Rezension

Stephen King: Das Institut

Das Institut Book Cover
Das Institut Stephen King Heyne Erschienen am: 09.09.2019 Seiten: 768
ISBN: 978-3-453-27237-8
Übersetzer:
Bernhard Kleinschmidt

Inhalt:

Der Spielplatz war von einem mindestens drei Meter hohen Maschendrahtzaun umgeben. An zwei Ecken sah Luke Kameras. Sie waren so verstaubt, dass sie wahrscheinlich lange nicht gereinigt wurden. Hinter dem Zaun war nichts als Wald, meistens Tannen…

Was immer das Institut darstellte, es stand also inmitten eines alten Waldes, inmitten von nirgendwo. Was den Spielplatz anging, war Lukes erster Gedanke: Wenn es einen Gefängnishof für Kinder im Alter von sechs bis sechszehn gäbe, dann sähe der exakt so aus. (Klappentext)

Rezension:

Es ist die Geschichte, die man vom amerikanischen Großmeister des Horrors erwartet und dennoch enthält “Das Institut” für seine Leser wieder Überraschungen bereit, die einem erstaunen und erschaudern lassen. Zunächst jedoch setzt Stephen King auf ein altes funktionierendes Rezept, eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen als Protagonisten als Sympathiefiguren in Szene zu setzen und strickt eine phantastische Coming-of-Age-Geschichte, wie es die Spezialität des Autoren von “Es” oder der Novelle “Die Leiche” (“Stand by me”) geworden ist.

Im Zentrum des Ganzen, Luke Ellis, ein zwölfjähriger Junge, hochintelligent, der bereits die Zulassung für zwei amerikanische Universitäten in der Tasche hat und eines Nachts entführt und in eine mysteriöse Einrichtung verbracht wird, wo er zusammen mit anderen Kindern grausame Tests durchlaufen muss. Wozu ist zunächst nicht klar, doch der Junge merkt bald, dass nach einer gewissen Anzahl von Untersuchungen Kinder verschwinden und nicht mehr zurückkehren. Ihm wird klar, dass er fliehen muss. Doch, dies ist bisher niemanden gelungen.

“Meinst du, unser Erinnerungsvermögen ist ein Segen oder ein Fluch?”

Luke Ellis, Hauptprotagonist von “Das Institut”.

Der zweite Hauptstrang dieser sich mit zunehmender Seitenzahl immer rasanter gestaltenden Erzählung, geht es um Tim, einen ehemaligen Polizisten, der als eine Art Nachtwächter in einem verschlafenen Nest anheuert, um mit der Vergangenheit abzuschließen und sich neu zu orientieren. Später führen beide Handlungsstränge zusammen, zu einem fulminanten Showdown, dessen Ausgang hier nicht verraten werden soll.

Stephen King gelingt es hier, zwei sympathische Hauptprotagonisten zu schaffen, die zunächst alleine und später gemeinsam sich gegen das Böse stellen müssen. Was das ist und wozu dies dient, ist zu Beginn nicht klar, spielt jedoch auch keine Rolle, doch hat der Autor genügend Material zu einer Erzählung zusammen verflochten, was zeigt, wozu dieser eigentlich fähig ist.

Verschwörungstheorien, die bröckelnde Fassade amerikanischer Kleinstädte, der Hillbilly-Faktor, der die Atmosphäre schafft und eine Gruppe von Kindern, die in einem besonderen Moment zu ungewöhnlichen Mitteln greifen müssen, um nicht nur sich zu retten. Daraus ist eine interessante und vielschichtige Geschichte entstanden, die einem kaum loslässt. Keine Seite ist hier zu viel oder zu wenig geschrieben worden.

Doppelperspektisch erzählt, lullt Stephen King seine Leser zunächst ein, um Zeile zu Zeile Horrorelemente einfließen und wirken zu lassen, wenn gleich sich solche Elemente im Gegensatz zu anderen Werken von ihm wohl in Grenzen halten. Eine schlüssige Handlung ist es, welche diesen Pageturner auszeichnet, wo auch Wendungen gelingen, an denen andere Schriftsteller scheitern würden. Zudem ist auch die Handlung der Gegenseite verständlich und nachvollziehbar aufgebaut.

Der Autor, dessen Geschichte vielleicht etwas zu sehr amerikanische Elemente verpackt, hat hier ein Meisterwerk geschaffen, welches ein wenig unter dem Handwerk des Übersetzens zu leiden hatte. Hätte es Verlag und Übersetzer ein Bein abgebrochen, als Fußnote Begriffe wie “Nachtklopfer” zu erklären?

Nur die wenigsten Leser außerhalb Amerikas dürften damit etwas anzufangen wissen. Zur Information, damit ist eine Position etwas unterhalb eines Nachtwächters gemeint. So etwas sorgt für Atmosphäre, stört jedoch ein wenig beim Lesefluss.

Kurzatmig, folgeschnell ist die Handlung, die mit zunehmender Seitenzahl an Tempo gewinnt und eine Sogwirkung zeigt, derer man sich kaum zu entziehen weiß. Stephen King verlässt sich darauf jedoch nicht allein, sondern schafft ein Gedankenkonstrukt zwischen amerikanischer Einöde und Verschwörungstheorien, die einem die Schauer den Rücken hinunterlaufen lassen.

Der Autor zeigt damit, dass er immer noch in der Lage ist, eine grandiose Geschichte zu schreiben. Ich würde sogar soweit gehen, “Das Institut” eine moderne Version von “Es” zu nennen, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Querverweise zu anderen Werken von King nicht ausgenommen, wobei jetzt keine Kenntnisnahme notwendig ist, um in die Ungeheuerlichkeiten dieses Romans abzutauchen.

Der Großmeister des amerikanischen Horrors mit einer Geschichte wie “Es” und einem zwölfjährigen Protagonisten, der über sich hinauswachsen muss. Ungeachtet des Mikros und der kleinen Kamera da drüben an der Wand lohnt es sich, diese zu verfolgen.

Zur Leseprobe: hier klicken

Autor:

Stephen Edwin King wurde 1947 in Portland, Maine, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Unter verschiedenen Pseudonymen und unter seinem eigenen Namen verfasste er vor allem Horror-Literatur, aber auch zahlreiche Kurzromane.

Seine Bücher wurden in über 50 Sprachen übersetzt, womit King zu den meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart zählt. Nach der Schule studierte er Englisch, unterrichtete in diesem Fach und arbeitete in verschiedenen Berufen, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte. Sein Werk „Carrie“ erschien 1974 in deutscher Übersetzung als erstes Werk von King. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt.

