Kind

EntengrĂŒtze und der Geruch von Erdbeeren

Mit den Fingern streiche ich vorsichtig ĂŒber das Papier, erfahre GlĂ€tte und Unebenheiten, an einer Stelle ist das Papier rauh. Ich reibe vorsichtig zwei Finger aneinander, und verbinde fortan einen neuen Geruch mit BĂŒchern, der so zuvor noch nicht mit ihnen in Verbindung stand. Der Duft von frischen Erdbeeren steigt mir in die Nase, ein GefĂŒhl von Sommer kommt auf, doch schaue ich durch das Fenster sehe ich das Wetter unschlĂŒssig, öffne ich das Fenster kommen mir die GerĂŒche (und der LĂ€rm) der Straße entgegen. Ich wohne inmitten der Stadt.

Der Sommer existiert plötzlich nur noch auf den Papier.

Ein Kinderbuch aus Lettland ist es, was dieses Hin und Her auslöst. Geschrieben hat es die Autorin Lote Vilma Vitina, auch die liebevollen Illustrationen stammen von ihr. Erschienen ist “Der kleine Dichter und der Duft”, in der deutschen Übersetzung von Lil Reif bei Mirabilis. Der Dichter folgt einer Wolke nach draußen, GerĂŒche inspirieren ihn. Die mich in den Sommer versetzende Erdbeere duftet tatsĂ€chlich. Im Vorsatzpapier ist sie zu finden.

Im Frankfurter Ostpark geht es nicht ganz so idyllisch zu. Enten und NilgĂ€nse sind sich nicht grĂŒn, da kann noch so viel EntengrĂŒtze fĂŒr alle vorhanden sein. Missgunst bestimmt den Tag. Schnell geraten die schöne Gans NilgĂŒl und der schlaue Enterich Hausen zwischen die Fronten ihrer Vogelscharen. Es wĂ€re doch einfacher fĂŒr alle, an einem Strang zu ziehen. Nur, wie zusammenfinden, wenn vermeintliche Unterschiede als kaum zu ĂŒberwindende Barrieren erscheinen? Doch Freundschaft und Zusammenhalt können viel bewirken.

Liebevoll illustriert von Viktoria Wagner erleben “NilgĂŒl und Hausen” in der Geschichte aus der Feder von Riccarda Gleichauf dieses große Abenteuer. Und alle kleinen Leser und Leserinnen (oder allen, denen diese wunderschöne Geschichte vorgelesen wird) können sich nicht nur an den Ententeich trĂ€umen, die beiden Hauptfiguren laden auch zum Singen ein. Drei Lieder, abrufbar bei Youtube oder per QR-Code runden Text und Bild ab. Dieses Kinderbuch ist interaktiv, im besten Sinne.

Geschichten fĂŒr die Kleinsten, interaktiv oder haptisch erlebbar, so lieb, dass ich keine Sterne-Bewertung, sondern einfach nur beide BĂŒcher allen ans Herz legen möchte, die gerne ihre oder andere Kinderbuchregale sinnvoll auffĂŒllen möchten. Wer kann schon etwas gegen dönerfutternde Enten sagen oder Erdbeeren?

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Linda Segtnan: Das achte Haus

Inhalt:

An einem Maiabend im Jahr 1948 verschwindet die neunjĂ€hrige Birgitta Sivander zwischen den BĂ€umen eines schwedischen waldes und kehrt nicht mehr zurĂŒck. Kurz vor Sonnenaufgang wird sie tot in einem graben gefunden. Siebzig Jahre spĂ€ter liest Linda Segtnan zufĂ€llig einen Zeitungsartikel ĂŒber den ungeklĂ€rten Mord. Etwas veranlasst sie, Birgittas Schicksal nĂ€her zu erforschen. Sie beginnt, in Archiven zu recherchieren, doch auch vor dem UnergrĂŒndlichen dieses Falls schreckt sie nicht zurĂŒck. Ihre Besessenheit wird immer grĂ¶ĂŸer – wĂ€hrend gleichzeitig in ihrem Bauch Leben heranwĂ€chst. Ein MĂ€dchen. Wie hĂ€lt man es aus, ein Kind in eine Welt zu setzen, die so bodenlos grausam sein kann? Wie ertrĂ€gt man die Gefahren, die eine Tochter bedrohen? (Klappentext) 

Rezension:

Es ist das wohl schrecklichste aller Szenarien, wenn dem eigenen Kind etwas angetan wird, wenn dieses plötzlich verschwindet und spĂ€ter tot aufgefunden wird. Welten brechen damit zusammen und nicht nur fĂŒr die Eltern ist danach nichts mehr, wie zuvor. Am Ende bleiben Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ermittlungsakten und Zeitungsartikel. Auf letzteren stĂ¶ĂŸt zufĂ€llig Linda Segtnan bei der Vorbereitung einer ihrer StadtfĂŒhrungen, nicht ahnend, dass bald die Recherche nach den HintergrĂŒnden sie in AbgrĂŒnde stĂ¶ĂŸt, denen sie sich nur schwer entziehen wird können.

Der Kriminalfall an sich gilt aus damaliger Sicht als schnell gelöst. Die schuldige Person ist schnell ausgemacht. LĂŒcken und Differenzen, die aus heutiger Sicht kaum zu ĂŒbersehen sind, werden als nichtig abgetan, doch stĂ¶ĂŸt man sich unweigerlich daran, wenn man sich heute damit beschĂ€ftigt. Wurden bestimmte Aspekte zu Gunsten einer einfachen Lösung damals außer Acht gelassen, da entweder untersuchungstechnische Mittel nicht zur VerfĂŒgung oder gesellschaftliche zwĂ€nge im Wege standen? 

