferdinand Sauerbruch und die Charite Christian Hardinghaus Europaverlag Erschienen am: 08.02.2019 Seiten: 234 ISBN: 978-3-95890-236-7

Inhalt:

Ungeachtet seiner medizinischen Verdienste zählt Ferdinand Sauerbruch zu den umstrittensten Ärzten des letzten Jahrhunderts. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte ein fast heroisches Bild des Menschen und Mediziners, der ab 1928 als Professor für Chirugie an der Berliner Charite arbeitete. Dafür gesorgt hat er teilwesie selbst, doch seit Beginn unseres Jahrhunderts wird der Blick zunehmend kritischer.

Sympathie, ja sogar Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, wirft man dem Chirugen vor. Christian Hardinghaus begab sich auf Spurensuche und recherchierte. Herausgekommen dabei ist die erste umfassende Biografie dieses Arztes. Quellen belegen seinen Einsatz für Juden und andere politisch Verfolgte und Sauerbruchs Unterstützung des Widerstands gegen Hitler. Der Mediziner Ferdinand Sauerbruch muss neu bewertet werden. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Das berühmteste und bekannteste Krankenhaus Deutschlands, die Charite, hat eine lange und wechselhafte Geschichte vorzuweisen, die immer wieder auch medizinische Standards setzte und bedeutende Ärzte und Forscher hervorbrachte. Zu den Bekannteren unter ihnen gehört nicht zuletzt Ferdinand Sauerbruch, der in den 1930er Jahren dort als Chirug arbeitete und dessen Ruf ihn vorauseilte.

Doch, war er wirklich der “Halbgott in Weiß”, als der er in einer mit Hilfe eines Ghostwriters geschriebenen Biografie dargestellt wurde oder eher ein Kollaborateur der Nazis, wie ihn spätere Berichte nannten? Der Journalist und Autor Christian Sauerbruch begab sich auf Spurensuche. Herausgekommen dabei ist eine umfassende, alle Aspekte beleuchtende, Biografie.

Der Autor beginnt bewusst nicht mit der Geschichte Sauerbruchs selbst, sondern stellt zunächst in Kurzform die des Krankenhauses vor, was erklärt, warum die Charite später die Bedeutung erlangen konnte, die sie noch heute inne hat. Erst dann widmet sich Hardinghaus den Privat- und Berufsmenschen Sauerbruch und beschreibt, gestützt auf Tagebücher, niedergeschriebene Augenzeugenberichte und Archivmaterial, minutiös den Aufstieg und Werdegang eines Schülers zum Studenten, bis hin zum später bedeutenden Arzt.

Seine Genialität, die ihm half, medizinische Unterdruckkammern zu entwickeln, mit denen erstmals Operationen am offenen Brustkorb möglich wurden, wird ebenso beleuchtet, wie die eigene Entwicklung von protesen für Geschädigte des Ersten Weltkrieges, aber auch außergewöhnliche medizinische maßnahmen, die landesweit Aufsehen erregten.

Der Autor geht dabei sehr tief ins Detail und beleuchtet diese, wie auch die persönliche, etwas schwierigere Seite eines Mannes, den später vor allem in drei Punkten seines Lebens Anschuldigungen treffen sollten, die den Ruf des Mediziners auseinander nahmen.

Doch, was ist an den Kritikpunkten dran, auch dies verliert der Autor nicht aus den Blick. Jeder einzelne wird beleuchtet, Hintergründe erklärt und im Spiegel des Zeitgeschehens und dem, was wir heute wissen, beleuchtet.

Herausgekommen ist eine lesenswerte und vor allem kurzweilige Biografie, die ein differenziertes Bild auf einen Mediziner ermöglicht, dessen Wirken auch in Kriegszeiten weit über die Grenzen Deutschlands Beachtung fand, ihn und die direkt mit ihn in Kontakt Gestandenen schützten und vor allem ein Stück Berliner Personengeschichte, die nicht vergessen werden sollte.

Anhand von Augenzeugenberichten, Tagebucheinträgen und Archivmaterial, aufgelockert durch Fotografien und Skizzen, etwa medizinischer Apparaturen, ist ein bedeutendes Stück Medizingeschichte zu lesen. Selbst für medizinische Laien.

