Erika Mann

Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller

Inhalt:

Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. John Dos Passos und Erika Mann, Erich Kästner und Martha Gellhorn, Willy Brandt und Markus Wolf: Sie kamen, um zu berichten – von den Gräueln des Krieges und des Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte in seinem aufregenden und bewegenden Buch. (Klappentext)

Rezension:

In den Abgrund blickend, saß die Welt 1946 in Nürnberg zu Gericht, wo die noch Lebenden der ehemaligen NS-Führungsriege sich verantworten mussten, für die Auswirkungen ihrer Politik und Entscheidungen, die zum Krieg führten und in die Verbrechen des Holocausts mündeten. Das Unfassbare in Worte fassen, eine Sprache dafür zu finden und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, oblag den zahlreichen Journalisten und Schriftstellern, die den Prozessen beiwohnten, gänzlich oder zeitweise.

Im Gerichtssaal den einstigen Tätern gegenüber sitzend, danach im von den Alliierten eingerichteten Presse-Quartier auf Schloss Faber-Castell zu versuchen, dies zu verarbeiten und in Worte zu fassen. Der Germanist Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte.

Als im Februar 1933 das NS-Regime auch gegenüber den Kulturschaffenden seines Landes die Macht zementierte, ahnten wenige, dass die Welt nur Jahre später in Trümmern liegen und zu Gericht sitzen würde über die Führungsriege eines Staats, der Millionen Menschenleben forderte. Über diesen Beginn berichtet Uwe Wittstock in seinem viel beachteten literarisch wirkenden Sachbuch. Das Ende, an dem zu einem kleinen Teil die gleichen Protagonisten Anteil nahmen, wird nun in diesem Werk in den Blick genommen.

Anders als Uwe Wittstock hangelt sich jedoch Uwe Neumahr nicht entlang eines Zeitstrahl, sondern beschreibt das Unwirkliche anhand von Personenkonstellationen, die schon für sich selbst genommen so besonders sind, wie der Prozess selbst, ob zu der geschilderten Zeit, davor oder erst viel später.

Das Geschehen der Verhandlungen, im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung war es anzahlmäßig nie nur ein einziger Prozess, gibt den Rahmen vor, ein sehr sonderbares Stück Geschichte einmal aus einem anderen Blickwinkel aufzuzeigen, der heut abseits der bekannten Bilder fast vergessen ist. In sich kompakt und geschlossen wirken die Kapitel, die zusammen einer Linie folgen und in der sich der Autor vor allem auf einzelne Biografien und der dadurch beeinflussten Wahrnehmung fokussiert.

So wurde der Prozess nicht nur von den Journalisten der verschiedenen Herkunftsländer unterschiedlich aufgenommen, auch abseits aller Ideologie oder Geografie gab es in der damaligen journalistischen Betrachtung durchaus ausgemachte Unterschiede. Wie wurde der Prozess etwa von den wenigen anwesenden weiblichen Journalistinnen gesehen? Wie schauten sei auf Angeklagte, Kläger und Richter? Wie schauten die Schreiberlinge auf das Leben und Wirken ihrer Konkurrenz? Gab es Unterschiede in der Betrachtung zwischen ausländischen und den wenigen anwesenden deutschen Journalisten?

Wie gestalteten sich und wirkten Verwerfungslinien im journalistischen Arbeiten während oder in Folge der Prozesse? Der Autor folgt diesen und geht der unterschiedlichen Betrachtungen von John Dos Passos oder Martha Gellhorn auf dem Grund, beschreibt die Wahrnehmungen von Erika und Golo Mann oder etwa Willy Brandts und Markus Wolf, deren Biografien sich dort zum ersten Mal kreuzen sollten.

Diese Vielfalt macht dieses Sachbuch zu einer aufwühlenden und zugleich spannenden Lektüre, die innerhalb einer besonderen und sehr sensibel anzufassenden Thematik gut recherchiert weitere Besonderheiten herausschält. Es liegt dabei in der Natur des Textes, dass einzelne Längen durchzuhalten sind, aber durch die relativ kurz gehaltenen Kapitel fällt dies nicht weiter ins Gewicht. Die Perspektive wechselt nicht nur zwischen den einzeln beleuchteten Personen, die Dynamik kommt immer wieder durch das jeweilige Gegenüber zustande.

Diese Art und Weise Geschichte nicht kalenderartig zu erzählen, sondern indirekt über die sie zur damaligen Zeit erlebenden Personen schafft einen sehr besonderen Zugang. Zugleich ist es ein Sachbuch, welches dadurch innerhalb der Bücher gegen das Vergessen einfach heraussticht. Diese Perspektivensammlung gibt es bisher so zu selten. Gestützt auf zahlreiche Quellen und einer Fülle an Archivmaterial hat Uwe Neumahr eine Lektüre geschaffen, die zugleich einer Vielfalt an journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten ein Denkmal setzt, die damit ebenso gewürdigt und manchmal kritisch betrachtet werden muss, wie die Vorgänge, denen Kästner und andere beiwohnten.

Über die eine oder andere dort beleuchtete Person lohnt es sich dabei durchaus ein wenig Grundwissen in der Hinterhand zu haben. Die Lektüre lädt jedoch ein, selbstständig ergänzend zu recherchieren, so dass man selbstständig noch viel mehr Informationen zusammentragen kann. Wenn man denn möchte. Auch ohne bekommt man jedoch ein umfassendes Bild über jene, die sich einer fast unlösbaren Aufgabe gegenüber sahen.

Uwe Neumahr würdigt an der einen und beleuchtet kritisch an anderer Stelle. So ausgewogen möchte man mehr davon lesen. Das was da ist, lohnt sich.

