Geschichte

Claudia Sammer: Als hätten sie Land betreten

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Als hätten sie Land betreten Claudia Sammer Erschienen am: 10.09.2020 braunmüller Verlag Seiten: 174 ISBN: 978-3-99200-285-6

Inhalt:

Die besondere freundschaft zwischen der jüdischen Veza und der nichtjüdischen Lotti in den 1930er-Jahren ist Ausgangspunkt einer Geschichte über sechs Frauen.

Über mehrere Generationen hinweg werden Lebensentwürfe skizziert, die geprägt sind von Abhängigkeit und Selbstständigkeit, vom Zweifeln und Sich-Finden, vom Glauben an eine höhere Macht und dem festhalten an der Erinnerung. erst nach ihrem Tod erfährt Lottis Familie von Vezas existenz und der gemeinsamen Zeit, eine Entdeckung, welche die Enkelin dazu ermutigt, neue Wege zu gehen. (Klappentext)

Rezension:

Entgegengesetzt den Vorstellungen ihrer Familien entwerfen sie vom jungen Alter an ihre Lebensentwürfe selbst, ecken an und kämpfen gegen Widerstände. Die liegen in der eigenen Verwandtschaft, sowie in der Zeit, der sie ausgesetzt sind, doch Veza und Lotti behaupten sich.

Das müssen sie, die eine um des Überlebens Willen, die andere, um unabhängig zu werden. Nur, die sie umgebenden Menschen wissen nicht davon, erfahren dies erst nach Jahrzehnten. Mehr gibt es auch zur Handlung nicht zu sagen. Es sei denn, man möchte zu viel verraten.

Die Schriftstellerin Claudia Sammer legt mit “Als hätten sie Land betreten” eine Novelle von sprachlicher Wucht vor, für die man sich Zeit nehmen muss. Zeit nehmen, poetische Sätze in sich aufzusaugen, die aneinandergereiht wie eine Perlenkette wirken, doch schwer zu fassen sind.

Oft genug muss man, möchte man innehalten, Sätze immer und immer wieder lesen. Unscheinbar dieser Band, so einnehmend der Text. Die Freundschaft als Dingsymbol, als Dreh- und Angelpunkt in all seinen Fascetten, Widersprüchen, die die kompakten Kapitel durchziehen, die einmal als Entschluss der Kindheit gefasst, ihre Protagonisten nicht wieder loslässt.

Und doch hat der Text seine Längen. Monotonie erstreckt sich über mehrere Kapitel, ein Spannungsbogen nur zu Beginn und zum Ende, dazwischen gefühlt Leere. Das ist schwierig bei der Kürze des Textes und kaum zu rechtfertigen.

Alleine, man muss in der richtigen Stimmung sein, so etwas zu lesen, damit die Erzählung ihre volle Wirkung entfalten kann. Dann funktioniert das auch, der Zwiespalt der Protagonisten in ihren Entscheidungen, die Entwicklung über den beschriebenen Zeitraum.

Die Novelle verleitet zum schnellen Lesen, wer dies tut, macht’s jedoch falsch. Langsam, häppchenweise sollte man den Text in sich aufnehmen. Dann funktioniert es auch. Und das ist die eigentliche Problematik. Nur, wer ahnt das schon mit den ersten gelesenen Zeilen?

Autorin:

Claudia Sammer wurde 1970 geboren und ist eine österreichische Schriftstellerin. Zunächst studierte sie Rechtswissenschaften und Literarisches Schreiben und arbeitete in Wien und Mailand. Inzwischen lebt sie mit ihrer Familie wieder in Graz. 2019 erschien ihr erster Roman.

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Thomas Reinertsen Berg: Auf einem Blatt die ganze Welt

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Auf einem Blatt die ganze Welt Thomas Reinertsen Berg dtv Erschienen am: 23.10.2020 Seiten: 351 ISBN: 978-3-423-28246-8 Übersetzung: Frank Zuber, Günther Frauenlob

Inhalt:

Von den geheimnisvollen Symbolen der Steinzeit bis zu Google Earth: Thomas Reinertsen Berg nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Landkarten. Etwa nach Antwerpen, dem Zentrum der Kartografie im 16. Jahrhundert, wo Abraham Ortelius 1570 den ersten modernen Atlas schuf.

Oder in die Arktis, wo Fridtjof Nansen während einer Expedition bislang unbekannte Gebiete kartierte. Er berichtet vom Versuch, den Meeresboden topografisch abzubilden, vom kampf um den Weltraum zwischen Amerikanern und Sowjets und von der Halbwertszeit digitaler Aufzeichnungen. Eine eindrückliche Erzählung über die menschliche Sehnsucht, den geografischen Raum zu erfassen und darzustellen. (Klappentext)

Rezension:

Der Erfolg des Menschen liegt in der Fähigkeit begründet, miteinander zu kommunizieren und sich zusammen zu schließen, jedoch auch mit anderen das Wissen um Nahrungsquellen, Gefahren oder Wasser zu teilen. Seit jeher spielte dabei die Verbildlichung, die Kartierung der Welt eine bedeutende Rolle, die bis heute anhält. Zunächst beschränkte sich die Visualisierung auf die unmittelbare Umgebung, die man auf Felswänden darstellte.

Von diesen ersten Karten bis zur Erweiterung des Radius’ durch die Satellitentechnologie war es jedoch ein langer, manchmal abenteuerlicher Weg. Thomas Reinertsen Berg wirft mit seinem Lesepublikum einen Blick in diesen Teil unserer Geschichte.

Nach intensiver Recherche nimmt der Autor uns mit auf eine erstaunliche Reise, die faszinierender kaums ein könnte. Das Interesse des Autoren für die Thematik überträgt sich Zeile für Zeile auf die Lesenden, die gleichsam in das abgebildete und erläuterte Kartenmaterial versinken.

Anhand diesem wird im Spannungsfeld zwischen Überblicks- und Detailwissen nach intensiver Recherche ein Horizont eröffnet, so wie es sein müsste, würde man als Mensch sämtliche Epochen unserer Geschichte selbst erleben.

Karten sind Weltbilder – Bilder der Welt. Alle Karten in diesem Buch repräsentieren verschiedene Blickwinkel auf unsere Welt, von den Spekulationen der Griechen bis zum religiösen Blick des Mittelalters, von der proto-wissnschaftlichen, objektivereren Kartierung der Renaissance bis zur enormen Datensammlung im digitalen Zeitalter. Gemeinsam ist allen, dass ihr Blick auf die Welt aufzeigt, was man zu ihrer Zeit wichtig fand und was damals möglich war.

