Film

Florian L. Arnold: Das flüchtige Licht

Inhalt:

Für den Monsignore, einen großen Filmemacher, ist das ganze Leben ein Schauspiel. Doch für den routinierten Regisseur ändert sich alles, als er das Straßenkind Enzo vor die Kamera holt. „Das flüchtige Licht“ erzählt die Geschichte von vier Menschen, deren leben durch das Kino und die Leidenschaft eines exzentrischen Geschichtensammlers bestimmt wird. (Klappentext)

Rezension:

Es ist eine Illusion, die nach dem Willen eines einzelnen Mannes entsteht, doch sobald die Linse ihren Auftrag erfüllt hat, verschwindet diese von Kameras eingefangene Welt. Der trockene Staub legt sich in den überhitzten Gassen, wenn die Schauspielenden und ihr Filmemacher verschwinden und den schönen Schein in Kisten verpacken. Fortan geht ein jeder wieder seine Wege. Bis zum nächsten Mal. Für Enzo, der einst eher zufällig in die Aufnahmen des Monsignore hineinplatzt, ist diese sehr flüchtige Welt real oder zumindest viel zugetaner als die Wirklichkeit, die es schon in seiner Kindheit nicht gut mit ihm meint.

Ausgeschlossen ist er dort gewesen, immer am Rande einer Gruppe von Jungen, die ihm den Zugang zu der kleinen und verschworenen Gemeinschaft verwehren, bis diese sich auflöst, als sie alle nach und nach aus ihrem Heimatdort ausbrechen. Doch auch danach lässt sie der rothaarige Schatten ihrer Kindheit nicht los. Die Welt der Illusionen hat Enzo da schon verschlungen.

Florian L. Arnolds Roman „Das flüchtige Licht“ ist eine Hommage an eben diese, der Hochzeiten des italienischen Kinos und dem Mann, der sie erheblich mitgeprägt hat. Fellini ist das Vorbild des Monsignore, der Figur, der Enzo Halt zu geben vermag, so lange dieser bereit ist, seine Geschichten zu erzählen, für die er dann ein Leben in der Welt der Cinecitta bekommt, die ihm jedoch immer wieder durch die Hände rinnt.

Langsam und behutsam nähern wir uns den Protagonisten an, deren Verhältnisse zueinander sich im Verlauf der Erzählung umkehren werden und doch nicht aus ihrer Haut heraus können. Dieses Spannungsverhältnis bestimmt den Roman, der selbst wie einer dieser italienischen Streifen wirkt. Man kann sie förmlich vor sich sehen, die Gassen, die Suche von Enzo nach sich selbst, der sich in die Abhängigkeit eines einzelnen Mannes begibt, der doch selbst von ihm, einmal in den Bann gezogen, nicht von ihm los kommt.

Die ruhig gehaltene Erzählung wirkt durch ihre Figuren, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Die verschworene Gemeinschaft, die sich einst schwor, immer zusammen zu bleiben, Kontakt zu halten, um sich dann letztendlich doch zu verlieren auf der einen Seite. Enzo auf der anderen, der da nie hinein finden wird und auch in der Welt des Monsignore die Rolle des Außenseiters übernehmen muss, um auf irgendeine Art und Weise doch dazu zugehören. Ist der Film im Kasten endet oft auch das, bis zum nächsten Mal.

Figuren entstehen zu lassen, die nicht mit-, aber eben auch nicht ohne einander können, schafft Arnold mit prägnanten Sätzen, auf den Punkt ausformuliert, ohne dass ein Wort zu viel wäre. Nur manchmal scheint diese beschriebene flüchtige Welt beim Lesen durch die Finger zu rinnen, wie es eben dem Medium eigen ist, welches Hauptgegenstand der Erzählung ist. Viel näher würde man gerne an den einzelnen Protagonisten dran sein. Es hätte nicht geschadet, hier und dort etwas länger zu verweilen.

Orte, die zu einander gegensätzlich sind, sind es auch, die diesen Roman ausfüllen. Der Kinosaal etwa, in dem man sich der Illusion für ein paar Stunden hingeben kann, im Kontrast zu den Gassen, die nach dem Dreh wieder einsam und verlassen sind. Auch das verschafft der Erzählung starke Momente.

Dieses Zusammenspiel verschafft mitsamt der Perspektivwechsel innerhalb der Kapitel einen Lesefluss, innerhalb dessen man die eine oder andere Figur für einen Moment verliert, um im nächsten einen einzelnen Satz zu lesen, der präzise formuliert die Geschichte vorantreibt. Wenn die Protagonisten dann zurückblicken, holt sie die Wirklichkeit mit ihrer ganzen Wucht schnell wieder ein, insbesondere Enzo, dessen Leben gleichsam der Filme, derer Bestandteil er ist, plötzlich leer scheint, als die letzte Szene gedreht, die letzte Geschichte erzählt ist.

Der Roman, der selbst wie ein Film wirkt, schafft es trotz seiner ruhigen Art und Weise, einem in den Bann zu ziehen. Auf jeder Seite ist das Herzblut des Autoren zu spüren, der an der Erzählung jahrelang gearbeitet hat, verpackt in wunderschöner Sprache, die ihr Ziel erreicht. Einzelne Momente hätte ich mir noch etwas mehr ausformuliert gewünscht, auch, dass einige der Charaktere einem nicht so schnell durch die Finger rinnen. Auch eine Bitte hätte ich, könnte sich jemand um die filmische Umsetzung kümmern?

Es wäre genial.

Autor:

Florian L. Arnold wurde 1977 in Ulm geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Illustrator. Er studierte in Augsburg Kunstwissenschaftler und war danach freiberuflich als Grafiker und Schriftsteller tätig und gab u. a. das Kunst- und Kulturmagazin ES heraus. Arnold ist Initiator und Programmleiter des Literaturfestivals Literaturwoche Donau in Ulm/Neu-Ulm und stellt dort seit 2013 die Arbeit unabhängiger Verlage vor. Auchin Neu-Ulm initiierte er das Begegnungsformat Literatur unter Bäumen, zudem kuratiert und moderiert er zahlreiche Veranstaltungen der Aegis-Buchhandlung in Ulm. Er veröffentlichte mehrere Romane, Erzählungen und ein satirisches Wörterbuch.

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Matthias Egeler: Elfen und Feen

Inhalt:

Dieser Band bietet kompetent und unterhaltsam einen Überblick über Geschichte und Geschichten der Elfen und Feen von ihren Ursprüngen in keltischen und nordischen Mythen bis in die Welt der isländischen „Elfenbeauftragten“ und von Harry Potter. Mal verstörende, mal zauberhafte Begegnungen mit Naturgeistern oder Gestalten wie etwa den Herrinnen von Avalon (Artussage), mit Elrond und Galandriel (Herr der Ringe), Titania und Oberon (Mittsommernachtstraum) oder auch Peter Pan verheißen Abenteuer und Lesevergnügen.

