Rezension

Franziska Seyboldt: Rattatatam, mein Herz

Rattatatam, mein Herz Book Cover
Rattatatam, mein Herz Franziska Seyboldt Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 11.01.2018 Seiten: 253 ISBN: 978-3-462-05047-9

Inhalt:

„An guten Tagen wache ich auf und bin eine Schildkröte. Dann spaziere ich bepanzert bis an die Zähne durch die Straßen. Tunnelblick an und los. An schlechten Tagen wache ich auf und bin ein Sieb.

Geräusche, Gerüche, Farben plätschern durch mich hindurch wie Nudelwasser, ihre Stärke bleibt an mir kleben und hinterlässt einen Film, der auch unter der Dusche nicht abgeht. Ich taumele durch den Tag, immer auf der Suche nach etwas, woran ich mich festhalten kann.“ (Klappentext)

Rezension:
Wovor hatten Sie zuletzt Angst? Vor dem kläffenden Nachbarshund, den der Besitzer scheinbar nicht unter Kontrolle hat? Vor der Spinne, die sich gemächlich von der Zimmerdecke direkt vor ihrer Nase abseilt?

Vor zu engen, kleinen Räumen oder davor, vor vielen Menschen eine Rede halten zu müssen? Ängste, Phobien gibt es in den vielfältigsten Formen und Ausprägungen. Nahezu vor allen Dingen kann man Abneigungen entwickeln.

Was aber, wenn die menschliche Antenne, die uns vor Überreaktionen normalerweise schützt, nicht mehr funktioniert? Was, wenn plötzlich unser größter Alptraum überhand und die Angst in unseren Körpern einzieht und nicht mehr loslässt?

Franziska Seyboldt hat über ihre Erfahrungen, ihren Kampf mit ihrer Angst geschrieben. Entstanden ist eine spannende Auseinandersetzung, ein Dialog mit der Psychose und ein Kampf, ein selbstbestimmtes Leben zurück zu gewinnen.

„Rattatatam, mein Herz“, ist kein Ratgeber, soll es auch nicht sein, sondern Seyboldts Weg, ihre Ängste zu bekämpfen. Dies tut sie erfolgreich und beschreibt innere Auseinandersetzungen so amüsant wie möglich, so ernst wie nötig und gibt sich damit der Öffentlichkeit preis, dem Problem ein Gesicht.

Dies ist die Stärke des Erfahrungsberichts, der den steinigen Weg aufzeigt, mit welchen Schwellen Betroffene zu kämpfen haben, welche Rückschläge sie hinnehmen müssen, bis sie erste Erfolge wahrnehmen können.

Es ist ein unscheinbar daherkommendes Schriftstück, welches einen um so größeren Eindruck beim Leser hinterlässt, ohne die Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit von Ratgebern zu beinhalten, die die Einfachheit vorgaukeln, einen Weg in ein Leben ohne Ängste zu finden.

Franziska Seyboldt zeigt, warum Ängste zu ihren und unseren Leben gehören, auf welche Probleme sie für sich gestoßen ist und dass Anerkennung gerade dort ist, wo man sich zu seinen Ängsten bekennt und sich anderen mitteilt.

Sie zeigt, warum die Hilfe anderer wichtig sein und dass es mitunter sehr langwierig werden kann, bis sich die Angst selbst entlarvt. Das beeindruckende Portrait einer Frau, die sich lange von ihren Phobien unterkriegen lassen hat, ihre Angst am Ende jedoch besiegt.

Für alle Betroffenen und solchen, die verstehen wollen, eine beeindruckende Lektüre.

Autorin:
Franziska Seyboldt wurde 1984 geboren und studierte nach der Schule Modejournalismus und Medienkommunikation in Hamburg. Seit 2008 lebt und arbeitet sie in Berlin.

Als Autorin und Redakteurin schreibt sie Artikel für die taz und schreibt ihre eigene Kolumne über psychische Erkrankungen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher für Kinder und Erwachsene. Dies ist ihr drittes Buch.

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Joanne K. Rowling: Was wichtig ist

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Was wichtig ist Joanne K. Rowling Carlsen Erschienen am: 30.11.2017 Seiten: 75 ISBN: 978-3-551-58777-0

Inhalt:

“Wir brauchen keine Magie, um unsere Welt zu verwandeln, wir tragen alle Kraft, die wir brauchen, bereits in uns.” (Klappentext)

Abschlussrede von Joanne K. Rowling vor Studenten der Harvard University, 2008.

Rezension:

Eine Frau, der man ihren Erfolg gönnen mag, ist Joanne K. Rowling zweifellos. Aus Armut und Erfolglosigkeit heraus, schrieb sie sich mit den Geschichten um den Zauberlehrling Harry Potter in die Herzen von Millionen Lesern weltweit.

Daraüber hinaus engagiert sie sich für wohltätige Zwecke, nutzt ihren Einfluss um auf die Arbeit in der Erforschung der Krankheit Multiple Sklerose aufmerksam zu machen, oder auch auf Sozialarbeit im Rahmen verschiedener Projekte um Kinder und Jugendliche.

Was aber ist wirklich wichtig? Sind es unsere messbaren Erfolge, wie das nächste Gehalt, die berufliche Stellung, materielle Sicherheit? Oder doch die Kraft der Phantasie, die man von Kindesbeinen an besitzt, aber als Erwachsener manchmal droht, aus den Augen zu verlieren?

In ihrer Rede vor einem Abschlussjahrgang der Studenten der Harvard University hat sich die erfolgreichste Autorin der Neuzeit an einer Antwort versucht.