Thomas Reinertsen Berg “Auf einem Blatt die ganze Welt”

Das ist kurzweilig beschrieben, zugleich spannend, spart Reinertsen Berg nicht am reichhaltigen Erzählen, wenn es um die großen Polarexpeditionen auf der Suche nach Seewegen geht oder aber auch, viel früher, um die Konkurrenzkämpfe der Kartografen und Drucker im Antwerpen des 16. Jahrhunderts.

Er zeigt, welchen Einfluss Menschen von Beginn auf die Kartierung, damit die Wahrnehmung der Welt nahmen, spart jedoch auch die Eindrücke nicht aus, denen die Kartografen von Ortelius bis Blaeu unterlagen, sowie, was dies bis heute mit uns macht und wohin sich unsere Wahrnehmung der Karten in Zukunft entwickeln wird.

Kleinteilig ist dies zuweilen, jedoch so vielschichtig, wie die Männer und Frauen, die den Horizont der Karten durch ihre Theorien, Forschungen und Expeditionen und manchmal durch schieres Glück erweiterten, so dass hiermit ein spannendes Stück Geschichte gesammelt vorliegt, in welcher es sich lohnt, einzutauchen.

Die Herausforderungen der Kartierer vergangener Zeiten waren andere als die unsrigen, doch um Möglichkeiten und Nutzen der Kartografie für die Problemstellungen unserer Welt zu begreifen, lohnt der Blick zurück. So ist dieses kurzweilige und informativ gut recherchierte Werk nur zu empfehlen.

Leseprobe: Hier klicken. (Quelle: dtv)

Autor:

Thomas Reinertsen Berg wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Journalist und Autor für Sachbücher. Er studierte Literaturwissenschaften, sowie nahöstliche und nordafrikanische Kultur. Im Jahr 2003 war er Mitbegründer der zeitschrift “Babylon – nordische Zeitschrift für Nahost-Studien”, der er noch immer als Redakteur angehört. Seit 2007 schreibt er Kolumnen für die norwegische Zeitung Morgenbladet. Sein Buch “Verdensteater” veröffentlichte er in seinem Heimatland 2017. Dafür erhielt er den Brage-Preis der Kategorie Sachbuch.

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Rita Mielke: Atlas der verlorenen Sprachen

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Atlas der verlorenen Sprachen Rita Mielke Duden Verlag Erschienen am: 07.10.2020 Seiten: 240 ISBN: 978-3-411-70984-7

Inhalt:

Fremde Sprachen eröffnen überraschende Einblicke in die Lebenswelten von Völkern und Kulturen. Irokesisch, Tofalarisch, Sami, Bora, Quechua: Allein der Klang dieser Sprachbezeichnungen erinnert an die enorme kulturelle Vielfalt auf unserer Erde – und daran, dass viele dieser Sprachen bedroht oder bereits verloren sind. der “Atlas der verlorenen Sprachen” reist einmal um die Welt und besucht 50 Sprachen auf fünf Kontinenten. (Klappentext)

Rezension:

Sprachen sind per Definition komplexe Systeme, sich auszudrücken und um sich zu verständigen. Unzählige gibt es auf unserem Planeten,allesamt Kulturgut. Wenige werden von vielen Menschen gesprochen, allzu viele sind dagegen vom Aussterben bedroht oder bereits für immer verschwunden. Das hat verschiedene Ursachen, die großteils in unserer Geschichte zu suchen sind.

Um so wichtiger ist es, zu dokumentieren, was noch zu recherchieren ist, die wenigen verbliebenen Sprecher und Sprecherinnen aufzusuchen, um so viele Wortschöpfungen, grammatikalische Gegebenheiten für die Nachwelt zu bewahren, zumal in einer globalisierten Welt, in der kleinräumige Sprachen immer mehr drohen, auszusterben.

Manchmal gelingt das. Verschiedene Sprachen, die einst auszusterben drohten, werden heute wieder gepflegt. Andere sind bereits heute verloren. Die Duden-Redaktion hat sich aufgemacht und legt zum wiederholten Male ein buntes Sammelsurium vor, diesmal rund um den Globus, in fünfzig Sprachen um die Welt.

Wie viele Wortschöpfungen kennt eine Sprache für Regen? Was bedeuten Zahlen, wenn nach der Vier nur noch “Viele” kommen und was wurde und wird bis heute getan, um Sprache zu bewahren? Kurzweilig ist dieses kuriose Lexikon, welches das Vorkommen der Sprache in schereschnittartiken Landkarten verdeutlicht, ebenso die Anzahl derer, die die jeweiligen Sprachen heute noch pflegen, damit kommunizieren können.

Auf den nachfolgenden jeweils zwei bis vier Seiten wird dann ein kleiner informativer, nicht trockener Abriss der Geschichte dieser Sprache dargestellt, Zusammenhänge gezeigt, die zum jeweiligen Zustand dieser führten, in der sich die erwähnten Sprachen heute befinden.

Das ist zum Teilen amüsant, oft genug traurig, doch wird hier gezeigt, dass Sprache durchaus lebendig gehalten werden kan, ob in Gegenständen der sie jeweilig verwendenden Kulturen oder durch die Übernahme von Begriffen in einer Sprache, die in noch größerer Anzahl gesprochen wird.

Wer dieses Werk, dieses kleine Lexikon zur Hand nimmt, wird darin versinken und über so herrliche Begriffe wie Humuhumunukunukuapua’a stoßen und herausfinden, was der Autor von “Peter Schlemihls wundersamer Geschichte”mit einem Riesenfarn zu tun hat, wie kompliziert man in anderen Sprachen Verwandtschaftsbeziehungen ausdrücken kann, und das isolierte Sprachen den Hang zum Komplizierten besitzen.

Es wäre doch witzig, wenn aufgrund von solchen Werken nicht mehr nur Igel im Herbst unsere Wege kreuzen, sondern ein Stachelinus (Begriff aus dem Rotwelchem).

Für alle, die sich gerne mit Sprache beschäftigen, damit spielen und auch sonst Geschichte und Kultur einmal von einem anderen Blickwinkel betrachten möchten, ist dies eine wunderbare Zusammenstellung.

In der Hoffnung, dass es zumindest einige der Sprachen schaffen, zu überleben und aus anderen wenigstens ein paar Begriffe und Eigenheiten zu retten. Dieses nicht auf Vollständigkeit bestehende Werk ist schon einmal ein Anfang. Festzustellen bleibt, Sprache ist spannend.

Autorin:

Rita Mielke ist Autorin und Sprachwissenschaftlerin beim Duden-Verlag.

