Gesellschaft

Khue Pham: Wo auch immer ihr seid

Inhalt:

Sie ist dreißig jahre alt und heißt Kieu, so wie das Mädchen im berühmtesten Werk der vietnamesischen Literatur. Doch sie nennt sich lieber Kim, weil das einfacher ist für ihre Freunde in Berlin. 1968 waren ihre Eltern aus Vietnam nach Deutschland gekommen. Für das, was sie zurückgelassen haben, hat sich die Journalistin nie interessiert. Im Gegenteil: Oft hat sie sich eine Familie gewünscht, die nicht erst deutsch werden muss, sondern es einfach schon ist.

Bis zu jener Facebook-Nachricht. Sie stammt von ihrem Onkel, der seit seiner Flucht in Kalifornien lebt, Die ganze Familie soll sich zur Testamentseröffnung von Kieus Großmutter treffen. Es wird eine Reise voller Offenbahrungen – über ihre Famile und über sie selbst. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Am besten ist es, man schreibt über das, was man kennt. Nur so wirkt die Geschichte bis ins letzte Detail glaubwürdig. Nur so entgeht man Schnitzern, die sich denen einschleichen, die sich mit der Materie nicht ausreichend beschäftigt haben oder jenen, welchen es nicht gelingt, bestimmte Emotionen auszulösen.

Mit dem vorliegenden Roman „Wo auch immer ihr seid“, von Khue Pham, gibt es nun ein Beispiel, das zeigt, wie wahr diese Regel sein kann. Der deutschen Journalistin gelingt es nämlich ganz ausgezeichnet, eine Familiengeschichte zu zeichnen, über die Zeiten und über verschiedene Perspektiven hinweg.

Es ist ein biografisch angehauchter Roman, der wohl für viele dieser Familienbiografien Pate stehen könnte. Im ältesten Sohn werden alle Hoffnungen gesetzt, ins Ausland geschickt, in die Fremde, um dann mitzuerleben, dass sich die Ereignisse zu Hause überschlagen, Familienzweige sich von einander entfernen und erst eine oder mehrere Generationen später nach dem Warum gefragt werden wird.

Die Hauptprotagonisten selbst ist, genau so wie die Autorin auch, Journalistin, die nach und nach die Geheimnisse dieser Geschichte entdeckt, und damit auch ein wenig ihren eigenen Hintergrund. Dies geschieht zunächst leise, trotz der gleich zu Beginn existierenden Sprünge zwischen den handelnden Charakteren und nicht zuletzt zwischen den Zeitebenen.

Khue Pham hat hier jedoch die richtigen Längen gewählt, so kommt man beim Lesen nicht durcheinander und kann der Erzählung folgen.

Es ist ein kompakt gehaltener Roman, der die ganzen Dramen einer Familie in wenigen Zeilen vereint. Generationsübergreifende Konflikte eben so, wie die Last von Ungesagtem, eben so menschlich kaum zu fassende Tragödien, aber auch das kleine Glück. Gleichzeitig zeigt die Autorin, wie sehr die Wahrnehmung von Außerhalb täuschen kann und Krieg nichts anderes verursacht als Leid in vielen Formen.
Über die Form des Endes der Erzählung kann man diskutieren. Ein härterer Bruch wäre etwas apssender oder ein noch überdeutlicheres offenes Ende. So wirkt dies zu gewollt. Die Protgaonistin fügt damit, gewollt ungewollt, ein neues Familiendrama ihrer eigenen Geschichte hinzu. In dieser Form wirkt das nicht stimmig.

Bis auf dieses kleinen Detail ist es aber unter den ruhigen Erzählungen ein durchaus lesenswerter Roman.

Autorin:

Khue Pham wurde 1982 in Berlin geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Nach der Schule studierte sie in London Soziologie und arbeitete anschließend für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, sowie als freie Journalistin, bevor sie 2009/2010 eine Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolvierte. Im Jahr 2010 begann sie als Politredakteurin bei der Zeitung „Die Zeit“. Für ihre Reportagen wurde sie bereits mehrfach für verschiedene Preise nomininiert. Gemeinsam mit Alice Bota und Özlem Topcu veröffentlichte sie das Buch „Wir neuen Deutschen“, im Jahr 20212. „Wo auch immer ihr seid“, ist ihr erster Roman.

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Wolfgang Kaes: Das Lemming-Projekt

Inhalt:

Frigiliana, ein idyllisches Dorf in Andalusien. Hier säubert Alejandro im Auftrag der Firma CleanContent das Internet vom digitalen Giftmüll, von Pornographie, Hass und Gewalt. Als sich seine Kollegin Maria von einer Brücke stürzt, wird Alejandro klar, dass sein Job nicht nur brutal, sondern lebensgefährlich ist. Dann tauchen auf seinem Bildschirm Fotos auf, die verschüttete Erinnerungen wecken und seine Mutter in Panik versetzen.

Jemand will ihm Angst machen. Doch Alejandro lässt sich nicht einschüchtern. Bald steht er vor einem Grab auf einem Friedhof aus der Zeit der Franco-Diktatur, als die katholische Kirche noch allmächtig war, und damit beginnt die Suche nach der Wahrheit. Sie wird mit jedem Tag gefährlicher, denn Alejandros unsichtbarer Gegner hat die Macht, in die Seelen der Menschen zu dringen… (Klappentext)

Rezension:

Im Süden Spaniens gibt es nicht viele Perspektiven für junge Menschen. Die Jugend-Arbeitslosigkeit ist hoch. Wer kann, zieht weg und die wenigen, die bleiben, nehmen jeden Job an, der sich bietet, um über die Runden zu kommen. So kommt Alejandro dazu, das Internet vom Dreck zu säubern, der sich ansammelt.

Fragwürdige Bilder, Videos von Folter, Gewalt und Pornografie. Er tut dies für ein internal agierendes Firmengeflecht, nicht ahnend, dass er selbst bald in Abgründe hineingezogen wird, die ihn nicht nur in die grausame Vergangenheit seiner Familie blicken lassen, sondern auch ihn selbst mitreißen zu drohen.

