Leben

Nickolas Butler: Die Herzen der Männer

Die Herzen der Männer Book Cover
Die Herzen der Männer Nickolas Butler Klett-Cotta Verlag Erschienen am: 11.02.2018 Seiten: 477 Übersetzerin: Dorothee Merkel ISBN: 978-3-608-98313-5

Inhalt:

Über eine Zeitspanne von drei Generationen und ebenso vielen Kriegen erkundet dieser Roman die Herzen der Männer: ihre Schwächen und Geheimnisse, ihre Bedürfnisse und Werte. Damit legt Nickolas Butler nach „Shotgun Lovesongs“ ein vielschichtiges und sensibles Epos über die Verletzungen, die Männer einander und anderen zufügen, vor. (Klappentext)

Rezension:

Schriftsteller, die groß angelegte Romane schreiben, haben mit mehreren Problemen zu kämpfen. Die Protagonisten müssen durch die Bank und am besten ständig glaubwürdig erscheinen, der Spannungsbogen muss über die fesamte Länge halten und, wenn man schon international verlegt, sollte man Ländergetue vorsichtig dosieren. Zweifelhaft hier, ob dies Nickolas Butler gelungen ist?

Am stärksten ist da noch der erste Teil, dieser auf drei zeitlich verbundene Abschnitte angelegten Geschichte. Der kleine Nelson, sensibel, pedantisch, fährt mit seinem Vater, von dem er keinerlei Unterstützung erwarten kann, ins Pfadfinderlager, wo er, wie zu Hause auch, keine Freunde hat.

Das liegt am Charakter des Jungen, der versucht alles richtig zu machen, an seiner Größe und seinem Ehrgeiz, das nächste Rangabzeichen der Pfadfinder zu ergattern. Nelson, so der sympathische Hauptprotagonist, erträgt stoisch das Mobbing seiner Kameraden und setzt sich doch, im Laufe der Zeit durch.

So beginnt die Einführung in diesen, im Klappentext so bezeichneten Epos, welches ein viel zu großes Wort ist, für das, was Butler hier abgeliefert hat.

Tatäschlich hält der Spannungsbogen eben nicht über die gesamte Länge des Romans und bis auf die letzten Seiten angedeutete Trumpisierung des Landes und der Infragestellung der Pfadfinderbewegung, trieft der Roman nur so vor Amerikanismus, der an mehreren Stellen fast unerträglich wird, zumal in den folgenden Abschnitten auch die sympathischen Protagonisten mehr und mehr den unsympathischen weichen müssen, was es schwer macht, die Begeisterung zu halten, die man vielleicht mit den ersten Seiten der Geschichte noch hält.

Es fehlt das gewisse Extra eines Jonathan Safran-Foer, den mit „Extrem laut und unglaublich nah“ oder „Hier bin ich“ eben das gelungen ist, was „Die Herzen der Männer“ nicht leisten kann. Ein paar hundert Seiten mehr und die Fokussierung auf eine Hauptfigur hätte mehr gebracht, als dieser Versuch, der zwar einige Stärken aufweißt, diese aber die Schwächen nicht kaschieren können.

Dass die Protagonisten sich fortwährend entwickeln und nicht in ihren Gedankenkonstrukt stehen bleiben, ist eine eben dieser Stärken, alleine die Rollenverteilung kann den Leser eher unbefriedigt zurücklassen. „Die Herzen der Männer“ ist nichts Halbes und nichts Ganzes, in sofern bleibt leider nur die Einordnung in der Mitte des Bewertungssystems. Besser wird’s nicht.

Autor:

Nickolas Butler wurde am 02. Oktober 1979 in Allentown/Pennsylvania geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er an der University of Wisconsin-Madison und besuchte den Writer’s Workshop der Universität Iowa. Erste Kurzgeschichten veröffentlichte er in Zeitschriften. 2013 erschien sein erster Roman. Butler erhielt verschiedene Stipendien und Auszeichnungen von regionalen Literaturpreisstiftungen. Er lebt mit seiner Familie in Wisconsin.

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Stephan Lohse: Ein fauler Gott

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Ein fauler Gott Stephan Lohse Suhrkamp Erschienen am: 06.03.2017 Seiten: 330 ISBN: 978-3-518-42587-0

Inhalt:

Sommer 1972. Benjamin ist vor einigen Wochen elf geworden. Im nächsten Schuljahr wird er ein Herrenrad bekommen, eine Freundin und vielleicht eine tiefe Stimme. Doch dann stirbt sein kleiner Bruder Jonas. Nachts sitzt Bens Mutter auf einer Heizdecke und weint.

Ben kommt nun extra pünktlich nach Hause, er spielt ihr auf der C-Flöte vor und unterhält sich mit ihr über den Archaeopteryx. An Jonas denkt er immer seltener. Ben hat mit dem Leben zu tun, er muss für das Fußballtor wachsen, sein bester Freund erklärt ihm die Eierstöcke, und sein erster Kuss schmeckt nach Regenwurm. Mit seiner neuen Armbanduhr berechnet er die Zeit. (Umschlagtext)

Rezension:

Ben ist ein ganz normaler Junge mit den üblichen vorpubertären Problemen. Nicht der beliebteste Junge der Klasse, aber eben auch nicht der unbeliebteste, freundet er sich mit den neuen Mitschüler, den Sohn der neuen Französischlehrerin an, und wandelt mit seinen Klassenkameraden durch die Tage.

Mit einem alten Herren in der Nachbarschaft freunden er und sein kleiner Bruder sich an, und auch sonst ist das Leben in Ordnung, er, sein Bruder und seine alleinerziehende Mutter. Doch, nach einem Schwimmbadunfall, verstirbt Jonas und die heile Welt gerät aus den Fugen. Nichts ist so, wie es mal war. Dennoch geht das Leben weiter. Ben ist plötzlich Einzelkind.

Er und seine Mutter müssen das Trauern lernen.