Und nun eine kleine Rätselfrage. ;-D

Was ist ein Humuhumunukunukuapua’a?

Lösung:

Der Diamant-Picassodrückerfisch in der Sprache Hawaiianisch. Das Tier ist der Staatsfisch von Hawaii.

[Einklappen]

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Klaus Brinkbäumer/Stephan Lamby: Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe

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Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe Klaus Brinkbäumer/Stephan Lamby C.H. Beck Verlag Erschienen am: 28.09.2020 Seiten: 389 ISBN: 978-3-406-75639-9

Inhalt:

Nach vier Jahren einer fatalen Präsidentschaft sind die USA eine wütende, nur noch im Hass vereinte Nation – und erleben in der gegenwärtigen Weltkrise eine mutible Katastrophe. Der ehemalige Chefredakteur des SPIEGEL Klas Brinkbäumer und der preisgekrönte Dokumentarfilmer Stephan Lamby berichten von den zahlreichen Fronten.

Ihr Buch ist eine investigative Reportage über ein zerfallendes Land, das seinen Kompass und seine Wahrheiten verloren hat. (Klappentext)

Rezension:

Einen Trümmerhaufen gleich, liegt die amerikanische Demokratie am Boden. Ein Scherbenhaufen, der in immer noch kleinere Teile zerstoßen wird und kaum mehr verbunden werden kann, zu dem, was dieses Land einst zur Weltmacht ersten Ranges gemacht hat.

Seit Jahrzehnten haben viel zu viele daran gearbeitet, dieses System zu zerstören, erst langsam, dann immer schneller und so ziehen sich heute kaum zu überwindende Gräben durch die amerikanische Gesellschaft, Medien und Familien.

Symptom dessen ist seit 2016 ein amerikanischer Präsident, der von Demokratie und Meinungsfreiheit nichts hält, Wissenschaftlern nicht traut und überdies nur seine eigene Sicht der Dinge gelten lässt, seine Bürger nach Strich und Faden belügt. Der Feind bestimmt den politischen Alltag. Ein Diskurs fast unmöglich. Die Journalisten Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby haben sich auf Spurensuche begeben und fahnden nach einer Nation im Wahn..

So viele Bücher sind bereits von allen Fronten her erschienen, über die präsidentschaft Trumps, die nun wohl ein Ende findet. Der Scherbenhaufen, den der Immobilienmogul hinterlässt, gibt jedoch Anlass zur Sorge. Denen, die bis dato davon profitiert haben und Angst vor einer Zukunft nach einem Politikwechsel haben, denen, die sich dafür fürchten, was passiert, wenn das zerstörte System der amerikanischen Demokratie nicht mehr repariert werden kann.

Feinfühlig und dicht öffnen die beiden deutschen Journalisten ihren LeserInnen, was für Außenstehende kaum zu begreifen ist. Sie fragen nach, zu beiden Seiten der politischen Lager, die sich verfeindet gegenüber stehen, versuchen zu verstehen und dennoch fühlt man sich Zeile für Zeile einem kommenden Bürgerkrieg näher, den man kaum ausweichen kann. Als ausländischer Betrachter zum ratlosen Zuschauen verdammt.

Rechercheleistung durch die jüngere amerikanische Geschichte, die zeigt, welche Auswirkungen die Sklaverei noch heute führt, weshalb sich die Kolonialisatoren von einst heute bedroht fühlen und immer radikaler denken.

Das und dazu die Betrachtung einer politischen Welt, die sich ihre Feindbilder selbst schafft, dabei sich immer mehr vom Normalbürger entfernt, der dann unter Umständen sogar dazu bereit ist, Lügen eines Staatsoberhauptes zu akzeptieren. Denn, “die anderen lügen mehr als wir, also ist ein wenig Lügen in Ordnung”. Der neue Maßstab, der alles vorher Dagewesene ins Wanken bringt.

Die Journalisten zeichnen die Entwicklung der Präsidentschaft eines Menschen nach, der sich Autokraten näher fühlt als den Werten einer Nation, die er vertreten soll, von seinen Anfängen bis kurz vor der Wahl 2020, zeigen Weichenstellungen auf und Medien, die praktisch Amtshilfe zur Zerstörung der Demokratie geleistet haben, und heute auf wenige Leuchttürme zusammengeschrumpft, um die Deutungshoheit kämpfen.

Beidseitig ist der Blick, nach links und rechts. Voreingenommen nicht. So wird dann auch das Buch eines John Bolton durchaus kritisch gesehen, ebenso die Bücher der ganzen “in Ungunst Gefallenen”, Leichen auf den Weg des Präsidenten.

Erschütternd ist dieser Zustandbericht zu lesen. Nur klein sind die Hoffnungsschimmer, die die beiden Autoren entdecken. Zu wenig vielleicht, um noch zu retten, was die USA einst waren. Brinkbäumers und Lambys Buch sollte zugleich eine Warnung davor sein, was moderne Demagogen anrichten können, wovor auch in Europa kein Land gefeit ist.

Zeile für Zeile so zu analysieren, woran eine Gesellschaft krankt, dabei versuchen nicht zu einseitig zu werden, ist eine Leistung die hier durchaus erbracht wurde, die uns genug Denkanstöße zum Erhalt dessen geben sollte, was den transatlantischen Nachbarn so gar nicht gelungen ist.

Was bleibt? Wie wird es weitergehen? Wird der Nachfolger Trumps nur noch Verwalter eines Scherbenhaufens sein oder kann man der Zerstörung irgendwie Herr werden? Die Amerikaner sollten es versuchen, so die Autoren. Zu ihrem eigenen Schutz. Die Frage, die sich den diesen Bericht lesenden Publikum stellen wird, ist jedoch, ob sie das überhaupt wollen?

Autoren:

Klaus Brinkbäumer wurde 1967 in Münster geboren und ist ein deutscher Journalist. Zunächst arbeitete er bei den Westfälischen Nachrichten, studierte danach in Santa Barbara (Kalifornien) und in München, bevor er ein Volontariat bei Weltbild absolvierte.

Ab 1993 arbeitete er beim Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” und wurde Chefredakteur (2018), sowie Herausgeber von Spiegel Online. Im jahr darauf wechselte er zur Zeitung “Die Zeit”, moderierte einen eigenen Podcast. Brinkbäumer ist Dozent an der Henri-Nannen-Schule und lebt in Hamburg.

Stephan Lamby wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Journalist, Autor und Produzent. Zunächst studerte er in Marburg, später dann Hamburg, Germanistik und Anglistik, bevor er als freier Journalist in New York City arbeitete.