Der vorliegende Thriller von Wolfgang Kaes führt uns zu einem der Abgründe unserer modernen Gesellschaft. Es gibt sie wirklich, die Menschen, die im Auftrag der Firmen des Silicon Valley das Internet vom größten Schmutz säubern, denen wir sonst in Gefahr laufen, zu begegnen. Gewaltverherrlichende Videos, Pornografie, abscheulichste Bilder. Sie, die meist keinen anderen Job als diesen bekommen können, ruinieren für uns ihre psychische Gesundheit und müssen, von der Mehrheit der Menschen unbeachtet, mit den Folgen leben.

In diesem Szenario hat der Autor seine Geschichte angesiedelt, was alleine schon für einen spannenden Thriller gereichtet hätte. Doch noch mehr Themen hat Wolfgang Kaes mit der Handlung verknüpft. Verkappte Vergangenheitsbewältigung einer Familie, ebenso wie der sie umgebenden Gesellschaft bilden eben so einen Rahmen, in dem sich „Das Lemming-Projekt“ und die handelnden Protagonisten bewegen, denen man trotz Ecken und Kanten manchmal vor die Köpfe stoßen möchte.

Diese haben allesamt Ecken und Kanten, doch der Handlungsverlauf bewegt sich zuweilen schleppend, wird an einigen stellen durch abrupte Wechsel aufgebrochen. Die dadurch entstehende Dynamik sorgt dafür, dass man dabei bleibt, dies zu lesen, zumal Kaes zum Recherchieren einlädt. Große Überraschungen erbgeben sich dennoch nicht. Auch wenn sich die Handlung in Richtung Psychothriller oder Kriminalthriller, so fern es dieses Genre gibt, bewegt, so ist diese Geschichte eher in den Bereich Kriminalroman einzuordnen.

Zentrales Element sind die, hier unfreiwillig, ermittelnden Personen, auch ist die Handlung nicht ganz so eng getaktet, wie dies in den meisten modernen Thrillern der Fall ist. Wolfgang Kaes hat sich Zeit gelassen, in das heutige Spanien, vor allem die für junge Leute eher trübsinnige Seite, einzuführen, was leider ein paar Längen hat entstehen lassen.

Wer einen etwas ruhigen, wir bleiben bei der Einordnung des Verlags, „Thriller“ lesen möchte, ist dennoch gut bedient und wird fortan anders über einige der schrecklichen Auswirkungen unserer vernetzten Welt denken.

Autor:

Wolfgang Kaes wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Politikwissenschaft, Kulturanthropologie in Bonn und war freiberuflich als Polizeireporter für den Kölner Stadt-Anzeiger tätig.

Für diverse Magazine und Zeitschriften schrieb er Reportagen, bevor er die Leitung des Bonner Büros der Koblenzer Rhein.-Zeitung übernahm. Als Redakteur und Chefreporter arbeitet er bis heute beim Bonner General-Anzeiger. Im Jahr 2004 veröffentlichte er seinen ersten Roman, weitere folgten. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. erhielt er 2013 den Henri-Nannen-Preis.

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Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Inhalt:
Der elfjährige Martin besitzt nichts bis auf das Hemd auf dem Leib und seinen schwarzen Hahn, Behüter und Freund zugleich. Die Dorfbewohner meiden den Jungen, der zu ungewöhnlich ist. Viel zu klug und liebenswürdig. Sie behandeln ihn lieber schlecht, als seine Begabungen anzuerkennen.

Als Martin die Chance ergreift und mit dem Maler zieht, führt dieser ihn in eine schauerliche Welt, in der er dank seines Mitgefühls und Verstandes widerstehen kann und zum Retter wird für jene, die noch unschuldiger sind als er. (Klappentext)

Rezension:

Eine Erzählung gleicht im besten Falle einem Gemälde, bei dessen Betrachtung man sich verlieren kann, immer wieder neue Details entdecken wird und daraus etwas für sich mitnimmt. Das kann Literatur schaffen. Besonders beeindruckend ist es, wenn dies gleich einem Debüt gelingt.

Mühsam ist das, immer wieder den gleichen Idioten zu begegnen. Als ob die ganze Welt voll davon wäre, ganz gleich, wohin sich Martin auch wendet.“

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Stefanie vor Schulte entführt uns in eine düstere Welt des Mittelalters, in ein Bild, welches eine Art Zwischenwelt darstellt und dabei stark an eine Mischung aus dem Bild der Apokalyptischen Reiter des Malers Albrecht Dürer erinnert, diverser Pest-Geschichten und nicht zuletzt dem kleinen Prinzen.

Alles, denkt Martin, ist älter als ich und schon seit jeher da. Er fragt sich, ob es wohl einmal umgekehrt sein wird.“

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Letzterer ist hier in Gestalt eines kleinen Jungen zu finden, der als Hauptprotagonist, Seele und Charakter in der reinsten Form besitzt, die es gibt und dabei schon mit seiner bloßen Anwesenheit in seiner Umgebung auf Ablehnung stößt. Dieser Figur schaut man fasziniert zu, kann sich ihr nicht entziehen und begleitet sie durch die Geschichte, ahnt das Unheil, vor dass man sie nicht beschützen wird können.

Es hat etwas ganz und gar Verschobenes, dass der Junge, der nichts hat, aber auch nichts müsste, den größten Anstand besitzt, während die Dörfler sich Regeln und Gebote je nach Gemütslage erstellen und so zufrieden mit sich und ihrem falschen Leben sind, dass es obszön ist.“

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Alles andere wird zur Nebensächlichkeit. Beim Lesen schleicht sich das Gefühl der Beobachtung von etwas Intimen ein, dem man eigentlich nicht beiwohnen dürfte und trotzdem dem Kind all zu viel Schlechtes passiert, die positiven Erfahrungen nur Brotkrumen gleichen, hofft man für Martin bis zum Ende. Eingebettet ist die Erzählung in wunderbarer Schreibkunst, die für sich stehen kann, die Deutung mehrerer Ebenen zulässt und auf die Lesenden einwirkt. Mit einzelnen Sätzen könnte man Postkarten kunstvoll bedrucken, aber auch so in sie versinken.