Es ist ein an vielen Stellen nachdenklicher Roman, den uns Stephan Lohse hier vorsetzt, der gespickt mit der tragischen Komik des Beginns der Pubertät, trotzdem zum einen oder anderen Lacher führt.

Natürlich ist der Tod Dreh- und Angelpunkt, die Botschaft Lohses ist jedoch eine andere. Das Leben geht weiter, auch mit positiven Momenten, die nicht aufhören und trotzdem ist es erlaubt, ja wichtig, zu trauern.

Der Autor beschreibt wunderbare Alltagsmomente, die zwar hier in der Zeit der 1970er Jahre angelegt sind, ansonsten in jedem Jahrzehnt hätten statfinden können, und so nachvollziehbar für auch jüngere Leser werden können.

So liegt das Buch zumeist bei den Erwachsenenbüchern in den Buchhandlungen aus, hat aber durchaus auch eine Berechtigung im Jugendbuchbereich. Schließlich sind Tod und Krankheit etwa, aber eben auch das Leben, wichtige Themen, mit denen man sich schon sehr früh ernsthaft auseinandersetzt.

Stephan Lohse tut dies in kurzweiligen Kapiteln, in denen sich die Erzählperspektive zwischen den zwei Hauptprotagonisten Mutter und Sohn ständig abwechselt, in klarer und einfacher Sprache, die zu vielen witzigen Momenten führt. So ist es von der dänischen Königin bis zur Kommunistin oft nur eine Seitenlänge, herrlich die Beschreibungen von kuriosen Situationen, in denen wortwörtlich alles in Butter ist, oder eben auch nicht.

Die Stärke des Romans liegt in den stillen Momenten, wenn die Figuren um sich selbst kreisen und versuchen, mit der Trauer um den Verlust umzugehen. Nach und nach finden die Protagonisten, zumindest die beiden hauptfiguren sehr tief ausgestaltet, wieder ins normale Leben zurück.

So ist dieses Werk ein positiver, trauriger, aber vor allem schöner Roman über den Tod und das Leben, welcher sich zu lesen lohnt. Eine klare Empfehlung.

Autor:

Stephan Lohse wurde 1964 in Hamburg geboren und studierte am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Er war am Thalia Theater Hamburg tätig, an der Schaubühne Berlin und im Schauspielhaus Wien. 2017 erschien mit „Ein fauler Gott“ sein Debütroman. Der Autor lebt in Berlin.

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Andreas Neuenkirchen: Happy Tokio

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Happy Tokio Reisebericht mairdumont Taschenbuch Seiten: 293 ISBN: 978-3-7701-8290-0

Inhalt:
Das Magazin Monocle kürte Tokio drei Jahre in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Und doch findet sich in so gut wie jedem Reiseführerung: „Tokio ist keine schöne Stadt.“ Andreas Neuenkirchen ist dennoch zusammen mit seiner Frau und seinem Kind geblieben und lüftet wunderbar unterhaltsam das Geheimnis, warum seine neue Wahlheimat auf ihre ganz eigene Weise glücklich macht. (Klappentext)

Rezension:
Seinen Lebensmittelpunkt zu ändern kann schon mal ein kleiner Schock sein. Dieser wird um so größer, geht man gleich ins Ausland, wechselt man aber den kompletten Kulturkreis ist das Chaos perfekt. Dabei ist alles so schön organisiert. Die Klimaanlage der Wohnung spricht mit ihren Nutzern und führt auch sonst ein Eigenleben, Züge fahren nur scheinbar pünktlich und Tokio selbst ist eigentlich ein Organismus aus mehreren eigenständig funktionierenden Stadtteilen mit ihren jeweiligen Eigenheiten. Was will man da noch mehr?

Andreas Neuenkirchen hat sich aufgemacht, um in dieser faszinierenden Stadt mit seiner Familie zu leben und berichtet von erfolglosen Karaoke-Versuchen, der Besonderheit von Nudeln auf Bahnsteigen und den Versuch, Konversation mit den Einheimischen an der Ladenkasse zu betreiben. Ein amüsanter Reise-, nein, Lebensbericht, aus einer Metropole, die unterschätzter kaum sein könnte.

Eine Reise nach Tokio mag schon alleine vom Verkehr und den Menschenmassen her gewöhnungsbedürftig sein. Wie aber ist es, dort zu leben? Andreas Neuenkirchen probiert es aus und nimmt uns mit, auf dieses Abenteuer, welches täglich Unwägbarkeiten und Überraschungen bereithält. Dies macht er auf eine solch witzige Art und Weise, dass man es selbst gerne ausprobieren möchte, andererseits froh ist, nur mit den Schrullen der Heimat konfrontiert zu sein, und eben nicht in der Masse japanischer Schriftzeichen zu versinken. Wobei es auch in Tokio Oktoberfeste zu geben scheint. das ganze Jahr über.

Mit viel Humor nimmt der Autor uns mit in sein Familienleben, welches inzwischen eine Art Alltag in Tokio gefunden hat, zeigt, dass es für den Japan-Kenner dennoch ständig Neues zu entdecken gibt, nimmt uns mit in Cafes, deren Besitzer schon mal Opernarien schmettern und besucht das Glaswaldmuseum in Hakone.
Er führt uns durch das Hannover Japans und zeigt Yokohamas Chinesenviertel, doch nichts geht über Tokio, wo CD-Läden unbeeindruckt von der digitalen Revolution boomen und Süßkartoffelspeiseeis den Beginn einer neuen Jahreszeit verkündet.

Dieser etwas andere Einblick in den japanischen Großstadtdschungel, voller Neugier und Interesse am Skurilen, spielt der Autor zum Leser, der fasziniert sein wird, von der Vielfalt auf solch engen Raum. Humorige Vergleiche zwischen den Leben, etwa in München und Tokio, runden die Betrachtungen ab. Herausgekommen ist ein eigenwilliges, aber immer positives Portrait wunderbarer Menschen in einer besonderen Stadt. Für nichts anderes scheinen die Japaner Tokio, welches oft fälschlicherweise mit Y geschrieben wird, zu halten.

