Geschichte

Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937

Inhalt:

Schauprozesse und Massenverhaftungen markieren den Höhepunkt von Stalins diktatorischer Herrschaft. Im Schatten des Terrors aber scheint der Traum einer neuen Gesellschaft Gestalt anzunehmen: Gigantische Bauprojekte verändern das Stadtbild, sowjetisches Hollywoodkino, Fliegerhelden und Sportspektakel begeistern die Massen. Karl Schlögels neues Meisterwerk schildert ein russisches Schicksalsjahr, das in der europäischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. (Klappentext)

Rezension:

Im Blick auf die Zivilisationsbrüche der 1930er Jahre herrscht eine auffallende Asymmetrie. Eine Welt, der sich im kollektiven Gedächtnis nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatten, fehlen oft Workuta, Kolyma oder Magadan. Auch in Stalins Riesenreich vollzog sich ein totalitärer Wandel, dessen Opfer spätestens mit der Festigung des Eisernen Vorhangs zum zweiten Mal hinter einer Mauer des Schweigens verschwanden und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der zaghaften Öffnung von Archiven wieder zum Vorschein kamen.

Dabei ist das Moskau 1937 ein Schauplatz europäischer Geschichte, viel facettenreicher und durchmischter, als das die damaligen Machthaber wahrhaben wollten. Die Welle des Terrors, mit der Stalins getreue, die nicht selten selbst derer Opfer wurden, fegte um so heftiger über die Metropole an der Moskwa hinweg. Der Historiker Karl Schlögel zeichnet dies nach und schaut dabei nicht nur auf die großen Schauprozesse, sondern auch auf eine immer mehr verängstigte Gesellschaft im erzwungenen Wandel.

Das sehr detaillierte Sachbuch des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel erfährt, 2008 erstmals erschienen, durch die tagespolitischen Ereignisse eine Aktualität, die ihres Gleichen sucht, ist die Geschichte der Stalinschen Terrors doch untrennbar mit dem verbunden, was danach passieren sollte, auch, was passiert, wenn Verarbeitungs- und Erinnerungskultur nicht in dem Maße wirken können, wie dies in der Mitte des europäischen Kontinents in Sachen Holocaust der Fall ist.

Dabei wagt der Autor einen Rundumblick, soweit es damals schon die geöffneten Archive in Russland zugelassen haben und führt die Leserschaft ein, in ein pluralistisches Moskau, welches es nach 1937 so nicht mehr gab. Schlögel zeigt eine Vielfältigkeit auf, die sich nicht nur in Architektur und Fortschrittsglaube widerspiegelte, sondern auch in Kunst und Kultur, sowie Technik. Der junge Staat wollte sich der Welt präsentieren, zugleich die Machthaber im Kreml ihren Status sichern und festigen. Kapitel für Kapitel beschreibt Schlögel einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Kosmos‘ einer Metropole, die im Zuge des Stalinschen Terrors in seine Bestandteile zerfiel. Das letzte Adressbuch für lange Zeit, 1936, steht am Anfang dessen, sowie Kongresse und Ausstellungen, die die Welt bewegten, während anderswo in Europa bereits zuvor dunkle Wolken dem vorauseilten, was später die Welt in den Abgrund stürzen sollte. Danach folgte nur noch Terror, mit all seinen schrecklichen Folgen.

Der beschriebene Zeitraum ist überschaubar, nicht so sehr die geschehenen Ereignisse und beleuchteten Perspektiven, deren Biografien abrupt 1937/38 endeten. In seinem Standardwerk nimmt sich der Historiker Zeit für einzelne gesellschaftliche Aspekte, die Beschränkung liegt allein im stadtgeografischen Raum, den Stalins Getreue mit Gewalt umformen wollten. Hier versinkt man in Details, was sehr nüchtern, teilweise sehr schwerfällig zu lesen ist, doch auch so sein muss, wenn man ein umfassendes Gesamtwerk erhalten möchte.

Fragen kommen auf, wie jene, warum selbst ehemalige Minister und Beamte, die an der ersten Terrorwelle beteiligt waren, in Schauprozessen angeklagt, selbst absurde vorgefertigte Geständnisse und Schuldbekenntnisse unterschrieben? Im Wissen um die Mechanismen des Machterhalt Stalins. Der Historiker beleuchtet das Geschehen an verschiedenen Schauplätzen Moskaus, den Blick der Einheimischen, der alten und der neuen Elite Russlands, sowie die Betrachtung der Emigranten und Exilanten, den Blick Amerikas auf das neue Moskau, sowie diesem auf sich selbst. Nach und nach setzt Schlögel hier ein Puzzle zusammen, welches abrupt zum Stillstand kam, als ein anderes Land Europa mit Gewalt und Terror überziehen sollte.

Karl Schlögel spricht hier den interessierten Laien mit Vorkenntnissen an, sowie Kenner der Historie und hat mit seinem geschichtlichen Standardwerk Grundlage für Diskussionen und weitere Betrachtungen gelegt, denen sich Andere annehmen können. Vieles von dem, was später in der Sowjetunion passierte, wäre ohne das Jahr 1937 nicht denkbar. So ganz ohne Vorkenntnisse geht es jedoch nicht, die mit Quellen gut unterfütterte Lektüre, ergänzt durch eine historische Karte des Schauplatzes, ist ohne dies nicht leicht lesbar. Zu viele Namen mussten erwähnt, zu viele Biografien und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

Die Lektüre, die nur vor allem die Konzentration der Lesenden gewinnt, ist erhellend. Fraglich nur, wie viele Fakten letztendlich hängen bleiben und was die noch ausführliche Betrachtung eines einzelnen Aspekts des gesellschaftlichen Wandels Moskaus noch zusätzlich für Erkenntnisse bringt. Hier ist die Grundlage dafür, dies auszuprobieren und um sich, in turbulenten Zeiten, neue Perspektiven zu schaffen. In diesem Sinne, zu empfehlen.

Autor:

Karl Schlögel wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er studierte u. a. Soziologie, osteuropäische Geschichte und Slawistik in Berlin und schrieb seine Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. 1982 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Moskau, wo er sich mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte, arbeitete anschließend als Privatgelehrter und freier Mitarbeiter für den Rundfunk.