In mir ist alles alt und schon gelebt, vergangen längst und ausgeschöpft.“

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Die Hauptfigur ist das Ideal in seiner reinsten Form, welche durch ihr Alter geschützt ist und doch so zerbrechlich wie eine Glashauspflanze wirkt. Alle anderen Protagonisten stellen das Verkommene, das Verlogene der Welt dar und bilden einen klaren Gegenpol. Von Beginn an ist klar, wo hier die Sympathien liegen sollen und das ändert sich auch im Laufe der Handlung nicht.

Wohlfühl-Literatur ist etwas anderes, doch wer Spaß am Spiel mit unserer Sprache hat, an der Interpretation von Gleichnissen und literarische Vorbilder einmal neu gedeutet sehen möchte, der wird mit diesem Werk etwas anfangen können. Alle anderen finden einen düsteren im Mittelalter spielenden Roman vor, mit Horrorelementen. Vielleicht ist das die Kunst? Auch ohne das Wissen um die zahlreichen Ebenen hat man eine Geschichte vorliegen, die im Gedächtnis bleiben wird.

Autorin:

Stefanie vor Schulte, 1974 in Hannover geboren, ist studierte Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Marburg. „Junge mit schwarzem Hahn“, ist ihr erster Roman.

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Andreas Moster: Kleine Paläste

Inhalt:

Mehr als dreißig Jahre haben sich die früheren Nachbarskinder Hanno Holtz und Susanne Dreyer nicht gesehen. Als jugendlicher verließ Hanno die heimatliche Kleinstadt urplötzlich, nun ist er zurückgekehrt, um sich nach dem Tod der Mutter um den Vater zu kümmern. Unsicher streift er durch eine Welt, die im näher und fremder nicht sein könnte. Susanne sieht ihm dabei zu.

Seit Jahrzehnten hat sie das Haus der Familie Holtz nicht aus den Augen gelassen. Als sie Hanno ihre hilfe anbietet, treffen Erinnerungen an ein Fest im Sommer 1986 aufeinander. Niemand blieb damals unversehrt – und niemand kann nun verhindern, dass immer mehr Licht durch die Risse der kleinen Paläste dringt. (Klappentext)

Rezension:

Das Haus herausgeputzt, den Sohn vor versammelter Nachbarschaft dazu angetrieben, sein Instrumentenspiel vorzuführen. Schiefe Töne, schiefe Blicke. Des Nachbarsmädchens und der Nachbarn, jene Gemeinschaft, die sich allesamt näher sind als sie glauben und doch wie Geier einander umkreisen. Nur keine Schwäche zeigen. Nur die Fassade wahren. Keinen Blick dahinter zulassen.

Der Übersetzer und Schriftsteller Andreas Moster hat sie geschrieben, diese Erzählung, die nach und nach unter die Haut geht, niemanden unberührt lässt. Es ist ein leiser Roman, zumindest zu Beginn beinahe unscheinbar. Langsam ist das Erzähltempo, doch schon die ersten Kapitel fordern die Lesenden heraus.

Perspektiven wechseln ebenso abrupt, wie Zeitebenen, ohne dass dies besonders gekennzeichnet wäre. Nur in der Draufsicht bemerkt man, wer wen beobachtet. Erinnerungen werden aus der Sicht der Protagonisten, alles kreist um die beiden Hauptfiguren, die nach und nach das Puzzle der Vergangenheit freisetzen, klarer.

Dieser Gesellschaftsroman zeigt die typische Dynamik einer Kleinstadt auf, in der alle einander zu kennen glauben und doch, einmal aufgedeckt, nichts mehr ist, wie es mal war. Die Fallhöhe der Protagonisten, in die der Autor mit immer schnelleren wechseln, die jedoch allesamt nachvollziehbar bleiben, ist unglaublich hoch.

Die Lesenden beobachten, was über Jahrzehnte zwischen den beiden Hauptfiguren unausgesprochen bleibt. Als würde man direkt in deren Umgebung sein und einem Konflikt beiwohnen, der nur sie etwas angeht. Hölzern, fast linkisch, scheu begegnen sie sich zunächst und spielen sich ein. Ein Team wider Willen und doch willens. Mit inneren ungelöst aufgestauten Konflikten.

Sprachlich ist das so unscheinbar ausgearbeitet, dass einzelne Sätze einem mit einer Wucht überfallen, die man nicht erwartet, die einem nachdenklich werden lassen. Was wäre, wenn Unaussprechliches in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschehen würde?

Was würde passieren? Wie würden Verhältnisse sich neu ordnen? Welche Bindungen wären nicht mehr zu kitten? Was wäre für immer zerstört? Wie hätte man eingreifen, bestimmte Dinge verhindern können? Große Fragen, die Protagonisten beginnen zu Beginn der Geschichte die Verarbeitung.

Jeder Handgriff am pflegebedürftigen Vater Hannos, jeder Handgriff am renovierungsbedürftigen Elternhaus steht symbolisch dafür. Der leise Schrei, der hätte laut sein sollen, aber nie die Chance dazu hatte, so zu werden. Andreas Moster ist das Kunststück gelungen, dies auf Papier zu bringen.

Autor:

Andreas Moster wurde 1975 in der Pfalz geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Englische Philologie, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und arbeitete danach als freier Übersetzer. 2017 erschien sein erster Roman „Wir leben hier, seit wir geboren sind“. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

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Kyle Perry: Die Stille des Bösen

Inhalt:

Das Verschwinden einer Gruppe Teenager in der abgeschiedenen Wildnis der tasmanischen Berge versetzt das Städtchen Limestone Creek in Alarmbereitschaft. In den Achtzigern sind hier schon einmal junge Mädchen verschollen, und die Legende des Hungermanns verfolgt die Gemeinde noch immer.

