Karine Tuil: Diese eine Entscheidung

Inhalt:

In einem Hochsicherheitstrakt des Pariser Justizpalastes muss die charismatische Untersuchungsrichterin Alma Revel über die Festsetzung oder Freilassung eines blutjungen Mannes entscheiden, gegen den ein Terrorismusverdacht vorliegt. Doch nicht nur beruflich ist Alma extrem gefordert.

Ihre Ehe ist am Ende und sie stürzt sich Hals über Kopf in eine Affäre, ausgerechnet mit dem Anwalt, der nun den Terrorverdächtigen verteidigt. Alma trifft eine folgenschwere Entscheidung, die ihr Leben und ihr Land auf den Kopf stellen wird. Was sind wir bereit aufzugeben, um unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten? (Klappentext)

Rezension:

Eine Erzählung wie ein französischer Film möchte man meinen, ganz so schlimm verhält sich der Roman der Schriftstellerin Karine Tuil jedoch nicht. Dennoch steht hier ebenso eine zentrale Frage über die Geschichte, an deren Ende wir einsteigen, um dann dem eigentlichen Weg dorthin zu verfolgen. Ein Attentäter hat in einem Pariser Nachtclub mehreren jungen Menschen das Leben genommen. Videoaufnahmen von der Tat sind das, was davon übrig bleibt. Und die Frage nach der Schuld, die sich vor allem Alma Revel stellt. Hat ihre Entscheidung dazu geführt, dass dies geschehen konnte?

Verhältnismäßig ruhig wirkt der Roman schon zu Beginn, wenn er zwischen den Gegebenheiten, beinahe, eines Justizthrillers und der gesellschaftlichen Bestandsaufnahme schwankt, die die Autorin in ihrer Geschichte verpackt. wie weit müssen wir gehen, um einer möglichen zukünftigen Bedrohung schon im Vorfeld Herr zu werden, sie gar zu verhindern, wenn dies auch heißt, die Freiheit des Einzelnen einzuschränken? Wie weit sollten wir gehen, um uns und andere zu schützen und wie gehen wir mit den Konsequenzen eines ungewissen Ergebnisses um?

Karine Tuil lässt diese Fragen allesamt auf ihre Hauptprotagonistin einstürzen, deren zwei Seiten, wie Ecken und Kanten wir im Verlauf der Geschichte kennenlernen. Zum Einen, wenn es darum geht, wie diese, als Untersuchungsrichterin, den Angeklagten zu vernehmen, zum anderen, wenn die Konsequenzen des Beruflichen das eigene Privatleben grundsätzlich in Frage stellen. In kompakter Erzählweise wird dabei ein Zeitraum von wenigen Wochen erzählt, der zwangsläufig in die vorweg genommene Katastrophe münden muss. Vielleicht interessant zu erwähnen, dass in Europa vor allem die französische Literatur sich gefühlsmäßig so mit diesen Fragen auseinandersetzt.

Im Fokus steht hier neben der Hauptprotagonistin die vernommene Person, die den gesamten Verlauf gewollt kaum fassbar sein wird, sowie als Gegenüber dessen charismatischer Anwalt, der die Gegenseite vertritt und damit das Prinzip der Rechtstaatlichkeit, dass alle vor Gericht gleich sein sollen. Es ist natürlich jedoch auch der Part, der die Prinzipien der Hauptfigur in Frage stellen muss und somit eine gewisse Dynamik ins Handlungsgeschehen hineinbringt.

Das beschränkte Figurenensemble, sowie die wenigen Handlungsorte lassen die Erzählung sehr konzentriert erscheinen, zumal die wenigen Perspektivwechsel klar erkennbar voneinander getrennt werden. Moralische Fragen werden immer wieder auf das Tableau gebracht. Die Handlung wirkt dabei in sich schlüssig. Gewollt lenkt Karine Tuil die Gedanken und Sympathien der Lesenden in eine ganz bestimmte Richtung, um natürlich eine gewisse Wirkung gen Ende zu erzielen.

Was den Anteil des Justizthrillers an dem Roman angeht, so ist hier kein Verständnis des französischen Rechtssystems von Nöten. Grundlegende Kenntnisse des Selbstverständnisses des französischen Wertesystems, welches man im Allgemeinen schon im Geschichtsunterricht mitbekommt, sollten die meisten ohnehin aufgrund von Allgemeinbildung besitzen. Alles andere ergibt sich. Die Autorin lässt dabei nicht nur die Figuren und derer Denken lebendig werden, auch die Schauplätze sind fassbar. Das liegt vor allem in der Bezugnahme oder Assoziation zu realen Ereignissen. Jedem etwa dürften die Anschläge auf die Zeitungsredaktion von Charlie Hebdo ein Begriff sein, ebenso wie die um das Bataclan-Theater, auch in anderen französischen Romanen ein Thema der Verarbeitung.

In diesem Roman werden Grundsatzfragen einer Gesellschaft thematisiert, die ständig zwischen Sicherheit und Freiheit, Recht und Gerechtigkeit, Chancen und Schuld, sowie Verantwortung abwägen muss. Bleibt nur zu sagen, dass es darauf keine eindeutige Antwort geben kann.

Antworten darauf können nur teilweise gegeben werden und sind in Teilen immer unbefriedigend. Sowie das Ende der Erzählung. Muss man einer Tragödie noch Kitsch folgen lassen, der zwangsläufig etwas aufgesetzt wirken muss? Hier hätte ein halb offenes Ende der Geschichte gut getan oder die Streichung der letzten Abschnitte, wenn dies auch nur Abzug in der B-Note bedeutet.

Ansonsten lohnt sich das zu lesen.

Autorin:

Karine Tuil wurde 1972 in Paris geboren und ist eine französische Schriftstellerin. Sie studierte Kommunikations- und Informationswissenschaften, sowie Recht. Sie gewann einen Kurzgeschichtenwettbewerb und veröffentlichte im Jahr 2000 ihren Debütroman “Pour le pire”, dem weitere Werke folgten. Seit dem veröffentlichte sie weitere Romane, die vielfach nominiert und ausgezeichnet sowie in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

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