historischer Roman

Joachim B. Schmidt: MoosflĂŒstern

Inhalt:
Im Juni 1949 brachte der Dampfer „Esja“ rund 200 Frauen aus Deutschland nach Island, wo sie sich als DienstmĂ€dchen auf Bauernhöfen verdingten. Darunter auch Heinrich Liebers Mutter, von der er immer geglaubt hatte, sie sei nach seiner Geburt gestorben. 40 Jahre spĂ€ter ist Heinrich Bauingenieur, verheiratet, doch sein Leben gerĂ€t auf einmal ins Wanken. Der sonst so korrekte Mann fasst einen ĂŒberstĂŒrzten Entschluss und reist nach Island, wo er sich auf die Suche nach seiner Herkunft macht. (Klappentext)

Rezension:
Ein Einsturz verĂ€ndert alles. Doch auch so, ohne den Zusammenbruch der Lagerhalle, den Heinrich ĂŒber seine Bauzeichnungen brĂŒtend, sich zunĂ€chst nicht erklĂ€ren kann, gerĂ€t sein Leben aus den Fugen, als seine Adoptiveltern ihn vom erst kĂŒrzlichen Tod der schon lĂ€nger verstorben geglaubten Mutter erzĂ€hlen. Zwei Tropfen, die das Fass zum Überlaufen, das Gedankenkarussel in Bewegung setzen und in Joachim B. Schmidts Roman „MoosflĂŒstern“ vom beschaulichen ZĂŒrich in die raue Landschaft Islands fĂŒhren.

In seiner ErzĂ€hlung folgen wir zwei HandlungsstrĂ€ngen auf unterschiedlichen Zeitebenen. In der Gegenwart folgen wir den von Selbstzweifeln und Unsicherheiten befangenen Hauptprotagonisten auf Spurensuche nach seiner Vergangenheit, sowie im Wechsel der jungen Anna, die sich kurz nach Kriegsende aus dem gebeutelten Europa auf dem Weg nach Island macht. Nach und nach fĂŒhren beide Handlungen zueinander, wenn auch der Rahmen unterschiedlicher gefasst nicht sein könnte. Joachim B. Schmidt erzĂ€hlt von Polartagen, die sich wie Wochen anfĂŒllen und von Jahren, die verstreichen.

Dabei liest sich „MoosflĂŒstern“ gleichermaßen melancholisch wie leichtgĂ€ngig, was sowohl an den wenigen Hauptfiguren liegt, mit deren Ecken und Kanten man sich schnell identifizieren mag, als auch an kunstvollen Orts- und Landschaftsbeschreibungen, die einem ganz fĂŒr das Geschehen einnehmen vermögen. Das vollkommene Ausbleiben eines kompletten Antagonisten tut sein Übriges. Nein, beide Hauptfiguren stehen sich selbst im Weg und finden doch immer wieder auf die Spur zurĂŒck. Ähnlichkeiten zueinander sind hier unverkennbar, wunderbar ausgestaltet durch den Autoren. Das macht es leicht, sich in die Protagonisten beider HandlungsstrĂ€nge hineinzuversetzen.

Mit seiner ErzĂ€hlung bringt Joachim B. Schmidt ein hierzulande kleines, jedoch fast vergessenes Kapitel Geschichte zum Vorschein und lĂ€sst sie einfĂŒhlsam lebendig werden. Die eine Protagonistin ist ihr ausgesetzt, der andere macht sich nach und nach ein Bild. In der rauen Landschaft setzt sich ein Puzzle zusammen, was Heinrich auch mit der eigenen Verantwortung fĂŒr sein Tun konfrontieren wird. Hier eröffnen sich feine Unterschiede, Risse, die Seite fĂŒr Seite feinsinnig herausgearbeitet werden.

Daraus ist ein in sich abgeschlossener Roman entstanden, der ohne großspurige Wendungen auskommt, jedoch auch keine LĂŒcken aufweist und trotzdem streckenweise spannend zu lesen ist. Genau im richtigen Maße, ohne alles in Eiskristalle gehĂŒllte Melancholie ersticken zu lassen, lĂ€sst der Autor Perspektiven und Beschreibungen wechseln. Zeile fĂŒr Zeile durchzieht den Text eine fast filmische Sprache, die beide HandlungsstrĂ€nge sehr plastisch wirken lassen. Ein wenig Kitsch wird sich hier und da dennoch erlaubt.

Weder zu heiter noch dĂŒster ist die ErzĂ€hlung, deren HintergrĂŒnde man gerne nachspĂŒren möchte. Das liegt nicht zuletzt an Joachim B. Schmidts der seine GesprĂ€che mit Menschen hat einfließen lassen, die die hier am Anfang stehende Überfahrt nach Island tatsĂ€chlich gemacht haben. Der Sprung ins kalte Fjordwasser ist hier gelungen.

Wer andere Werke des Autoren kennt, wie etwa „Kalmann“ oder „Tell“ wird hier erneut ĂŒberrascht werden, von seiner Vielseitigkeit des ErzĂ€hlens. Wieder liest es sich anders als das aus seiner Feder bekannte, wobei, dies sei auch erwĂ€hnt, der Eindruck leider nicht ganz so nachhaltig wirkt. Das jedoch ist Meckern auf hohem Niveau, ergibt allerhöchstens AbzĂŒge in der B-Note. Joachim B. Schmidts Figuren folgt man dann doch zu gerne.

