Gesellschaft

Sylvia Frank: Nur einmal mit den Vögeln ziehn

Inhalt:

Ein Picknick mit Mozart vom Grammophon mitten zwischen Feldern in Thüringen wird zu “Jenseits von Afrika”, in der kaserne bauen sie illegal Marihuana an und in einem alten Kino spielen sie zu “The Band – The Last Waltz” eigenhändig Blues … sylvia Frank erzählt spannend und authentisch die Geschichte von Siv, Aki, Anna Maria, Jens und Ivo, fünf Jugendliche, die in der DDR in ganz unterschiedlichen familiären Verhältnissen aufwachsen und die historischen Ereignisse der friedlichen Revolution, der Grenzöffnung und der deutschen Einheit als junge Erwachsene miterleben. Ereignisse, die ihr Leben verändern. (Klappentext)

Rezension:

Vielleicht hat er bis dato gefehlt, dieser Roman, der nicht verklären aber auch nicht verteufeln tut, der die Schwarzmalerei unterlässt, jedoch auch nicht die Schattenseiten der jüngeren Geschichte unterschlägt. Hier ist er also, aus der Feder des Autorenpaars Sylvia Vandermeer und Frank Meierewert, die stellvertretend für eine ganze Generation eine handvoll Protagonisten unterschiedliche Wege gehen lassen, dabei menschliche Abgründe aufzeigen, aber eben auch Momente des Glücks im Kleinen, sowie natürlich auch im Großen. Aus wechselnder Sicht wird erzählt, wie der vielzitierte Mantel der Geschichte sich öffnete und die Menschen diese Chance ergriffen und vollzogen.

Das geschieht in sehr kompakter Form, die überraschend ist, da die erzählte Zeitspanne doch schon 1977 ansetzt und allen Figuren, die wir von Kindesbeinen an verfolgen, genug raum eingeräumt wird. Aus wechselnder Perspektive heraus werden dabei nicht nur die großen historischen Momente aufgerollt, sondern liebevoll Alltagsszenen auserzählt, die eine ganze Generation prägten. Nicht genug, auch wechseln die Handlungsorte quer durch die DDR, um so sehr effektvoll, doch ohne großes Geschrei Differenzen, Widersprüche und Wandel aufzuzeigen, von der innerdeutschen Grenze ins ländliche Thüringen, von Leipzig bis nach Berlin.

Viel zu viel möchte man meinen für so wenig Seiten, gibt doch all das viel mehr Erzählstoff her, doch die Schreibenden lassen ihren Protagonisten Spielraum, ohne jedoch zu Gunsten von wenigen, andere Handlungsstränge zu verlieren. Wer die Zeit bewusst erlebt hat, findet sich da sicher irgendwo wieder, wer nicht taucht ein und erlebt Geschichte. Frank und Meierewert lassen Orte vor dem inneren Auge entstehen, so dass es wirkt, als würde man selbst im Verhörraum der Stasi sitzen oder im Kirchenraum, im Ungewissen, was nach der Predigt gleich passieren wird. Anderes hat sich längst ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, selbst wer das nicht aus eigenem Erleben heraus erfahren hat.

Vor allem die Unaufgeregtheit, mit der die Schreibenden dies aufgerollt haben, trägt dazu bei, dass ein Sog entsteht, den man sich nicht entziehen mag. Dabei wird das Erzähltempo stetig gehalten, zudem wird man wahrscheinlich in allen Figuren etwas von sich und anderen finden. Man rollt manchmal die Augen über die Protagonisten und schließt sie doch ins Herz.

Gegensätze und Kontraste werden hier durch die erzählten unterschiedlichen Lebenswege, sowie durch die Zeit selbst aufgebaut, die noch zu Beginn des, nennen wir es einmal Gesellschaftsroman, die Protagonisten vor sich hertreibt, bis sich dieses Verhältnis umkehrt. Das funktioniert oft gut, manches hätte ich mir noch mehr auserzählt gewünscht. Nur mit zwei Szenen sind die Schreibenden hier ins Kitschige abgerutscht. Da hat jedoch der Perspektivwechsel im jeweils nächsten Kapitel entgegen gewirkt. Zum Glück, es wäre sonst durchaus schade gewesen.

Somit ist “Nur einmal mit den Vögeln ziehn”, was man sinnbildlich verstehen darf, eine durchgehend schlüssige, vergelichsweise ruhige Erzählung, über eine doch bewegte Zeit, ein Roman über ostdeutsche Perspektive, ohne bestimmte Narritive zu bedienen, die heute auch einmal ganz gerne populistisch genutzt werden, was hier sehr wohltuend wirkt. Zudem hat man das Gefühl, keinen wichtigen geschichtlichen Moment ausgespart zu haben, aber eben auch die Protagonisten nicht verliert, für mich als an der Historie interessierten Menschen auch sehr spannend zu lesen.

Wie dreht sich diese Perspektive wohl für mich, wenn dann weiter erzählt wird, und die Handlung meinen Erinnerungsraum beginnt zu berühren? Eine Fortsetzung des Romans ist zumindest angedacht. Man darf gespannt bleiben. Bis dato ist es ein Roman für jene, die diese Zeit bewusst erlebten, ob ost- oder westdeutsch und jene, die darum wissen und zumindest diese kleine Zeitreise unternehmen möchten.

Die Protagonisten, deren Handlungsstränge mal mehr, mal weniger verwoben sind, dann auseinanderlaufen, um sich in anderer Beziehung später zu überkreuzen, erzeugen eine Dynamik, die man vielleicht nicht immer wahrnimmt, welche jedoch keine Monotonie aufkommen lässt. Manchmal fehlen vielleicht ein paar Ecken und Kanten, bei Figuren, wovon andere wieder mehr als genug haben. Welche das sind, werden jedoch für alle Lesenden andere sein. Eventuell lohnt die Lektüre alleine dafür, das herauszufinden.

Autorin:

Sylvia Frank ist das Pseudonym des Schriftstellerpaares Sylvia Vandermeer und Frank Meierewert. Sylvia Vandermeer wurde 1968 geboren und studierte Betriebswirtschaftsleere in Passau. Im Jahr 2007 wurde sie an der Wirtschaftsuniversität Wien habilitiert. Darüber hinaus studierte sie Biologie, Bildende Kunst und Psychologie. Frank Meierewert wurde in Brandenburg a. d. Havel geboren und studierte Drehbuch an der Filmhochschule Wien, sowie Sozial- und kulturanthropologie, ebenfalls dort. Er ist ebenfalls als freiberuflicher Autor tätig.

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Reinhard Kuhnert: Was unvergessen bleibt

Inhalt:

Fergus Monahan ist tot. Oder vielleicht doch nicht? Seine Frau Maeve jedenfalls ist fest davon überzeugt, dass er sich allerbester Gesundheit erfreut …

Ein höchst wundersames Geschehen in der westirischen Provinz Connemara, ein familienzwist in der Klassikerstadt Weimar, zwei Männer an einem Grab und die Geschichte von Josef, der sich einem Gedächtnistest unterziehen soll – vier Erzählungen über das Erinnern und Vergessen und über das, was unvergessen bleibt. (Klappentext)

Rezension:

Herausfordernd sind die Geschichten, denen die Schreibenden nur wenige Worte zugestehen, die auf begrenzten Raum eine Wirkung entfalten müssen und so ist die Kurzgeschichte eine sehr eigenwillige Form, die oft genug daran scheitert, dass entweder Protagonisten nicht ausreichend ausgestaltet worden sind oder Situationen nicht genug Zeilen bekommen, um ihre Wirkung zu entfalten. Das gelingt am besten, wenn Autor oder Autorin die Kunst der Auslassung beherrschen oder die der Konzentration auf ein bestimmtes Motiv. Ein positives Beispiel dafür ist der hier von Reinhard Kuhnert vorliegende Erzählband “Was unvergessen bleibt”.

