Rezension

Hala Kodmani: Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen

"Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen" Book Cover
„Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen“ Hala Kodmani dtv Erschienen am: 29.03.2018 Seiten: 144 ISBN: 978-3-423-26183-8 Übersetzerin: Elisabeth Liebl

Inhalt:

Tagsüber war sie Lehrerin für Philosophie an einer Mädchenschule, abends schrieb sie zornige Kommentare auf Facebook: Ruqia Hassan lebte in Rakka und postete unter Pseudonym gegen Assad und den IS. Bis sie verraten und vom IS ermordet wurde.

Hala Kodmani erzählt Ruqias Geschichte und lässt Ruqia mit ihren Original-Facebook-Einträgen zu Wort kommen. Kodmani hat das Lebensumfeld von Ruqia genau recherchiert. So gelingt es ihr, Ruqias Ängsten, ihren Hoffnungen, ihrer Liebe zu ihrem Land und ihrer wachsenden Wut Ausdruck zu verleihen. (Klappentext)

Rezension:

Inzwischen ist es ein undurchsichtiger Kampf an vielen Fronten geworden. Die Nachbarstaaten ringen um Einfluss im zerrüttelten Krisengebiet, Großmächte diesseits und fernab der Grenzen ergreifen mal Partei für die eine, mal für die andere Seite. Örtliche Machthaber tun ihr Übriges, um das Land im Zangengriff zu halten.

Leidtragende sind die Bewohner Syriens. Eine von ihnen ist Ruqia, die sich unter den Pseudonym Nissan Ibrahim bemerkbar macht, und auf Facebook den Beginn und Zerfall des Arabischen Frühlings kommentiert, schließlich die Schreckensereignisse unter Assad, schließlich den IS, kommentiert.

Die schlaue junge Frau beobachtet ihre Umgebung sehr genau, fällt schließlich den Ereignissen selbst zum Opfer. Zurückbleibt eine Facebookseite als Mahnmal gegen die Unmenschlichkeit.

Hala Kodmani beschäftigt sich seit Jahren bereits mit der Situation Syriens und nimmt diese Geschichte zum Anlass, wachzurütteln. Stellvertretend für das Leben Tausender nimmt sie sich das Schicksal Ruqias vor, zeigt, wie die Ereignisse aus dem Ruder liefen, und vollzieht nach, wie dieses junge Leben mit Füßen getreten wurde.

Dabei herausgekommen ist ein eindrücklich halbdokumentarisches Portrait einer Frau, die wusste, was sie wollte, jedoch sich ob der schrecklichen Ereignisse nicht verwirklichen und leben konnte, wie sie wollte. Sensibel wird das Leben Ruqias dargestellt, nichts geschönt, was zeigt, wie hart und grausam der Alltag zu den Menschen in Syrien geworden ist, wo jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben ist.

Mehr gibt es dann auch nicht zum Inhalt zu sagen. Zu bedrückend ist diese Geschichte, diese biografische Kurzstück. Klar, in eindeutiger Sprache beschreibt Kodmani den Weg Ruqias in den syrischen Widerstand gegen Assad und den Terror des IS, zumindest der verbale auf Facebook, welches zum wichtigsten Austauschobjekt der syrischen Opposition wurde.

Anhand ihrer dortigen Einträge lässt sich der Leidensweg der Menschen im Spannungsfeld des Krieges nachvollziehen. Mehr braucht es nicht, um Wut und Verzweiflung zu verdeutlichen, der Weg, der in die Katastrophe führt.

Ein Augenzeugenbericht, die Biografie einer Zeitzeugin, die man nicht vergessen darf, deren Geschichte viel mehr verbreitet und bekannter werden muss. Stellvertretend für alle Menschen in Syrien ein Hilfeschrei, den man erhören sollte. Unbedingt lesenswert.

Autorin:

Hala Kodmani ist Mitglied der Internationalen Organisation für Frankophonie und ehemals Mitarbeiterin der Arabischen Liga in Paris. Als Redakteurin schreibt sie für „Liberation“, und beteilt sich an dokumentarische Arbeiten zum Nahen Osten.

Sie ist die Schwester der Mitgründerin des Syrischen Nationalrats (der syrischen Opposition in Paris). Im Mai 2011 gründete sie den Verband Souria houria, der sich für den Sturz von Assad einsetzt. 2013 wurde sie für ihre Berichterstattung zu Syrien ausgezeichnet.

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Andreas Speit: Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr

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Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr Andreas Speit (u.a.) Ch. Links Verlag Erschienen am: 20.09.2017 Seiten: 215 ISBN: 978-3-86153-958-2

Inhalt:

Als im Oktober 2016 im fränkischen Georgensmünd ein Spezialkommando der Polizei in das Wohnhaus eines Reichsbürgers eindringt, um dort gehortete Waffen zu beschlagnahmen, eröffnet dieser das Feuer und verletzt vier Beamte. Einer von ihnen wird tödlich getroffen.

Der Schütze gehört zu jener Bewegung von Verschwörungsfanatikern, die die Bundesrepublik und ihre gesetze nicht anerkennen. Bis dahin hatte der Staat dieAngehörigen der Szene als „Spinner“ und ungefährlich abgetan.

Der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit beleuchtet gemeinsam mit weiteren Fachleuten die Ideologie und die Akteure der verschiedenen Gruppen. Sie analysieren deren Weltbild und beschreiben, wie ihnen angemessen zu begegnen ist. (Klappentext)

Rezension:

Sie beschäftigen die Behörden mit seitenlangen Schreiben, gestückt mit verqueren Begründungen für Ablehnungen von amtlich zugestellten Forderungen, erheben ihrerseits ebenfalls davon absurdeste und treiben Amtspersonen und Angestellte in Ländern und Kommunen in den Wahnsinn.

So oder ähnlich könnte man es beschreiben, wie der Staat dieses seit längerer Zeit schon existierende Phänomen, nicht mit der Gesellschaft kompatibeler Mitmenschen, betrachtete, und erst seit ein paar jahren ernst nimmt. viel zu spät laut derer, die sich mit den „Reichsbürgern“ herumschlagen müssen und den Rechtsextremismusexperten um Andreas Speit.

