Dichtung

Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen

Inhalt:
Erich Mühsam schrieb seine „Unpolitischen Erinnerungen“ zwischen 1927 und 1929 als Auftragsarbeiten für eine Zeitung. Erst 1949 erschienen diese als Buch unter dem Titel „Namen und Menschen“. Er führt die Leser durch die Kneipen, Kaffeehäuser und Kabaretts, ­beschreibt die geheimen Gesellschaften, Freundeskreise, Stammtische und Wohngemeinschaften verschiedener Städte und stellt die Künstler der Boheme vor. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:
Posthum erschienen die „Unpolitischen Erinnerungen“ von Erich Mühsam, nachdem er 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet und nach Kriegsende die DDR gegründet worden war. Der Schriftsteller und Antimilitarist schrieb sie für eine Zeitung. Unpolitische Kolumnen eines politischen Menschen, der vom reichhaltigen und turbulenten Kulturleben der späten 1920er Jahre erzählt. Neu aufgelegt tauchen wir darin ein, erleben Frank Wedekind, Heinrich Mann und viele andere aus der Sicht eines Getriebenen.

Das vorliegende Werk ist sowohl Reportagesammlung als auch biografisches Versatzstück und zeichnet sich eben dadurch aus, dass jemand, der beständig aneckte, seine Thematik, womit er das tat, außen vorlassen musste und gerade durch diese damit entstandene Lücke erzählte. Temporeich erzählt der Autor vom wandelhaft unbeständigen Kulturbetrieb, in dem Stadtviertel zum Schmelztigel von Journalisten, Autoren und Malern wurden und ein jeder sein Auskommen suchte. Ereignisse reihen sich da aufeinander wie Perlen auf eine Kette, doch muss man aus dem Heute heraus innehalten. Was haben diese oder jene Personen zu den Zeitpunkt gemacht? Wer war das? Der Text, der sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch leicht gelesen haben muss, wirkt schwerfällig.

Und doch lohnt es sich, ihn zu lesen und nebenbei zu recherchieren. Dazu lädt Mühsam aus heutiger Sicht ein. Interessante Schauplätze für nicht minder spannende Biografien entdeckt man da und spürt doch zwischen den Zeilen, dass der Autor ihn die ganze Zeit über ahnt, den großen Knall, der da kommen wird.

Stete Wiederholungen und Rückgriffe auf Vergangenes machen es nicht leicht, im Lesefluss zu bleiben, auch den Überblick zu bewahren. Hier wird heute vor allem angesprochen, wer sich in der Kulturszene auskennt, innerhalb dessen diese Texte, die hier so schön versammelt sind, bereits auskennt. Für andere bleibt der Text nurmehr als Stichwortgeber eines ruhelosen Menschen, der stets, so scheint es, glücklos gewesen ist, dessen Biografie nur so von Rückschlägen gezeichnet ist und für sich genommen spannender wirkt als es die „Unpolitischen Erinnerungen“ vermögen, zu erzählen. Eben, weil aus heutiger Sicht der politische Teil fehlt, was nicht die Schuld des Autoren selbst ist, jedoch viel zu wenig ausführlich durch den diese Ausgabe begleitenden Text eingeordnet wird.

Und das erzeugt hier ein unrundes Werk, aus heutiger Sicht, eines Menschen mit Ecken und Kanten.

Ergänzung:
Nachtragen möchte ich hier die einordnenden Worte von Henning Venske, seines Zeichens Schriftsteller und Kabarettist. Er hat zu diesem Werk Vor- und Nachwort verfasst, die ich in meiner Rezension zunächst nicht habe berücksichtigt. Ein Text muss erst einmal so für sich alleine stehen und wirken. Nun ist der Einordnende Kenner des Metiers, in dem sich Erich Mühsam bewegte, wenn auch so einige Jahrzehnte später. Ich habe daher mir seine Worte und auch meine Rezension mir noch einmal zu Gemüte geführt. Unter der Berücksichtigung bin ich gerne bereit, hier etwas Eis abzukratzen. Mit etwas Abstand würde ich vor allem dies bezüglich nicht ganz so harte Worte wählen. Vielleicht gibt es neben der Lese-Stimmung, in der man für ein Buch sein muss, auch eine Rezensions-Schreib-Stimmung? Oder es liegt einfach daran, wenn andere Bücher zuvor einem positiver erwischt haben? Wie dem auch sei, ich ergänze gerne nach nochmaligen Überlegen, die Sterneanzahl auf 3 1/2 (nicht ganz vier) Sterne, lasse aber die ursprüngliche Rezension stehen. In der Rückschau sicherlich auch nochmal interessant, sollten beide, Henning Venske und Erich Mühsam mir noch einmal begegnen.