Mit vier sehr verschiedenen Kurzgeschichten nähert sich der Autor und Regisseur den großen Themen des sich Erinnerns und des Vergessens, die wie ein roter Faden das Werk durchziehen und in unterschiedlicher Gewichtung ihre Wirkung entfalten. Nehmen wir die Geschichte zweier Brüder, deren eigene Geschichte zugleich die der Teilung Deutschlands ist, damit einhergehende Entfremdung, aber auch der Frage nach Schuld und Schuldigkeit.

Unter der Oberfläche des Erzählten entdeckt man lesend einige Facetten, an denen einige Familiengeschichten heute noch zu tragen haben dürften, gleichwohl Mauerfall und Wiedervereinigung schon vor über dreißig Jahren stattgefunden haben. Oder, in einer der anderen Geschichten die Gewichtung der Vergangenheit als höher bei der älteren Generation und die Frage nach der Zukunft bei der jüngeren. Starke Motive werden mit wenigen Worten zur Sprache gebracht, die Reinhard Kuhnert nicht nur als Autor virtuos beherrscht.

In jeder Geschichte konzentriert sich der Autor nur auf wenige Protagonisten, gibt zudem dem Davor und Danach verschiedene Schwerpunkte, so dass ein jeder lesend wohl eine Erzählung finden wird, mit der man sich identifizieren kann, die in abgewandelter Form vielleicht auch in der eigenen Familie, im eigenen Leben stattgefunden hat. Sehr kompakt aufgebaut, jede Handlung umfasst im Schnitt nicht mehr als vierzig bis fünfzig Seiten, entfalten die Kurzgeschichten ihre Wirkung und erzählen doch zuweilen größere Zeitspannen, als man dies für möglich halten würde, dass das in dieser Form so funktioniert.

Allesamt spielen sie im nicht nur der Historie schwierigen Gegensatz und Miteinander zwischen Ost und West. Eine perfekte Grundlage, um auch mit beiden Motiven dergestalt spielen zu können. Dabei verliert der Autor nicht einmal seine Protagonisten aus dem Blick, welche er in nur wenigen Zeilen auch mit Ecken und Kanten ausgestaltet hat. Lücken wurden nicht unbewusst gesetzt, auch unlogische Brüche sind in keiner einzigen der Erzählungen zu finden. Persönlich hat es mich positiv gestimmt, dass es doch noch Kurzgeschichten gibt, die für mich funktionieren, was ja aus genannten Gründen oft genug nicht der Fall ist.

Wenige Worte reichen dem Autoren hier aus, um Bilder vor den inneren Augen der Lesenden zu erzeugen und in die Protagonisten hineinzufühlen. Faszinierend, dass es bei fast jeder Erzählung gelingt, eine Identifikationsfigur zu finden und den anderen dennoch nachvollziehbare Handlungsmotive zu zugestehen. Wirkliche Antagonisten braucht es nicht, das Drama, zuweilen aus Zeitsprüngen und Rückblenden bestehend, funktioniert auch so. Hier merkt man Reinhard Kuhnerts Hintergrund des Theaters und Films.

Nadelstiche, so sie denn gesetzt sind, widerum, wirken wahrscheinlich eher bei einem älteren Lesepublikum. Mir fehlt rein der Erlebnishorizont, um um die Wirkung zu wissen, hätte ich die Wendezeit und das davor bewusst erlebt. Wie ist es für jene die Szene des Protagonisten zu lesen, der eine Rede hält und darauf hin erleben muss, wie der Staatsapperat mit einer Härte Steine ins Rollen zu bringen beginnt, die unsereins sich heute nur schwer vorstellen kann? Vielleicht sollte man deshalb auch an solcherlei Dinge erinnern, womit wir wieder zurück bei den handlungsübergreifenden Motiven wären.

Diese Aspekte scheinen mir für die Betrachtung dieses Werks wichtiger als wenn ich näher auf die einzelnen Geschichten und Protagonisten eingehen würde. Zu schnell gerät man bei Kurzgeschichten in die Gefahrenzone des Spoilerns. Mir ist die thematische Umsetzung ebenso positiv aufgefallen, wie die sprachliche Unaufgeregtheit, aber auch einzelne Sätze, die für sich stehen können. Für jene die die beschriebene Zeitenwende bewusst erlebt haben, kommt der Wirkungsaspekt noch hinzu, für Lesende wie mich, diese vor Augen zu führen, was passieren könnte, wenn …, wobei ja das Erinnern und Vergessen als solche zeitunabhängig sind. Auch das hat der Autor hier übrigens nicht aus dem Blick verloren.

Das Erinnern und Vergessen macht Geschichten. Aus der Feder Kuhnerts lohnen sie sich zu lesen.

Autor:

Reinhard Kuhnert wurde 1945 in Berlin geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler und Synchronsprecher. Er studierte zunächst an der Theaterhochschule und am Literaturinstitut Leipzig, bevor er als Schauspieler, Regieassistent und Regisseur an mehreren Theatern arbeitete, Bis 1983 war er als Dramatiker in Ost-Berlin tätig, bevor er nach West-Berlin übersiedelte und seine Arbeit vor allem im Ausland fortsetzte, u. a. in Luxemburg, Irland und Australien. Er schreibt für Theater, Rundfunk und Fernsehen, war zeitweilig gastdozent an der Universität Galway, Irland. 1999 erhielt er den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin und 2017 deie Goldene Schallplatte als Erzähler der Hörbücher von “Games of Thrones”.

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Lucy Clarke: One of the Girls

Inhalt:

Es sollte der perfekte Kurzurlaub werden: Lexi reist mit fünf Freundinnen auf eine griechische Insel, um ihren Junggesellinnenabschied zu feiern. Von der abgelegenen Villa mit Meerblick bis hin zu den malerischen Tavernen und weiß getünchten Straßen scheint der Urlaub zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich bekommt die Idylle bald Risse, denn abgesehen von ihrer Freundschaft mit Lexi haben die Frauen nur eines gemeinsam: Sie alle haben etwas zu verbergen. Nach und nach kommen versteckte Absichten ans Licht, Geheimnisse werden enthüllt und die Masken fallen – bis eine Leiche auf den Klippen unterhalb der Villa liegt… (Klappentext)

Rezension:

Ein paar Tage noch wollen sie zusammen verbringen, sechs Freundinnen, um den Beginn eines neuen Lebensabschnitts einer von ihnen zu feiern. Einen unvergesslichen Jungesellinnenabschied, eine besondere Hen-Party, plant da Bella für ihre beste Freundin Lexi, und der soll im Paradies einer griechischen Mittelmeerinsel stattfinden.

Schon bei Ankunft der Frauen zeigt die Idylle erste Risse. Nicht alle von ihnen haben das gleiche Ziel. Stunde um Stunde nähern sich die Protagonistinnen dem Abgrund.

Auch der neue Roman der englischen Autorin Lucy Clarke führt uns Lesende in ein Urlaubsparadies Marke Postkartenmotiv, um nach und nach derer Schattenseiten die Oberhand gewinnen zu lassen. Nicht gerade durchgehend ist es ein düsterer Reisekrimi, immer wieder kommt eine gewisse Leichtigkeit zum Tragen, die jedoch im darauffolgenden Moment gekonnt durchbrochen wird.