Zugleich wird deutlich, wie jede Epoche ihre eigenen Feen und Elfen hervorgebracht hat – und in den sich wandelnden Vorstellungen vom Übernatürlichen erkennen wir die Ängste und Sehnsüchte der jeweiligen Zeiten bis in unsere Tage. (Klappentext)

Rezension:

Heute ein fester Bestandteil der westlichen Populärkultur, haben seit ihrem Ursprung in der nordischen und keltischen Mythologie Elfen und Feenfiguren einen Wandel durchgemacht, der auf uns blicken lässt, die wir von ihnen erzählen. Dies gilt für ihre Gestalt, ebenso für ihre Fähigkeiten oder auch Rolle in unseren Gesellschaften. Jede Epoche hat eine eigene Anderwelt. Auf eine Reise durch die Geschichte bis zur Gegenwart nimmt uns der Autor Matthias Egeler mit und wirft damit auch einen Blick auf uns selbst.

Wenn es um Mythen und Legendengestalten geht, muss ein Rahmen abgesteckt werden, innerhalb dessen man sich orientiert, sonst ist die Gefahr sich zu verzetteln zu groß, gibt es doch von allen Geschichten regionale oder zeitlich zu verortende Varianten, weshalb sich der Experte für Altskandinavistik auf sein Fachgebiet konzentriert. Viele andere Figuren, mit denen man sich etwa im Mittelalter oder noch früher Naturphänomene oder Schicksalsschläge wie Krankheiten erklärt hat, hier nicht behandelt werden. Diese Beschränkung tut dem kompakt gehaltenen Sachbuch gut, gibt es doch immer noch genug Stoff zu erzählen.

Zwei Themenkomplexe werden hier abgebildet, zum einen der geschichtliche Wandel des Feenmythos im keltischen Raum, zum anderen der Bogen von den Gehöft ansässigen Elfengestalten im nordischen Island bis hin zur „Elfenbeauftragten“, die ursprünglich nur für den Tourismus eine Karte der verorteten historischen Plätze, derer man diesen Figuren auf dieser Insel zuspricht, zeichnen sollte.

Spannend wird hier beschrieben, wie Mythengestalten früher genutzt wurden, sich Krankheiten oder Kindersterblichkeit zu erklären, aber auch wie deren Rollen sich im Laufe der Zeit verändert haben. Mit zunehmender Modernisierung nahmen Kunst und Kultur der Anderwelt Macht und Einfluss, erst viel später etwa kam es zur Rückbesinnung auf die alten Geschichten.

Matthias Egeler räumt dabei auch Nebenkriegsschauplätze populärer Diskussionen auf Social Media auf, wenn es etwa um die Gestalt von Elfen und Kobolden der Harry Potter Filme und Bücher geht, ohne diese Auseinandersetzung explizit zu erwähnen, zeigt aber auch was Tolkin und andere bewirkt haben, aber auch wie die Theosophie ihre Zeichen gesetzt hat, bis hin zu gefälschten Fotos und Träumereien.

Zumindest letztere haben ein längeres Leben und so wird die Geschichte, wie sie Matthias Egeler zu erzählen weiß, wohl auch künftig fortgesetzt werden können. Dieses durchaus für den Verlag ungewöhnliche, jedoch gut recherchierte Sachbuch ist ein guter Einstieg in diese Welt.

Autor:
Matthias Egeler studierte zunächst Indologie, Nordistik und Indogermanistik, bevor er verschiedene Stationen in Oxford, Cambridge und München durchlief. An der Goethe-Universität Frankfurt/Main lehrt er als Professor für Altskandinavistik. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die altnordische Literatur- und Kulturgeschichte, sowie des mittelalterlichen Irlands.

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Filmblick: Wochenendrebellen

Mirco (Florian David Fitz) ist beruflich bedingt viel unterwegs, während seine Frau Fatime (Aylin Tezel) das fordernde Familienleben organisiert. Ihr zehnjähriger Sohn Jason (Cecilio Andresen) ist Autist und sein Alltag besteht aus täglichen Routinen und festen Regeln. Als der Familie Jasons Wechsel auf eine Förderschule nahegelegt wird, ist auch Mirco als Vater gefordert. Er schließt einen Pakt mit seinem Sohn: Jason verspricht, sich alle Mühe zu geben, sich in der Schule nicht mehr provozieren zu lassen, wenn Mirco ihm hilft, einen Lieblingsfußballverein zu finden. Allerdings will Jason sich erst für einen Verein entscheiden, wenn er alle 56 Mannschaften der ersten, zweiten und dritten Liga live in ihren jeweiligen Stadien gesehen hat. Dabei hat er sehr individuelle Kriterien – von Maskottchen, Nachhaltigkeit über Rituale der Spieler bis hin zu den Farben der Fußballschuhe. Auf ihren außergewöhnlichen Reisen durch Deutschland lassen Vater und Sohn die heimische Routine hinter sich und finden alles, was sie nie gesucht, aber definitiv gebraucht haben… (Leonine Studios)

Dies ist der neue Film von Richard Kropf und Marc Rothemund, die komprimiert die wahre Geschichte von Mirco und Jason von Juterczenka erzählen, die als Groundhopper durch die Republik, inzwischen schon viel weiter, von Station zu Station reisen und sich so gemeinsame Zeit miteinander und Verständnis für einander schaffen. In beiden Richtungen ist dies wichtig, für den Vater, der damit einen Zugang zu seinem Sohn findet, Verständnis gewinnt für Gegebenheiten, die der Autismus seines Sohnes mit sich bringt und für Jason zum einen tatsächlich das Ziel hat, seinen Lieblingsverein zu finden, aber eben auch in die andere Richtung ein Möglichkeit zu schaffen, zu verstehen, warum seine Umgebung so sehr anders tickt als er selbst, Strategien zu entwickeln, damit auch zurechtzukommen. Nur, funktioniert das? Zeit, wieder für einen Beitrag in der Kategorie -Filmblick-.

Wochenendrebellen – Trailer (Leonine Studios)

Vorangestellt zum einen, ich verfolge die Reisen und Unternehmungen der realen Wochenendrebellen schon längere Zeit, sehr lose zwar, aber die Buchvorlage, auf der der Film basiert, habe ich ebenso gelesen, wie ich auch die Podcast eher lose verfolge, um dies dann aus den Blick zu verlieren, nur um manchmal einige Wochen später, wieder ein Interview oder einen Beitrag in den sozialen Medien zu sehen, der mich dazu bringt, wieder auf den Blog vorbeizuschauen, gleichwohl ich mich nicht auch nur entfernt für Fußball interessiere, welcher natürlich im Leben der beiden eine Rolle spielt, aber ich selbst bin auch Autist.

Nicht in dieser Form, trotzdem so weit als Autist betroffen, dass ich bestimmte Handlungs- oder Denkweisen nachvollziehen kann oder eben selbst innehabe. Auch ich mag die Sicherheit von Routinen, bin sehr darauf bedacht, welche Essensbestandteile sich wie berühren und ob überhaupt, lebe meine Spezialinteressen, um nur einige Punkte zu nennen. In anderen weiche ich davon ab und hier sind wir bei einem sehr großen Plus des Filmes, der Jasons Geschichte erzählt, wenn auch komprimiert, in dieser Hinsicht aber authentisch bleibt, aber eben auch klarstellt, dass Autismus eben nicht für alle Betroffenen gleichermaßen festgemacht werden kann, sondern dies ein Spektrum ist, innerhalb dessen man verortet wird, um mal mit diesem Bild zu sprechen. Nicht alle Autisten sind hochbegabt, sprechen nicht oder können aus dem Gedächtnis ganze Städte aufzeichnen, inklusiver der korrekten Anzahl von Fenstern an Gebäuden. Es gibt bestimmte Merkmale, in welcher Ausprägung die vorhanden sind oder überwiegen, ist verschieden.