Gemeinsam mit Journalisten, Wissenschaftlern und Justitiaren begibt sich der Autor auf Spurensuche an den rechten Rand der Republik. Er sucht Reichsbürger auf, analysiert ins kleinste Detail Vorfälle, die schließlich in den Tod eines Polizisten mündeten und zeigt auf, warum der Staat eben nicht mit vereinzelten Irrläufern, sondern einer konkreten und mit Vorsicht zu genießenden Bewegung konfrontiert ist, die unsere Gesellschaft zunehmend in Frage stellt.

Im sehr ausführlich und detaillierten Sachbuch scheint zusammengefasst das gegeben, was den Landesämtern für Verfassungsschutz bisweilen so sträflich misslingt. Die Analyse einer, zuerst lose erscheinenden, Bewegung von Grund auf. Zuerst werden verschiedene Gruppierungen dargestellt und eine politische Einordnung versucht, danach detailliert Personenanalyse betrieben, wie sich einzelne Individuen zu Köpfen dieser aufschwingen konnten, und woraus die Legitimation aus derer sicht heraus besteht, sich vollkommen dem Staat und der Gesellschaft zu entziehen.

Im folgenden wird die Konfrontation der reichsbürger mit der öffentlichen Verwaltung verdeutlicht, und wie die Behörden langsam lernen, mit diesem Phänomen umzugehen, sowie die zunehmende Gewaltbereitschaft herausgeschält. Nicht zuletzt die politische Verortung wird beschrieben, sowie die Strukturen und die Vernetzung untereinander, aber auch die Auswirkungen einer seit längeren nicht erfolgten politischen Auseinandersetzung des Staates mit diesem Phänomen.

Zuletzt werden Ausblicke jenseits der Grenze, etwa nach Österreich und der Schweiz gewagt, Vergleichslinien gezogen und deutliche Warnungen ausgesprochen, welche wachrütteln sollen.

Andreas Speit und seine Mitautoren haben recherchiert, mit Menschen innerhalb der Szene gesprochen, was sie antreibt und bewegt, Gerichtsfälle analysiert und geschaut, wie der Umgang der für die innere Sicherheit zuständigen Geheimdienste damit ist bzw. welche Reaktionen an welchen Stellen fehlgeleitet waren, wie der Stand damals gewesen und heute ist.

Dicht recherchiert und detailliert analysiert ist daraus ein Fachbuch über eine ansonsten im Dunkeln liegende Szene entstanden, welches aufrütteln soll, und vor allem gewisse staatliche Stellen aufrütteln soll, aber auch die angestellten der Kommunen Orientierung geben kann, anhand zahlreicher Beispiele und Geschehnisse, wie diesem zu begegnen ist.

In poltiisch schwierigen Zeiten stellt Andreas Speit so zusätzlich einen Themenbereich zur Debatte, der facettenreich alle Aspekte zur Sprache bringt und ein Fazit zieht, welches nachdenklich stimmen sollte. Es ist an der Zeit, wenigstens zu versuchen etwas zu verstehen, was kaum verständlich ist. Erkenne deinen Feind, um ihn zu begegnen.

Nimm ihn ernst. Der marktschreierische Warnzeitung des Boulevardjournalismus‘ fehlt hier jedoch. „Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr“, ist eine Sachanalyse für Fachleute und Laien, die nicht ungelesen bleiben darf und Beachtung finden muss.

Reich an Informationen ohne überflüssigen Ballast, aber mit einer tiefen Quellenlage gelingt es den Autoren, fachlich das zusammen zu fassen, was ansonsten kaum zu greifen ist. Ohne verschnörkelter und ausschweifender Sprache, sachlicher Klartext mit zahlreichen Beispielen. Davon sollte es mehr auf den Büchertischen geben.

Autor:

Andreas Speit wurde 1966 geboren und ist ein in Hamburg lebender Journalist und Autor. Nach einer Ausbildung zum Heilerziehungspfleger studierte Sozialwissenschaften und arbeitete danach als freier Journalist. Seit 1991 beschäftigt er sich regelmäßig mit Themen zum Rechtsextremismus und schreibt u.a. für die taz.

Kolumnen für verschiedene Zeitungen verfasste er ebenso, wie Arbeiten für das politische Feuilleton von Deutschlandradio. 2006-2010 gehörte er zu den Autoren des Themendossiers Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung. Seine Werke werden von Wissenschaftlern genutzt und regelmäßig zitiert. Speit wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

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Graham Masterton: Bleiche Knochen

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Bleiche Knochen Graham Masterton Festa Verlag Erschienen am: 19.09.2017 Seiten: 443 ISBN: 978-3-86552-558-1 Übersetzerin: Doris Hummel

Inhalt:

Die Skelette von elf Frauen werden bei Bauarbeiten auf einer Farm im ländlichen Irland gefunden, grausam verstümmelt und bei lebendigen Leib gehäutet. Die Ermittlerin Katie Maguire erfährt nach den ersten Untersuchungen, dass die Toten schon seit vielen Jahrzehnten unter der Erde liegen.

Ihr Vorgesetzter will den Fall bereits zu den Akten legen, da taucht ein frisches opfer auf. Welche Verbindung besteht zwischen dem Killer der Gegenwart und dem Toten aus der Vergangenheit? Und warum sind merkwürdige Stoffpuppen an die Oberschenkelknochen sämtlicher Leichen gebunden?

Katie Maguire stößt auf ein uraltes Ritual und muss den Mörder stoppen, bevor er erneut zuschlägt. (Klappentext)

Rezension:

Dem Schauerroman liegt eine lange, vor allem englische Tradition zu Grunde, die heutzutage durch gute Horrorliteratur ergänzt wird. Graham Masterton ist ein Meister dieses Genres und so liegt mit „Bleiche Knochen“ eine spannende Geschichte vor, die mit Vorsicht zu genießen ist.

