Inhalt:
Boston, 1910: Der elfjährige William James sidis wird von der Presse als „Wunderjunge von Harvard“ gefeiert. Sein Vater triumphiert.
Er hat William von Geburt an mit einem speziellen Lernprogramm trainiert. Doch als william erwachsen wird, bricht er mit seinen Eltern und seiner Vergangenheit und weigert sich, seine Intelligenz einer Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, die von Ausbeutung, Profitsucht und Militärgewalt beherrscht wird. (Klappentext)
Rezension:
Manchmal muss sich ein Schriftsteller nicht einmal eine Geschichte ausdenken, um etwas interessantes erzählen zu können. oft genug sind tatsächliche Geschehnisse hundertfach interessanter. So, hier, das Leben eines Mannes, der wohl das letzte Universalgenie der jüngeren Vergangenheit gewesen sein dürfte.
Klaus Cäsar Zehrer erzählt die Geschichte eines Kindes ukrainischer einwanderer, die vom Ehrgeiz getrieben, dieses nach strikten psychologischen Gesichtspunkten und einem speziellen Lernprogramm erzogen, welches so zum Genie mit allen Vorzügwen und Fallstricken wurde, die heute dem echten William James Sidis zugeschrieben werden.
Von normalen Kinderspielen ferngehalten, lernte er bereits im Kleinkindesalter lesen, entwickelte eine hohe mathematische Begabung und ein Interesse für Naturwissenschaften, schrieb bis zu seinem achten Lebensjahr bereits mehrere Bücher. Er war das „Wunderkind von Harvard“, von den eigenen Eltern getriezt, von der Presse gefeiert und gejagd. Doch was passiert, wenn ein Genie einfach nur leben möchte?
Viele Ebenen und Fragestellungen ziehen sich durch den sehr detailreich erzählenden Roman, in dem nur kleine Abweichungen vom leben des realen Vorbildes zu finden sind. Was macht uns zu dem, wer wir sind? Sind es unsere Eltern, die Gesellschaft, unsere Umgebung? Wozu führt es, wenn eine Komponente überwiegt oder eine andere vorenthalten wird? Kann man seine Kinder zu Genies erziehen? Wozu ist Wissen gut? Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen?
Es sind solche und noch viel mehr Fragen, die zwischen den Zeilen auftauchen und die ein Lesender nur schwer wird eindeutig beantworten können. Zu komplex das vorliegende beispiel, zu turbulent diese feinsinnige Romanbiografie, die einem in den Bann zieht.
Die Protagonisten, allen voran die drei Hauptprotagonisten, sind fassbar. Fast ist es so, als stünde man neben ihnen und taucht ein in die sich entwickelnde Metropolregion an der amerikanischen Ostküste und lebt, leidet förmlich mit, wenn Sidis seine größten Triumphe, aber auch seine größten Niederlagen erfährt.
Sprunghaft spielen die Protagonisten mit Sympathien, die sie beim Leser schnell erlangen, jedoch ebenso fix verlieren. Keine Figur ist dauerhaft einer Seite zu zu ordnen. So schnell habe ich selten schon Protagonisten geliebt und verstanden, dann wieder schlagen können. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Trifft die Gesamtheit der Handlungsstränge, der Figuren hier ganz gut. Ein Roman über hohe Aufstiege und tiefes Fallen, darüber, was Eltern anrichten und Kinder daraus machen können und die großen Fragen des Lebens.
Vielleicht hätte der echte William James Sidis sie gar beantworten können. Ob er es gewollt hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Autor:
Klaus Cäsar Zehrer wurde 1969 in Schwabach gebohren und ist ein deutscher Schriftsteller. Zunächst studierte er Kulturwissenschaften in Lüneburg, war Praktikant der Satirezeitschrift Titanic und wurde 2002 mit einer Dissertation zur Dialektik der satire in Bremen promiviert. Als freier Autor, Herausgeber und Übersetzer lebt er in Berlin. „Das Genie“, ist sein erster Roman.