Der Schreibstil von Hardinghaus packt wie in einem Roman, nur dass mit “Ferdinand Sauerbruch und die Charite” fast ein literarisches Sachbuch vorliegt. Wobei das Sachbuch eindeutig überwiegt. Die Recherchearbeit merkt man dabei auf jeder einzelnen Seite, das wirkliche Interesse, die Person zu ergründen, ebenso.

Der Autor zeigt einen Mann zwischen Berufsethos, Anpassung und Widerstandsgeist, Genie und Wahnsinn und einen besonderen Menschen in besonderer Zeit, der sich für nicht besonders hielt, seiner Wirkung aber bewusst war. Skalpell bitte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Delphine de Vigan: Loyalitäten

Loyalitäten Book Cover
Loyalitäten Delphine de Vigan Dumont Verlag Erscheinen am: 12.10.2018 Seiten: 174 ISBN: 978-3-8321-8359-2

Inhalt:

Theo ist ein vorbildlicher Sohn: selbstständig, fürsorglich und ein guter Schüler. Er scheint zu funktionieren. Doch eine Lehrerin schlägt Alarm, und auch die Mutter seines besten Freundes beobachtet ihn mit Misstrauen. Die beiden Frauen haben die richtige Ahnung: Theo ist mit seinem Leben überfordert und sucht einen gefährlichen Ausweg. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt Romane, die zunächst so unscheinbar sind, dass sie bereits auf den ersten Seiten vermögen zu überraschen und dann immer noch mit einem großen Knall aufwarten können. Solch ein Werk ist der Autorin delphine de Vigan gelungen. Die französische Schriftstellerin beschreibt in “Loyalitäten” eine Welt kaputter Erwachsener, die die Probleme der Kleinsten kaum wahrnehmen, so dass diese immer mehr in einen Strudel Richtung Katastrophe hineingeraten.

Hauptfigur ist der zwölfjährige Theo. zurückhaltend und verschlossen, gilt er als unkompliziert. Seine Noten sind gut. Diese Fassade bröckelt jedoch mit dem Verlassen des Schulgebäudes, wenn der Junge zwischen seinen geschiedenen Eltern hin- und herpendeln muss. Die Mutter misstrauisch, ob des vorangegangenen Aufenthaltes bei seinem Vater, der Vater arbeits-, kraft- und mutlos, dazwischen der Junge, der allem versucht gerecht zu werden und seinen Kummer in Alkohol ertränkt, den er sich über seinen besten Freund Matthi beschafft.

Die Erwachsenen um ihn herum, nehmen die wachsenden probleme kaum war, haben selbst mit sich genug zu kämpfen, selbst seine Lehrerin, die die ersten Anzeichen zu deuten weiß. Mit unaufhaltsamen Schritten naht die Katastrophe. Immer größer und bedrohlicher. Doch, Theos Umgebung ist so sehr in einem Netz aus Loyalitäten gefangen, dass ihnen der wahre Gefangene entgleitet. Immer mehr.

In wechselnden Kapiteln erzählt die Autorin kurzweilig diese Geschichte, die mehr Aufmerksamkeit verdient als sie bekommt. Ohne erhobenen zeigefinger, auch wenn das erste Lesens des Inhaltes so klingen mag, nähert sie sich der Wahrnehmung der beiden gerade noch kindlichen und fast jugendlichen Hauptfiguren an, die als Einzige Sympathieträger sind.

Selbst die Protagonistin Helene, Theos Klassenlehrerin, ist zunächst einfach nur nervig, auch wenn de Vigan es schafft, sie im Verlauf der Handlung etwas differenzierter zu beschreiben. Alle anderen Erwachsenen taugen zu nichts Positiven, als den Kontrast zur Verletztheit der Kinder darzustellen, die ungeschützt immer mehr die Kontrolle verlieren. Insbesondere eben Theo.

Um Distanz zu schaffen wird nur den beiden Erwachsenen, die zunächst nur ansatzweise begreifen, die ich-Perspektive zugebilligt. Alles andere wird in der dritten Person erzählt und bekommt dadurch einen größeren Kontrast, der die Wirkung noch einmal verstärkt. Die Wirrungen der Gefühlswelt der Kinder und die Zerrissenheit Theos, die schiere Ausweg- und Hoffnugnslosigkeit hätte die Autorin noch mehr ausbauen können.