Nach einer Zwischenstation im Rundfunk wechselte er zum Fernsehmagatin der Zeitung “Die Zeit” und veröffentlichte Dokumentationen zu u.a. Politik, Wirtschaft, Geschichte und Wissenschaft. 2018 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis, ein Jahr später die Goldene Kamera. Von zahlreichen Politikern fertigte er Fernsehporträts, u.a. Henry Kissinger und Fidel Castro.

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Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Book Cover
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Esther Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 05.11.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-462-05222-0 Übersetzer: Tobias Schnettler

Inhalt:

Esther Safran Foer, die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die in der schrecklichen Dunkelheit des Nationalsozialismus begraben wurde.

Nur mit einem Schwarz-Weiß-Foto und einer handgezeichneten Karte reist sie zusammen mit ihrem Sohn in die heutige Ukraine, um das Schtetl zu finden, in dem sich ihr Vater während des Krieges versteckt hatte. Ein Buch gegen das Vergessen und ein kleiner Triumph über den Faschismus.

Rezension:

Kaum eine Familie lebt ohne sie, diesen Anekdoten, denen man sich kaum entziehen kann. Diesen Ereignissen, die immer wieder zur Sprache kommen und so zur Wahrheit eines jeden einzelnen Familienmitgliedes werden, auch wenn dieses das Erzählte selbst nicht erlebt hat.

Es gibt aber auch die andere Form, die unausgesprochenen Ereignisse, Weichenstellungen, Schicksalsschläge, die kaum erzählt werden, nur beiläufig erwähnt oder in ganz besonderen Momenten in Worte gefasst werden.

Etwas, worüber nur selten in Ausnahmefällen gesprochen wird. Einem solchen Moment wohnt Esther Safran Foer bei, als ihre Mutter von der Vergangenheit ihres Mannes beiläufig erzählt. Darauf beginnt eine jahrelange Suche und das Aufbrechen der finstersten Jahre ihrer Familiengeschichte.

Es ist die Geschichte einer Familie, die man vielleicht nicht lesen würde, wenn nicht die Schreibende selbst Mutter eines erfolgreichen Autoren wäre, doch Esther Safran Foer nimmt sich beim Beschreiben dieser, ihres Vaters und ihrer Mutter, bewusst zurück. Die Autorin hält sich an Fakten, lässt die Emotionen dieser Bewältigungsarbeit behutsam einfließen und herausgekommen ist ein liebevolles erschütterndes Porträt.

Wie viel Leid, wie viel Ruhelosigkeit vermag eine junge Familie zu ertragen? Welchen unbewussten Einfluss hat die Geschichte auf das Schreiben ihrer Söhne und ist Verarbeitung ein generationsübergreifender Prozess, der nie beendet werden kann? Diese und andere Fragen stellt man sich unwillkürlich beim Lesen der Zeilen.

Sehr dicht, sehr schnell, fast gedrängt beschreibt die Autorin das Zusammenführen der Puzzleteile, die sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren führt, um diesen nahe zu sein und einen, wie auch immer gearteten Abschluss zu finden.

Es ist ein Streifzug durch die Geschichte der Foers, der fiktionalisiert im Roman “Alles ist erleuchtet” des einen Sohnes begann, sich über die Jahre immer wieder durch das Leben von Esther Safran Foer zieht. Wie ein Detektiv, der lose Fäden findet und zusammenfügen muss, beschreibt sie, wie eine Antwort zu unzähligen neuen Fragen führt, wie ihre Mutter eigentlich mit der Vergangenheit abschließen wollte, doch diese für die Tochter fast zur Obsession wurde.

Wie viel kann eine Familie ertragen? Wie groß müssen Abstände zum Unaussprechlichen sein, um weiterleben zu können? geht das überhaupt? wie groß ist der Einfluss, auf das, was nachfolgt, aquf das Leben weiterer Generationen?

Die Biografie einer Suche nach Antworten, fast so literarisch wie die Schreibarbeit von Jonathan Safran Foer selbst, erschütternd jedoch, wie so vieles, was in den Wirren der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschehen ist, als die Nazis weite Teile Europas in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen ermordeten, nicht zuletzt derer jüdischen Glaubens, wie Teile der Familie Safran, denen mit “Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind” ein Denkmal gesetzt wurde.

Vielleicht kann diese Familienbiografie, die sich eine Episode herausgreift, zum Anlass genommen werden, einmal selbst in der Vergangenheit der eigenen Familie nachzuforschen? Um Klarheit zu schaffen, aber auch offene Fragen zu beantworten und andere aufzuwerfen.

Autorin:

Esther Safran Foer wurde 1946 in Lodz geboren und ist eine US-amerikanische Autorin und ehemalige Geschäftsführerin eines jüdischen Kulturzentrums. Nach dem Holocaust und einige Jahre in einem DP-Lager in Deutschland wanderte die Familie nach Amerika aus.

Sie studierte Politikwissenschaften und arbeitete 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gründete 2002 eine PR-Agentur. Von 2007 bis 2016 leitete sie das jüdische Kulturzentrum “Sixth & I Historic Synagogue”.

2020 schrieb Foer ihre Suche nach der ersten Frau ihres Vaters und dessen Tochter nieder, die beide im Holocaust umkamen. Ihre Söhne sind der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und die Journalisten Franklin und Joshua Foer.

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Yuval Noah Harari: Sapiens – Der Aufstieg

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Sapiens – Der Aufstieg Yuval Noah Harari Rezensionsexemplar/Graphic Novel C.H. Beck Hardcover Seiten: 246 ISBN: 978-3-406-75893-5
Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Der Weltbestseller “Eine kurze Geschichte der Menschheit” als Graphic Novel.

Schon bevor die Menschen sesshaft wurden, hatten sie der Erde ihren Stempel aufgedrückt. Wie konnte ein eigentlich so schwaches Tier wie der Mensch sich den Planeten untertan machen? In Sapiens, der Graphic Novel, tritt Yuval Noah Harari selbst auf und geht zusammen mit seiner Nichte Zoe diesem Rätsel auf den Grund – mit Hararis unvergleichlichem Witz, viel Charme und einer Menge an schrägen Ideen.

Noch zugänglicher, noch unterhaltsamer, aber genauso intelligent und lehrreich wie sein Kultbuch “Eine kurze Geschichte der Menschheit”.

Rezension:

Der Historiker Yuval Noah Harari ist sicherlich einer der gefragten Vordenker unserer Zeit. Seine Expertisen sind sowohl in der großen Politik gefragt, als auch beim Publikum und so landen seine Überblickswerke regelmäßig auf verschiedenen Bestsellerlisten.