Wochenendrebellen
Regie: Marc Rothemund
Drehbuch: Richard Kropf
Darsteller (u. a.): Cecilio Andresen, Florian David Fitz, Aylin Tezel
Kinostart D: 28.09.2023
Wiedemann & Berg Filmproduktion, Leonie Studios

Mit diesem Rahmen ausgestattet, zeigt der Film sehr gut, was Autismus für Autisten, aber eben auch für die Umgebung bedeuten kann, was nicht zuletzt dank einer großartigen Besetzung gelingt und, wenn man so das eine oder andere Interview von Jason und Mirco von Juterczenka verfolgt, im Grundsätzlichen bei allen Figuren gelungen ist, so hervorzuheben Joachim Krol, der als Opa dem Jungen vom Verständnis her am nächsten steht, aber auch die Eltern, die in ihrer Verzweiflung, in ihrem Stress mit der Ausgangssituation zueinander und auch gegenüber Jason selbst, einen Weg finden müssen, damit umzugehen. wunderbar spielen hier Aylin Tezel und Florian David Fitz, neben einen ganz jungen Darsteller, der die restliche Besetzung an die Wand zu spielen vermag.

Cecilio Andresen, wie alt wird der Junge während der ersten Castings gewesen sein, neun oder zehn Jahre alt vielleicht, ist bisher die beste Besetzung eines Nicht-Autisten für die Rolle eines Autisten, die ich bisher auf der Leinwand gesehen habe. Die Emotionen, die Zerissenheit, aber auch das Absolute, den Kämpferwillen in Gestik, Mimik so umzusetzen, hat einem um und lässt nicht unberührt. Aus Interviews ist zu erfahren, dass er ganz viele Fragen dem realen Jason von Juterczenka gestellt, im viel erklärt wurde. Das hat sich unbedingt gelohnt. Es ist die beste schauspielerische Leistung in diesem Film, über dessen gesamte Länge. Und so , auch natürlich weil man primär kein Film über eine „Krankheit“ machen wollte, sondern primär über eine Geschichte, ist für mich die Besetzung eines Nicht-Autisten hier in Ordnung.

Siehe auch, warum ist Jasons Darsteller nicht autistisch? Beitrag der Wochenendrebellen (wochenendrebell.de)

Unterstützt werden die Spielszenen durch einen gekonnten Schnitt und der visualisierung für Autisten ausschlaggebender Stressfaktoren wie Geräusche, die in Szene gesetzt werden. Das macht es auch für Nicht-Autisten leicht, die Faktoren nachzuvollziehen, die Jason als Autist, ich möchte nicht sagen, einengen, aber doch das Leben ungleich schwerer machen. So abgerundet braucht es diesen Film, der sehr viel zum Verständnis für Autisten in die richtige Richtung bewegen kann, wenn auch man sich die Frage stellen darf, ob ein angeschrieener Kinder-Torwart und ein Vereinsmaskottchen demnächst zusammen eine Therapie-Gruppe besuchen (einfach den Film anschauen, dann wird dieser Satz verständlich).

Am Ende ist klar, der Weg der beiden geht weiter und auch für die realen Vorbilder ist die Reise noch lange nicht zu Ende. Immer noch besuchen beide Stadien, unternehmen Reisen, engagieren sich z. B. für den Klimaschutz oder der Neven-Subotic-Stiftung, was zwar nicht Bestandteil des Films ist, aber hier ausdrücklich erwähnt werden soll. Auch das nächste Buch-Projekt ist bereits in Arbeit. Es lohnt sich also, Mirco und Jason von Juterczenka nicht aus den Augen zu verlieren. Vielleicht gelingt es durch den Film auch dafür zu interessieren, nicht nur für das Verständnis für Autisten.

Relativ wenig an Filmen habe ich in diesem Jahr gesehen, doch nicht nur für diese Zeitspanne ist für mich „Wochenendrebellen“ einer der besten Filme und einer unbedingten Empfehlung wert. Unbedingt ansehen.

Jason ist zwölf, er hasst Menschenmassen, liebt Routinen und interessiert sich für Chaostheorie. Seinen Alltag strukturieren feste Regeln, die nicht gebrochen werden dürfen. Darüber wacht er gnadenlos genau. Jason ist Autist. Seit seinem sechsten Lebensjahr reist der hochintelligente Junge mit Vater Mirco um die Welt, um seinen Lieblingsfußballclub zu finden. Die Fußballtouren entwickeln sich für die beiden zum Lebensprojekt, denn wie es ist, Fan zu sein, begreift man nur im Stadion. Dort gelten ausnahmsweise eigene Regeln. »Wir Wochenendrebellen« erzählt ehrlich und mit viel Humor von einem ganz besonderen Team auf der Suche nach einem Gefühl. (Verlagsangabe)

Anmerkungen dazu:
Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films ist das Buch relativ schwer im Buchhandel zu bekommen, zumindest bei den großen Ketten hatte ich kein Glück. Der Verlag wird da sicherlich aber dran arbeiten.

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Filmblick: Maurice, der Kater

Maurice, der Kater

Ratten, überall Ratten! Sie schlummern in Brotkästen, tanzen auf Tischplatten und klauen Torten dreist unter den Augen der Bäcker… Was also braucht jede Stadt? Einen geschickten Rattenfänger! Auftritt Maurice – ein gewiefter sprechender Kater, der die perfekte Masche entdeckt hat, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Gemeinsam mit dem naiven Menschenjungen und Flötenspieler Keith und einer kunterbunten Truppe schlauer sprechender Ratten zieht er von Dorf zu Dorf, um die Bewohner um ihr Geld zu erleichtern. Alles läuft wie am Schnürchen, bis das ungewöhnliche Team in dem entlegenen Dorf Bad Blintz ankommt und feststellen muss, dass ihr Plan diesmal nicht aufgeht. Doch Maurice wäre nicht Maurice, wenn er nicht mit jeder Menge List und Tricks versuchen würde, das düstere Geheimnis des kleinen Städtchens zu lüften… (Filmwebsite)

Film-Trailer „Maurice, der Kater“ (Telepool)

Wer zuletzt das Gefühl gehabt hatte, das Haustier wäre mehr als nur verständig, der hat unbedingt Recht. Doch entführt „Maurice, der Kater“ nicht nur Katzen- und Ratten-Fans in eine wundersame Welt. Das Kinderbuch als Teil der Scheibenwelt von Terry Pratchett, welches dem Autor die Carnegie-Medaille einbrachte, flimmert ab den 9. Februar 2023 über die Leinwände der deutschen Kinos. Wir durften schon eher rein und können sagen, es lohnt sich.

