Gesellschaft

Alma M. Karlin: Weltreise 2 – Im Banne der Südsee

Im Banne der Südsee Book Cover
Im Banne der Südsee Reihe: Weltreise – 2 Rezensionsexemplar/Reisebericht AvivA Verlag Hardcover Seiten: 346 ISBN: 978-3-932338-78-6

Inhalt:

Am 24.11.1919 bricht Alma M. Karlin zu ihrer Weltreise auf, die sie durch fünf Kontinente führen und schließlich acht Jahre dauern wird. Durch ihre Reisetagebücher, die sie nach ihrer Heimkehr nach Cilli (slowenisch Celje) verfasst, wird sie zu einer der berühmtesten Reiseschriftsteller*innen.

Im zweiten Band ihrer Weltreisetrilogie begleiten wir Alma M. Karlin von China über die Philippinen, Australien und Neuseeland bis nach Papua-Neuguinea. Von ihrer Schreibmaschine „Erika“ abgesehen, reist sie alleine und verdient sich ihren Lebensunterhalt komplett selbst – und auch sonst hat Alma M. Karlins Weltumrundung wenig mit anderen touristischen Reisen ihrer Zeit gemein. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Alma M. Karlin: Autobiografie – Ein Mensch wird

Alma M. Karlin: Weltreise 1 – Einsame Weltreise

Alma M. Karlin: Weltreise 2 – Im Banne der Südsee

Alma M. Karlin: Weltreise 3 – Erlebte Welt

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Rezension:

Das Ende der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts kaum verdaut, entstanden in Europa neue Staaten, verschoben sich weltweit Grenzen, wandelten sich politische Ordnungen. Viele schauten wehmütig zurück, einige wenige nach vorn. Zur letzteren Kategorie gehört die Reiseschriftstellerin Alma M. Karlin.

Unabhängig und allein, versorgt mit Aufträgen zahlreicher zeitungen machte sich die Autorin im Jahr 1919 auf den beschwerlichen Weg einer Reise, die sie rund um den Globus führen sollte. Später geriet sie in Vergessenheit. Nach und nach wird ihr Werk nun neu aufgelegt und wieder entdeckt.

Hier liegt nun der eigentliche zweite Band, wenn man ihre Autobiografie als gesonderten ansieht, vor, der uns Lesende in die Gefilde der Südsee führt. Abenteuerlich ist der Weg dorthin auch heute noch, noch beschwerlicher damals, als Schiffspassagen das Mittel der Wahl waren, die sich die Journalistin Karlin nicht immer unbedingt leisten konnte.

Einmal angelangt, beobachtet sie mit scharfen Blick das Geschehen und bringt zu Papier die spannende Geschichte eines beeindruckenden Weges. In diesem Band von Asien bis nach Australien und Neuseeland, schließlich die Südsee. Sie beschreibt, was sie sieht, lässt nichts aus und versucht Kontakte zu knüpfen, zu geistlichen Missionaren, zu kolonialen Statthaltern, zur einheimischen Bevölkerung.

Entstanden ist so ein Zeitdokument von der anderen Seite des Erdballs, einer Frau, die nach ihrer Reise nie wieder wirklich irgendwo heimisch werden sollte.

Was zeigen uns die Reiseberichte vergangener Tage? Heute sind die Grenzen und Einschränkungen andere, wie auch die Abenteuer und Regeln, die mit einem solchen Trip einher gehen. Doch, der Text ist gut lesbar, nachzuvollziehen.

Mutig, der Verlag, der auch den Blick der Autorin zulässt, die gemäß ihrer Zeit zwar auf andere Völker und Rassen herabschaute, aber versuchte zu begreifen und zu verstehen. Die Differnez natürlich, offenbart sich erst viel später, als sie sich mit den Auswirkungen des Faschismus‘ konfrontiert sah. Bis zu dieser Zeit sollten jedoch ein paar Jahre vergehen.

Die Strapazen einer solchen Reise offenbaren sich indes in jeder Zeile. Die stetig brennende Sonne, ungewohntes Essen und sonderbare Bräuche, Leben, Tropenkrankheiten wie Malaria, die zusätzlich ihren Tribut fordern sollten. Minutiös schrieb Karlin, beinahe besessen von den so förmlich spürbaren Strapazen, jedoch auch Momenten des Glücks.

Die Journalistin war keine endeckerin, keine Forscherin, die etwa auf neue Tier- und Pflanzenarten stieß, doch erlebte sie etwas, was für viele ihrer Zeitgenossen zur damaligen Zeit oft unerreichbar war.

Eine Weltriese, wer macht die schon? Zumal als Frau, alleinstehend, selbstversorgend. Superlative der damaligen Zeit, gepackt in kurzweiligen Texten, die lose gelesen werden können, jedoch zusammenhängend einen spannenden Bericht abgeben.

Emanzipatorisch sind die heute nach und nach wiederentdeckten Reisetagebücher wichtig, wenn auch an Kritik nicht gespart werden darf. Diese ist jedoch aus unserer Sicht zu verstehen, die wir wissen, welche Folgen Alltagsrassismus haben kann. Ein wichtiges, spannendes und gut lesbares Zeitdokument bleibt „Im Banne der Südsee“ dennoch.

Ein wenig Robinson Crusoe, gemischt mit Abenteuertum und Durchhaltevermögen. Was will man denn mehr?

Autorin:

Alma Maximiliane Karlin wurde 1889 in Cilli, Österreich-Ungarn, heute Slowenien, geboren und war eine Journalistin, sowie zwischen den Weltkriegen eine der meistgelesenen deutschsprachigen Reiseschriftstellerinnen. Bekannt wurde sie durch ihre mehrjährige Weltreise und ihre darüber veröffentlichen Bücher.

Ihren Lebensunterhalt verdiente sich die Autorin mit ihren Beiträgen für verschiedene Zeitungen, sowie Übersetzungsarbeiten, da Karlin neben ihrer eigenen, noch elf weitere Sprachen beherrschte. 1941 wurden ihre Bücher von den Nationalsozialisten verboten, da sie sich bereits sehr früh gegen den faschismus aussprach. Karlin starb 1950. Erst nach und nach werden irhe Werke wieder entdeckt.

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Yuval Noah Harari: Sapiens – Der Aufstieg

Sapiens - Der Aufstieg Book Cover
Sapiens – Der Aufstieg Yuval Noah Harari Rezensionsexemplar/Graphic Novel C.H. Beck Hardcover Seiten: 246 ISBN: 978-3-406-75893-5
Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Der Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ als Graphic Novel.