Wenn davon überhaupt die Rede sein kann. Zunächst ist es eine der klassischen Ermittler-Geschichten, wie sie zu Hauf von den britischen Inseln kommen.

Eine Ermittlerin stolpert mit ihrem Team praktisch über Leichen und immer mehr details schälen sich an die Oberfläche. Heraus kommt das grausame Machwerk eines Täters, der die Umgebung im Atem hält.

Als wäre das nicht genug, stößt Katie Maguire auch noch auf eine uralte Legende und einen politischen Hintergrund, der nichts weiter als den freiden in Irland gefährden könnte. Größer geht’s kaum.

Dieses Szenario hätte schief gehen können. Andere Autoren wären mit dieser Geschichte gegen die Wand gefahren. Graham Masterton schafft es dagegen, sie großartig, sehr detailliert in Szene zu setzen. Sehr feinsinnig stellt er die Ermittlungen der irischen Polizistin dar, was ihn aber nicht daran hindert, auch die Mordszenen ebenso zu erzählen.

Tatsächlich sollte sich überlegen, wer gerade gegessen hat, dass Buch zu lesen. Für zart Besaitete nichts, wobei es auch in diesem Genre Steigerungen gibt, besonders wenn sie im Verlag Festa erscheinen.

Beim Leser schleicht sich eine Faszination für’s Morbide, für’s Böse ein. zeile für Zeile wird er in die Geschichte hineingesogen, will manchmal loslassen, kann jedoch sich kaum den beschriebenen Grausamkeiten entziehen und rätselt dann auch mit, wer der Täter ist.

Oder sind es gar mehrere? Und am Ende kommt doch alles ganz anders. Als Einstieg in die Horrorliteratur unbedingt geeignet, in manchen Teilen eines Stephen King würdig, doch Graham Mastertons Schreib- und Erzählstil ist sehr eigen, und macht mit seinen Perspektivwechseln und Wendungen einen Großteil der Faszination aus, die diese Geschichte trägt.

Die Protagonisten sind glaubwürdig, mit Ecken und Kanten versehen, und bekommen im Laufe der Geschichte eine Tiefe, die sicherlich in Folgebänden weiter ausgebaut werden wird. Auch „böse“ Figuren haben ihre sympathischen Seiten, doch wer sich in Gafhar begibt, kommt darin um.

Zum Glück blättert man als Leser nur Seiten um, doch hat man das Gefühl, mitten im Geschehen zu stehen. Die Einbindung einer uralten Legende passt zur Handlungsumgebung, sowie auch die Verarbeitung der Landesgeschichte hier einen wichtigen Stellenwert für den Verlauf einnimmt.

Für nicht so ganz zarte Gemüter eine unbedingte Empfehlung, wer qualitativ gute Krimi-Horrorliteratur lesen möchte, und nicht weiß, wo er ansetzen muss. Graham Mastertons „Bleiche Knochen“ ist da ein guter Einstieg, den man sich hingeben kann. Beschreibung expliziter Szenen inklusive. Diese Warnung muss jedoch sein.

Autor:

Graham Masterton wurde 1946 in Edinburgh geboren und ist ein britischer Autor von Horrorliteratur. Nach seiner Ausbildung zum Zeitungsreporter arbeitete er als Redakteur beim Magazin Penthouse.

In dieser Zeit schrieb er eine Reihe von Erotikratgebern, betätigte sich jedoch auch als Schreiber verschiedener anderer Magazine. 1976 veröffentlichte Masterton seine erste Horrorgeschichte, und schrieb seitdem über hundert Romane, Horrorliteratur, Thriller und Katastrophen-Romane. Er wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Inaam Katschatschi: Die amerikanische Enkelin

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Die amerikanische Enkelin Inaam Kachachi Kolchis Verlag Erschienen am: 12.03.2018 Seiten: 274 ISBN: 978-3-9524800-0-7

Inhalt:

Als 13-jährige flüchtet Saina – auf Arabisch „Zierde“ mit ihren christlich-assyrischen Eltern vor den Folterschergen Sadam Husseins in die USA. Nach dem 11. September meldet sich die junge Frau mit frischen amerikanischen Pass als Übersetzerin zum Einsatz im Irak. Sie will helfen, ihre Heimat zu befreien.

Bei ihrer geliebten Großmutter findet sie aber kein Verständnis, diese will nichts wissen von den wilden Horden, die über ihr Land gezogen sind. Saina ist zerrissen zwischen zwei sich wesensfremden Kulturen. Ein spannender roman, der nebenbei verstehen lässt, weshalb die amerikanische „Befriedung“ Iraks so kläglich scheitern musste. (Klappentext)

Rezension:

Wer zu den Büchern des Kolchis-Verlages greift, weiß, dass er das Spannungsfeld der Kulturen bekommt. Auf den Tablett geliefert, fein seziert vor den Augen des Lesers, in diesem falle wohltuend ruhig, ohne Überheblichkeit, sehr einfühlsam erzählt.

Das ist Inaam Katschatschis Roman „Die amerikanische Enkelin“, die das Schicksal einer jungen Frau zum Thema macht, die glaubt Amerikanerin zu sein, und dennoch nie von ihrem Geburtsland loskommt, förmlich zerrissen wird, zwischen den erbarmungslos zurückschlagenden Amerika und dem Land von Euphrat und Tigris, welches selbst innerlich zerbrochen ist und eigentlich mit sich selbst genug zu kämpfen hat.

Ruhig beginnt die Erzählung, die immer in der Ich-Perspektive bleibt und ihren Ruhepunkt gleichsam in der Hauptprotagonistin findet.

Am Tempo ändert sich lange nichts, doch spürt man die drückende Last, die Saina zu bewältigen hat, immer mehr, wie sie ihr den Brustkorb zuschnürrt, nicht wissend wohin mit ihren Gefühlen für beide Länder, der Familie in Amerika und ihrer noch in Bagdad lebenden Großmutter, die ihr den Spiegel vorhält, ob den Auswirkungen des Einmarsches Amerikas und zugleich der langjährigen Indokrination der Schergen Husseins.