Als schließlich die übel zugerichtete Leiche eines der Mädchen am Fuß eines Berges gefunden wird, fällt der Verdacht auf wilde Tiere. Doch Detective Badenhorst ist skeptisch – warum ist die Leiche barfuß? Und wie kommen ihre Schuhe auf den Gipfel des Felsens, fein säuberlich zugeschnürt? (Klappentext)

Rezension:

Jeder Ort hat seine ihm ganz eigenen Geheimnisse und nicht alle legen wert darauf, entdeckt zu werden und so quält sich ein kleiner Ort inmitten Tasmaniens mit der grausigen Legende des Hungermanns, der der Meinung der Einheimischen nach, in den 1980er Jahren mehrere Mädchen hat verschwinden lassen. Als plötzlich erneut mehrere Teenager verschwinden und die Geister der Vergangenheit geweckt zu sein scheinen, werden Ereignisse von ungeheurer Tragweite in Gang gesetzt.

Er hockt in den Bergen versteckt, um zu töten.
Er hockt in den Höhlen versteckt, um zu warten.
Der Hungermann, der Hungermann,
er steht auf kleine Mädchen,
auf die hübschen Gesichter aus unserem Städtchen.
Glaub ja nicht, was die Erwachsenen sagen,
der Hungermann wird’s wieder wagen.
Drum geh ich da oben nie allein durch den Wald,
sonst kommt der Hungermann und macht mich kalt.

Kyle Perry: Der Hungermann

So beginnt das Thriller-Debüt des australischen Sozialarbeiters Kyle Perrys, der seine Leserschaft in die magische und auch harte Welt der größten Insel Australiens mitnimmt und auf eine Berg- und Talfahrt sondergleichen schickt. Dabei hält sich der Autor nicht großartig mit einer ausführlichen Einführung der Protagonisten auf. Zu umfangreich ist die Seitenzahl.

Man wird später noch genug Zeit haben, die Charaktere kennen zu lernen. Die Geschichte beginnt sofort mit der auslösenden Handlung und setzt sich in einem immer höheren Erzähltempo fort. Der Schreibstil wirkt zunächst hölzern, je mehr die Protagonisten durch Perry geformt werden, um so feingliedriger jedoch wird die Handlung, die aus Sicht der Charaktere kapitelweise erzählt wird.

Dabei hat sich der Autor viel vorgenommen. Erzählt wird von der Eigensinnigkeit der Kleinstadtbewohner ebenso, wie von den Gegensätzen zwischen Einheimischen und Fremden, ganz normalen Teenager-Problemen und Erscheinungen unserer Zeit in ihren schrecklichsten Formen. Das funktioniert, da Perry in seinem Debüt nichts an Schilderungen ausspart, die Handlung jedoch nur gerade so ausbreitet, wie es notwendig ist, den Geschehnissen zu folgen und ansonsten bis beinahe zum Ende im Unklaren zu bleiben.

Die Protagonisten sind mit Ecken und Kanten versehen, bleiben fast durchgehend glaubwürdig. Nur zum Ende hin wirkt die Geschichte eine Spur zu dick aufgetragen. Da merkt man das Debüt dann doch, ansonsten wird ein Spannungsbogen von Beginn an gezogen, den man mit leichtem Schauer verfolgt. Pluspunkt, Perry bleibt in seinen Schilderungen von Gewalt zurückhaltend, setzt diese nur dort, wo es für die Handlung notwendig und folgerichtig erscheint. Ansonsten ist „Die Stille des Bösen“ ein Psychothriller mit hohem Kriminalromananteil.

Wem dies liegt, kann sich gerne auf die Spuren des Hungermanns begeben. Mit aller Vorsicht.

Autor:
Kyle Perry lebt in Tasmanien und arbeitet als Therapeut und Sozialarbeiter in verschiedenen Highschools, Jugendeinrichtungen und Entzugskliniken. Er stammt aus der Gegegnd der Great Western Tieras, die in seinem Debüt eine bedeutende Rolle spielen. „Die Stille des Bösen“ ist sein Erstlingswerk.

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Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Inhalt:
Ein Roman aus der Perspektive Adolf Eichmanns über seine Zeit in Argentinien.

Mit beißendem Spot nimmt uns Ariel Magnus mit ins Innere des unbelehrbaren Nazis, dessen antisemitischer Irrglauben auch im argentinischen Versteck ungebrochen war und der dort bar jeder reue und völlig unbehelligt von einer Rückkehr nach Deutschland träumen konnte – bis zu seiner Verhaftung 1960.
(Klappentext)

Rezension:

Buenos Aires, 11. Mai. Ein Mann, seit fünfzehn Jahren auf der Flucht. Dann geht alles sehr schnell. Die Überwältigung und Entführung Adolf Eichmanns durch Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad im Jahr 1960 sorgte weltweit für Aufsehen.

Einem der größten Schreibtischtäter und Organisatoren des Holocausts sollte der Prozess gemacht und einem gerechten Urteil zugeführt werden. Seit 1950 versteckte sich der Bürograt des Todes, der einst die Deportationszüge in die Konzentrationslager organisierte und bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz Protokoll führte, in Argentinien, unter falschen Namen, von den Geheimdiensten mehrerer Staaten schon länger beobachtet.

In Tel Aviv vor Gericht gestellt, plädiert der Mann, der sich als bloßer Befehlsempfänger sieht, auf „Nicht schuldig!“. Eichmann zeigt keine Reue und wird wegen seiner Taten zum Tode verurteilt. So viel zu den tatsächlichen Geschehnissen, doch wie kam es zu der Entdeckung des Mannes, der sich so lange einer gerechten Strafe entziehen konnte?