Er veröffentlichte dort, sowie in mehreren Magazinen und Zeitungen, bevor er eine Professur für Osteuropäische Geschichte in Konstanz erhielt, sowie 1995 die selbe in Frankfurt/Oder. Von 2003 bis 2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Universität.2013 wurde er emeritiert. Er konzipierte mehrere Ausstellungen und Zeitschriften mit, war Mitglied der Jury des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und beschäftigt sich seit Beginn der Krimkrise intensiv mit der Geschichte der Ukraine. 2013 wurde er mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet, welche er 2014 ablehnte. 2018 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, ein Jahr darauf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

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Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich

Inhalt:

Johannes Becker beginnt 1910 ein Ingenieurstudium in Chemnitz und heiratet kurz darauf. Als er zunehmend der völkischen Ideologie der Nationalsozialisten verfällt, wendet sich seine Frau von ihm ab. Ähnlich zerrissen ist die Familie Meyer in Ostwestfalen. Der Vater Karl nutzt die Machtübernahme der Nazis aus, um sich an jüdischem Eigentum zu berreichern. Sein Sohn Gottfried folgt ebenfalls seiner Begeisterung für die Nazis und zieht in den Krieg. Er lernt Ingeborg Becker kennen und heiratet sie. Aus Krieg und Hitlerzeit hat er nichts gelernt, sein Sohn Georg aber will es besser machen und schließt sich 1970 der Studentenbewegung an. (abgewandelte Inhaltsangabe).

Rezension:

So ausufernd wie einstweilen Thomas Mann muss man gar nicht schreiben, wenn man eine fiktive Familiengeschichte mit all ihren höhen und Tiefen, Wandlungen und innerer Zerissenheit zu Papier bringen möchte, auch nicht, wenn man den Personenkreis erweitert. Jürgen Meier zeigt in seinem Roman „Wöbkenbrot und Pinselstrich“ dass das auch anders geht und beschreibt so ganz nebenbei die Herausforderungen, Schrecken und Wandlungen des vergangenen Jahrhunderts.

Der leicht gängige Familienroman wechselt zwischen den Perspektiven und Generationen, beginnt 1910. Fortschrittsglaube manifestiert sich in den neuen Errungenschaften der Technik, Ingenieure werden gesucht. Hoffnungsvoll schaut der junge Johannes, ersterer einer interessanten Reihe von Protagonisten in die Zukunft, noch nicht ahnend, dass bereits dunkle Schatten über Deutschland heraufziehen. Eingenommen von der Figur, deren Enthusiasmus aber auch Unsicherheiten der Autor fein herausgearbeitet hat, steigen wir in die Geschichte ein, die zu einem wahren Wechselbad der Gefühle verkommt. Das Erzähltempo passt sich dem an. Sprünge wechseln sich ab mit nachdenklichem Innehalten.

Der Perspektivwechsel zwischen den Figuren aus den zwei Familien, deren Wege sich kreuzen werden, bringt die Dynamik einerseits, wie auch die beschriebenen Generationswechsel. Jürgen Meier versteht es, die Zeiten greifbar zu machen. Hervorzuheben sind besonders seine Beschreibungen des Konflikts und einzelner Abschnitte, wie etwa die unmittelbare Nachkriegszeit, das Nichtsehenwollen des geschehenen Unrechts, aber auch Anspielungen eben der im Klappentext anklingenden Bereicherung von deutschen Familien an jüdischem Besitz. Hier wirkt die Erzählung besonders bedrückend.

Dabei beschränkt sich der Autor nicht nur auf eine Sichtweise, sondern bringt mit einer Vielzahl an Figuren unterschiedliche Perspektiven hinein, die für eine gewisse Dynamik sorgen, nicht zuletzt für gewisse Exkurse in Kunst und Philosophie, die man vielleicht nicht unbedingt beim Aufschlagen des Romans erwartet. Hier kommt das künstlerische Schaffen des Schreibenden durch, der damit an den richtigen Stellen Ruhe einbringt.

Das kann man als Einlassung nehmen, jedoch auch als Meta-Ebene für die jeweils beschriebene Zeitepoche, muss man jedoch mögen. Hier wird wichtig, wie und als was man diesen Roman lesen möchte. Konzentriert man sich auf die Familiengeschichte, setzt den Fokus eher auf die Beschreibungen gesellschaftlichen Wandels oder hat Freude an Kunst und Philosophie? Für jeden ist etwas dabei. So klar habe ich das bisher jedoch nur selten gelesen.

Das Werk orientiert sich am historischen Verlauf der jüngeren Geschichte, so dass Wendungen allein durch das Denken und Handeln der einzelnen Figuren entstehen. Sprachlich wird man zudem über den Dialekt des Östwestfälischen Platts stolpern, in dem einzelne Sätze und Passagen formuliert sind. Sicher eine besondere Herausforderung für das Lektorat, welches wahrscheinlich jedes Wort nachschlagen musste. Für uns Lesende gibt es jedoch eine Art Glossar hintenan mit der Übersetzung ins Hochdeutsche.

Die Protagonisten, mit all ihren Ecken und Kanten, sind nachvollziehbar. Niemand ist hier durchgängig Sympathieträger. Perfektionismus gibt es im realen Leben nicht. Entscheidungen und Handlungen, oft genug die falschen, sind es, die uns zudem machen, was wir sind. Wusste schon Dumbledore aus den Romanen um Harry Potter. Hier gilt das auch. Nicht nur das macht Lust auf mehr. Man darf auf Fortsetzungen gespannt sein.

Ach so, was ist jetzt nun eigentlich Wöbkenbrot? Vielleicht so viel, eine Spezialität, unter der vor allem Menschen aus Ostwestfalen zu leiden haben. Aber hat nicht jede Region, die an kulinarischer Abstrusität kaum zu überbieten sind? Wer genießen möchte, bleibt vielleicht besser bei dieser Erzählung.

Autor:

Jürgen Meier lebt in Hildesheim und ist ein deutscher Schriftsteller und Dokumentarfilmer. Er schloss 1973 ein Studium „Intermedia“ in Bielefeld ab und arbeitete anschließend als PR-Werbechef am Stadttheater Hildesheim. Er gründete die Werbeagentur Aickele & Meier. Seit 1997 ist er selbstständiger Autor und Journalist. Von ihm liegen Theaterstücke, Buchveröffentlichungen und Theaterstücke vor.

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Yara Nakahanda Monteiro: Schwerkraft der Tränen

Inhalt:

Was löst es aus, in einen Kampf hineingeboren zu werden, der nicht der eigene ist – und der doch alles beeinflusst?