Schon bevor die Menschen sesshaft wurden, hatten sie der Erde ihren Stempel aufgedrückt. Wie konnte ein eigentlich so schwaches Tier wie der Mensch sich den Planeten untertan machen? In Sapiens, der Graphic Novel, tritt Yuval Noah Harari selbst auf und geht zusammen mit seiner Nichte Zoe diesem Rätsel auf den Grund – mit Hararis unvergleichlichem Witz, viel Charme und einer Menge an schrägen Ideen.

Noch zugänglicher, noch unterhaltsamer, aber genauso intelligent und lehrreich wie sein Kultbuch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“.

Rezension:

Der Historiker Yuval Noah Harari ist sicherlich einer der gefragten Vordenker unserer Zeit. Seine Expertisen sind sowohl in der großen Politik gefragt, als auch beim Publikum und so landen seine Überblickswerke regelmäßig auf verschiedenen Bestsellerlisten.

Nur eine Frage der Zeit also, bis sein Werk auch jüngeren Lesern zugänglich gemacht werden sollte und einem breiteren Publikum nun als Graphic Novel vorgelegt wird. Herausgekommen ist dabei das vorliegende Werk „Sapiens – Der Aufsteig“.

Im Großformat ist nun die Adaption seines Weltbestsellers „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ fällig, welche schon vom Titel her irreführend ist. Es handelt sich keineswegs um eine Überblicksgeschichte, die hier geliefert wird, viel mehr um eine Konzentration auf die Entwicklung der ersten Menschen, worauf ein Bogen in die heutige Zeit gespannt und große Teile der Menschheitsgeschichte ausgelassen werden. Der Mut zur Lücke in allen Ehren, hier wird er zu großzügig ausgelegt.

Farbenfroh und sehr detailliert werden die ersten Schritte des Menschen dargelegt, Einschübe der heutigen Zeit, die sich oft auf Harari selbst beziehen, der im Austausch mit anderen Vordenkern und Wissenschaftlern, aber auch mit der nachfolgenden Generation in Gestalt seiner Nichte, gzeigt wird. Dies lockert die eigentlich dargestellte Thematik auf, zumal auch die beiden Illustratoren es nicht lassen konnten, Hararis erhobenen Zeigefinger bildlich umzusetzen. Das ist sehr detailreich, aber unglaublich anstrengend zu lesen. Eine Graphic Novel sollte dem Leser zugänglicher sein.

Viel Geplänkel um nichts, ein halb verfehlter Titel und eine Art des Erzählens, als würde man seine Leserschaft mit einem Brett auf die Buchseiten drücken, sind nicht gerade dazu angetan, einen neuen Zugang zur Thematik zu schaffen. Die Fingerzeige auf die Graphic Novel selbst sind dabei witzige Einschübe, die sich jedoch nicht wirklich im Gesamtbild einfügen wollen.

Hätte man sich wirklich auf die Frühzeit des Menschen ohne Zeitsprünge ins Heute konzentriert und auf Harari als selbst hin und her springenden Protagonisten verzichtet, wäre die Graphic Novel als Ergänzung zum Sachbuch eine runde Sache gewesen. Momentan ist dies jedoch ein Werk, was so nicht funktioniert und nicht gerade Lust macht, die schriftlichen Werke Hararis näher kennen zu lernen.

Der Zeichenstil schwankt zwischen feingliedrigen Comicstrips und groben Übersichten und setzt die handelnden Protagonisten bewusst divers in Szene, wird doch auf der ganzen Welt zur Thematik geforscht, finden sich auf den Planeten überall Hinweise auf den schon frühzeitigen Einfluss des Menschen auf Flora und Fauna des Planeten. Wenigstens dem hat diese Adaption Rechnung getragen.

Autor:

Yuval Noah Harari wurde 1976 in Kiryat Ata, haifa, geboren und ist ein israelischer Historiker. Seit 2005 lehrt er an der Hebräischen Universität Jerusaelm und forscht zur Militärgeschichte und zu diversen universalhistorischen Themen. 2013 veröffentlichte er „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, vier Jahre später den Nachfolgeband „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“, die beide zu einem internationalen Bestseller avancierten.

Seine Bücher wurden mehrfach übersetzt und ausgezeichnet. 2017 erhielt er den Preis für das Wissensbuch des Jahres. Im Jahr 2019 wurde ein Asteroid nach ihm benannt. Er schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Haaretz.

Adaption, Text und Illustration:

Daniel Casanave wurde 1963 geboren und ist ein französischer Karikaturist, Schriftsteller und Bühnenbildner. Er studierte zunächst an der School of Fine Arts in Reims und arbeitete anschließend für verschiedene Theater im Bereich Bühnenbild, Poster und Grafikdesign. Hauptsächlich zeichnet er Pressekarikaturen und Illustrationen für Kinderbücher.

David Vandermeulen wurde 1968 geboren und ist ein belgischer Designer und Drehbuchautor. Zunächst studierte er an der Königlichen Akademie der Künste in Brüssel, anschließend am Königlichen Institut für Geschichte und Archäologie 1997 gründete er seinen eigenen Verlag. Verschiedene Themen verarbeitete er zu Comic-Adaptionen und Graphic Novels.

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Peter Dausend/Horand Knaup: Alleiner kannst du gar nicht sein

Alleiner kannst du gar nicht sein - Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst Book Cover
Alleiner kannst du gar nicht sein – Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst Peter Dausend/Horand Knaup dtv Erschienen am: 18.09.2020 Seiten: 463 ISBN: 978-3-423-28249-9

Inhalt:

Im Wahlkreis sind sie Könige, in Berlin oft nur Hinterbänkler. Und dennoch bilden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages das Rückgrat unserer Demokratie. Sie beschließen Gesetze, verteilen die Milliarden des Bundeshaushalts und schicken deutsche Soldaten in gefährliche Auslandseinsätze. Wer sind die Frauen und Männer, die alle vier Jahre neu gewählt werden?

Wie arbeiten sie? Welche Mittel setzen sie ein um aufzusteigen? Wie bewältigen sie den Spagat zwischen den zwei Leben in Wahlkreis und Berlin? Wie gehen sie um mit Konkurrenz, Druck, Einsamkeit – und wie mit den Versuchungen? Wie ertragen sie Hass und Morddrohungen?