Wie lebte, was dachte der Mann, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hatte? Der Journalist und Schriftsteller Ariel Magnus hat einen Blick hinter der Fassade versucht. Dabei ist ein Roman entstanden, den man sich kaum entziehen kann.

Es ist eine Qual, in die Geschichte einzufinden, da gleich von Beginn an aus der Perspektive Eichmanns erzählt wird. Die Sicht eines Mannes, der verdrängt, wird eingenommen, nichts schlechtes an seinen Taten und Entscheidungen sehen will und sich dennoch ständig vor Familie und anderen Untergetauchten, nicht zuletzt vor sich selbst rechtfertigt. Dabei wirken die Sätze so spröde und starr, wie man sie nur einem Bürokraten angedeihen lassen kann, nicht leicht zu lesen.

Ariel Magnus hat es geschafft, dass immer eine gewisse Distanz zum Hauptprotagonisten gehalten wird, zugleich jedoch unwillentlich fasziniert ist von dieser Figur. Dabei bleibt der Autor sehr dicht an verbürgten Geschehnissen, Ergebnis intensiver Rechercheleistung. Ein paar Dialoge mögen der schriftstellerischen Phantasie entsprungen sein, der Rest lässt sich anhand von Protokollen etwa, Beobachtungen oder Tonbandaufnahmen aus dieser Zeit verifizieren.

„Erstens muss ich Ihnen sagen, mich reut gar nichts“, sagte er, auch wenn er vorgehabt hatte, das am Ende zu sagen. „Es wäre sehr leicht für mich, mich reuig zu zeigen, so zu tun, als wäre aus einem Saulus ein Paulus geworden.“

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Auch wenn man die Geschichte und ihren Ausgang kennt, hat man einen ungeheuer dicht erzählten und spannenden Roman vorliegen, in dem der Protagonist verklärt auf seine Taten blickt, versucht, seine neue Rolle zu finden, in ständiger Angst, doch noch entdeckt zu werden. Die ständige Anspannung ist zwischen den Zeilen zu spüren, wird mit fortschreitender Handlung größer. Der Schriftsteller indes ist fortwährend bei einem eher ruhigen Erzählstil geblieben und hat es dabei auch noch geschafft, einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte mit einzuweben.

Bleibt die Frage, darf man das? Einem der größten und schrecklichsten Schreibtischtäter des Holocausts in gewisser Weise wieder lebendig werden lassen? Ariel Magnus schafft es, Eichmann zu entlarven, als das was er war. Mittelmäßiger Trottel, Rachsüchtiger mit Komplexen. Ein Kackhaufen, dem es lange genug gelungen war, seinen Geruch zu verschleiern. So beschreibt ihn der Autor. Vielleicht ist es das, was aus der Erzählung mitgenommen werden kann? Irgendwann fällt jeder Geruch auf.

Die wahre Geschichte:

Wikipedia I Biografie I Operation Adolf Eichmann

Autor:

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren und ist ein argentinischer Schriftsteller und Übersetzer. Er besuchte die deutsche Schule und studierte von 1999 an Romanistik und Philosophie in Heidelberg und Berlin. An der Humboldt-Universität arbeitete er zudem am Lehrstuhl für Spanische Literatur. Für verschiedene argentinische zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge und veröffentlichte 2007 einen Roman, für den er mit dem Literaturpreis La otra Oriella ausgezeichnet wurde. Seine Werke wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem 2006 veröffentlichten Buch , in welchem er seiner deutsch-jüdischen Großmutter ein Denkmal setzte, welches 2012 ins Deutsche übersetzt wurde und unter dem Titel „Zwei lange Unterhosen der Marke Hering“ erschien.

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Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Inhalt:

Rabbiner, Intellektueller, Liberaler und sprecher der jüdischen Gemeinde in dunkelsten Zeiten der Verfolgung: Leo Baeck gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte. Michael A. Meyer lässt in seiner anschaulichen Biografie einen engagierten Denker lebendig werden, der hinter seiner Rolle als Ikone der deusch-jüdischen Geschichte zu verschwinden drohte. (Klappentext)

Rezension:

Oft genug kommen bei vielen namhaften Persönlichkeiten öffentliche Wirksamkeit und Privatleben nicht zur Deckung, Bei viel zu wenigen ist die Übereinstimmung zwischen Gesagten und letztendlichen Taten so groß, wie bei Leo Baeck.

Doch, wer war dieser Mann, der als oberster Repräsentant der organisierten deutsch-jüdischen Gemeinschaft nicht nur ein beeindruckendes Pensum an wissenschaftlichen Ausarbeitungen vorweisen konnte, auch Menschen jüdischen Glaubens half, unterzutauchen, zu emigireren oder wenigstens die Moral derer zu stärken und Nöte zu lesen, von denen, die keine andere Wahl hatten als in Deutschland zu bleiben?

Wie ist sein Wirken im Berlin der Nazi-Zeit, im Ghetto Theresienstadt und nach Kriegsende zwischen Amerika und London zu beurteilen und was bleibt von der Person Baecks in der heutigen Zeit? Der Historiker Michael A. Meyer begab sich auf Spurensuche. Dabei ist die vorliegende, sehr eindrucksvolle Biografie entstanden. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten, deren Wirken heute teilweise fast vergessen ist, nimmt Leo Baeck eine Sonderstellung ein. An einzelne Abschnitte wird heute erinnert, doch wie ist der Rabbiner, der Wissenschaftler, der Denker und die Person in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.

Was bleibt, wo heute das Leben und die Arbeit anderer intellektueller Größen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und an was sollte erinnert werden, gerade bei Baeck, der es von Beginn an geschafft hatte, den unterschiedlichen Strömungen des jüdischen Glaubens eine Stimme zu geben und gerade in Zeiten akuter Bedrohung, zumal für das eigene Leben, zwischen den Stühlen auch seinen Gegnern die Stirn zu bieten.