Noch ein paar Seiten mehr den Jungen zu widmen, der so befürchtet man beim Lesen kurzzeitig, beinahe Randfigur wird, was de Vigan dann doch glücklicherweise nicht passiert, hätten dem Gesamteindruck gut getan. Dennoch ist “Loyalitäten” eine gut erzählte Geschichte, die es wert ist, gelesen zu werden, um seinen Blick zu schärfen.

So ähnlich beschrieben kommt sie wahrscheinlich tausendfach in der Realität vor. Wie oft sind wir da, um den Schwächsten zu helfen, ohne die Angst vor richtigen und falschen Loyalitäten zu haben? Darüber nachzudenken lohnt sich.

Autorin:

Delphine de Vigan wurde 1966 geboren und zählt zu den wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Neben ihrer Arbeit in einem Meinungsforschungsinstitut schrieb sie, zunächst unter Pseudonymk, ihre ersten Romane, welche ab 2001 veröffentlicht wurden. 2007 gelang ihr mit “No & ich” der Durrchbruch, seit dem lebt sie vom Schreiben.

Sie erhielt mehrfach Auszeichnungen, u.a. den Prix des Libraires 2008. Ihre Romane wurden bereits in über 20 Sprachen übersetzt, teilweise auch verfilmt.

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Franziska Seyboldt: Rattatatam, mein Herz

Rattatatam, mein Herz Book Cover
Rattatatam, mein Herz Franziska Seyboldt Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 11.01.2018 Seiten: 253 ISBN: 978-3-462-05047-9

Inhalt:

„An guten Tagen wache ich auf und bin eine Schildkröte. Dann spaziere ich bepanzert bis an die Zähne durch die Straßen. Tunnelblick an und los. An schlechten Tagen wache ich auf und bin ein Sieb.

Geräusche, Gerüche, Farben plätschern durch mich hindurch wie Nudelwasser, ihre Stärke bleibt an mir kleben und hinterlässt einen Film, der auch unter der Dusche nicht abgeht. Ich taumele durch den Tag, immer auf der Suche nach etwas, woran ich mich festhalten kann.“ (Klappentext)

Rezension:
Wovor hatten Sie zuletzt Angst? Vor dem kläffenden Nachbarshund, den der Besitzer scheinbar nicht unter Kontrolle hat? Vor der Spinne, die sich gemächlich von der Zimmerdecke direkt vor ihrer Nase abseilt?

Vor zu engen, kleinen Räumen oder davor, vor vielen Menschen eine Rede halten zu müssen? Ängste, Phobien gibt es in den vielfältigsten Formen und Ausprägungen. Nahezu vor allen Dingen kann man Abneigungen entwickeln.

Was aber, wenn die menschliche Antenne, die uns vor Überreaktionen normalerweise schützt, nicht mehr funktioniert? Was, wenn plötzlich unser größter Alptraum überhand und die Angst in unseren Körpern einzieht und nicht mehr loslässt?

Franziska Seyboldt hat über ihre Erfahrungen, ihren Kampf mit ihrer Angst geschrieben. Entstanden ist eine spannende Auseinandersetzung, ein Dialog mit der Psychose und ein Kampf, ein selbstbestimmtes Leben zurück zu gewinnen.

„Rattatatam, mein Herz“, ist kein Ratgeber, soll es auch nicht sein, sondern Seyboldts Weg, ihre Ängste zu bekämpfen. Dies tut sie erfolgreich und beschreibt innere Auseinandersetzungen so amüsant wie möglich, so ernst wie nötig und gibt sich damit der Öffentlichkeit preis, dem Problem ein Gesicht.

Dies ist die Stärke des Erfahrungsberichts, der den steinigen Weg aufzeigt, mit welchen Schwellen Betroffene zu kämpfen haben, welche Rückschläge sie hinnehmen müssen, bis sie erste Erfolge wahrnehmen können.

Es ist ein unscheinbar daherkommendes Schriftstück, welches einen um so größeren Eindruck beim Leser hinterlässt, ohne die Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit von Ratgebern zu beinhalten, die die Einfachheit vorgaukeln, einen Weg in ein Leben ohne Ängste zu finden.