Meist geht mir Fantasy ab. Ich habe mit diesem Genre kaum Berührungspunkte, zumal in schriftlicher Form dies meist als, zumindest gefühlte, Endlos-Serie bzw. -Reihe konzipiert wird und so habe ich auch noch keine einzige Geschichte der Scheibenwelt mir zu Gemüte geführt. Um so mehr war ich gespannt, wie der Film für mich funktioniert, der jetzt gar kein Hintergrundwissen hat, aber auch, wie die Fans Terry Pratchetts diese Umsetzung aufnehmen. Zur Preview waren alle vertreten. Ältere, jüngere, Fans und solche wie mich, die man jetzt nicht unbedingt als Hardcore-Fans bezeichnen würde.

Es funktioniert. Von der ersten Minute an, ziehen die Figuren, herrlich eingesprochen von Bastian Pastewka, Janin Ullmann und Jerry Hoffmann einem in ihren Bann, unterstützt durch zahlreiche Anspielungen auf die Scheibenwelt, die ich mir irgendwann einmal alle erklären lassen oder selbst erschließen muss (Je nachdem, was länger dauert.). Sie müssen in jedem Fall vorhanden gewesen sein. Irgendwo im Saal hat immer jemand geschmunzelt, gekichert, gelacht. Das Motiv der vielbesagten Schildkröte habe aber selbst ich erkannt. Während für die Erwachsenen sicherlich die Referenzen an die Vorlage wichtig waren, haben Kinder mit „Maurice, der Kater“ ein spannendes Abenteuer zum Anschauen, liebevoll animiert in einem sehr plastisch wirkenden Stil, teilweise überzeichnet bis ins Urkomische. Spannend für die Kleinsten ist es außerdem. Für leicht schreckbare Kinder ist es an manchen Stellen mit Vorsicht zu genießen. Ansonsten, geht ins Kino oder holt den Film euch später nach Hause. Es lohnt sich, Maurice, dem Erstaunlichen zu folgen.

Das erste Märchen von der Scheibenwelt.

Die Geschichte vom Rattenfänger: mit Witz, Ironie und tieferer Bedeutung genial neu erzählt.

Maurice ist ein geschäftstüchtiger Kater, der auf Scheibenwelt mit einer Truppe schlauer Ratten unterwegs ist. Man veranstaltet zünftige Rattenplagen, organisiert die Befreiung mit Hilfe eines Flötenspielers und teilt sich den Lohn. Das funktioniert, bis die Ratten auf ein Buch der Menschen stoßen, das bei ihnen ein soziales Gewissen und nationalen Ehrgeiz weckt. Sie beschließen, ein eigenes Königreich zu gründen …
(Inhalt lt. Verlag)

Website I Agentur Jetztundmorgen

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Florence Aubenas: Er ist keiner von uns

Inhalt:

Ein Dorf in der französischen Provinz, Dezember 2008. Um 8:30 Uhr schließt Catherine Burgod die kleine Postfiliale in der Dorfmitte auf. Eine halbe Stunde später ist sie tot, mit achtundzwanzig Messerstichen brutal ermordet. Die aufgebrachte Bevölkerung sucht einen Schuldigen, und der Verdacht fällt auf den Fremden im Dorf …

Nach jahrelanger Recherche erzählt die preisgekrönte Journalistin Florence Aubenas die Geschichte dieses bis heute ungelösten Kriminalfalls – atmosphärisch, packend und erschütternd. (Klappentext)

Rezension:

Eigentlich ein vergleichsweise belangloser Kriminalfall, ist der im französischen Monreal-la-Cluse geschehene Mord an einer Postangestellten ein Geschehen, welches bis heute viel mehr Fragen aufwirft als beantwortet werden können, zumal der für lange Zeit Hauptverdächtige kurz vor einer letzten Gegenüberstellung spurlos verschwand.

Die Journalistin Florence Aubenas hat recherchiert und nicht nur ein Ermittlungsporträt erstellt, auch ein spannend zu lesendes Psychogram eines Menschen, der tiefer kaum fallen konnte.

Hierzulande kaum bekannt, dürfte dieser Fall in Frankreich ein paar Wellen geschlagen haben, ist der des Mordes Hauptverdächtige kein geringerer als der für seinen Film „Le petit criminel“ 1991 mit dem Cesar ausgezeichnete Jungschauspieler Gerald Thomassin, dessen Biografie schon zuvor mit zahlreichen Hindernissen und Stolpersteinen gespickt war.

Aufgrund von Drogen- und Beziehungsproblemen verschlug es ihn später in den Ort, der Jahre später zum Schauplatz eines Verbrechens werden sollte, was die Region erschüttern sollte. Aufgrund von getätigten Aussagen und Formulierungen Thomassins selbst, rückt dieser schnell in der stetig kleiner werdenden Liste der Hauptverdächtigen, was eine über Jahre andauernde Dynamik ins Rollen bringen sollte.

Die Autorin rollt den Fall auf und beleuchtet von allen Seiten die Biografie Thomassins und die Dynamik eines Geschehens, welche eine örtliche Gemeinschaft auseinanderbrechen ließ und nicht nur ein Leben zerstörte. Beinahe an der Grenze zum Roman schlüsselt Aubenas Ereignisse auf, sucht Wendepunkte und Puzzleteile zusammen zu setzen.

Dabei streift sie die Abgründe der Gesellschaft, ebenso den Kontrast zur gegensätzlichen französischen Filmwelt, aber eben auch die Innereien einer Justiz- und Ermittlunsgarbeit, die zwangsläufig irgendwann auf die Stelle tritt, wenn alle Spuren und Indizien kaum handfeste Ergebnisse zu Tage befördern.

Vor allem versucht sie einen Charakter zu verstehen, welcher schon zu Zeiten seines schauspielerischen Schaffens für die ihn Umgebenden kaum zu fassen gewesen sein muss, beschäftigt sich jedoch auch mit der gegenüberstehenden Seite. Was macht dies mit den Angehörigen, denen man das Liebste nimmt? Welche Sichtweisen entstehen, wenn man die für selbstverständlich wahrgenommene Sicherheit herausnimmt?

Sehr sachlich, ruhig geht die Journalistin hier vor, so dass man das Gefühl hat, ohne die Quellenlage freilich genau zu kennen, dass hier intensiv recherchiert und befragt wurde. Vom Stil her kann man diese Reportage den Büchern Asne Seierstads zuordnen oder Michelle McNamara, die ebenfalls zu Fällen ihrer Heimatländer recherchierten.

Vieles bleibt aufgrund der Informationslage dennoch im Verborgenen, so musste Aubenas ergänzen und Schlüsse ziehen. Wirklich gelöst wurde der Fall nie, wenn auch gegen Ende der Ermittlungen sich ein neues, anderes Bild ergab als dies zunächst schien.

Wer sich mit dem französischen Film etwas tiefgehender beschäftigt, wird um die Geschichte des Schauspielers Gerald Thomassin und seine Verwicklungen in diesem Kriminalfall wohl früher oder später kaum drum herumkommen. Für andere mag die beschriebene Dynamik oder Arbeit des Rechts- und Justizsystems eines anderen Landes ein interessanter Aspekt sein, sowie die psychologische Komponente oder gesellschaftliche Wahrnehmung.

Der Schreibstil, oder die Übersetzung haben hier ein paar Längen entstehen lassen, zumal man gen Ende lesend genauso ratlos sein wird, wie Angehörige, ermittelnde und die Journalistin selbst. Wird dieser Fall jemals gänzlich gelöst werden können?

