Naturwissenschaft

Klaus Cäsar Zehrer: Das Genie

Das Genie Book Cover
Das Genie Klaus Cäsar Zehrer Diogenes Erschienen am: 28.08.2019 (TB) Seiten: 651 ISBN: 978-3-257-24475-1

Inhalt:
Boston, 1910: Der elfjährige William James sidis wird von der Presse als „Wunderjunge von Harvard“ gefeiert. Sein Vater triumphiert.

Er hat William von Geburt an mit einem speziellen Lernprogramm trainiert. Doch als william erwachsen wird, bricht er mit seinen Eltern und seiner Vergangenheit und weigert sich, seine Intelligenz einer Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, die von Ausbeutung, Profitsucht und Militärgewalt beherrscht wird. (Klappentext)

Rezension:
Manchmal muss sich ein Schriftsteller nicht einmal eine Geschichte ausdenken, um etwas interessantes erzählen zu können. oft genug sind tatsächliche Geschehnisse hundertfach interessanter. So, hier, das Leben eines Mannes, der wohl das letzte Universalgenie der jüngeren Vergangenheit gewesen sein dürfte.

Klaus Cäsar Zehrer erzählt die Geschichte eines Kindes ukrainischer einwanderer, die vom Ehrgeiz getrieben, dieses nach strikten psychologischen Gesichtspunkten und einem speziellen Lernprogramm erzogen, welches so zum Genie mit allen Vorzügwen und Fallstricken wurde, die heute dem echten William James Sidis zugeschrieben werden.

Von normalen Kinderspielen ferngehalten, lernte er bereits im Kleinkindesalter lesen, entwickelte eine hohe mathematische Begabung und ein Interesse für Naturwissenschaften, schrieb bis zu seinem achten Lebensjahr bereits mehrere Bücher. Er war das „Wunderkind von Harvard“, von den eigenen Eltern getriezt, von der Presse gefeiert und gejagd. Doch was passiert, wenn ein Genie einfach nur leben möchte?

Viele Ebenen und Fragestellungen ziehen sich durch den sehr detailreich erzählenden Roman, in dem nur kleine Abweichungen vom leben des realen Vorbildes zu finden sind. Was macht uns zu dem, wer wir sind? Sind es unsere Eltern, die Gesellschaft, unsere Umgebung? Wozu führt es, wenn eine Komponente überwiegt oder eine andere vorenthalten wird? Kann man seine Kinder zu Genies erziehen? Wozu ist Wissen gut? Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen?

Es sind solche und noch viel mehr Fragen, die zwischen den Zeilen auftauchen und die ein Lesender nur schwer wird eindeutig beantworten können. Zu komplex das vorliegende beispiel, zu turbulent diese feinsinnige Romanbiografie, die einem in den Bann zieht.

Die Protagonisten, allen voran die drei Hauptprotagonisten, sind fassbar. Fast ist es so, als stünde man neben ihnen und taucht ein in die sich entwickelnde Metropolregion an der amerikanischen Ostküste und lebt, leidet förmlich mit, wenn Sidis seine größten Triumphe, aber auch seine größten Niederlagen erfährt.

Sprunghaft spielen die Protagonisten mit Sympathien, die sie beim Leser schnell erlangen, jedoch ebenso fix verlieren. Keine Figur ist dauerhaft einer Seite zu zu ordnen. So schnell habe ich selten schon Protagonisten geliebt und verstanden, dann wieder schlagen können. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Trifft die Gesamtheit der Handlungsstränge, der Figuren hier ganz gut. Ein Roman über hohe Aufstiege und tiefes Fallen, darüber, was Eltern anrichten und Kinder daraus machen können und die großen Fragen des Lebens.

Vielleicht hätte der echte William James Sidis sie gar beantworten können. Ob er es gewollt hätte, steht auf einem anderen Blatt.

Autor:
Klaus Cäsar Zehrer wurde 1969 in Schwabach gebohren und ist ein deutscher Schriftsteller. Zunächst studierte er Kulturwissenschaften in Lüneburg, war Praktikant der Satirezeitschrift Titanic und wurde 2002 mit einer Dissertation zur Dialektik der satire in Bremen promiviert. Als freier Autor, Herausgeber und Übersetzer lebt er in Berlin. „Das Genie“, ist sein erster Roman.

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Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

Rendezvous mit einem Oktopus Book Cover
Rendezvous mit einem Oktopus Sy Montgomery mare Verlag Erschienen am: 29.08.2017 Seiten: 336 ISBN: 978-3-86648-265-4 Übersetzerin: Heide Sommer

Inhalt: Er ist der heimliche Star der Meere: der Oktopus. Mit acht Armen und drei Herzen verfügt das Ausnahmetier über körperliche Superkräfte – vor allem aber ist es schlau.