Autor:
Joachim B. Schmidt ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller, der zunĂ€chst eine Ausbildung zum diplomierten Hochbauzeichner absolvierte. Mit einer Kurzgeschichte gewann er einen Schreibwettbewerb und veröffentlichte erstmals 2013 seinen ersten Roman. Als Journalist und Touristenquide arbeitet er in Reykjavik, Island, wohin er 2007 ausgewandert ist. Sein Roman „Kalmann“, dem weitere folgten, erschien 2020 bei Diogenes. Er ist ausgezeichnet mit dem Crime Cologne Award und dem Glauser Preis.

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Laura Baldini: Aspergers SchĂŒler

Inhalt:
Wien, 1932: Erich ist noch ein Junge, als er zu Dr. Hans Asperger an die Uniklinik Wien kommt. Er sieht die Welt nicht wie andere Kinder. Er kann hochkomplexe mathematische Probleme lösen, aber es fĂ€llt ihm schwer, seine GefĂŒhle zu zeigen. Nach schrecklichen Jahren in einer Pflegefamilie erlebt er hier zum ersten Mal Zuneigung und VerstĂ€ndnis.

Die Krankenschwester Viktorine schließt Aspergers SchĂŒler ganz besonders ins Herz. FĂŒr sie bricht eine Welt zusammen, als die bahnbrechende Arbeit ihrer Abteilung vom NS-Regime vereinnahmt wird. WĂ€hrend Asperger sich mit den neuen Machthabern arrangiert, ist Viktorine entsetzt, als sie erfĂ€hrt, was an der Klinik am Spiegelgrund vor sich geht. FĂŒr Erich wird es lebensgefĂ€hrlich. (Klappentext)

Rezension:

Wenn gut ausgearbeitet und die wirklichen Begebenheiten nicht allzu sehr zu Gunsten der Fiktionalisierung zurechtgebogen, darf sich auch ein historischer Roman zu den BĂŒchern gegen das Vergessen zĂ€hlen. Ist dies Laura Baldini mit ihrer hier vorliegenden ErzĂ€hlung „Aspergers SchĂŒler“ gelungen oder gleitet ihr Text allzu sehr ins Kitschige ab, wie dies auf einige Texte dieses Genres zutrifft?

Auf zwei Zeitebenen erzÀhlt der historische Gesellschaftsroman vom dunklen Kapitel Euthanasie, der österreichischen Geschichte unter deutscher Vereinnahmung im Zweiten Weltkrieg und vom Kinderarzt und HeilpÀdagogen Hans Asperger, der als Erstbeschreiber des spÀter nach ihm benannten Asperger-Syndroms, einer Form des Autismus, zumindest in Europa gilt.

In vergleichsweise einfacher Sprache, ĂŒberraschend leichtgĂ€ngig, fast zu sehr möchte man meinen, taucht man in gut geordneten Kapitel in die jeweiligen HandlungsstrĂ€nge ein, springt zwischen die Jahre des Zweiten Weltkriegs und dem Wien 1986, in dem sich noch allzu viele nicht der Vergangenheit ihres Landes stellen wollen.

Hauptprotagonistin des einen Handlungsstranges ist Viktorine, die als Krankenschwester Zeitenwende und Vereinnahmung der Klinik, das VerdrĂ€ngen von Kollegen und Kolleginnen erleben muss, sowie nach und nach den Schrecken der neuen Ideologie einziehen sieht, deren Auswirkungen sie zunĂ€chst nicht sehen möchte und die Augen davor verschließt, was um sie herum passiert. Erst als es beinahe zu spĂ€t ist, begreift sie das Grauen. Ansonsten macht diese Protagonistin kaum eine nennenswerte Entwicklung durch.

Ebenso naiv gibt sich ihr GegenstĂŒck im zweiten Handlungsstrang, der Jahrzehnte spĂ€ter spielt, so dass man beide schĂŒtteln möchte, was mit dem Wissen und zeitlichen Abstand von heute ziemlich leicht, damals vermutlich um so schwerer gewesen wĂ€re. Andere Figuren bleiben in diesem sonst gar nicht ausufernden Roman erstaunlich blass, wenn sich auch die Autorin an der Beschreibung des Bösen sehr akkurat an die historischen Fakten gehalten hat.

Hier merkt man die Recherchearbeit und Sachkenntnis Baldinis. Die Autorin arbeitet neben ihrer TĂ€tigkeit als Schriftstellerin mit Kindern, die das Asperger-Syndrom haben. Empfehlenswert ist hier das Nachwort zur Einordnung.

Am besten funktioniert der Text, wenn sie mit ihren Beschreibungen nah dran an historisch verbĂŒrgten Personen ist, weniger gut, leider, bei ihren eigenen fiktionalen Figuren, die erstaunlich wenige Ecken und Kanten verzeichnen, wobei ob der geschichtlichen Gegebenheiten natĂŒrlich offen gegensĂ€tzliche Charaktere gut ausgearbeitet sind.

Den Sadismus und die tödliche KĂ€lte eines Jekelius so zu transportieren, muss man erst einmal schaffen. Auch Ortsbeschreibungen gelingen Baldini in ihrem Roman gut, das historische Wien lebt, man kann sich das alles mit Schaudern vorstellen. Das passt mal mehr, mal weniger in beiden HandlungsstrĂ€ngen, doch wechseln diese in so dichter Abfolge, das das ErzĂ€hltempo gleichmĂ€ĂŸig hoch bleibt. Der stete Perspektivwechsel zwischen den Figuren tut sein ĂŒbriges dazu, ebenso ergĂ€nzende Einblicke in damalige „Untersuchungsprotokolle“, die zumindest entfernt den wirklichen nachempfunden sein dĂŒrften. Der Massenmord war auch in Österreich bĂŒrokratisiert bis in die kleinste Ebene hinein.