Mit diesem Spagat hat sich die Autorin beschĂ€ftigt und damit eine Besonderheit im Bereich des True Crime geschaffen, eben nicht nur nĂŒchtern einen Fall nacherzĂ€hlt. Segtnan wollte erfahren, warum handelnde Personen wie ermittelnde Beamte  bestimmte Entscheidungen trafen und was dies mit den Familien des Opfers, des VerdĂ€chtigen und mit ihrer Umgebung machte, zugleich schildert sie, was die Erkenntnisse mit ihr selbst machten, was dieser Fall auch Jahrzehnte spĂ€ter noch auszulösen vermag.

Im Wechsel zwischen den Zeiten, einmal die Nachstellung damaliger Szenen, wie sie sich abgespielt haben mĂŒssen, dann wieder wie die Recherche nach Fakten und weiterfĂŒhrenden Informationen in das eigene Leben hineingreifen, schildert sie diesen Kriminalfall, versucht nach und nach ein Puzzle zusammen zu setzen. Je klarer sich Konturen, Ecken und Kanten ergeben, um so unertrĂ€glicher wird es, zumal Familie und Privatleben, was sich daraus ergibt. ZunĂ€chst besteht die Recherche da nur aus dem Zusammensuchen von Zeitungsartikeln, spĂ€ter Archivmaterial bis hin zur Kontaktaufnahme mit Zeitzeugen und Ortsbegehungen. Nicht nur diese Schilderungen sind es, die eine Dynamik beim Lesen erzeugen, der man sich ebenso wie die Autorin kaum entziehen mag.

Linda Segtnan legt sich dabei nicht fest, stellt mehrere Perspektiven dar, um ein vielschichtiges Bild aufzuzeigen. Wie war das gesellschaftliche GefĂŒge der örtlichen Gemeinschaft, in deren NĂ€he dieses Verbrechen geschah, wie der stand der einzelnen Familien und Personen, sowohl des Opfers als auch des VerdĂ€chtigen und wie der Umgang mit beiden, der so in alle Richtungen heute nicht mehr vorkommen wĂŒrde? Welche Auswirkungen hatte dies auf die Ermittlungen und wie wirkt das in der Nachbetrachtung heute?

GegensĂ€tze werden dabei sehr detailliert herausgearbeitet. Es ist aber eben auch spannend zu erfahren, wie die Autorin mit dem Wissen umgegangen ist, und dieses verarbeitet hat, wenn auch die spiritistischen Einsprengsel manchmal ein Zu viel des Guten gewesen sind, sollte man sich doch eigentlich ĂŒber die Vorgehensweise der ermittelnden Beamten aufregen, die den Fall von Beginn an in eine bestimmte Richtung gelenkt haben, ohne andere Facetten ĂŒberhaupt in Betracht zu ziehen, anstatt ĂŒber die Autorin selbst. 

Manchmal fragt man sich beim Lesen schon, wie ernst man die Autorin noch nehmen kann, wenn wiederholt die App erwĂ€hnt wird, die auf ihrem Smartphone aufgespielt, angeblich die Anwesenheit von Geisterwesen anzeigt. Diese ErwĂ€hnungen einmal bitte ausklammern und nach dem Lesen schnell vergessen, um den Fokus auf andere Aspekte, nĂ€mlich die BeschĂ€ftigung und Vereinnahmung des Falls, legen, dann ist “Das achte Haus” allemal eine spannende LektĂŒre wert.

Trotzdem mögen alle fĂŒr sich bestimmte AnknĂŒpfungspunkte finden. Fans von True Crime kommen hier auf ihre Kosten, ebenso wie an Psychologie interessierte Menschen, aber auch jene, die sich gerne mit Historie und gesellschaftliche ZusammenhĂ€nge vergangener Zeiten beschĂ€ftigen möchten. 

Es fehlt, glĂŒcklicherweise, der zu sehr melancholisch alles ĂŒbertĂŒnchende Mehltau, der zumindest in der romanhaften skandinavischen Kriminalliteratur immer noch hĂ€ufig anzutreffen ist. Im True Crime Bereich gleicht “Das achte Haus” in etwa Michelle McNamaras “Ich ging in die Dunkelheit”, welches die Autorin sowohl als Vorbild nennt, jedoch auch in den Folgen fĂŒr McNamara als abschreckendes Beispiel. Dieser Gefahr des sich in etwas Hineinsteigern hat Segtnan förmlich versucht zu vermeiden. Ob dies ihr gelungen ist, bitte einmal selbst herausfinden.

Auf der einen Seite die Schilderung des Falls, auf der anderen die des Verarbeitungsprozesses als Kontrapunkt zeichnen sich verantwortlich fĂŒr die Dynamik und das ErzĂ€hltempo, den man sich kaum entziehen kann. Als gelernte StadtfĂŒhrerin kann die Autorin zudem detailreich Orte bildlich vor dem inneren Auge entstehen lassen, was dann beinahe eine gewisse literarische QualitĂ€t besitzt, ohne jedoch diesen Anspruch haben zu wollen. Zuweilen wirkt das so, als wĂŒrde man den Besprechungen, Begehungen beiwohnen. So schafft die Autorin NĂ€he zu sich selbst und auch zum recherchierten Geschehen.