Trotz der einen oder anderen Länge, die Neuenkirchen oder der Verlag nicht aus den Text hinausgenommen haben, ergibt sich ein stimmiges Bild, welches Lust macht auf die nächste Reise nach Tokio und vielleicht mehr als die Touristenorte zu entdecken. Und wenn man sich dabei Häschenohren aufsetzt und vom Cafepersonal veräppeln lässt. Auch das mit Augenzwinkern und einer großen Portion japanischen Humors. Viel Spaß dabei.

Autor:
Andreas Neuenkirchen wurde 1969 in Bremen geboren und arbeitet seit 1993 als Journalist. Zunächst zuständig für Bremer Stadtmagazine und Tageszeitungen, arbeitete er von 1998 bis 2016 als Redakteur in München. Nebenher arbeitete er als Autor für Hörspiele, Heftromane, Rundfunkreklame, Bücher und Filme. Die meisten haben Japan-Bezug. Seit 2016 lebt er mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in Tokio.

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Marian Grau: Bruderherz

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Bruderherz Marian Grau Eden Books Erschienen am: 09.04.2018 Seiten: 208 ISBN: 978-3-95910-143-1

Inhalt:

Neun Jahre lang ist Marian der kleine Bruder vom schwerbehinderten Marlon. Neun Jahre lang gibt es nur Familienurlaube im Hospiz und das ständige Bangen um Marlons Leben. Trotzdem – Marian liebt jede Minute mit seinem Bruder. Als Marlon plötzlich stirbt, bricht für die Familie eine Welt zusammen.

Marian beschließt, aus der Trauer das Beste zu machen. Er will die Welt entdecken – für sich und seinen Bruder. Denn gerade durch das Leben mit Marlon weiß er, dass man das Leben schätzen und jede Sekunde genießen muss. Eine bewegende Geschichte darüber, wie wichtig es ist, für sich selbst die Welt zu erobern. (Klappentext)

Rezension:

Auf Portalen, wo Rezensionen veröffentlicht werden, wird oft zusätzlich nach einer Bewertung in Sternen oder Punkten verlangt. Doch, wie soll das gehen, insbesondere bei Erfahrungsberichten? Stellt man damit nicht eine gewisse Wertigkeit dar, und die eine Erfahrung, ein Leben über ein anderes?

Wer entscheidet, ob diese Erfahrungen relevant sind, erzählt zu werden und interessant genug, so dass sie breites Gehör finden? Ein Dilemma, welches ich dort umgehen möchte, wo keine Bewertungen verlangt werden. Da lasse ich den Text selbst sprechen. Überall woanders vergebe ich die höchste Punktzahl.

Warum eigentlich? Marian Grau schreibt in seinem Bericht „Bruderherz – Ich hätte dir so gern die ganze Welt gezeigt“, über seine Ausflüge rund um den globus, mit Tante oder Eltern in wechselnder Besetzung. Auf der Suche nach sich selbst, und der Nähe zu seinem älteren Bruder.

Der ist im Alter von zwölf Jahren an einer schweren Stoffwechselerkrankung verstorben, die ihm Zeit seines Lebens behinderte. Marlons Tod riss eine Lücke in Marians Leben, lenkte dieses aber auch in eine besondere Richtung. Alles nur Schicksal?

Das weiß Marian Grau nicht, wird die Antwort darauf wohl auch nicht finden, doch erzählt er sehr warmherzig von der Zeit, die er mit seinem Bruder verbringen durfte. Voller Empathie zu ihn und seiner Familie beschreibt der Schüler sowohl schwierige Tage als auch rare und kostbare Momente des Glücks.

Förmlich von der Seele hat er sich seine Gedanken geschrieben, die egal ob in Bangkok oder Moskau, immer auch bei seinem Bruder sind. Herausgekommen dabei ist ein faszinierendes Portrait, welches zeigt, dass materielle Werte für ihn zweitrangig sind, die Erfahrungen, die er machen durfte, sowohl hart waren, aber auch bereichernd.

Wie ist ein Leben an der Seite eines engen Familienmitgliedes, welches rund um die Uhr immer mehr Aufmerksamkeit bekommen muss, als man selbst? Welche Stärken zieht man aus den gemeinsamen Kampf ums Leben. Gibt es ein „weiter“ nach dem Tod?

Diese Fragen stellt sich Marian und findet für sich Antworten, die einen sehr reflektierten Jugendlichen zeigen, der das Leben als kostbares Geschenk betrachtet und das Beste daraus ziehen möchte. Über die Reisen bewältigt er den schmerzvollen Verlust und spürt noch heute diese enge Verbundenheit, dieser besonderen Geschwisterbeziehung.

Ein Bericht über die Reise durch Städte, Länder und Kontinente, auf der Suche nach Antworten auf Fragen, auf die es keine Antwort geben kann. Über eine ganz besondere Geschwisterbeziehung, und wie Trauer Horizonte erweitern kann. Ein ganz besonderes Reisebuch.

Autor:

Marian Grau wurde 2002 geboren und lebt mit seinen Eltern bei Stuttgart. Als er neun Jahre alt war, stirbt sein älterer Bruder Marlon, der an der Stoffwechselkrankheit Morbus Leigh erkrankt war. Ein Weg dies zu verarbeiten ist für Marian das Reisen, um Städte, Länder und Kontinente für sich und Marlon zu erschließen.

Mit 17 ist er Deutschlands jüngster Reiseblogger, der auf www.geomarian.de von seinen Abenteuern rund um den Globus berichtet. Der Schüler erliegt der Faszination der Moskauer Metro und thailändischen Kuriositäten. Seinen Bruder weiß er dabei immer an seiner Seite.