Kraken können lernen, tricksen, spielen, und wenn sie etwas nicht können, ist es: Langeweile aushalten. Mit Witz, Sachkenntnis und Empathie erzählt Sy Montgomery von ihren Begegnungen mit diesen außergewöhnlichen Tieren und nimmt den Leser mit auf eine unvergessliche Reise. (Klappentext)

Rezension:

Abseits von den Tieren, die zum Orakel stilisiert werden, ist die erste Reaktion der meisten Menschen Unverständnis gegenüber den Weichtieren, die natürlich so ganz anders sind als wir. Ohne Wirbelsäule, ohne schützenden Panzer, eine klitschige Masse mit acht Armen, die jeder ein Eigenleben zu führen scheinen, drei Herzen und tatsächlich blauen Blut.

Und Tinte. Es sind hoch intelligente Tiere, die ihre Stimmung durch Farben signalisieren; wenn sie rot sind, sind sie sauer; und sich in jede noch so scheinbar unmögliche Öffnung quetschen können und doch, wissen wir so wenig über sie.

Die Autorin und Naturforscherin nimmt ihre Leser mit auf eine faszinierende Reise zu ebenso erstaunlichen, wie unergründlichen Geschöpfen. Durch Seefahrergeschichten von einst zu grausamen Ungeheuern geschriebenen Tieren entdeckt sie die wahre Seite eines faszinierenden Wesens.

Sie nähert sich den Tieren in Gefangenschaft und in der freien Natur, hilft mit bei der Feldforschung draußen, in der freien Natur und lässt sich, sprichwörtlich, fallen, in die Umarmung eines Oktopusses. Fakten- und kenntnisreich, unterstützt durch die Eindrücke und den Wissen vieler Experten auf den Gebiet der Mollusken, versucht Montgomery sich die Welt aus der Sicht ihrer achtarmigen Bewohner zu erschließen.

Neben der persönlichen Bekanntschaft mit den Kraken des New England Aquariums in Boston gewinnt sie interessante Einsichten in ein Leben, welches den meisten von uns verschlossen bleibt.

Ein besonderes Sachbuch, welches nicht ohne Grund in der deutschen Ausgabe bei mare zu finden ist. Nach dem erzählerischen Sachbuch „Die Polarfahrt“ von Hampton Sides, ist dies der nächste Knüller, der mich ebenso begeistern konnte.

Detailliert beschreibt die Autorin ihre Faszination, die Versuche der Annäherung an eine so weit entfernt entwickelte Spezies, vergisst jedoch nicht die fachliche Komponente, so dass all die Leser auf ihre Kosten kommen werden, die ihr Wissen mal auf einem ganz ungewöhnlichen Gebiet erweitern, dabei jedoch die literarische Komponente nicht zu kurz kommen lassen möchten.

Tatsächlich vergisst man von Zeile zu Zeile manchmal, dass es sich um ein Sachbuch, nur eben der anderen Art handelt.

Wenn man der Autorin etwas vorwerfen möchte, und das ist jetzt Jammern auf hohen Niveau und führt zu einer eher philosophischen Diskussion, die tatsächlich an anderer Stelle zu führen ist, ist es die Gefahr der Nähe zu den Tieren.

Nicht im Sinne, dass diese extrem gefährlich wären. Diese bedenken schafft Montgomery schnell beiseite. Aber diese starke manchmal doch zu vermenschlichte Beziehung, die sie zu einigen der Exemplare aufbaut, denen sie begegnet, könnten falsche Schlüsse folgen.

Wir sprechen hier immerhin von Wildtieren, auch wenn sie teilweise in Gefangenschaft, d.h. in Aquarien gehalten und studiert werden. Diese Art und Weise, auf die Kraken zu zugehen, macht jedoch nur einen kleinen Teil dieses detaillierten Sachbuches aus.

Hat ein Oktopus Gefühle? Wie löst dieses Tier ihm gestellte Aufgaben? Kann er planen und wofür stehen all die farben, die er zeigen, all die Formen, die er sich aufgrund körperlicher Veränderungen zu Eigen machen kann?

Wie viel Kraft kann ein Oktopus mit einem einzelnen Saugnapf aufwenden, und weshalb ist ein Bostoner Krake regelmäßig des Nachts ausgebrochen? Amüsante Geschichten und erstaunliche Fakten versammelt die Autorin mit dem Ziel, verstehen zu wollen. Und am Ende wird man nie wieder Tintenfischringe essen können. Das hat auch etwas.

Autorin:

Sy Montgomery wurde 1958 in Frankfurt/Main geboren und ist eine Naturforscherin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 1979 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University in den Fächern Journalismus, Französisch und Literatur ab, sowie in Psychologie. Ihr wurden zwei Ehrendoktortitel verlieren.

Ihre Bücher, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, wurden für verschiedene Preise nominiert, u,.a. den National Book Award im Bereich Sachbuch. Sie schreibt Drehbücher u.a. für National Geographic TV und beteiligt sich an wissenschaftlichen Studien und Expeditionen im Bereich der Naturforschung.

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