VerstĂ€ndlich und in sich schlĂŒssig greifen beide Ebenen ineinander. Wirkliche Überraschungen bleiben jedoch aus, zumal, wenn man sich ansatzweise mit der tatsĂ€chlichen Historie auskennt. In Zusammenhang mit dem Schreibstil wirkt dies beinahe zu leichtgĂ€ngig, wobei das Grauen, die Autorin ist da feinfĂŒhlig zurĂŒckhaltend, eher im Kopf des Lesenden stattfindet als auf dem Papier. DafĂŒr reihen sich Andeutungen aneinander, die sich gewaschen haben.

Man liest dies in einer gewissen Sogwirkung gefangen, um am Ende auf eine sich die gesamten Seiten anbahnende Liebesgeschichte zu stoßen, die es nicht gebraucht hĂ€tte. In diesem Text fĂŒgt sie sich jedenfalls nicht wirklich gut ein, wirkt unpassend. Laura Baldini hĂ€tte diese seichte Komponente nicht gebraucht. Vielleicht ist das nötig, um ein gewisses Lesepublikum (Klischee!) zu bedienen, alle anderen rollen die Augen und werden zurĂŒckgelassen. Das hĂ€tte wirklich nicht sein mĂŒssen.

Autorin:
Laura Baldini ist das Pseudonym der österreichischen Autorin Beate Maly, die 1970 in Wien geboren wurde. ZunĂ€chst absolvierte sie eine Ausbildung zur KindergartenpĂ€dagogin und veröffentlichte Kinder- und pĂ€dagogische FachbĂŒcher. 2007 erhielt sie das Wiener Autorenstipendium und beendete neben ihren Roman eine Zusatzbildung zur mobilen FrĂŒhförderin. Ihr erster Roman erschien dann 2008, dem weitere folgten. Sie wurde fĂŒr den Leo-Perutz-Preis 2019 nominiert und erhielt 2021 den Silbernen Homer, weitere Nominierungen und Auszeichnungen folgten.

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Ian McEwan: Lektionen

Inhalt:

Roland Baines ist noch ein Kind, als er 1958 im Internat der Person begegnet, die sein Leben aus der Bahn werfen wird: der Klavierlehrerin Miriam Cornell. Roland ist junger Vater, als seine deutsche Frau Alissa ihn und das vier Monate alte Baby verlĂ€sst. Es ist das Jahr 1986. WĂ€hrend die Welt sich wegen Tschernobyl sorgt, beginnt Roland, nach Antworten zu suchen, zu seiner Herkunft, seinem rastlosen Leben und dem, was Alissa von ihm fortgetrieben hat. Sowohl episch als auch intim – ein bewegender, zutiefst menschlicher Roman ĂŒber Liebe, Verlust, Kunst und Versöhnung. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich in eine Geschichte hinein begibt, kommt darin um. Zumindest manchmal. Zumindest dann, wenn Erwartungshaltung und, in diesem Falle, Gelesenes weit auseinanderklaffen. Dabei beginnt diese ErzĂ€hlung aus der Feder des britischen Schriftstellers Ian McEwan recht vielversprechend, beinhaltet sie doch alle Elemente, die fĂŒr sich genommen und in mancherlei Zusammenspiel gut funktionieren.

Der Roman ist eine Mischung aus zunĂ€chst Coming of Age, im Rahmen einer Internatsgeschichte nach alter englischer Tradition, wandelt sich dann zu einer Geschichte ĂŒber Missbrauch und Vereinnahmung, um zu einer fiktionalen Biografie, einem Familienepos vor zeithistorischer Kulisse, gewĂŒrzt mit einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik, zu werden. Eingebettet in einem fast zu ruhigen ErzĂ€hlstil passiert zu Beginn nicht viel, um dann jedoch unerwartet zu zuschlagen, womit in dieser sehr ausufernden ErzĂ€hlung schon bald eine Kerbe eingeschlagen wird, die wir Lesenden fĂŒr den Rest der Geschichte im Hinterkopf behalten und nicht wieder loswerden.

Das liegt nicht an der Ausgestaltung der wichtigen beiden Hauptprotagonisten. Diese ist dem Autor gelungen, weißt doch der zunĂ€chst ElfjĂ€hrige Ecken und Kanten auf, die er die gesamte Handlung ĂŒber behalten wird, verstĂ€rkt und noch stĂ€rker in den Fokus gerĂŒckt, durch seinem Gegenpart, deren Handeln Ursache fĂŒr alles ist, was folgt. An diesen beiden Figuren hat Ian McEwan eine Missbrauchsgeschichte erarbeitet, wie man sie seltener liest. Hier ist das Opfer ein Junge, der TĂ€ter eine Frau, die so berechnend wie perfide ihren SchĂŒler zuerst unsittlich berĂŒhren, dann vereinnahmen wird, was Auswirkungen auf das gesamte Leben von Roland.

Der erkennt den Missbrauch erst spĂ€t als solchen oder kann ihn nach Jahrzehnten erst als solchen benennen, hat die Chance, seine Peinigerin nach Jahrzehnten zur Rechenschaft zu ziehen und vertut diese Chance. Beide Protagonisten haben ja schließlich damit ihre Leben verpfuscht und dennoch gelebt, wozu also die Vergangenheit noch einmal aufrollen?