Nur eine Frage der Zeit also, bis sein Werk auch jüngeren Lesern zugänglich gemacht werden sollte und einem breiteren Publikum nun als Graphic Novel vorgelegt wird. Herausgekommen ist dabei das vorliegende Werk “Sapiens – Der Aufsteig”.

Im Großformat ist nun die Adaption seines Weltbestsellers “Eine kurze Geschichte der Menschheit” fällig, welche schon vom Titel her irreführend ist. Es handelt sich keineswegs um eine Überblicksgeschichte, die hier geliefert wird, viel mehr um eine Konzentration auf die Entwicklung der ersten Menschen, worauf ein Bogen in die heutige Zeit gespannt und große Teile der Menschheitsgeschichte ausgelassen werden. Der Mut zur Lücke in allen Ehren, hier wird er zu großzügig ausgelegt.

Farbenfroh und sehr detailliert werden die ersten Schritte des Menschen dargelegt, Einschübe der heutigen Zeit, die sich oft auf Harari selbst beziehen, der im Austausch mit anderen Vordenkern und Wissenschaftlern, aber auch mit der nachfolgenden Generation in Gestalt seiner Nichte, gzeigt wird. Dies lockert die eigentlich dargestellte Thematik auf, zumal auch die beiden Illustratoren es nicht lassen konnten, Hararis erhobenen Zeigefinger bildlich umzusetzen. Das ist sehr detailreich, aber unglaublich anstrengend zu lesen. Eine Graphic Novel sollte dem Leser zugänglicher sein.

Viel Geplänkel um nichts, ein halb verfehlter Titel und eine Art des Erzählens, als würde man seine Leserschaft mit einem Brett auf die Buchseiten drücken, sind nicht gerade dazu angetan, einen neuen Zugang zur Thematik zu schaffen. Die Fingerzeige auf die Graphic Novel selbst sind dabei witzige Einschübe, die sich jedoch nicht wirklich im Gesamtbild einfügen wollen.

Hätte man sich wirklich auf die Frühzeit des Menschen ohne Zeitsprünge ins Heute konzentriert und auf Harari als selbst hin und her springenden Protagonisten verzichtet, wäre die Graphic Novel als Ergänzung zum Sachbuch eine runde Sache gewesen. Momentan ist dies jedoch ein Werk, was so nicht funktioniert und nicht gerade Lust macht, die schriftlichen Werke Hararis näher kennen zu lernen.

Der Zeichenstil schwankt zwischen feingliedrigen Comicstrips und groben Übersichten und setzt die handelnden Protagonisten bewusst divers in Szene, wird doch auf der ganzen Welt zur Thematik geforscht, finden sich auf den Planeten überall Hinweise auf den schon frühzeitigen Einfluss des Menschen auf Flora und Fauna des Planeten. Wenigstens dem hat diese Adaption Rechnung getragen.

Autor:

Yuval Noah Harari wurde 1976 in Kiryat Ata, haifa, geboren und ist ein israelischer Historiker. Seit 2005 lehrt er an der Hebräischen Universität Jerusaelm und forscht zur Militärgeschichte und zu diversen universalhistorischen Themen. 2013 veröffentlichte er “Eine kurze Geschichte der Menschheit”, vier Jahre später den Nachfolgeband “Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen”, die beide zu einem internationalen Bestseller avancierten.

Seine Bücher wurden mehrfach übersetzt und ausgezeichnet. 2017 erhielt er den Preis für das Wissensbuch des Jahres. Im Jahr 2019 wurde ein Asteroid nach ihm benannt. Er schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Haaretz.

Adaption, Text und Illustration:

Daniel Casanave wurde 1963 geboren und ist ein französischer Karikaturist, Schriftsteller und Bühnenbildner. Er studierte zunächst an der School of Fine Arts in Reims und arbeitete anschließend für verschiedene Theater im Bereich Bühnenbild, Poster und Grafikdesign. Hauptsächlich zeichnet er Pressekarikaturen und Illustrationen für Kinderbücher.

David Vandermeulen wurde 1968 geboren und ist ein belgischer Designer und Drehbuchautor. Zunächst studierte er an der Königlichen Akademie der Künste in Brüssel, anschließend am Königlichen Institut für Geschichte und Archäologie 1997 gründete er seinen eigenen Verlag. Verschiedene Themen verarbeitete er zu Comic-Adaptionen und Graphic Novels.

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Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein

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Jeder schreibt für sich allein Anatol Regnier C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 366 ISBN: 978-3-406-75592-7

Inhalt:

Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.

Opportunisten und Konjunkturritter sind dabei, aber auch Autoren, die nur ihrer Arbeit nachgehen wollten und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Mit leichter Hand verknüpft Anatol Regnier die Biografien von Hans Fallada und Erich Kästner, Agnes Miegel und Ina Seidel, Gottfried Benn, Hanns Johst und Will Vesper. Es sind Geschichten von überraschender Widersprüchlichkeit, die das ganze Spektrum menschlichen Verhaltens im Dritten Reich abbilden. (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich gelangten, begann gerade im kulturellen Bereich ein beispielloser Exodus. Schriftsteller, wie der Nobelpreisträger Thomas Mann oder Literaturkritiker, wie Alfred Kerr, flohen ins Ausland. Nur zu gut waren ihre Positionen zu den neuen Machthabern bekannt, die ihre Ziele kaum verheimlichten. Mit einem Schlag war Deutschland einem Großteil seines kulturellen Lebens beraubt. Doch, viele SchriftstellerInnen und DichterInnen blieben, da sie nicht fliehen wollten oder konnten. Dies ist ihre Geschichte.

Anatol Regnier, Enkel des im Jahr 1918 verstorbenen Dramatikers Frank Wedekind, hat mit “Jeder schreibt für sich allein” ein bemerkenswertes Porträt geschaffen, jener Zeit, in der man sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbiegen musste, um bestehen zu bleiben und überleben zu können. Doch, wie weit musste man als Schriftsteller gehen, der ständig durch das Damoklesschwert Schreibverbot bedroht wurde, zudem, jede Zeile, sei sie auch noch so wohlwollend, kritisch beäugt sah.

Wie gingen Literaten, wie Erich Kästner, der bereits weltbekannt war, als die Nazis die Macht erlangten damit um, wie ein psychisch angeschlagener Hans Fallada und was erhofften sich Ina Seidel und Will Vesper? Anatol Regniers dokumentarischer Bericht zeigt anhand der Werke einer Auswahl von Autoren, was die Zwänge der Diktatur mit den Menschen machten, wozu diese teilweise durch das Regime getrieben wurden.