Vitorias Leben besteht aus Erinnerungen. Aus Bildern, Gerüchen, dem Geschmack von saurer Milch. Da sind die Säulen eines Traumas, das sie nicht überwinden kann. Vitoria flieht während des Kriegs für die Unabhängigkeit Angoas mit ihren Großeltern nach Portugal, lernt ihre Mutter nie wirklich kennen. Jahre später bricht Vitoria aus, entdeckt die Einzigartigkeit, aber auch Zerrissenheit dieses, ihres Landes, von sich selbst. Ihrer Familie auf die Spur trifft sie in Huambo auf die Geister einer fremden Vergangenheit und muss lernen, dass es Risse gibt, die vielleicht zu tief sind, um noch geflickt zu werden. (Klappentext)

Rezension:

Der Krieg ist überall gleich, macht uns Menschen zu Monstern und bringt in Einigen von uns das beste zum Vorschein, in anderen alles schlechte. Manche der daraus entstandenen Wunden heilen nie. Sinngemäß könnte dies der Untertitel des vorliegenden Romans „Schwerkraft der Tränen“ sein, mit dem sich die portugiesische Autorin Yara Nakahanda Monteiro der Geschichte ihres Geburtslandes Angola und nicht zuletzt ihrer Familie fiktionalisiert annähert.

Im Zentrum der Erzählung steht die junge Vitoria, deren Großeltern kurz nach ihrer Geburt mitsamt der Enkelin nach Portugal fliehen, vor den Grausamkeiten des Unabhängigkeitskrieges in ihrer Heimat und den sich anbahnenden Bürgerkrieg. Nun, Jahre später, möchte die nun Erwachsene mehr über ihr Geburtsland erfahren, nicht zuletzt, über Beweggründe ihrer Mutter, die Tochter zu Gunsten eines ungewissen und brutalen Kampfes zu verlassen. Vitoria öffnet sich ein wirres gesellschaftliches Gefüge und entdeckt Wunden, die nie vollständig verheilt sind.

Beinahe in der Form einer begleitenden Reportage erzählt, eröffnet die Autorin ihrer Leserschaft den Blick auf eine Welt, der zumindest im westlichen Gefüge viel zu selten Beachtung und erst in letzter Zeit verdienende Aufmerksamkeit bekommt. Welche Folgen hatten Loslösungsbestrebungen von den Kolonialmächten in Afrika, darauf folgende Kriege und Bürgerkriege nicht nur für einzelne Regionen, sondern auch für die betroffenen Menschen, die von den Ereignissen überrollt und oft auf Generationen hinaus gezeichnet wurden? Aus Sicht der Protagonistin werden diese Risse nach und nach deutlich, wenn sich Vitoria im Verlauf der Geschichte ein immer schärferes Bild ihrer eigenen familiären Vergangenheit bietet.

Dabei bleiben andere Figuren reichlich blass. Monteiro gibt nur wenigen Charakteren Ecken und Kanten, was jedoch dem Erzählstil zu Gute kommt. Die Autorin konzentriert sich auf die innere Gefühlswelt Vitorias und nähert sich dabei ein Stück weit ihrer eigenen Geschichte an. Auch sie hat ähnlich der Hauptfigur als Kleinkind das Land verlassen. Besonders beindruckend wirkt der Text immer dann, wenn die junge Frau sich auf kleine Details, die sie beobachtet, fokussiert. Einzelne Passagen stechen hervor.

Doch, die Autorin verliert sich nicht in Belanglosigkeiten. Das Erzähltempo steigt mit zunehmender Seitenzahl. Kleinere Rückblicke und Konfrontationen erweitern den Blickpunkt der Lesenden, strahlen jedoch immer wieder auf die Protagonistin zurück. Die weiß immer genau so viel, wie auch die jenigen, die dieses Buch in den Händen halten. Übergänge sind sehr harmonisch gezeichnet.

Man fühlt die innere Zerrissenheit der Protagonistin, die die Geschichte ihrer Familie, deren Landes nachspürt, zugleich mittendrin ist und doch außen vor steht. Das chaotische Treiben, Willkür, Korruption, Armut und doch Lebensfreude der Menschen dort, schafft Monteiro sehr plastisch wirken zu lassen. Die Autorin leistet damit einen wertvollen Beitrag der Vergangenheitsbewältigung der mit ihr verbundenen Länder. Erzählt wird dabei die Tragik einer ganzen Epoche in einem Zeitabschnitt aus wenigen Wochen. Vorkenntnisse indes braucht man als Lesender nicht. Monteiros Erzählung steht für so viele Familienschicksale Afrikas im Zeichen der Wende von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit, mit all den bekannten Folgen, die dort noch heute zu spüren sind.

Die eine oder andere Konfrontation mehr, in manchen Abschnitten eine noch stärkere Fokussierung hätten der sonst sehr eingängigen Geschichte gut getan, welche dennoch empfehlenswert ist. Vom Erzähl- und Schreibstil, den nachverfolgten und klaren Handlungssträngen und den Spannungsmomenten her, ist dies eine der ersten Geschichten aus der Feder einer portoguiesischen Autorinnen, die mir wirklich gefällt. Ergänzend dazu sei gesagt, angolanische und portugiesische Begriffe werden in einem ergänzenden Glossar erklärt.

Warum man aber die Triggerwarnung, wenn man schon eine schreibt, jedoch in Winzschrift in den hinteren Seiten des Romans versteckt, bleibt wohl Geheimnis des Verlags. Die werden die meisten wohl erst entdecken, nachdem sie das Buch gelesen haben. Dann ist es jedoch zu spät.

Autorin:

Yara Nakahanda Monteiro wurde 1979 in Huambo, Angola, geboren und wuchs in Portugal auf, wo sie schon früh mit dem Schreiben begann. Sie schrieb Drehbücher, Kurzgeschichten und für Podcasts, bevor sie mit „Schwerkraft der Tränen“ ihr erstes Buch veröffentlichte, welches in mehreren Sprachen übersetzt wurde.Nach Stationen rund um die Welt lebt sie heute wieder in Portugal.

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Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind

Inhalt:

In diesem großen Klassiker der französischen Literatur erzählt Jules valles die durchaus autofiktionale Geschichte eines kleinen Jungen, der von seiner Bauernmutter und seinem Lehrervater ständig zum Sündenbock gemacht und emotional und körperlich missbraucht wird. Sein größtes Anliegen ist es, den sozialen Status der Familie zu verbessern.