Das ist nur ein Teil dieser noch ĂŒber mehrere hundert Seiten gehenden ErzĂ€hlung, doch ĂŒberdeckt er alles andere. NatĂŒrlich sind Geschichten mit dieser Thematik immer schwierig zu entwickeln und irgendjemanden wird, egal wie die Geschichte gedreht und gewendet wird, sich daran stoßen, aber alleine das GefĂŒhl zu erzeugen, zu sagen, Missbrauch ist okay, wenn er von Frauen ausgeht, ist die Ahndung auch nach Jahrzehnten nicht wert, selbst wenn das nicht vom Schreibenden so beabsichtigt ist, schafft ein GeschmĂ€ckle. WĂ€re die Figurenkonstellation eine andere, der Missbrauchende ein Mann, das Opfer ein MĂ€dchen, mit dieser Schlussfolgerung, der Aufschrei des Feuilletons wĂ€re dem Roman sicher.

Und da nĂŒtzt es auch nichts, dass dies nur ein, zumindest hier so empfundener, Aspekt dieser ErzĂ€hlung ist und der Rest zĂ€hflĂŒssig vor der Kulisse beinahe aller historischer Kulisse verlĂ€uft, die die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu bieten hat. Ian McEwan fĂ€hrt von Kubakrise ĂŒber Tschernobyl und Mauerfall bis hin zur Pandemie wirklich alles auf. NatĂŒrlich, ein langes Leben nimmt halt vieles mit, aber hier hĂ€tten noch mehr persönliche Spannungsformulier ausformuliert gereicht, um die Tragweite der Handlung voran zu bringen.

Die StĂ€rke des Autoren liegt in der Ausarbeitung der Charaktere, wenn auch konsequent nur die Perspektive der Hauptfigur dominiert. Nebenfiguren nehmen diese Rolle immer dann ein, wenn es um RĂŒckblenden und ZeitsprĂŒnge geht, diese zu verdeutlichen. Aber eben auch das hilft nicht gerade, wenn die ganze Zeit wirklich alles eben auf diesen Missbrauchsmoment heruntergebrochen werden kann und letztlich keine Konsequenzen folgen.

SchauplĂ€tze dagegen werden sehr plastisch beschrieben und fĂŒr die Lesenden zum Leben erweckt. Auch sei zu erwĂ€hnen, dass der Autor einen winzig kleinen Teil seiner eigenen Biografie mit eingewoben hat. Die Antagonistin ist dies jedoch nicht.

Und so bleibt ein Werk, welches ich aufgrund eines Aspekts und wenn ich damit Geisterfahrer zu anderen Rezensenten bin oder ich das „falsch“ verstanden habe (Wenn dem so ist, dann hĂ€tte man diesen Fallstrick beim Schreiben des Romans bemerken mĂŒssen.), einfach nicht empfehlen kann. FĂŒr Sprache und Figurenausarbeitung möchte ich hier jedoch die Pluspunkte sehen.

Autor:

Ian McEwan wurde 1948 geboren und ist ein britischer Schriftsteller. ZunĂ€chst studierte er englische und französische Philologie und schloss das Studium anschließend mit einem Bachelor of Arts in englischer Literatur ab. WĂ€hrend des Studiums besuchte er einen Kurs fĂŒr Kreatives Schreiben und unterrichtete spĂ€ter selbst.

1975 veröffentlichte er eine Kurzgeschichtensammlung, danach weitere ErzĂ€hlungen und Romane. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt und vielfach ĂŒbersetzt. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, im deutschsprachigen Raum u. A. mit dem Deutschen Buchpreis und der Goethe-Medaille.

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Sir Walter Scott: Chrystal Croftangrys Geschichte

Inhalt:

Chrystal Croftangry versucht am Ende seines Lebens es zum Schriftsteller zu bringen, nachdem er einst reich, dann verarmt, sich aus dieser Armut mĂŒhsam herausgekĂ€mpft hat. Er berichtet von Freud und Leid des ErzĂ€hlens, von der Begeisterung der Welt der Stoffe und Geschichten. Hoffen und Bangen eines angehenden Schriftstellers, verbunden mit Witz und Ironie. Sir Walter Scott schuf mit den Protagonisten seinen alten Ego und setzte sich und seinem Leben mit diesem Werk selbst ein Denkmal. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Rezension:

Bis auf wenige Werke ist das Schaffen Walter Scotts hierzulande fast vergessen. Nur wenige wĂŒrden einem spontan einfallen und das auch nur, wer sich wirklich intensiv auseinandersetzt. „Ivanhoe“ vielleicht, könnte als erste ErzĂ€hlung genannt werden, danach aber wird es schon schwierig. Im englischsprachigen Raum mag das anders aussehen, was aber als gesichert gelten kann, dass der zu seinen Lebzeiten durchaus auch hier bekannte Schriftsteller das Bild Schottlands in der Welt geprĂ€gt hat und bei Gelehrten wie Goethe Anklang fand.

Als einer der BegrĂŒnder des historischen Romans schuf er Vorlagen, die noch heute Grundlage fĂŒr zahlreiche TheaterstĂŒcke, Opern und Filme sind, aber vor allem zahlreiche Werke, die eng mit der Geschichte Englands und Schottlands verbunden sind. Auch seinem Leben und Werken setzte er ein Denkmal in ErzĂ€hlform. Dieses liegt nun, neu ĂŒbersetzt von Michael Klein, vor.

Hauptprotagonist ist der verarmte Adel Chrystal Croftangry, der das Vermögen seiner altehrwĂŒrdigen Familie durchgebracht hat und sich nur langsam, mit Hilfe einiger Weniger, aus den Sumpf ziehen kann, mit ein wenig GlĂŒck wieder Fuß fasst und dann beginnt ErzĂ€hlstoff zu sammeln, mit dem Ziel ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Nebenbei erzĂ€hlt er selbst im Verlauf der Handlung aus seinem Leben, so dass wir hier ein Roman in Roman in Roman lesen dĂŒrfen. Zahlreiche Anspielungen auf die schottische Geschichte inbegriffen.