Hier wird detailliert auf einzelne Biografien Bezug genommen. Andere fallen dabei unter den Tisch. Teils, weil sie zu umfangreich wären für einen Gesamtüberblick, da dies nur eine Übersicht darstellen soll, aber auch, da die ganze Blut-und-Boden-Literatur nur gestreift wird. Vielmehr geht es Regnier, um die jenigen, die zwischen den Stühlen standen und sich nach dem Krieg vor Größen, wie Thomas Mann, verteidigen mussten. Für jede Zeile, die auch nur ansatzweise anrüchig klang.

Der Autor seziert einzelne Werke gründlich. Als Lesender kann man nur vermuten, welche Rechercheleistung dahinter steckt, aber auch die Liebe zur Literatur, die gerade aus dieser Zeit mehrdeutig betrachtet werden muss. Sachlich nüchtern präsentiert der Autor die schreibenden Kollegen jener Zeit, die sich hinterher rechtfertigen mussten und praktisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Er zeigt, welchen Einfluss oder auch nicht, einzelne Kulturschaffende hatten, wie diese sich teilweise bei Behörden und Ministern für ihre Kollegen einsetzen und um jede Zeile kämpfen mussten. Mal mehr, mal weniger. Sehr kompakt geschrieben ist dies, trotzdem spürt man auch beim Lesen des Sachbuchs die ständige Bedrohung, der die Schriftsteller im Nationalsozialismus unterlagen.

Was dabei herauskam, lässt sich heute noch anhand ihrer Werke nachvollziehen, wobei es Autoren wie Erich Kästner auch im Nachkriegsdeutschland gelang, wieder Fuß zu fassen. Anderen, berechtigterweise nicht. Der Zwist der Vielen, die dazwischen standen, ist heute fast vergessen. Um so wichtiger, dieses Buch, welches z.B auch parallel zu Volker Weidermanns “Buch der verbrannten Bücher” gelesen werden kann. Einige Autoren finden sich auch dort wieder.

Autor:

Anatol Regnier wurde 1945 in Sankt Heinrich geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Chansonsänger und Gitarrist. Sein Großvater ist der Dramatiker und Schriftsteller Frank Wedekind, über den er 2008 eine Biografie veröffentlichte.

Regnier selbst, studierte am Royal College of Music in London und dozierte selbst am Konservattorium in München. Mitte der 1980er Jahre lebte er in Australien. Im Jahre 2003 erschien seine Familienbiofie. Zwei Jahre später erhielt er den Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München, sowie den Schwabinger Kunstpreis, 2012. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und lebt heute in München.

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Alan Gratz: Vor uns das Meer

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Vor uns das Meer Alan Gratz Erschienen am: 17.02.2020 Hanser Seiten: 301 ISBN: 978-3-446-26613-1 Übersetzerin: Meritxell Janina Piel

Inhalt:

Wenn das eigene Zuhause zu einem Ort der Angst und Unmenschlichkeit wird, ist es kein Zuhause mehr.

Josef ist 11, als er 1939 mit seiner Familie aus Deutschland vor den Nazis fliehen muss. Isabel lebt im Jahr 1994 in Kuba und leidet Hunger – auch sie begibt sich auf eine gefährliche Reise in das verheißungsvolle Amerika. Und der 12-jährige Mahmoud verlässt im Jahr 2015 seine zerstörte Heimatstadt Aleppo, um in Deutschland neu anzufangen.

Alan Gratz verwebt geschickt und ungemein spannend die Geschichten und Schicksale dreier Kinder aus unterschiedlichen Zeiten. Ein zeitloses Buch über Vertreibung und Hoffnung, über die Sehnsucht nach Heimat und Ankommen. (Klappentext)

Rezension:

Unerwartet taucht zwischen den Büchern in den Regalen manchmal ein Juwel auf, was nachhaltig beeindruckt. Rar und kostbar, wenn die Protagonisten berühren und der Schreibende es schafft, seine Leser zu fesseln und nachdenklich zu stimmen. Ein solches Kunststück ist Alan Gratz gelungen. Der amerikanische Autor bringt wie kaum jemand anderes drei Geschichten, drei Zeitebenen, drei Handlungsstränge zusammen und versucht so, kaum zu Erklärendes begreifbar zu machen.

Kapitelweise wechselt die Perspektive zwischen den Zeiten. Die drei Hauptprotagonisten erzählen aus der Ich-Perspektive vom Grauen, welches sie erleben, ihren Sehnsüchten, Träumen. Wir Leser erleben, wenn Hoffnung in Verzweiflung umschlägt und Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden müssen, von jenen, die eigentlich noch Kinder sind, aber viel zu schnell erwachsen werden müssen. 1933 übernehmen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Die jüdische Bevölkerung wird an den Rand gedrängt.

Auch Josefs Familie sucht einen Ausweg und ergattert Tickets für das Schiff St. Louis nach Kuba. Jahrzehnte später sucht auch Isabels Familie, die in Kuba hungert und politisch bedrängt wird, nach einem Ausweg und schließlich muss 2015 auch Mahmouds Familie den Kriegswirren in Syrien entfliehen. Verbindendes Element sind Sehnsüchte und Hoffnungen, eine böse Ahnung von Gefahr, falls die Flucht schiefgehen sollte. Werden die drei Jugendlichen ihr Ziel erreichen?

Spannend und einfühlsam beschreibt Alan Gratz den Weg der drei, der anhand von gezeichneten Karten im Anhang des Romans nachvollzogen werdne, nicht zuletzt durch eine historische Einordnung des Autoren im Nachwort. Der Lesende wird mitfiebern, mitleiden.

Unerträglich die Spannung, nur ganz karg blitzen sie auf, die kleinen Momente des Glücks, das Hervorscheinen einer viel zu schnell beendeten Kindheit, nur damit das Schicksal im nächsten Moment wieder mit aller Härte zurückschlagen kann. Ja, so könnte die Geschichte von drei Kindern tatsächlich verlaufen sein. Nachvollziehbar ehrlich geht Gratz mit der Zielgruppe um, wenn auch ein paar Momente ganz klar over the top sind und nicht so recht passen mögen.

Das schmälert die Lektüre nicht und so ist dieses Werk auf einer Linie mit z.B. “Damals war es Friedrich”, von Hans Peter Richter zu nennen, wenn auch Gratz gleich mehrere Zeitebenen zu fassen bekommt. Der kontinuierliche Spannungsbogen aller drei Geschichten lässt bis zum Ende nicht locker, wird unscheinbar miteinander verwoben. Die Auflösung selbst vermag zu überraschen, wirkt wie ein Schrei und schüttelt die Leser förmlich.