Wie ist das mit dem Lobbyismus, und wie frei sind sie wirklich in ihren Entscheidungen? Mehrere Dutzend Abgeordnete aus allen Fraktionen, Ehemalige und Mitarbeiter, Angehörige und Aussteiger haben sich geöffnet und umfassend erzählt. Das erste intime Porträt der Menschen, die unsere Politik bestimmen. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Kaum eine Berufsgruppe hat in den letzten Jahren einen so herben Vertrauensverlust zu verzeichnen gehabt, wie unsere Politiker, die wir mit unserer Stimme alle vier Jahre in den Deutschen Bundestag entsenden.

In einer Welt, in der es immer weniger einfache Antworten gibt, die Fragestellungen immer komplexer und undurchsichtiger werden, müssen die Abgeordneten des Bundesparlaments Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls treffen, Weichen für die Zukunft stellen und die große Politik aus Berlin hinein in ihren Wahlkreis tragen und dort, so verständlich wie möglich, ihren Wählerinnen und Wählern erklären.

Das wird immer schwieriger.

Nicht nur die erosion der sog. „Volksparteien“ zeigt dies deutlich. Doch, wie wird zwischen der Hauptstadt und dem wahlkreis Politik betrieben? Wie verläuft der Alltag der Abgeordneten? Welche Entscheidungen müssen die jenigen treffen, die nicht Minister oder Staatssekretäre sind, sondern sich in der zweiten, dritten und vierten Reihe der Rangordnung im Bundestag befinden? Welchen Zwängen und Grenzen unterliegen sie?

Welche Freiheiten nutzen die Gewählten? Wie entstehen Gesetze? Welche Erfolge und Misserfolge sind es, die unsere Abgeordneten antreiben oder verzweifeln lassen? Wo sind die Grenzen der kleinen großen Politik? Wo Druck und Bedrohungen, seitens anderer Abgeordnete, Konkurrenten, Gegenern und Wählern?

Aufgedrößelt haben dies zwei Journalisten, die in monatelangen Recherchen den Berliner Politikbetrieb quer durch alle Fraktionen beobachtet haben und verschiedene Abgeordnete zur Sprache kommen lassen.

Herausgekommen dabei ist ein nun vorliegendes, kurzweiliges und spannendes Sachbuch, welches vor allem für die jenigen lesenswert ist, welchen bisher unverständlich geblieben ist, wie Entscheidungen zustande kommen, die für uns täglich getroffen werden. Ohne Wertung, jedoch unter Hilfenahme vieler Interna wird dargestellt, wie Politik funktioniert und dass nicht nur die Politik selbst daran schuld hat, den Typ Volksvertreter heranzuzüchten, den die Bevölkerung immer mehr verachtet.

Vom ersten Tag an im Bundestag, nein, bereits vom Wahlkampf an, wird das Leben eines abgeordneten dargestellt, bis hin zur Abwahl und der Zeit danach. Intime Einblicke geben Größen wie Wolfgang Schäuble, aber auch Abgeordnete, von denen außerhalb des eigenen Wahlkreises bisher kaum jemand gehört haben dürfte.

Geschönt wird nichts, vielmehr bekommt man als Lesende/r Respekt vor dem Aufgabengebiet, in das sich die Gewählten einfinden müssen, den Zwängen und der Unberechenbarkeit.

Es geht hierbei nicht nur um die politischen Erfolge, Niederlage und Intrigen, die durchaus auch zur Sprache kommen, vielmehr erläutern die Autoren auch Zusammenhänge im politischen Gefüge und damit auch die Arbeit derer, die ebenso wichtig ist, für das Gelingen unserer Demokratie, wie etwa der Bundestagsverwaltung oder der Stenographen, die jede Rede wortwörtlich, inklusive Zwischenrufe, mitschreiben müssen.

Ein vielschichtiges Porträt mit bezeichneten Titel liegt hiermit vor, welches rein als Unterhaltung, aber mit hohem Informationsgewinn gelesen werden kann. Kurzweilig wird der politische Prozess des deutschen Bundestags dargestellt. Viele Entscheidungen, die für uns getroffen werden, erscheinen danach in einem anderen Licht.

Es ist kein Enthüllungsbuch, gibt jedoch einen Einblick hinter die Kulissen, der nachdenklich macht. Politik ist kein Selbstläufer und unsere Entscheidungsträger keine Menschen mit Heiligenschein, mit Schwächen und Stärken und einem unberechenbaren Arbeitsalltag, keineswegs in jedem Fall so bezahlt, wie es angemessen wäre.

Kritisch der Blick auf dem Lobbyismus in Berlin, den Umgang der Führungsebene der Fraktionen mit Abweichlern und der sich für die Abgeordneten immer mehrerende Druck aufgrund der Radikalisierung innerhalb des hohem Hauses und auf Wahlkreisebene.

Ohne diesen kritischen Blick zu verlieren und natürlich dem Führen von Diskussionen, das vielleicht als Quintessenz, sollten wir vielleicht in manchen Punkten etwas wohlwollender auf die Entscheidungen der Abgeordneten schauen. Beim Lesen mag oft genug der Gedanke kommen, an deren Stelle nicht stehen zu wollen. Andererseits, zum Glück gibt es Menschen, die genau das tun.

Autoren:

Peter Dausend arbeitet seit 2008 als Hauptstadtkorrespondent und Kolumnist für die Wochenzeitung Die Zeit. Davor er für die Zeitung Die Welt tätig.

Horand Knaup kam 1995 für die Badische Zeitung nach Bonn, wo er 1998 zum Spiegel wechselte. Viele Jahre begleitete er für das Nachrichtenmagazin das politische Geschehen in Berlin. Zuvor war er Korrespondent in Nairobi. Seit 2017 ist er freier Journalist und Autor.

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Michael Tsokos: Fred Abel 4 – Zerrissen

Zerrissen Book Cover
Zerrissen Reihe: Fred Abel – 4 Rezensionsexemplar/Thriller Knaur Taschenbuch Seiten: 400 ISBN: 978-3-426-52549-4

Inhalt:

Rechtsmediziner Dr. Fred Abel, stellvertretender Leiter der BKA-Einheit „Extremdelikte“, muss als Gutachter in einem besonders schweren Fall aussagen. Ein heikler Umstand: Das Opfer ist die Nichte seiner Kollegin Sabine Yao.