Ebene Eins ist die Rahmenhandlung, in der Walter Scott sich mit dem Hauptprotagonisten eine Figur alten Egos schuf und so diese praktisch im Autoren selbst ĂŒbergeht, Ebene Zwei ist die Einbindung und Abwandlung schottischer Geschichte und Legenden, die widerum selbst eigenstĂ€ndig gelesen werden können und wen das noch nicht zu chaotisch wirkt, kann nebenbei auch ĂŒber die Tragik Walter Scotts etwas erfahren, die in seinen letzten Schaffensjahren ihren Höhepunkt fand.

Das ist viel zu viel, zumindest fĂŒr die heutige Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne kaum mehr in den Raum zwischen Wand und Tapete passt. Unterschiedliche ErzĂ€hltempo und Stile fĂŒgen sich nicht zu einem harmonischen Ganzen, abrupte ÜbergĂ€nge erschweren das Lesen. Kaum zu glauben, dass das damals funktioniert hat.

Über manche Literatur legt sich mit der Zeit jedoch zurecht ein Mantel des Vergessens. Vielleicht ist dieses Werk eher als Beispiel fĂŒr das Studium der Geschichte englischer Literatur geeignet, denn als Historien-Schmöker funktioniert es nicht. Zu viele Themen werden auf so wenigen Seiten aufgegriffen, kaum ausgefĂŒhrt, zudem wirkt die AusschmĂŒckung der tatsĂ€chlichen Geschichte doch sehr gewollt.

Positiv ist genau eine ErzÀhlung innerhalb der ErzÀhlung hervorzuheben. Das reicht nicht.

Autor:

Walter Scott wurde 1771 in Edinbirgh geboren und war ein schottischer Schriftsteller, Dichter, Verleger und Literaturkritiker und gilt als traditioneller BegrĂŒnder des Geschichtsromans. Viele seiner Werke dienen bis heute als Grundlage fĂŒr Schauspiele, Opern und Filme. er prĂ€gte das Bild der öffentlichen Wahrnehmung Schottland und war einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit.. Er starb 1832 in Abbotsford.

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Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Inhalt:

Eine außergewöhnliche Geschichte ĂŒber die AnfĂ€nge der AufklĂ€rung – erzĂ€hlt mit der Stimme des Jungen Angus, der von der abgelegenen Insel St. Helena auf abenteuerlichen Wegen nach London reist, um bei dem berĂŒhmten Sternenforscher Edmond Halley in die Lehre zu gehen und sich seinen Traum von Wissen zu erfĂŒllen. (Klappentext)

Rezension:

Kaum ein Ort könnte abgelegener sein als St. Helena, diese Insel inmitten des Atlantiks zwischen Afrika und SĂŒdamerika, auf der Stand heute, ein paar tausend Menschen leben. Der finnische Autor Olli Jalonen nimmt uns mit, dorthin auf eine Zeitreise und einem großen Abenteuer, im Zeitalter des Beginns der AufklĂ€rung, der Hinwendung zu den Wissenschaften und großer Namen.

Hauptprotagonist, aus dessen Sicht die gesamte Geschichte erzĂ€hlt wird, ist der zu Beginn achtjĂ€hrige Angus‘, dessen Faszination dem Sternenhimmel gilt, den er im Auftrag des Astronoms Edmond Halley beobachtet. Dessen Reise durch den Atlantik , um an verschiedenen Punkten der Erde die Position der Magnetnadel zu bestimmen, ist historisch verbĂŒrgt und Grundlage dieses historischen Romans, der im 17. Jahrhundert angesiedelt ist und sofort den Lesenden das schon damals beschwerliche Inselleben jener Zeit vor Augen fĂŒhrt. Zudem ist da die politische Gemengenlage, in der sich selbst dieser kleine englische Vorposten befand. Hier in Gestalt des gegenspielenden Protagonisten, eines nicht nĂ€her benannten Gouverneurs, der die Inselbewohner traktiert.

SĂ€mtliche Angelegenheiten der Erwachsenen sind voller Windungen und Schatten. Wenn man einen normalen Schatten sieht und woran er hĂ€ngt, dass er zum Beispiel von einem Baum als Schatten des Baums auf die Erde geowrfen wird, dann weiß man Bescheid, aber wenn man nicht sieht, woran er hĂ€ngt, weiß man nichts.

Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Diese Ausgangslage benutzt Jalonen um eine Geschichte zu erzĂ€hlen, so ausschweifend wie die Himmelsbeobachtungen Halley sebst. Die handlungstragenden Protagonisten sind sofort sympathisch, auch spĂŒrt man sofort die schwierige Lage, in der die Inselbewohner sich befinden, auch wenn nur grob die Auswirkungen beschrieben werden. Details gehen in der Melancholie des Schreibstils unter, LĂ€ngen entstehen, durch die sich die Lesenden kĂ€mpfen mĂŒssen, gleichsam, auch fĂŒhrt der Klappentext in die Irre. Zumindest, was die GrĂŒnde fĂŒr Angus‘ beschwerliche Reise angeht.

Der Handlungsstrang, der per Text verfolgt wird, wird dennoch stringent erzĂ€hlt, leider nicht zu Ende, und zumindest die Hauptprotagonisten werden vielschichtig beschrieben, auch wenn so mancher Beweggrund fĂŒr die handelnden Personen unerwĂ€hnt bleibt.