Wie bewertet man eine Rede, deren Wirkung man nicht nachvollziehen kann, zumal, wenn diese vor einer Gruppe von Menschen gehalten wurde, die ohnehin sehr priviligiert sind?

Wer in Harvard studiert, tut dies, weil er ein Stipendium dafür bekommen hat, besondere Fähigkeiten, besonderes Wissen hat oder aus einflussreichen, wohlhabenden Familien kommt, oder im schlechtesten Fall einen ungeheuren Kredit aufgenommen hat, um sich das Studium leisten zu können.

Wie beurteilt man etwas, dessen Eindruck man nicht teilen kann, weil man die Original-Sprache der Rede nur grundsätzlich beherrscht, sich diese jedoch mehrfach anhören müsste, um vollends zu begreifen und von der man schon von vorn herein weiß, dass sie in der Übersetzung wahrscheinlich viel verloren hat, die zudem hauptsächlich von der Person lebt, die sie nicht nur geschrieben, sondern auch vorgetragen hat?

Fragen, die sich der Leser dieser kleinen Verschriftlichung stellen darf und auch sollte, um der Beurteilung gerecht zu werden. Zumal man sie ohnehin wohl.

In den Weiten des World Wide Web finden würde, nahezu kostenfrei und von der anzunehmen ist, dass sie sich wahrscheinlich nicht verkaufen würde, wenn sie von einer weniger bekannten und auch wichtigeren Person gehalten worden wäre. Trotzdem ist “Was wichtig ist”, doch ein kleines Juwel, wenn man es auch nicht überbewerten sollte.

Joanne K. Rowling erinnert hier daran, was uns zudem macht, was wir sind. Dass das Scheitern viel sicherer ist, als so mancher Erfolg, und dass wir uns immer wieder zurückbesinnen sollten, auf unsere Phantasie, die dazu geeignet ist, uns über schwierige Zeiten hinweg zu tragen.

Gerade erfolgsorientierte Menschen vergessen dies vielleicht, so dass die Lektüre nicht unbedingt schadet. Auch, wenn man ehrlich sein muss, man nichts vermissen wird, wenn man sie nicht gelesen hat.

Durchsetzt mit einer Brise britischen Humors wird diese Rede besonders in ihren letzten Sätzen sehr stark, wenn auch Passagen mit aus dem Beginn in Erinnerung bleiben werden.

Alles andere wird nach und nach durch unsere Phantasie ersetzt werden. Diese ihren Raum zu geben, ist Rowlings Anliegen vor den Harvard Absolventen gewesen. Mehr braucht es auch oft nicht.

Autorin:

Joanne K. Rowling wurde 1965 geboren und ist Schriftstellerin, Drehbuch-Autorin und Schirmherrin verschiedener Wohltätigkeitsorganisationen. Nach ihrem Studium arbeitete sie u.a. als Lehrerin und für Amnesty International, bevor sie 1997 ihren ersten Roman veröffentlichte.

Dieser und die darauf folgenden Bände verkauften sich über 450 Millionen Mal und wurden in über 80 Sprachen übersetzt und verfilmt. Mehrere Zusatzbücher schrieb sie für wohltätige Zwecke.

Sie ist zudem Drehbuchautorin und Co-Autorin eines im Harry Potter Universum spielenden Theaterstücks am Londoner West End. Für ihre schriftstellerische und karikative Arbeit erhielt Rowling zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Order of the British Empire und den Hans Christian Andersen Preis.

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Andreas Stammkötter: Goldkehlchen

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Goldkehlchen Andreas Stammkötter Gmeiner Verlag Erschienen am: 04.02.2013 Seiten: 278 ISBN: 978-3-8392-1380-3

Inhalt:

Im Umfeld des Thomanerchors ereignen sich seltsame Dinge: Das Grab Johann Sebastian Bachs in der Leipziger Thomaskirche wird geöffnet, die rechte Hand des Komponisten verschwindet.

Am nächsten Morgen erkranken einige Chormitglieder und die österlichen Feierlichkeiten müssen erstmals in der 800-jährigen Geschichte der Thomaner abgesagt werden. Die Kommissare Kroll und Wiggins tappen zunächst im Dunkeln, bis sich zwei junge Sänger in die Ermittlungen einmischen… (Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte, die alle Zutaten hat. Eine gute Vorlage in Form von nachvollziehbaren Lokalkolorit, logisch handelnde und sich entwickelnde Protagonisten, eine spannende Thematik und ein Schreibstil, der einem nicht schon nach ein paar Seiten eben diese überfliegen lässt.

So könnte Andreas Stammkötters Krimi, der sich die Messestadt als Dreh- und Angelpunkt ausgesucht hat, einer der ganz Großen sein, die Leipzigs Literaturbetrieb zu bieten hat. Doch “Goldkehlchen” ist allenfalls ein Krimi wie ein im Stimmbruch befindlicher Thomaner.

Dabei beginnt die Geschichte an sich vielversprechend. Das Grab von Johann Sebastian Bach, Leipzigs “Hauskomponisten” sozusagen, wird aufgebrochen, Teile des Gebeins werden entwendet und anschließend werden zudem auch noch so viele Thomaner krank, dass man in der Stadt an der Pleiße darüber nachdenken muss, erstmals die kirchlichen Osterfeierlichkeiten abzusagen.

