Inhalt: Bettina Röhl über den Paradigmenwechsel 68, die Gründung der RAF und den Mythos um ihre Mutter Ulrike Meinhof.
Brauchte die Bundesrepublik die Revolte von 68? Die APO-Bewegung und ihre „Speerspitze“, die RAF, sind die wohl meist beschriebenen Themen der neueren politischen Geschichte des Landes. Anhand bisher unbekannter Fakten und Dokumente und der Stimmen neuer Zeitzeugen erzählt die Autorin, die als Kind die Gründung der RAF hautnah miterlebte, die scheinbar bekannte Geschichte noch einmal neu. Bettina Röhl liefert eine durchrecherchierte Erzählung und eine umfassende Analyse, die den Urknall von 68 fühlbar macht. (Klappentext)
Rezension:
Geschichte wird immer dann lebendig, wenn sie von Zeitzeugen spannend und mit viel Hintergrundwissen erzählt wird. Die Autorin Bettina Röhl hat diese Kenntnisse und vertiefte sie zudem durch eigene Recherche, sammelte Schriftstücke und befragte Zeitzeugen, die das, was sie erlebte, verifizieren und aus einer anderen Perspektive erzählen können.
Herausgekommen ist ein umfassendes Portrait einer der umstrittensten und zugleich sagenumwobenden Personen der jüngeren deutschen Geschichte. Der Werdegang und die Radikalisierung Ulrike Meinhofs.
Die linke Journalistin, die sich von der APO-Bewegung und Rudi Dutschke angezogen fühlt, radikalisierte sich, wie einige andere auch und beschloss auf den Worten, welche zeitlebens ihre stärkste Waffe bleiben sollten, Taten folgen zu lassen, die die Ziele der Bewegung ad absurdum führten. Ihre Tochter Bettina Röhl erzählt Meinhofs Werdegang, der zugleich Auf- wie Abstieg ist und analysiert haarscharf die 68er Bewegung, nimmt sie wahrharftig auseinander, bevor sie ebenso unerbittlich und ohne rosa Brille ihre Mutter von so manchen Sockel stößt.
Unterlegt mit der anwaltlichen Korrespondenz der Meinhof mit ihren Anwälten, sowie Interviews mit ehemaligen Weggefährten geht sie dem auf den Grund, warum ihre Mutter in den Terrorismus abglitt und den Irrweg nicht mehr klar sah.
Die Autorin argumentiert sachlich, zeigt jedoch immer wieder auch die Perspektive der Wahrnehmung in ihrer Kindheit und stellt beides, ihr Erleben und das ihrer Mutter gegenüber, ergänzt durch Zeitzeugenberichte und Interviews, sowie Briefwechsel. Mehr braucht Bettina Röhl nicht, um neben Butz Peters‘ „Tödlicher Irrtum“ oder etwa Stefan Austs „Der Baader Meinhof Komplex“ bestehen zu können, und zudem neue interessante Einblicke zu liefern.
Nichts verklärend, immer sachlich trennt sie die Wahrnehmung des Kindes Bettina Röhl mit den Geschehnissen und schrecklichen Auswirkungen der Taten der 68er Bewegung, insbesondere der Ereignisse um Ulrike Meinhof selbst und schafft damit eine neue Perspektive, die zu wichtig ist, um sie unter den Tisch fallen zu lassen.
Jenseits aller verklärender, auf sensationsheischender Sicht ausstehender Literatur geht die Autorin wohltuend sachlich und argumentativ genau mit der Thematik um, so dass man nicht umhin kommt, Röhl zu lesen, um Meinhof zu fassen. Der Versuch zu verstehen mag nicht jeden gelingen, aber den Blick zu schärfen schafft die Autorin unbedingt.
Autorin:
Bettina Röhl wurde 1962 in Hamburg geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Ihre Eltern sind der Verleger klaus Rainer Röhl und die spätere Terroristin der RAF Ulrike Meinhof. Röhl wuchs zunächst bei ihren Eltern, später nach der Trennung der Eltern bei ihrer Mutter auf, bis diese in den Untergrund abtauchte.
Nachdem Röhl in ein Flüchtlingslager nach Sizilien entführt wurde, mit dem Ziel den Vater das Sorge- und Zugriffsrecht zu entziehen, wurden Röhl und ihre Schwester durch einen RAF-Aussteiger und den Journalisten Stefan Aust befreit. 1982 legte sie das Abitur ab und studierte Geschichte und Germanstik. Seit dem arbeitet sie für verschiedene Zeitschriften und Magazine.