Autor:
Erich Mühsam wurde 1978 in Berlin geboren und war ein deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu Festungshaft verurteilt wurde, aus der er vorzeitig entlassen wurde. In der Weimarer Rebublik setzte er sich für die Freilassung politischer Gefangener ein. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

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Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Inhalt:

Das Buch ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit. Bücher lassen Worte durch Zeit und Raum reisen und sorgen dafür, dass Ideen und Geschichten Generationen überdauern. Irene Vallejo nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches, von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des römischen Reiches.

Dabei treffen wir auf rebellische Nonnen, gewiefte Buchhändler, unermüdliche Geschichtenerzählerinnen und andere Menschen, die sich der Welt der Bücher verschrieben haben. (Klappentext)

Rezension:

Bücher sollten noch lange nicht in der uns bekannten Form existieren, da schon machten längst Legenden die Runde durch die damals bekannte Welt, die sich wie der Plot eines spannenden Kriminalromans lesen. Agenten des Pharaos waren unterwegs um für die Bibliothek ihres Herrschers Schriftstücke zu sammeln, für die Ägypter teils mehr wert als Gold.

Da schon hatte das geschriebene Wort einen langen Weg hinter sich, der bis zu den ersten gebundenen Büchern dennoch langwierig anmuten sollte. Irene Vallejo erzählt sie, die Geschichten von Herrschern, die um die Macht des Wortes wussten, vom beschwerlichen Weg von Papyrus zu Papier und von der Strahlkraft erster Bibliotheken der Antike.

Wenn er durch Alexandria streifte, sah er unter der realen Stadt die abwesende Stadt pulsieren. Obwohl die Große Bibliothek verschwunden war, hingen ihr Echo, ihr Flüstern und Wispern weiter in der Luft.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Die spanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo reist mit uns in die Antike und erzählt von den Anfängen eines Gegenstandes, der sich unzählige Male gewandelt hat, heute gar als Hörbuch oder als elektronische Datei existiert und erst durch entsprechende Gerätschaften sichtbar gemacht werden muss.

Die Verbreitung des Lesens führte zu einem neuen Gleichgewicht der Sinne. Bisher hatte sich die Sprache ihren Weg durch die Ohren gebahnt, mit der Erfindung der Buchstaben aber wanderte ein Teil der Kommunikation zu den Augen ab.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

„Papyrus“ liest sich dabei nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern wie ein Spannungsroman, zuweilen mit Krimi-Elementen. Wer liest, nimmt die Perspektive von erzählenden Philosophen ein, die um Worte rangen, und der Unveränderlichkeit dieser, waren sie einmal auf Papyrus oder Pergament festgehalten, misstrauten, von Herrschern im Größenwahn und vom Kampf der ersten Kopisten gegen den Verfall.

Von den meisten Werken gab es nur wenige Kopien, und dass ein bestimmter Text vollständig erlosch, war eine sehr reale Bedrohung. In der Antike konnte das letzte Exemplar eines Buchs jeden Augenblick aus einem Regal verschwinden, von Termiten zerfressen oder von der Feuchtigkeit unwiederbringlich beschädigt werden. Und während das Wasser oder die mahlenden Kiefer der Insekten ihre Arbeit taten, verstummte eine Stimme für immer.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Vallejo legt dabei zum einen ihren Fokus auf hervorstechende Einzelpersonen, lässt jedoch auch tief ins Innere antiker Gesellschaften schauen, zeigt die Dramatik der ersten Zensur, aber auch warum das Buch an sich, in welcher Form auch immer, schon damals eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. In kurzweiligen Kapiteln, die sich jeweils schwerpunktmäßig auf eine Biografie oder ein Ereignis konzentrieren, eröffnet die Autorin uns einige neue Blickwinkel auf die Anfänge und der Schicksale des Buches.

So lohnt es sich durchaus, auch dieses zu lesen.

Autorin:

Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa geboren und ist eine spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie klassische Literatur in Saragossa und Florenz und promovierte anschließend. Sie spezialisierte sich dabei auf die Antike. Für Tageszeitungen und Zeitschriften schreibt sie Kolumnen, veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman.

2020 gewann sie den Literaturpreis Premio Nacional de Ensavo, 2021 den Premio Aragon, die höchste Auszeichnung, die die Regionalregierung der autonomen Region Aragon vergibt. „Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist ihr erstes Sachbuch.

Die Rezension wurde auf Grundlage eines Rezensionsexemplares geschrieben, welches ausgewählte Kapitel enthielt, um Übersicht und Eindruck von der Art des Textes zu geben.