Autorin:

Florence Aubenas wurde 1961 in Brüssel geboren und ist eine französische Journalistin. In Paris studierte sie bis 1984 an der Journalistenschule „Centre de formation des journalistes“ und arbeitete anschließend bei einem Wirtschaftsmagazin.

Seit 1986 ist sei bei der Zeitung „Liberation“ tätig und war als Kriegs- und Krisenreporterin in Ruanda, Kosovo und Afghanistan im Einsatz. Über den Völkermord von Ruanda und über die Globalisierung schrieb sie viel beachtete Bücher. 2010 wurde ihr im Stile Günter Wallraffs veröffentlichter Bericht über die Erfahrungen als Putzfrau in Frankreich ein Beststeller, der auch ins Deutsche übersetzt wurde.

Während ihrer Arbeit in Bagdad wurde sie entführt und erst nach fünf Monaten Geiselhaft wieder freigelassen. Ihre literarisch aufgearbeiteten Recherchen wurden mehrfach ausgezeichnet.

Auch interessant:

Wikipedia-Eintrag zu Gerald Thomassin

Dokumentation über den Kriminalfall (französisch)

Trailer zu „Le petit criminel“ mit Gerald Thomassin

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Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937

Inhalt:

Schauprozesse und Massenverhaftungen markieren den Höhepunkt von Stalins diktatorischer Herrschaft. Im Schatten des Terrors aber scheint der Traum einer neuen Gesellschaft Gestalt anzunehmen: Gigantische Bauprojekte verändern das Stadtbild, sowjetisches Hollywoodkino, Fliegerhelden und Sportspektakel begeistern die Massen. Karl Schlögels neues Meisterwerk schildert ein russisches Schicksalsjahr, das in der europäischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. (Klappentext)

Rezension:

Im Blick auf die Zivilisationsbrüche der 1930er Jahre herrscht eine auffallende Asymmetrie. Eine Welt, der sich im kollektiven Gedächtnis nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatten, fehlen oft Workuta, Kolyma oder Magadan. Auch in Stalins Riesenreich vollzog sich ein totalitärer Wandel, dessen Opfer spätestens mit der Festigung des Eisernen Vorhangs zum zweiten Mal hinter einer Mauer des Schweigens verschwanden und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der zaghaften Öffnung von Archiven wieder zum Vorschein kamen.

Dabei ist das Moskau 1937 ein Schauplatz europäischer Geschichte, viel facettenreicher und durchmischter, als das die damaligen Machthaber wahrhaben wollten. Die Welle des Terrors, mit der Stalins getreue, die nicht selten selbst derer Opfer wurden, fegte um so heftiger über die Metropole an der Moskwa hinweg. Der Historiker Karl Schlögel zeichnet dies nach und schaut dabei nicht nur auf die großen Schauprozesse, sondern auch auf eine immer mehr verängstigte Gesellschaft im erzwungenen Wandel.

Das sehr detaillierte Sachbuch des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel erfährt, 2008 erstmals erschienen, durch die tagespolitischen Ereignisse eine Aktualität, die ihres Gleichen sucht, ist die Geschichte der Stalinschen Terrors doch untrennbar mit dem verbunden, was danach passieren sollte, auch, was passiert, wenn Verarbeitungs- und Erinnerungskultur nicht in dem Maße wirken können, wie dies in der Mitte des europäischen Kontinents in Sachen Holocaust der Fall ist.

Dabei wagt der Autor einen Rundumblick, soweit es damals schon die geöffneten Archive in Russland zugelassen haben und führt die Leserschaft ein, in ein pluralistisches Moskau, welches es nach 1937 so nicht mehr gab. Schlögel zeigt eine Vielfältigkeit auf, die sich nicht nur in Architektur und Fortschrittsglaube widerspiegelte, sondern auch in Kunst und Kultur, sowie Technik. Der junge Staat wollte sich der Welt präsentieren, zugleich die Machthaber im Kreml ihren Status sichern und festigen. Kapitel für Kapitel beschreibt Schlögel einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Kosmos‘ einer Metropole, die im Zuge des Stalinschen Terrors in seine Bestandteile zerfiel. Das letzte Adressbuch für lange Zeit, 1936, steht am Anfang dessen, sowie Kongresse und Ausstellungen, die die Welt bewegten, während anderswo in Europa bereits zuvor dunkle Wolken dem vorauseilten, was später die Welt in den Abgrund stürzen sollte. Danach folgte nur noch Terror, mit all seinen schrecklichen Folgen.

Der beschriebene Zeitraum ist überschaubar, nicht so sehr die geschehenen Ereignisse und beleuchteten Perspektiven, deren Biografien abrupt 1937/38 endeten. In seinem Standardwerk nimmt sich der Historiker Zeit für einzelne gesellschaftliche Aspekte, die Beschränkung liegt allein im stadtgeografischen Raum, den Stalins Getreue mit Gewalt umformen wollten. Hier versinkt man in Details, was sehr nüchtern, teilweise sehr schwerfällig zu lesen ist, doch auch so sein muss, wenn man ein umfassendes Gesamtwerk erhalten möchte.

Fragen kommen auf, wie jene, warum selbst ehemalige Minister und Beamte, die an der ersten Terrorwelle beteiligt waren, in Schauprozessen angeklagt, selbst absurde vorgefertigte Geständnisse und Schuldbekenntnisse unterschrieben? Im Wissen um die Mechanismen des Machterhalt Stalins. Der Historiker beleuchtet das Geschehen an verschiedenen Schauplätzen Moskaus, den Blick der Einheimischen, der alten und der neuen Elite Russlands, sowie die Betrachtung der Emigranten und Exilanten, den Blick Amerikas auf das neue Moskau, sowie diesem auf sich selbst. Nach und nach setzt Schlögel hier ein Puzzle zusammen, welches abrupt zum Stillstand kam, als ein anderes Land Europa mit Gewalt und Terror überziehen sollte.

Karl Schlögel spricht hier den interessierten Laien mit Vorkenntnissen an, sowie Kenner der Historie und hat mit seinem geschichtlichen Standardwerk Grundlage für Diskussionen und weitere Betrachtungen gelegt, denen sich Andere annehmen können. Vieles von dem, was später in der Sowjetunion passierte, wäre ohne das Jahr 1937 nicht denkbar. So ganz ohne Vorkenntnisse geht es jedoch nicht, die mit Quellen gut unterfütterte Lektüre, ergänzt durch eine historische Karte des Schauplatzes, ist ohne dies nicht leicht lesbar. Zu viele Namen mussten erwähnt, zu viele Biografien und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

Die Lektüre, die nur vor allem die Konzentration der Lesenden gewinnt, ist erhellend. Fraglich nur, wie viele Fakten letztendlich hängen bleiben und was die noch ausführliche Betrachtung eines einzelnen Aspekts des gesellschaftlichen Wandels Moskaus noch zusätzlich für Erkenntnisse bringt. Hier ist die Grundlage dafür, dies auszuprobieren und um sich, in turbulenten Zeiten, neue Perspektiven zu schaffen. In diesem Sinne, zu empfehlen.

Autor:

Karl Schlögel wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er studierte u. a. Soziologie, osteuropäische Geschichte und Slawistik in Berlin und schrieb seine Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. 1982 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Moskau, wo er sich mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte, arbeitete anschließend als Privatgelehrter und freier Mitarbeiter für den Rundfunk.