Welche Diskussionen stieß er in seiner Glaubensgemeinschaft an. Was bedeutete die Person Baecks für die jüdische Gemeinden in Oppeln, Berlin und später in seiner Funktion im Ältestenrat im Ghetto Theresienstadt?

Die Tür öffnete sich und ein SS-Offizier trat ein. Es war Eichmann. Er war sichtlich betroffen, mich zu sehen. „Herr Baeck, Sie leben noch?“ Er sah mich sorgfältig an, als wenn er seinen Augen nicht traute, und fügte kalt hinzu: „Ich dachte, Sie wären tot.“ „Herr Eichmann, Sie scheinen ein zukünftiges Ereignis vorauszusagen.“ „Jetzt verstehe ich. Totgesagte leben länger, nicht wahr?“

Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Michael A. Meyer ist ein Kenner der Schriften Leo Baecks, hat diese ausgewertet und nun in einer eindrucksvollen Biografie zusammengefasst. Erstmals werden Denken, wissenschaftliches und religiöses Arbeiten, sowie der Mensch Baeck gemeinsam bedrachtet und einer Wertung unterzogen, die nur respektvoll und voller Hochachtung vor dieser Person sein kann.

Dabei hält sich der Historiker strikt an die biografischen Stationen und stellt kompakt das Wirken Baecks anhand seiner Schriften dar, zeigt, wo dem rabbiner Grenzen gesetzt waren und welche zweifelhaften Entscheidungen er mitunter auch fällen musste.

Wie Leo Baeck selbst, ist der Historiker Meyer ein Mensch der leisen Töne, was der Biografie mehr als gut tut. Die einzelnen Ausschnitte aus Baecks Arbeiten sind nicht immer leicht zu lesen. Seicht ist etwas anderes. Hierauf muss man sich einlassen. Vorkenntnisse, insb. im Bereich der Strömungen innerhalb der jüdischen Religion, schaden nicht, aber auch sonst vermittelt dieses Werk, welches zu einer Standardlektüre avancieren könnte, viel Information und Wissen über den Menschen, den Gelehrten und Rabbiner Baeck und dessen Zeit.

Immer wieder im Wechsel werden wissenschaftliches Arbeiten, religiöses und gesellschaftliches Wirken beleuchtet und dem Wenigen gegenüber gestellt, was vom Privatmenschen Leo Baeck bekannt ist. Diese Schablonen, entstanden nach intensiver Rechercheleistung, so übereinander gelegt, ergeben ein beeindruckendes Bild, welches noch nach dem Lesen wirkt.

Autor:

Michael Albert Meyer wurde 1937 in Berlin geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker der neuzeitlichen jüdischen Geschichte. Nachdem seine familie über spanien in die USA emigrierte wuchs er in Los Angeles auf und studierte an der University of California Geschichte. Am Hebrew Union College Cincinnaty (HUC) promoviererte er und lehrte ab 1964, wurde drei Jahre später Mitglied des HUC.

Zwischen 2000 und 2008 nahm er zudem regelmäßig Lehraufträge der Hebräischen Universität Jerusalem an. Meyer widmetee sich der Erforschung des Reformjudentums und der Herausgabe verschiedener Schriftebn u.a. Leo Baecks und von Joachim Prinz. Zudem ist er Mitherausgeber einer vierbändigen Deutsch-Jüdischen Geschichte. Von 1991 bis 2013 war er Präsident des Leo-Baeck-Instituts. Im Jahr 2001 erhielt er die Ehrendoktorwürde des Jewish Theological Seminary of America.

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Ulrich Woelk: Für ein Leben

Inhalt:

Als die Berliner Ärztin Niki kurz nach dem Mauerfall aufgrund einer Ferhldiagnose einem Patienten beinahe schweren Schaden zufügt, ahnt sie nicht, dass sie ihn einmal heiraten wird. Ebenfalls im krankenhaus lernt Niki, geboren in Afghanistan als Kind deutscher Hippies, die schillernde Lu kennen. Die Begegnung der zwei jungen Frauen hat Folgen, die sie niemals erwartet hätten… (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman, eine Erzählung wie die Stadt selbst. Berlin ist ein Moloch, aber auch Sehnsuchtsort vieler, ist in der Stadt an der Spree doch die Welt zu Hause. Dazu kommt eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit, die Toleranz der Einheimischen und eine Geschichte, die von Symbolen nicht hätte überladener sein können, als dies bis heute der Fall ist. Was liegt da näher als eine Geschichte, nein, mehrere, zu erzählen, wie man sie nur dort glaubwürdig ansiedeln kann? Ob das Konstrukt dann gelingt, ist eine andere Frage.

Erzählt wird die Geschichte zweier Frauen, deren Leben sich zu Wendezeiten kreuzen, als aus zwei Städten wieder eine werden soll, sowie auch die Protagonistinnen zunächst umeinander kreisen und schließlich zueinander finden. Doch, genau wie der Schauplatz, hält auch das Leben beider Geheimnisse der Vergangenheit und Überraschungen in der Zukunft bereit, was bei beiden schon mit jeweils problembehafteten Familiensituationen beginnt, die Auswirkungen auf das restliche Leben von Niki und Lu haben werden.

Dabei zeichnet der Autor ein sehr vielschichtiges Bild seiner Hauptfiguren und einer Stadt im Wandel, die sie so sonderbar ist, wie die Menschen, die dort leben. Die restlichen Protagonisten bleiben dabei vergleichsweise blass.

„Für ein Leben“ ist viel. Viel zu viel, möchte man meinen. Woelk bringt hier nicht nur eine Zeitenwende ins Spiel, auch die Geschichte zweier Frauen und ihrer Familien, Gender und Diversity, das Leben im Westen der Stadt zu Zeiten der Teilung, spirituelle Suchen nach den Sinn des Lebens, gewürzt mit Einblicken ins alternative Szenenleben.