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Jan Gerber: Karl Marx in Paris

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Karl Marx in Paris Jan Gerber Piper Erschienen am: 03.04.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-492-05891-9

Inhalt:

Seitdem sich die Elendszonen des Weltmarkts erneut ausweiten und die westlichen Metropolen erreichen, wird auch dort wieder verstärkt von Arbeit und Kapital, der Klasse und ihrem Kampf gesprochen: Im 200. Jahr nach seiner Geburt hat Marx erneut Hochkonjunktur.

Jan Gerber legt auf der Grundlage neuester Forschungen eine auseinandersetzung mit dem Leben und dem Werk von karl Marx vor. Marx‘ erster Paris-Aufenthalt von Oktober 1843 bis Februar 1845 wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt.

Denn in dieser Zeit entwickelte er die zentralen Begriffe seines Denkens: Marx traf als Radikaldemokrat in Paris ein und verließ die Stadt als überzeugter Klassenkämpfer und Kommunist. (Klappentext)

Rezension:

Die Geburt eines der größten und umstrittensten Denker der Neuzeit jährt sich dieses Jahr zum 200. Mal und so ist es nicht verwunderlich, dass auf den Büchertischen zahlreiche Publikationen vorliegen, die sich mit Karl Marx, seinen Weggefährten und Ideen beschäftigen.

Doch, wer war dieser Mensch, Fabrikantensohn, den alle Türen der damaligen Zeit offenstanden, wie entwickelte er seine Ideen, die Jahrzehnte nach seinem Tod missbraucht und falsch verstanden, umgesetzt werden und zur Unterdrückung eines Großteils des Erdballs führen sollten?

Jan Gerber analysoert schonungslos die Entwicklung eines tönernen Kollosses an Theorien, die schon zu Entstehungszeiten Widersprüche aufwiesen, und kaum zu halten waren. Zumindest nicht, bei genauen Hinschauen.

Der promovierte Historiker nimmt das Theoriengespinst auseinander, zeigt die Begrifflichkeiten von Klasse bis Proletariat auf, stellt einen Zusammenhang mit einem entscheidenden Teil des Lebensweges eines Menschen auf, der mit seiner Freundschaft zu Friedrich Engels ein Indenkonstrukt entwickeln sollte, welches nie so ganz stimmig werden sollte.

Schonungslos, dennoch wohlwollend ist diese Analyse, auf die sich der Leser einlassen muss. Ohne Konzentration geht es nicht. Zu dicht folgen die Schlüsselereignisse in Marx‘ Leben aufeinander, zu schwer wiegen die Begrifflichkeiten, die jeder für sich fragwürdig sind, zumal der große Philosoph und Autor zahlreicher Schriften am Anfang seines Lebens mit diesen etwas ganz anderes meinte, als in seinen letzten Lebensjahren.

Umgesetzt wurde vieles davon später nochmals anders, so dass die Frage nach Entstehung des Kommunismus diskussionswert ist und vom Autoren jan Gerber dies auch angestoßen wird.

Was bedeuteten damals Begrifflichkeiten, wie Klasse oder Proletariat, weshalb waren Teile dieser Theorie schon damals zu Marx‘ Lebzeiten schlicht und einfach falsch, und was ist davon heute noch übrig, kann möglich in anderer Form erneut als Ratgeber und richtungsweisend dienen?

In klarer Sprache ist dieses Essay geschrieben, man muss sich jedoch auf viele zu verfolgende Gedankengänge einlassen. Die Stationen der Biografie von Karl Marx sind da noch die einfachsten, jedoch wird man für den Rest des Inhalts seine gesamte Konzentration benötigen. Ohne die geht es schlicht und einfach nicht.

Zu komplex ist die Struktur des Marxchen Weltbildes, zu vielschichtig die prägenden Momente im Leben dieses Mannes. Der Autor stößt den Leser auf die Problemstellungen die sich aus den Theorien von Marx und Engels ergeben, stellt sie in einem historischen Zusammenhang dar, und stellt Fragen in den Raum, über die es sich zu nachdenken lohnt.

Haarscharf an der Form einer populärwissenschaftlichen Ausarbeitung vorbei, schadet Vorwissen nicht. Zumindest aber Interesse sollte man schon mitbringen. Ohne dieses wird man schnell aus der Lektüre aussteigen. Zum bloßen nebenher Informieren eigenet sich „Karl Marx in Paris“ nicht.

Insgesamt stellt dieses Buch eine gute Grundlage für eine, zugegeben eher intellektuelle, Diskussion dar. Zumindest die biografischen Züge sind jedoch interessant genug, um am Ball zu bleiben. Auf alles andere muss man sich jedoch einlassen können, sonst funktioniert diese Lektüre kaum, und man wird ihr auch sonst nicht gerecht.

Dies gilt es zu vermeiden. Die dichte Quellenlage unterfüttert und regt zur weiteren Lektüre an, zeigt die Rechercheleistungen auf, die zur gar nicht so einfachen Ausarbeitung des vorliegenden Werkes nötig gewesen waren. Im 200. Marx-Jahr und nicht nur dann, ein wichtiges Diskussionsmaterial.

Autor:

Jan Gerber ist ein promovierter Politikwissenschaftler und habilitierter Historiker. Er lehrt an der Universität Leipzig und ist leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (seit 2010). Seit 2004 lehrt er zudem an der Universität Halle.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich von geschichte und Wirkung des Holocausts, sowie zur Arbeiterbewegung und der politischen Linken. Er veröffentlichte zahlreiche wissenswchaftliche und populärwissenschaftliche Ausarbeitungen zu Themen dieser Bereiche.

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Paul Auster: Das rote Notizbuch

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Das rote Notizbuch Paul Auster Rezensionsexemplar/Essays Rowohlt Hardcover Seiten: 108 ISBN: 978-3-498-07402-9

Inhalt:
Wie wirkt der Zufall auf unser Leben und was steckt hinter dieser seltsamen Macht? Diese Fragen durchziehen Austers gesamte Werke. In dieser Ausgabe versammelt der Autor all die Zufälle, die sein Leben prägten und in die entscheidende Richtung lenkten.