Wir haben es in der Hand, nicht mehr zu zu lassen, dass sich solche Geschichte wiederholt. Alleine, uns gelingt dies nicht, wie die jüngste der drei Zeitebenen zeigt.

Wie ist das, die Heimat, die gewohnte Umgebung, Spielkameraden, eine Perspektive aufzugeben und dann ständig auf der Hut zu sein? Immer die Gefahr vor Augen, beim nächsten falschen Wort, mit der nächsten falschen Bewegung umzukommen? Beieindruckend in der Lektüre, nachhallend wie kaum anderes.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Alan Gratz wurde 1972 in Knoxville, Tennessee, und ist ein amerikanischer Schriftsteller. Er studierte Kreatives Schreiben und veröffentlichte 2006 sein erstes Jugendbuch. Weitere folgten. 2017 gewann er den National Jewish Book Award. Der Autor lebt in Asheville, North Carolina.

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Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht

Was nicht mehr im Duden steht Book Cover
Was nicht mehr im Duden steht Peter Graf Duden Verlag Erschienen am. 12.08.2020 (neu) Seiten: 240 ISBN: 978-3-411-70405-7

Inhalt:

Immer wenn ein neuer Rechtschreibduden erscheint, fragen die Journalistinnen und Journalisten zunächst nach den Wörtern, die erstmals Einzug in DAS Wörterbuch der Deutschen gehalten haben. Anhand dieser Wörter lässt sich Zeitgeschichte erzählen. Das gilt aber auch für die Wörter, die gestrichen wurden.

Was sagen sie uns über die Zeit, in der sie im Duden standen, und was über die, in der sie gestrichen wurden? In dieser aktualisierten Ausgabe stehen in 21 Essays samt Anhängen nun also Wörter im Mittelpunkt, die einmal wichtig waren und die uns sozial-, kultur- und sprachgeschichtliche Einblicke in die letzten gut 100 Jahre gewähren. (Klappentext)

Rezension:

Es gleicht einer Sisyphusarbeit, die sich die Redaktion des Wörterbuchs der Deutschen stellt, schließlich ist unsere Sprache im ständigen Wandel begriffen. Neue Wörter werden aufgenommen, andere fallen raus und so kann der Verlag heute aus einem sog. “Dudenkorpus” von über 5,6 Milliarden Wortformen schöpfen, von denen 148.000 Stück in der aktuellen 28. Auflage des Dudens zu finden sind.

Doch, wer wählt aus, was nicht mehr im wohl gebräuchlichsten aller Nachschlagewerke zu verzeichnen ist und wie schaffen es Wörter in den Duden hinein? Spannend ist sie, die Reise durch unsere Sprachgeschichte, seit 1880 Konrad Duden das erste “Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache” vorstellte. Der Autor Peter Graf nimmt die Leser mit auf eine Reise zu Wörtern, die es nicht mehr gibt.

Thematisch geordnet ist sie, diese Sprachreise, die mal amüsant, mal sehr bedrückend scheint. So vielfältig sind auch die Gründe, warum Wörter neu in unserem Alltag integriert werden, dann wieder sang- und klanglos verschwinden.

LeserInnen finden heraus, um welche Wörter uns Medizin und Naturwissenschaften einst bereicherten, welche Begriffe in Technik und Handwerk gebräuchlich waren, was der Kolonialismus und der Nationalsozialismus mit unserer Sprache und letztendlich mit dem heute gelben Nachschlagewerk machten.

Präsentiert wird eine Auswahl, wie auch der Rechtschreibduden als erster Band der vom Verlag ständig aktualisierten Reihe, nur eine Auswahl der gebräuchlichsten Wörter unserer Zeit darstellt. Nur führt uns diese Reise in die Vergangenheit.

Wer weiß schon, was einst Automatenrestaurants gewesen sind, wo sie doch von großen Fastfoodketten erst von der Straße, schließlich aus dem Wörterbuch verdrängt wurden? Wen schimpfte man einst einen deutschen Knollmichel und wann ersetzten die Begriffe Nichte und Neffe entgültig das veraltete Wort Schwesterkind?

So spannend und teilweise witzig ist kein Deutschunterricht, wenn man auch hier mit einigen Längen kämpfen muss. Immerhin kann man sich hier in handlichen Kapiteln zu den Themen Wörter anlesen, die einem interessieren. Wie viele Anglizismen gibt es in unserer Sprache wirklich und wie viele kommen tatsächlich davon zur Anwendung?

Welchen Unterschied machten die Auflagen in Ost und West vor der Wiedervereinigung? Und geht Liebe nicht nur durch den Magen, sondern auch durch den Wortschatz? Sehr sachlich, immer wieder unterhaltsam beschreibt der Autor, was im Duden beschrieben wird, und warum.

Beeindruckend die Schilderungen, wie die Duden-Redaktion nicht nur bei der Auswahl der Wörter des Jahres eine Auswahl treffen muss, sondern auch bei jeder neuen Auflage dieses sehr komplexen Werkes und weshalb unsere Sprache immer noch sehr lebendig ist.

Ein interessanter Streifzug durch die Geschichte von Konrad Duden über den Versuch, ein Wörterbuch zu erstellen, welches dem Wortschatz Goethes gerecht wird, bis hinein in unsere Zeit. Viel Spaß dabei.

Autor:

Peter Graf leitet die Verlagsagentur Walde und Graf und ist einer der Gründer des Verlags “Das kulturelle Gedächtnis”.

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Bücher gegen das Vergessen #05

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Der Untergang der Titanic 1912 – Eine Auswahl an Literatur.

Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Technik war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ungebrochen, doch erlitt er schon am Beginn des zweiten Jahrzehnts desselben einen herben Dämpfer. Der Untergang der Titanic 1912, das damals größte und luxuriöseste Passagierschiff der Welt, forderte über 1500 Menschenleben und erschütterte die Gemüter zu beiden Seiten des Ozeans.

Wer versucht, den Bann des Ereignisses der Nacht des 14. Aprils zu begreifen, die damalige Faszination für dieses Flaggschiff der Reederei White Star Line zu erfassen, landet heute bei einigen Filmen und einer ganzen Reihe literarischer Werke, die sich damit beschäftigen. Zeit, sich einiges näher davon anzusehen.

Grundlage dessen, was wir über die Geschehnisse an Bord des Schiffes wissen, bildet eine Sammlung von Augenzeugenberichten, die erstmalig 1955 erschien. Der Sachbuchautor Walter Lord konnte noch über sechzig Zeugen der Katastrophe, Überlebende, befragen und kurz vor seinem Tode James Camerons Team für die Dreharbeiten zu ihrem Film beraten.