Eine verwirrte und ahnungslose Polizei, zwei halbstarke Sänger, die Detektiv spielen und mehr herausfinden, als ihnen lieb sein kann, all das hätte schon gereicht, rutscht dann jedoch trotz des anhaltend flüssigen Schreib- und Erzählstils soweit ab, dass der Funke nicht überspringen mag.

Tatsächlich wechseln etwa zur Hälfte die Hauptprotagonisten so, dass es fast so scheint, als würde aus einem Jugendbuch plötzlich der Erwachsenen-Krimi, den der Autor eigentlich schreiben wollte, wobei letzterer das Ziel des Autoren gewesen ist. Nur sollte man sich vielleicht von Anfang an für eines der beiden Genrezweige entscheiden.

Retten tut jedoch der Fokus auf die städtische High-Society, zu der die Mitglieder der Thomaner, und die Eltern der Kinder, die zumindest in der Stadt leben, auf jeden Fall gehören und der Blick auf deren Abgründe, sowie die überaus vowitzigen und schlauen Youngsters, die für die Goldkehlchen ermitteln und den Polizisten Wiggins und Kroll den Rang ablaufen.

Das hat wirklich Spaß gemacht, auch wenn natürlich der Chor allenfalls nur noch für die Geschichte der Stadt eine Bedeutung hat, wo längst nur noch zu den Festtagen die Thomanerkirche einigermaßen gefüllt sein dürfte. Darum geht’s hier aber nicht.

Doch aus Grabschändung, Familienproblemen, “Attentaten” auf die kleinen Sänger, hätte man so viel mehr machen könnnen, so dass dieser Krimi leider nur im Mittelfeld anzusiedeln ist. Zumal das Leipziger Kolorit Hintergrundkulisse bleibt und auch kaum Funken überspringen lässt. Da gibt es andere Geschichten, in denen dieses besser zur Geltung kommt.

An sich sehr schade.

Autor:

Andreas Stammkötter wurde 1962 in Bottrop geboren und ist seit 1993 in Leipzig als Rechtsanwalt tätig. Er ist auf Bau-, Architekten- und Vergaberecht spezialisiert.

Er war viele Jahre als Dozent an der Fachschule für Bauwesen in Leipzig tätig und ist zudem Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Baurecht, für die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt. Er schreibt Artikel für verschiedene Fachzeitschriften und Autor mehrerer Krimis mit dem Handlungsort Leipzig.

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Hampton Sides: Die Polarfahrt

Die Polarfahrt Book Cover
Die Polarfahrt Hampton Sides mare Erschienen am: 01.10.2019 Seiten. 576 ISBN: 978-3-86648-243-2 Übersetzer: Rudolf Mast

Inhalt:

Der Nordpol galt als Problem, als Ende der Welt und ungelöstes Geheimnis. Ein blinder Fleck auf den Landkarten. Ein verrückter Zeitungsverleger, auf der Jagd nach Sensationsgeschichten, kaufte ein Schiff, erkor einen Kapitän und schickte 1879 dreiunddreißig Männer ins Eis, die die Theorie eines offenen Polarmeeres überprüfen sollten.

Doch, die USS Jeanette blieb im Packeis stecken. Fortan kämpfte die Besatzung des Schiffes um ihr Überleben. Meilenweite Märsche über das gefrorene Meer, Schneeblindheit, Erfrierungen, Stürme und Hunger brachten die Mannschaft an ihre physischen und psychischen Grenzen. Hampton Sides erzählt ihre Geschichte. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

So unscheinbar, wie sie wirkt, diese Welt aus Schnee, Fels und Eis, so unverzeihlich geht sie mit begangenen Fehlern um. Es ist eine scheinbar endlose und abweisende Gegend, die Nordpolarregion, gerade deswegen ungeheuer fasznierend.

Hampton Sides ist eingetaucht in die Gegend umbarmherziger Kälte und hat sich auf Spurensuche begeben. Herausgekommen dabei ist ein faszinierender und facettenreicher Bericht über die wohl eindrücklichste und vom grausigen Schicksal verfolgte Erkundungsexpedition, die es in diese Gegend verschlagen hat.

Vor wenigen Jahrhunderten noch war gänzlich wenig über die kälteste Region des Erdballs bekannt, und der Drang sich zu beweisen war besonders bei den Männern der damals noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika besonders groß.

Es ist hier die Geschichte junger Offiziere und Naturforscher, Ärzte und Meteorologen, aber auch eine Erzählung unglaublicher menschlicher Kraft und großer Pionierleistungen, die der Autor zu Tage gefördert und dicht recherchiert eine geeignete Plattform gibt.

Eindrückklich wird geschildert, wie groß das Verlangen bei den Männern dieser Generation, die in Zeiten kurz vor der Elektrifizierung der Infrastruktur, der Erfindung der Glühbirne und wegweisenden Maschinen, wie die Dampfmaschine, sich zu beweisen und welche Bedeutung die Erkundung der letzten weißen Flecken auf den Landkarten für die Menschen hatte.

Intensiv begleitet der Leser auf Grundlage von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, ausführlich geschildert, die Vorbereitungen zu einer Expedition, die dann doch sprichwörtlich im Eis stecken bleiben musste.

Geschildert wird die Auswirkungen von Sensationsgier, schon damals als es noch keine anderen Medien als Zeitungen gab, und welche fatalen Folgen kleinste Fehler schon bei der Planung haben konnten, zudem welchen Gefahren Entdecker damals auf noch unbekannten Terrain ausgesetzt waren.