Alles ist anders als es daheim jemals war. Ich bin hier, inmitten von alldem. Ich bin Angus, und Angus ist ich, und Ich-der-Totholz-Angus ist auf dem Weg zu den verschneiten Bergen.

Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Zudem ist es eine große SchwĂ€che, dass sich nach Ende des Romans nicht die MĂŒhe gemacht wurde, historische HintergrĂŒnde, Wahrheiten und TatsĂ€chliches aufzufĂŒhren, was als Grundlage der Geschichte gedient hat und was zwangslĂ€ufig dazu erfunden werden musste. Diese Recherchearbeit obliegt allein den Lesenden, trotzdem reiht sich „Die Himmelskugel“ in die Reihe großer ExpeditionsbĂŒcher ein, die bei dem Verlag erschienen sind, ohne den Vergleich mit diesen scheuen zu mĂŒssen.

Das melancholische ErzĂ€hlen hemmt den Lesefluss, an einigen Stellen hĂ€tten es zudem ein paar Seiten weniger gebraucht und die fehlende Aufstellung am Ende sind die großen Kritikpunte, denen gut ausgestaltete Protagonisten gegenĂŒber stehen, eine ĂŒber weite Strecken tragende gute Grundidee, die von einer Welt im Wandel erzĂ€hlt, von Mut und Vertrauen, großen Forschergeist.

Autor:

Olli Jalonen wurde 1954 geboren und ist ein finnischer Schriftsteller. Er studierte zunĂ€chst Sozial- und Literaturwissenschaften und promovierte 2006 an der UniversitĂ€t von Tampere. 1978 erschien sein Erstlingswerk, eine Novellensammlung, die ausgezeichnet wurde. 1990 erhielt er fĂŒr sein Werk den Finlandia-Preis, 2018 zum zweiten Mal. Er zĂ€hlt zu den bedeutendsten Autoren Finnlands. Seine Werke wurden in die skandinavischen Sprachen ĂŒbersetzt, einige wenige in weitere. Neben Romanen schreibt er Hörspiele, TheaterstĂŒcke und fĂŒhrt Regie beim Fernsehen.

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Laurent Binet: Eroberung

Inhalt:

Eine freimĂŒtige Wikingerin fĂŒhrt ihre MĂ€nner bis nach SĂŒdamerika. Mit ihnen gelangt ein Virus dorthin, dass die indigene Bevölkerung dezimiert. Die Wikinger mĂŒssen fliehen. Viel spĂ€ter ist Kolumbus nach Amerika unterwegs. Keiner seiner MĂ€nner kehrt nach Europa zurĂŒck. So kommt es, dass die Inka im 16. Jahrhundert in Portugal landen und Europa erobern. Sie besiegen in Frankreich Karl V. und in Spanien die AnhĂ€nger der Inquisition. In Deutschland machen sie GeschĂ€fte mit den Fuggern und nach Luthers Tod werden die „95 Thesen der Sonne“ in Wittenberg angeschlagen. In Mitten der Pestwirren treffen sich der Maler El Greco, der Schriftsteller Cervantes und der Philosoph Montaigne. (Inhaltsangabe nach Verlag)

Rezension:

Die Was-wĂ€re-wenn-Frage gehört zu einer der schwierigsten unter den Historikern, da diese nicht falsch beantwortet werden kann und zu viele Faktoren berĂŒcksichtigt werden mĂŒssen, dennoch ist sie eine der spannendsten, so man sich mit geschichtlichen Themen beschĂ€ftigt. Wir wissen um den Ausgang historischer Ereignisse, um so interessanter sind diese Gedankenspiele. Aus Geschichte muss man ja im besten Falle etwas lernen und mitnehmen können.

Eine dieser Fragen ist diese, was wĂ€re, wenn nicht Kolumbus auf den amerikanischen Kontinent gestoßen wĂ€re, sondern umgekehrt die Urvölker Amerikas Europa angelandet hĂ€tten? HĂ€tten sie die Oberhand im gesellschaftlichen GefĂŒge der damaligen Zeit gewinnen können? Wenn ja, wie lange hĂ€tten sie sich halten können und wie sĂ€he unsere Welt heute aus?

Wir wissen, dass es anders kam, doch der Historiker Laurent Binet hat dieses Planspiel zu einem erstaunlichen Roman gewoben, der jedoch viel weiter ausholt. Wissenschaftler sind sich heute einig, dass der Erfolg der EuropĂ€er in Amerika u.a. damit zusammenhĂ€ngt, dass sie Tiere wie Pferde nutzten, das Rad um Dinge ĂŒber weite Strecken zu transportieren und schon Feuerwaffen kannten. Hier gibt der Autor den indigenen Völkern Amerikas diese Errungenschaften an die Hand, und beginnt so zumindest in seinem Roman einmal die Erfolgsgeschichte umzudrehen.

Der Roman alleine ist am stĂ€rksten im Hauptteil dieser aus vier Abschnitten bestehenden Geschichte. Sehr schwach ist der letzte Teil. Durch die beiden zu Beginn stehenden Teile muss man sich einfach durchkĂ€mpfen, dann jedoch eröffnet sich ein historisches Szenario, in dem der Autor mit seinem Wissen glĂ€nzt, welches er zu Gunsten der Geschichte dem Volk der Inka in die HĂ€nde gibt. Die Protagonisten sind zumindest hier feinfĂŒhlig ausgebaut, wĂ€hrend in den anderen Abschnitten der Entwicklung der Figuren nicht genug Raum gegeben wird. Zu blass bleiben da einige Charaktere, woanders ist das Szenario sehr lĂŒckenhaft beschrieben.