Walter Lord “Die letzte Nacht der Titanic – Augenzeugen erzählen”
Seiten: 272, erschienen bei S.Fischer, ISBN: 978-3-596-19269-4
Übersetzer: Erwin Duncker

Zwar reichten seine Kenntnisse als das Buch erschien, nicht an dem heran, was wir heute über den Untergang wissen, doch alleine die Versammlung der Berichte überlebender Passagiere ist historisch wertvoll und nicht zu unterschlagen.

Natürlich hatte kein Passagier mit einer solchen Katastrophe gerechnet. Wer tut das schon, wenn man solch eine Überfahrt bucht? Vielleicht ohne Wiederkehr als Einwanderer mit dem Ziel, in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen oder, als Passagier der ersten Klasse, einfach die Annehmlichkeiten, den Luxus der Art einer solchen Reise zu genießen? Getrost der Kategorien heutiger Kreuzfahrtschiffe, kann man ja auch die Titanic als eine Art „schwimmende Stadt“ bezeichnen.

Begeben wir uns also in die Rolle eines Reisenden an Bord der Titanic. Der ehemalige Marineoffizier und Nautiker John Blake hat eine fiktive Handreichung für Passagiere verfasst.

Wir begrüßen Sie auf der Titanic zur Jungfernfahrt nach New York.

Damit Sie sich zurechtfinden, hier ist Ihr Bordbuch. Dort finden Sie alles, was Sie über unser Schiff wissen, Informationen zum Aufenthalt und zur Orientierung in allen Klassen, die Anordnung der Decks und Unterkünfte, und, und, und,… Wir hoffen, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt.

John Blake “Das Titanic-Bordbuch – Eine Handreichung für Passagiere”
Seiten: 128, erschienen bei Delius Klasing, ISBN: 978-3-667-11079-4
Übersetzer: Klaus Neumann

Reich bebildert und sehr detailliert bekommen wir so als Passagiere ein erstes Bild von dem, was uns erwartet.

Wie angenehm ist es doch, auf diese Art zu reisen. Wo war jetzt gleich nochmal meine Kabine? Wie gelangt man zu den Rettungsbooten? Wobei, das passiert sowie so nicht.

Natürlich gibt es auch viel romanhaftes über die Schiffskatastrophe zu lesen und auch darüber lohnt es sich, einen Blick zu werfen. Gleichsam eine Vorwegnahme, wenn nicht gar Vorahnung der Ereignisse ist der bereits 1898 erschiene Roman von Morgan Robertson „Titan. Eine Liebesgeschichte auf hoher See.“, in der ein Unglück beschrieben wird, in welchem das Schiff „Titan“ erstaunlichen Parallelen zur später erbauten Titanic aufweist.

Im Fokus steht die Liebesgeschichte der darin vorkommenden Protagonisten, eine Vorhersehung der Ereignisse hat der Autor natürlich später mehrfach in Befragungen verneint, manchmal jedoch sind Zufälle recht sonderbar.

Jüngeren Lesern einen Zugang zu der Katastrophe zu geben, gelingt dem Kinderbuchautoren Stephen Davies, der in seinem Roman „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“ eine Jungen-Freundschaft in den Fokus stellt. Zunächst erleben Jimmy und Omar bei der Erkundung des Schiffes Abenteuer auf ihrer „Entdeckungsreise“, als es zum Untergang kommt, überschlagen sich jedoch die Ereignisse. Werden sie es schaffen, auf einem der Rettungsboote unterzukommen, auf denen es insgesamt nicht einmal annähernd genug Plätze für alle Personen an Bord gibt?

Stephen Davies “Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang”
Seiten: 127, erschienen bei Aladin, ISBN: 978-3-8489-2103-4
Übersetzerin: Ann Lecker

Das wunderbar illustrierte Werk mit einem angeschlossenen historischem Glossar erzählt es. Eine Rezension davon, gibt es hier zu lesen. Vorweggenommen, der Autor orientiert sich am überlieferten Geschehen, wie zum Beispiel diese, dass bis fast zuletzt eine Gruppe von Musikern zur Beruhigung der Passagiere Instrumente spielte.

Erik Fosnes Hansen “Choral am Ende der Reise”
Seiten: 512, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3-462-05388-3
Übersetzer: Jörg Scherzer

Der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen setzte diesem mit seinem Roman „Choral am Ende der Reise“ ein Denkmal. Die nachgezeichneten Biografien der Musiker sind fiktiv, doch im Bereich der Prosa wird man nicht umhinkommen, sich auch damit zu beschäftigen.

Geschichte zum Anfassen jedoch, gelingt am Leichtesten mit Fundstücken oder, wo nicht verfügbar, Nachbildungen, so genannten Memorabilien. Auch rund um die Titanic gibt es solche, wie z.B. von Memorabilia Pack Company, die damit verschiedene historische Ereignisse lebendig werden lassen. Enthalten sind mehrere Fotopostkarten mit Motiven der Titanic, eine Ticketnachbildung, ein Telegramm, ein Booklet für Passagiere, Plakate, eine Dinner-Karte und vieles mehr, was in die Zeit eintauchen lässt. Für Liebhaber allem Historischem sehr zu empfehlen.

Memorabilia Pack Company “Titanic Replica Pack”
Enthalten sind folgende Nachbildungen, u.a. Ticket, Brief, Telegram, Booklet für Passsagiere, Dinner Karte, Poster, Flyer, Fotos, Postkarten, Zeitungsnachbildung, Poster etc.
Leo stellt den Inhalt einmal vor. Achtung, Englisch. 🙂

Anhand von Biografien lässt sich die Katastrophe nachvollziehen, egal ob das die Geschichte eines einfachen Passagiers ist oder die des Zeitungsjungen Ned Parfett, der am Tag nach der Katastrophe Magazine vor dem Büro der Reederei verkaufte. Augenzeugenberichte, daraus entstandene Romane und Filme sind es, die die Faszination weiterleben und das Ereignis nicht vergessen lassen.

In Anbetracht unserer vollen Weltmeere mit immer mehr und größeren Kreuzfahrtschiffen, die die Titanic um Welten übertreffen, wenn auch die Sicherheitsstandards gestiegen sind, ist das nicht falsch. Heute genügt der Name „Titanic“, um die Illusion absoluter Sicherheit und Unfehlbarkeit zu zerstören.

Cover gehören, wie immer den Verlagen, das erste Video auch. Das zweite einem sehr engagierten kleinen Youtuber, der das Memorablia Pack vorstellt.

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