Kurz darauf landen zwei spektakuläre Morde auf Abels Sektionstisch. Seit Monaten ermittelt die Berliner Polizei gegen vier Brüder eines libanesischen Clans. Abel erkennt, dass die Machenschaften der Brüder schon länger seinen Weg kreuzen, und stellt eigene Nachvorschungen an. Doch das bleibt dem Clan nicht verborgen, und plötzlich ist das Leben von Abels schwangerer Lebensgefährtin Lisa in höchster Gefahr. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Michael Tsokos: Fred Abel 1 – Zerschunden

Michael Tsokos: Fred Abel 2 – Zersetzt

Michael Tsokos: Fred Abel 3 – Zerbrochen

Michael Tsokos: Fred Abel 4 – Zerrissen

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Rezension:

Wechselhafte und dicht geschriebene Thriller scheinen zurzeit in Mode. Wer möchte, findetr da viel Lesestoff. Spannend sind vor allem die, die sich an tatsächliche Geschehnisse anlehnen. Schließlich schreibt das wahre Leben mitunter die besten Geschichten, die, hätte man sie erfunden, mehr oder weniger auf Unglauben stoßen würden. Doch ist es auch hier notwendig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Rechtsmediziner Michael Tsokos ist jemand, den dieser Spagat beim Schreiben gelingt. Seine Inspiration ist oft genug auf den Sektionstischen der Rechtsmedizin zu finden. So auch die Grundlagen für den neuen Fall um Rechtsmediziner Dr. Fred Abel.

Die Gemengenlage der Spree-Metropole und noch einige andere Fälle aus dem Erfahrungsschatz des Autoren bilden erneut die Grundlagen für eine spannende Verwicklung, in der schon zum vierten Mal die Figur des Protagonisten Dr. Fred Abel die Hauptrolle einnimmt.

Gleich mehrere Fälle werden so fiktionalisiert verwoben, so dass nicht nur erneut berufliche und private Grenzen der handelnden Personen sich vermischen, sondern auch eine dichte Taktung kaum Spannungstiefen erscheinen lassen. Kurzweilig sind die schnell zu lesenden Kapitel zu lesen. Ein Sog entsteht, den man sich als LeserIn kaum entziehen mag.

Es geht um Clan-Kriminalität, Kindesmisshandlung, Drogenkriminalität und noch so einiges mehr. Die Grenze um Too-much-Moment ist nicht weit, wird zwar gestreift, dennoch nicht überschritten. Wenn auch nur, gerade noch so. Haarscharfe Wendungen sind folgerrichtig, wenn man sich auch manchmal beim Lesen selbst bremsen muss, um den einen oder anderen Spannungsmoment wirklich aufzunehmen, da der für die nachfolgende Handlung wichtig werden könnte.

Das funktioniert hier noch, auch wenn der Autor das eine ums andere Mal etwas zu sehr ins Medizinische abdriftet. Das dürfte den Fans von Tsokos nicht neu sein, jedoch andere Thriller-Leser vielleicht abschrecken.

Den vierten Band der Reihe kann man losgelöst von den vorangegangenen lesen. Keinerlei Faktenwissen darasu notwendig. Wer jedoch schon mehr Geschichten um die Rechtsmediziner Abel und Herzfeld gelesen hat, dem werden Anspielungen und Zusammenhänge auffallen, zudem auch, dass Tsokos immer geübter wird, wahrheit und Fiktion zu verbinden.

Die ersten Bände lesen sich nicht ganz so flüssig, wie dieser nun vorliegende. Um so erfreulicher, dass auch hier Ausssicht auf Fortsetzung besteht.

Autor:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut für Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite. 1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil.

2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand täig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populärer Sachbücher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.

Wolf-Ulrich Schüler arbeitet als Journalist und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Köln.

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Samantha Harvey: Westwind

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Westwind Samantha Harvey Atrium Verlag Erschienen am: 18.09.2020 Seiten: 383 ISBN: 978-3-85535-077-3 Übersetzer: Steffen Jacobs

Inhalt:

England, 1491. In dem kleinen, abgelegenen Dorf Oakham bereitet man sich gerade auf die bevorstehende Fastenzeit vor, als eines Nachts ein Unglück geschieht. Thomas Newman, der wohlhabendste und einflussreichste Mann im Ort, wurde von der Strömung des Flusses mitgerissen.

Ein paar Tage später taucht seine Leiche auf. War es ein Unfall, Mord oder Selbstmord? Dies herauszufinden, obliegt dem örtlichen Priester John Reve. Während sich durch die Beichten der Dorfbewohner langsam ein Porträt der Gemeinde zusammensetzt, kommen immer dunklere Geheimnisse ans Licht. Die Schuldfrage wird immer dringlicher. (abgeänderte Inhaltsangabe)

Rezension:

Szenarien bietet die Epoche des finsteren Mittelalters genug, so dass Fans historischer Romane sicher genug Auswahl haben. Die Themen sind so vielfältig, wie die historischen Figuren, selbst, wenn man frei schreibend, sich nicht an tatsächliche Geschehnisse orientiert.

So oder ähnlich hätte es ablaufen, die Stimmung unter den Protagonisten sein können. Dieses Gefühl mit einer Geschichte bei der Leserschaft zu wecken, dabei zu unterhalten, sollte das Ziel sein. Gelingt das, ist alles gut. Und dann gibt es noch Romane, wie den vorliegenden von Samantha Harvey.

Historische Romane bieten Platz für das ganz große Kino, was man rein, den Klappentext betrachtend, erwarten darf. Ein Priester in Konfrontation mit dem Glauben, die Dorfbewohner durch den Tod eines Menschen verunsichert, der am wenigsten dafür prädestiniert zu sein schien.

Ausufernde Intrigen, temporeiche, sich überschlagende Spannungsmomente und die Düsternis der Zeit. Auf diese freut man sich, nach dem Lesen der Inhaltsangabe, der ersten Zeilen, die aus der Sicht des Hauptprotagonisten geschrieben sind. „Westwind“, bietet jedoch allenfalls nur Schmalspur.

Gleichsam wie das beschriebene Dorf ist auch in dieser Erzählung alles mehrere Nummern kleiner. Spannungsmomente können ihre Wirkung kaum eine Seite lang halten, so dass das Tempo dem eines vor sich hin plätschernden Baches gleicht.

Das ist auf der Strecke ermüdend, zumal nur die Hauptprotagonisten einigermaßen vielschichtig sind, während der Rest der Figuren relativ farblos erscheint. Die Stimmung, die Samantha Harvey erzeugen wollte, kommt hier nicht auf, zudem das Ende mich unbefriedigt zurückgelassen hat.