Im Hauptteil jedoch entdeckt die Leserschaft Atahualpa und seine Mitstreiter als feinfĂŒhlige Entdecker deren vergleichsweise sanfte Eroberung sehr kontrĂ€r zu den tatsĂ€chlichen Geschehnissen in Europa steht und damit zeigt, wie die Geschichte hĂ€tte verlaufen können, wenn sie auf Seiten der indigenen Bevölkerung SĂŒdamerikas gewesen wĂ€re. Hier versinkt man völlig, was einem in den Seiten zuvor und auch im danach folgenden fast eintönig wirkenden Abschnitt um Cervantes nicht gelingen mag.

Den letzten Abschnitt vollkommen gestrichen, den ersten Abschnitte noch ein wenig mehr Tiefe gegeben und der Hauptgeschichte noch mehr Detailliertheit, wÀre dies ein Roman, der im oberen Wertungsbereich anzusiedeln ist. So jedoch ist trotz des sehr interessanten Szenarios nicht viel aus der Geschichte herauszuholen.

Autor:

Laurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und ist ein französischer Schriftsteller. ZunĂ€chst arbeitete er als Französischlehrer, publizierte im Jahr 2000 sein erstes Buch. Vier Jahre erschien sein zweites, in dem er von seinen Erfahrungen an Pariser Schulen berichtet. Oftmals spielen in seinen Werken historische Szenarien eine Rolle. FĂŒr sein Werk ĂŒber die Eroberung Europas durch das Volk der Inka wurde er 2019 mit dem Grand Prix du Roman der Academie francaise ausgezeichnet.

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Samantha Harvey: Westwind

Westwind Book Cover
Westwind Samantha Harvey Atrium Verlag Erschienen am: 18.09.2020 Seiten: 383 ISBN: 978-3-85535-077-3 Übersetzer: Steffen Jacobs

Inhalt:

England, 1491. In dem kleinen, abgelegenen Dorf Oakham bereitet man sich gerade auf die bevorstehende Fastenzeit vor, als eines Nachts ein UnglĂŒck geschieht. Thomas Newman, der wohlhabendste und einflussreichste Mann im Ort, wurde von der Strömung des Flusses mitgerissen.

Ein paar Tage spÀter taucht seine Leiche auf. War es ein Unfall, Mord oder Selbstmord? Dies herauszufinden, obliegt dem örtlichen Priester John Reve. WÀhrend sich durch die Beichten der Dorfbewohner langsam ein PortrÀt der Gemeinde zusammensetzt, kommen immer dunklere Geheimnisse ans Licht. Die Schuldfrage wird immer dringlicher. (abgeÀnderte Inhaltsangabe)

Rezension:

Szenarien bietet die Epoche des finsteren Mittelalters genug, so dass Fans historischer Romane sicher genug Auswahl haben. Die Themen sind so vielfÀltig, wie die historischen Figuren, selbst, wenn man frei schreibend, sich nicht an tatsÀchliche Geschehnisse orientiert.

So oder Ă€hnlich hĂ€tte es ablaufen, die Stimmung unter den Protagonisten sein können. Dieses GefĂŒhl mit einer Geschichte bei der Leserschaft zu wecken, dabei zu unterhalten, sollte das Ziel sein. Gelingt das, ist alles gut. Und dann gibt es noch Romane, wie den vorliegenden von Samantha Harvey.

Historische Romane bieten Platz fĂŒr das ganz große Kino, was man rein, den Klappentext betrachtend, erwarten darf. Ein Priester in Konfrontation mit dem Glauben, die Dorfbewohner durch den Tod eines Menschen verunsichert, der am wenigsten dafĂŒr prĂ€destiniert zu sein schien.

Ausufernde Intrigen, temporeiche, sich ĂŒberschlagende Spannungsmomente und die DĂŒsternis der Zeit. Auf diese freut man sich, nach dem Lesen der Inhaltsangabe, der ersten Zeilen, die aus der Sicht des Hauptprotagonisten geschrieben sind. „Westwind“, bietet jedoch allenfalls nur Schmalspur.

Gleichsam wie das beschriebene Dorf ist auch in dieser ErzÀhlung alles mehrere Nummern kleiner. Spannungsmomente können ihre Wirkung kaum eine Seite lang halten, so dass das Tempo dem eines vor sich hin plÀtschernden Baches gleicht.

Das ist auf der Strecke ermĂŒdend, zumal nur die Hauptprotagonisten einigermaßen vielschichtig sind, wĂ€hrend der Rest der Figuren relativ farblos erscheint. Die Stimmung, die Samantha Harvey erzeugen wollte, kommt hier nicht auf, zudem das Ende mich unbefriedigt zurĂŒckgelassen hat.

Liegt es am Hintergrund des gestalteten Protagonisten, dem Szenario, der Idee dahinter? Nein, aber Sprache bedingt Wirkung, Spannungsbögen halten Lesende bei der Stange. Beides setzt die Autorin auf’s Spiel, zudem hier mehr Zwiespalt innerhalb der Figurenkonstellationen gepasst hĂ€tte und vielleicht noch die eine oder andere Verwicklung mehr.

Mit dem vorliegenden hĂ€tte man weniger Seiten besser fĂŒllen können. Unter historischer Spannungsliteratur stelle ich mir anderes vor, auch als detektivischer Roman, angesiedelt im Mittelalter, ist mir das zu dĂŒnn. Leider.

Autorin:

Samantha Harvey wurde 1975 geboren und ist eine englische Autorin. ZunÀchst studierte sie Kreatives Schreiben und Philosophie, bevor sie ihren ersten Roman im Jahr 2009 veröffentlichte. Kreatives Schreiben unterrichtet sie zudem an der Bath Spa University, wo sie als Dozentin tÀtig ist.