Allen geschilderten sozialen Abgründen und menschlichen Bösartigkeiten zum trotz ist Das Kind doch voller Ironie und Humor und gilt vielen gar als eines der witzigsten Bücher der französischen Literatur überhaupt. In Christa Hunschas leichtfüßiger Übersetzung erstrahlt der Roman so modern, als sei er aus dem Herzen der Gegenwart geschrieben. (Klappentext)

Einordnung der Reihe:

Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind
Jules Valles: Jacques Vingtras 2 – Die Bildung
Jules Valles: Jacques Vingtras 3 – Die Revolte

[Einklappen]

Rezension:

Einerseits historischer Roman aus heutiger Sicht, in jedem Fall gesellschaftliches Porträt, autobiografische Erzählung, entführt der Schriftsteller Jules Valles uns in ein Frankreich, welches es so nicht mehr gibt. Unter den Eindruck der Zeitenwende, das Experiment der Pariser Kommune sollte rst Jahre später scheitern, erzählt er von seiner Kindheit, die in Nuancen an die psychische Verlorenheit erinnert, die man später auf der anderen Seite des Kanals in der Figur des Oliver Twists wiederfinden wird.

Doch der Autor hatte Eltern, was es hier nicht besser macht. Deren einzige Erziehungsmaßnahmen schien darin zu bestehen, dem Kind seine Unvollkommenheit, das Kindsein selbst vorzuwerfen. Entlang der eigenen Biografie entwirft der Autor das Bild eines Aufwachsens unter Qualen, eines Kindes, welches um so ungezwungener ist, je weiter es der Recihweite der Eltern entkommt.

Wenn man so möchte, liegt mit „Das Kind“, hier in einer wunderbaren Übersetzung von Christa Hunscha, ein aus heutiger Sicht historischer Coming of Age Roman vor, der sich flüssig lesen lässt. Die Sprache ist klar und ohne Schmirkel. Wo französische Begriffe auftauchen, hilft ein nachgestelltes Glossar. Die Sympathien werden sofort verteilt, vereint der Erzähler doch alle auf sich.

Für die umgebenden Protagonisten ist die Figur des Jacques‘ oft mehr, mal weniger ein lästiges Übel. Frei fühlt sich der Junge. Die größte Freude der Mutter ist es, das Kind zu piesacken. Der Vater gibt Jacques die Schuld für den fehlenden Karriereaufstieg. Von beiden Seiten setzt es Schläge.

So zusammengefasst wirkt das deprimierend, doch Jules Valles bewahrt seinem Protagonisten Neugier und Beobachtungsgabe, Traum und Phantasie, vor allem Hoffnung. So überlebt der Junge den Tag, so alle Lesenden die Seiten, die sonst nur erdrückend wären. Um so bedeudungsvoller erscheinen kleinere Erfolge Jacques‘, die am Ende Früchte tragen, um so witziger wirken einzelne Szenen.

So liest sich schnell, was sonst nur schleppend zu ertragen wäre, auch wenn der Zeitraum eine ganze Kindheit und Jugend, die zu damaliger Zeit, 19. Jahrhundert, schneller zu Ende ging als heute, umfasst.

Das Unglück ist da!

Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind

Wer liest hangelt sich entlang der Schilderungen aus der Sicht des Protagonisten, Sinnbild für das Gute und Reine.

Die Eltern sind der klare Gegenpol, mit überkommenen und aus der Zeit gefallenen Vorstellungen, die den Betrachtungen des Jungen nicht Stand halten können. Jules Valles lässt Jacques die Stationen seiner Kindheit durchlaufen, erzählt schlüssig. Lücken und unlogische Brüche existieren in diesem Format nicht. Die Erzählung kommt kompakt daher. Ausschweifungen werden vergleichsweise sparsam eingesetzt, dann jedoch besonders betont. Einzelne Sätze stechen heraus.

Man fühlt die Verlorenheit, Hilflosigkeit, später die Entschlusskraft der Hauptfigur, dessen Geschichte so übersetzt, auch gut ins Heute zu übertragen wäre. Jede historische Staubschicht oder Melancholie wurde hier zu Gunsten der Erzählung entfernt.

Das funktioniert, hinterlässt Eindruck. Wer liest, der steht, sitzt neben Jacques, erleidet, erträgt Schläge und psychische Erniedrigung, den kram, den Hass der Eltern, die diesen über das eigene Kind ausschütten. Zart besaite müssen die Lektüre vielleicht das eine oder andere Mal unterbrechen. Lichtblicke für den Jungen gibt es dennoch zur Genüge.

Ein Coming of Age Roman aus einem wechselhaften Epoche in moderner Übersetzung, biografisch angehaucht und Missstände kritisierend, viel steckt in diesen doch überschaubaren Seiten. Doch Valles hat es hier geschafft, das unterzubringen, ohne sich zu vertun. Lesenswert allemal. Kleinere Schwächen ergeben sich aus der Distanz der heute Lesenden heraus.

Wie hätten Erwachsene, wie Kinder in vergleichbaren Situationen heute handeln können? Man ertappt sich dabei, den Protagonisten ein ums andere Mal schütteln zu wollen, als würde das Kind nicht genug körperlich gedemütigt werden, aus damaliger Perspektive ist das jedoch folgerichtig. Macht neugierig auf die weiteren Teile.

Autor:

Jules Valles wurde 1832 geboren und war ein französischer Journalist, Romaschriftsteller und Publizist, sowie Sozialkritiker. Unter den Eindrücken des Deutsch-Französischen Kriegs wurde er 1871 Mitglied der Pariser Kommune, des revolutionären Stadtrats, der gegen den Willen der Zentralregierung versuchte, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten.

Nach Niederschlagung dieser gelang es ihm nach London zu fliehen. 1880 kehrte er schließlich nach Frankreich zurück, um fortan von seiner publizisitischen Arbeit zu leben. Er starb 1885 in Paris.

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Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Inhalt:

Das Buch ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit. Bücher lassen Worte durch Zeit und Raum reisen und sorgen dafür, dass Ideen und Geschichten Generationen überdauern. Irene Vallejo nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches, von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des römischen Reiches.