Liegt es am Hintergrund des gestalteten Protagonisten, dem Szenario, der Idee dahinter? Nein, aber Sprache bedingt Wirkung, Spannungsbögen halten Lesende bei der Stange. Beides setzt die Autorin auf’s Spiel, zudem hier mehr Zwiespalt innerhalb der Figurenkonstellationen gepasst hätte und vielleicht noch die eine oder andere Verwicklung mehr.

Mit dem vorliegenden hätte man weniger Seiten besser füllen können. Unter historischer Spannungsliteratur stelle ich mir anderes vor, auch als detektivischer Roman, angesiedelt im Mittelalter, ist mir das zu dünn. Leider.

Autorin:

Samantha Harvey wurde 1975 geboren und ist eine englische Autorin. Zunächst studierte sie Kreatives Schreiben und Philosophie, bevor sie ihren ersten Roman im Jahr 2009 veröffentlichte. Kreatives Schreiben unterrichtet sie zudem an der Bath Spa University, wo sie als Dozentin tätig ist.

Harvey wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt u.a. den AMI Literature Award. Im Jahr 2010 wurde sie von The Culture Show zu einer der zwölf besten neuen britischen Schriftstellerinnen ernannt.

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Thomas Finn: Bermuda

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Bermuda Thomas Finn Droemer Knaur Erschienen am: 01.09.2020 Seiten: 522 ISBN: 978-3-426-22719-0

Inhalt:

Nur knapp überleben der Biologe Alex Kirchner und die Kreuzfahrt-Mitarbeiterin Itzil Perez den Untergang ihres Luxusliners, der mitten im Atlantik in einen schrecklichen Hurrikan gerät. Zusammen mit einem Dutzend weiterer Überlebender werden die beiden am Strand einer Vulkaninsel angespült.

Doch die vermeintliche Rettung erweist sich schnell als tödliche Falle: Weder Handys noch Kompasse funktionieren; mumifizierte Leichen werden angespült und nachts kommt es zu unheimlichen Licht- und Geräuchphänomenen. Schließlich kommt der erste Schiffsbrüchige ums Leben. Schleifspuren führen in den Mangrovendschungel, in dem ein namenoses Grauen lauert. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Nördlich der Karibik liegt ein legendenumwobenes und zu Teilen gefürchtetes atlantisches Seengebiet, in dem bereits mehrere Schiffe und Flugzeuge spurlos verschwunden sein sollen. Von der kleinen Jolle bis zum großen Frachtschiff sollen unzählige Objekte Opfer der Fluten geworden sein und so ist es kein Wunder, dass auch in der Literatur das Bermuda-Dreieck Grundlage für unzählige Geschichten bietet.

Zuletzt für den hier vorliegenden Horrorthriller des deutschen Autoren Thomas Finn.

Eine verlegerische Entscheidung sicherlich, ist die Ausformulierung von Klappentexten, doch verrät dieser beinahe zu viel, wenn auch nicht so, als dass es gespoilert wäre, doch beginnt mit der Ausführlichkeit eine Grauzone, die mit Vorsicht zu genießen ist.

Ein zwei Sätze weniger hätten es auch getan. Für diese Rezension habe ich mich daher entschlossen, den Klappentext etwas abzuwandeln. Ansonsten ist dies nämlich ein solider Horrorthriller, der alle Alpträume wahr werden lässt.

Das Motiv der idyllisch wirkenden Tropeninsel, auf der sich nach und nach die Hölle auf Erden entwickelt, sei es durch dem Schauplatz selbst oder durch die Protagonisten, ist nicht neu. Tatsächlich werden hier Elemente aus „Robinson Crusoe“ ebenso aufgegriffen, als auch aus „Der Herr der Fliegen“, das gilt zum einen für den Schauplatz als auch für den für die Handlung zufällig zusammengewürfelten Personenkreis.

Der Autor bringt von den ersten Seiten an, Tempo in die Handlung, deren Spannungsbogen sich rasant entwickelt. Dem Lesenden wird so schnell wie den Protagonisten, die sich deutlich in Sympathie- und Antipathieträger unterscheiden, klar, welches Grauen auf dem Eiland vorherrschen muss.

Ein jeder geht damit anders um, zum Überleben oder Nachteil der Gruppe gereichend.

Solche Geschichten lesen sich sehr flüssig, doch gilt es kleinere Logikfehler und so manches Mal harte Sprünge zu ignorieren, zwecks Lesegenuss. Der kommt auf, wirkt zum Teilen jedoch wie ein Horrorzweiteiler in den Öffentlich Rechtlichen, zumindest, was diese als solche bezeichnen.

Eine solide Speise ist das, die man essen kann, von der man satt wird, Begeisterungsstürme jedoch nicht auslöst. Einige Überraschungen gegen Ende runden die Geschichte jedoch in soweit ab, dass die Geschichte kein Fehlschlag ist.

Hervorzuheben ist das Erzähltempo und der Spannungsbogen, sowie das formulierte Ende. Für meinen Geschmack hätten der Geschichte jedoch ein paar mehr Seiten gut getan, sowie die Konzentration auf ein paar weniger Genre-Spielarten, als man diese hier vorfindet.

An manchen Stellen wirkt der Mix aus Horror, Historientrhiller, Wissenschaftsthriller, Science Fiction einfach ein wenig zu sehr over the top, von der fehlenden Subtilität einmal ganz abgesehen. Dass man dies über weite Strecken ignorieren kann, liegt allein an der Formulierungsleistung Thomas Finns.

Autor:

Thomas Finn wurde 1967 in Evanston/Chicago geboren und ist ein Schriftsteller und Journalist. Nach der Schule studierte er Volkswirtschaft in Hamburg und arbeitetete parallel als Journalist und Autor für diverse Verlage. Zuvor hatte er außerdem eine Lehre als Werbekaufmann absolviert. 1992 erhielt er den „ZauberZeit-Lesepreis“. Seit 2001 arbeitet er als Roman-, Spiele- und Drehbuchautor.

Bis 2011 war er zudem im Redaktionsstab des Rollenspiels „Das schwarze Auge“ (DSA) tätig. Finn lebt und arbeitet in Hamburg.

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Unda Hörner: 1929 – Frauen im Jahr Babylon

1929 - Frauen im Jahr Babylon Book Cover
1929 – Frauen im Jahr Babylon Unda Hörner ebersbach & simon Erschienen am: 19.08.2020 Seiten: 253 ISBN: 978-3-86915-213-4

Inhalt:

1929 – die wilden Zwanziger entfalten noch einmal ihre volle Blüte, es ist ein letzter Tanz auf dem Vulkan. Marlene Dietrich spielt die Rolle ihres Lebens in Der Blaue Engel, Vicki Baum wird mit Menschen im Hotel weltberühmt und Lotte Jacobi zur Starfotografin der Berliner Prominenz.