FĂŒr Fans von True Crime, die auch einmal einer anderen Herangehensweise als im englischsprachigen Raum offen gegenĂŒberstehen, ist “Das achte Haus” als LektĂŒre zu empfehlen, ebenso fĂŒr jene, die die sich auch mit hierzulande unbekannteren FĂ€llen beschĂ€ftigen möchten. Der besondere Aspekt des beschriebenen Vereinahmung- und Verarbeitungsprozesses bringt noch einmal eine andere Komponente mit hinein, auf die man sich einlassen können muss.

Alleine der Zugang zu den spiritistischen Einsprengseln geht mir persönlich ab und hĂ€tte es wirklich nicht gebraucht. Viel spannender waren da die Schilderungen historischer und gesellschaftlicher ZusammenhĂ€nge, fĂŒr die sich dann doch alleine schon die LektĂŒre lohnt. Unter diesen Gesichtspunkten kann ich “Das achte Haus” empfehlen. 

Autorin:

Linda Segtnan wurde 1986 geboren und ist eine schwedische Historikerin und Autorin. Sie hat Audio-Horrorgeschichten mit historischem Bezug zu Orten in Schweden recherchiert, geschrieben und aufgenommen. Das achte Haus ist ihr erstes Buch, es erschien im schwedischen Original im September 2022. Segtnan lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Stockholm.

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Empfehlungen fĂŒr Superlesende

Mit welcher Reihe wurdest Du an das Lesen herangefĂŒhrt, mit welchen BĂŒchern hast Du in Themenwelten eintauchen und dich gĂ€nzlich verlieren können. Wie hast Du deine Fragen beantworten, deinen Wissensdurst stillen können? Viele von uns denken da sicher an Reihen wie die der “Was ist was”-BĂŒcher des Tessloff-Verlags, aber auch andere HĂ€user haben sehr interessante Reihen, zuweilen gar schon fĂŒr jene, die gerade erste SĂ€tze lesen lernen, sich aber natĂŒrlich auch bereits fĂŒr verschiedenste Sachen interessieren. An anderer Stelle habe ich bereits einen Versuch gezeigt, Kinder fĂŒr Kunst zu begeistern. Der Verlag Dorling Kindersley hat jedoch auch Werke zu zahlreichen anderen Themen. Auch die können spannend und kindgerecht aufbereitet werden. Dies zeigt die nun ĂŒberarbeitete Reihe “Superleser!”, die verschiedenen Inhalte den Kleinsten zugĂ€nglich macht, ob dies Natur und Tierwelt betrifft, Sport oder Personen, deren Namen man im GesprĂ€ch oder im Fernsehen aufschnappen könnte.

In vier verschiedenen Abstufungen werden Themen wie etwa die “Tiere des Regenwalds” oder die “Expedition zum Mars” aufbereitet, je nachdem ob Kinder gerade beginnen, lesen zu lernen und noch an einfachen SĂ€tzen ĂŒben mĂŒssen; hier ist die Schrift extra groß, SĂ€tze sind sehr einfach gehalten und Silben markiert; oder schon kleinere Sachtexte gelesen werden können. Das Spektrum bewegt sich dabei vom Können im Grundschulbereich der ersten bis zur dritten Klasse. Dies dient der Leseförderung und funktioniert in Begleitung von Illustrationen, Fotos, einem Lese-Quiz sowie einer hintenan gestellten kindgerechten BegriffsklĂ€rung.

Dem Blog wurde die Ausarbeitung “Das Leben von Anne Frank” zur VerfĂŒgung gestellt, welches die Lesestufe 3 bedient. Sehr kompakt stellt der Autor Stephen Krensky das Leben des MĂ€dchens, ihr Schicksal und dies ihrer Familie dar, immer mit den Fokus, welche Fragen haben Kinder, wenn sie vielleicht den einen oder anderen Satz irgendwo zufĂ€llig aufschnappen. Wie kann man das schier UnerklĂ€rliche irgendwie fassbar machen? Dieses Buch ist fĂŒr das gemeinsame Lesen und Sprechen geeignet. Andere Werke aus der Reihe, wie z. B. ĂŒber Dinosaurier können durchaus alleine geschmökert werden. Es kommt, wie bei allem, auf die Thematik und das Kind selbst an. Es ist ein gelungener Ansatz, Kindern bestimmte Inhalte zugĂ€nglich zu machen und sicher fĂŒr den Verlag auch, sich auch die jĂŒngsten Lesenden zu erschließen, aber auch ein schmaler Grat ob der Auswahl an Themen. Wichtig zunĂ€chst, es gibt sie. Die bereits große Auswahl scheint jedenfalls ein Indiz dafĂŒr zu sein, dass der Verlag durchaus mit der Reihe einen gewissen Erfolg hat.

Überblick ĂŒber die Lesestufen:

Extraleicht
– Markierte Silben, sehr einfache Wörter, sehr kurze SĂ€tze
– Extragroße Fibelschrift
– Lese-Quiz
– Ab 1. Klasse

Lesestufe 1
– Markierte Silben, sehr einfache Wörter, kurze SĂ€tze
– Extragroße Fibelschrift
– Lese-Quiz
– Ab 1. Klasse

Lesestufe 2
– Klare Gliederung, einfache Wörter, kurze Kapitel
– Große Fibelschrift
– Lese-Quiz
– Ab 1./2. Klasse

Leseprofis
– Spannende Geschichten und Sachtexte, lĂ€ngere Kapitel
– Fibelschrift
– Lese-Quiz
– Ab 2./3. Klasse

Es bleibt zu hoffen, dass noch mehr BĂŒcher dieser Art hinzukommen. Wissen, aufbereitet fĂŒr die Kleinsten, ist ja schließlich nie verkehrt.