Dabei ist zunächst nicht klar, was genau passieren wird. Andeutungen werden durch die namenlose Erzählerin zwischen den Kapiteln nach und nach konkreter. Erst später ergibt sich aus verschiedenen Puzzelteilen ein Gesamtbild. Die Erzählung, beschrieben aus der wechselnden Sicht der einzelnen Figuren, wird zunächst bestimmt durch das Beziehungsgeflecht untereinander. Grundverschiedene Charaktere, die bis auf ein zwei Merkmale nicht gerade vielseitig ausgestaltet sind, treiben die Handlung voran, die einen Zeitraum von wenigen Tagen umfasst.

Je nach erzählender Protagonistin wird mehr oder weniger ausschweifend erzählt. Auffällig ist, dass vor allem zu Beginn mehr an der Oberfläche gekratzt wird, um Spannung aufzubauen, die alleine durch die Wirkung der Figuren aufeinander hochgehalten wird. Die ruhige Tonalität, mit der Lucy Clarke die Atmosphäre setzt, tut ihr Übriges, zudem der fiktionale Ort, der ihr völlige Handlungsfreiheit gab, die Erzählung auszugestalten.

Das tut sie mit der Dynamik der zwar im Einzelnen sehr einseitigen, teilweise sehr enervierenden Charkere, die jedoch genug Ankerpunkte bieten, um die Geschichte weiter verfolgen zu wollen, wobei jede Protagonistin ihre eigenen Hintergründe im Beziehungsgeflecht aufweist. Leider reicht dies oft nicht aus, um mitzufühlen, und wenn hat man das Gefühl gerade dem Auseinanderfallen einer durch ihr Zusammensein besonders toxischer Gruppe von Frauen beizuwohnen. Es lädt förmlich dazu ein, mehr als einmal die Augen zu rollen.

Aus diesen Perspektiven eheraus erzählt, wirkt die daneben und doch über allen stehende Erzählerin, man ahnt bis zum Schluss nur, welche Charaktere dies ist, zwar wie ein Handlungstreibender, jedoch manchmal überflüssiger Fremdkörper. Als würde die Autorin ihrer eigenen Erzählkunst nicht trauen. Dabei kann sie das gut. Die Geschichte ist in sich schlüssig aufgebaut.

Es gibt kaum Logik-, hoffentlich in der Verkaufsversion nicht ganz so viele Schreibfehler und einige vertauschte Namen, wie in der des unkorrigierten Leseexemplars, welches dem Rezensenten (mir!) zur Verfügung stand. Ich möchte gerne daran glauben, dass die Verlagsverantwortlichen da nochmals drüber geschaut haben. Großflächig Überraschungsmomente sucht man vergebens. Die hat sich Lucy Clarke vor allem für das Ende, welches sehr rasant erzählt wird, aufgespart. Konzentration hat die Autorin vor allem in die Ausgestaltung der Gefühlswelten ihrer Protagonistinnen gesteckt, gerade wenn es um Gedankenbeschreibungen und Rückblenden geht.

Um so ernüchtender ist es, wenn nach außen hin, dann die schon geschilderte Eindimensionalität überwiegt. Landschaftsbeschreibungen sind ihr dagegen glaubwürdig gelungen. An manchen Stellen fühlt man sich beinahe in den Handlungsraum hinein versetzt. Man kann sich die Orte zumeist sehr gut vor Augen führen, was auch dazu beiträgt, die Erzählung weiterverfolgen zu wollen.

Es ist ein Reisekrimi, nicht besonders anspruchsvoll, aber auch nicht so leicht, dass man das Gefühl hat, nur Kitsch zu lesen, jedenfalls keine verlorene Zeit diese zu nutzen. Wer Wert legt auf vollends ausgestaltete Charaktere, wird hier enttäuscht werden. Wer über einzelne Schwachpunkte hinwegsehen kann, wird durchaus unterhalten werden, auch wenn man einige Male das Gefühl hat, einer ZDF-Vorabendserie beizuwohnen.

Sich berieseln lassen am Ende des Tages ist durchaus nicht verkehrt. Verlorene Zeit ist etwas anderes. Vor allem jene, die Spannung ohne allzu viel Gewalt haben wollen, können sich diese Lektüre vornehmen. Vielleicht am Strand oder in einem auf einer griechischen Insel liegenden Haus. So beschrieben, könnte das tatsächlich existieren, genau so wie der eigentliche Wohnort der Protagonistinnen nicht zufällig selbiger ist, wie der der Autorin im realen.

Wer einmal eine Reise tut, der kann etwas erleben. Nur bitte aufpassen, mit wem genau.

Autorin:

Lucy Clarke ist eine englische Schriftstellerin. Zunächst studierte sie Englische Literatur an der Universität von Cardiff, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. In über zwanzig Sprachen übersetzt werden diese für die Leinwände adaptiert und finden sich regelmäßig auf den Bestsellerlisten wieder. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Ort an der englischen Südküste.

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Karoline Klemke: Totmannalarm

Inhalt:

Herr Matzke vergewaltigt fünf Frauen, sitzt seit dreißig Jahren in Haft, fühlt sich aber unschuldig. Herr Knieriemen missbraucht seine kleine Nichte. Er genoss ihn, diesen Moment, in derm er endlich selbst ohne Angst sein konnte. Frau Krüger, die ihr Baby, den kleinen “Murkel”, totgeschlagen hat, will nie wieder Opfer sein – auch nicht hinter Gittern.

Meisterhaft erzählt die forensische Psychologin und Psychotherapeutin Karoline Klemke von erschütternden Begegnungen im Maßregelvollzug. Die Geschichten führen die Brutalität und die beweggründe der Täter vor Augen. Sie spiegeln aber auch, wie die Psychotherapeutin um Kontrolle kämpft und um Fassung ringt – im festen Willen zu helfen. Intensive Einblicke in eine geschlossene Welt. (Klappentext)

Rezension:

In den Welten zwischen Realität und Fiktion gelingt der Spagat häufig genug nicht. Gerade bei sehr sensiblen Themen scheitern Schreibende oft genug und kippen entweder zu sehr ins Kitschige oder aber wirken so abgehoben, dass die Lektüre kaum mehr möglich ist. Die Psychotherapeutin Karoline Klemke hat sich dennoch daran gewagt, eine für die Mehrheit der Gesellschaft vorwiegend im Dunklen liegende Thematik diese zugänglich zu machen. Herausgekommen dabei ist das Gegenteil eines literarischen Sachbuchs, über die Abgründe in den Köpfen hinter Gittern.

So schwer wie die Zuordnung des Genres fällt, so ist auch das Erzählte kaum verdaulich. Die Autorin nimmt uns mit in eine abgeschlossene Welt der Mörder, Sexualstraftäter, die aus unterschiedlichsten Beweggründen heraus ihre kaum in Worte zu fassenden Taten begangen haben, zu denen jene Zugang finden müssen, die darüber entscheiden, wie viel Menschsein noch in diesen steckt und wer vielleicht noch eine Chance auf ein Leben da draußen hat, ohne erneut eine Gefahr für die Gesellschaft zu sein.

Da die Realität manchmal zu grausam ist und ja, auch weil die Arbeit mit Patienten gewissen Richtlinien unterliegt, wird fiktionalisiert und so liegt hier ein Roman vor, der abgeändert von den Erfahrungen der Autorin mit ihrer Arbeit erzählt, in Form der Gestalt der fiktiven Psychotherapeutin Christiane Richter, die frisch aus dem Studium ihre Arbeit im Maßregelvollzug aufnimmt. Künftig soll auch sie entscheiden, bei wem Chancen auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bestehen und wie dies zu bewerkstelligen ist. Doch wie macht man das, immer einen Finger in der Nähe des Alarmknopfs haltend?