Harvey wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt u.a. den AMI Literature Award. Im Jahr 2010 wurde sie von The Culture Show zu einer der zwölf besten neuen britischen Schriftstellerinnen ernannt.

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Luca di Fulvio: Das Kind, das nachts die Sonne fand

Das Kind, das nachts die Sonne fand Book Cover
Das Kind, das nachts die Sonne fand Luca Di Fulvio bastei LĂŒbbe Erschienen am: 12.03.2015 Seiten: 830 ISBN: 978-3404-17180-4

Handlung:

RaĂŒhnval, ein opulentes Herrschaftsgebiet in den Ostalpen. Dort fĂŒhrt der junge Marcus ein priviligiertes Leben als Sohn des LandesfĂŒrsten. Bis zu dem Tag, als bei einem Massaker seine Familie und alle ĂŒbrigen Burgbewohner ermordet werden. Marcus ĂŒberlebt dank der Hilfe Eloisas, der Tochter der Hebamme, und findet Aufnahme bei den Dorfbewohnern. Doch die Herrschaft eines grausamen neuen FĂŒrsten lĂ€sst bald einen kĂŒhnen Plan in ihm reifen: Marcus will fĂŒr ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit kĂ€mpfen, fĂŒr sich und fĂŒr die ĂŒbrigen Leibeigenen des Reichs.

Ein Vorhaben, das ihn erneut mit den dunkelsten Seiten des menschlichen Seins konfrontiert. Und ihm abermals das Kostbarste zu entreißen droht… (Klappentext)

Rezension:

Wenn ich Geschichte lesen möchte, greife ich meistens zu SachbĂŒchern, da ich nicht möchte, dass historische Fakten allzu sehr verdreht werden. Dann nĂ€mlich besteht die Gefahr, nicht mehr zwischen geschehenes und erfundenem unterscheiden zu können. Doch, habe ich mich dieses Mal an das neueste Werk von Luca di Fulvio gewagt, dessen andere Bestseller ich bisher unbeachtet gelassen hatte. Der italienische Autor nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ins tiefste Mittelalter, genauer 1407, wo der 9-jĂ€hrige Marcus als Sohn des LandesfĂŒrsten von RaĂŒhnval ein umsorgtes Leben fĂŒhrt.

Er schlĂ€ft in einem echten Bett, ist nie hungrig und wird von seinen Eltern nach allen Regeln erzogen, die ihn spĂ€ter zum Nachfolger seines Vaters werden lassen sollen. Marcus ahnt nichts von der Welt da draußen, wo die Bewohner der Dörfer in Armut leben und mit den einfachsten Mitteln zurechtkommen und von dem leben mĂŒssen, was Feld, Wald und Tiere hergeben.

Doch, der FĂŒrst ist gerecht und das Leben einigermaßen ertrĂ€glich. Doch, auf einmal Ă€ndert sich alles. Die Herrscherfamilie fĂ€llt einem Massaker zum Opfer und nur Markus wird gerettet durch die mutige Tat von Eloisa, einem kleinen MĂ€dchen seines Alters.

Doch nun, aller Privilegien beraubt, muss er ums Überleben kĂ€mpfen. FĂŒr ihn heißt das, lernen, wie ein einfacher Mensch zu leben und zu arbeiten. Die Vergangenheit lĂ€sst ihn jedoch keine Ruhe. Der grausame neue FĂŒrst hat, ohne von der wahren IdentitĂ€t des Jungen zu ahnen, im stĂ€ndig in Blick, wie alle anderen Leibeigenen auch. Marcus lernt sich zu behaupten und in seinem Inneren entwickelt er einen kĂŒhnen Plan.

Ein atemraubendes HistorienstĂŒck, Abenteuer und Krimi zugleich und eine beeindruckende Zeitreise. Auch, wenn es RaĂŒhnval nicht wirklich gegeben hat. Doch, so oder Ă€hnlich hĂ€tte es sich durchaus abspeielen können als in Mitteleuropa noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation existierte und unzĂ€hlige FĂŒrsten um die Vormachtstellung im Reich kĂ€mpften und Komplotte mit- und gegeneinander schmiedeten. Der Unterschied zwischen Landbevölkerung und herrschenden Adel wird hier sehr schön und detailliert dargestellt, die Charaktere sind vielschichtig und nicht statisch. TatsĂ€chlich ist die Wandlung, die Luca di Fulvio vor allem Marcus/Mikhail zuschreibt, beeindruckend beschrieben, was auch fĂŒr die ĂŒbrigen Protagonisten gilt. TatsĂ€chlich versinkt man in diese Welt, leidet mit, hofft und bangt, so dass die ĂŒber 800 Seiten schnell verfliegen. Ein sehr guter Historienroman, ĂŒber einen Jungen, der nachts die Sonne fand.

Autor:

Luca di Fulvio wurde 1957 geboren und studierte nach der Schule Dramaturgie. Anschließend war er Mitglied des Livingf Theatre in London, bevor er 1996 seinen ersten Roman in Italien veröffentlichte. Der in Rom lebende Schriftsteller, dessen Werk „Der Junge, der TrĂ€ume schenkte“ 2011 ins Deutsche ĂŒbersetzt wurde, beschĂ€ftigt sich dabei immer wieder mit Problematiken wie Gewalt gegen Frauen oder das Leben der Emigranten im Noew York der 20er Jahre. „Das Kind, das nachts die Sonne fand“ ist sein dritter Roman, der im deutschsprachigen Raum erscheint.

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