Er veröffentlichte dort, sowie in mehreren Magazinen und Zeitungen, bevor er eine Professur für Osteuropäische Geschichte in Konstanz erhielt, sowie 1995 die selbe in Frankfurt/Oder. Von 2003 bis 2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Universität.2013 wurde er emeritiert. Er konzipierte mehrere Ausstellungen und Zeitschriften mit, war Mitglied der Jury des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und beschäftigt sich seit Beginn der Krimkrise intensiv mit der Geschichte der Ukraine. 2013 wurde er mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet, welche er 2014 ablehnte. 2018 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, ein Jahr darauf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

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Kurzblick: „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg

Die Karten für „Harry Potter und das verwunschene Kind“ hatte ich bereits 2019 im Vorverkauf erworben und so war ich sehr froh, dass ich mir das Theaterstück diese Woche ansehen konnte. Dazwischen lagen mindestens drei Umbuchungen. Pandemiebedingt, ihr kennt das.

Ich liebe alles an dieser Welt. Die Bücher, das Zusatzmaterial, die Filme, diverse Fanfictions, den Merch. Natürlich musste da auch irgendwann ein Besuch des Theaterstücks sein. Nur, Hamburg ist einfacher als London zu realisieren, in sofern war klar, dass ich mir die Aufführung im Mehr-Theater ansehen werde, wenn ich auch zum Original nicht sein sagen würde. Aber erst einmal hinkommen.

Ansicht von draußen auf den Haupteingang des Mehr-Theaters in Hamburg. (Quelle: instagram/findosbuecher)

Dienstag war es dann so weit. Ich hatte Teil 1 und 2 am gleichen Tag gebucht, war natürlich, wie immer, viel zu früh da. Das Hotel war in Laufweite. Es ist schön, wenn du dir über öffentliche Verkehrsmittel keine Gedanken machen musst. Kommen die pünktlich? Steigst du an der richtigen Stelle aus? So bin ich den Weg einfach ein paar Tage vorher einmal abgelaufen, wusste so, wohin ich gehen muss.

Anderthalb Stunden vorher wird man auf das Gelände gelassen. Wichtig ist die Zeitspanne vor allem für die, die mit Auto kommen. Parkplätze gibt es nur begrenzt. Zu Fuß ist das alles etwas entspannter. Man geht dann gleich in eine Art Pavillion, noch nicht das eigentliche Theater hinein, dort kann man eine Kleinigkeit essen und trinken, auch in der großen Pause zwischen den beiden Teilen, wenn man kein Hotel-Paket gebucht hat, und dort sein Essen einnimmt. Außerdem kann man vorher noch diverse Snack- oder Getränkepakete buchen, brauche ich nun auch nicht. So genügte mir ein kleiner Kaffee und ein Donut.

Danach ging es in das Theater selbst hinein. Dort gibt es Garderoben, die man mit Karte bezahlen kann. Wenn man nicht, wie ich, überpünktlich ist. Die ersten fünfzig Personen an der Garderobe mussten an den Tag nichts bezahlen. Ob das immer so ist, weiß ich nicht. An mir hat das Theater im Laufe des Abends dennoch gut verdient, möchte ich meinen.

In den Vorräumen, rechts und links kommt man zur Lounge, wenn man die gebucht hat, in jedem Fall aber an einer Besetzungsliste vorbei, die digital angezeigt wird. Vor dem ersten Teil goldgelb hinterlegt, vor der zweiten Show dunkel hinterlegt. Und man kann weiter Snacks kaufen. Hier wird’s magisch. Schokofrösche und -zauberstäbe etwa. Aber auch Popcorn oder Brezeln und Eis, sowie Getränke. Sollte man aber vor Beginn des Theaterstücks verzehren.

Mit hineinnehmen darf man Snacks nämlich nicht. Und man kann Merch kaufen. Viel Merch, Lizenzware. Ich habe heute einmal in einem Buchladen und auf der Homepage von Elbenwald geschaut. Die Zauberstäbe dort sehen tatsächlich anders aus als die, die im Theater verkauft werden. Neben einen davon landete das Skript-Buch in der Bühnenfassung, ein größeres Programmheft und ein Buch über die Entstehung des Theaterstücks allgemein in meinen Besitz. Zudem noch ein Hoodie und eine CD mit der Theatermusik. Leider hatten sie keine Häuser-Schals mehr. Davon hatte ich einen zumindest gedanklich schon eingeplant.

Fünfzehn Minuten vor Beginn wurden die Türen zum Saal geöffnet. Treppenaufgänge, Vorräume und der Saal selbst waren an den Wänden mit Patroni-Figuren geschmückt, der Teppich mit den Hogwarts-Logo ist wunderschön.

Ich möchte auch so etwas haben. Gesessen habe ich übrigens in der ersten Reihe Balkon. Über die Preise spreche ich nicht. Beim Ticketkauf (und vor allem nach den Merch) zaubert man sich schnell von Dagobert zu Donald Duck.

Die Akkustik muss aber von überall gut gewesen sein. Ich habe niemanden klagen hören, dafür die Schauspieler immer gut verstanden.

Jetzt zur Geschichte. Ja, sie hat natürlich Mängel und Logikfehler, vor allem zu Beginn. Im Gegensatz zur Rehearsal-Fassung wurde aber noch sehr viel daran gearbeitet, wenn ich die richtig in Erinnerung habe und wenn man einmal in der Geschichte sich wieder eingefunden hat, dann kann man die auch verschmerzen. Gut verschmerzen sogar, denn die Schauspielenden machen ihre Sache großartig, dazu gibt es eine gehörige Portion Tricktechnik und Magie. So finden alle etwas für sich. Es ist kein Musical, kein Theaterstück, keine magische Show, kein Tanztheater, sondern irgendwie alles und da mit hohem Niveau.

Zur Besetzung, Hermine und Rose werden auch in der deutschen Variante von People of Colour gespielt, was ich großartig finde. Harry als Kind war in meiner Aufführung Bolle, dessen Pressebild ihn als rothaarigen Jungen zeigt. Haarfarbe geht aber unter, er ist in abgedunkelten Szenen zu sehen, so dass man die Naturhaarfarbe nicht mitbekommt. Es gibt ein Wiedersehen mit alten Bekannten, viel Fan-Service und die Schauspielenden für die Rollen Snape und Umbridge machen ihre Sache so gut wie die Vorbilder im Film.

Und ja, für zwei mal drei Stunden braucht man viel Sitzfleisch auch wenn die Einzelteile auch nochmal jedes eine eigene kleine Pause haben. Möchte einmal behaupten, dass das für Viellesende kein Problem darstellen sollte, zumindest hatte ich keines. Man bewegt sich ja auch beim Lesen nicht unbedingt großflächig. Ein Hotel in der Nähe, siehe oben, ist jedoch empfehlenswert. So kann man in der großen Pause einmal sich kurz frisch machen, seine Sachen ablegen, die man eventuell gekauft hat. Man kann mit der Eintrittskarte dann auch wieder ohne Probleme ins Theater hinein.