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Sebastian 23: Cogito, ergo dumm

Cogito, ergo dumm -  Book Cover
Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit Rezensionsexemplar/Humor Benevento Taschenbuch Seiten: 336 ISBN: 978-3-7109-0103-4

Inhalt:

Machen wir uns nichts vor, der Mensch neigt zu Dummheiten. Aber waren wir immer gleich dumm, oder gibt es Anhaltspunkte für eine fortschreitende Verdummung? Und was ist dran am Gerücht, dass Dumme glücklicher sind? Bestseller-Autor SEBASTIAN 23 nimmt uns mit auf einen Parforceritt durch die Dummheiten der Menschheitsgeschichte. (Klappentext)

Rezension:

Ein Mediziner, der mit seiner Behandlungsmethode erfolgreich zwei Stardirigenten ihrer Zeit erblinden ließ, ein antiker Feldherr, der das Meer auspeitschte, nachdem ihm die Überquerung nicht gelang und ein Präsident, der Ketchup als Gemüse an amerikanischen Schulen durchsetzen wollte.

Die Geschichte der Menschen ist seit jeher durchzogen von klugen Einfällen und so vielen Dummheiten, dass man sich fragen darf, wie wir es eigentlich bisher geschafft haben, zu überleben? Zum Schreien komisch ist die vorliegende Sammlung des Satirikers und Poetry-Slamers Sebastian 23, die im Benevento-Verlag erschienen ist, welche ein ernstzunehmendes Sachbuch mit einer gewaltigen Portion Humor darstellt.

Ein schwedischer König, der im Wettrüsten um die größte Kanone, ein Schiff so stark bestückte, dass es gleich im Hafen unterging, ist da noch als amüsante Begebenheit zu nennen, nicht so der Pilot, der den falschen Knopf drückte und damit eine Atombombe fallen ließ. Zum Glück ist die nicht explodiert. Und so konnte sich Sebastian 23 durch kuriose und skurile Situationen wühlen, sie in seinem neuen Buch zusammenstellen.

Er stellt dar, was eigentlich Intelligenz ist und welche Arten von Dummheit es gibt, konzentrierte sich dabei im Laufe des Schreibens vor allem auf die situative, die uns heute herzhaft lachen lässt. Gehört sie nicht zum Leben dazu oder anders gesagt, macht uns gerade Dummheit menschlich?

Einem belgischen Fernfahrer wurde von seinem Arzt gesagt, er ernähre sich unausgewogen und bräuchte mehr Eisen. Dass der Mann umgehend in einem Haushaltswarenladen ging und sich eine Packung Nägel kaufte und schluckte, kann man ihm da kaum vorwerfen, oder? Mit seinen inneren Verletzungen kam er sofort ins Krankenhaus.

Sebastian 23 in “Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit”.

Ein U-Boot-Kommandant, der entdeckt wurde, da er die Toilettenspülung nicht richtig bedienen konnte oder Hähne als Kopfbedeckung gegen die Pest sind da noch das wenigste. Wie wäre es mit einem Banküberfall und zur Verschleierung der Identität natürlich die obligatorische Maske. Dumm nur, wenn sie mit Farbe aufgetragen wurde.

Zu nennen wäre da auch der Kriminelle, der zur Polizei ging, um ein schöneres Fahndungsfoto zu bekommen oder der Verbrecher, der ausbrach um praktisch ins Gefängnis einzubrechen.

Sebastian 23 nimmt sich selbst nicht so ernst und diese, sowie andere Dummheiten der Menschheitsgeschichte auf die Schippe. Thematisch gegliedert geht es zunchst darum, was Intelligenz und Dummheit eigentlich sind, welche Unterscheidungen da getroffen werden und wie sich diese darstellen. Lässt sich Dummheit gleichsam wie Intelligenz messen?

Wenn ja, stimmt die Behauptung, dass die Menschen immer dümmer werden? Oder wird unsere Welt nur vielschichtiger und wir unserer eigenen Unzulänglichkeit mehr bewusst? Ein Blick auf die Politiker vergangener und unserer Zeiten, auf Wissenschaft und Technik und in die Gesellschaft hilft dabei. Mit viel Augenzwinkern, wohl gemerkt.

Die intensive Recherche zu diesem Buch, welches eine abwechslungsreiche bunte Lektüre darstellt, die kurzweilig von der Antike bis zu Instagram-Verbrechen unserer Zeit führt, muss dem Autor unheimlich viel Spaß gemacht haben.

Anders kann ich mir das Feuerwerk an Anekdoten nicht erklären, die Sebastian 23 hier zusammengestellt hat und zum Besten gibt. Diese sind urkomisch, tragisch und regen zum Nachdenken an, zumal, wenn Dummheiten nicht mehr nur auf die humoristische Schippe genommen werden, sondern auch ernste Folgen für uns alle haben.

Bei allem Humor stellt er auch situative Situationen zur Debatte, die einem wirklich an den Verstand der Menschen zweifeln lassen. Doch, ein wenig Dummheit gehört zu unsere Existenz dazu und wer aus der Lektüre mit einem Lächeln herausgeht, war schon mal intelligent genug. Humor bereichert und verlängert schließlich unser Leben, wie auch Penicillin, welches erst durch einen Fehler, eine wissenschaftliche Dummheit, im Experiment, entdeckt wurde.

Die Geschichte der Dummheit oder die Unzulänglichkeit der menschlichen Intelligenz. Lesen wäre klug.

Autor:

Sebastian 23 wurde 1979 geboren und ist ein deutscher Slampoet, Satiriker und Autor. Nach der Schule studierte er Philosophie und trat bei zahlreichen Poetry-Slam-Meisterschaften an. Er lebt in Bochum und geht mit seinem Programm regelmäßig auf Tour, veröffentlichte mehrere Bücher und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.

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Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II.

Johannes Paul II. - Der Papst, der aus dem Osten kam  Book Cover
Johannes Paul II. – Der Papst, der aus dem Osten kam Matthias Drobinski/Thomas Urban C.H. Beck Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 336 ISBN: 978-3-406-74936-0

Inhalt:

Johannes Paul II. (1920-2005) war ein Jahrhundertpapst. Er begeisterte die Massen, und seine Besuche in Polen zeigten den Menschen im Ostblock: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als der kommunistische Staatsapparat.

Doch so sehr Karol Wojtyla in seiner Heimat stets die Reformer in der Kirche unterstützt hatte – als Papst regierte er selbst autoritär, beschnitt die Unabhängigkeit der Ortskirchen und maßregelte Theologen. Matthias Drobinski und Thomas Urban erzählen keine Heiligengeschichte, sondern porträtieren eine faszinierende Persönlichkeit, die Revolutionär und Reaktionär in Einem war. (Klappentext)

Rezension:

Im Jahr 1978 begann eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Karol Wojtyla, der sich fortan Johannes Paul II. nannte, wurde zum Papst gewählt und ließ die kommunistische Welt aufhorchen. Krisensitzungen im Moskauer Kreml und in Warschau folgten, hatte der Pole doch schon seit seiner Priesterweihe nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufmerksamkeit und Schwierigkeiten bei den Machthabern gesorgt.