Im Verlauf der Handlung werden dafür mehrere Ansichten, Seiten bemüht, doch gewinnen nur die zwei Hauptfiguren saina und ihre Großmutter an Tiefe, die wie gleichgepolte Magnete sich abstoßen, aber dennoch nicht von einander lassen können. Alle anderen Protagonisten bleiben Nebenfiguren, die Autorin braucht sie auch nicht wirklich. Die Erzählung trägt sich so.

Es ist ein Roman über die Kraft verwandten Blutes, Zusammenhalt und Familienbande, aber auch die Frage, was wir , weiter unsere gesellschaft und die Politik mit unseren Handlungen für Wirkungen verursachen und dass wir einander vielleicht fremd werden, jedoch nicht vollständig von einander lösen können.

Am Beispiel des Zwiespaltes Sainas eindrucksvoll vorgeführt. Das Ende wird den Leser ratlos zurücklassen, verzweifelt vielleicht, aber es ist richtig so, in Anbetracht der Entwicklungen im Irak und was dies mit den Betroffenen macht. Soldaten, Amerikaner und solche, die beide Identitäten besitzen, die Bewohner des Iraks, die vom Regen in die Traufe gekommen sind.

Dazu kommt, dass Autoren immer über die Themen am besten schreiben können, die ihnen besonders nahe liegen. katschatschi stammt aus Bagdad, und das merkt man in jeder Zeile. Es ist nicht anders möglich, so viel Liebe in und zwischen und in den Zeilen zu diesen zerrüttelten Land Ein, auf den wenigen Seiten unterzubringen. Ein großer und großartiger Roman.

Autor:

Inaam Katschatschi wurde 152 in Bagdad geboren, wi sie Journalismus studierte und anschließend für das staatliche Radio arbeitete. 1979 wanderte sie nach Frankreich aus, schloss ihr Studium Islamischer zivilisation mit einem Doktorat ab.

Danach arbeitete sie als Korrespondentin für verschiedene arabische Medien. Ihr Roman wurde für den Arabic Booker Prize nominiert. 2016 erhielt Katschatschi den Arabischen Literaturpreis.

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Divina Michaelis: Die Entdeckung des Homo Serpentes

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Die Entdeckung des Homo Serpentes Divina Michaelis Qindie Erschienen am: 17.02.2016 Seiten: 90 ISBN: 978-3-73963-432-6

Inhalt: Zusammen mit anderen Wissenschaftlern wird Lara Evelyn Douglas zum Planeten Hereia geschickt. Dort sollen sie das Ökkosystem des fremden Planeten und das Überleben auf der Raumstation im Orbit testen, um Erkenntnisse für die Lebenssituation auf der Erde zu gewinnen.

Lara entdeckt promt eine andere Spezies, die sich kaum vom Homo Sapiens unterscheidet. Die Schlangenmenschen haben so u.a. ein ganz anderes Verhältnis zum Sex, und entfalten damit auch eine Wirkung der besonderen Art auf Lara. Sie ist damit jedoch nicht allein. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Diese Geschichte macht es mir doppelt schwer. Zum einen bin ich nicht gerade der typische Erotikleser, falls es den überhaupt gibt, zum anderen fällt mir auch Science Fiction nicht gerade leicht.

Darauf einlassen kann ich mich selten und wenn, muss die Handlung schon sehr früh im Verlauf das gewisse Etwas besitzen, einen Schalter umlegen, um das Geschehen weiter zu verfolgen. „Die Entdeckung des Homo Serpentes“ schafft diesen Spagat und vermag zu überraschen.

Dabei beginnt das ganze zunächst wie jede „normale“ Science Fiction beginnen würde. Erotik entwickelt sich daraus, kommt erst an zweiter Stelle. Überhaupt ein wohltuendes Merkmal der Geschichten von Divina Michaelis, die nicht um des Gerammels Willen ( Divina Entschuldige den Ausdruck.) schreibt, sondern die Figuren sich entwickeln, und erst aus der Geschichte heraus, die erotische Komponente entwickelt.

Nicht pornös, sondern feinfühlig beschreibt die Ich-Erzählerin ihr Empfinden und die Entwicklungen inner- und außerhalb der Raumstation. Abwechslungsreiche Charakterisierungen der Protagonisten, die zum Handlungsverlauf beitragen, inklusive.

„Die Entdeckung des Homo Serpentes“ wird so denkbar und ist glaubwürdig beschrieben, wie es eben auf einem Minimum von Seiten möglich ist.

Schließlich ist das nur ein Apetizer und Auftakt zu einer Trilogie, derer der Leser sich annehmen wird, sobald man sich die letzten Zeilen zu Gemüte geführt hat. Die volle Punktzahl gibt es nur nicht, um wenigstens noch ein wenig Luft nach Oben zu lassen, für die eigentliche Geschichte.

Die ausarbeitung der Charaktere hat mir sehr gefallen, sowohl der menschlichen als auch der anderen, sowie das Beschreiben des Lebens auf der Raumstation. In den Folgebänden erhoffe ich mir, ein wenig mehr über das Leben der „Homo Serpentes“ und ihrer Umwelt zu erfahren, was natürlich eine Kurzgeschichte nicht so bieten kann.

Dann jedoch gerne mit der gewissen Portion Erotik, die ebenfalls passend zur Geschichte geschrieben werden dürfte. Eine klare Empfehlung auch für die, die sich gerne einmal an diesem Genre qualitativ hochwertig heranwagen möchten.

Autorin:
Divina Michaelis hat schon in der Schule Kurzgeschichten und Satiren für die Schülerzeitung geschrieben und arbeitete neben den Beruf fünf jahre an ihren ersten Roman. Lange Zeit als Moderatorin in einem Flirt- und Liebesforum aktiv, widmet sie sich der Erotikliteratur.

Unter den Label von Qindie verlegt sie in Eigenregie ihre Geschichten, die nie Erotik zum Selbstzweck beinhalten, sondern sich die eine oder andere prickelnde Situation aus den Handlungen heraus ergibt.