Clärenore Stinnes tourt todesmutig im Auto um die Welt, Louise Brooks öffnet in Berlin Die Büchse der Pandora und Lotte Lenya feiert als Seeräuberin Jenny in der Dreigroschenoper triumphale Erfolge. Unda Hörner lädt ein zu einer faszinierenden Zeitreise auf den Spuren berühmter Frauen und entwirft ein facettenreiches Panorama weiblicher Kulturgeschichte im Jahr Babylon. (Klappentext)

Rezension:

Immer bedrohlicher zeigen sich dunkle Wolken am Himmel, als die letzten Monate des Jahres voranschreiten. Hetze in den Zeitungsblättern tritt deutlicher zu Tage, die Wirtschaft gerät ins Wanken. Doch, bevor es so weit ist, feiert sich die Welt noch einmal selbst. Mittelpunkt des Tanz‘ auf dem Vulkan ist die Metropole an der Spree, wo sich die Lebenswege ihrer Protagonistinnen kreuzen.

Die Autorin Unda Hörner nimmt uns mit auf eine Zeitreise, durch ein Jahr gleichsam als Sammlung kultureller Höhepunkte und legt damit einen wunderbaren Roman vor.

Der hat es in sich. Gegliedert nach Monaten beginnt die Zeitreise im Januar 1929. Kurzweilig sind die Abschnitte, handlich zu lesen die Kapitel. Mittelpunkt sind die Menschen, die das letzte Jahr der Goldenen Zwanziger prägten, wobei der Fokus hier auf die kulturelle und vor allem weibliche Seite gelegt wird.

Die studierte Germanistin begibt sich dabei auf den Spuren von Erika Mann, ebenso Marlene Dietrich, die den Dreh für einen Film beginnen wird, der ihr zum Durchbruch verhilft. Wir begleiten die Verlegerin an der Seite Erich Kästners und schauen durch die Linse Lotte Jacobis, die die Berliner Prominenz auf Zelluloid zu bannen weiß. Eine unvollständige, aber bezeichnende Sammlung in Romanform, die es in sich hat.

Es sollte das letzte Jahr friedlicher Unbeschwertheit sein, und so erlebt der Lesende Menschen, die gleichsam optimistisch und gespannt in die Zukunft blicken. Zumindest zunächst. Frauen, die bisher im Hintergrund tätig waren, treten nun nach vorne und bahnen sich sich zurecht ihren Weg. der führt dann schon einmal querfeldein durch Amerika oder in die dunklen Hallen des damals modernsten Studios für den damals noch relativ neuen und aufstrebenenden Tonfilm.

Geschickt hat die Autorin hier historische Fakten in einem historischen Roman eingewebt, der oftmals sehr still ist, mit Spannungsbögen sehr sparsam umgeht. Schließlich sind die Ereignisse ja bekannt. Was daraus Unda Hörner jedoch entwickelt hat, diese Dialoge, die die Erzählung lebendig werden lassen und tatsächlich so abgelaufen sein könnten, ist einfach schön.

Hier trifft es einmal, dass schöne Sprache nicht nur zu einem Kunstprodukt führt, sondern sich gut lesen lässt.

Wir begleiten Marlene Dietrich auf den Weg zu ihrer wohl größten Rolle und schauen Erika Mann über die Schulter, die versucht aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters herauszufinden, der den Nobelpreis bekommen wird. Wer diesen Roman liest, wird durch die Kameralinse von Lotte Jacobi schauen und eine Verlegerin bei der Suche nach einem Autoren begleiten, der ihr ein modernes Kinderbuch schreiben soll.

Alleine diese Geschichten schon sind interessant, ausgeschmückt mit vielen Details auf doch so wenigen Seiten kann man das letzte Jahr der 1920er Jahre hier praktisch durch die kulturelle Lupe betrachten. Sehr dicht wird das alles erzählt, Momente zum Innehalten, wie auch der Rausch der Zeit zu spüren ist, für jeden, der das liest.

Große Kunst ist das.

Autorin:

Unda Hörner wurde 1961 in Kaiserslautern geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der Freien Universität Berlin Germanistik und Romanistik, promovierte im letzteren 1993 über Elsa Triolet. Seither beschäftigt sie sich mit berühmten oder weniger berühmten Frauen und brachte mehrere Romane und zahlreiche Biografien zu Papier. Im Jahr 2001 erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis.

Die Autorin, die auch als Journalistin, Übersetzerin und Herausgeberin tätig ist, veröffentlichte u.a. „1919 – Das Jahr der Frauen“, sowie „Kafka und Felice“, welches 2017 erschien.

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Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Die seltsamsten Orte der Religionen Book Cover
Die seltsamsten Orte der Religionen Johann Hinrich Claussen C.H. Beck Verlag Erschienen am: 27.08.2020 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-75598-9 Illustrationen: Lukas Wossagk

Inhalt:

Niemand hat die Absicht, einen seltsamen Ort zu schaffen. Es passier einfach. Der älteste Steingarten Japans wird von Moos überwuchert, Bäume erweisen sich plötzlich als heilkräftig, Kirchen müssen vor Verfolgern versteckt werden. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser zu 39 christlichen und nichtchristlichen Orten auf der ganzen Welt, die wie von einem anderen Stern sind. (Klappentext)

Rezension:

Die Welt ist voller Religion, ob es einem gefällt oder nicht.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Was und woran glaubst du? An der Frage scheiden sich, sprichwörtlich, die Geister und so kommt es nicht von Ungefähr, dass sich die unterschiedlichen Spielarten in den verschiedensten Plätzen und Orten, Gebäuden, manifestieren. Kirchen, Moscheen und Synagogen, Tempel sind zwar die Norm, doch Religion zeigt sich eben nicht nur in offiziellen Bauten.

Vielerorts gibt es Abweichungen von der Norm, die hervorstechen und dadurch zu etwas Besonderen werden. Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen nimmt uns Lesende mit auf eine Reise zu den spirituellen Orten der Welt.

Der sonderbare Trip erfordert einen besonderen Reiseführer, der nun in der Art eines kurzweiligen Sachbuches bei C.H. Beck vorliegt. In handlichen Kapiteln und kurzweiligen Abschnitten werden hier Pilgerziele für Millionen ebenso vorgestellt, wie Orte religiöser Prägung, die nur einer kleinen ausgewählten Gruppe von Menschen vorbehalten sind.