Auch als Papst blieb er Hoffnungsträger für Hunderttausende. Doch, der Mann, der aus dem Osten kam, blieb sich treu und für viele auch hoch umstritten. Die kirchliche Ökomene förderte er, doch gegen Missbrauch in der Kirche unternahm er nichts, auch seine Einstellung gegenüber Frauen, Verhütung und Sexualität waren konservativ. Zu konservativ für eine sich im Umbruch befindliche Welt. Doch, wer war Karol Wojtyla eigentlich? Der Mann, der die katholische Kirche ins neue Jahrtausend führen sollte.

Beitrag aus der Dokumentation “100 Jahre – Der Countdown”, 1981 – Schüsse auf den Papst.

Die Journalisten und Autoren Thomas Urban und Matthias Drobinski zeichnen das vielschichtige Porträt eines Menschen, der zuweilen so widersprüchlich ist, wie die Institution, der er sein Leben verschrieb. Auf relativ wenigen Seiten wird das längste Pontifikat seit mehreren Jahrhunderten dargestellt, aber auch der Weg dorthin minutiös aufgezeichnet.

Welche Wegsteine markierten die Biografie eines Mannes, der Geschichte schreiben und selbst eine solche werden sollte? Wie entwickelte Wojtyla, später als Papst Johannes Paul II., seine Ansichten und woran lag es, dass der einst so progressive Pfarrer, Bischof und Kardinal mit dem Alter immer konservativer wurde?

Beschrieben wird nicht nur der Lebensweg und die Schwierigkeiten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzungen, denen sich der “Reisepapst” ausgesetzt war, sondern immer wieder auch Momente, die Geschichte schrieben. Das Attentat auf den Papst gehört ebenso dazu, wie auch die Unterstützungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig, um Lech Walensa, Beginn des schleichenden Zusammenbruchs der kommunistischen Regime im Osten.

Ungeschönt wird das Bild wiedergegeben, welches sich schon zu Lebzeiten formte, auch die Debatte um die Stellung der Frau in der Kirche, die neuen Schwung aufnahm und in derer der Papst auch viele Gläubige enttäuschte, wird dargestellt.

Intensive Recherchearbeit in Archiven, die Sichtung von Interviews und Berichten gingen der Arbeit voran, in derer die Autoren darstellen, welchen Einfluss Papst Johannes II., der sich der Ökomene verschrieben sah und für den Frieden in der welt kämpfte, doch so voller Widersprüche war, auf die Kirche nahm. Sie zeigen, wie der Mann, der über ein Vierteljahrhundert lang, das Schicksal der Katholiken bestimmte, die Kirche über sein pontifikat hinaus bestimmte und welches Erbe er seinen Nachfolgern hinterlies.

Abgesehen von manchen Längen, die wohl alle Biographien aufweisen, ist diese hier leicht zu lesen, ist doch die Zeit, in der Karol Wojtyla voller hochspannender Ereignisse und Wendungen. Die Autoren zeichnen ungeschönt ein facettenreiches Bild mit all seinen Widersprüchen in handlichen Kapiteln.

Nachvollziehbar auch für die jenigen, die das Weltbild des Johannes Paul II. jetzt nicht vertretetn. Urban und Drobinski zeigen, welche Zeichen das Oberhaupt der Katholiken in die Welt sendete und was davon bleibt. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Der erste Medienpapst der Geschichte, der den Vatikan in kleinen Schritten veränderte und doch manche, vielleicht zu hoch an die Institution gestellten, Erwartungen enttäuschte, im Spiegel der Zeitgeschichte und an dessen Leben nicht nur die Katholiken bis zuletzt Anteil nahmen. Wie bewerten wir heute den Polen Karol Wojtyla und sein Pontifikat als Papst Joannes Paul II.?

Die Autoren mit dem Versuch einer sehr vielschichtigen Darstellung.

Autoren:

Matthias Drobinsi wurde 1964 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, begann danach eine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. 1993 begann er als redakteur für die Zeitung Publik-Forum, später für Die Woche zu arbeiten, auch recherchierte er für mehrere öffentliche Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 1997 arbeitet er für die Süddeutsche Zeitung als innenpolitischer Redakteur und ist dort für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig-

Thomas Urban wurde 1954 geboren, ist ebenfalls Journalist und Autor, studierte Romanistik, Slavistik und osteuropäische Geschichte. Nach mehreren Stationen arbeitete er zunächst beim Bundessprachenamt.

Nach einem besuch der Henri-Nannen-Schule war er für verschiedene Presseagenturen tätig, später wechselte er zur Süddeutschen Zeitung, wo er als Osteuropa-Korrespondent tätig wurde, sowohl aus Warschau und Moskau berichtete, als auch vom Abchasien- oder dem ersten Tschetchenienkrieg. 2012 übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid.

Beide sind Verfasser mehrerer Sachbücher.

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Philipp Gut: Jahrhundertzeuge Ben Ferencz

Jahrhundertzeuge Ben Ferencz Book Cover
Jahrhundertzeuge Ben Ferencz Philipp Gut Piper Erschienen am: 02.03.2020 Seiten: 346 ISBN: 978-3-492-05985-5

Inhalt:

Minutiös aufbereitete SS-Ereignismeldungen sind es, die Ben Ferencz nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Eine Chronik des Genozids, ein Sensationsfund und Grundlage für den daraus folgenden Einsatzgruppenprozess in Nürnberg.

Mit gerade einmal 27 Jahren tritt Ferencz als Chefankläger auf und auch danach prägt der Anwalt wichtige Etappen der Zeitgeschichte mit. Er gestaltet die deutsche Wiedergutmachungspolitik mit, ebenso den Aufbau des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ben Ferencz, der SS-Generäle jagte, Opfer entschädigte und bis ins hohe Alter für den Weltfrieden kämpfte. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Rezension:

Hundert Jahre sind eine kaum fassbare Zeitspanne, vor allem, wenn sie so ereignisreich gewesen sind, wie die, die Ben Ferencz in vielen Facetten erleben und mitgestalten durfte.

Aus einer armen Familie stammend, wurde der begabte Junge Jurist und half mit Recht und Gerechtigkeit international durchzusetzen und wurde so zu einem Fürsprecher gegen Gräuel und Leid, solches zu sühnen und künftig zu verhindern. Dies ist seine Biografie.