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Andreas Guski: Dostojewskij – Eine Biographie

Dostojewskij - Eine Biografie Book Cover
Dostojewskij – Eine Biografie Andreas Guski C.H. Beck Verlag Erschienen am: 15.08.2018 Seiten: 460 ISBN: 978-3-406-71948-6

Inhalt:

Mit „Schuld und Sühne“ hat Dostojewskij, so Thomas Mann, „den größten Kriminalroman aller Zeiten“ verfasst. Kaum weniger fesselnd als seine großen Romane ist sein von äußeren und inneren Dramen geprägtes Leben. Als junger Mann verbringt er vier Jahre im Zuchthaus, am Ende seines Lebens wird er als Prophet der Nation gefeiert.

Dazwischen liegen die Höhen und Tiefen seines literarischen Glücks wie seiner verzehrenden Spielsucht. Der Slawist Andreas guski legt die erste Biographie in deutscher Sprache seit über 25 Jahren vor. Anschaulich erzählt er dostojewskijs Leben und erschließt sein gewaltiges OEuvre im Kontext der Zeit. (Klappentext)

Rezension:

Heute zählen seine Werke unbestritten zu den Klassikern russischer Literatur, doch war dem nicht immer so. Im Gegenteil, zu Beginn seines schriftstellerischen Wirkens war Dostojewskij umstritten, seine Erzählkunst wurde angezweifelt, dazu kamen schier unüberwindbare Überliteraten, wie Puschkin und Tolstoi, und bis zuletzt hatte er mit seiner schon im frühen Erwachsenenalter aufkeimenden Spielsucht zu kämpfen.

Und doch veränderte und erweiterte der mann, der schon immer Schriftsteller sein wollte, die Literatur mit seinen großen Romanen „Schuld und Sühne“ und „Der Idiot“, sowie in zahlreichen Zeitungsartikeln Land und Leser gleichermaßen.

Über sein Wirken, ein abwechslungsreiches, von vielen Fallgruben und wenigen erfolgen gekennzeichneten Leben liegt nun diese Biographie vor.

Andreas Guski nähert sich den Leben eines Verrückten oder eines Genies, so genau weiß man das nicht zu sagen, auf der privaten und auf der schriftstellerischen Ebene an. Sein Leben wird im Kontrast zu den seiner Zeitgenossen gestellt, Vergleichslinien gezogen und sehr detailliert aufgesplittet, wo die Wendepunkte lagen, die Dostojewskij bewältigen musste.

Der Autor analysiert im gleichen Atemzug das jeweils zu der beschriebenen Zeit enstandene Werk, zeigt die Arbeitsweise dieses Talents, welches seine Zeitgenossen erst erkennen wollten, als der Schriftsteller Dostojewskij nur noch wenige Jahre zu leben hatte.

Herausgekommen dabei ist ein vielschichtiges Portrait einer wunderlichen epoche und eines Mannes, der nur durch die Betrachtung seiner Werke kaum zu fassen ist. Die Detailiertheit lohnt sich, vor allem wenn man noch keines der Werke Dostojewskijs selbst gelesen hat, oder im Vegrleich dazu eines der anderen schon genannten Schriftsteller.

Guskis Biografie bildet die Grundlage zu verstehen, etwa hinter die verschiedenen Romane zu schauen, die beim oberflächlichen Lesen sonst verloren gehen könnten. Für alle anderen ist es ein interessantes Zeitenportrait, in denen Genie und Wahnsinn sich versammeln. Dostojewski ist beides aber nicht nur er alleine.

Konzentration erfordert die Lektüre, langsames Lesen sowie so. etwas anderes lässt der Schreibstil Guskis nicht zu, die detailliertheit der Recherche jedoch ebenso wenig. Guski lässt die Fassade hinter Dostojewski bröckeln und baut sie zugleich neu auf.

Ein vielschichtiges Werk über ein gewaltiges Stück Literaturgeschichte, die zugleich eine Lebensgeschichte darstellt. Allen Interessenten sei dies empfohlen.

Autor:

Andreas Guski ist Professor für Slawistische Philologie an der Universität Basel. Seine Dissertation schloss er 1970 ab, bevor er 1985 zur Literatur des Stalinismus habilitierte. Seine Forschungsgebiete sind u.a. die russische und tschechische Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

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Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

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Rendezvous mit einem Oktopus Sy Montgomery mare Verlag Erschienen am: 29.08.2017 Seiten: 336 ISBN: 978-3-86648-265-4 Übersetzerin: Heide Sommer

Inhalt: Er ist der heimliche Star der Meere: der Oktopus. Mit acht Armen und drei Herzen verfügt das Ausnahmetier über körperliche Superkräfte – vor allem aber ist es schlau.

Kraken können lernen, tricksen, spielen, und wenn sie etwas nicht können, ist es: Langeweile aushalten. Mit Witz, Sachkenntnis und Empathie erzählt Sy Montgomery von ihren Begegnungen mit diesen außergewöhnlichen Tieren und nimmt den Leser mit auf eine unvergessliche Reise. (Klappentext)

Rezension:

Abseits von den Tieren, die zum Orakel stilisiert werden, ist die erste Reaktion der meisten Menschen Unverständnis gegenüber den Weichtieren, die natürlich so ganz anders sind als wir. Ohne Wirbelsäule, ohne schützenden Panzer, eine klitschige Masse mit acht Armen, die jeder ein Eigenleben zu führen scheinen, drei Herzen und tatsächlich blauen Blut.

Und Tinte. Es sind hoch intelligente Tiere, die ihre Stimmung durch Farben signalisieren; wenn sie rot sind, sind sie sauer; und sich in jede noch so scheinbar unmögliche Öffnung quetschen können und doch, wissen wir so wenig über sie.

Die Autorin und Naturforscherin nimmt ihre Leser mit auf eine faszinierende Reise zu ebenso erstaunlichen, wie unergründlichen Geschöpfen. Durch Seefahrergeschichten von einst zu grausamen Ungeheuern geschriebenen Tieren entdeckt sie die wahre Seite eines faszinierenden Wesens.