Das Buch wurde zur Vorstellung der Reihe dem Blog vom Verlag zur VerfĂŒgung gestellt.

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Kurzblick: Große Kunstgeschichten fĂŒr kleine KĂŒnstler*Innen

Kurzblick: In dieser Kategorie kommt all das zum Tragen, was sonst nirgendwo hineinpasst. Etwas nicht zu schreiben, wÀre ja schade.

Der Begriff -Kunstmuseum- sorgt alleine schon fĂŒr entsprechende Bilder im Kopf. Behangene WĂ€nde, steril und staubtrocken die AtmosphĂ€re, hallende Schritte auf den Parkettböden und Aufsichtspersonen, die bei jedem GerĂ€usch, lauter als ein leichtes HĂŒsteln, zusammenzucken und einschreiten. Vielleicht sind es, nicht nur, diese Dinge, die dafĂŒr sorgen, dass das Interesse fĂŒr solche StĂ€tten und die Werke, die dort prĂ€sentiert werden, schon in der Gruppe der Erwachsenen sehr limitiert ist? Kinder scheinen da erst recht unerreichbar zu sein, obwohl diese durchaus gerne malen, zeichnen, basteln, eben kreativ sind.

Amy Guglielmo/Petra Braun: Große Kunstgeschichten – Vincent van Gogh: Er sah die Welt in lebhaften Farben, ISBN: 978-3-8310-4452-8 (Abbildung: Dorling Kindersley)

Inzwischen jedoch gibt es Museen, die den Versuch wagen, dagegen zu steuern. Kreative Workshops in allen Richtungen werden angeboten, es gibt FĂŒhrungen, die speziell auf die Kleinsten zugeschnitten werden, inzwischen auch BĂŒcher, die einladen, selbst kreativ zu werden und etwa zu zeichnen, wie die Großen. Eine neue und dahingehend sehr anregende Reihe ist die der -Großen Kunstgeschichten- aus dem Sachbuchverlag Dorling Kindersley, die jetzt mit zwei Werken startet und zukĂŒnftig hoffentlich die eine oder andere Fortsetzung erfĂ€hrt.

Beide Werke, erschienen bei Dorling Kindersley, ISBN: 978-3-8310-4452-8, sowie ISBN: 978-3-8310-4453-5, hier und hier. (Abbildungen: Dorling Kindersley)

In Zusammenarbeit mit dem New Yorker Metropolitan Museum of Art (MET) folgen die Autorinnen Gabrielle Balkan und die Illustratorin Josy Bloggs der amerikanischen KĂŒnstlerin Georgie O’Keeffe, wĂ€hrend sich Amy Guglielmo und Petra Braun auf die Spuren Vincent van Goghs begeben. In verstĂ€ndlicher Sprache und wunderbar illustriert wird das Leben der beiden Kunstschaffenden dargestellt, Merkmale der Zeichenstile und einzelne Werke herausgestellt.

Damit nicht genug, auch werden immer wieder Anregungen gegeben, an denen sich nicht nur die Kleinsten versuchen können. So heißt es etwa: “Schau dir eine Pflanze genau an. Was siehst du? Versuche, die Einzelheiten zu malen.”, oder aber: “Betrachte deine Hand ganz genau und versuche, sie in verschiedenen Positionen zu zeichnen.” Im Anschluss daran findet sich ein kleiner Zeitstrahl in Form einer Aneinanderreihung von Bildern, eine kleine Begriffssammlung, die nochmals Augenmerk auf wichtige beschriebene Informationen lenkt. NatĂŒrlich kindgerecht erklĂ€rt.

Gabrielle Balkan/Josy Bloggs: Große Kunstgeschichten – Georgia O’Keeffe: Sie sah die Welt in einer Blume, ISBN: 978-3-8310-4453-5 (Abbildung: Dorling Kindersley)

Zwei Werke, die fĂŒr kreative Kinder sicher interessant sind, zudem einige Anregungen geben, um selbst kreativ zu werden und vielleicht einige davon auch fĂŒr Museumsbesuche begeistern können. Das wĂ€re doch schön. Eventuell gibt es die eine oder andere Idee, was man sonst noch malen könnte, gleich dazu.

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Sam Lloyd: Sturmopfer

Inhalt:

Kalt wie das Wasser. Dunkel wie der Meeresgrund.

Ein Haus auf den Klippen an der SĂŒdwestkĂŒste Englands. Auf Mortis Point, hoch ĂŒber den sturmumtosten Atlantik, wurden frĂŒher Schmuggler und Diebe gehĂ€ngt. Heute fĂŒhren Lucy und Daniel hier ein beschauliches Leben mit ihren beiden Kindern – bis eines Tages Daniels Segelboot auf dem Meer treibend gefunden wird. Von ihm selbst fehlt jede Spur. Als Lucy erfĂ€hrt, dass auch ihre Kinder verschwunden sind, gerĂ€t ihr Leben entgĂŒltig aus den Fugen. Offenbar befanden sich Billie und Fin ebenfalls auf dem Boot. WĂ€hrend sich ĂŒber dem Meer ein Jahrhundertsturm zusammenbraut, versucht Lucy fieberhaft herauszufinden, was an Bord der Lazy Susan geschah. Je nĂ€her sie der Wahrheit kommt, desto klarer wird ihr, dass der eigentliche Albtraum gerade erst begonnen hat… (Klappentext)

Rezension:

Zwischen Krimi und Thriller schwankt Sam Llyods Werk “Sturmopfer” und entfĂŒhrt uns an die vom Meer beherrschte KĂŒste Englands, in der nur jene ĂŒberstehen, die sich ein Standbein aufbauen, welches auch außerhalb der touristischen Saison funktioniert. Lucy und Daniel haben dies geschafft.