Der Historiker und Journalist Philipp Gut hat sich die fulminante Aufgabe gegeben, eine atemberaubende Biografie zu verschriftlichen. Nun im Piper-Verlag erschienen, ist dies gelungen. Auf der grundlage von Berichten, Tagebuch-Einträgen und nicht zuletzt Interviews mit den jenigen, den der Autor später als Jahrhundertzeuge betiteln würde, zeichnet Gut das Leben eines Kämpfers nach.

Minutiös beschreibt er die Anfänge des begabten Schülers und Studenten, der Recht studierte und den der Krieg nach Europa brachte, der Kontinent, der zu Ferencz prägenster Wirkungsstätte werden sollte.

Ferencz erzählt, wie direkt in den letzten Kriegstagen Material in seine Hände fiel, welches später Grundlagen für die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg werden sollte und welche Weichen ihm gestellt wurden, künftig sich dafür einzusetzen, dass solches Leid, wie von den Nationalsozialisten verursacht, künftig nicht ungesühnt bleiben würde.

Faszinierend sind die einzelnen Episoden aus Ferencz’ Leben, welches immer wieder Berührungspunkte mit den Europa bewegenden Ereignissen hatte, die er zudem kräftig mitgestaltete. Beindruckend, seine Ausführungen, wie er um die Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern kämpfte und welchen Hürden er sich gegenüber sah, als es darum ging, eine internationale Gerichtsbarkeit gegen künftige Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schaffen.

In verständlicher Sprache, ohne das Für und Wider der beschriebenen Zeit außer Acht zu lassen, erweist der Autor einem der großen Menschen der jüngeren Zeitgeschichte Ehre und Respekt. Eine Biografie, gleichsam ein Denkmal für jemanden, den es immer um die Sache ging, der jedoch auch fehler und Schwierigkeiten eingesteht, denen er sich ausgesetzt sah.

Intensiv recherchiert, ohne rosarote Brille, ist diese Biografie so spannend wie ein Krimi zu lesen.

Make Law, not War.

Sein Leitspruch und die Maxime, nach der ferencz lebte. Der Bericht über einen außergewöhnlichen Menschen in bewegenden Zeiten.

Autor:

Philipp Gut wurde 1971 geboren und ist ein Schweizer Journalist und Autor. Er studierte in Zürich und Berlin Geschichte, neuere deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie und arbeitete als Assistent an der Universität Zürocj, bevor er 2005 promovierte. Als freier Autor arbeitete er zunächst beim Zürcher Tages-Anzeiger, seit 2010 als stellvertrender Chefredakteur.

Er schrieb für mehrere Zeitungen und veröffentlichte Biografien zu Hermann Hesse und Winston Chruchill. Seine Recherchen sorgen immer wieder für Aufsehen und werden intensiv diskutiert.

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Fabien Nury/Thierry Robin: The death of Stalin

The death of Stalin Book Cover
The death of Stalin Fabien Nury/Thierry Robin Splitter Verlag Erschienen am: 25.02.2018 Seiten: 144 inkl. Bonusmaterial ISBN: 978-3-96219-171-9 Übersetzer: Harald Sachse

Inhalt:

An alle Parteigenossen…

An alle Werktätigen der Sowjetunion…

Das Herz des Kampfgefährten und genialen Fortsetzers der Sache Lenins,

des weisen Führers der Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes, Josef Wissarionowitsch Stalin…

… hat aufgehört zu schlagen.

-Mitteilung der Partei- und Staatsführung der UdSSR vom 8. März 1953-

(Klappentext)

Rezension:

Eine komplette Biografie in Form eines Comics zu gestalten, funktioniert in den meisten Fällen schon aufgrund der Vielschichtigkeit von Ereignissen nicht und würde ein sehr ausuferndes Projekt werden, so scheiterte Thierry Robin bei dem Versuch, eine solche über keinen Geringeren als Stalin zu entwerfen.

Doch, wie ist es, eine solche auf ein bestimmtes Moment zu konzentrieren? Erzielt man damit nicht genau die gleiche, wenn nicht sogar eine bessere Wirkung?

Zusammen von Fabien Nury und Thierry Robin gestaltet, liegt hiermit “The death of Stalin” vor, die Graphic Novel, die nun den Fokus rund um die Ereignisse legt, die sich um den Tode des Massenmörders und sowjetischen Diktators Stalin abspielten.

Fein nuanciert wird dargestellt, welches Machtvakuum dieser Machtmensch bereits im Sterbebett hinterließ und welche Ränkespiele sofort nach seinem Tode begannen.

Die Autoren und Zeichner orientierten sich dabei eher lose an dem, was überliefert ist, so gab es z.B. den am Anfang dargestellten Brief der Maria Judina wirklich, doch war er nicht der Auslöser für Stalins Schlaganfall, der zum Tod führte. Dennoch ist den beiden Zeichnern ein großer Wurf gelungen.

In düsteren Farben wird der irrsinn von Macht- und Ränkespielen dargestellt, sowie die Charkterzeichnung der einzelnen Akteuere auf die Spitze getrieben. Wiedererkennungswert haben die Protagonisten. Ihre realen Vorbilder sind sofort ersichtlich.

Kalt wird es den Lesern den Rücken hinterlaufen, wenn der gefürchtete Geheimdienstchef Beria seine finsteren Pläne schmiedet und Figuren wie Chruschtchow oder Bulganin darauf reagieren müssen. Wirkliche Sympathieträger gibt es nicht, doch zeigen Nury und Robin den ganzen Irrsinn auf, den das Machtvakuum verursachte, welches sich nach Stalins Tod ergab.

Die Autoren zeigen auf, dass Stalins Terrorregime weitreichende Folgen hatte, noch über den Tod hinaus, mit den Folgen zu kämpfen hatte. Das Chaos, welches der große Terror hinterließ, wenn es um die Suche nach geeigneten Ärzten etwa ging oder selbst vor Stalins erwachssenen Kindern nicht haltmachte.

In diesem Sinne kann man Thierry und Nury nur Respekt zeugen, sich auf wichtige Details dieser geschichtlichen Ereignisse zu konzentrieren. Vielleicht ist nicht alles den tatsächlichen Begebenheiten zu hundert Prozent angeglichen, sofern überhaupt überliefert, aber so hätte es sein können. Der Geist des Geschehens kommt in jedem Fall rüber.

Ausgesprochen gut zeigen die Autoren, was Macht mit den Menschen macht, besonders aber die abhängigkeiten udn Rivlitäten der Führungsfiguren, die in den Zeichnungen einen realen Wiedererkennungswert besitzen.

Es fällt leicht, dem zu folgen, selbst, wenn man sich bisher kaum mit den geschichtlichen Werdegängen beschäftigt hat. Alleine, um die Atmosphäre aufzunehmen, genügen bereits ein paar Seiten.

