Babylon

Anthony Bale: Reisen im Mittelalter

Inhalt:

Ob Pilgerinnen oder Kaufleute, Ritter, Mönche oder Spione – die Leidenschaft für das Reisen packte die Menschen bereits im Mittelalter. Getrieben von Fernweh und Abenteuerlust die einen, auf der Suche nach religiöser Erleuchtung oder Ruhm auf dem Kreuzzug die anderen. Für alle war der Weg lang und gefährlich, gute Vorbereitung und Reiseführer mit Tipps für Rast und Übernachtung und Hinweisen auf Gefahren waren unerlässlich.

Anthony Bale nimmt uns mit auf eine Reise nach Nürnberg und Aachen, nach Paris und Rom, in das von Touristen bevölkerte Venedig und nach Rhodos. Wir erkunden Konstantinopel und Jerusalem und gelangen bis in die sagenhaften Länder der Amazonen, Riesen und Fabelwesen, nach China, Äthiopien und Indien. Ein farbiges Panorama der mittelalterlichen Welt, gesehen durch die Augen derer, die sie bereisten. (Klappentext)

Rezension:

Als Martin Behaim, Kaufmann und Seefahrer, einen der ersten europäischen Versuche präsentierte, die ganze Welt auf einem physischen Globus darzustellen, war dieser bereits überholt, doch konnte sich damit Nürnberg als prosperierender Handelsplatz präsentieren. Heute noch erhalten und im Germanischen Nationalmuseum von Nürnberg zu besichtigen, zeigt der Globus uns die mittelalterliche Welt als Produkt dieser besonderen Konstellation von Zeit und Ort. Ein Blick darauf offenbart die Sicht auf die Welt, in der die Menschen schon damals im regen Austausch zueinander standen. Der Historiker Anthony Bale folgt ihren Spuren und nimmt uns mit auf eine ebenso spannende, wie abenteuerliche Zeitreise.

Entlang historischer Reiseberichte entfaltet der Autor eine Welt, in der Reisen noch mit Abenteuer verbunden, dennoch nicht weniger durchorganisiert war, als heute. Auf unterschiedlichen Pfaden und Handelsrouten begegnen wir dabei Menschen, die Handel trieben und zu einer der ersten Vernetzungen der Welt beitrugen, Pilger, Missionare, Ritter und Kämpfer für ihren Glauben und entdecken die ersten Touristen, die nur für sich selbst unterwegs waren und dabei auf allerhand Erstaunliches stießen.

Damals, so erfahren wir, in den nach Routen und Zielen unterteilten Kapiteln, war Reisen mit zahlreichen Schwierig- und Unwägbarkeiten verbunden. So konnte eine Flaute auf See die Menschen zum Innehalten zwingen, Brief und Siegel eines Königs jedoch dabei helfen, Grenzen zu überwinden. Der Historiker zeigt anhand zahlreicher Beispiele die sich verändernden Sichtweisen Fremder auf Gegenden und Orte, die sie bereisten, aber auch, dass Reiseberichte von damals immer eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion, sowie politischer und religiöser Standpunkte waren.

Anhand gleichsam philosophischer Überlegungen erläutert Bale Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Reiseetappen damals und heute. Warum reisen wir? Was macht dies mit uns? Welche Ziele haben wir? Was bleibt nach der Reise selbst? Die Gedanken dazu bilden das tragende Konstrukt nebst zahlreicher historischer Überlieferungen für dieses spannende Sachbuch, welches zudem nicht nur die Sichtweise damaliger Reisenden erläutert, sondern auch jener, die sie besuchten. Dabei bleibt Bale nicht eurozentrisch verhaftet, erläutert auch das Unterwegssein aus anderen Teilen der Welt heraus.

Spannend vermischen sich historische Reiseberichte, philosophische Überlegungen, die ergänzt werden mit einer ausführlichen Quellenangabe und Personenregister zu einem bunten Portrait des Unterwegssein in damaliger Zeit. Auf den Spuren von venezianischen Kaufleuten wie Marco Polo, ehrwürdigen Mönchen und doch zahlreichen Frauen wie Margery Kempe, für die das Reisen noch ganz andere Herausforderungen bereithielt, bewegt sich dieses kurzweilige Sachbuch, welches sprachlich schön, sowohl von an der Historie als auch am philosophischen Aspekt des Reisens Interessierten gelesen werden kann.

Autor:

Anthony Bale wurde 1975 geboren und ist ein britischer Historiker. Er lehrt Mittelalterstudien am Birkbeck College der University of London und erhielt 2011 den Philip Leverhulme Prize für herausragende junge Wissenschaftler. 2019 war er Fellow der Harvard University. Für sein Buch ist er den Routen mittelalterlicher Globetrotter gefolgt.