Das alles wird klar und deutlich, kurzweilig und über die Maßen so spannend geschildert, wie nur wahre Geschichte sein kann. Hier merkt man in jeder einzelnen Zeile, die intensive Rechercheleistung von Hampton Sides, der den Weg in die Katastrophe und für zu wenige Teilnehmer der Expedition wieder hinaus, beschreibt.

Durchsetzt und aufgelockert wird dieses Sachbuch mit den Fotos aller Teilnehmer dieser Polarfahrt und Karten auf den Innenseiten des Buchdeckels.

Die hochwertige Aufmachung und die erzählte, gut recherchierte Geschichte, deren Expeditionsmitglieder für die künftige Kartographie und Naturforschung trotz Scheiterns wichtige Erkenntnisse brachten, ist es wert, erfahren und weiter verbreitet zu werden.

Der Leser wird dem Leid der Besatzung der USS Jeanette so nachempfinden können, als wäre er selbst Mitglied dessen, auf das es einem kalt den Rücken hinunter laufe. Eine unbedingte Empfehlung, die außerhalb des Eisschrankes gelesen und gut sichtbar in jedes Regal gehört.

Autor:

Hampton Sides wurde 1962 in Memphis/Tennessee geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker, Autor und Journalist. Er schloss sein Geschichtsstudium an der Yale University ab und hielt danach Gastvorlesungen an verschiedenen Institutionen der USA.

Er ist Berichterstatter für die Zeitschrift “Outside” und arbeitet für das “National Geographic Magazine”, sowie verschiedenen großen Zeitungen, u.a. die “The Washington Post”. Er ist Autor mehrerer Bücher mit geschichtlichen Themen und lebt mit seiner Familie in Santa Fe/New Mexico.

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Eric Malpass – Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Eric Malpass Rowohlt Erschienen am: 02.07.2012 Seiten: 239 ISBN: 978-3-499-25891-6

Inhalt:

Der achtjährige Gaylord hat seine Augen und Ohrn überall. Vor allem dort, wo sie nicht hingehören. Schon morgens früh hopst er von Bett zu Bett und will seine Familie mit selbstgebrühten Kräutermatsch-Tee beglücken. Doch der Haussegen hängt auch so schon gewaltig schief:

Der Vater wurde aus dem elterlichen Schlafzimmer verbannt, Großtante Marigold steckt irgendwo in der Vorkriegszeit fest, und Tante Becky spannt der eigenen Schwester den Liebhaber aus… Voller Wiz und Phantasie beobachtet Gaylord die Welt um ihn herum. Und stekt so lange seine Nase in fremde Angelegenheiten, bis die Welt wieder in Ordnung ist. (Klappentext)

Einordnung:

Dies ist der erste Teil einer siebenbändigen Reihe.

Rezension:

Gute Geschichten sind die, in denen nichts passiert und die dennoch Spaß machen, gelesen und erzählt zu werden. Dies könnte in etwa die Überschrift oder der Arbeitstitel für diesen Serienauftakt gewesen sein, denn nichts anderes sind die Gaylord-Romane von Eric Malpass.

Abgesehen vom, für den deutschen Sprachraum etwas unglücklich gewählten, Vornamen des vorwitzigen kleinen Hauptprotagonisten, erzählt Malpass eine amüsante englische Familiengeschichte, bei der man sich sofort an den kleinen Lord erinnert.

Nur, dass hier nicht ein kleines Kind in höchste Kreise hineingeworfen wird. Im Gegenteil. Der achtjährige Gaylord hat eigentlich alles, was er braucht, eine mehr als verrückte Familie, patente und liebevolle Eltern und jetzt vielleicht nicht Reichtum, aber zumindest keine Geldsorgen.

Mit seiner kindlichen Sicht auf die Umgebung betrachtet er die Dinge und treibt seine Familie in den Wahnsinn, und überfordert den Vater, der mit Schriftstellerei und dem Jonglieren großer Worte sein Geld verdient in Verlegenheit, wenn er wissen will, woher denn die Babys kommen.

Diese und andere Episoden des Alltags der Familie Pentecost schildert Malpass so, dass man nicht umhin kann, den kleinen Gaylord samt Familie ins Herz zu schließen und auf den Streifzügen durch die Umgebung zu begleiten. Der Leser schmunzelt, wenn Gaylord sinniert, warum man eigentlich kein Menschenfleisch esse oder möchte den Jungen einfach nur in den Armen nehmen, wenn der Angst hat, vor den größeren Jungen, die sich für eine Lappalie bei ihm “rächen” wollen.

Aufgeteilt in kurze Kapitel begleitet der Leser aber nicht nur ihn, sondern auch die Eltern oder die Tanten, die Schwestern des Vaters oder den grantigen Großvater, und allmählich ergibt sich aus den verschiedenen Teilen ein Gesamtbild, welches die kindliche Welt Gaylords umgibt, von der man gerne noch mehr erleben möchte.

Wer das tut, muss jedoch sich geduldig üben, denn nur der erste Part ist normal erhältlich, andere Teile der Gaylord-Pentecost-Serie sind vermehrt antiquarisch zu erwerben. Doch, wenn die Qualität der Übersetzung, Brigitte Roeseler zeichnet sich für diesen Teil aus, in etwa gleich bleibt, so wird dem Lesevergnügen nichts im Wege stehen.

Wer einen kleinen englischen Familienroman lesen und sicherlich auch ein Stück britischer moderner Literaturgeschichte der Nachkriegszeit erleben möchte, ist mit Malpass’ Romanen jedenfalls sehr gut bedient.