Letzterer ist Unternehmer und Lucy selbst betreibt eine Bar, die am Hafen sowohl die Fischer bedient, als auch Touristen und Einheimische, zudem kleinen Bands und Musikern einen Auftrittsort bietet. Beide scheinen in der Gemeinschafft von Skentel gut integriert zu sein, haben zwei wohlgeratene Kinder, doch es kommt, wie es kommen muss. Zur Katastrophe. Das Boot samt Mann und Kinder verschwinden. Nur Daniel wird aus dem Wasser gefischt und steht bald im Zentrum der Ermittlungen von DI Abraham Rose, der bald hinter die Fassade des perfekten Ehepaares blicken muss und so einiges ans Tageslicht kehren wird.

In ruhiger TonalitĂ€t baut der Autor hier einen Spannungsbogen, der vor allem im Wechsel der ErzĂ€hlperspektiven funktioniert und einen Sog entwickelt, den man sich kaum entziehen kann. Nicht nur die Sicht der ermittelnden Hauptfigur, die zudem mit ganz eigenen Problemen zu kĂ€mpfen hat, kommt zum tragen und so ergibt sich aus einem zunĂ€chst unĂŒbersichtlichen und verwirrenden Puzzle erst spĂ€t ein Gesamtbild, welches gegen Ende zudem noch gut funktionierende Wendungen aufweisen kann. Die sind stimmig, manchmal sehr vorhersehbar, was jedoch ausgeglichen wird, durch die AtmosphĂ€re, die Sam Lloyd hier aufzubauen weiß. Man kann sich all die Figuren mit ihren Ecken und Kanten bildlich vorstellen, wenn auch so manche Szene hart an der Grenze einer ARD-Vorabendkrimi-Serie vorbeischrammt.

FĂŒr einen durchschnittlichen Krimis fast schon zu ausfĂŒhrlich, sind die Kapitel dennoch handlich, auch mit Cliffhangern wird nicht gespart, ebenso wenig mit gegensĂ€tzlichen Charakteren, fĂŒr die die Sympathien im Laufe des Lesens wechseln werden. Positiv ist zu nennen, dass die Protagonisten verschiedene Seiten aufweisen, was diese Geschichte positiv von so vielen anderen abhebt. RĂŒckblenden und ZeitsprĂŒnge werden ebenso als Elemente effektvoll eingesetzt. Warum jedoch Ermittler scheinbar grundsĂ€tzlich einen Knacks haben mĂŒssen, wird sich mir nie erschließen.

Es wird nicht schwerfallen, in diese zu anderen Werken im Vergleich ruhig wirkende Geschichten, die durchaus manche LĂ€nge aufweist, hineinzufinden. Wer jedoch Probleme hat, mit, angedeutetem Druck oder beschriebener Gewalt gegenĂŒber Kindern sollte sich ĂŒberlegen, diesen Thriller zur Hand zu nehmen, gleichwohl die Stellen an den Fingern einer Hand abzuzĂ€hlen sind. Merken tut man jedoch, dass der Autor sich insbesondere mit den technischen “Konstrukten” vorher beschĂ€ftigt hat. Wie funktioniert ein kleines Motorboot eigentlich? Welchen Spielraum habe ich dort fĂŒr eine Handlung, fĂŒr Stauraum? Wie laufen Rettungsmissionen bei im Meer vermissten oder im offenen Wasser entdeckten Personen ab? Das ist alles sehr durchdacht.

Dieser Thriller ist ein Stand Alone, wenn auch die Hauptfigur sich anbietet fĂŒr weitere Geschichten und eine Empfehlung, die Arbeiten des Autoren Sam Lloyd weiter zu verfolgen. Fans des englischen Krimis, die nicht immer auf pure Gewalt setzen, wobei die durchaus dort vorkommt, wenn sie fĂŒr die Geschichte sinnvoll ist, sind hier gut bedient, wenn auch fĂŒr Vielleser sich einiges Vorhersehbares ergibt. FĂŒr andere kann ich mir diesen Thriller auch gut als Einstieg in das Genre vorstellen. DafĂŒr eine Empfehlung.

Autor:

Sam Lloyd ist ein britischer Schriftsteller, dessen DebĂŒt “Der MĂ€dchenwald” 2020 erschien. Dies ist sein zweites Werk.

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Richard Powers: Erstaunen

Inhalt:
Wie kann eine Familie in einer unberechenbaren Welt ĂŒberleben?

Vater und Sohn allein: Der hochbegabte Robbie mit Asperger-ZĂŒgen kann den Tod der Mutter nicht verwinden. In der Schule unverstanden, will er die Mission seiner Mutter vollenden: Er malt Plakate und demonstriert auf den Stufen des Kapitols, um die Natur zu retten.