Und erlebt dann den zweiten Teil. Bis auf die Figur des Scorpius Malfoy, die sehr überdreht wirkt, hat es mir insgesamt doch so gefallen, dass ich positiv überrascht und gestimmt aus der Aufführung herausgegangen bin. Auch eine Wiederholung des Besuchs kann ich mir sehr gut vorstellen. Das Warten hat sich für mich gelohnt und ich kann das Stück nur weiterempfehlen.

Mitgekommen sind:

– CD der Theatermusik

– Skript-Buch (Bühnenfassung)

– Buch über die Entstehung des Theaterstücks

– ausführlicheres Programmheft für das Hamburger Stück

– Hoodie HP und das verwunschene Kind

– Zauberstab von Albus Serverus Potter (Lizenzware, der von Elbenwald ist was anderes)

Was soll ich sagen? Ich bin halt ein Fan-Boy. (Quelle: Instagram/findosbuecher)

– ein Schokofrosch

Euer findo.

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Christian Bommarius: Im Rausch des Aufruhrs – Deutschland 1923

Inhalt:

Franzosen und Belgier besetzen das Ruhrgebiet. Tucholsky wirft hin und geht zur Bank. Hemingway wird nicht bedient. Das Rheinland will sich vom Reich abspalten. Anita Berber hat sie alle in der Hand, Joseph Roth steht vor dem Durchbruch. In Hamburg proben Kommunisten den Aufstand und Hitlers Bierkellerputsch scheitert in München blutig. Ein Brot kostet 399 Milliarden Mark.
(Klappentext)

Rezension:

Die neue Demokratie steht auf wackligen Beinen, akzeptiert wird sie nur von wenigen. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs ist noch nicht zu lange her. Einen Weg zur Stabilisierung hat man noch nicht gefunden, gefundenes Fressen für radikale Kräfte. Das Geld verliert immer mehr an Wert. Bald schon wird der Lohn in Schubkarren ausgegeben werden müssen.

Für Banken arbeitende Druckereien suchen händeringend Angestellte. Auch ein späterer Propagandaminister, sowie ein kranker Schriftsteller finden sich hinter Bankschalter wieder. Es ist das Jahr 1923, kurz bevor der deutsche Staat sich zu stabilisieren beginnt und zugleich auch Risse bekommt, die ihn später mit zu Fall bringen sollten. Der Journalist Christian Bommarius hat sich mit der rührigen Zeitspanne von zwölf ereignisreichen Monaten beschäftigt.

Ein Sachbuch als historischer Kalender, dies ist die Aufmachung, in der jedem Monatskapitel zunächst eine Übersicht der zu den Zeitpunkt stattfindenden Ereignisse vorangestellt wird, eingeführt durch jeweils mehrere bezeichnende Fotos. Fast literarisch wird die Zusammenfassung danach aufgefächert. Wir begleiten Politiker und solche, die es einmal werden, Putschisten, Künstler und Literaten durch dieses flirrende Jahr und einen geschassten Monarchen, der von seiner Rückkehr träumt.

Die Fakten sind bekannt. Beiderseits der Grenze des Ruhrgebiets, welches von den Franzosen besetzt wird, nichts Neues. Trotzdem wirken die Texte zuweilen hölzern. Leichtgängig ist etwas anderes. Ein Lesefluss entsteht alleine nicht durch den vielseitigen Wechsel der beschriebenen Ereignisse, die zwar ausgiebig recherchiert wurden, aber für Sprunghaftigkeit wirken. Es gilt, Überblickswissen zu erlangen. Wer dieses bereits hat, sollte sich spezialisierter Lektüre zuwenden. Hier wird Grundlagenwissen aufgefrischt.

Eine gute Ergänzung ist das Personenverzeichnis hintenan, welches einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der im Text aufgeführten Biografien gibt, deren Weichen auch und besonders im Jahr 1923 gestellt wurden.

Was sehr interessant dargestellt wird, sind die Auswirkungen der Inflation auf die einzelnen Wege der jeweiligen Personen, doch immer dort, wo es spannend wird, erfolgt der Wechsel zum nächsten Momentum. Dabei hat der Autor ein umfangreiches Detailwissen vorzuweisen. Vielleicht wäre hier die Konzentration auf einen Bereich, etwa Kunst und Kultur, nur Wirtschaft oder nur Politiker, vorteilhafter gewesen? Eine Einführung und Übersicht ist es jedoch allemal.

Autor:

Christian Bommarius wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften und Germanistik, bevor er als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht arbeitete. Er war von 1998 bis 2017 Redakteur bei der „Berliner Zeitung“, anschließend Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“. Er arbeitet zudem als freier Autor und wurde bereits mit dem otto-Brenner-Preis (2018) und den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Berlin, ausgezeichnet.

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Unda Hörner: 1929 – Frauen im Jahr Babylon

1929 - Frauen im Jahr Babylon Book Cover
1929 – Frauen im Jahr Babylon Unda Hörner ebersbach & simon Erschienen am: 19.08.2020 Seiten: 253 ISBN: 978-3-86915-213-4

Inhalt:

1929 – die wilden Zwanziger entfalten noch einmal ihre volle Blüte, es ist ein letzter Tanz auf dem Vulkan. Marlene Dietrich spielt die Rolle ihres Lebens in Der Blaue Engel, Vicki Baum wird mit Menschen im Hotel weltberühmt und Lotte Jacobi zur Starfotografin der Berliner Prominenz.

Clärenore Stinnes tourt todesmutig im Auto um die Welt, Louise Brooks öffnet in Berlin Die Büchse der Pandora und Lotte Lenya feiert als Seeräuberin Jenny in der Dreigroschenoper triumphale Erfolge. Unda Hörner lädt ein zu einer faszinierenden Zeitreise auf den Spuren berühmter Frauen und entwirft ein facettenreiches Panorama weiblicher Kulturgeschichte im Jahr Babylon. (Klappentext)

Rezension:

Immer bedrohlicher zeigen sich dunkle Wolken am Himmel, als die letzten Monate des Jahres voranschreiten. Hetze in den Zeitungsblättern tritt deutlicher zu Tage, die Wirtschaft gerät ins Wanken. Doch, bevor es so weit ist, feiert sich die Welt noch einmal selbst. Mittelpunkt des Tanz‘ auf dem Vulkan ist die Metropole an der Spree, wo sich die Lebenswege ihrer Protagonistinnen kreuzen.

Die Autorin Unda Hörner nimmt uns mit auf eine Zeitreise, durch ein Jahr gleichsam als Sammlung kultureller Höhepunkte und legt damit einen wunderbaren Roman vor.

Der hat es in sich. Gegliedert nach Monaten beginnt die Zeitreise im Januar 1929. Kurzweilig sind die Abschnitte, handlich zu lesen die Kapitel. Mittelpunkt sind die Menschen, die das letzte Jahr der Goldenen Zwanziger prägten, wobei der Fokus hier auf die kulturelle und vor allem weibliche Seite gelegt wird.

Die studierte Germanistin begibt sich dabei auf den Spuren von Erika Mann, ebenso Marlene Dietrich, die den Dreh für einen Film beginnen wird, der ihr zum Durchbruch verhilft. Wir begleiten die Verlegerin an der Seite Erich Kästners und schauen durch die Linse Lotte Jacobis, die die Berliner Prominenz auf Zelluloid zu bannen weiß. Eine unvollständige, aber bezeichnende Sammlung in Romanform, die es in sich hat.