Lesend hangeln wir uns von Fall zu Fall, dringen in die Köpfe derer ein, denen wir nie begegnen wollen und erleben gleichzeitig sowohl bei diesem das Wechselbad der Gefühle als auch bei der Hauptprotagonistin selbst, die von Seite zu Seite mehr Konturen bekommt. Anfangs blass und unsicher wirkt die Figur immer mehr fassbar, doch steigert sich damit auch die Fallhöhe für den Charakter, der merkt wie er selbst von dieser Tätigkeit verändert wird. Immer wieder steht die Frage im Raum: Wie hält man das nur aus?

Die einzelnen Fälle sind sehr kompakt, kapitelweise dargestellt, zudem verwoben mit den privaten Herausforderungen der Protagonistin, die schon bald auch außerhalb ihrer Arbeit glaubt, der berufliche Blick verändere die Wahrnehmung. Gerade in der Ausformulierung dieser und anderer Kippmomente liegt die Stärke der Autorin, die permanent trotz relatiiv ruhigem Erzähltempo die Spannung hochzuhalten versteht.

Der Part der Antagonisten ist von Beginn an klar, hier ist die Veränderung zum Guten oder zum noch Schlechteren, die Spiegelung des Gegenübers und die Reaktion sehr interessant, übrigens auch in dem Sinne, was das mit jenen macht, die das Buch zur Hand nehmen. Sind bestimmte Reaktionen aus ihrer Sicht heraus nicht logisch und folgerichtig, so schlimm die Konsequenzen auch sind? Stimmt man nicht hier und da überein, würde man sich in die einzelne Figur hineinversetzen? Diese Gedanken bleiben, so schnell wie sie kommen, im Halse stecken. Allein, dass die Autorin sie heraufbeschwören kann, zeigt ihre Erzählkunst.

Handlungsort bedingt könnte das ganze an ein Kammerspiel erinnern. Nur der Humor fehlt, tatsächlich ist sehr viel Sachkenntnis in den Roman eingeflossen. Unweigerlich wird man sich fragen, welche der Geschichten wahr sind, welche erfunden, welche details verändert wurden, um ein Thema zu fassen, welches einem sonst durch die Finger rinnt. Wer weiß sonst schon, wie die Arbeit mit Straftätern aussieht, welche Ziele erreichbar sind und was passiert, wenn das Schlimmste eintritt, was man sonst zu verhindern sucht?

Immer ist es dieses Gegenüberstellen der Protagonistin mit zumeist einer anderen Figur, Rollenverteilung ohne Zweifel. Ersterer wird, wie in der Realität der aktive Part in diesem Roman seit. Der Informationsstand von uns Lesenden ist stets der gleiche, aber eben auch das Umhergeworfen werden, welches um so heftiger wird. Auf Überraschungsmomente ist man gefasst und wird dennoch von ihnen überrumpelt. Der Roman beleuchtet einige sehr interessante aspekte der therapeutischen Arbeit unter erschwerten Bedingungen, immer wieder durchsetzt von Zeitsprüngen und Rückblenden, die eine ganz eigene Dynamik entwickeln.

Man gewinnt ein klares Bild davon und ist am Ende heilfroh, sich nicht näher damit beschäftigen oder konfrontieren zu müssen. So sehr zieht die Erzählung Karoline Klemkes einem in den Bann, so real wirkt der Schauplatz, der zum Hauptteil das kleine Büro der Protagonistin ist.

Zwischen der Kriminalliteratur und spannenden, oft genug effekthaschender True Crime Büchern, dazu noch Romanen, steht “Totmannalarm” irgendwie dazwischen und doch außerhalb, wozu nicht nur die Sachkenntnis der Autoerin beiträgt, was das ganze lesenswert macht, wenn man sich an die Lektüre denn heran traut. Wer das tut, denkt jedoch über die Arbeit von Psychotherapeuten hinterher anders, kann sogar vielleicht einzelne Entscheidungen nachvollziehen, wie sie zustande gekommen sind, was vorher so nicht möglich war. Wenn nur ein Bruchteil dieser Zeilen davon solch eine Wirkung erzielt, hat sich die Lektüre schon gelohnt.

Autorin:

Karoline Klemke wurde 1973 geboren und ist eine deutsche Psychologin und Psychotherapeutin. Nach dem studium betreute sie obdachlose jugendliche und arbeitete von 2002-2007 in einer Klinik für Forenische Psychiatrie. Nach ihrer Approbation als Psychologische Psychotherapeutin wurde sie für kriminalprognostische Gutachten herangezogen und arbeitete mit Gruppen im Bereich Verhaltenstherapie. Seit 2011 betreibt sie eine psychotherapeutische Praxis in Berlin, war zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forensisch-therapeutischen Ambulanz der Berliner Charite tätig. Dies ist ihr erster Roman.

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Daan Heerma van Voss: Die Sache mit der Angst

Inhalt:

“Du hast zu viel Angst vor dem Leben.” Als der Autor Daan Heerma van Voss mit dieser Begründung von seiner Freundin verlassen wird, reist er von Amsterdam über Jakarta nach San Francisco, um die Ursachen seiner Angststörung endlich tiefer zu ergründen. Was ist Angst? Woher kommt sie? Und welche Rolle spielen unsere Gene? Dieses Buch hilft, einen Weg zu finden, Angsgefühle, Panik und Phobien zu verstehen und ihnen etwas entgegenzuhalten. (Klappentext)

Rezension:

Jeder von uns kennt sie, die Angst. Sie schützt uns, doch oft genug dominiert sie auch unser Leben. Seit seiner Kindheit leidet der Autor, Journalist und Historiker Daan Heerma van Voss unter Angstzuständen und hat sich an einem der Wendepunkte seines Lebens, die durch eben diese willkürlich auftretenden Angstattacken markiert sind, aufgemacht, diese zu ergründen.

Sein Weg führte ihn einmal rund um den Globus, quer durch die eigene Familiengeschichte und nicht zuletzt durch einen Schnitt vieler Themengebiete, von der Wissenschaft bishin zur Popkultur. Entstanden ist dabei ein einfühlsamer und informativer Bericht über ein Phänomen, das uns alle betrifft.

In der Medizin ist man sich einig, die Anzahl der Menschen, die unter chronisch immer wiederkehrenden Angstzuständen leiden, wächst seit Jahren, sowie der Medikamentenmarkt, der darauf nicht immer heilvollen Einfluss nimmt. Doch wie kam es dazu, dass heute die verschiedenen Angstzustände als medizinisch zu betrachtende Gegenstände behandelt werden? Wie entwickelte sich die Betrachtung der Angst über die Jahrhunderte bis in unsere heutige Zeit? Woran liegt es, dass einige Ängste, wie bestimmte Phobien gesellschaftlich anerkannt sind, andere nicht?

Anhand dieses sehr persönlichen Sachbuchs holt der Autor eine brisante Thematik aus der Tabuzone und versucht zu verstehen, womit die meisten Menschen irgendwann in ihrem Leben einmal zu känmpfen haben und warum immer mehr von uns sich in einer Spirale gefangen sehen? Was machen wir mit der Angst? Was macht die Angst mit uns.

Entlang des Zeitstrahls der eigenen Familiengeschichte hangelt er sich durch die verschiedenen Arten, dieses Phänomen zu betrachten und ergründet sowohl den historischen Umgang als auch die Schlussfolgerungen für die heutige Zeit. Zunächst ein philosophisches Problem erläutert er die Entwicklung hin zur medizinischen Betrachtung, ergründet die Wahrnehmung chronischer “Angsthasen”, deren Bandbreite von Ängsten vor Spinnen bis hin zu “Angst, dass eine bestimmte Person mein Essen isst.”, reicht.