Wer bei so vielen Handlungssträngen noch den Überblick behalten kann, verdient Hochachtung. Der Autor scheint, wie Berlin selbst, nicht wirklich zu wissen, wohin er mit seinen Figuren möchte. allzu oft werden Handlungsstränge nicht genug ausgeführt, viel zu wenig wurde gestrafft und die Zusammenführung der Handlungen wirkt an manchen Stellen zu gewollt. So funktioniert das leider nicht. Der Schreibstil lässt zwar keine größeren Längen zu, wer jedoch z. B. „Der Sommer meiner Mutter“ von ihm gelesen hat, sollte nicht mit der gleichen Erwartungshaltung an dieser Erzählung herangehen. Das funktioniert nicht.

Autor:

Ulrich Woelk wurde 1960 in Bonn geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Von 1980-1987 an, studierte er physik und Philosophie an der Universität Tübingen. Er arbeitete bis 1995 an der Technischen Universität Berlin, sowie in Göttingen als Astrophysiker. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1990. 1991 promovierte er über Weiße Zwerge in engen Doppelsternsystemen. Seit 1995 lebt Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Er schreibt Theaterstücke, Romane und Hörspiele. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

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Hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Inhalt:

Am Rand der südkoreanischen Metropole Seoul liegt die „Blumeninsel“, eine gigantische Müllhalde, Lebensgrundlage und Wohnstätte einer Kolonie von Habenichtsen und Ausgestoßenen, die dort ihre Claims abgesteckt haben. Unentwegt durchkämmen sie den frischen Abfall der boomenden Stadt nach Verwertbaren. hier landet der 13-jährige Glupschaug zusammen mit seiner Mutter, nachdem sein Vater von der regierung in ein „Umerziehungslager“ gesteckt wurde.

Es ist kein tiefer Fall, denn sie kommen aus den wuchernden Slums der Mega-City, wo seine Mutter Straßenhändlerin ist. Glupschaug hat die Schule abgebrochen und geht seiner Mutter zur Hand, für die sich ein in der Hackordnung weit oben stehender Müllhaldenbewohner interessiert. Dieser „Baron“ ist Glupschaug unsympathisch, eine verhasste Stiefvaterfigur. Mit Glatzfleck, dem Sohn des Barons, freundet er sich jedoch rasch an. Glatzfleck nimmt ihn mit auf seine Abenteuergänge und eröffnet ihm eine geheimnisvolle Welt jenseits der gewaltigen Müllberge. (Klappentext)

Rezension:

Das Leben in Millionenstädten ist ein unaufhörlicher Verdrängungswettbewerb, der täglich Existenzen scheitern lässt. Wie Gegenstände, die sich überholt haben oder nicht mehr gebraucht werden, werden auch die Menschen sehr schnell aussortiert, an den Rand gedrängt. In einigen Ländern greift dann ein soziales Netz, welches die schlimmsten Auswirkungen abfedert.

Vielerorts gibt es das jedoch nicht. So finden sich auch der 13-jährige Glupschaug und seine Mutter am Rande einer Mülldeponie wieder, auf der sie fortan leben sollen. Der einzige Platz, der ihnen in der Mega-City Seoul noch bleibt. Glupschaug muss mit der neuen Situation zurechtkommen, denn die Deponie verzeiht nichts, doch findet er schnell Anschluss in dieser eigentümlichen Welt.

In seinem Roman „Vertraute Welt“ verdeutlicht der südkoreanische Schriftsteller Hwang Sok-yong die Schattenseiten des Erfolgs seines Landes. „Tigerstaat“ nennt man Südkorea zuweilen, dass in Sachen Technologie Spitzenpositionen einnimmt, doch rau ist zu den Menschen, die diesen Fortschritt schaffen.

Wer nicht aufpasst, bleibt zurück, der Fall ist mitunter tief und so nimmt der Autor uns mit zu jenen, die damit nicht mithalten können. All jenen Vergessenen, die die Gesellschaft wie gerade weggeworfene Gegenstände behandelt, gibt er eine Stimme.

Von Beginn an begleiten wir den sehr sympathischen Hauptprotagonisten, einen Jungen, der in dieser rauen Umgebung zu schnell erwachsen werden muss und doch immer wieder an grenzen stößt, die aufzeigen, dass er eben doch nur ein Kind, ein Jugendlicher ist. Wir durchstreifen mit ihm eine eigentümliche welt, die hwang Sok-yong uns sehr plastisch vor Augen führt. . Fast ist es, als würde man den Müll in seiner gaballten Form vor sich sehen, spüren, wie sich Gerüche von Vergangenem in Kleidung und Haut festsetzen, während Gase einen metallischen Geschmack auf der Zunge hinterlassen.

Glupschaug lebte nun schon länger als einen Monat auf der Blumeninsel. Seine Mutter hatte ihm gleich am Anfang einreden wollen, dies sei eben auch nur ein Ort wie viele anderer, wo Menschen hausten. Doch er ließ sich nichts vormachen. Es war ein Mishaufen. Hier landeten Sachen, die man weggeworfen hatte. Verbraucht, nicht mehr interessant, kaputt. Und auch die Menschen, die hier lebten, waren von der Stadt aussortierte und entsorgte Existenzen.

hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Viele Worte verliert er dabei nicht, dafür um so härtere. Trotzdem blitzen hin und wieder kleine Momente des Glücks auf, die es auch dort gibt. Sonst würde man die Erzählung kaum durchhalten. Die Figuren sind klar gezeichnet, haben alle ihre Geheimnisse, Ecken und Kanten, auch die Welt des Slums, der ein reales Vorbild nahe dem berühmten Stadtteil Gangnam hat, wird sehr kompakt geschildert. Hart und kompromisslos schildert er diese Leben, immer aus Sicht Glupschaugs.

Für die Entwicklung des Hauptprotagonisten und jenen, die ihn direkt umgeben, gibt Sok-yong dagegen Raum. Wir begleiten Glupschaug, der auf diesen Spitznamen stolz ist, da ehrlich errungen, durch die Müllberge, Hütten aus Wellblech und Pappe Mit jeder voranschreitender Zeile spüren wir die sich heranschleichende Katastrophe, in dieser dennoch irgendwie heilen Welt, wenn man davon sprechen kann.