Die Zusammenarbeit von Robin und Nury hat hier zu einer gelungenen Mischung geführt, diese wiederum zu einer interessanten und packenden Graphic Novel, die es in sich hat.

Geschichte kann eben spannend sein. Besonders, wenn sie so erzählt wird.

Autoren/Zeichner:

Fabien Nury wurde 1976 geboren und ist ein französischer Comicautor. Zeichnungen von Kurzgeschichten erschienen in mehreren Magazinen, bevor er sich auf historische Erzählungen spezialisierte. Er prägte dabei das biografische Comic. Seine Werke wurden mehrfach ausgestellt und ausgezeichnet.

Thierry Robin wurde 1958 geboren, ist ebenfalls Comicautor und zeichnete bereits Weihnachtsbriefmarken für die französische Post. Sein Werk wurde 1990 erstmals ausgestellt, was ihm die Türen zum Verlagswesen öffnete. Zusammen mit Nury veröffentlichte mehrere historische Graphic Novels.

Film-Adaption:

Hervorrragend auch die Film-Adaption von 2018.

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Simon Schwartz: IKON

IKON Book Cover
IKON Simon Schwartz Avant Verlag Erschienen am: 01.03.2018 Seiten: 216 ISBN: 978-3-945034-79-8

Inhalt:

IKON folgt dem Russen Gleb Botkin, der als Sohn des Leibarztes des russischen Zaren die Oktoberrevolution miterlebt und dabei seine engste Vertraute verliert – die Zarentochter Anastasia.

Jahre später, im amerikanischen Exil, trifft der spirituell entwurzelte Ikonenmaler Botkin eine psychisch kranke Frau, die vorgibt, seine verlorene Anastasia zu sein und Anspruch auf den russischen Thron erhebt. Botkin, der sein ganzes Seelenheil auf diese tragische Gestalt projiziert, verliert erneut den Halt und verschreibt sich mit Leib und Seele seiner wiedergefundenen Ikone.

IKON ist eine – auf wahren Begebenheiten basierende – Erzählung über Verlust, Projektion und die Liebe zweier verlorener Seelen, die von der Brutalität des 20. Jahrhunderts gezeichnet wurden. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der Anna Anderson, die unter mysteriösen Umständen in einer Berliner Heilanstalt in den 1920er Jahren auftauchte und Anspruch darauf erhob, eine der Töchter des letzten Zaren von Russland zu sein, ist bekannt und bereits Stoff für zahlreiche filmische und nicht zuletzt literarische Umsetzungen gewesen.

Zu schön um wahr zu sein ist es doch, einem grausamen Massaker, wie durch ein Wunder, entkommen zu sein und damit um Stellung und nicht zuletzt einem unvergleichlichen Vermögen, wenn auch kaum greifbar, zu kämpfen.

Doch, lässt sich eine Geschichte, die sich über einen Zeitraum von Jahrzehnten abspielte und mindestens die Wucht eines Krimis auf vielerlei Ebenen hatte, wirklich in Form einer Graphic Novel erzählen?

Die Umsetzung einer komplexen Thematik in Comic.Form ist bereits mehreren Zeichnern gut gelungen. Die Graphic Novel um Anne Frank etwa gehört wohl dazu und auch die mehrteilige Kindheits- und Jugendbiografie des Charlie-Hebdo-Zeichners Riad Sattouf “Der Araber von morgen” kann man da nennen. Wie steht es also um “IKON”, in der Simon Schwartz die Geschichte des Russen Gleb Botkin und des Mythos Anastasia erzählt?

Zunächst ist auffällig der grobe Zeichenstil, der in Schwarz-Weiss diese atemraubende Geschichte versucht, zu verbildlichen. Bewusst ist hier vom Versuch die Rede, denn nur schwer gewöhnt man sich an die unruhigen Zeichnungen, die im zusammenhang mit der sprunghaften Erzählweise eine Konzentration abverlangen, die man wohl kaum bei einer Graphic Novel voraussetzen darf.

Zudem wechseln sich hier Zeitebenen nach nur wenigen Seiten ab, Handlungsstränge, die sich nur schwer zusammenführen lassen, zumal für ungeübte Leser. Vorkenntnisse um die Ereignisse des Lebens der letzten Zarenfamilie, der Mordnacht in Jekaterinburg 1918 und nicht zuletzt um Anastasia/Anna Anderson selbst, sind unbedingt von Nöten, möchte man sich auf die Graphic Novel auch nur halbwegs einlassen.

Wer will, erfährt so einiges über die russisch-orthodoxe Religion, die Bedeutung und Werdung von Ikonen, versteht die Anspielungen, die Simon Schwarz hier durchaus gelungen eingebracht hat. Das funktioniert jedoch nur bei denen, die nicht gerade Einsteiger in diese Thematik sind.

In der Graphic Novel nachempfunden. Gleb Botkin zeichnet für die Zarenkinder.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Die Zeichnungen Gleb Botkins für die Zarenkinder gab es wirklich, sahen auch so ähnlich aus, wie sie der Protagonist in mehreren Szenen zu Papier bringt, auch hält sich der Autor strickt an die Historie und erliegt nicht der Versuchung, dem schon aufgeklärten aber immer noch an manchen Stellen gepflegten Mythos um Anastasia neue Nahrung zu verschaffen.

Wenn man jedoch dieses Vorwissen nicht hat, fällt es trotz der nachstehenden Erläuterungen schwer, in die Geschichte einzutauchen und sich auch darauf einzulassen.

Prägnant ist der erdrückend wuchtig wirkende Zeichenstil.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Zu wuchtig, zu eigenwillig wirken sämtliche Protagonisten, was am Zeichenstil einerseits liegt, von den ständigen Zeitsprüngen mal gar nicht zu reden, andererseits auch und besonders an einer Überbetonung von Charakterzügen. Das funktioniert vielleicht auf einer Theaterbühne, damit’s dann auch der Zuschauer in der hintersten Reihe mitbekommt, hier aber allzu aufdringlich und abstoßend wirkt.

Wer sich wirklich mit der Tragik der Familie des letzten Zaren beschäftigen wollte, noch keine Berührungspunkte mit der Thematik hat, sollte besser zu Simon Sebag-Montefoire oder Elisabeth Heresch (“Alexej, der Sohn des letzten Zaren”) greifen, die beiderseits hervorragende und verständlich zu lesende Sachbücher darüber verfasst haben. Damit ist Interessierten und Kennern eher gedient.

Mittels eines DNA-Tests konnte Jahrzehnte später zweifelsfrei festgestellt werden, dass es sich bei Anna Anderson nicht um die Zarentochter Anastasia handelte.

Simon Schwartz über richtige und falsche Ikonen.