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Ernest van der Kwest: Die Eismacher

Die Eismacher Book Cover
Die Eismacher Autor: Ernest van der Kwest Rezensionsexemplar/Roman btb Verlag Taschenbuch Seiten: 384 ISBN: 978-3-442-71597-8

Inhalt:

Seit fünf Generationen haben sich die Talaminis der süßen Kunst des Eismachens verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie aus dem „Tal der Eismacher“ in den malerischen Dolomiten nach Rotterdam über.

In ihrem kleinen Eiscafe gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der ältere Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Lesen so sehr wie das Eis. Bis eines Tages sein Bruder Luca ein höchst ungewöhnliches Anliegen hat… (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman über zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Welt des Eismachens, handwerklich schwere Arbeit, wenn man das süße klebrige Etwas nicht maschinell, sondern per Hand herstellt.

Nach Rezepten, die man von Generation zu Generation weitergibt, irgendwann nur noch nach Gefühl befolgt und damit den Besuchern eines Eiscafes für ein paar Minuten eine kleine Freude bereitet, einerseits. Andererseits, die Welt der Poesie, der Lyrik, die Gefühle nicht in Aromen, aber in Worten auszudrücken vermag. Geschriebene Zeilen, denen man sich öffnen und sich darin fallen lassen muss.

Beide Welten sind die von Giovanni, der eines Tages mit der Tradition seiner Familie brechen muss, um sich einer konkret zu widmen, dabei alle enttäuscht. Seinen Bruder, der daher seine eigenen Träume zurückstellen muss, seine Eltern, die in ihm an sich den Nachfolger seines Großvaters und seines Vaters selbst sehen, seine Liebe zur Literatur nicht verstehen wollen und können und immer wieder darauf stoßen, wie sehr dieser Bruch einen Riss durch die Familie gezogen hat.

Ernest van der Kwast hat mit „Die Eismacher“ einen wahrhaft poetischen Roman geschrieben, in dem der Generationenkonflikt schon früh angelegt und herausgearbeitet wird. Sehr detailliert wird die handwerkliche Arbeit, die Geschichte des Eismachens dargestellt.

Hier merkt man die Recherchearbeit des Autoren, der sich zudem mit den Schwierigkeiten des familiären Zusammenhaltes befasst, wenn die Kinder etwa während der Eissaison ins Internat müssen, fernab des Eiscafes und damit von den Eltern getrennt, sowie den Riss, der sich durch die Familien zieht, sowie den Zwang, eine Arbeit aufzunehmen, die von Generation zu Generation vielleicht immer unattraktiver wird.

Perspektivwechsel zwischen den erwachsenen Ich der Protagonisten und Kindheitsrückblicken zeigen diese Differenz auf, schon in den ersten Zeilen spürt man den Gegensatz zwischen den beiden Brüdern, die auseinander streben, jedoch nicht ohneeinander können.

Doch genau da, spätestens ab etwa der Mitte des Handlungsverlaufes wird es unglaubwürdig. Die Bitte des Bruders, auf die im Klappentext so schön hingewiesen wird, ist im realen Leben kaum vorstellbar, der Umgang mit den Folgen, so sie auch positiv sind, einfach nur unverständlich und nicht nachvollziehbar.

Der Schreibstil ist klar. Jede Zeile lässt die Liebe des Autoren für das Kulinarische, das Eis, und das Seelische, die Literatur, erkennen, doch der Handlungsverlauf bremst den Spannungsbogen ab, die Auflösung der Geschichte stimmt nicht zufrieden.

Positiv ist, dass man viel erfährt über die Geschichte des Eismachens, über die Schwierigkeiten der Herstellung, die beim Eiscafe-Besuch kaum gewürdigt werden und der angelegte Konflikt. Unzufrieden macht die Auflösung und der Umgang der Protagonisten untereinander. Eine Geschichte mit Ecken und Kanten, gar nicht so rund wie eine Eiskugel. Welche Sorte auch immer.

Autor:

Ernest van der Kwast wurde 1981 in Bombay geboren, und ist ein niederländischer Autor und Journalist. Bevor er Schriftsteller wurde, erreichte er im Hochleistungssport, in der Disziplin Diskuswurf nationale Bedeutung. Er gab den Sport auf, studierte Wirtschaftswissenschaften, veröffentlichet später eine Sammlung von Erzählungen und einen Roman. Mit dem Aufschreiben seiner Familiengeschichte gelang ihn 2010 der Durchbruch.

Der Autor war Chefradakteur einer niederländischen Literaturzeitschrift, später Autor einer satirischen Kolumne in einer Internetausgabe des NRC Handelsblad. Zeitweise lebte er mit seiner Familie in Südtirol, derzeit jedoch wieder in Amsterdam.

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