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Unda Hörner: 1929 – Frauen im Jahr Babylon

1929 - Frauen im Jahr Babylon Book Cover
1929 – Frauen im Jahr Babylon Unda Hörner ebersbach & simon Erschienen am: 19.08.2020 Seiten: 253 ISBN: 978-3-86915-213-4

Inhalt:

1929 – die wilden Zwanziger entfalten noch einmal ihre volle Blüte, es ist ein letzter Tanz auf dem Vulkan. Marlene Dietrich spielt die Rolle ihres Lebens in Der Blaue Engel, Vicki Baum wird mit Menschen im Hotel weltberühmt und Lotte Jacobi zur Starfotografin der Berliner Prominenz.

Clärenore Stinnes tourt todesmutig im Auto um die Welt, Louise Brooks öffnet in Berlin Die Büchse der Pandora und Lotte Lenya feiert als Seeräuberin Jenny in der Dreigroschenoper triumphale Erfolge. Unda Hörner lädt ein zu einer faszinierenden Zeitreise auf den Spuren berühmter Frauen und entwirft ein facettenreiches Panorama weiblicher Kulturgeschichte im Jahr Babylon. (Klappentext)

Rezension:

Immer bedrohlicher zeigen sich dunkle Wolken am Himmel, als die letzten Monate des Jahres voranschreiten. Hetze in den Zeitungsblättern tritt deutlicher zu Tage, die Wirtschaft gerät ins Wanken. Doch, bevor es so weit ist, feiert sich die Welt noch einmal selbst. Mittelpunkt des Tanz‘ auf dem Vulkan ist die Metropole an der Spree, wo sich die Lebenswege ihrer Protagonistinnen kreuzen.

Die Autorin Unda Hörner nimmt uns mit auf eine Zeitreise, durch ein Jahr gleichsam als Sammlung kultureller Höhepunkte und legt damit einen wunderbaren Roman vor.

Der hat es in sich. Gegliedert nach Monaten beginnt die Zeitreise im Januar 1929. Kurzweilig sind die Abschnitte, handlich zu lesen die Kapitel. Mittelpunkt sind die Menschen, die das letzte Jahr der Goldenen Zwanziger prägten, wobei der Fokus hier auf die kulturelle und vor allem weibliche Seite gelegt wird.

Die studierte Germanistin begibt sich dabei auf den Spuren von Erika Mann, ebenso Marlene Dietrich, die den Dreh für einen Film beginnen wird, der ihr zum Durchbruch verhilft. Wir begleiten die Verlegerin an der Seite Erich Kästners und schauen durch die Linse Lotte Jacobis, die die Berliner Prominenz auf Zelluloid zu bannen weiß. Eine unvollständige, aber bezeichnende Sammlung in Romanform, die es in sich hat.

Es sollte das letzte Jahr friedlicher Unbeschwertheit sein, und so erlebt der Lesende Menschen, die gleichsam optimistisch und gespannt in die Zukunft blicken. Zumindest zunächst. Frauen, die bisher im Hintergrund tätig waren, treten nun nach vorne und bahnen sich sich zurecht ihren Weg. der führt dann schon einmal querfeldein durch Amerika oder in die dunklen Hallen des damals modernsten Studios für den damals noch relativ neuen und aufstrebenenden Tonfilm.

Geschickt hat die Autorin hier historische Fakten in einem historischen Roman eingewebt, der oftmals sehr still ist, mit Spannungsbögen sehr sparsam umgeht. Schließlich sind die Ereignisse ja bekannt. Was daraus Unda Hörner jedoch entwickelt hat, diese Dialoge, die die Erzählung lebendig werden lassen und tatsächlich so abgelaufen sein könnten, ist einfach schön.

Hier trifft es einmal, dass schöne Sprache nicht nur zu einem Kunstprodukt führt, sondern sich gut lesen lässt.

Wir begleiten Marlene Dietrich auf den Weg zu ihrer wohl größten Rolle und schauen Erika Mann über die Schulter, die versucht aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters herauszufinden, der den Nobelpreis bekommen wird. Wer diesen Roman liest, wird durch die Kameralinse von Lotte Jacobi schauen und eine Verlegerin bei der Suche nach einem Autoren begleiten, der ihr ein modernes Kinderbuch schreiben soll.

Alleine diese Geschichten schon sind interessant, ausgeschmückt mit vielen Details auf doch so wenigen Seiten kann man das letzte Jahr der 1920er Jahre hier praktisch durch die kulturelle Lupe betrachten. Sehr dicht wird das alles erzählt, Momente zum Innehalten, wie auch der Rausch der Zeit zu spüren ist, für jeden, der das liest.

Große Kunst ist das.

Autorin:

Unda Hörner wurde 1961 in Kaiserslautern geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der Freien Universität Berlin Germanistik und Romanistik, promovierte im letzteren 1993 über Elsa Triolet. Seither beschäftigt sie sich mit berühmten oder weniger berühmten Frauen und brachte mehrere Romane und zahlreiche Biografien zu Papier. Im Jahr 2001 erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis.

Die Autorin, die auch als Journalistin, Übersetzerin und Herausgeberin tätig ist, veröffentlichte u.a. „1919 – Das Jahr der Frauen“, sowie „Kafka und Felice“, welches 2017 erschien.

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