Der verzweifelte junge Vater will ihm mit ungestĂŒmer Liebe alles geben. Als Astrobiologe sind ihm die Sterne nah, und auf Wanderungen entdecken sie, dass die Wunder vor ihren FĂŒĂŸen liegen und sie einander brauchen. Doch was geschieht, wenn die Welt schneller endet, als unsere Zukunft beginnt? (Klappentext)

Rezension:

Gleich zu Beginn ist die Verzweiflung zu spĂŒren, die dem Protagonisten zu schaffen macht, beschĂ€ftigt sich der Wissenschaftler Theo mit nichts weniger als der Frage nach der Entstehung des Lebens in den unendlichen Weiten des Alls. Mit seinem Team entwickelt er Modelle um sich dem Unbegreiflichen zu nĂ€hern und scheitert doch schon im Kleinen, in seinen eigenen vier WĂ€nden.

Dort, zu Hause, bringt ihn sein neunjĂ€hriger Sohn an Grenzen. Robbie ist anders als Kinder seines Alters, begreift schneller, hoch intelligent, unverstanden von einem System, in das er sich nicht einordnen lĂ€sst, traumatisiert vom frĂŒhen Tod seiner Mutter.

Das Leben der beiden nun auf sich Gestellten ist in eine Sackgasse geraten. Nur Wanderungen in der Natur und gedankliche Reisen auf die Planetenmodelle Theos helfen, dem Alltag zu bewÀltigen, wÀhrend sie dem Abgrund auf Erden immer nÀher kommen.

Richard Powers stellt die großen Fragen. Wie auch sein Kollege Jonathan Safran Foer legt er die Finger in die offenen Wunden Amerikas und zeigt die Spaltung Amerikas anhand der Themen auf, denen wir uns alle stellen mĂŒssen.

Welche Welt wollen wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen? Gibt es eine Zukunft oder mĂŒssen wir uns dem Unvermeidlichen fĂŒgen? Sollten wir nicht einmal den vermeintlich SchwĂ€chsten unsere Aufmerksamkeit schenken, denen zuhören, die sich nicht in einem System einfĂŒgen können oder es wollen?

“Dad. Ich enwickle mich zurĂŒck. Das spĂŒre ich.”

Richard Powers: Erstaunen

Verpackt wird dies in einem dicht geschriebenen Roman, der nur oberflĂ€chlich eine durch Gedankenspiele aufgelockerte ErzĂ€hlung ist, eine Coming-of-Age-Geschichte, zugleich eine, in der der Vater bereit ist, alles fĂŒr seinen unverstandenen Sohn zu geben, ohne ihn selbst wirklich begreifen zu können.

Es ist auch zugleich ein Zustandsbericht Amerikas, dessen GrĂ€ben schier unĂŒberwindbar scheinen, zwischen Ideologie und Vernunft, Kurzsichtigkeit und langfristigen Denken.

Der Autor lehnt seine Protagonisten an reale Personen an, ohne sie konkret zu benennen, doch weiß jeder mit dem Lesen der ersten Zeilen, wer wann gemeint ist, wer die Vorbilder fĂŒr den tönenden Politiker darstellt oder der Jugendlichen, die zum Gesicht des Kampfes um die Zukunft fĂŒr ihre Generation wird.

Kapitelweise reiht Powers die großen Fragen unserer Zeit aneinander, lĂ€sst die klare Sicht des Kindes mit der der Erwachsenen aneinander prallen, bringt jeden Hoffnungsschimmer zum VerglĂŒhen, gleichsam den sterbenden Sternen im Weltall.

“Dad, ich vermassle dir dein ganzes Leben.”

Richard Powers: Erstaunen

Kunstvoll verwebt er Gesellschaftskritik mit Darstellungen der Wissenschaft und politischem Zeitgeschehen, positioniert sich dabei so klar, dass sofort ersichtlich ist, wer die Leserschaft in seinem Heimatland sein wird, wen er, wenn ĂŒberhaupt nur oberflĂ€chlich erreichen wird.

Hierzulande ist „Erstaunen“ eine vielschichtige Geschichte voller Hoffnung, viel mehr Verzweiflung, Tragik und der Bitte, wenigstens es zu versuchen, zu verstehen, was schier unbegreiflich scheint.

GlaubwĂŒrdig erscheinen dabei die handelnden Protagonisten, der Wissenschaftler, der um den Erhalt seines Projektes kĂ€mpfen muss, gleichzeitig den Spagat zwischen beruflichem Erfolg und privaten Leben versucht, der Sohn, der begreift, dass er anders ist als der Schnitt seiner Altersgenossen und zugleich erste vorpubertĂ€re Konflikte austrĂ€gt und eine Gesellschaft, die an die Grenzen dessen gerĂ€t, was den Kitt zusammenhĂ€lt, wobei auch der Autor nicht umhin kann, eine zu sehr amerikanische Sichtweise durchscheinen zu lassen.

Sprachlich ist das nicht immer der große Wurf, doch Powers schafft es, seine Leserschaft versinken zu lassen, gleichwohl dazu anzuraten ist, dies sich nicht unbedingt zu GemĂŒte zu fĂŒhren, wenn man sich selbst in einem tieferen Loch befindet.