Autor:

Eric Malpass wurde 1910 in Derby geboren und war ein englischer Schriftsteller. Er arbeitete lange Zeit als Bankangestellter und seit 1947 bei der BBC. Danach schrieb er für mehrere große Zeitungen, wie den Observer, dessen Kurzgeschichten-Wettbewerb er 1954 gewann.

Ende der 1950er Jahre schrieb er seinen ersten Roman und bekam 1960 in Italien die Goldene Palme für das beste humoristische Buch. Die Gaylord-Romane, die er 1965 begann, wurden seine erfolgreichsten Werke, die teilweise auch verfilmt wurden. Malpass starb im Jahr 1996.

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Robert Harris: Vaterland

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Vaterland Robert Harris Heyne Erschienen am: 13.03.2017 Seiten: 383 ISBN: 978-3-453-42171-4 Übersetzer: Hanswilhelm Haefs

Inhalt:

Hitler hat den Krieg gewonnen. Großdeutschland, das vom Rhein bis zum Ural reicht, dominiert Europa. Ständige Partisanenkämpfe und der Kalte Krieg mit den USA zermürben das Reich.

In Berlin geschieht der brutale Mord an einem hohen Parteibonzen – und Kripo-Sturmbannführer März gerät im zuge seiner Ermittlungen gefährlich nah an die Wahrheit. (Klappentext)

Rezension:

Historische Schreckensszenarien vermögen zu faszinieren, besonders, wenn sich der Leser bewusst wird, wie leicht Ungeheuerlichkeiten hätten wahr werden können. Robert harris hat mit seinem ersten Roman ein solches Bild erschaffen und versetzt uns in die Zeit der 60er Jahre.

Auch hier stehen sich zwei Blöcke gegenübe. Auch hier gibt es einen US-Präsidenten, der Zeichen setzen möchte. Auch hier ist der Schauplatz die Stadt an der Spree. Alleine, die ausgangssituation ist eine andere als es die tatsächlich gewesenen Geschehnisse waren.

Das Dritte Reich hat den Krieg gewonnen und dominiert Europa bis hin zum Ural.

Riesige Autobahnen durchziehen das Land, Bahnen mit einer Spurbreite von 4 Metern bringen die Herrenmenschen in die entfernten Winkel des Reiches. Doch, an den Grenzen im Osten gärt es.

Immer wieder kommt es zu Anschlägen durch Partisanen, wogegen die Bevölkerung sich längst im gleichmachenden Alltag eingerichtet hat. Nur ab und zu scheren einzelne Personen aus der Masse aus. Diese jedoch, überleben in dem Staat der totalen Kontrolle nicht lange.

Eingebunden in einem, gleichsam nach Ian Kershaw klingenden Szenario, erlebt der Leser die geschichte aus der Sicht des nicht ganz so linientreuen Kripo-Sturmbannführers März, der zunächst in einem, wie es scheint, einfachen Mordfall ermittelt.

März, angezählt durch die Weigerung, der Partei beizutreten und allzu unbequem zu agieren, wird der Fall entzogen, als sich herausstellt, dass das Opfer ein einst hohes Parteimitglied der ersten Stunde gewesen ist, doch der Polizist ist neugierig. Warum sind gewisse Stellen so sehr daran interessiert, den Mordfall zu vertuschen?

Warum wird der einzige Zeuge wenig später ebenfalls ermordet? Warum gerade jetzt, kurz vor dem geburtstag des Führers und den Besuch des amerikanischen Präsidenten? Jede neue Frage wirft weitere Fragen auf. Und bald geht es nicht nur um die Beweggründe des Opfers oder seiner Täter. Bald ist auch März in allerhöchster Gefahr.

Problematisch sind historische Romane immer dann, wenn sie geschichtliche Wahrheiten so sehr mit Fiktion vermischen, dass man Lüge und Dichtung nicht mehr von einander unterscheiden kann.

Dies wird hier umgangen, denn natürlich und zum Glück ist der hier geschilderte Fall eines Sieges der Nazis über die Welt nicht eingetreten, zudem hat der autor über die Grundlage der fakten gut recherchiert. Wie hätte ien Leben im Führerstaat ausgesehen?

Wie Berlin nach einer Umgestaltung im Sinne Albert Speers? Welche realen Personen führten welche Korrespondenzen und wie hätte dies ausgesehn, im von Harris beschriebenen Falle?

Fragen, die dicht aufeinanderfolgend, ein gruseliges Szenario ergeben, welches einem beim genaueren Durchdenken kalt den Rücken herunter läuft. Der Spannungsbogen, langsam auf den ersten Seiten aufgebaut, hält und steigert sich zunehmend.

Der Leser kommt indes in der moralischen zwickmühle einen Nazi (auch wenn sich der Protagonist, wie oben erwähnt, nicht gerade als linientreu erweist) als sympathisch zu empfinden, doch auch hier sind die Hauptfiguren zumindest so wandlungsfähig, dass es gerade noch erträglich ist.

Die Nebenfiguren sind zwar teilweise brutal, bleiben aber ansonsten blaß.

Der Ausgang der Geschichte selbst ist zwar offen, jedoch durchdenk- und leider auch zum Schluss recht vorhersehbar. Trotzdem ist Harris ein sehr lesenswerter und lebendiger Roman gelungen, der gerade heute gelesen werden sollte.

In diesem Sinne kann man über kleinere Schwächen, und dies ist Meckern auf hohen Niveau, großzügig hinwegsehen. Dann bekommt man einen spannenden Historien-, Politthriller, Kriminalroman und, wenn man auch die Anmerkungen, die auf die tatsächlichen Geschehnisse hinweisen, beachtet, eine geschichtliche Lehrstunde in ihrer einprägsamsten Form.

