Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Inhalt:

Constanze zieht nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten in die Wohngemeinschaft von Jörg, Anke und Murat. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, entpuppt sich als zunehmend stabil. Da ist Jörg, dem die Wohnung gehört und der eine große Reise plant; Anke, die als mittelalte Schauspielerin kaum noch gebucht wird und plötzlich nicht mehr die einzige Frau in der WG ist; und Murat, der sich einfach keine Sorgen machen will und dessen Lebenslust auf die anderen mitreißend und manchmal auch enervierend wirkt.

Constanze sorgt als Neuankömmling dafür, dass sich die bisherige Tektonik gehörig verschiebt. Alle vier haben ihre eigenen Träume und Sehnsüchte und müssen sich irgendwann der Frage stellen, ob sie eine reine Zweck-WG sind oder doch die Wahlfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Ein Kammerspiel zwischen zwei Buchdeckeln ist der neue Roman „Wohnverwandtschaften“ der Hamburger Autorin und Übersetzerin Isabel Bogdan, die nun einem Ein-Pfauen- und einem Ein-Personen-Stück der Dynamik von Vieren folgt und so eine kurzweilige Erzählung schafft, deren Figuren einem praktisch sofort ans Herz wachsen.

Sie alle haben sich zusammengefunden, grundverschieden, doch zusammen ist man weniger allein, das gilt in verschiedener Art und Weise für die Protagonisten, deren Leben wir über den Zeitraum von zwei Jahren verfolgen, aus derer Sicht abwechselnd erzählt wird. Schnell bekommen Anke, Constanze, Murat und Jörg ihre Konturen innerhalb derer ihnen zugeschriebenen Kapitel, die mal als innerer Monolog als auch Gespräch zwischen mehreren daher kommen, jede Figur dabei in ihrem ganz eigenen Duktus.

ANKE: Ehrlich gesagt: Du bist manchmal ein bisschen unempfindlich für so was. Ist dir schon mal aufgefallen, dass alle anderen die Klotür hinter sich zumachen? Und etwas anhaben, wenn sie nicht allein sind.
MURAT: Ich wohne hier!
ANKE: Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit!
BEIDE lachen.

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

In diese Art Erzählstruktur muss man erst hineinfinden, doch schnell gewinnt man Übersicht, kann sich diese Wohngemeinschaft vorstellen, in der jeder seine inneren Konflikte und Gedanken einbringt, Haarrisse zeigen sich schnell, doch dunkle aufziehende Wolken fordern erst schleichend, dann immer mehr die Konfrontation.

Doch noch bleiben? Ich will gar nicht so richtig nach Hause, ich will nicht Jörgs Verwirrtheit ertragen, ich will nicht so gereizt reagieren, wenn er zum hundertsten Mal irgendein Quatsch fragt. Hoffentlich geht das wieder weg, es ist jetzt schon ganz schön lange so.

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Einzelne Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, mit zunehmender Seitenzahl verschärfen sie sich, was zugleich Auswirkungen auf das Erzähltempo hat. Der Konflikt der Gruppe ist glaubwürdig dargestellt, wird zum Handlungsgegenstand, um den sich alles dreht, könnte sich so reell abspielen. Man darf aber auch feststellen, dass Bogdans Figuren ein Glücksfall für das aufgebaute Szenario sind.

Eingebettet in der quirligen Hafenmetropole braucht es nicht viel, um mit dem Roman warm zu werden. Wer ein wenig sucht, findet jedoch Anspielungen aus Musik und Literatur oder aus dem ersten Buch Isabel Bogdans „Sachen machen“. Eine gewisse Band taucht da wieder auf. Ansonsten ist natürlich der Konflikt einer, wie er in vielen Familien irgendwann auftauchen dürfte. Wie hart aber, wenn es eine Gemeinschaft trifft, die man sich selbst erwählt hat? Es trifft mitten hinein ins Herz.

Aber bei Jörg ist was passiert, bei Jörg ist viel zu viel passiert, nur das Falsche, Jörg hat diesen riesigen Stein im Kopf, den man nicht ausgraben kann, es gibt keinen Spaten für die Versteinerung eines Gehirns, man muss doch irgendwas tun können? Irgendwas?

[…]

Wie soll das weitergehen?

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Das dröselt die Autorin feinfühlig auf, mitsamt einer Bandbreite vorstellbarer Reaktionen, wie sie in einer solch kompakt gehaltenen Erzählung möglich ist. Kein Wort ist dabei zu viel. Jeder Sprung, jede Lücke sind bewusst gesetzt, ergeben mitsamt der unterschiedlichen Figurenstile ein harmonisches stimmiges Bild.

Praktisch unmöglich, so gar keinen Zugang zu bekommen, gerade da es eine Thematik betrifft, die folgerichtig wie eindrücklich dargestellt wird, derer man bei einem selbst nahestehenden Personen (und wohl später auch bei sich selbst) zunächst nicht eingestehen möchte, dass sie problematisch ist.

Sie sind jetzt natürlich alle da, ich kenne die Gesichter, aber ich habe nicht alle Namen parat, […].

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften

Erkennt man es, ist es beinahe zu spät. Alle Tragik und Traurigkeit hat Isabel Bogdan hier hineingesteckt und doch ist „Wohnverwandtschaften“ ein lebensbejahender Roman und ein Appell, die gemeinsame Zeit, die man mit seinen Liebsten hat, zu genießen. Nicht nur deshalb lesenswert.

Autorin:
Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben. Ihre Romane „Der Pfau“ (2016) und „Laufen“ (2019) wurden verfilmt.

Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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