Autor:

Richard Powers wurde 1957 geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. ZunĂ€chst studierte er Physik, wechselte dann zu Literaturwissenschaften, um anschließend als Programmierer zu arbeiten. Im Jahr 1985 veröffentlichte er seinen ersten Roman, nahm spĂ€ter eine LehrtĂ€tigkeit an der University of Illinois at Urbana-Champaign an und schrieb an weiteren Werken, fĂŒr die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

2019 wurde „Die Wurzeln des Lebens“ zum Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Zehn Jahre zuvor hatte er eine Gastprofessur an der Freien UniversitĂ€t zu Berlin inne. Kennzeichen seiner Werke sind die Verarbeitung naturwissenschaftlicher und philosophischer Themen. Powers lebt in den USA.

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Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

BĂŒcher der Reihe:

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 1 – Leichenblume

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 3 – Grabesstern

[Einklappen]

Inhalt:

Kopenhagen: Investigativ-Journalistin Heloise Kaldan hat gerade eine Recherche zu traumatisierten Soldaten begonnen, als sie eine persönliche Entscheidung treffen muss ĂŒber Leben uns Zukunft. Noch bevor sie irgendetwas tun kann, erfĂ€hrt sie vom Verschwinden eines zehnjĂ€hrigen Jungen.

Vor Ort trifft Heloise ihren guten Freund Kommissar Erik SchÀfer, der in dem Fall ermittelt. Die Spuren zu dem Jungen sind verwirrend, nichts passt zusammen. Heloise versucht, Erik SchÀfer zu helfen, das entscheidende Muster zu erkennen. Und begegnet ihren innersten DÀmonen.
(Klappentext)

Rezension:

Das Verschwinden des eigenen Kindes, es ist die Urangst aller eltern und doch geschieht es am hellichten Tage vor einer Kopenhagener Schule. Vom zehnjĂ€hrigen Lukas fehlt plötzlich jede Spur. Die Hinweise, die es gibt, fĂŒhren ins Leere oder passen nicht zusammen.

So hatte sich Kommissar Erik SchĂ€fer die RĂŒckkehr aus seinem Urlaub nicht vorgestellt und auch Heloise Kaldan, Invesitigativ-Journalistin Heloise Kaldan, die mit ihrer derzeitigen Artikelrecherche zu traumatisierten Soldaten kaum vorankommt, zudem mit privaten Problemen zu kĂ€mpfen hat, wird auf die Vorkommnisse aufmerksam, weiß zunĂ€chst jedoch ebenfalls nicht weiter. Beide sind beunruhigt, erkennen zunĂ€chst keine ZusammenhĂ€nge. Was haben sie ĂŒbersehen? Nur eines wissen sie zu gut.

Bei verschwundenen Kindern zÀhlt jede einzelne Minute.

Der zweite Band um die Journalistin Heloise Kaldan und Kommissar Erik schĂ€fer fĂŒhrt uns erneut in die dĂ€nische Hauptstadt und wartet mit einem spannenden Auftakt an, dessen Moment sich bis zum Ende halten wird. TatsĂ€chlich ist hier gar nichts mehr vom melancholischen Mehltau frĂŒherer skandinavischer Krimis zu spĂŒren.

Die Autorin legt einen kompakten Schreibstil an den Tag, mit relativ hoher Schlagzahl und ebenso vielseitigen Perspektivwechseln. Konzentriert ist alles auf zwei ErzĂ€hlstrĂ€nge, die zunĂ€chst verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig parallel verlaufen, sich hin und wieder kreuzen und spĂ€ter langsam zusammengefĂŒhrt werden.

So wird die Sichtweise der beiden Hauptprotagonisten herausgestellt, die den Fall aus den verschiedenen Blickwinkel ihrer beruflichen Vorgehensweisen betrachten und somit Schritt fĂŒr Schritt die verschiedenen Puzzelteile aufdecken, schließlich zusammensetzen.

Das funktioniert auch, wenn man den Auftakt, der bisher auf drei Teile angelegten Reihe, nicht gelesen hat. Die privaten ZusammenhĂ€nge und Zwischenmenschlichkeiten werden ohne sich aufzudrĂ€ngen erklĂ€rt bzw. erschließen sich beim Lesen. Der Fall selbst kann, wie ĂŒblich, unabhĂ€ngig gelesen werden. Bezeichnend ist hier, dass es die Autorin schafft, eine Vielzahl von Themen in Zusammenhang zu bringen und dabei keines bis zum Ende aus den Augen zu verlieren.

Der Umgang mit traumatisierten Soldaten durch Staat und Gesellschaft wird ebenso thematisiert, wie die Schludrigkeit der Behörden im Umgang mit Eltern und deren Kindern. Zuweilen ist dies harter Tobak, Hancock webt jedoch daraus eine geschichte mit unvorhersehbaren Wendungen und einem Figurennetz, welches einem mehr als einmal auf die falsche FÀhrte bringt.

Das Privatleben der beiden Hauptprotagonisten ist hier Beiwerk und wird genutzt, um manches Handeln der Personen zu erklĂ€ren, nicht jedoch, um das Gesamtwerk ins Kitschige zu ziehen, was diesen Krimi, fĂŒr einen Thriller ist die psychische Spannungslage dann doch ein wenig dĂŒnn, wohltuend von anderen abhebt.

Autorin:

Anne Mette Hancock wurde 1979 geboren und ist eine dĂ€nische Schriftstellerin. Sie studierte Geschichte und Journalismus in Roskulde, bevor sie als freie Journalistin fĂŒr Tageszeitungen und verschiedene dĂ€nische Magazine im Lifestyle-Bereich arbeitete. Nach Aufenthalten in Frankreich und den USA lebt sie mit ihrer Familie in Kopenhagen. Ihre Thriller wurden bereits mehrfach ĂŒbersetzt und ausgezeichnet.