In einem roten Notizbuch hat Auster all die seltsamen und unergründlichen Ereignisse festgehalten, die man der schriftstellerischen Phantasie zuschreiben möchte, die sich jedoch tatsächlich zugetragen haben. Kntstanden ist eine Sammlung feinsinniger und kurzer Erzählung, erstmals vollständig versammelt. (Klappentext)

Rezension:
Es ist bezeichnend, wenn Autoren auf mehreren hundert Seiten großartige Geschichten lebendig werden lassen können, aber ebenso bewundernswert, wenn dies mit wenigen Zeilen gelingt. Paul Auster, einer der großen amerikanischen Gegenwartsliteraten, gelingt beides.

Sein Werk „4 3 2 1“ schlug dies- und jenseits des großen Teiches ein wie eine Bombe, ein vom Umfang her überschaubareres Werk wird es ebenso tun. Paul Auster veröffentlichte bereits in den 1990er Jahren Teile seines Notizbuches in der er all die Alltäglichkeiten, die Besonderheiten des Erlebten, die Zufälle schriftstellerisch festhielt, um diese zu ergründen. Nun liegt dieses kleine, dennoch nicht geringe Werk erstmals vollständig vor.

Feinsinnig erzählt Auster, wie sich seine Wege, die seiner Familie, mit anderen Menschen kreuzten, wie der Zufall bestimmte, wen der Autor zu seinen Freunden zählen würde, wen Auster aus den Augen verlieren und später wieder begegnen sollte.

Fasziniert vom Zufall und der Kunst vom Schicksal, welches das Leben bestimmt und dennoch immer wieder zu den Schriftsteller führt, der Auster ist. Bestseller-Autor, Romancier, Lyriker. Schreibkünstler, wie kaum ein Zweiter. Kurz und prägnant sind die Texte, niemals überladen, und keinesfalls überflüssig.

Sie öffnen den Zugang zum Schriftsteller. Der Leser wird eingesogen und ist versucht, selbst nach den Zufällen seines Lebens zu suchen, die Eckpunkte und Meilensteine zu bestimmen, die man aufgenommen oder beiseite gelassen hat, die das Leben in gute und weniger gute Abschnitte bisher geteilt haben.
Die Kraft des Zufalls ist faszinierend, gut und böse zugleich, doch immer Dreh- und Angelpunkt.

Der verbrannte Zwiebelkuchen, dessen Geschmack alles andere übertüncht, das Haus, in dem die Familie zeitweilig in der Nachbarschaft zu einem anderen weltberühmten Autoren gelebt hat, der reflexhafte Griff, der Leben rettet, dem Retter auf ewig im Bewusstsein eingebrannt, der Geretteten nur eine weitere sekundenlange Episode in ihrem Leben. Sie alle und noch viele mehr sind hier versammelt.

Kurzweilige unterhaltende Literatur, die zum Nachdenken anregt, wenn man das möchte. Ansonsten zählt nur Ersteres, was genügt, um die Texte Austers zu würdigen.

In flüssiger, niemals komplizierter Schreibweise, vom Ausdruck gar nicht zu reden, ist dieses nun vollständige Notizbuch zwar nicht mehr vom Cover her rot, jedoch ein Must-have für Liebhaber moderner amerikanischer Literatur, und auch sonst ein herausragendes Stück Textarbeit. Sehr lesenswert.

Autor:
Paul Auster wurde 1949 in Newark, New Jersey, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaften an der Columbia University, arbeitete zunächst in Frankreich, später dann u.a. als Telefonist für die New York Times.

Weltbekannt wurde er durch seine New York-Trilogie, eine Reihe experimenteller Kriminalromane. Auster verfasste jedoch auch zahlreiche Essays und Gedichte, fertigte zudem Übersetzungen an. Im Jahr 2017 erschien sein Bestseller „4 3 2 1“.
Der Autor ist Verfasser mehrerer Drehbücher und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie die Ehrendoktorwürde der Universität Kopenhagen und den NEA Fellowship für Poesie.

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Detlev Meyer: Das Sonnenkind

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Das Sonnenkind Detlev Meyer aufbau Verlag Erschienen am: 19.01.2018 Seiten: 232 ISBN: 978-3-351-03718-5

Inhalt:

Carsten ist fast zehn Jahre alt, ein wenig altklug und entdeckt die Welt mit seinen Kinderaugen. Das sind die Besuche des Cafe Kranzler mit Opa, das Spielen mit Freunden auf der Straße und die Eltern, die den kleinen wissbegierigen und manchmal alklugen Bengel, Herr werden müssen.

Doch, der Großvater erkrankt und versucht seine Umgebung davon abzuschirmen, der Junge indes macht seine ganz eigenen Erfahrungen mit der ihn meist wohlgesonnenen Umgebung, die dennoch ihre Tücken hat. Bühne frei für das Sonnenkind… (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Carsten, fast zehn Jahre alt, wächst im „richtigen“ Teil Berlins auf, als der Westen im Wohlstand des Wirtschaftswunders schwelgte, sich die Demokratie dadurch etablierte und überhaupt das Leben am schönsten ist. Warum auch nicht, wo doch der Junge von allen gemocht wird?

Die Großeltern dichten sich eine adlige Herkunft an, verwöhnen ihren Enkel nach Strich und Faden, der Vater hadert mit den Kriegserinnerungen, versucht nach vorne zu blicken, der Großvater hat eine Geliebte und der Bruder macht aus allem ein Geschäft. Und alle mögen den Sonnenschein, vom Truseweg aus Neukölln, welches noch nicht das Viertel von Einwanderen ist, welches es einmal werden wird. Das Leben ist schön.

Detlev Meyer erzählt aus der Kindheit seines alten Egos. Entstanden ist mit den „Sonnenkind“ ein wunderbares Straßenportrait liebenswerter Figuren, die Betrachtung einer quirligen, sich findenden Metropole in Kleinformat.