Was auf den ersten Blick humorvoll klingt, manifestiert sich in soziale Einschränkungen, die der autopr ebenfalls versucht, nachzuvollziehen, zudem jenen zu erläutern, die nicht betroffen sind.

Das mündet hier in eine Art Verständnis schaffendes Geschichtsbuch. Ein Ratgeber ist das nicht und hebt sich somit wohltuend ab von der Sparte Selbsthilfebücher, die mehr zerstören als aufbauen und eher in die Esoterikecke gesteckt werden sollten, mit Warnzeichen versehen.

Wenn es ein Kritikpunkt gibt, ist es bezogen auf medizinische Begrifflichkeiten zu empfehlen, sich sehr auf die Lektüre zu konzentrieren und den einen oder anderen Sachverhalt nochmals nachzuschlagen. Spätestens beim dritten genannten Wirkstoff von Medikamenten gerät man durchaus etwas ins Trudeln, sofern man sich damit noch nicht beschäftigen musste und dann das Hintergrundwissen zumindest in Ansätzen fehlt. Ansonsten jedoch ist das sehr informative Sachbuch zu empfehlen, vielleicht um sich selbst, in jedem Fall Betroffene besser in ihren Ängsten nachvollziehen und verstehen zu können.

Autor:

Daan Heerma van Voss wurde 1986 geboren und ist ein niederländischer Autor, Jozurnalist und Historiker. Er schreibt regelmäßig für internationale Magazine und Zeitschriften. Seine journalistischen Texte wurden mit dem De Tegel-Preis ausgezeichnet. Dies ist sein erstes Sachbuch.

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Franziska Tanneberger/Vera Schroeder: Das Moor

Inhalt:

Das Moor ist nicht nur neblige Sumpflandschaft, wo Vögel nisten, Schild oder Torfmoose wachsen. Auch eine grüne Wiese, auf der Kühe weiden, kann sich als Moor entpuppen, wenn man genau hinschaut. Eine berührende Lektüre über einen einzigartigen Lebensraum. (Klappentext)

Rezension:

In Film oder etwa Literatur sind die seltener werdenden Moorlandschaften vom Gefühl her negativ besetzt. Dunkel und Nebeligkeit, trostloses unnützes Land war dies jahrhundertelang, bis die Menschen begangen, es urbar zu machen, zu bewirtschaften, was vor allem hieß, es trocken zu legen und landwirtschaftlich zu bebauen. In unseren Breiten gibt es sie daher kaum noch, die natürlichen Moore, in denen seltene Moose oder Tierarten, wie der Seggenrohrsänger zu Hause sind.

Andere, wie das große Wasjugan-Moor in Sibirien sind für die Wissenschaft aufgrund der politischen Ereignisse derzeit in weite Ferne gerückt. Doch es gibt auch Hoffnung für die Moore, in Mitteleuropa und weltweit. Immer mehr Menschen erkennen die wichtige Rolle der Moore als Bestandteil nachhaltigen Klimaschutzes. Für die Ökologin Franziska Tanneberger ist dies nur eine von vielen faszinierenden Facetten, die uns die Moorlandschaften bieten. Nun hat sie diese, zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Vera Schroeder in einem für die Thematik einnehmenden Sachbuch veröffentlicht.

Werke, die sich mit den Kapriolen der Klimakatastrophe beschäftigen, zeichnen sich zurecht ob des menschengemachten Wahnsinns durch Schwarzmalerei, verbunden mit zahlreichen erhobenen Zeigefingern aus. Fast bekommt man beim Lesen den Eindruck, dass alles ohnehin zu spät ist, jeder Fetzen guter Wille eines Einzelnen vielleicht dazu geneigt ist, das eigene Gewissen zu beruhigen, ansonsten aber kaum Auswirkungen zu haben scheint.

Tanneberger, die über ihre Profession zum Klimaschutz gekommen ist, geht die Sache anders an und berichtet zunächst von den Bestandteilen und Arten der Moorlandschaften, bevor sie einzelne Beispiele zur näheren Erläuterung hervorhebt, sowie auf die Geschichte des Zusammenspiels zwischen Mensch und Moor eingeht. Darauf aufbauend hebt sie dann, mit wissenschaftlicher Expertise unterfüttert, die Bedeutung der Moore für den Klimaschutz hervor und warum es trotz der Gefährdung dieser Landschaften auch vielerorts positive Beispiele gibt, die aufzeigen, was bereits heute funktioniert und zukünftig mit den Mooren möglich sein kann.

Die positive, hier kaum melancholische Grundstimmung des typischen Nature Writing vermischt mit wissenschaftlicher Expertise ist dies, was das Werk so lesenswert macht. Handlich kompakte Kapitel laden dazu ein, sich mit einer sonst eher stiefmütterlich behandelten Thematik zu beschäftigen, ohne jetzt allzu sehr ins Theoretische abzugleiten. Man findet leicht dort hinein, um vielleicht beim nächsten Spaziergang mit anderen Augen die Umgebung zu betrachten, zumal für eine verkannte und hier selten gewürdigte Landschaftsform.

Angenehm ist die Herangehensweise der Wissenschaftlerin, die keine absolute Position bezieht, sondern in ihre Projekte immer auch die Menschen und deren unmittelbare Umgebung mitdenkt. Warum sollte ein Landwirt seine Äcker wieder vernässen? Wie damit wirtschaften? Taugt ein mit regionalen Unternehmen, Behörden und Landwirten entwickeltes Konzept auch anderswo? Wovon und wie sollen diese dann leben, zudem, wenn herkömmliche Maschinen auf einem moorastigen z. B. Kartoffelacker versinken und geeignete Technik eher Marke Eigenbau denn Serienreife sind?

Diese Arbeitsweise des Miteinander wird ebenso zwischen den Buchdeckeln verdeutlicht, wenn nicht nur anhand zahlreicher Beispiele Zusammenhänge erklärt werden, sondern auch Landwirte am Ende eines jeden Kapitels in Form eines Interviews zu Wort kommen, die hier und anderswo heute wirkliche Pionierarbeit leisten.

Ein Thema so zu transportieren und einmal zu zeigen, was bereits funktioniert und möglich ist, ja zum Teil schon umgesetzt wird, um so die Wichtigkeit zu unterstreichen, die für den Erhalt und der Wiedervenässung, nicht Renaturierung; warum dies der falsche Begriff ist, wird ebenso erklärt; ist unglaublich wohltuend und hebt dieses Sachbuch von so vielen anderen aus diesem Bereich ab. Ohne Moorleichen, dafür ganz viel Liebe für bisher verkannte Details.

Autorinnen:

Franziska Tanneberger studierte zunächst Landschaftsökologie und Naturschutz in Greifswald, arbeitete als Gutachterin bei Naturschutzprojekten in Polen und Belarus, sowie beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. 2012 kehrte sie an die Universität Greifswad zurück und leidet dort das hießige Moor Centrum. Sie forscht und berät zu wiedervernässten Mooren und wie wir sie nutzen können.

Vera Schroeder ist Journalistin und arbeitet im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung. Sie studierte Politik und Kommunikation. Bevor Sie bei der SZ 2021 begann, war sie Chefredakteurin von NEON und Nido, sowie Begründerin von SZ Wissen.