Autor:

Uwe Neumahr wurde 1972 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Literaturagent. In Tübingen und Pisa studierte er zunächst Literaturwissenschaft, promovierte in Köln und war Mitarbeiter der Forschungsstelle zur spanischen Renaissance der Universität Kiel. Danach arbeitete er als Lektor, sowie als Literaturagent, seit 2013 in München, wo er zahlreiche nationale und internationale Autor:innen vertritt. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, u. a. einer Biografie über Cervantes, die 2015 erschien.

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Unda Hörner: 1929 – Frauen im Jahr Babylon

1929 - Frauen im Jahr Babylon Book Cover
1929 – Frauen im Jahr Babylon Unda Hörner ebersbach & simon Erschienen am: 19.08.2020 Seiten: 253 ISBN: 978-3-86915-213-4

Inhalt:

1929 – die wilden Zwanziger entfalten noch einmal ihre volle Blüte, es ist ein letzter Tanz auf dem Vulkan. Marlene Dietrich spielt die Rolle ihres Lebens in Der Blaue Engel, Vicki Baum wird mit Menschen im Hotel weltberühmt und Lotte Jacobi zur Starfotografin der Berliner Prominenz.

Clärenore Stinnes tourt todesmutig im Auto um die Welt, Louise Brooks öffnet in Berlin Die Büchse der Pandora und Lotte Lenya feiert als Seeräuberin Jenny in der Dreigroschenoper triumphale Erfolge. Unda Hörner lädt ein zu einer faszinierenden Zeitreise auf den Spuren berühmter Frauen und entwirft ein facettenreiches Panorama weiblicher Kulturgeschichte im Jahr Babylon. (Klappentext)

Rezension:

Immer bedrohlicher zeigen sich dunkle Wolken am Himmel, als die letzten Monate des Jahres voranschreiten. Hetze in den Zeitungsblättern tritt deutlicher zu Tage, die Wirtschaft gerät ins Wanken. Doch, bevor es so weit ist, feiert sich die Welt noch einmal selbst. Mittelpunkt des Tanz’ auf dem Vulkan ist die Metropole an der Spree, wo sich die Lebenswege ihrer Protagonistinnen kreuzen.

Die Autorin Unda Hörner nimmt uns mit auf eine Zeitreise, durch ein Jahr gleichsam als Sammlung kultureller Höhepunkte und legt damit einen wunderbaren Roman vor.

Der hat es in sich. Gegliedert nach Monaten beginnt die Zeitreise im Januar 1929. Kurzweilig sind die Abschnitte, handlich zu lesen die Kapitel. Mittelpunkt sind die Menschen, die das letzte Jahr der Goldenen Zwanziger prägten, wobei der Fokus hier auf die kulturelle und vor allem weibliche Seite gelegt wird.

Die studierte Germanistin begibt sich dabei auf den Spuren von Erika Mann, ebenso Marlene Dietrich, die den Dreh für einen Film beginnen wird, der ihr zum Durchbruch verhilft. Wir begleiten die Verlegerin an der Seite Erich Kästners und schauen durch die Linse Lotte Jacobis, die die Berliner Prominenz auf Zelluloid zu bannen weiß. Eine unvollständige, aber bezeichnende Sammlung in Romanform, die es in sich hat.

Es sollte das letzte Jahr friedlicher Unbeschwertheit sein, und so erlebt der Lesende Menschen, die gleichsam optimistisch und gespannt in die Zukunft blicken. Zumindest zunächst. Frauen, die bisher im Hintergrund tätig waren, treten nun nach vorne und bahnen sich sich zurecht ihren Weg. der führt dann schon einmal querfeldein durch Amerika oder in die dunklen Hallen des damals modernsten Studios für den damals noch relativ neuen und aufstrebenenden Tonfilm.

Geschickt hat die Autorin hier historische Fakten in einem historischen Roman eingewebt, der oftmals sehr still ist, mit Spannungsbögen sehr sparsam umgeht. Schließlich sind die Ereignisse ja bekannt. Was daraus Unda Hörner jedoch entwickelt hat, diese Dialoge, die die Erzählung lebendig werden lassen und tatsächlich so abgelaufen sein könnten, ist einfach schön.

Hier trifft es einmal, dass schöne Sprache nicht nur zu einem Kunstprodukt führt, sondern sich gut lesen lässt.

Wir begleiten Marlene Dietrich auf den Weg zu ihrer wohl größten Rolle und schauen Erika Mann über die Schulter, die versucht aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters herauszufinden, der den Nobelpreis bekommen wird. Wer diesen Roman liest, wird durch die Kameralinse von Lotte Jacobi schauen und eine Verlegerin bei der Suche nach einem Autoren begleiten, der ihr ein modernes Kinderbuch schreiben soll.

Alleine diese Geschichten schon sind interessant, ausgeschmückt mit vielen Details auf doch so wenigen Seiten kann man das letzte Jahr der 1920er Jahre hier praktisch durch die kulturelle Lupe betrachten. Sehr dicht wird das alles erzählt, Momente zum Innehalten, wie auch der Rausch der Zeit zu spüren ist, für jeden, der das liest.

Große Kunst ist das.

Autorin:

Unda Hörner wurde 1961 in Kaiserslautern geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der Freien Universität Berlin Germanistik und Romanistik, promovierte im letzteren 1993 über Elsa Triolet. Seither beschäftigt sie sich mit berühmten oder weniger berühmten Frauen und brachte mehrere Romane und zahlreiche Biografien zu Papier. Im Jahr 2001 erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis.

Die Autorin, die auch als Journalistin, Übersetzerin und Herausgeberin tätig ist, veröffentlichte u.a. “1919 – Das Jahr der Frauen”, sowie “Kafka und Felice”, welches 2017 erschien.

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