Der Leser erfährt die Welt aus der Sicht eines altklugen, wissbegierigen, aber vorwitzigen und liebenswerten Bengels, der es faustdick hinter den Ohren hat, damit aber ganz und gar nach der Familie kommt.

Alle Charaktere sind schrullig, neben der Spur und doch so, wie man die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Berliner darstellen würde, wäre dies gefordert. Passieren tut dabei nicht viel, es ist trotzdem amüsant zu lesen, wie der Kleine die Widersprüchlichkeit der Erwachsenenwelt begreift und für sich zu nutzen weiß.

So wird der grantige Hausmeister ebenso um den kleinen Finger gewickelt, wie der tödlichen Krankheit des Großvaters der Schrecken genommen und der Leser kann gar nicht ohne Schmunzeln, Lächeln, von Zeile zu Zeile springen, Wort für Wort in sich aufsaugen. Ein kleiner Großstadtroman, der es in sich hat.

Geschrieben aus wechselnder Ich-Perspektive der handelnden Protagonisten ist der Lesende nah dran an den Figuren, die man durchweg für voll nehmen kann. Genau so stellt man sich diese und jene Person vor, und eben nicht anders.

Der Schreib- und Erzählstil macht sie greifbar, den Großvater, der seinem geliebten Enkel die Krankheit zu erklären versucht, sich selbst aber ebenso erklären muss, den Vater, der versucht Frau und Söhnen Herr zu werden und die Kinder, die ob ihres Charakterzugs im gesamten Straßenzug berühmt und berüchtigt sind.

Autobiographische Züge hat der Roman, in dem der Autor auf vorangegangenes Geschriebenes und auf seine Kindheit Bezug nimmt und sich so selbst ein Denkmal gesetzt ha.

Es is dies, sein letztes großes Werk, in welchen Detlev Meyer sich seiner Kindheit bewusst wird, die schön und angenehm war, als die Welt noch fass- und beherrschbar war, der Mauerbau nicht drohte und überhaupt Politik keine Rolle spielte. Nicht für einen Zehnjährigen, dessen Interesse sich nur in den Grenzen seiner unmittelbaren Umgebung bewegt.

„Das Sonnenkind“, ist ein gefälliger Roman, dessen Wirkung man sich kaum entziehen können wird, der gute Laune, eben die eines Kindes, verbreitet und mit Gewinn gelesen werden kann. Vielleicht sollten wir uns alle irgendwann an unsere Kindheit, an die Sonnentage, erinnern? Es könnte sich lohnen.

Autor:

Detlev Meyer wurde 1948 in Berlin geboren und studierte zunächst Bibliotheks- und Informationswissenschaften, bevor er als Bibliothekar in Toronto und Entwicklungshelfer in Jamaika arbeitete.

Er erhielt mehrere Literaturstipendien und widmete sich in Gedichten und Prosatexten als einer der wenigen offen schwul lebenden Autoren der Szene, sowie der Bedrohung durch Aids und deren Folgen. Sein letzes Werk erschien postum 2001 (Das Sonnenkind), nachdem er 1999 starb.

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Bruno Preisendörfer: Deutschland 2 – Als unser Deutsch erfunden wurde

Als unser Deutsch erfunden wurde Book Cover
Als unser Deutsch erfunden wurde Reihe: Deutschland – 2 Galiani Berlin Erschienen am: 09.06.2016 Seiten: 472 ISBN: 978-3-86971-126-3

Inhalt:

Martin Luther hat mit seinen Wirken das Leben und denken, nicht zuletzt das religiöse Denken der Deutschen nachhaltig geprägt. Wie aber lebten der Prediger und seine Zeitgenossen, damals im 16. Jahrhundert?

Wir schauen Handwerkern und Händlern über ihre Schultern, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung. Wir erleben Dürer beim Malen und die Fugger beim Wirtschaften.

Vom Aufwachsen in der Lutherzeit bishin zur Beisetzung erleben wir den Alltag unserer Vorfahren und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht. Eine Reise in unsere Geschichte. (eigene Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

Bruno Preisendörfer: Deutschland 1 – Als Deutschland noch nicht Deutschland war

Bruno Preisendörfer: Deutschland 2 – Als unser Deutsch erfunden wurde

Bruno Preisendörfer: Deutschland 3 – Als die Musik in Deutschland spielte

[Einklappen]

Rezension:
Vor allem für die jenigen, die glauben, dürfte einer der größten Deutschen kein Geringerer als Martin Luther sein. Der Württemberger Prediger, der das wuchernde und korrupte katholische Glaubenssystem in Frage stellte und damit einen ungeher großen Stein ins Rollen brachte, vermag uns heute noch zu faszinieren.

Doch, wer war der Mann, dessen Wirken erst 2017 im großen Jubiläum Tribut gezollt wurde? Welche Veränderung brachte der Reformator in das Denken der Menschen, wie genau prägte er den künftigen komplizierten Glaubensmechanismus, der fortan das Leben im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bestimmen sollte?

Wie lebten er und seine zeitgenossen, von Dürer bishin zu den umtriebigen Fuggern? Was aßen sie, auf welchen Stand waren Bildung oder gar die Medizin, in einer Zeit, in der die Pest wütete und Frauen haufenweise auf die Scheiterhaufen landeten?

Wie wuchsen Kinder auf, wie unterschied sich das Leben von Bauern und Städtern, vom Erbadel bishin zu durch neue Wirtschaftszweige gewordenen Neureichen? Bruno Preisendörfer nimmt seine Leser mit, auf eine Zeitreise, in ein Jahrhundert, welches die Deutschen, die noch gar keine waren, nachhaltig prägen sollte.

Es ist ungemein schwer, ein Sachbuch zu bewerten, welches in seiner Thematik gut recherchiert wurde, dessen Funke aber nicht überspringen möchte. „Als unser Deutsch erfunden wurde“, wirkt wie ein Pädagoge, der zwar fachlich versiert ist, alleine keine Begeisterung entfachen kann, einen Sachverhalt so zu vermitteln, dass man auch gewillt ist, mehr zu erfahren.