Franziska Seyboldt zeigt, warum Ängste zu ihren und unseren Leben gehören, auf welche Probleme sie für sich gestoßen ist und dass Anerkennung gerade dort ist, wo man sich zu seinen Ängsten bekennt und sich anderen mitteilt.

Sie zeigt, warum die Hilfe anderer wichtig sein und dass es mitunter sehr langwierig werden kann, bis sich die Angst selbst entlarvt. Das beeindruckende Portrait einer Frau, die sich lange von ihren Phobien unterkriegen lassen hat, ihre Angst am Ende jedoch besiegt.

Für alle Betroffenen und solchen, die verstehen wollen, eine beeindruckende Lektüre.

Autorin:
Franziska Seyboldt wurde 1984 geboren und studierte nach der Schule Modejournalismus und Medienkommunikation in Hamburg. Seit 2008 lebt und arbeitet sie in Berlin.

Als Autorin und Redakteurin schreibt sie Artikel für die taz und schreibt ihre eigene Kolumne über psychische Erkrankungen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher für Kinder und Erwachsene. Dies ist ihr drittes Buch.

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Michael Schulte-Markwort: Super-Kids

Super-Kids Book Cover
Super-Kids Michael Schulte-Markwort Knaur Erschienen am: 01.03.2017 Seiten: 269 ISBN: 978-3-42678826-4

Inhalt:

Der Wunsch nach optimaler Erziehung belastet alle. Die Heranwachsenden sollen nach Zeitplan funktionieren. Und ihre Eltern vergessen vor lauter Sorge um die Zukunft, dass die Kids den Wirbel aushalten müssen, der um sie gemacht wird.

Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt der renommierte Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort anhand zahlreicher Beispiele. Und er lehrt uns, die Kids wieder mit offenen Augen zu sehen. (Klappentext)

Rezension:

Schon wieder ein Buch, welches uns zeigt, wie wir die Leistungen unserer Kinder fördern? Welches warnt, vor den Leistungsabfall durch den Kontakt mit Smartphones, digitalen Medien und den sozialen Netzwerken im Internet?

Ein Buch, welches Eislaufeltern kritisiert oder die jenigen, die ihr Kind immer noch nicht genug fordern? Nein, Michael Schulte-Markwort schreibt nichts dergleichen. Kein Erziehungsratgeber und auch kein Buch, in welchem er mit erhobenen Zeigefinger vor irgendwelchen Szenarien in unserer Gesellschaft warnt.

Der Kinder- und Jugendpsychiater, der selbst in einer Klinik mit seinen Schützlingen arbeitet und überdies eine eigene Praxis leitet zeigt anhand von Fällen, wie super unsere Kinder jetzt schon sind und lenkt den Blick auf die positiven Grundlagen, die sie immer mitbringen. Genau so, wie ihre Eltern.

Immer wieder tauchen Berichte in den Tageszeitungen auf, die vor Eltern warnen, die ihre Kinder bis ins Klassenzimmer begleiten, mit Lehrern den Streit über Zensuren vor Gericht ausfechten und ihren Kindern kaum Zeit für sich lassen.

Die Jugend verhäuslicht, ohne Freizeit, dafür mit Schule, Arbeitsgemeinschaften, sportlichen Aktivitäten und vielleicht noch einem Instrumentenunterricht, total ausgelastet und immer unter Druck, noch besser zu werden, noch eine Millisekunde mehr herauszuarbeiten und noch eine Medaille bei Wettkämpfen zu erlangen.

Solche Eltern gibt es, doch sie sind die Minderheit. Die Mehrheit beobachtet ihre Kinder, registriert heute kleinere Auffälligkeiten und sorgt sich angemessen. Michael Schulte-Markworts Aufgabe ist es dann, herauszufinden, ob die Zweifel berechtigt sind, und wenn ja, welche Gründe dahinter stecken.

Ohne erhobenen Zeigegfinger zeigt der Autor anhand von Fallbeispielen, dass die Heraufbeschwörung von Katastrophenszenarien nichts bringt, ja jeder Grundlage entbehert. Die meisten Jugendlichen und selbst Kinder sind heute reflektiert und nutzen ihre Chancen.