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E. T. A. Hoffmann: Meister Floh

Inhalt:

E. T. A. Hoffmann hat seinen Meister Floh unter der bedrohlichen Metternich-Zensur in seinem Todesjahr 1822 veröffentlicht. Die sieben verwickelten Abenteuer, in denen der Herr Peregrinus Tyß “manches Seltsame in und an sich trug” und aberwitzige, groteske Erlebnisse hat, sind in der “berühmten schönen Stadt Frankfurt am Main” angesiedelt. Darin verschmelzen Traum und Märchenrealität auf eine Weise, die die Gestaltungskraft des FAUST-Zeichners Alexander Pavlenko befeuerte. (Klappentext)

Rezension:

Klassiker neu herauszugeben, unterliegen der Schwierigkeit, dass man zunächst sich einmal den historischen Kontext ihrer Entstehungszeit ins Gedächtnis rufen muss, damit sie überhaupt noch funktionieren und eine Übertragung ins Heute funktioniert. Nicht anders ist es mit Hoffmanns Erzählung “Meister Floh”, die dieser nach der Niederlage gegen Napoleon zur Zeit der Restauration zwischen politischer Satire und Kunstmärchen angesiedelt hat.

Der Autor entführt uns nach Frankfurt am Main, wo unser Hauptprotagonist durch wundersame Ereignisse in eine Geschichte gerät, in der nicht mehr klar zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden ist, menschliche Charakterzüge ebenso aufs Korn genommen werden, wie der Versuch staatlicher Kontrolle, dargestellt durch ein mikroskopisches Glas, dessen Träger damit die wirklichen Gedanken seiner Gegenüber wissen lässt. Daraus entspinnt sich eine wundersame Erzählung in sieben Teilen, welche nicht nur ein politisches Großereignis jener Tage in den Fokus rückt, wenn auch verdeckt, ansonsten jedoch kaum zu greifen ist.

Wie angedeutet, nicht einmal das Genre ist auf dem ersten Blick klar umrissen, was es mitsamt der für uns heute ungewöhnlichen Sprache schwer macht, da hinein zu finden. Der Stil ist gewöhnungsbedürfig, wenn auch einzelne Abschnitte sehr klar wirken. Doch beschleicht beim Lesen einem das Gefühl, dass die Kapitel sehr willkürlich angeordnet sind. Einen einzelnen Tausch würde man kaum merken, so auch die Protagonisten anfangs ähnlich schwer zu greifen sind. Unklar umrissene Übergänge zwischen einzelnen Szenarien, sowie Auslassungen, die heute in moderner Prosa so wohl kaum gemacht werden würden, tragen das Übrige dazu bei.

Der reale Teil ist klar in der Zeit der letzten Lebensjahre des Autoren angesiedelt, als man diesen in einen innenpolitischen Konflikt hineinbugsieren wollte, so weist auch die Handlung einiger Kapitel nicht nur Namensähnlichkeiten in Bezug auf einzelne Protagonisten auf, durfte daher zunächst auch nur zensiert erscheinen. Der mrächenhafte Anteil in Gestalt des Oberhauptes der Flöhe, der dem Hautprotagonisten Zugang zu den tatsächlichen Ansichten seiner Gegenüber verschafft, stellt das ergänzende Element.

Nicht klar zunächst, die Positionen der einzelnen Figuren, geht es doch auch um menschliche Eigenschaften, von denen wir alle gute und weniger gute in uns tragen. Wie diese zu werten sind, ist Sache der Interpretation. Und diese fällt je nach zeitlichen Abstand oder Position von einem selbst unterschiedlich aus. Gerade das macht die Geschichte heute kaum greifen. Längen, die sicherlich damals nicht als solche empfunden wurden, fallen heute allzu sehr auf und machen ein Mitfühlen mit den Figuren mehr als schwer. In jede Richtung. Da nützen dann auch einzelne sprachlich immer noch sehr schöne Elemente wenig.

Immerhin, unterschiedliche Perspektiven bringen dann doch einen gewissen Wechsel, damit eine funktionierende Dynamik in die Erzählung, wenn auch die anstrengend zu lesen sind. Wer ist schon nach einem Monolog sofort aufnahmefähig für den nächsten? Hier wird Lesenden sehr viel Geduld abverlangt, die wahrscheinlich in Zeiten immer kürzerer Aufmerksamkeitsspannen nicht mehr vorhanden ist. Das geht dann auch auf Kosten des Verständnisses, zumal der Schreibstil damals funktioniert haben mag. Die Erzählung heute so geschrieben, funktioniert einfach nicht mehr mit der gleichen Wirkung.

Wer sich mit dem historischen Kontext ein wenig beschäftigt, wird die Erzählung mit mehr Gewinn lesen. Anderenfalls wird es schwierig, Zugang zu finden. Funktioniert haben die Verarbeitung von Denunziation und Kontrolle, auch mit diesem Wissen, die Anlehnung an damals geschehene politische Ereignisse. Die Umsetzung jedoch wirkt mehr als anstrengend, zudem Geduld und Vorstellungsvermögen arg auf die Probe gestellt werden. Die Antenne sollte man schon haben. Oder man liest es als geschichte eines durch eines Flohbisses in den Wahnsinn Getriebenen.

Um das Repertoire an klassischer Literatur zu erweitern, lohnt sich die Lektüre, aber auch um sich vor Augen zu führen, wie damals mit politischer Zensur und Kontrolle umgegangen, diese verarbeitet wurde. In Bezug dazu könnte man die Geschichte auch als Mahnmal dessen lesen, was uns blüht, wenn wir nicht aufpassen. Rein um des Lesegenusses wegen, geht dabei jedoch leider heute viel verloren.

Autor:

E. T. A. Hoffmann wurde 1776 geboren und war Komponist, Künstler und Schriftsteller. Nach einem Jura-Studium in Königsberg ging er 1798 an das Berliner Kammergericht, arbeitete ab 1800 in Posen, Plock (Weichsel) und Warschau. Danach wirkte er als Kapellmeister in Bamberg, 1814 als Mitglied des Kammergerichts Teil der Zensurbehörde. In mehreren Geschichten verarbeitete er diese Doppelexistenz. “Meister Floh” ist seine letzte Erzählung, bevor er 1822 starb.

Illustrationen:

Alexander Pavleno ist ein deutsch-russischer Illustrator und Trickfilmzeichner. 1963 in Rjasan, Sowjetunion geboren, studierte er dort und in Moskau Kunst, Geschichte und Animation, nevor er für diverse Filmstudios und Medienunternehmen arbeitete. Seit 1992 lebt er in Deutschland. Seine Comics wurden in zahlreichen ländern publiziert. Für “Meister Floh” von E. T. A. Hoffmann bediente er sich der Scherenschnitttechnik.

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Alexandra Przyrembel: Im Bann des Bösen – Ilse Koch

Inhalt:

Ilse Koch war eine der wenigen verurteilten NS-Täterinnen. 1947 wurde ihr von einem US-, 1951 von einem deutschen Gericht der Prozess gemacht. Ausgiebig berichtete die internationale Presse über die als besonders grausam geltende ehemalige SS-Ehefrau. Die Historikerin Alexandra Przyrembel skizziert in einer fundierten Spurensuche Ilse Kochs frühe Mitgliedschaft in der NSDAP und das Leben der Familie Koch in der SS-Führersiedlung in Buchenwald.

Sie beschreibt die Nachkriegsprozesse gegen Ilse Koch und die internationale Berichterstattung darüber sowie Kochs Zeit im Frauengefängnis in Aichach, die Unterstützung der ‘Stillen Hilfe’ und ihre Korrespondenz mit den Kindern. Eine kluge, erhellende Studie der Erzählungen über das ‘Böse’, das von der Nachkriegsgesellschaft außerhalb der menschlichen Sphäre verortet wurde.

(Klappentext)

Rezension:

In der Erzählung unmenschlicher Grausamkeiten gelten die begangenen und vermeintlichen Taten von Ilse Koch als Ausdruck des absolut unfassbaren Grauen, Abgrund des Bösen. Die Frau des Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald soll gezielt Häftlinge gesucht haben, diese töten lassen, um deren tätowierte Haut für Gebrauchsgegenstände wie Buchumschläge und Lampenschirme verarbeiten zu lassen.