Sie nähert sich den Tieren in Gefangenschaft und in der freien Natur, hilft mit bei der Feldforschung draußen, in der freien Natur und lässt sich, sprichwörtlich, fallen, in die Umarmung eines Oktopusses. Fakten- und kenntnisreich, unterstützt durch die Eindrücke und den Wissen vieler Experten auf den Gebiet der Mollusken, versucht Montgomery sich die Welt aus der Sicht ihrer achtarmigen Bewohner zu erschließen.

Neben der persönlichen Bekanntschaft mit den Kraken des New England Aquariums in Boston gewinnt sie interessante Einsichten in ein Leben, welches den meisten von uns verschlossen bleibt.

Ein besonderes Sachbuch, welches nicht ohne Grund in der deutschen Ausgabe bei mare zu finden ist. Nach dem erzählerischen Sachbuch „Die Polarfahrt“ von Hampton Sides, ist dies der nächste Knüller, der mich ebenso begeistern konnte.

Detailliert beschreibt die Autorin ihre Faszination, die Versuche der Annäherung an eine so weit entfernt entwickelte Spezies, vergisst jedoch nicht die fachliche Komponente, so dass all die Leser auf ihre Kosten kommen werden, die ihr Wissen mal auf einem ganz ungewöhnlichen Gebiet erweitern, dabei jedoch die literarische Komponente nicht zu kurz kommen lassen möchten.

Tatsächlich vergisst man von Zeile zu Zeile manchmal, dass es sich um ein Sachbuch, nur eben der anderen Art handelt.

Wenn man der Autorin etwas vorwerfen möchte, und das ist jetzt Jammern auf hohen Niveau und führt zu einer eher philosophischen Diskussion, die tatsächlich an anderer Stelle zu führen ist, ist es die Gefahr der Nähe zu den Tieren.

Nicht im Sinne, dass diese extrem gefährlich wären. Diese bedenken schafft Montgomery schnell beiseite. Aber diese starke manchmal doch zu vermenschlichte Beziehung, die sie zu einigen der Exemplare aufbaut, denen sie begegnet, könnten falsche Schlüsse folgen.

Wir sprechen hier immerhin von Wildtieren, auch wenn sie teilweise in Gefangenschaft, d.h. in Aquarien gehalten und studiert werden. Diese Art und Weise, auf die Kraken zu zugehen, macht jedoch nur einen kleinen Teil dieses detaillierten Sachbuches aus.

Hat ein Oktopus Gefühle? Wie löst dieses Tier ihm gestellte Aufgaben? Kann er planen und wofür stehen all die farben, die er zeigen, all die Formen, die er sich aufgrund körperlicher Veränderungen zu Eigen machen kann?

Wie viel Kraft kann ein Oktopus mit einem einzelnen Saugnapf aufwenden, und weshalb ist ein Bostoner Krake regelmäßig des Nachts ausgebrochen? Amüsante Geschichten und erstaunliche Fakten versammelt die Autorin mit dem Ziel, verstehen zu wollen. Und am Ende wird man nie wieder Tintenfischringe essen können. Das hat auch etwas.

Autorin:

Sy Montgomery wurde 1958 in Frankfurt/Main geboren und ist eine Naturforscherin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 1979 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University in den Fächern Journalismus, Französisch und Literatur ab, sowie in Psychologie. Ihr wurden zwei Ehrendoktortitel verlieren.

Ihre Bücher, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, wurden für verschiedene Preise nominiert, u,.a. den National Book Award im Bereich Sachbuch. Sie schreibt Drehbücher u.a. für National Geographic TV und beteiligt sich an wissenschaftlichen Studien und Expeditionen im Bereich der Naturforschung.

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Ernest van der Kwest: Die Eismacher

Die Eismacher Book Cover
Die Eismacher Autor: Ernest van der Kwest Rezensionsexemplar/Roman btb Verlag Taschenbuch Seiten: 384 ISBN: 978-3-442-71597-8

Inhalt:

Seit fünf Generationen haben sich die Talaminis der süßen Kunst des Eismachens verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie aus dem „Tal der Eismacher“ in den malerischen Dolomiten nach Rotterdam über.

In ihrem kleinen Eiscafe gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der ältere Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Lesen so sehr wie das Eis. Bis eines Tages sein Bruder Luca ein höchst ungewöhnliches Anliegen hat… (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman über zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Welt des Eismachens, handwerklich schwere Arbeit, wenn man das süße klebrige Etwas nicht maschinell, sondern per Hand herstellt.

Nach Rezepten, die man von Generation zu Generation weitergibt, irgendwann nur noch nach Gefühl befolgt und damit den Besuchern eines Eiscafes für ein paar Minuten eine kleine Freude bereitet, einerseits. Andererseits, die Welt der Poesie, der Lyrik, die Gefühle nicht in Aromen, aber in Worten auszudrücken vermag. Geschriebene Zeilen, denen man sich öffnen und sich darin fallen lassen muss.

Beide Welten sind die von Giovanni, der eines Tages mit der Tradition seiner Familie brechen muss, um sich einer konkret zu widmen, dabei alle enttäuscht. Seinen Bruder, der daher seine eigenen Träume zurückstellen muss, seine Eltern, die in ihm an sich den Nachfolger seines Großvaters und seines Vaters selbst sehen, seine Liebe zur Literatur nicht verstehen wollen und können und immer wieder darauf stoßen, wie sehr dieser Bruch einen Riss durch die Familie gezogen hat.

Ernest van der Kwast hat mit „Die Eismacher“ einen wahrhaft poetischen Roman geschrieben, in dem der Generationenkonflikt schon früh angelegt und herausgearbeitet wird. Sehr detailliert wird die handwerkliche Arbeit, die Geschichte des Eismachens dargestellt.