Autor:

Robert Dennis Harris wurde 1957 in Nottingham, Engalnd, geboren und ist ein britischer Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller. Nach der Schule studierte er in Cambridge Englische Literatur und arbeitete zunächst als Reporter für die BBC und als politischer Redakteur für verschiedene Zeitungen.

Seinen ersten Roamn veröffentlichte er 1992 in seiner Heimat, in Deutschland fand sich ob der Thematik zunächst kein Verlag. erst 1996 wurde “Vaterland” ins Deutsche übersetzt. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt, und mehrfach ausgezeichnet.

Die Handlungen seiner Romane sind meist geprägt durch historische Szenarien, die leicht abgewandelt werden. Harris ist verwandt mit Nick Hornby, ebenfalls Schriftsteller, und lebt derzeit in Berkshire.

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Bernd Fischerauer: Burli

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Burli Bernd Fischerauer Verlag: Picus Erschienen am: 27.02.2017 Seiten: 287 ISBN: 978-3-7117-2046-7

Inhalt:

Adolf, genannt Burli, erlebt in den Jahren des Wirtschaftswunders nicht nur erste erotische Freuden, er steht auch knapp davor, die Nazi-Vergangenheit seines Vaters, des biederen Keksvertreters, aufzudecken. Ein spannender Schelmenroman, der heftig am Mythos der Stunde Null kratzt. (Klappentext)

Rezension:

Verantwortlich sind wir dafür nicht, aber Verantwortung tragen wir dafür. Dieser Satz könnte Arbeitstitel für diesen Roman gewesen sein und so tauchen wir in die Geschichte eines Teenagers ein, der ein gut gehütetes Geheimnis aufdeckt.

Eigentlich könnte Adolf, von allem zu seinem Überdruss Burli genannt, in den Tag hineinleben. Der Dreizehnjährige brilliert in der Schule, schreibt Artikel für die Jugendseite der städtischen Zeitung und macht bei Schultheaterproben mit, um seiner Angebeteten näher zu sein.

Zudem macht der Pubertierende erste erotische Abenteuer und auch sonst ist das Leben in Graz und Umgebung schön. Wenn man einmal von den Eltern absieht, die streng seine kleine Schwester und ihn züchtigen, und den alten Zeiten nachtrauern.

Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, die Nachkriegszeit in Österreich. Doch, Burli bekommt eines Tages ein Foto zu Gesicht, welches sein Leben verändern und die heile Welt seiner Familie zum Einsturz bringen wird.

Der österreichische Schriftsteller Bernd Fischerauer hat kurz vor seinem Tode mit “Burli” einen wichtigen Roman herausgebracht, den es unbedingt zu beachten gilt. Die Verarbeitung der verdrängten Vergangenheit, sein Lebensthema, findet hier ihren Abschluss und so sticht die Erzählung in Wunden, die Ewiggestrige nur allzu gerne verschlossen sehen.

In dichter Folge drängen sich kurzweilige Kapitel aneinander, die aus Perspektive eines Nicht-mehr-Kindes-aber-auch-noch-nicht-Erwachsenen, die Misere aufzeigen, in deren Konflikt sich mehrere Generationen direkt nach den Zweiten Weltkrieg befanden.

Zum einen die Elterngeneration, die sich oft genug auf die Befehlsgewalt gerufen und von allem nichts gewusst haben will, zum anderen die Kinder und Juigendlichen, die die grausamen auswirkungen nicht mehr bewusst erlebt, aber das Handeln ihrer Eltern in Frage gestellt hatten.

Diesen Spagat aufzuzeigen, mit Hilfe des sympathischen Protagonisten Burli, ist Fischerauer überaus gelungen.

Eine Lösung bietet der Autor freilich nicht. Am Ende bleiben Schmerz und Scherben, und die Erkenntnis, dass die einst so angebeteten Erwachsenen auch nur Menschen sind, die Fehler machen. In diesem Falle sind sie unverzeihlich.

Fischerauer stellt die Selbstinszenierung der Kriegsgeneration gegen die Unschuld der nachfolgenden, die zurecht hinterfragt. Auch wenn’s weh tut. Wer hat was wann im Krieg getan und warum? Wer stand auf welcher Seite und wer hat aus begangenen Fehlern gelernt?

Fragen, für die man mancherorts ausgegrenzt und als Nestbeschmutzer beschimpft wurde, die aber viel zu wenig gestellt wurden. Alleine, dass es in diesem Roman Burli tut, ist eine Wohltat. Durchsetzt mit viel Humor wird die ernste Handlung aufgelockert, nicht zuletzt die Beschreibungen der amorösen Abenteuer tun ihr übriges, um den Lesern ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Teenager sind doch zu jeder Zeit dann doch irgendwie gleich.

Der beschriebene Umbruch vom Kind zum Jugendlichen, zum werdenden Schriftsteller, hat Fischerauer in Form seines Protagonisten unglaublich nahbar beschrieben. Jede Zeile einfühlsam, die Spannung wird nur langsam aufgebaut, hält sich aber über die ganze Erzählung.

Wenn man dem Autor etwas ankreiden möchte, und das ist Meckern auf ziemlich hohen Niveau, ist es, dass er die Geschichte nicht zu Ende geschrieben hat.