Es braucht nicht immer noch eine Steigerung und doch ist der Erziehungsdruck, den Eltern unterliegen, heute größer denn je.

Michael Schulte-Markwort plädiert dafür, Eltern die eigene Intuition zu zugestehen, zu spüren, welches die richtige Balance von Fördern und Fordern ist, schreibt aber auch, von der Notwendigkeit eines professionellen Blicks, wenn Eltern nicht mehr weiterwissen.

Lieber einmal mehr zum Psychologen oder Kinderpsychiater als zu wenig. Ist alles in Ordnung, kann man die kleinen Superhelden immer noch getrost wieder nach Hause schicken, was Markwort in der Mehrzahl der Fälle auch gerne tut, wenn es nichts Behandlungsbedürftiges gibt.

Die Kindheit mit Bullerbü-Romantik gibt es nicht mehr. Von diesem Gedanken müssen wir uns verabschieden. Doch, Kindern und ihren Eltern stehen heute so viele Möglichkeiten offen, wie nie zuvor.

Diese sollten wir nutzen. In klarer und einfacher Sprache, anhand von Fallbeispielen zeigt Michael Schulte-Markwort einen Weg aus dem Optimierungswahn und plädiert für Intuition und Augenmaß, für das Vertrauen in uns selbst und unsere Kinder, die so wunderbar sind, dass die fahrt durch die Erziehung einem Wildwasser-Kanufahren gleicht, aber gelingen kann.

Ohne einen Eriehungsratgeber vorzulegen, beschreibt der Autor in klarer und verständlicher Sprache, flüssiger Schreibstil, wie wir in verschiedene Eriehungsfallen geraten und wie wir den individuellen Weg durch die Kindheit und dem Erwachsenwerden begleiten können, ohne den Druckkessel explodieren zu lassen.

Und, wenn das mal geschieht, wo die Stellschrauben anzusetzen sind, Korrekturen einzufügen.

Ein herrlich unaufgeregtes Buch ohne erhobenen Zeigefinger, welches neben seinem Erstling “BurnoutKids” zur Pflichtlektüre aller Eltern und Personen werden sollte, die mit Kindern zu tun haben. Danach braucht es keine Erzeihungsratgeber mehr. Jeder Mensch ist verschieden.

Warum sollte es bei Kindern anders sein? Kinder in eine Form zu pressen und keine Abweichungen zuzulassen, funktioniert nicht. Auch, aus einem “Super” ein “Super²” machen zu wollen, ist ebenso falsch.

Mit Vertrauen in uns selbst und unseren Kindern, einer Portion Intuition und Selbstbestimmung, sowie der Annahme von Hilfe, sollte sie tatsächlich einmal notwendig sein, kann es uns gelingen, das Wunderbare an unseren Kindern hervorzuheben, ohne sie kaputtzutrainieren oder unter zu viel Druck zu setzen.

Unsere Kinder sind super. Und das reicht doch schon, oder?

Autor:

Michael Schulte-Markwort wurde 1956 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Kinder- und Jugendpsychiator, sowie Universitätsprofessort. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpychosomatik in Hamburg-Eppendorf, sowie leitender Arzt der entsprechenden Abteilung im Altonaer Kinderkrankenhaus.

Er gilt als Experte für Erschöpfungsdepressionen imk Kinder- und Jugendalter: Er studierte nach der Schule Humanmedizin und Philosopgie in Marburg und Kiel und erhielt 1987 seine Approbation zum Arzt, 1991 promovierte er und war 1992-1996 Oberarzt in der Klining für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universiät Lübeck.

Nach diversen Stationen erhielt er den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er hat zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen veröffentlicht.

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John Lahutsky: Wolkengänger

Wolkengänger Book Cover
Wolkengänger John Lahutsky Seiten: 348 Erschienen am: 01.03.2010 ISBN: 978-3-378-01108-3 Aufbau/kiepenheuer

Inhalt:

Wanja kommt als Sohn einer Alkoholikerin verfrüht und mit nur einem Kilo Gewicht zur Welt. Als die Ärzte prognostizieren, dass er nie würde laufen können, gibt die ohnehin überforderte Mutter ihn in ein Waisenhaus.