Hier merkt man die Recherchearbeit des Autoren, der sich zudem mit den Schwierigkeiten des familiären Zusammenhaltes befasst, wenn die Kinder etwa während der Eissaison ins Internat müssen, fernab des Eiscafes und damit von den Eltern getrennt, sowie den Riss, der sich durch die Familien zieht, sowie den Zwang, eine Arbeit aufzunehmen, die von Generation zu Generation vielleicht immer unattraktiver wird.

Perspektivwechsel zwischen den erwachsenen Ich der Protagonisten und Kindheitsrückblicken zeigen diese Differenz auf, schon in den ersten Zeilen spürt man den Gegensatz zwischen den beiden Brüdern, die auseinander streben, jedoch nicht ohneeinander können.

Doch genau da, spätestens ab etwa der Mitte des Handlungsverlaufes wird es unglaubwürdig. Die Bitte des Bruders, auf die im Klappentext so schön hingewiesen wird, ist im realen Leben kaum vorstellbar, der Umgang mit den Folgen, so sie auch positiv sind, einfach nur unverständlich und nicht nachvollziehbar.

Der Schreibstil ist klar. Jede Zeile lässt die Liebe des Autoren für das Kulinarische, das Eis, und das Seelische, die Literatur, erkennen, doch der Handlungsverlauf bremst den Spannungsbogen ab, die Auflösung der Geschichte stimmt nicht zufrieden.

Positiv ist, dass man viel erfährt über die Geschichte des Eismachens, über die Schwierigkeiten der Herstellung, die beim Eiscafe-Besuch kaum gewürdigt werden und der angelegte Konflikt. Unzufrieden macht die Auflösung und der Umgang der Protagonisten untereinander. Eine Geschichte mit Ecken und Kanten, gar nicht so rund wie eine Eiskugel. Welche Sorte auch immer.

Autor:

Ernest van der Kwast wurde 1981 in Bombay geboren, und ist ein niederländischer Autor und Journalist. Bevor er Schriftsteller wurde, erreichte er im Hochleistungssport, in der Disziplin Diskuswurf nationale Bedeutung. Er gab den Sport auf, studierte Wirtschaftswissenschaften, veröffentlichet später eine Sammlung von Erzählungen und einen Roman. Mit dem Aufschreiben seiner Familiengeschichte gelang ihn 2010 der Durchbruch.

Der Autor war Chefradakteur einer niederländischen Literaturzeitschrift, später Autor einer satirischen Kolumne in einer Internetausgabe des NRC Handelsblad. Zeitweise lebte er mit seiner Familie in Südtirol, derzeit jedoch wieder in Amsterdam.

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Paul Auster: Das rote Notizbuch

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Das rote Notizbuch Paul Auster Rezensionsexemplar/Essays Rowohlt Hardcover Seiten: 108 ISBN: 978-3-498-07402-9

Inhalt:
Wie wirkt der Zufall auf unser Leben und was steckt hinter dieser seltsamen Macht? Diese Fragen durchziehen Austers gesamte Werke. In dieser Ausgabe versammelt der Autor all die Zufälle, die sein Leben prägten und in die entscheidende Richtung lenkten.

In einem roten Notizbuch hat Auster all die seltsamen und unergründlichen Ereignisse festgehalten, die man der schriftstellerischen Phantasie zuschreiben möchte, die sich jedoch tatsächlich zugetragen haben. Kntstanden ist eine Sammlung feinsinniger und kurzer Erzählung, erstmals vollständig versammelt. (Klappentext)

Rezension:
Es ist bezeichnend, wenn Autoren auf mehreren hundert Seiten großartige Geschichten lebendig werden lassen können, aber ebenso bewundernswert, wenn dies mit wenigen Zeilen gelingt. Paul Auster, einer der großen amerikanischen Gegenwartsliteraten, gelingt beides.

Sein Werk „4 3 2 1“ schlug dies- und jenseits des großen Teiches ein wie eine Bombe, ein vom Umfang her überschaubareres Werk wird es ebenso tun. Paul Auster veröffentlichte bereits in den 1990er Jahren Teile seines Notizbuches in der er all die Alltäglichkeiten, die Besonderheiten des Erlebten, die Zufälle schriftstellerisch festhielt, um diese zu ergründen. Nun liegt dieses kleine, dennoch nicht geringe Werk erstmals vollständig vor.

Feinsinnig erzählt Auster, wie sich seine Wege, die seiner Familie, mit anderen Menschen kreuzten, wie der Zufall bestimmte, wen der Autor zu seinen Freunden zählen würde, wen Auster aus den Augen verlieren und später wieder begegnen sollte.

Fasziniert vom Zufall und der Kunst vom Schicksal, welches das Leben bestimmt und dennoch immer wieder zu den Schriftsteller führt, der Auster ist. Bestseller-Autor, Romancier, Lyriker. Schreibkünstler, wie kaum ein Zweiter. Kurz und prägnant sind die Texte, niemals überladen, und keinesfalls überflüssig.

Sie öffnen den Zugang zum Schriftsteller. Der Leser wird eingesogen und ist versucht, selbst nach den Zufällen seines Lebens zu suchen, die Eckpunkte und Meilensteine zu bestimmen, die man aufgenommen oder beiseite gelassen hat, die das Leben in gute und weniger gute Abschnitte bisher geteilt haben.
Die Kraft des Zufalls ist faszinierend, gut und böse zugleich, doch immer Dreh- und Angelpunkt.

Der verbrannte Zwiebelkuchen, dessen Geschmack alles andere übertüncht, das Haus, in dem die Familie zeitweilig in der Nachbarschaft zu einem anderen weltberühmten Autoren gelebt hat, der reflexhafte Griff, der Leben rettet, dem Retter auf ewig im Bewusstsein eingebrannt, der Geretteten nur eine weitere sekundenlange Episode in ihrem Leben. Sie alle und noch viele mehr sind hier versammelt.

Kurzweilige unterhaltende Literatur, die zum Nachdenken anregt, wenn man das möchte. Ansonsten zählt nur Ersteres, was genügt, um die Texte Austers zu würdigen.