Vor zwei Gerichten wurde dies und anderes in der unmittelbaren Nachkriegszeit verhandelt. Für den Mythos allein fehlten letztlich die Beweise. Die Bestandteile des Lampenschirms konnten nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Dennoch blieb genug Unmenschliches, um eine der wenigen NS-Täterinnen nicht nur einmal zu lebenslänglicher Haft zu verurteilen.

Wer war Ilse Koch? Diese Frage stellt sich die Geschichtswissenschaftlerin Alexandra Przyrembel und legt nun nach jahrelanger Recherche ein umfassendes Werk der Zusammenfassung ihrer Studien vor, welches versucht das Ungreifbare fassbar zu machen. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die qua ihres Ranges außerhalb des Systems stand, dem sie diente, was jedoch ihre Taten in der Nachbetrachtung noch grausamer erscheinen lässt, als sie es ohnehin schon sind.

Die Historikerin exerziert zudem ein Stück internationaler Mediengeschichte, zudem die Schaffung eines Geschichtsbildes und das Einspannen für die systemischen Zwecke in der Gesellschaft beider sich nach dem Krieg konstituierender deutscher Staaten.

Der Fall Koch beschreibt die Verflechtungen der SS-Ehefrauen mit der Welt der Konzentrationslager: als Partnerin und Gefährtin, als Mutter und vor allem als Staatsbürgerin des ‘Dritten Reichs’. Ilse Kochs Handeln hatte allerdings nur deshalb eine juristische Aufarbeitung zur Folge, weil sie sich außerhalb der als “normal” betrachteten Ordnung bewegte […].

Alexandra Przyrembel: Im Bann des Bösen – Ilse Koch

Dieser Teil der Rezeption nimmt einen bedeutenden Teil der Biografie ein. beschreibt zudem ein wichtiges Stück Justizgeschichte, sowie medienpolitische Betrachtung und den Versuch der Deutungen Herr zu werden, diese einzuordnen. So ist auch die Kapitelordnung zu verstehen, wenn sie in Bezug zu den Taten Ilse Kochs genommen wird, trotzdem liest sich das zuweilen sehr theoretisch, um im nächsten Moment den Lesenden um so mehr die Schrecken vor Augen zu führen.

Alexandra Przyrembel gelingt der Spagat einerseits einer Wegbeschreibung, andererseits einer nüchternen Einordnung im Kontext der Zeitgeschichte, zugleich jedoch Mythen aus dem Weg zu räumen und Verarbeitungsprozesse näher zu beleuchten.

Alles in allem lässt sich also festhalten, dass sich vor Gericht sowohl Menschen wiederfanden, die […] als Juristen mit Partei- oder SS-Mitgliedschaften in das nationalsozialistische Deutschland verstrickt waren, als auch solche, die zu den Verfolgten des NS-Regimes und Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager gehörten. Möglicherweise liegt hierin, nämlich in seiner Inszenierung als demokratisch, die eigentliche Leistung des Gerichtsverfahrens gegen Ilse Koch, und nicht in der konkreten justiziellen Aufarbeitung von Schuld […].

Alexandra Przyrembel: Im Bann des Bösen – Ilse Koch

Eine unideologische Betrachtung Ilse Kochs hat für die geschichtsinteressierten Laien bis dato gefehlt, was nun hiermit geschaffen sein dürfte. Keineswegs eine einfache Lektüre sollte dieser Ausarbeitung künftig einen gewissen Stellenwert zukommen, innerhalb der Sachliteratur gegen das Vergessen.

Dafür muss man sich Zeit nehmen, da zwischen Theoretischem und geschichtlicher Einordnung, Betrachtung, hin- und hergesprungen wird. Es ist eben alles miteinander verwoben. Wer sich darauf einlässt, vervollständigt sein Geschichtsbild um einen weiteren Aspekt. Das Grauen und wozu ein Mensch in dafür geschaffenen Zeiten fähig ist, bleibt unfassbar.

Autorin:

Alexandra Przyrembel wurde 1965 geboren und ist eine deutsche Historikerin. Seit 2015 ist sie Universitätsprofessorin und Leiterin des Lehrgebiets Geschichte der Europäischen Moderne an der Fernuniversität Hagen. Nach ihrer Promotion 2001 an der TU Berlin beschäftigte sie sich mit der Globalgeschichte des Wissens im 19. und frühren 20. Jahrhundert. 2010 habilitierte sie sich in Göttingen zur Geschichte des Tabus und forscht zur transnationalen Geschichte Europas.

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Bernd Kaufholz: Der Mörder wohnt im selben Haus

Inhalt:

“Oberkommissar ehrenhalber” Bernd Kaufholz ermittelt wieder! die zehn Fälle aus dem ehemaligen Bezirk Halle trugen sich zwischen 1978 und 1988 zu. Neun der recherchierten Straftaten waren Tötungsverbrechen, beginnend mit der Ermordung einer Frau in Dessau, deren Leiche erst nach Tagen in der Elbe im damaligen Kreis Burg angeschwemmt wurde. Der Mord an einer jungen Frau in Wittenberg 1986 endet zwanzig Jahre später mit dem Suizid des Täters in der Haftanstalt von Cottbus-Dissenchen. Warum ein Mörder zweimal zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt werden konnte, schildert der Fall aus Weißenfeld 1987.

Eine Ausnahme bildet der Fall des “Klo-Königs” von Halle, der mit seinen zehn Pachttoiletten mehr als eine halbe Million DDR-Mark in die eigene Tasche wirtschaftete. In gewohnt brillanter Weise rekonstruiert der Autor die Kriminalfälle, die zu DDR-Zeiten für große Unruhe in der Bevölkerung sorgten, und begleitet die Ermittlungsarbeit der Kriminalisten bis hin zur Urteilsverkündung. (Klappentext)

Rezension:

Nichts ist, wie es scheint und so standen auch die Kriminalisten zu DDR-Zeiten vor manch verzwickten Rätsel, um den Angehörigen der aufgefundenen Opfer Klarheit zu verschaffen und, in den meisten Fällen, die Täter zu überführen. Der Autor und Journalist Bernd Kaufholz hat sich nun zehn neue Fälle vorgenommen und rekonstruiert diese, vom Begehen der Tat bis hin zur Urteilsverkündung, manchmal auch darüber hinaus. Und so liegt hier ein weiterer Band kompakten True Crimes vor, dessen Bandbreite von der Beziehungstat bis hin zur Wirtschaftskriminalität reicht.

Zehn Fälle stellt der Autor in sehr nüchterner Sprache vor und beschreibt deren Verlauf mitunter in einer manchmal zu kompakten Form. Gerade bleibt genug Zeit in einem Fall einzutauchen, bekommt man bereits die Auflösung serviert, um so gleich zum nächsten Fall zu springen. Ergänzend dazu, Fotografien aus den Ermittlungsarchiven, die das Geschehen veranschaulichen und das Grauen unterstreichen.

Der Tonfall, in dem erzählt wird, wirkt in etwa so, als würde man direkt die zur damaligen Zeit angelegten Akten lesen, doch reichen die Auswirkungen der beschriebenen Taten mitunter bis in die heutigen Tage. Der Autor erzählt jeden Fall, so weit möglich zu Ende, auch wie mit Urteilen umgegangen, mitunter gehändelt wurde, über die Wendezeit hinweg. Und das ist an manchen Stellen fast noch spannender zu lesen. Die manchmal doch sehr trockene Sprache gewinnt dann an Dynamik, gleichwohl aufgrund der Kompaktheit durchgehend nicht wirklich Längen entstanden sind.