Es sollte das letzte Jahr friedlicher Unbeschwertheit sein, und so erlebt der Lesende Menschen, die gleichsam optimistisch und gespannt in die Zukunft blicken. Zumindest zunächst. Frauen, die bisher im Hintergrund tätig waren, treten nun nach vorne und bahnen sich sich zurecht ihren Weg. der führt dann schon einmal querfeldein durch Amerika oder in die dunklen Hallen des damals modernsten Studios für den damals noch relativ neuen und aufstrebenenden Tonfilm.

Geschickt hat die Autorin hier historische Fakten in einem historischen Roman eingewebt, der oftmals sehr still ist, mit Spannungsbögen sehr sparsam umgeht. Schließlich sind die Ereignisse ja bekannt. Was daraus Unda Hörner jedoch entwickelt hat, diese Dialoge, die die Erzählung lebendig werden lassen und tatsächlich so abgelaufen sein könnten, ist einfach schön.

Hier trifft es einmal, dass schöne Sprache nicht nur zu einem Kunstprodukt führt, sondern sich gut lesen lässt.

Wir begleiten Marlene Dietrich auf den Weg zu ihrer wohl größten Rolle und schauen Erika Mann über die Schulter, die versucht aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters herauszufinden, der den Nobelpreis bekommen wird. Wer diesen Roman liest, wird durch die Kameralinse von Lotte Jacobi schauen und eine Verlegerin bei der Suche nach einem Autoren begleiten, der ihr ein modernes Kinderbuch schreiben soll.

Alleine diese Geschichten schon sind interessant, ausgeschmückt mit vielen Details auf doch so wenigen Seiten kann man das letzte Jahr der 1920er Jahre hier praktisch durch die kulturelle Lupe betrachten. Sehr dicht wird das alles erzählt, Momente zum Innehalten, wie auch der Rausch der Zeit zu spüren ist, für jeden, der das liest.

Große Kunst ist das.

Autorin:

Unda Hörner wurde 1961 in Kaiserslautern geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der Freien Universität Berlin Germanistik und Romanistik, promovierte im letzteren 1993 über Elsa Triolet. Seither beschäftigt sie sich mit berühmten oder weniger berühmten Frauen und brachte mehrere Romane und zahlreiche Biografien zu Papier. Im Jahr 2001 erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis.

Die Autorin, die auch als Journalistin, Übersetzerin und Herausgeberin tätig ist, veröffentlichte u.a. „1919 – Das Jahr der Frauen“, sowie „Kafka und Felice“, welches 2017 erschien.

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Tanja Langer: Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday

Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday Book Cover
Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday Tanja Langer Mitteldeutscher Verlag Erschienen am: 06.08.2019 Seiten: 416 ISBN: 978-3-96311-181-5

Inhalt:
Linda, Übersetzerin aus dem Persischen, lässt sich gern von ihren träumen lenken, und so findet sie sich eines Tages in Lüneburg wieder: Dort lebte ihre kaum gekannte Großmutter Ida unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, geflohen aus Oberschlesien, verwidmet, mit fünf Kindern.

Knapp eineinhalb Meter groß, „arbeitete sie für den Direktor des englischen Kinos“. Dieser Halbsatz entzündet Lindas Phantasie, und schon ist sie mitten in der Zeit der britischen Besatzung, von 1945 bis 1949. Ida schrubbt Wäsche für die Tommys, Ida begegnet Mr. Thursday, Ida fängt bei im im „Astra Cinema“ an, Und das Kino wird zum Gegenbild für die raue Wirklichkeit, durch die Ida und ihre kleine rasselbande sich als „Flüchter“ durchboxen… (Klappentext)

Rezension:
Lebensgeschichten stellen an sich gute Grundlagen für ausschweifende Erzählungen dar, in der man als Leser hineingesogen wird und mit den Protagonisten lebt, liebt oder leidet. Das gelingt auch regelmäßig, denn nichts ist ja spannender als das wahre Leben und so kann der Autor oder die Schriftstellerin schon mal mit der Themenwahl nicht viel falsch machen. Tanja Langer hat dies gewagt und ihrerseits die Geschichte ihrer Großmutter genommen und daraus eine an deren Biografie angelehnte Erzählung veröffentlicht, die nun im Mitteldeutschen Verlag erschienen ist.

Zunächst ist es natürlich die Geschichte einer Frau, die sich beginnt zu emanzipieren, weil sie durch die historischen umstände dazu gezwungen wird und am ende auch die Geschichte des Nachkriegdeutschlands, welches hauptsächlich von Frauen aufgebaut wurde. Die Männer waren entweder in den zurückliegenden Kriegsjahren gefallen oder befanden sich in Gefangenschaft, die Frauen befanden sich auf der Flucht und begannen auf den Trümmern der Geschichte sich einzurichten und ums Überleben zu kämpfen, schließlich sich und ihren Kindern eine Zukunft aufzubauen.

Im Roman ist dies dargestellt durch die Hauptprotagonistin Ida, die in den großflächigen Kapiteln eine starke Identifikationsfigur abgibt, neben der alle anderen verblassen. Über weite Strecken funktioniert dies, trotzdem das so manche Länge mit sich bringt. Hier gefällt besonders die Darstellung des Alltags in einer sehr sonderbaren Zeit. Auch die inneren Konflikte hat die Autorin sehr schön ausgestaltet.

In wechselnder Perspektive wird einmal aus der Sicht der Erzählerin die Gegenwart nachempfunden, hier findet sich die Autorin im Ich einer Übersetzerin des Persischen wieder und dann aus Sicht der Großmutter, die ihren Alltag inmitten der Nachkriegszeit bewältigen muss. Beides für sich genommen starke, suchende und kämpferische Sichtweisen, doch ein letzter Funke, das berühmte tüpfelchen auf dem I bleibt aus.

Das ist schade, denn gerade im Hinblick auf die Idee dahinter, hätte die Autorin detaillierter und ausschweifender erzählen können. Ständig Wiederholungen als Stilmittel stören zudem den Lesefluss, als wären Tanja Langer Synonyme ausgegangen. Das wird dann irgendwann schwierig.

Zu guter Letzt ist das Cover nach, und das ist jetzt persönliches Empfinden, keine gute Wahl. Natürlich hat diese Wahl viel mit Vermarktung und Aufmerksamkeitsziehung einer bestimmten Käuferschicht zu tun und mit Sicherheit eine Berechtigung, doch hätte es hier auch ein geschlechtsneutraleres Cover getan. Mit Abstrichen, wer Kino mag und Überlebensgeschichte in sonderbarer Zeit, sowie starke Frauen, wird sicherlich hier fündig.

Autorin:
Tanja Langer wurde 1962 geboren und ist eine deutsche Regisseurin und Schriftstellerin. Nach ihrem Abitur, 1982, studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, philosophie und Politikwissehnschaften in Paris, München und Berlin.

Sie gründete eine Theatergruppe, schrieb und inszenierte eigene Stücke, verlegte sich jedoch ab 1993 auf das Schreiben von Büchern und Beiträgen für Tageszeitungen. 1999 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gründete 2016 ihren eigenen Verlag, den Bülbül Verlag, in Berlin, wo sie mit ihrer Familie lebt.

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