In flüssiger, niemals komplizierter Schreibweise, vom Ausdruck gar nicht zu reden, ist dieses nun vollständige Notizbuch zwar nicht mehr vom Cover her rot, jedoch ein Must-have für Liebhaber moderner amerikanischer Literatur, und auch sonst ein herausragendes Stück Textarbeit. Sehr lesenswert.

Autor:
Paul Auster wurde 1949 in Newark, New Jersey, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaften an der Columbia University, arbeitete zunächst in Frankreich, später dann u.a. als Telefonist für die New York Times.

Weltbekannt wurde er durch seine New York-Trilogie, eine Reihe experimenteller Kriminalromane. Auster verfasste jedoch auch zahlreiche Essays und Gedichte, fertigte zudem Übersetzungen an. Im Jahr 2017 erschien sein Bestseller „4 3 2 1“.
Der Autor ist Verfasser mehrerer Drehbücher und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie die Ehrendoktorwürde der Universität Kopenhagen und den NEA Fellowship für Poesie.

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Detlev Meyer: Das Sonnenkind

Das Sonnenkind Book Cover
Das Sonnenkind Detlev Meyer aufbau Verlag Erschienen am: 19.01.2018 Seiten: 232 ISBN: 978-3-351-03718-5

Inhalt:

Carsten ist fast zehn Jahre alt, ein wenig altklug und entdeckt die Welt mit seinen Kinderaugen. Das sind die Besuche des Cafe Kranzler mit Opa, das Spielen mit Freunden auf der Straße und die Eltern, die den kleinen wissbegierigen und manchmal alklugen Bengel, Herr werden müssen.

Doch, der Großvater erkrankt und versucht seine Umgebung davon abzuschirmen, der Junge indes macht seine ganz eigenen Erfahrungen mit der ihn meist wohlgesonnenen Umgebung, die dennoch ihre Tücken hat. Bühne frei für das Sonnenkind… (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Carsten, fast zehn Jahre alt, wächst im „richtigen“ Teil Berlins auf, als der Westen im Wohlstand des Wirtschaftswunders schwelgte, sich die Demokratie dadurch etablierte und überhaupt das Leben am schönsten ist. Warum auch nicht, wo doch der Junge von allen gemocht wird?

Die Großeltern dichten sich eine adlige Herkunft an, verwöhnen ihren Enkel nach Strich und Faden, der Vater hadert mit den Kriegserinnerungen, versucht nach vorne zu blicken, der Großvater hat eine Geliebte und der Bruder macht aus allem ein Geschäft. Und alle mögen den Sonnenschein, vom Truseweg aus Neukölln, welches noch nicht das Viertel von Einwanderen ist, welches es einmal werden wird. Das Leben ist schön.

Detlev Meyer erzählt aus der Kindheit seines alten Egos. Entstanden ist mit den „Sonnenkind“ ein wunderbares Straßenportrait liebenswerter Figuren, die Betrachtung einer quirligen, sich findenden Metropole in Kleinformat.

Der Leser erfährt die Welt aus der Sicht eines altklugen, wissbegierigen, aber vorwitzigen und liebenswerten Bengels, der es faustdick hinter den Ohren hat, damit aber ganz und gar nach der Familie kommt.

Alle Charaktere sind schrullig, neben der Spur und doch so, wie man die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Berliner darstellen würde, wäre dies gefordert. Passieren tut dabei nicht viel, es ist trotzdem amüsant zu lesen, wie der Kleine die Widersprüchlichkeit der Erwachsenenwelt begreift und für sich zu nutzen weiß.

So wird der grantige Hausmeister ebenso um den kleinen Finger gewickelt, wie der tödlichen Krankheit des Großvaters der Schrecken genommen und der Leser kann gar nicht ohne Schmunzeln, Lächeln, von Zeile zu Zeile springen, Wort für Wort in sich aufsaugen. Ein kleiner Großstadtroman, der es in sich hat.

Geschrieben aus wechselnder Ich-Perspektive der handelnden Protagonisten ist der Lesende nah dran an den Figuren, die man durchweg für voll nehmen kann. Genau so stellt man sich diese und jene Person vor, und eben nicht anders.

Der Schreib- und Erzählstil macht sie greifbar, den Großvater, der seinem geliebten Enkel die Krankheit zu erklären versucht, sich selbst aber ebenso erklären muss, den Vater, der versucht Frau und Söhnen Herr zu werden und die Kinder, die ob ihres Charakterzugs im gesamten Straßenzug berühmt und berüchtigt sind.

Autobiographische Züge hat der Roman, in dem der Autor auf vorangegangenes Geschriebenes und auf seine Kindheit Bezug nimmt und sich so selbst ein Denkmal gesetzt ha.

Es is dies, sein letztes großes Werk, in welchen Detlev Meyer sich seiner Kindheit bewusst wird, die schön und angenehm war, als die Welt noch fass- und beherrschbar war, der Mauerbau nicht drohte und überhaupt Politik keine Rolle spielte. Nicht für einen Zehnjährigen, dessen Interesse sich nur in den Grenzen seiner unmittelbaren Umgebung bewegt.

„Das Sonnenkind“, ist ein gefälliger Roman, dessen Wirkung man sich kaum entziehen können wird, der gute Laune, eben die eines Kindes, verbreitet und mit Gewinn gelesen werden kann. Vielleicht sollten wir uns alle irgendwann an unsere Kindheit, an die Sonnentage, erinnern? Es könnte sich lohnen.

Autor:

Detlev Meyer wurde 1948 in Berlin geboren und studierte zunächst Bibliotheks- und Informationswissenschaften, bevor er als Bibliothekar in Toronto und Entwicklungshelfer in Jamaika arbeitete.

Er erhielt mehrere Literaturstipendien und widmete sich in Gedichten und Prosatexten als einer der wenigen offen schwul lebenden Autoren der Szene, sowie der Bedrohung durch Aids und deren Folgen. Sein letzes Werk erschien postum 2001 (Das Sonnenkind), nachdem er 1999 starb.

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