Nebenbei erfährt der Leser etwas über russische Orthodoxie und die Entstehung von Ikonen.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Zeichner:

Simon Schwartz wurde 1982 geboren und ist ein deutscher Comiczeichner, Autor und Illustrator. Nach dem Abitur arbeitete er im Mosaik Verlag und studierte von 2004-2009 Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Für verschiedene Tageszeitungen verfasst er reegelmäßig Comic-Strips und veröffentlichte 2009 seinen ersten comic-Roman. Für Wände mehrerer Gedenkstätten zeichnete er die Vorlagen. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet.

Weiterführende Links und Literatur:

Ein anderer Blog: MonerlS bunte Welt

Simon Sebag-Montefoire: Die Romanows

Douglas Smith: Rasputin – Und die Erde wird zittern

Wikipedia: Die Ermordung der Zarenfamilie

Das Ipatjew-Haus / 10 Fakten / Wikipedia: Anna Anderson

Wikipedia: Anastasia Nikolajewna Romanowa

Helen Rappaport: The Romanov Royal Matyrs (Book Trailer)

Empfehlenswerte Verfilmung:

“Nikolaus & Alexandra”, Spielfilm von 1971, bassierend auf Robert K. Massies gleichnamigen Buch. Sehr nah am Biografischen. Länge: 181 Minuten.

Vielleicht schreibe ich doch mal ein Special zu verschiedenen Verfilmungen und anderen Büchern? Da gibt’s mehrere sehr interessante Umsetzungen.

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Hans Fricke: Unterwegs im blauen Universum

Unterwegs im blauen Universum Book Cover
Unterwegs im blauen Universum Hans Fricke Galiani Berlin Erschienen am: 05.03.2020 Seiten: 347 ISBN: 978-3-86971-202-4

Inhalt:

Abenteuer Wissenschaft: Hans Fricke ist eine Mischung aus Jacques Cousteau, Konrad Lorenz und Indiana Jones, ein besessener Meeresforscher und Taucher.

Mit dem Fahrrad fuhr er bis ans Rote Meer, um dort zu tauchen, baute ohne eigene finanzielle Mittel ein Unterwasserhaus und suchte nach einem einzigen Aalei in den Weiten des Pazifiks. Der Meeresbiologe erzählt von seinen Forschungsstationen, in denen er nach Quastenflossern, Wasserflöhen und alten historischen Rätseln suchte. Immer unterwegs im blauen Universum. (abgewandelter Inhaltstext)

Rezension:

Mit Feuerlöscher und Gasmaske baute sich der elfjährige Junge, der später einer der profiliertesten deutschen Meeresbiologen werden sollte, eine eigene Tauchausrüstung und begann damit ein beispielloses Stück Wissenschaftsgeschichte zu schreiben.

Später, aus der DDR geflohen, wurde Hans Fricke zum Bewunderer und Schüler von Konrad Lorenz, schlüpfte in die Schuppenhaut der Fische und begann das blaue Universum zu erforschen. Nun liegt im Verlag Galiani Berlin seine erstaunliche Biografie vor, voller spannender Episoden aus seinem Forscherleben.

Wissenschaft ist keinesfalls dröge, sondern derart facettenreich, dass man sich schon auf einzelne Personen konzentrieren muss, um den interessanten Anekdoten hinter einzelnen Forschungsprojekten auf der Spur zu kommen.

Hans Fricke erzählt von seinen Projekten und damit auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte, die er selbst mit viel Improvisationstalent zu bewältigen musste. Meeresbiologie so zeigt der Autor, ist eben nicht nur das Beobachten von Korallen oder bestimmten Fischarten, sondern führt an erstaunliche Orte, deren faszinierende Welt sich erst unter der Wasseroberfläche erschließt.

Dabei kann man dann auch schon mal in tiefe Brunnen absteigen oder zum Bergungshelfer der örtlichen Polizei werden.

Diese Aneinanderreihung der Ereignisse ist es, die Hans Frickes Mischung aus Biografie, Geschichte und Sachbuch so lesenswert macht. Nachvollziehbar und keineswegs abgehoben erzählt er von Herausforderungen, die ihm zu technischen Meisterleistungen angetrieben haben, aber auch von den Grenzen der Wissenschaft, die nicht selten durch behördliche Zwänge entstehen.

Dabei wird deutlich, dass Forschungssprojekte zunächst wahre Geduldsproben sind und des Rätsels Lösung mitunter erst nach Jahren zufällig auftaucht, was einzelne Objekte betrifft. In kurzweiligen Kapiteln berichtet der Meeresbiologe aus seinem Leben.

Man lese und staune, was alles zu Forschungsprojekten eines solchen werden kann und dass es oft das kleine Unscheinbare ist, welches die erhofften oder ganz und gar überraschende Erkenntnisse erbringt.

In der deutschen Forscherriege hat sich Hans Fricke nicht zuletzt durch seine mit selbst konstruierten U-Boote einen Namen gemacht, aber auch sonst ist dieses Stück Wissenschaftsgeschichte unterhaltsam zu lesen, wenn auch einige Episoden gerne etwas ausführlicher beschrieben werden können.

Hans Fricke zeigt aber auch ein Stück Naturgeschichte und erklärt, wie unsere Riffe sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert haben, worauf künftige Generationen achten müssen, um es nicht zu verlieren. Der Autor ist zugleich jedoch Inspiration für große und kleine Forscher, zeigt, was möglich ist, wenn man nur Ausdauer entwickelt, Ideen nachgeht und Träume verfolgt. Zur Not auch unter Wasser.

Autor:

Hans Fricke wurde 1941 in Schönbeck(Elbe) geboren und ist ein deutscher Biologe und Tierfilmer. Er studierte zunächst Biologie in Berlin, promiverte 1968 und habilitierte 1978 in München im Fach Zoologie.

Als Gastwissenschaftler war er am Max-Planck-Institut für Verhaltenspsychologie in Seewiesen tätig, wo er mit Konrad Lorenz zusammenarbeitete, später nahm er eine Gastprofessur der hebräischen Universität Jerusalem an.

Seit 1988 ist er in München tätig. Forschungsgebiete sind die Ökologie und das Sozialverhalten mariner Organismen.

Für Zeitschriften und Magazine schrieb er zahlreiche Artikel. Für Dokumentationen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Bekannt wurde er durch den Einsatz mit- und selbstkonstruierter U-Boote Geo und Jago, mit denen er u.a. das Verhalten der Quastenflosser erforschte.

Der Meeresbiologie hat 10.000 Stunden unter Wasser verbracht und isst kein Fisch.

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Oskar Roehler: Der Mangel

Der Mangel Book Cover
Der Mangel Oskar Roehler ullstein Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 170 ISBN: 978-3-550-20038-0

Inhalt:

Vom Übergang einer Mangelgesellschaft, in der es von allem zu wenig gab, in eine Konsumgesellschaft, die den Menschen ihre Würde raubt.

