Inhalt:
Vom Übergang einer Mangelgesellschaft, in der es von allem zu wenig gab, in eine Konsumgesellschaft, die den Menschen ihre Würde raubt.
Vom Großwerden einer Gruppe von Kindern in den Sechszigern, den Anstrengungen der Väter, Wohlstand oder zumindest eine Illusion davon zu erschaffen.
Von den Rückschlägen, die sie erleiden. Von den Sorgen und Existenzängsten der Mütter und das Gegenbild dazu, der Ausweg aus Mangel und Überfluss zugleich: die Kunst als Rettungsanker für das Überleben. (eigene Inhaltsangabe)
Rezension:
Der namenlose Junge beobachtet die Erwachsenen, die daran scheitern, eine Illusion von Wohlstand Wirklichkeit werden zu lassen und daran zu Grunde gehen, zerbrechen. Mit Gleichaltrigen trollt er durch die noch nicht fertige Neubausiedlung am Rande eines Dorfes, gräbt sich durch Schlamm und Lehm, versinkt sprichwörtlich in seiner eigenen Welt.
Zu Beginn ist er ein Vorschulkind, welches um sich herum alles aufnimmt, später versucht, mit den Mitteln der Kunst zu überleben, beinahe wie einst die Mütter und Väter um ihn herum, zu scheitern droht.
Beindruckend ist diese Novelle, deren Handlung der Leser wie einen kunstfollen Kurzfilm vor dem inneren Auge ablaufen sieht. Nicht von ungefähr kommt dieser Effekt, ist doch der Autor Oskar Roehler selbst Filmregisseur und Drehbuchautor.
Der Protagonist, Vorschulkind, Kind, früher Jugendlicher ist das alte Ego des Autors, der Eindrücke in sich aufsaugt, wie ein Schwamm. Kurz und prägnant sind die Sätze, messerscharf und folgerichtig, wie die Beobachtungen selbst.
In der Erzählung fühlt man mit dem Handelnden, der begreift, dass es da draußen in der großen weiten Welt noch etwas anderes geben muss, dass die Chancen, die sich ihm bieten, jedoch noch weniger als rar gesät sind.
Röhler verbildlicht hier Trost- und Perspektivlosigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders, die überall ankommt, nur nicht dort. Die Zeitspanne umreißt die ersten Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Gesellschaft, mit allen Möglichkeiten, vielmehr jedoch mit allen Fallstricken.
Der Protagonist bleibt dabei immer in der Position des Schwachen, ständig am Rand des Abrgund stehend, selbst, als er beginnt, sich daraus zu kämpfen. Trost nur in der Welt der Kunst, der Sprache.
Roehlers Stil, diese Geschichte eine lehmhafte Schwere angedeihen zu lassen, ist gewöhnungsbedürftig. Schön zu lesen, doch plätschert die Trostlosigkeit wie voluminöse Regentropfen nur so dahin. Die Atmosphäre ist düster, die ganze Zeit über, kaum Hoffnungsschimmer.
Um das zu lesen, sollte man in der richtigen Stimmung sein. Für depressive Gemüter ist das nichts.
Es ist eine kompakte Erzählung mit dem Effekt eines Günter Grass, der mit Worten zu faszinieren oder verschrecken mochte. Dazwischen gibt es nichts, sozusagen luftleerer Raum.
Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kunst als zweifelhafter Rettungsanker. Und immer wieder Dreck, Schlamm, Feuchtigkeit, Lehm. Graue, braune Masse, aus der man etwas erschaffen oder in die man versinken kann.
Doch, muss das zwischen zwei Buchdeckeln sein?
Autor:
Oskar Roehler wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Filmregisseur, Journalist und Autor. Nach seinem Abitur ist er als Autor für Drehbücher tätig und wurde ab 1990 als Spielfilmregisseur bekannt. Sein erfolgreichster Film war „Die Unberührbaren“, der u.a. mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
Roehler gehört zu den Gründungsmitgleidern der Deutschen Filmakademie, 2003. Im Jahr 2011 veröffentlichte er einen autobiografischen Roman, den er auch verfilmte. 2018 verfilmte er den Roman „HERRliche Zeiten“ des umstrittenen rechten Schriftstellers Thor Kunkel.