Tatsächlich ist das Ende nicht harmonisch (im Sinne von stilistisch rund und schlüssig). Ansonsten aber ist “Burli” eine wunderbare Erzählung über das Ende der Kindheit, die erste Liebe, Fehlleitungen der Eltern, einer Gesellschaft im Umbruch, dem Hinterfragen der Vergangenheit und ein Spiegelbild der österreichischen Nachkriegszeit.

Im Hinblick auf das Heute wäre es vielleicht wünschenswert, hätte es mehr Burlis dieser Art gegeben.

Autor:

Bernd Fischerauer wurde 1953 in Graz geboren und war ein österreichischer Regisseur, Schauspieeler, Drehbuch- und Romanautor. Der zuletzt in München lebende Autor studierte nach dem Abitur in Graz und beendete dies mit der Regieklasse, 1965. 1968 begann er mit ersten Inszenierungen, die er ab 1969 am Wiener Volkstheater fortsetzte.

In den 1970er Jahren schrieb er zunehmend Drehbücher für’s Fernsehen und arbeitete ab 1971/72 als Regisseur. 1982 inszenierte er den Film “Blut und Ehre – Jugend unter Hitler”. Für seine Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen und Nominierungen, darunter der Adolf-Grimme-Preis.

2017 erschienen zwei Bücher von ihm, “Burli” darunter ist sein erster Roman gewesen. Fischerauer starb 2017 in München, wo er zuletzt lebte.

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Guido Knopp: Meine Geschichte

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Meine Geschichte Guido Knopp C. Bertelsmann Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0

Inhalt:

Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.

Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)

Rezension:
Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.

Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?

Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie “Meine Geschichte” zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.

Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.

Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der “Verknoppung” der Geschichte kam.

Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer “Fan” seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei “Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.

Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?

Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?

Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.

Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.

Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.

Was ist eigentlich "Verknoppung"?

Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.

“Nicht authentisch”, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.

Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.

Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht “oberlehrerhaft”, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.

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Autor:
Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.

So war er u.a. für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und der “Welt am Sonntag” tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion “Zeitgeschichte”. Neben der Podiumsdiskussionsreihe “Aschaffenburger Gespräche” verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.

Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins “Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.” Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die “Goldene Kamera” oder den “Emmy”. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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Sergej Lukianenko: Quazi

Quazi Book Cover
Quazi Sergej Lukianenko Heyne Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 397 ISBN: 978-3-453-31852-6

Inhalt:

Russland in naher Zukunft. Nach einer mysteriösen Katastrophe hat sich die Welt auf dramatische Weise verändert: Auferstandene, sogenannte Quazis, leben nun Seite an Seite mit den Menschen.

Eine Tatsache, mit der sich der Moskauer Polizeibeamte Denis Simonow nicht abfinden kann, denn er hegt einen ganz privaten Hass auf die Quazis. Doch dann wird ihm einer der Auferstandenen als Partner zugeteilt – in einem Fall, der tief in das Geheimnis um die Quazis führt… (Klappentext)

Rezension:

Das Spiel um die Zukunft der Menschen beginnt harmlos. Der russische Polizeibeamte Denis Simonow bekommt einen Quazi zugeteilt, um in einem Kriminalfall zu ermitteln. Es gibt nur ein Problem, Quazis sind anders als normale Menschen und Simonow zutiefst verhasst.

Bald stoßen die beiden ungleichen Ermittler in Geheimnisse vor, die zutiefst beunruhigen. Steht den Menschen nach der nicht näher definierten großen Katastrophe ein weiteres Unglück bevor, welches sie entgültig zu vernichten und die Quatzi zum Herrscher über den Planeten zu werden droht? Oder ist friedliche Koexistenz möglich?

Dazu müssen Denis und der Quazi Michael ihre Vorurteile über Bord werfen und zusammenarbeiten. Doch, können sie einander trauen?

Sergej Lukianenko schickt seine Leser mit dem Roman “Quazi” wieder einmal auf eine phantastische Reise durch ein düsteres Zukunftsszenario für Russland, welches auch hierzulande zum Bestseller asvancieren dürfen.

Klar und spannend geschrieben, legt die Geschichte ein rasantes Tempo vor und behandelt die großen Themen: Sind die Menschen wirklich die Krone der Schöpfung? Gibt es Leben nach dem Tod und wenn ja, zu welchen Preis könnte dies möglich sein?

Ist dies überhauopt erstrebenswert und wie weit würde man gehen, um praktisch Unsterblichkeit zu erlangen? Selbst, wenn das Zwischenstadium eine Art Höllendasein (Nein, kein Schreibfehler.) wäre.

Der Leser wird in die Geschichte hinein geworfen, direkt ins kalte Wasser. So, wie der Beginn, sind auch die Protagonisten. Scharfkantig und nicht immer sympathisch, werden am Rande moralische Fragen in die Handlung eingewoben.

Zudem merkt man auch diesem Monumentalwerk der Fantasy wieder an, dass der Autor ein Psychologiestudium hinter sich hat. So schnell gelingt es kaum einen anderen seine Leser in den Bann zu ziehen und in den Strudel dicht aufeinander folgender Ereignisse hinen zu ziehen.

Die Geschichte selbst, sie wirkt. Als Einzelband, wie auch als Reihenauftakt, was bei Lukianenko durchaus möglich wäre. Allein, sicher ist dies nicht.

Stetiger Spannungsaufbau und ein rasantes Erzähltempo sorgen für gute Unterhaltung, welche man bei dem Autor auch erwarten darf. Nicht mehr und nicht weniger. Hohe Literatur ist dies nicht, jedoch gibt es im Fantasy nur weniges was auf vergleichbarer Höhe agieren kann.