Dabei treffen wir auf rebellische Nonnen, gewiefte Buchhändler, unermüdliche Geschichtenerzählerinnen und andere Menschen, die sich der Welt der Bücher verschrieben haben. (Klappentext)

Rezension:

Bücher sollten noch lange nicht in der uns bekannten Form existieren, da schon machten längst Legenden die Runde durch die damals bekannte Welt, die sich wie der Plot eines spannenden Kriminalromans lesen. Agenten des Pharaos waren unterwegs um für die Bibliothek ihres Herrschers Schriftstücke zu sammeln, für die Ägypter teils mehr wert als Gold.

Da schon hatte das geschriebene Wort einen langen Weg hinter sich, der bis zu den ersten gebundenen Büchern dennoch langwierig anmuten sollte. Irene Vallejo erzählt sie, die Geschichten von Herrschern, die um die Macht des Wortes wussten, vom beschwerlichen Weg von Papyrus zu Papier und von der Strahlkraft erster Bibliotheken der Antike.

Wenn er durch Alexandria streifte, sah er unter der realen Stadt die abwesende Stadt pulsieren. Obwohl die Große Bibliothek verschwunden war, hingen ihr Echo, ihr Flüstern und Wispern weiter in der Luft.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Die spanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo reist mit uns in die Antike und erzählt von den Anfängen eines Gegenstandes, der sich unzählige Male gewandelt hat, heute gar als Hörbuch oder als elektronische Datei existiert und erst durch entsprechende Gerätschaften sichtbar gemacht werden muss.

Die Verbreitung des Lesens führte zu einem neuen Gleichgewicht der Sinne. Bisher hatte sich die Sprache ihren Weg durch die Ohren gebahnt, mit der Erfindung der Buchstaben aber wanderte ein Teil der Kommunikation zu den Augen ab.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

„Papyrus“ liest sich dabei nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern wie ein Spannungsroman, zuweilen mit Krimi-Elementen. Wer liest, nimmt die Perspektive von erzählenden Philosophen ein, die um Worte rangen, und der Unveränderlichkeit dieser, waren sie einmal auf Papyrus oder Pergament festgehalten, misstrauten, von Herrschern im Größenwahn und vom Kampf der ersten Kopisten gegen den Verfall.

Von den meisten Werken gab es nur wenige Kopien, und dass ein bestimmter Text vollständig erlosch, war eine sehr reale Bedrohung. In der Antike konnte das letzte Exemplar eines Buchs jeden Augenblick aus einem Regal verschwinden, von Termiten zerfressen oder von der Feuchtigkeit unwiederbringlich beschädigt werden. Und während das Wasser oder die mahlenden Kiefer der Insekten ihre Arbeit taten, verstummte eine Stimme für immer.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Vallejo legt dabei zum einen ihren Fokus auf hervorstechende Einzelpersonen, lässt jedoch auch tief ins Innere antiker Gesellschaften schauen, zeigt die Dramatik der ersten Zensur, aber auch warum das Buch an sich, in welcher Form auch immer, schon damals eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. In kurzweiligen Kapiteln, die sich jeweils schwerpunktmäßig auf eine Biografie oder ein Ereignis konzentrieren, eröffnet die Autorin uns einige neue Blickwinkel auf die Anfänge und der Schicksale des Buches.

So lohnt es sich durchaus, auch dieses zu lesen.

Autorin:

Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa geboren und ist eine spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie klassische Literatur in Saragossa und Florenz und promovierte anschließend. Sie spezialisierte sich dabei auf die Antike. Für Tageszeitungen und Zeitschriften schreibt sie Kolumnen, veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman.

2020 gewann sie den Literaturpreis Premio Nacional de Ensavo, 2021 den Premio Aragon, die höchste Auszeichnung, die die Regionalregierung der autonomen Region Aragon vergibt. „Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist ihr erstes Sachbuch.

Die Rezension wurde auf Grundlage eines Rezensionsexemplares geschrieben, welches ausgewählte Kapitel enthielt, um Übersicht und Eindruck von der Art des Textes zu geben.

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Katrin Schumacher: Naturkunden – Füchse: Ein Portrait

Inhalt:

Welch ein Tier. Wo es auftaucht, verändert es die Spielregeln.

Geschmeidig und klug macht sich Katrin Schumacher in ihrem persönlichen Tierportrait auf einen natur- und kulturgeschichtlichen Beutezug durch Fuchsbaue und Hühnerställe, Pelzgerbereien und Stadtlandschaften, um den realen und imaginären, den ebenso listigen wie charmanten Güchsen auf den Pelz zu rücken. (Klappentext)

Einordnung:

Das Werk ist Teil der Reihe „Naturkunden“.

Rezension:

Nicht allein einen wissenschaftlichen Blick gibt die Buchreihe „Naturkunden“ auf verschiedene Themen, immer auch wird der Mensch und sein Einwirken in Bezug zum Objekt gesetzt. So kommt es, das auch der Fuchs ins Visier genommen wird, dessen kulturgeschichtliche Bedeutung die Journalistin Katrin Schumacher einmal beleuchtet hat. Entstanden dabei ist ein kompakter Rundumblick.

Und mehr leider auch nicht. Die Biologie wird hier schmählich behandelt. Zwar werden einige Aspekte des Lebenszyklus‘ und Sozialverhaltens erläutert, hintenangestellt ein kleiner Überblick zu den verschiedenen Unterarten, doch dominiert in den Zeilen der Blick des Menschens.

Ein Wandel wird beschrieben, vor allem vom Pelzlierferanten und begehrten Jagdziels, welches nicht immer einfach zu erreichen ist, zum Kultobjekt, welches als grafisches Motiv auf allen möglichen Gegenständen prankt, zudem neben den Menschen inzwischen der zweite große Stadtbewohner ist. Der Blickwinkel bleibt, zu wenig erfährt man über Natur und Biologie, zu lange scheint die Autorin durch Pelzgerbereien und mit Jägerinnen umhergestreift zu sein. Wäre dies ein Film, würde man die obligatorische Texttafel vermissen, dass hierfür kein Tier zu Schaden gekommen ist.

Der wissenschaftliche Blick wird zu kurz gehalten. Biologinnen, wie etwa Adele Brand oder Sphia Kimmig liefern ein ausführlicheres und fundierteres Portrait und halten sich nicht mit Beschreibungen etwa auf, wie Pelzhandel früher wirkte und Gerbereien arbeiten. Wer jedoch an dieser historischen Komponente mehr interessiert ist, wird bei Katrin Schumacher an Informationen fündig. Es wirkt dennoch und vor allem deswegen irritierend, dass diese Art von Portrait so ihren Eingang in die Reihe „Naturkunden“ gefunden hat.