Zitate von Gedichten etwa, werden nur schwer lesbar im Fließtext untergebracht, welches weder den Augen förderlich ist, noch dem Verständnis. Absätze und eine Schreibweise, eben in Gedichtform, Zeile für Zeile, hätten hier gut getan.

Auch das Einfädeln der Personenbiografien, die an das Werk selbst hintenan gestellt wurden, hätte den Erläuterung der Themen gut getan. Auch die breitere Fächerung des Inhalts ist hier nicht förderlich. Der Leser schweift ab, überfliegt, um zur nächsten interessanten Stelle zu gelangen, von denen es gleich wohl viele gibt.

Den Vorsatz, einen Zeitrahmen von nahezu einem Jahrhundert und einem Stückchen mehr zu umfassen, versucht Preisendörfer redlich. Fachlich ist ihm das einigermaßen gelungen.

Tatsächlich lässt die Grobheit eines Gesamtüberblicks die Detailliertheit vermissen, die die Konzentration auf einzelne Themen, eines Ausschnitts aus dieser Zeit, hätte bewirken können. Die gleiche Schwäche, wie beim Vorgänger, der thematisch in die Nachfolgezeit einzuordnen ist.

Ein paar Seiten mehr, die Einwebung der hintenangestellten Biografien und eine verlegerische Entscheidung, Reime nicht als Fließtext unterzubringen, hätten hier geholfen.

So aber bleibt der Eindruck eines Geschichtsbuches, welches die Faszination für Luther und seine Zeitgenossen zwar versucht, zu erläutern, es aber nach dem Schließen des Buchdeckels nicht zu halten vermag.

Autor:
Bruno Preisendörfer wurde 1957 in Kleinostheim/Unterfranken geboren und ist ein deutswcher Schriftsteller für Sachbücher und Belletristik. Nach der Schule und verschiedenen Stationen in Süddeutschland arbeitete er zunächst als Angestellter in einem Obdachlosenheim.

Anschließend studierte er Germanistik, Politikwissenschaften und Soziologie. 1982 zog er nach Berlin, wo er das Studiom abschloss. 1997 promovierte er. Von 1987 bis 1997 arbeitete er in verschiedenen Ressorts eines Zeitungsmagazins, nevor er 1995 redaktionsleiter wurde.

Als Redakteur arbeitete er zudem für die Zeitschrift „Freibeuter“. Heute arbeitet er vor allem als freier Schriftsteller. Der Autor ist mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit den NDR Kultur-Sachbuch-Preis, 2016.

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Franziska Seyboldt: Rattatatam, mein Herz

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Rattatatam, mein Herz Franziska Seyboldt Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 11.01.2018 Seiten: 253 ISBN: 978-3-462-05047-9

Inhalt:

„An guten Tagen wache ich auf und bin eine Schildkröte. Dann spaziere ich bepanzert bis an die Zähne durch die Straßen. Tunnelblick an und los. An schlechten Tagen wache ich auf und bin ein Sieb.

Geräusche, Gerüche, Farben plätschern durch mich hindurch wie Nudelwasser, ihre Stärke bleibt an mir kleben und hinterlässt einen Film, der auch unter der Dusche nicht abgeht. Ich taumele durch den Tag, immer auf der Suche nach etwas, woran ich mich festhalten kann.“ (Klappentext)

Rezension:
Wovor hatten Sie zuletzt Angst? Vor dem kläffenden Nachbarshund, den der Besitzer scheinbar nicht unter Kontrolle hat? Vor der Spinne, die sich gemächlich von der Zimmerdecke direkt vor ihrer Nase abseilt?

Vor zu engen, kleinen Räumen oder davor, vor vielen Menschen eine Rede halten zu müssen? Ängste, Phobien gibt es in den vielfältigsten Formen und Ausprägungen. Nahezu vor allen Dingen kann man Abneigungen entwickeln.

Was aber, wenn die menschliche Antenne, die uns vor Überreaktionen normalerweise schützt, nicht mehr funktioniert? Was, wenn plötzlich unser größter Alptraum überhand und die Angst in unseren Körpern einzieht und nicht mehr loslässt?

Franziska Seyboldt hat über ihre Erfahrungen, ihren Kampf mit ihrer Angst geschrieben. Entstanden ist eine spannende Auseinandersetzung, ein Dialog mit der Psychose und ein Kampf, ein selbstbestimmtes Leben zurück zu gewinnen.

„Rattatatam, mein Herz“, ist kein Ratgeber, soll es auch nicht sein, sondern Seyboldts Weg, ihre Ängste zu bekämpfen. Dies tut sie erfolgreich und beschreibt innere Auseinandersetzungen so amüsant wie möglich, so ernst wie nötig und gibt sich damit der Öffentlichkeit preis, dem Problem ein Gesicht.

Dies ist die Stärke des Erfahrungsberichts, der den steinigen Weg aufzeigt, mit welchen Schwellen Betroffene zu kämpfen haben, welche Rückschläge sie hinnehmen müssen, bis sie erste Erfolge wahrnehmen können.

Es ist ein unscheinbar daherkommendes Schriftstück, welches einen um so größeren Eindruck beim Leser hinterlässt, ohne die Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit von Ratgebern zu beinhalten, die die Einfachheit vorgaukeln, einen Weg in ein Leben ohne Ängste zu finden.

Franziska Seyboldt zeigt, warum Ängste zu ihren und unseren Leben gehören, auf welche Probleme sie für sich gestoßen ist und dass Anerkennung gerade dort ist, wo man sich zu seinen Ängsten bekennt und sich anderen mitteilt.

Sie zeigt, warum die Hilfe anderer wichtig sein und dass es mitunter sehr langwierig werden kann, bis sich die Angst selbst entlarvt. Das beeindruckende Portrait einer Frau, die sich lange von ihren Phobien unterkriegen lassen hat, ihre Angst am Ende jedoch besiegt.