Der Leser erlebt die Berg- und Talfahrt aus der Sicht des Hauptprotagonisten und betet darum, dass es nie so sein wird, wie in diesen Zeilen beschrieben. Die Story jedoch weiterzuverfolgen, wäre wünschenswert.

Auch um der Anspielungen auf den Alltag und große politische Fragen unserer Zeit willens. Dies macht Lukianenko hier wieder sehr geschickt, dass es förmlich zur Suche danach einlädt. Für alle anderen, die nicht danach fahnden, ergibt sich dennoch ein spannendes Abenteuer, gespickt mit den großen Fragen der Menschen.

Was wäre wenn..? Die Antwort (z.B. nach einem Leben nach dem Tod, zum Preis des Verlusts bestimmter Eigenschaften aus dem vorherigen Leben) muss der Leser selbst finden. Ein großer Fantasy-Roman aus der Feder des russischen Meister-Autoren über Toleranz, Freundschaft, Mut, Zusammenhalt, Leben, Tod und eine Gesellschaft der Zukunft, die es zu entdecken gilt.

Unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Sergej Lukianenko wurde 1968 in Karatau/heutiges Kasachstan geboren und ist ein erfolgreicher Science-Fiction- und Fantasy-Schriftsteller. Er studierte nach der Schule zunächst Medizin in Alma-Ata und arbeitete als Psychiater.

Anfang der 1980er Jahre begann er Kurzgeschichten zu bveröffentlichen und etablierte sich sehr bald als erfolgreicher Autor. Heute lebt er in Moskau. International bekannt wurde er durch seine Science-Fiction-Reihe “Die Wächter”, deren erste Bücher verfilmt wurden.

2005 lief der Film, der in Russland mehr als 15 Million Dollar einspielte, in Deutschland an. Lukianenko erhielt zahlreiche russische und internationale Preise, darunter den Deutschen Phantastik-Preis 2010. Zahlreiche Werke von ihm sind noch nicht übersetzt.

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John Boyne: Der Junge auf dem Berg

Der Junge auf dem Berg Book Cover
Der Junge auf dem Berg John Boyne S. Fischer Verlag Erschienen am: 24.08.2017 Seiten: 302 ISBN: 978-3-7373-4062-5 Übersetzung: Ilse Layer

Inhalt:

Als Pierrot seine Eltern verliert, nimmt ihn seine Tante zu sich in den deutschen Haushalt, in dem sie Dienst tut. Aber dies ist keine gewöhnliche Zeit: Der Zweite Weltkrieg steht unmittelbar bevor. Und es ist kein gewöhnliches Haus: Es ist der Berghof – Adolf Hitlers Sommerresidenz.

Schnell gerät der Junge unter den direkten Einfluss des charismatischen Führers. Um ihm seine Treue zu beweisen, ist er zu allem bereit – auch zum Verrat. (Klappentext)

Rezension:

Der Junge, noch Kind, welches die Ereignisse um sich herum nicht einzuordnen weiß, gerät unter den Einfluss des größten Despoten und Diktatoren aller Zeiten, nimmt dessen Denken an und stürzt sich und seine Umgebung in einem Strudel aus Katastrophen.

Dieses Gerüst ist die Grundlage für John Boynes neuen Roman, der sechs Jahre nach „Der Junge im gestreiften Pyjama“ nun in Deutschland erschienen ist. Erschienen, wieder im S. Fischer Verlag nimmt der Leser erneut die Position eines Jungen ein, der mit dem Grauen des NS Regimes in seiner ganzen Härte konfrontiert werden wird, und der sich bald bereit dazu ist, alle Grenzen menschlicher Moral beiseite zu fegen.

Einfühlsam beschrieben, entwickelt der Leser schnell Sympathie für den Hauptprotagonisten, der jedoch schnell abschreckend wirkt. Nicht zuletzt dem rasanten Schreibstil geschuldet, erleben wir ein Gefühlschaos und die Macht der Vereinnahmung durch grausamste Ideologie.

Zu was sind wir fähig, wenn wir ständig bestimmten Einflüssen ausgesetzt sind? Welche Entscheidungen fallen wir, wenn wir ständig von deren Richtigkeit überzeugt werden, obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten? In wie weit sind wir bereit, moralische Grenzen zu verschieben, um anderen zu gefallen? Wann genau hört unser menschliches Gewissen auf zu existieren?

John Boyne stellt seinen Lesern diese Fragen, die sich sowohl mit der größten menschlichen Bestie aller Zeiten konfrontiert sehen, als auch mit einem Jungen, der über die Zeit hinaus verdorben werden wird. Es ist ein kleiner Roman, der beschäftigen und aufwühlen, zum Nachdenken anregen wird. Anschaulich beschrieben, rasantes Tempo rennt der Leser samt Protagonist dem Abgrund entgegen.

Eine Geschichte gegen das Vergessen und über das Fällen von Entscheidungen, entweder den leichten falschen oder den schweren richtigen Weg zu gehen. Am Ende steht die Hauptfigur vor eben dieser Frage. Der Leser wird nach der letzten Seite noch lange über die Antwort nachdenken.

Autor:

John Boyne wurde 1971 in Dublin geboren und ist ein irischer Schriftsteller. Seine Romane wurden in über 50 Sprachen versetzt, sein Buch “Der Junge im gestreiften Pyjama” (2006/2007) mehr als neun Million Mal verkauft. Bevor er als Autor arbeitete, studierte er Englische Literatur und Kreatives Schreiben. Boynes Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, in Deutschland u.a. mit dem Jugendliteraturpreis 2008.

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