Wer zudem schon Grundlagenwissen besitzt, wird nichts neues mehr hier raus entnehmen. So bleibt den Fans von Meister Reineke nur, andere Literatur zu suchen.

Autorin:

Katrin Schumacher wurde 1974 in Lemgo geboren und ist eine deutsche Literaturwissenschaftlerin, Journalistin, sowie Jurymitglied des Preises der Leipziger Buchmesse. Nach der Schule absolvierte sie in Bamberg, Antwerpen und Hamburg ein Studium der Germanistik, Journalistik und Kunstgeschichte und schreibt seit dem Literaturkritiken für den Hörfunk, moderierte für mehrere Radiosender und übernahm nach ihrer Promotion verschiedene Lehraufträge bis ins Jahr 2015.

Danach war sie Redaktionsleiterin im MDR für „Literatur, Film, Bühne“, seit 2020 für „Musik und Kunst“. Ab 2016 war sie Redaktionsleiterin des MDR-Ressorts „Literatur, Film, Bühne“, seit 2020 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin des Ressorts „Musik und Kunst“. Vorher arbeitete sie als Literaturredakteurin und ist zudem Mitglied des Buchzeit-Teams des Senders 3sat.

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SAID: Ein vibrierendes Kind

Inhalt:

In seinem nachgelassenen Roman „Ein vibrierendes Kind“ erzählt SAID von seiner Kindheit und Jugend im Iran zwischen 1947 und 1965. Die Eltern sind geschieden und das Kind wächst beim Vater auf, der als Offizier viel unterwegs ist, sich aber liebevoll um seinen Sohn kümmert.

In seinem einfach gehaltenen, bildreichen Stil erzählt SAID von einer Welt und Gesellschaft, die so nicht mehr existiert, die ihn prägt und schützt, aber auch seinen Widerstand hervorruft, bis er das Land für immer verlässt – nicht zuletzt ermuntert durch seinen Vater. „Ein vibrierendes Kind“ ist ein ans Herz gehendes Buch. (Klappentext)

Rezension:

Das Manuskript schon fertig, suchte der Autor und Poet einen passenden Verlag dafür, fand ihn und starb kurz vor der Veröffentlichung seiner Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend in einem längst vergangenen Land. SAID, so sein Künstlername, der sich für politisch Verfolgte einsetzte, sich immer auch über sein eigenes Werk hinaus für die Vermittlung persischer Literatur engagierte, wandelte hier zwischen den Welten.

Und so liegt mit seinem Text „Ein vibrierendes Kind“ eine Mischform vor, zwischen Epik und Lyrik, fast einem Langgedicht, dessen Abschnitte sich jedoch auch getrennt voneinander lesen lassen. In diesem Stil muss man erst einmal hineinfinden. Die ungewöhnliche Schreibweise, Großbuchstaben komplett außen vor zu lassen, tut ihr übriges, volle Konzentration denen abzuverlangen, die sich darauf einlassen, um dann in eine wundersame Welt der Erinnerungen einzutauchen.

ein kind für den samowar

jeden morgen wacht das kind mit seinem summen auf.
am abend arbeitet das kind für den samowar.
glühende kohle wird in einen kleinen drahtkorb gelegt, der korb hat
einen langen stiel, das kind greift zu seinem ende und rennt in den patio.
es dreht den kohlenkorb an seiner seite im kreis.
je schneller das kind ist, desto früher glüht die kohle.
dann rennt es ins haus und liefert die kohle für den samowar.‘
großmutter mault, die tätigkeit sei zu anstrengend.
doch das kind verteidigt jeden abend sein naturrecht auf das amt.
es ahnt nicht, daß bald die moderne gegen das kind siegt.
bald kommen samoware mit öl.
dann steht das kind da –
ohne auftrag, ohne würde.

SAID: Ein vibrierendes Kind

SAID erzählt vom Aufwachsen zwischen den Frauen seines Vaters, Ausflügen und den feinen Geflogenheiten der Erwachsenen, die das Kind beobachtet, vom Zwischenspiel im Internat und dem Drang zur Kontrolle der Großmutter. Melancholie sticht durch, ebenso der kritische Blick, der schon dem kleinen Jungen und später dem Jugendlichen nicht fehlt, der seinen Weg sucht, finden und vom Vater gefördert wird. Schon aufgrund der Art des Textes, der sich nicht wirklich einer literarischen Gattung zuordnen lässt, der Verlag spricht vom Roman, ist dies etwas besonderes, wie auch der Autor zeit seines Lebens immer umtriebig war.

Autor:

SAID, eigentlich Said Mirhadi, wurde 1947 in Teheran geboren und war ein iranisch-deutscher Schriftsteller. Seit 1965 lebt er in München, ging 1979 für kurze Zeit in den Iran zurück, um dann entgültig nach Deutschland zurückzukehren. 2004 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und schrieb Prosa und Lyrik, war zudem an der Produktion von Hörspielen beteiligt. Der Schriftsteller war Mitglied des PEN-Zentrums, 1995-1996 Vizepräsident dessen und von 2000-2002 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. Er wurde mehrfach für sein Werk ausgezeichnet, etwa 2006 mit der Goethe-Medaille und 2014 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Er starb im Jahr 2021.

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Christian Bommarius: Im Rausch des Aufruhrs – Deutschland 1923

Inhalt:

Franzosen und Belgier besetzen das Ruhrgebiet. Tucholsky wirft hin und geht zur Bank. Hemingway wird nicht bedient. Das Rheinland will sich vom Reich abspalten. Anita Berber hat sie alle in der Hand, Joseph Roth steht vor dem Durchbruch. In Hamburg proben Kommunisten den Aufstand und Hitlers Bierkellerputsch scheitert in München blutig. Ein Brot kostet 399 Milliarden Mark.
(Klappentext)

Rezension:

Die neue Demokratie steht auf wackligen Beinen, akzeptiert wird sie nur von wenigen. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs ist noch nicht zu lange her. Einen Weg zur Stabilisierung hat man noch nicht gefunden, gefundenes Fressen für radikale Kräfte. Das Geld verliert immer mehr an Wert. Bald schon wird der Lohn in Schubkarren ausgegeben werden müssen.