Der Eine oder Andere, wer in unmittelbarer Umgebung des Geschehens oder zumindest in der betroffenen Region gelebt hat, mag sich an bestimmte Dinge im Dunstkreis der Ermittlungen erinnern, heute wohl nur, wenn eine gewisse Legendenbildung stattgefunden hat, doch auch sonst ist dieses Dokument durchaus interessant. Wie funktionierte damals Ermittlungsarbeit? Wo stieß diese, schon aufgrund damals noch nicht verfügbarer Kriminaltechniken, wie sie heute zur Verfügung stehen, an ihre Grenzen? Alleine schon für diese Details, wenn sie auch in überschaubarer Anzahl daherkommen, lohnt sich die Lektüre.

Intensive Recherche ist dem Autoren nicht in Abrede zu stellen, genau so wie den Umgang mit Personen, die teilweise heute noch unter uns sind, auch verkneift sich Kaufholz jeden sensationsheischenden Kniff. Dennoch fehlt es vielfach an Ausführlichkeit, Tiefe, das sehr kompakte Beschreibung nimmt viel von den Spannungsmomenten, die typische True Crime Lektüre eigentlich hat. Wer jedoch Unaufgeregtes sucht, fast berichtsmäßig oder lokalhistorisches Beschreiben, der fährt mit dieser Auswahl gut.

Autor:

Bernd Kaufholz wurde 1952 in Magdeburg geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Maschinenbau, darauf hin Journalistik und war ab 1977 als Redakteur der Mageburger “Volksstimme” tätig. Ab 1993 arbeitete er als Chefreporter und berichtete aus Kriegs- und Krisengebieten der Welt. Er veröffentlichte mehrere Bücher zu kriminalistischen Fällen aus Mitteldeutschland.

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Camilla Townsend: Fünfte Sonne

Inhalt:

Im November 1519 kommt es zur weltberühmten Begegnung von Hernando Cortes mit dem Aztekenherrscher Moctezuma. Was damals passierte und was danach geschah, ist oft erzählt worden, aber vor allem so, wie die Spanier es uns präsentiert haben. Camilla townsend stellt in ihrem glänzend erzählten, preisgekrönten Buch die faszinierende, vielschichtige Geschichte der Azteken konsequent aus deren eigener Perspektive dar. (Klappentext)

Rezension:

Der Gewinner bestimmt die Sichtweise. So war es für lange Zeit. Doch seit einigen Jahren nimmt die korrigierende Geschichtsschreibung einen immer größeren und gewichtigeren Raum ein. Das ist so in Bezug der Interpretion der Kolonialhistorie Afrikas der Fall, kürzlich auch in Blick auf Tahiti und Polynesiens geschehen. Nur konsequent ist es daher, dass nun auch die eurozentrische Sichtweise auf die Azteken und ihre Kultur korrigiert wird, zumal für das Selbstverständnis ihrer Nachfahren.

Camilla Townsend, ihres Zeichens Historikerin, widmet sich seit langem dieser Aufgabe und hat dazu die Texte studiert, die uns die Indigenen, die sich selbst Mexica nannten, studiert. Nach der Ankunft der Spanier nutzten diese das lateinische Alphabet, um ihre Geschichte in der ihnen eignen Sprache Nahuatl aufzuschreiben. Heute ergibt sich daraus das Portät einer sehr wundersamen und herausfordernden Zeit, sowie ein menschlicheres Bild als das, welches immer noch in unseren Köpfen vorherrschend ist.

Produkt dieser ausgiebigen Recherchen, die nur der Beginn weiterer Forschungsarbeiten sein können, ist das hier vorliegende sehr ausführliche Sachbuch, welches zunächst einen Einblick in das Werden der aztekischen Gesellschaft in der Zeit vor der Entdeckung durch die Europäer gibt, ihr Leben und ihre Kultur darstellt. Entlang eines Zeitstrahls werden dann erste Aufeinandertreffen geschildert, und die Neuordnung der mittelamerikanischen Gesellschaft über die kommenden Jahrhunderte.

Schnell wird klar, die Geschichte der Azteken, sie hat nie geendet. Anhand der in den von den Indigenen verfassten Texten dargestellten Personen, stellt die Autorin einen Wandel dar und zeigt, dass die Indigenen schnell die Unterschiede zwischen den Europäern und sich selbst erkannten, aber auch im Laufe von Generationen Technologien übernahmen und politische Loyalitäten neu ausrichteten, um zu überleben. Dennoch hatten die spanische Konquista und von ihr eingeschleppte, bis dahin unbekannte Krankheiten, verheerende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung dort und damit auch Einfluss auf das Leben der aztekischen Gesellschaft. Auch dies wird nicht unterschlagen.

Jede Geschichte der azteken muss die erfahrungen eines einst mächtigen Volkes erforschen, das mit einer ungeheuren Katastrophe konfrontiert war und irgendwie überleben musste. Die Konquista war, trotz ihrer Bedeutung, weder ein Beginn noch ein absolutes Ende. Die Azteken lebten jahrhundertelang vor der Katastrophe und sie sind immer noch unter uns.

Camilla Townsend: Fünfte Sonne

Camilla Townsends Schilderungen sind immer dann stark, wenn sie die Perspektive bestimmter Personalbiografien einnimmt und Konfrontations- und Reibungspunkte beschreibt. Nur dort, wo uns die Texte der Mexica kaum oder nur wenig Auskunft geben können oder gar gänzlich lückenhaft sind, greift sie auf die, in manchen Teilen doch tendenziösen Hinterlassenschaften der Europäer zurück, trotzdem verliert sie nicht den Blick und kommt immer wieder sehr schnell darauf zurück, die ursprüngliche Perspektive wieder einzunehmen.

Das liest sich zuweilen ungewohnt, eröffnet jedoch eine neue Facette, die wir künftig mitdenken sollten. Die Mexica waren eben nicht nur die menschenopfernden Krieger, die alle um sie herum lebenden Völker unterdrückten, sie sind auch nicht mit dem Auftauchen der Spanier spurlos verschwunden. Im Gegenteil, es gibt sie heute noch. Über eine Million Menschen können z. B. heute noch ihre sprache verstehen und mitunter sprechen.

Zuweilen ergeben sich bei dieser Art von Darstellung Längen, was nicht nur am Schreibstil liegt, sondern auch aufgrund des durch die intensive Recherche entstandenen Detailgrads, der seines Gleichen sucht. Man muss schon den Willen und die Konzentration für die Lektüre aufbringen, wenn sie gewinnbringend sein soll, doch lohnt sich das, da Townsend auch von sehr vielen spannenden Ereignissen und Momenten dieser Geschichte zu berichten weiß.

Die “Fremdlinge für uns Menschen hier”, rücken während des Lesens aber in jedem Fall näher.

Autorin:

Camilla Townsend wurde 1965 geboren und ist eine US-amerikanische Historikerin und Professorin für Geschichte an der Rutgers University. Zunächst studierte sie am Bryn Mawr College und promovierte an der Rutgers University in vergleichende Geschichte. Von 1995-2006 lehrte sie Geschichte an der Colgate University in Hamiliton, New York und begann sich in die Sprache Nahatl einzuarbeiten.

2010 erhielt sie ein Guggenheim-Stipendium und studierte die historischen Primär- und Sekundäquellen, der in dieser Sprache von den Azteken verfassten Texte und spezialisierte sich damit auf die Historie und Frühgeschichte amerikanischer Ureinwohner, sowie die Geschichte Lateinamerikas. Ihr Sachbuch wurde 2020 mit dem Cundill History Prize ausgezeichnet.

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