Vom Großwerden einer Gruppe von Kindern in den Sechszigern, den Anstrengungen der Väter, Wohlstand oder zumindest eine Illusion davon zu erschaffen.

Von den Rückschlägen, die sie erleiden. Von den Sorgen und Existenzängsten der Mütter und das Gegenbild dazu, der Ausweg aus Mangel und Überfluss zugleich: die Kunst als Rettungsanker für das Überleben. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Der namenlose Junge beobachtet die Erwachsenen, die daran scheitern, eine Illusion von Wohlstand Wirklichkeit werden zu lassen und daran zu Grunde gehen, zerbrechen. Mit Gleichaltrigen trollt er durch die noch nicht fertige Neubausiedlung am Rande eines Dorfes, gräbt sich durch Schlamm und Lehm, versinkt sprichwörtlich in seiner eigenen Welt.

Zu Beginn ist er ein Vorschulkind, welches um sich herum alles aufnimmt, später versucht, mit den Mitteln der Kunst zu überleben, beinahe wie einst die Mütter und Väter um ihn herum, zu scheitern droht.

Beindruckend ist diese Novelle, deren Handlung der Leser wie einen kunstfollen Kurzfilm vor dem inneren Auge ablaufen sieht. Nicht von ungefähr kommt dieser Effekt, ist doch der Autor Oskar Roehler selbst Filmregisseur und Drehbuchautor.

Der Protagonist, Vorschulkind, Kind, früher Jugendlicher ist das alte Ego des Autors, der Eindrücke in sich aufsaugt, wie ein Schwamm. Kurz und prägnant sind die Sätze, messerscharf und folgerichtig, wie die Beobachtungen selbst.

In der Erzählung fühlt man mit dem Handelnden, der begreift, dass es da draußen in der großen weiten Welt noch etwas anderes geben muss, dass die Chancen, die sich ihm bieten, jedoch noch weniger als rar gesät sind.

Röhler verbildlicht hier Trost- und Perspektivlosigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders, die überall ankommt, nur nicht dort. Die Zeitspanne umreißt die ersten Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Gesellschaft, mit allen Möglichkeiten, vielmehr jedoch mit allen Fallstricken.

Der Protagonist bleibt dabei immer in der Position des Schwachen, ständig am Rand des Abrgund stehend, selbst, als er beginnt, sich daraus zu kämpfen. Trost nur in der Welt der Kunst, der Sprache.

Roehlers Stil, diese Geschichte eine lehmhafte Schwere angedeihen zu lassen, ist gewöhnungsbedürftig. Schön zu lesen, doch plätschert die Trostlosigkeit wie voluminöse Regentropfen nur so dahin. Die Atmosphäre ist düster, die ganze Zeit über, kaum Hoffnungsschimmer.

Um das zu lesen, sollte man in der richtigen Stimmung sein. Für depressive Gemüter ist das nichts.

Es ist eine kompakte Erzählung mit dem Effekt eines Günter Grass, der mit Worten zu faszinieren oder verschrecken mochte. Dazwischen gibt es nichts, sozusagen luftleerer Raum.

Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kunst als zweifelhafter Rettungsanker. Und immer wieder Dreck, Schlamm, Feuchtigkeit, Lehm. Graue, braune Masse, aus der man etwas erschaffen oder in die man versinken kann.

Doch, muss das zwischen zwei Buchdeckeln sein?

Autor:

Oskar Roehler wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Filmregisseur, Journalist und Autor. Nach seinem Abitur ist er als Autor für Drehbücher tätig und wurde ab 1990 als Spielfilmregisseur bekannt. Sein erfolgreichster Film war “Die Unberührbaren”, der u.a. mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Roehler gehört zu den Gründungsmitgleidern der Deutschen Filmakademie, 2003. Im Jahr 2011 veröffentlichte er einen autobiografischen Roman, den er auch verfilmte. 2018 verfilmte er den Roman “HERRliche Zeiten” des umstrittenen rechten Schriftstellers Thor Kunkel.

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Martina Borger: Wir holen alles nach

Wir holen alles nach Book Cover
Wir holen alles nach Martina Borger Erschienen am: 25.03.2020 Diogenes Seiten: 204 ISBN: 978-3-257-07130-6

Inhalt:

Job und Kind unter einen Hut – die alleinerziehende Sina jongliert damit seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen Partner Torsten dabei unterstützt.

Und sie haben Ellen, Ende sechzig, die sich engagiert und liebevoll um Sinas Sohn Elvis kümmert und das hat, was er sich so wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt dem sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht preisgibt, spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine Patchworkfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Sobald man an der Oberfläche kratzt, zeigen sich erst kleine, dann immer größere Risse, die sich schnell zu tiefen unüberwindlichen Gräben ausweiten. Und das nicht einmal absichtlich. Grob könnte man damit die Handlung dieses, zu Beginn sehr betulichen Familienromans, beschreiben, wie sie so oft in den Regalen zu finden sind.

Doch hat die Geschichte aus der Feder Martina Borgers seine Berechtigung, mögen doch gerade die hier beschriebenen Szenen allzuoft in unserer Gesellschaft vorkommen.

In den Protagonisten mag man sich wiederfinden. Allesamt nachvollziehbare Charaktere. Die überarbeitete Mutter, deren berufliche Existenz zu wackeln beginnt, die ältere und hilfsbereite Dame aus der Nachbarschaft und der sensible Filius, Dreh- und Angelpunkt, zugleich Sorgenkind.

Dazu der neue Partner, auch Patchwork ist nichts Ungewohntes. Irgendwo findet man da seine Identifikationsfigur, die die Autorin behutsam ausgearbeitet hat. Der Erzählstil ist dabei von der ersten Zeile an sehr ruhig, um so erschütternder das Ereignis, welches einen Stein ins Rollen und Geschwindigkeit in die Handlung hineinbringt.

Kurzweilig und überschaubar sind die einzelnen Kapitel, beschrieben aus der Perspektive der jeweiligen Hauptperson, wobei hier die Sichtweise des Kindes nur aus der Beobachtung der Erwachsenen heraus, die ihre Schlüsse ziehen, wiedergegeben wird.

Martina Borger erzählt ohne Ausschweifungen von einem schrecklichen Verdacht und von Konsequenzen unseres Handelns, oder eben einer möglichen Nicht-Handlung. Zugleich bringt sie viele Probleme unter, die Gang und Gäbe sind, hier nicht im Detail auserzählt werden. Hier hätte manches Wort mehr geschrieben werden müssen, zumindest Elvis’ Perspektive ausformuliert, wäre wünschenswert gewesen.