Da das russische Fürsorgesystem keinen Unterschied zwischen körperlichen und geistigen Behinderungen macht, überläßt man Wanja in einer Gruppe “hoffnungsloser Fälle” sich selbst. Es herrscht Mangel an allem: menschlicher Wärme, Kleidung, Nahrung, Spielzeug.

In Gitterbetten angebunden, werden die Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt. Doch Wanja gelingt es, sich selbst das Sprechen beizubringen und eine Gruppe ausländischer Hilfskräfte auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkennen bald, dass viele der Kinder mit der richtigen Betreuung ein normales Leben führen könnten, und beschließen zu helfen.

Doch die Rechtslage ist komplex und die russischen Behörden gleichgültig. Erst nach langwierigen Bemühungen gelingt es, Wanjas Adoption zu ermöglichen. Heute führt er als John Lahutsky ein völlig normales Leben – und er hat laufen gelernt.

Nur einen Wunsch hat der einstige Waisenjunge noch: das Ende der russischen Heime, in denen noch heute tausende Kinder unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen leben müssen. (Kurzbeschreibung Amazon)

Rezension:

Fast möchte man diese Geschichte als Erfindung eines erzähltechnisch begabten Autoren abtun, anders ist sie fast nicht zu ertragen. Alan Philips ist es gelungen, die Kindheitsgeschichte von John Lahutsky zu recherchieren und beinahe lückenlos in Romanform zu verpacken.

Und er legt dabei schonungslos die Schwächen des russischen Sozial- und Gesundheitssystems offen, welches im Umgang mit körperlich und geistig behinderten Kindern immer noch jeder Beschreibung von gerechter Behandlung spottet. Und das ist noch freundlich ausgedrückt.

So erlebt Wanja die Hölle, körperlich behindert zwar aber geistig vollkommen gesund. Doch, die Verantwortlichen im Babyhaus, welches sich eigentlich um verwahrloste und benachteiligte Kinder kümmern soll, schließen die Augen vor den eigenen Missständen.

Kleinste Neigungen, sich zu widersetzen, werden als Abnormalität gesehen, körperliche Missbildungen als Hinderung, die Schützlinge in die gesellschaft irgendwie zu integireren. Nein, jedwede Abweichung ist Grund genug, die Kinder wegzusperren und verkümmern zu lassen, da “man denen ja eh nicht helfen kann und helfen sich nicht lohnen würde”.

Denkweisen vergangener Zeiten tragen immer noch, in der alles, was von der Norm abweicht keinen Platz in der Gesellschaft hat. Kurz, nachdem das Sowjetsystem in sich zusammen gefallen ist.

Es ist ein erschütterndes Portrait von Menschen, denen jeder Stein, der möglich ist, in den Weg gelegt wird, um Hilfe zu unterbinden. Ein Schriftstück voller Verzweiflung, Verbitterung und Wut, dass so etwas möglich war und möglich ist.

In vielen sozialen Einrichtungen Russlands, Heimen und diesen sog. Baby-Häusern (den Begriff gibt es so nicht, hier mussten die Autoren eine westliche Übersetzung schaffen, die etwa dem entspricht, was diese Einrichtungen sind) haben sich seit den 90er Jahren die Situationen kaum verändert. Das Buch selbst ist 2010 erschienen.

An Aktualität hat John Lahutskys Geschichte nichts eingebüßt.

Streckenlang schwer zu lesen, weil den Überblick zu behalten, ist nicht so leicht. So viele Menschen kamen mit Wanjas (Johns) Schicksal in Berührungen. So viele grausame und wenige positive Wendungen gab es.

Doch, immer wieder gibt es kleine Momente des Glücks und man weiß als Leser schon, dass es irgendwie gut ausgehen muss. Wenigstens das, da sonst John hätte kaum an diesem Roman hätte mitarbeiten können. So lässt sich das Werk dann auch lesen und durchhalten.

Ein erschreckendes Portrait mit viel Schrecken und einem Funken Hoffnung, dass viele solcher Geschichten das Schicksal von Betroffenen vielleicht nicht vollkommen, so doch ein klein wenig zum Positiven verändern kann.

Autor:

Dies ist die Kindheitsgeschichte eines der Autoren, Wanja, der erst in Amerika John genannt wurde. Eine weitere biografische Beschreibung erübrigt sich.

John Lahutsky: Wolkengänger Read More »