Der Autor übt Kritik, wie in seinem Leben schon so oft, und legt den Finger in die Wunde. Die Härte der asiatischen Gesellschaft zu den sozial Schwachen wird ebenso dargestellt, wie die Wegwerfmentalität unserer Wohlstandsgesellschaft. Welchen Preis lassen wir die unteren Schichten für unser Leben zahlen? Was wird aus uns, wenn wir selbst aussortiert werden, wie der Müll um uns herum?

Autor:

Hwang Sok-yong wurde 1943 in Xinjing, damaliges Mandschukou, heute zu China gehörig, geboren und ist ein südkoreabnischer Autor, der schon als Schüler Erzählungen schrieb. Er schloss ein Philosophiestudium ab und kehrte 1969 aus dem Vietnamkrieg zurück, engagierte sich später aktiv in der Demokratiebewegung der 1970er und 80er Jahre. In den 1970er Jahren entstanden seine ersten Romane, die sich mit der Frage der Arbeiterbewegung und der Teilung Koreas beschäftigten.

1985 formulierte er ein Manifest für die Demokratiebwegung in Korea. Nach Teilnahme an einem Treffen von Schriftstellern in Nordkorea lebte er für mehrere Jahre abwechselnd in Berlin und New York, wurde nach seiner Rückkehr nach Südkorea wegen seiner Besuche im Nachbarland zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1998 wurde er begnadigt und zum südkoreanischen Kulturbotschafter für Nordkorea ernannt. Seine Werke wurden mehrfach übersetzt, teilweise verfilmt und ausgezeichnet.

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Sir Walter Scott: Chrystal Croftangrys Geschichte

Inhalt:

Chrystal Croftangry versucht am Ende seines Lebens es zum Schriftsteller zu bringen, nachdem er einst reich, dann verarmt, sich aus dieser Armut mühsam herausgekämpft hat. Er berichtet von Freud und Leid des Erzählens, von der Begeisterung der Welt der Stoffe und Geschichten. Hoffen und Bangen eines angehenden Schriftstellers, verbunden mit Witz und Ironie. Sir Walter Scott schuf mit den Protagonisten seinen alten Ego und setzte sich und seinem Leben mit diesem Werk selbst ein Denkmal. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Rezension:

Bis auf wenige Werke ist das Schaffen Walter Scotts hierzulande fast vergessen. Nur wenige würden einem spontan einfallen und das auch nur, wer sich wirklich intensiv auseinandersetzt. „Ivanhoe“ vielleicht, könnte als erste Erzählung genannt werden, danach aber wird es schon schwierig. Im englischsprachigen Raum mag das anders aussehen, was aber als gesichert gelten kann, dass der zu seinen Lebzeiten durchaus auch hier bekannte Schriftsteller das Bild Schottlands in der Welt geprägt hat und bei Gelehrten wie Goethe Anklang fand.

Als einer der Begründer des historischen Romans schuf er Vorlagen, die noch heute Grundlage für zahlreiche Theaterstücke, Opern und Filme sind, aber vor allem zahlreiche Werke, die eng mit der Geschichte Englands und Schottlands verbunden sind. Auch seinem Leben und Werken setzte er ein Denkmal in Erzählform. Dieses liegt nun, neu übersetzt von Michael Klein, vor.

Hauptprotagonist ist der verarmte Adel Chrystal Croftangry, der das Vermögen seiner altehrwürdigen Familie durchgebracht hat und sich nur langsam, mit Hilfe einiger Weniger, aus den Sumpf ziehen kann, mit ein wenig Glück wieder Fuß fasst und dann beginnt Erzählstoff zu sammeln, mit dem Ziel ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Nebenbei erzählt er selbst im Verlauf der Handlung aus seinem Leben, so dass wir hier ein Roman in Roman in Roman lesen dürfen. Zahlreiche Anspielungen auf die schottische Geschichte inbegriffen.

Ebene Eins ist die Rahmenhandlung, in der Walter Scott sich mit dem Hauptprotagonisten eine Figur alten Egos schuf und so diese praktisch im Autoren selbst übergeht, Ebene Zwei ist die Einbindung und Abwandlung schottischer Geschichte und Legenden, die widerum selbst eigenständig gelesen werden können und wen das noch nicht zu chaotisch wirkt, kann nebenbei auch über die Tragik Walter Scotts etwas erfahren, die in seinen letzten Schaffensjahren ihren Höhepunkt fand.

Das ist viel zu viel, zumindest für die heutige Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne kaum mehr in den Raum zwischen Wand und Tapete passt. Unterschiedliche Erzähltempo und Stile fügen sich nicht zu einem harmonischen Ganzen, abrupte Übergänge erschweren das Lesen. Kaum zu glauben, dass das damals funktioniert hat.

Über manche Literatur legt sich mit der Zeit jedoch zurecht ein Mantel des Vergessens. Vielleicht ist dieses Werk eher als Beispiel für das Studium der Geschichte englischer Literatur geeignet, denn als Historien-Schmöker funktioniert es nicht. Zu viele Themen werden auf so wenigen Seiten aufgegriffen, kaum ausgeführt, zudem wirkt die Ausschmückung der tatsächlichen Geschichte doch sehr gewollt.

Positiv ist genau eine Erzählung innerhalb der Erzählung hervorzuheben. Das reicht nicht.

Autor:

Walter Scott wurde 1771 in Edinbirgh geboren und war ein schottischer Schriftsteller, Dichter, Verleger und Literaturkritiker und gilt als traditioneller Begründer des Geschichtsromans. Viele seiner Werke dienen bis heute als Grundlage für Schauspiele, Opern und Filme. er prägte das Bild der öffentlichen Wahrnehmung Schottland und war einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit.. Er starb 1832 in Abbotsford.

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