Die Erzählung kommt relativ unscheinbar daher, was aber nicht über die Wucht hinwegtäuschen sollte, die der Roman im Verlauf entfaltet. Martina Borger durchbricht die Stadt- und Kleinfamilienidylle, konfrontiert sie mit ihren Sorgen und Ängsten, zeigt, welche Kraft, ein einmal geäußerter Verdacht haben kann.

Doch, ist zu wenig Aufmerksamkeit an der falschen Stelle nicht erst Recht fatal? Leser werden es herausfinden.

Autorin:

Martina Borger wurde 1956 in Gunzenhausen geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Nach der Schule durchlief sie eine Ausbildung als Produktionsassistentin und besuchte die DeutscheJournalistenschule in München. Von 1985-1997 erarbeitete sie u.a. Drehbücher für die Fernsehserie “Lindenstraße”. Seit 2001 veröffentlichte sie mehrere Romane. 2002 wurde sie mit dem Wiesbadener Frauenkrimipreis ausgezeichnet.

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Steven Levy: Facebook – Weltmacht am Abgrund

Facebook - Weltmacht am Abgrund Book Cover
Facebook – Weltmacht am Abgrund Steven Levy Droemer Erschienen am: 02.03.2020 Seiten: 687 ISBN: 978-3-426-27728-7 Übersetzer: Gisela Fichtl (u.a.)

Inhalt:

Die turbulente Firmengeschichte von Facebook zeigt, wie aus dem Konzern das international einflussreichste Tech-Imperium werden konnte, von dem es heute heißt, es bedrohe die Demokratie.

Das mit über 3 Milliarden weltweiten Nutzern auf Facebook, WhatsApp und Instagram über enorme datenvorräte und eine macht verfügt, die ihresgleichen sucht. Eine Macht, für die der Konzern heute immer deutlicher zur Rechenschaft gezogen wird.

Mit unvergleichlichem Insider-Wissen legt Steven Levy offen, was Mark Zuckerberg für die Zukunft seines Unternehmens und die unserer Gesellschaft plant. Er macht deutlich, warum Facebook die Welt unumkehrbar verändert hat und dafür heute die Konsequenzen trägt. (Klappentext)

Rezension:

Als studentisches Netzwerk im Jahr 2004 gegründet, sollte Mark Zuckerbergs Unternehmung einen stetigen Aufstieg Richtung der unseren Alltag beherrschenden Tech-Konzerne nehmen, dass es fast schwindelerregend ist, die einzelnen Stationen zu betrachten.

Wie konnte es einer kleinen Gruppe von Studenten gelingen, die Grundlage für etwas zu schaffen, welches heute zu den wohl Umstrittensten aller Unternehmen gehört, die Einfluss auf unser Leben nehmen?

Der renomierte Tech-Journalist Steven Levy beschreibt den Wandel der Plattform zur allumfassenden Datenmechanerie, skizziert dabei Wege und Wendungen, auch die Probleme, denen sich die Firmenspitze von Facebook heute mehr denn je gezwungen ist zu stellen.

Voraus ging eine jahrelange Recherche durch den Journalisten, der die Entwicklöung von Amerikas Tech-Konzernen seit über dreißig Jahren begleitet. Steven Levy nutzt und kennt die sozialen Medien und bekam Zugang zur Führungsriege, den Mitarbeitern von Facebook, sprach mit ehemaligen Wegbegleitern und Konkurrenten Mark Zuckerbergs.

Was anfangs nur als Art Unternehmensbiografie gedacht war, entwickelte sich im Laufe von zahlreichen Gesprächen zu einem tiefgehenden Psychograms dieses Unternehmes und ihrer Führungsriege. Levy zeigt auf, welche Wege und Wendungen Facebook nahm, wie Facebook arbeitete und Konkurrenten ausschaltete oder sich einverleibte, um dabei die Vision ihrer Gründer zu erfüllen.

Natürlich behält Levy die Fehler, die dabei gemacht wurden im Blick und zeigt, mit welchen Überbleibseln Zuckerberg und Co. zu kämpfen haben, die ihnen Jahre später auf die Füße fallen sollten.

Anfangs durchaus wohlwollend, ist es der kritische Blick, den Levys Arbeit auszeichnet, weshalb sich die Lektüre lohnt. tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, einen begeisterten und positiven Bericht vorgesetzt zu bekommen, doch der Autor schaut über den Tellerrand.

Er zeigt die Perspektiven von Wegbegleitern und Konkurrenten, die zumeist nicht wohlwollend auf die Zeit mit Zuckerberg zurückschauen, aber auch, dass die angestellten durchaus idealistische Vorstellungen haben, die sich jedoch regelmäßig mit dem Geschöftsmodellen beißen, ganz zu schweigen von den entwicklungstechnischen Sprüngen, denen der Konzern folgen muss, um Platzhirsch zu bleiben.

Die Reportage ließt sich wie eine Biografie, ein Wirtschaftskrimi aber auch wie eine Blaupause, um mal die Farbe zu missbrauchen, von Erfolgsgeschichten des Silicon Valley.

Man muss dabei kein Nerd haben oder technisches Verständnis, um Steven Levys Ausführungen folgen zu können, zumal ein Großteil der Geschichte an Personen festzumachen ist, denen der Autor persönlich begegnet ist.

Hoch anzurechnen ist es dem Autoren, nicht zu werten, Mark Zuckerberg, sowie dessen Führungsriege, dass sie dem Tech-Journalisten auch dann noch Zugang zu Personen und Unternehmen gewährten, als die Richtung klar wurde, in die sich das Buch entwickelte.

Steven Levy zeigt die Auswirkungen eines amerikanischen Traumes auf die ganze Welt, sowie die Verquickung des Konzernes in die Politik von Staaten, nicht zuletzt der USA selbst.

Welche Probleme sind es, die Facebook selbst geschaffen hat, denen Zuckerberg begegnen muss und welche Visionen werden auch in Zukunft durch Facebook oder einer der eroberten Anwendungen in unserem Leben bestimmt.

“Facebook – Weltmacht am Abgrund”, als vielschichtiger Versuch, eine Unternehmung zu begreifen, die sich selbst von ein gefleischten Insidern schwer durchschauen lässt.

Autor:

Steven Levy wurde 1951 geboren und ist ein Technik-Redakteur, Kolumnist und Senior Editor beim Nachrichtenmagazin Newsweek. Er beschäftigt sich mit Kryptographie im Zeitalter der Computer und veröffentlichte 1984 erstmals eine konsistent ausformulierte Hackerethik.

In seinen Reportagen beschreibt er die Entwicklungen bei Tech-Konzernen wie Google oder Facebook und fand im jahr 1978 das nach einer Obduktion im Jahr 1955 entwendete Gehirn Albert Einsteins. Seine Reportagen und Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet.

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