Thomas Hürlimann: Der Rote Diamant
Inhalt:
„Pass dich an, dann überlebst du“, bekommt der elfjährige Arthur Goldau zu hören, als ihn seine Mutter im Herbst 1963 im Klosterinternat hoch in den Schweizer Bergen abliefert. Hier, wo schon im September der Schnee fällt und einmal im Jahr die österreichische Exkaiserin Zita zu Besuch kommt, wird er zum „Zögling 230“ und lernt, was schon Generationen vor ihm lernten.
Doch das riesige Gemäuer, in dem die Zeit nicht zu vergehen, sondern ewig zu kreisen scheint, birgt ein Geheimnis: Ein immens wertvoller Diamant aus der Krone der Habsburger soll seit dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie im Jahr 1918 hier versteckt sein. Während Arthur mit seinen Freunden der Spur des Diamanten folgt, die tief in die Katakomben des Klosters und der Geschichte reicht, bricht um ihn herum die alte Welt zusammen. (Inhalt lt. Verlag)
Rezension:
Zwischen den Klostermauern wirken Geschichte und Mythen stärker als die Gegenwart. Schnell verfällt ihnen der junge Protagonist als er elfjährig ins Internat abgeliefert wird, geleitet von gealterten Mönchen, die ihrerseits selbst aus der Zeit gefallen scheinen. So beginnt der sehr philosophisch gehaltene Roman „Der Rote Diamant“, des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann, dessen Figuren Leben bald von eben diesen Stein dominiert sein wird.
In einer Mischung aus Coming of Age, Kriminalgeschichte und philosophisch sehr aufgeladenen Erzählung wirkt diese Mischung zu Beginn sehr leichtgängig, wobei es lesend mit zunehmender Seitenzahl immer schwieriger wird, den Überblick zwischen Handlungssträngen und Ebenen auseinander zu halten. So wandelt sich der Hauptaspekt im Laufe des Voranschreitens der Geschichte. Der rote Diamant steht oft im Vordergrund, verschwindet jedoch des Öfteren. Ein Aspekt, der den Protagonisten noch zu schaffen machen wird, die wie vom Fieber ergriffen sich auf eine Suche begeben, die sie ein Leben lang nicht mehr los lassen wird.
In sehr gewählter, schöner Sprache ist diese dann doch vergleichsweise kompakte Erzählung gehalten, doch kommt dies nicht selten so klischeehaft kitschig daher, dass man den Mehltau beinahe mit den Händen zu greifen meint, wie auch der Protagonist das immer größere Zerrbild nicht umhinkommt, zu bemerken, welches sich ihm über die Jahre zeigt. Im Internat ist man immer noch den alten Zeiten verfallen, während sich da draußen die Welt längst gewandelt hat, doch nur selten dringt frischer Atem durch die dicken Klostermauern.
Thomas Hürlimann folgt den Protagonisten, ein halbes Leben lang und zeigt in seiner langförmigen Novelle, wie diese von einen Gegenstand vereinnahmt werden. Die Geschichte indes hat nicht die gleiche Wirkung. Bald ist man genervt, rollt mit den Augen. Was nützt die schönste Sprache, wenn sie die Lesenden nicht erreicht? Sicherer wäre es gewesen, sich auf ein paar weniger Ebenen zu stützen und sich einmal für ein Genre zu entscheiden, dieses jedoch konsequent durchzuhalten. So aber verliert „Der Rote Diamant“ unglaublich viel.
Schon der Name der Hauptfigur ist bedeutungsvoll aufgeladen. Bis auf seinen realen Namen werden den gleichaltrigen Figuren allesamt Spitznamen verpasst, die diese ihr Leben lang behalten. Sehr schnell schälen sich Ecken und Kanten heraus, die viel später im Handlungsverlauf zu tragen kommen werden, auch Gegensätze werden vor allem zum Ende hin deutlich. Aber auch die Beweggründe der einzelnen Protagonisten berühren kaum. Zu angestrengt liest sich diese Geschichte. Zu gewollt wirkt das ganze Szenario.
Hauptsächlich erleben wir die Geschichte aus Sicht der Hauptfigur, unterbrochen durch Einsprengsel anderer Sichtweisen, die ergänzen und damit den Handlungsverlauf vorantreiben, wie ein Puzzlespiel. Jedes neu gesetzte Teil könnte zum Ziel führen, damit auch zum funkelnden Klunker, dessen Bann Nase, Viper und die anderen Figuren verfallen sind. Wenn man nicht gefühlt auf jeder Seite erst einmal den Staub herunterpusten müsste, wäre dies sogar sehr spannend. Auch einige Rückblenden von Nebenfiguren vermögen keine spannungsreichen Elemente hinzuzufügen. So gelingt es der Geschichte nicht gerade, einem in den Bann zu ziehen.
Ein Aspekt der Geschichte, Coming of Age in Verbindung mit der Kriminalerzählung, sagt dann aber doch zu, jedoch ist die Verbindung dazwischen zu aufgeladen, als das man dies genießen könnte. Zwar kann man sich die Figuren und Schauplätze allesamt vorstellen, doch wirkt es teilweise wie ein französischer Film von Deutschen gedreht. Funktioniert nicht? Funktioniert nicht, jawohl.
So bleiben nur gute Grundideen in schöner Sprache verpackt, die aber alleine nicht reichen, um ihre Wirkung zu entfalten. Mit diesem Roman hat sich der Schweizer Autor Thomas Hürlimann keinen Gefallen getan. Vielleicht sollte man die Erzählung auch nicht als erstes seiner Werke lesen? Nun denn, danach jedenfalls fällt der Versuch schwer, das nochmals zu versuchen. Bleiben danach die anderen Werke des Autoren verschüttet oder leuchten sie um so heller, wie der rote Diamant in dieser Geschichte?
Autor:
Thomas Hürlimann wurde 1950 geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller. Er selbst Internatsschüler studierte er nach der Schule Philosophie in Zürich und Berlin, arbeitete danach 1978 bis 1980 als Regieassistent und Produktionsdramaturg am Berliner Schillertheater. Seit 1980 ist er freier Schriftsteller und kehrte fünf Jahre später in die Schweiz zurück.
1996 war er Visiting Professor am Dartmouth College in New Hampshire, zudem verbrachte er später mehrere Semester am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er ist Urheber mehrerer Romane, Essays und Theaterstücke. Hürlimann wurde mehrfach ausgezeichnet.
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