Für alle Betroffenen und solchen, die verstehen wollen, eine beeindruckende Lektüre.

Autorin:
Franziska Seyboldt wurde 1984 geboren und studierte nach der Schule Modejournalismus und Medienkommunikation in Hamburg. Seit 2008 lebt und arbeitet sie in Berlin.

Als Autorin und Redakteurin schreibt sie Artikel für die taz und schreibt ihre eigene Kolumne über psychische Erkrankungen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher für Kinder und Erwachsene. Dies ist ihr drittes Buch.

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Sergej Lukianenko: Quazi

Quazi Book Cover
Quazi Sergej Lukianenko Heyne Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 397 ISBN: 978-3-453-31852-6

Inhalt:

Russland in naher Zukunft. Nach einer mysteriösen Katastrophe hat sich die Welt auf dramatische Weise verändert: Auferstandene, sogenannte Quazis, leben nun Seite an Seite mit den Menschen.

Eine Tatsache, mit der sich der Moskauer Polizeibeamte Denis Simonow nicht abfinden kann, denn er hegt einen ganz privaten Hass auf die Quazis. Doch dann wird ihm einer der Auferstandenen als Partner zugeteilt – in einem Fall, der tief in das Geheimnis um die Quazis führt… (Klappentext)

Rezension:

Das Spiel um die Zukunft der Menschen beginnt harmlos. Der russische Polizeibeamte Denis Simonow bekommt einen Quazi zugeteilt, um in einem Kriminalfall zu ermitteln. Es gibt nur ein Problem, Quazis sind anders als normale Menschen und Simonow zutiefst verhasst.

Bald stoßen die beiden ungleichen Ermittler in Geheimnisse vor, die zutiefst beunruhigen. Steht den Menschen nach der nicht näher definierten großen Katastrophe ein weiteres Unglück bevor, welches sie entgültig zu vernichten und die Quatzi zum Herrscher über den Planeten zu werden droht? Oder ist friedliche Koexistenz möglich?

Dazu müssen Denis und der Quazi Michael ihre Vorurteile über Bord werfen und zusammenarbeiten. Doch, können sie einander trauen?

Sergej Lukianenko schickt seine Leser mit dem Roman „Quazi“ wieder einmal auf eine phantastische Reise durch ein düsteres Zukunftsszenario für Russland, welches auch hierzulande zum Bestseller asvancieren dürfen.

Klar und spannend geschrieben, legt die Geschichte ein rasantes Tempo vor und behandelt die großen Themen: Sind die Menschen wirklich die Krone der Schöpfung? Gibt es Leben nach dem Tod und wenn ja, zu welchen Preis könnte dies möglich sein?

Ist dies überhauopt erstrebenswert und wie weit würde man gehen, um praktisch Unsterblichkeit zu erlangen? Selbst, wenn das Zwischenstadium eine Art Höllendasein (Nein, kein Schreibfehler.) wäre.

Der Leser wird in die Geschichte hinein geworfen, direkt ins kalte Wasser. So, wie der Beginn, sind auch die Protagonisten. Scharfkantig und nicht immer sympathisch, werden am Rande moralische Fragen in die Handlung eingewoben.

Zudem merkt man auch diesem Monumentalwerk der Fantasy wieder an, dass der Autor ein Psychologiestudium hinter sich hat. So schnell gelingt es kaum einen anderen seine Leser in den Bann zu ziehen und in den Strudel dicht aufeinander folgender Ereignisse hinen zu ziehen.

Die Geschichte selbst, sie wirkt. Als Einzelband, wie auch als Reihenauftakt, was bei Lukianenko durchaus möglich wäre. Allein, sicher ist dies nicht.

Stetiger Spannungsaufbau und ein rasantes Erzähltempo sorgen für gute Unterhaltung, welche man bei dem Autor auch erwarten darf. Nicht mehr und nicht weniger. Hohe Literatur ist dies nicht, jedoch gibt es im Fantasy nur weniges was auf vergleichbarer Höhe agieren kann.

Der Leser erlebt die Berg- und Talfahrt aus der Sicht des Hauptprotagonisten und betet darum, dass es nie so sein wird, wie in diesen Zeilen beschrieben. Die Story jedoch weiterzuverfolgen, wäre wünschenswert.

Auch um der Anspielungen auf den Alltag und große politische Fragen unserer Zeit willens. Dies macht Lukianenko hier wieder sehr geschickt, dass es förmlich zur Suche danach einlädt. Für alle anderen, die nicht danach fahnden, ergibt sich dennoch ein spannendes Abenteuer, gespickt mit den großen Fragen der Menschen.

Was wäre wenn..? Die Antwort (z.B. nach einem Leben nach dem Tod, zum Preis des Verlusts bestimmter Eigenschaften aus dem vorherigen Leben) muss der Leser selbst finden. Ein großer Fantasy-Roman aus der Feder des russischen Meister-Autoren über Toleranz, Freundschaft, Mut, Zusammenhalt, Leben, Tod und eine Gesellschaft der Zukunft, die es zu entdecken gilt.

Unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Sergej Lukianenko wurde 1968 in Karatau/heutiges Kasachstan geboren und ist ein erfolgreicher Science-Fiction- und Fantasy-Schriftsteller. Er studierte nach der Schule zunächst Medizin in Alma-Ata und arbeitete als Psychiater.

Anfang der 1980er Jahre begann er Kurzgeschichten zu bveröffentlichen und etablierte sich sehr bald als erfolgreicher Autor. Heute lebt er in Moskau. International bekannt wurde er durch seine Science-Fiction-Reihe „Die Wächter“, deren erste Bücher verfilmt wurden.

2005 lief der Film, der in Russland mehr als 15 Million Dollar einspielte, in Deutschland an. Lukianenko erhielt zahlreiche russische und internationale Preise, darunter den Deutschen Phantastik-Preis 2010. Zahlreiche Werke von ihm sind noch nicht übersetzt.

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