Für Banken arbeitende Druckereien suchen händeringend Angestellte. Auch ein späterer Propagandaminister, sowie ein kranker Schriftsteller finden sich hinter Bankschalter wieder. Es ist das Jahr 1923, kurz bevor der deutsche Staat sich zu stabilisieren beginnt und zugleich auch Risse bekommt, die ihn später mit zu Fall bringen sollten. Der Journalist Christian Bommarius hat sich mit der rührigen Zeitspanne von zwölf ereignisreichen Monaten beschäftigt.

Ein Sachbuch als historischer Kalender, dies ist die Aufmachung, in der jedem Monatskapitel zunächst eine Übersicht der zu den Zeitpunkt stattfindenden Ereignisse vorangestellt wird, eingeführt durch jeweils mehrere bezeichnende Fotos. Fast literarisch wird die Zusammenfassung danach aufgefächert. Wir begleiten Politiker und solche, die es einmal werden, Putschisten, Künstler und Literaten durch dieses flirrende Jahr und einen geschassten Monarchen, der von seiner Rückkehr träumt.

Die Fakten sind bekannt. Beiderseits der Grenze des Ruhrgebiets, welches von den Franzosen besetzt wird, nichts Neues. Trotzdem wirken die Texte zuweilen hölzern. Leichtgängig ist etwas anderes. Ein Lesefluss entsteht alleine nicht durch den vielseitigen Wechsel der beschriebenen Ereignisse, die zwar ausgiebig recherchiert wurden, aber für Sprunghaftigkeit wirken. Es gilt, Überblickswissen zu erlangen. Wer dieses bereits hat, sollte sich spezialisierter Lektüre zuwenden. Hier wird Grundlagenwissen aufgefrischt.

Eine gute Ergänzung ist das Personenverzeichnis hintenan, welches einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der im Text aufgeführten Biografien gibt, deren Weichen auch und besonders im Jahr 1923 gestellt wurden.

Was sehr interessant dargestellt wird, sind die Auswirkungen der Inflation auf die einzelnen Wege der jeweiligen Personen, doch immer dort, wo es spannend wird, erfolgt der Wechsel zum nächsten Momentum. Dabei hat der Autor ein umfangreiches Detailwissen vorzuweisen. Vielleicht wäre hier die Konzentration auf einen Bereich, etwa Kunst und Kultur, nur Wirtschaft oder nur Politiker, vorteilhafter gewesen? Eine Einführung und Übersicht ist es jedoch allemal.

Autor:

Christian Bommarius wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften und Germanistik, bevor er als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht arbeitete. Er war von 1998 bis 2017 Redakteur bei der „Berliner Zeitung“, anschließend Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“. Er arbeitet zudem als freier Autor und wurde bereits mit dem otto-Brenner-Preis (2018) und den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Berlin, ausgezeichnet.

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Joachim Käppner: Soldaten im Widerstand

Inhalt:

Die „Strafdivision 999“ (1942-1945) ist bis heute von Mythen und Legenden umgeben. Wenig bekannt ist immer noch, dass viele ihrer Soldaten Kommunisten, Sozialdemokraten und andere waren, die gegen das Naziregime Widerstand geleistet hatten und dafür in Gefängnisse und Konzentrationslager gesteckt worden waren.

Aber dann, als der Wehrmacht 1942 an allen Fronten Soldaten zu fehlen begannen, zog sie diese zuvor als „wehrunwürdig“ abgestempelten Männer kurzerhand ein. Sie sollten nun für das Regime jenen Krieg führen, dem sie sich doch entgegengestellt hatten. Viele der Zwangssoldaten setzten ihren Kampf gegen die Schreckensherrschaft selbst in der verhassten Uniform fort. Dieses Buch erzählt ihre Geschichte. (Klappentext)

Rezension:

Es müssen Menschen übrig bleiben, die gegen das Furchtbare, das mit dem Namen Hitler über die Welt kam, kämpfen. Wenn auch mit der Hilflosigkeit von Zwergen, die vor einen rollenden Panzer Kieselsteine werfen, um ihn aufzuhalten. Die trotzdem nicht aufhören mit den Kieselsteinen.

Joachim Käppner: Soldaten im Widerstand

Es ist ein wenig beachtetes Kapitel der deutschen Geschichte, welches der Historiker und Journalist joachim Käppner in seinem neuen werk beleuchtet. Zeugenberichte sind rar, teilweise zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme wenig beachtet oder versucht und umgedeutet durch die neue vorherrschende Ideologie, je nachdem auf welcher Seite des nach dem Krieg hochgezogenen „Eisernen Vorhangs“ man suchte.

Wenige betroffene haben damit ihren frieden machen können und doch gab es sie, vor 1945, Soldaten, die eigentlich keine sein wollten und die auch das damals herrschende NS-Regime nicht wollte, aber spätestens mit den sich abzeichnenden Niederlagen in Stalingrad und in Nordafrika brauchte. Sozialdemokraten, Kommunisten und andere, die für ihre Überzeugungen vorher Zuchthausstrafen absitzen oder gar in die Konzentrationslager gebracht wurden, mussten nun kämpfen, im ständigen Zwiespalt auch mit sich selbst.

Ein erschütterndes, weil noch zu wenig beleuchtetes Stück Historie wird hier im rahmen von Personengeschichte betrachtet. Dies kann zuweilen problematisch werden, da diese Art von Begutachtung nur selten objektiv ist und zu wenig Fascetten Beachtung finden.

Wenn jedoch ein bestimmter Aspekt schon in der zeithistorischen Bearbeitung sträflich vernachlässigt wird, ist das durchaus legitim und so eröffnet Joachim Käppner eine neue Perspektive. Die verschiedenen Blickwinkel werden durch eine Auswahl von verschiedenen Personenbiografien hineingebracht, denen wir folgen, um so nach und nach uns ein ganzes Bild machen zu können.

Der Stil ist dabei so nüchtern, wie es nur geht, was zur Folge hat, dass auch Längen entstehen. Gleichzeitig wird Geschichte, da sie eben in diesem Werk nicht unpersönlich daher kommt, fassbar und im Großen und Ganzen spannend erzählt. Gestützt auf Zeitzeugenberichte, die teilweise erst ideologisch entfärbt oder überhaupt erst wiedergefunden werden mussten, berichtet der Historiker und zeigt eine bisher wenig betrachtete Seite des Zweiten Weltkriegs auf.