Spannend die Geschichten dahinter, weshalb in Frankreich etwa ein Postbote sein Mausoleum errichtet hat oder der Gottesdienst seinen Weg ins Internet gefunden hat. Hat wer vielleicht Angst vor dem Tod, gibt es inzwischen die Möglichkeit sich einfrieren zu lassen. Nachhaltigkeit gibt es jedoch auch ganz und gar, zum Beispiel in Spanien. Dort wird eine Kathedrale aus Müll errichtet.

Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensionierter Schrotthaufen – ein wildes Gewirr von Metallstäben, die spitz in die Höhe ragen. Dabei ist es das Nationalheiligtum Litauens.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Vornehmlich christliche Orte werden hier aufgelistet, was dann auch einer der wenigen Kritikpunkte ist, immer mit Ortsangabe und kurzem, überhaupt nicht trögen geschichtlichen Abriss. Manifestifikationen anderer Religionen sind Einsprengsel und werden in wenigen Beiträgen erörtert. Schade, dabei gibt es gerade auf diesem Gebiet sicher so viel zu entdecken, wenn es auch nicht für jeden ein Besuch im indischen Rattentempel sein muss.

Sachlich und wohlwollend sind die Schilderungen. Kritik schimmert kaum durch, doch zeigt Claussen durchaus Wege auf, die Menschen konsequent gegangen sind, wenn diese sich verstoßen oder ausgegrenzt, wahlweise auch erleuchtet gefühlt haben, um ihrem Glaube Ausdruck zu verleihen.

Das funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch einige Längen beim Lesen entstehen, die jedoch den Blick über den Tellerrand schärfen. Und, wer weiß? Vielleicht begibt sich ja der eine oder andere Leser selbst einmal auf Entdeckungsreise. Der Autor zeigt zumindest, dass sich ein Trip da und dorthin durchaus lohnen kann.

Autor:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und Autor. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und London, promvierte dort im Jahr 1996.

Im selben Jahr wurde er zum Pastort ordiniert, habilitierte sich 2005 an der Universität Hamburg und lehrte dort als Privatdozent. Claussen ist Beauftragter im Rat der EKD für Kultur und leiter des dort dafür zuständigen Büros. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge. Eines seiner ersten Werke erschien im Jahr 2004.

Illustrator:

Lukas Wossagk ist seit 2012 als freiberuflicher Illustrator und Grafiker tätig, unter anderem für Projekte der Stadt München. Zudem wirkte er bereits mehrfach für im C.H. Beck Verlag erschienene Werke.

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Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Ameisen unterm Brennglas Book Cover
Ameisen unterm Brennglas Jens Steiner Arche Verlag Erschienen am: 21.08.2020 Seiten: 240 ISBN: 978-3-7160-2790-5

Inhalt:

Eine Serie von Gewaltakten erschüttert die Schweiz: Ein unbekanntes Paar steckt ein Haus in Brand, schießt auf eine Raststätte, nimmt eine Geisel. Die Medien schreiben den Taten sogleich verschiedenste terroristische Hintergründe zu.

Auch die Bevölkerung versucht, sich einen Reim auf die Vorkommnisse zu machen, unter ihnen: Frühpensionär Toni Manfredi, Mittelschichtsvater Martin Boll und die alleinerziehende Mutter Regina Novotny. Sie alle wünschen sich Halt und Stabilität, doch ihre Welt gerät immer mehr aus den Fugen. Darauf reagieren sie mit Resignation – oder mit lautstarker Entrüstung und Aggression. (Klappentext)

Rezension:

Das brennende Haus zuerst, dann der Überfall auf den Fressbalken? Was mag da noch kommen? Könnte ja alles nur Zufall sein, aber man macht sich schon so seine Gedanken. Die kleine Stadt inmitten der Schweiz ist in jedem Fall in Aufruhr.

Ein jeder versucht, Erklärungen zu finden und geht mit der Situation anders um. Darin verwickelt ist man ja irgendwie auch, schließlich lebt man hier. Doch, was ist nur mit dieser Gesellschaft los? Jens Steiners Roman als Portrait unserer Gesellschaft hält uns LeserInnen den Spiegel vor.

Ameisen, die wir alle auf den Planeten leben, vermögen wir als Einzelne kaum etwas zu bewegen oder zu verändern, wirken jedoch als Gesamtheit dann doch. Nicht nur leider im Guten, sondern vielmehr auch im Schlechten und das beginnt schon bei den Erklärungsversuchen von Ereignissen und den Umgang mit diesen.

Stellvertretend für die Gesamtheit stellt der Autor dies an seiner Auswahl von Protagonisten dar, die allesamt unabhängig von einander agieren, deren Handlungen sich hin und wieder kreuzen, gegenseitig beeinflussen. fein gezeichnet sind sie, diese Charaktere, aus deren Sicht abschnittsweise die Geschichte erzählt wird.

Gemeinsam haben sie nur, die Region in der sie leben, ansonsten wirken sie in diesem Szenario zwar mittendrin, doch irgendwie verloren.

… Ein Abenteuer ist wie ein Fangnetz, da kommst du nicht mehr so schnell raus. Wie Donald Duck, der wieder mal in der Patsche sitzt, zappelst und tobst du, aber das nützt dir gar nichts. Musst eben mitmachen bei dem Abenteuer. Vielleicht ist das deine Mission. Hast nie gewusst, was deine Mission ist. Bitte schön, jetzt hast du eine. Mitmachen und alles sehen. Jedes Abenteuer braucht einen, der alles sieht und in seinem Gedächtnis behält.

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Die Zeitspanne der Handlung ist etwas weniger als eine Woche, entsprechend verdichtet ist die Erzählweise, sehr erstaunlich, wenn man die Vielzahl der Protagonisten betrachtet. Die sind so gewählt, dass jede/r Leser/in seine Identifikationsfigur findet, egal welchen Alters und welcher Lebenssituation zugetan.

Der kleine durch die Gegend streunende Junge, wie das sich sorgende Oberhaupt, welcher sich sowohl in der Familie als auch im Büro zunehmend an den Rand gedrängt fühlt, die mit ihren angehäuften Ehrenämtern überforderte Mutter, wie der nur noch auf den Tod wartende Pensionär. Sie alle kreisen um sich selbst, sowie um die Ereignisse, denen sie sich ausgesetzt fühlen, denen sie nichts entgegenzusetzen haben.

Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, der man mit Resignation oder Wut begegnet. Die gegensätzlichen Charaktere reagieren entgegen ihrer Gewohnheiten oder stellen sich auf die veränderten Gegebenheiten ein. Überwiegend still wird die Geschichte aus der Feder Jens Steiners erzählt, unspannend ist das dennoch nicht. Gedankensprünge der Protagonisten bringen Bewegung in die Geschichte und verhindern langwierige Stellen.

Überraschungen gibt es nur mehr gegen Ende der Geschichte, auch manche Lücken im Handlungsverlauf, die sich jedoch logisch einfügen ins Ganze. Hier ist weniger mehr. Auch die Anzahl der Seiten ist begrenzt. Es zeigt sich, ein guter Roman muss kein Wälzer sein.

Jetzt ist er nur noch müde. Er will nicht mehr abhauen. Außerdem, was bringt es? Er macht ja sowie so alles falsch. Ist immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Mama hat schon recht, dass sie ihm nachspioniert. Würde er auch machen, wenn er seine Mutter wäre. Hohlkopf. Volldödel. Hein Blöd.

Braucht man sich nicht zu wundern, wenn man am Schluss in diesem trüben Rübezahl-Landstrich landet. Trübezahl. Trüb und kahl. Müd und fahl.

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Bildlich tauchen die Schauplätze vor den Augen der Lesenden auf. Jens Steiner vermag es, kurzweilig Orte und Situationen zu beschreiben, so dass man sie förmlich greifen kann. Ein Juwel im Bücherregal, ein Roman als Psychogramm der von außen ruhig wirkenden Schweizer Gesellschaft. Vom Autoren sollte noch mehr gelesen werden, unbedingt. Mit dieser verdichteten Erzählung kann man ja den Anfang machen. Der lohnt sich in jedem Falle.

Autor:

Jens Steiner wurde 1975 in Zürich geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft eben dort und in Genf, bevor er als Lehrer und Lektor arbeitete. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und für den Deutschen Buchpreis nominiert. Den Schweizer Buchpreis erhielt er 2013.

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Tom Chesshyre: Slow Train

Slow Train - Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen Book Cover
Slow Train – Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen Tom Chesshyre Dumont Reise/mairdumont Erschienen am: 14.04.2020 Seiten: 334 ISBN: 978-3-7701-6696-1 Übersetzerin: Astrid Gravert

Inhalt:

Die Freiheit auf Schienen genießen – dafür begibt sich Tom Chesshyre auf eine abenteuerliche Zugreise quer durch Europa, von London über die Ukraine bis nach Venedig. Das eigenetliche Reiseziel, Europa und seine Bewohner kennenlernen.

Tom Chesshyre reist ohne genauen Plan, eben dorthin, wohin die Schienen führen, und freundet sich unterwegs mit seinen Mitreisenden an – und natürlich mit dem ein oder anderen Schaffner. Ein persönlicher Reisebericht, der zeigt, was Europa zusammenhält. Und eine leidenschaftliche Einladung, sich mit dem nächsten Zug selbst auf den Weg zu machen. (Klappentext)

Rezension:

Als Groß-Britannien sich dafür entscheidet, die Europäische Union zu verlassen, besteigt der Reiseschriftsteller Tom Chesshyre einen Zug und begibt sich auf die Suche nach eben dem, wovon sich so viele seiner Landsleute entfernt zu haben scheinen. Was ist das, dieses Europa? Welche Bedeutung hat der Begriff, der für die Einen Hoffungsschimmer und Sehnsuchtsort, für die anderen Projektionsfläche allen Übels darstellt?

Was können wir heute noch von diesem Zusammenhalt für uns mitnehmen, der zunehmend zu bröckeln beginnt. Mit einem Interrailticket durchquert der Autor den Kontinent, von West nach Ost, Endstation Venedig.

Reiseberichte sind Momentaufnahmen bestimmter Zustände und zumeist sehr subjektiv. Da nimmt sich dieser von Tom Chesdshyre nicht aus, dessen Liebe zu Zügen bereits auf den ersten Seiten auffällt. Der Leser begleitet den Autor von Station zu Station, die Kapiteleinteilung folgt der Reiseroute. Eindrücklich sind die Schilderungen von Begegnungen im Zug, kurzen Momenten der Beobachtung an den Bahnsteigen. Passieren tut nicht viel.

Tom Chesshyre lässt sich treiben und überraschen, ob von belgischen Schaffnern oder im Museum der zerbrochenen Beziehungen, irgendwo im ehemaligen Jugoslawien. Das macht nichts. Interessant sind ohnehin die Gedanken des Briten, die mit zunehmender Entfernung von zu Hause immer mehr zum dortigen politischen Geschehen schweifen. Werden in einem Europa, in dem sich die Staaten immer mehr von einander entfernen, Reisen wie diese noch möglich sein?

Am Rande der Bahnsteige, Bahnhöfe, zeigen sich für Autor und LeserInnen, wie Europa heute noch wirkt und was das für die Menschen bedeuten kann, etwa im gebeutelten Kosovo oder in der von den jüngsten Auseinandersetzungen mit Russland geplagten Ukraine.

Sachlich, doch immer auch mit viel Emotionen verbunden, beschreibt Chesshyre was er sieht ohne ins Kitschige abzugleiten. Nur manchmal ist das Technische, die Eisenbahnliebhaberei dann doch etwas zu viel des Guten. Fans des Rollwerks auf Schienen kommen jedoch auf ihre Kosten. Liebhaber von Reiseberichten, ohnehin.

Ein Plädoyer für Europa, ob nun innerhalb eines politischen Gebildes, so doch als Gemeinschaft, in der ein jeder sein eigenes Leben lebt und doch auf den jeweils Anderen einwirkt. Die Eisenbahn verbindet heute noch ganze Länder und Regionen, funktioniert auch dort zuweilen, wo Politik gerade auseinander triftet.

Auf persönlicher Ebene scheint noch zu klappen, was offiziell immer schwieriger wird. Tom Chesshyre beobachtet, saugt auf und spricht mit den Menschen, hört zu. Das Reisen auf Schienen macht neugierig, verbindet, verändert Blickwinkel. Einen hauch davon kann man aus diesem Bericht mitnehmen. Damit ist dann schon ein Anfang gemacht.

Autor:

Tom Chesshyre wurde 1971 geboren und ist ein britischer Reiseschriftsteller. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte er mehrere Reportagen, u.a. bei The Times. Auch für National Geographic war er bereits tätig. Über das Zugreisen schrieb er bereits mehrere Reiseberichte. Chesshyre lebt in London.

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