Nicht fehlen dürfen dabei Vor- und Nachbetrachtung, die gleichermaßen fundiert recherchiert erscheinen. Unterfüttert ist dies mit einer, für diese wenig beleuchtete Thematik, doch guten Quellenlage.

Wie sind diese Männer damit umgegangen, für ein Regime kämpfen zu müssen, dessen Gegner sie eigentlich waren? Welchen Zwiespalt mussten sie aushalten, in Uniform und später im umgang mit der Thematik in den beiden deutschen Nacvhfolgestaaten und wie beeinflussten einerserseits die täglichen Schrecken und Notwendigkeit des Krieges das Handeln, wie auch die eigenen Überzeugungen im Umgang mit inneren und äußeren Faktoren? War es möglich, Widerstand zu leisten, mit der Waffe in der Hand?

Nicht zuletzt in unserer Zeit sehr aktuell und diskutierenswert.

Joachim Käppner, über Soldaten, die lieber keine sein wollten.

Autor:

Joachim Käppner wurde 1961 in Bonn geboren und ist ein deutscher Journalist und Historiker. Nach der Schule studierte er Geschichte und Politische Wissenschaften in Bonn und Jerusalem und arbeitete 1982 als fester freier Mitarbeiter beim General-Anzeiger. Nach einem Praktikum in Johannesburg, besuchte er die Deutsche Journalistenschule in Mänchen und war ab 1987 als freier Journalist tätig.

Er arbeitete für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, 1998 an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. 1999 begann er für die Süddeutsche Zeitung in München zu arbeiten und verfasste mehrere Sachbücher über militärische und politische Themen. 1999 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis, 2011 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis.

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Bernhard Kegel: Ausgestorbene Tiere

Inhalt:
Quagga, Elfenbeinspecht, Koalalemur und Riesenalk: Wer weiß heute noch, wie diese Tiere aussahen, wo sie lebten, wie sie klangen – ja dass sie überhaupt existiert haben? Anhand von historischen Illustrationen erinnert dieses Buch an die Schönheit von fünfzig ausgestorbenen Tierarten und verbindet biologisch und naturgeschichtlich Wissenswertes mit anekdoten und Kuriosem. Eindrücklich führt es uns auf diese Weise die Verluste vor Augen, die die Tierwelt bereits erlitten hat, und bewahrt heutzutage unbekannte Spezies vor dem Vergessen. (Klappentext)

Rezension:

Unser Planet unterliegt ständigen Veränderungen, damit auch die auf ihm existierende Flora und Fauna. Massenaussterben, wie dass der Dinosaurier oder globale klimatische Veränderungen, unterstützt von Ausbrüchen gewaltiger Vulkane, deren Asche für längere Zeit den Himmel über weite Strecken verdunkeln konnte, gab es schon immer und infolge dessen wandelte sich auch das biologische Gefüge auf unserer Erde.

Arten kamen und gingen. Wer sich nicht kurzfristig anpassen konnte, verschwand von der Bildfläche und hinterließ eine Lücke, die entweder frei blieb oder durch eine andere Tierart besetzt wurde. Tatsächlich ist jeder Art nur eine begrenzte Zeit auf unserem Planeten vergönnt, doch dass derzeitige immer schnellere Voranschreiten vom Verschwinden verschiedener Tierarten, hat oftmals nur eine Ursache, uns Menschen.

Der Biologe Bernhard Kegel hat stellvertretend fünfzig von ihnen aufgelistet und so geholfen, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Er erzählt, wie es zum Verschwinden des Falklandfuchses kam, des Japanischen Seelöwens oder des Tasmanischen Beutelwolfs und beschreibt, wann eine Art eigentlich als ausgestorben gilt, wie Wissenschaftler versuchen, die Letzten ihrer Art zu retten oder auf der Suche, nach vielleicht doch überlebenden Populationen einer lang nicht mehr gesichteten Spezies, sich begeben.

Der Autor zeigt zudem auf, wie fragil manche Arten in Abhängigkeit voneinander existieren und was dies für extrem bedrohte bedeutet, was die Forschung jedoch auch mit Rückzüchtung oder Gentechnik versucht, zu erreichen.

Das so entstandene Lexikon, welches nur einen winzigen Ausschnitt der Thematik zeigen kann, ist ausreichend um zu verdeutlichen, was bereits verloren ging und was wir, geht das Aussterben der Arten, von uns befeuert, im gleichen Tempo voran, noch zu verlieren drohen.

Der erhobene Zeigefinger bleibt dabei stecken, vielmehr setzt Bernhard Kegel den ausgewählten, von unserem Planeten verschwundenen Arten und ihren letzten Vertretern, wie etwa Lonesome George, der letzten Pinta-Riesenschildkröte, die 2012 auf Galapagos starb, ein würdevolles Denkmal. Er beschreibt ihre Entdeckung und zugleich ihren Untergang. Historische Illustrationen, von Menschen, die noch nicht wussten, dass sie Arten portraitieren, die einmal nicht mehr existieren würden, ergänzen diesen Band.

Das Aussterben geht derweil weiter voran. Zahlreiche Insekten sind heute kaum mehr zu hören, die uns noch vor wenigen Jahrzehnten umschwirrten. In einigen Städten verschwinden gar „Allerweltstiere“ wie der Sperling. Doch zeigt der Autor, dass es auch Hoffnung gibt. So manche Art wird durch intensiven Schutz und speziell ausgerichteten Aufzuchtprogrammen vor dem Schicksal vieler anderer bewahrt.

Doch, eines wird beim Lesen dieses ansonsten sehr nüchtern gehaltenen Bandes schnell klar. Die Liste ausgestorner Tiere ist lang und wird täglich größer, ohne dass viele Arten genauer erforscht oder beschrieben sind. Wir sind dafür verantwortlich, denn zu viele andere Arten hätten es ebenso verdient, hier ebenso aufgeführt zu werden.

Autor:

Bernhard Alexander Kegel wurde 1953 geboren und ist ein deutscher Autor. Zunächst studierte er Chemie und Biologie an der Freien Universität Berlin, danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. 1991 arbeitete er mit Freiland- und Laboruntersuchungen zur Wirkung u. a. von Herbiziden. Seit 1996 ist er zudem schriftstellerisch tätig und Autor mehrerer biologischer und ökologischer Sachbücher, 1993 veröffentlichte er zudem seinen ersten Roman.

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