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Anja Goerz: Wenn ich dich hole

Wenn ich dich hole Book Cover
Wenn ich dich hole Anja Goerz Erschienen am: 23.10.2020 dtv Seiten: 256 ISBN: 978-3423-21833-7

Inhalt: Ein abgelegenes Haus in Nordfriesland.

Ein Schneesturm, der jedes Vorankommen unmöglich macht.

Ein kleiner Junge in grĂ¶ĂŸter Gefahr.

Eine ganze Familie wird von den Schatten der Vergangenheit eingeholt.

(Klappentext)

Rezension:

Familiengeschichten funktionieren in Kriminalromanen sehr gut, zumal, wenn die schreibende Person, die Handlungsorte gut kennt und so eröffnet sich gleich mit den ersten Seiten von “Wenn ich dich hole”, ein atmospĂ€rischer Krimi, der uns Lesende in die Gefilde Nordfrieslands einfĂŒhrt. Handlungsort ist die winterlische Idylle eines kleinen Ortes, in dem sich bei beginnender Dunkelheit Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Die DĂŒsterheit der Handlung ist schon mit den ersten Zeilen zu spĂŒren. ErzĂ€hlt wird aus wechselnder Perspektive und mit Hilfe von ZeitsprĂŒngen ein klassisches Familiendrama. Ein Geheimnis, ein sich darauf aufbauender, langsam hochschaukelnder Konflikt, vorangetrieben durch, leider, klischeehafte Figuren.

Die dörfliche Zusammensetzung ist gut dargestellt. Auch die Dynamik innerhalb einer kleinen, oberflĂ€chlich zusammenhaltenden Gemeinschaft ist fassbar, die mit zunehmender Anzahl der kurzweiligen Kapitel ihre Risse offenbahrt. Die BeschrĂ€nkung auf wenige Hauptprotagonisten ist hier sehr gelungen, fĂŒr die KĂŒrze der Geschichte jedoch auch notwendig. Dazu ein wenig norddeutsches Platt. Fertig ist der wohlig-schaurige Provinzkrimi.

Die Kapitel vermögen das Lesepublikum bei Stange zu halten, jedoch vermag der kaum unertrĂ€glich werdende Nervenkitzel, der sonst in diesem Genre zu finden ist, kaum aufkommen. Die Autorin hat hier eine sehr ruhige Art, eine Geschichte zu erzĂ€hlen, an den Tag gelegt, leider mit den zeitlichen RĂŒckblicken der Gedankenwelt einer der Protagonisten sehr schnell die Auflösung verraten. Anja Goertz hat sich hier leider selbst gespoilert, was selbst unerfahrenen Krimi-LeserInnen ins Auge stechen dĂŒrfte.

Der Verlag ordnet die Geschichte, deren Ende durchaus eine Fortsetzung zulĂ€sst, als Thriller ein. Kriminalroman wĂ€re wahrscheinlich das passendere Genre. Dennoch, wer gerne norddeutsch angehauchte Krimis liest, sich von manchem Klischee nicht stören lĂ€sst, fĂŒr den der Weg zum Ziel, nicht die Auflösung selbst wichtig ist, der findet hier Lesestoff, wenn er auch den Spannungsbogen, nun ja, nicht ĂŒberspannt.

Autorin:

Anja Goertz wurde 1968 in NiebĂŒll geboren und ist eine deutsche Hörfunkmoderatorin und Autoin. Nach ihrer Arbeit als Fotografin begann sie 1989 ein Praktikum bei Radio Schleswig-Holstein, arbeitete als Reporterin und Moderatorin fĂŒr verschiedene Rundfunkformate. 1994 wechselte sie zu N-Joy, vier Jahre spĂ€ter zu Sat1.

SpĂ€ter erarbeitete sie Content fĂŒr verschiedene Radiosender. Parallel ist Goertz als Sachbuch- und Romanautorin tĂ€tig. 2011 erschien ihr DebĂŒtroman, 2014 ihr Sachbuch “Der Osten ist ein GefĂŒhl”. “Wenn ich dich hole”, ist ihr Krimi-DebĂŒt.

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Wiebke von Carolsfeld: Das Haus in der Claremont Street

Das Haus in der Claremont Street Book Cover
Das Haus in der Claremont Street Wiebke von Carolsfeld Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.09.2020 Seiten: 361 ISBN: 978-3-462-05475-0 Übersetzerin: Dorothee Merkel

Inhalt:

Wie ĂŒberlebt man das Undenkbare? Tom weigert sich zu sprechen, nachdem seine Eltern auf brutale Weise sterben.

Seine unfreiwillig kinderlose Tante Sonya nimmt ihn auf, kommt aber nicht an den traumatisierten Jungen heran. Bald ist Tom gezwungen, erneut umzuziehen, diesmal in die Claremont Street in der Innenstadt von Toronto, in der ihm seine liebenswert-chaotische Tante Rose und sein Weltenbummler-Onkel Will ein Zuhause geben.

Mit der Zeit wird Toms Schweigen zu einer mĂ€chtigen PrĂ€senz, die es dieser zerrĂŒtteten Familie ermöglichst, einander zum ersten Mal wirklich zu hören. Ein Roman darĂŒber, wie mit viel Humor und Liebe selbst aus den schlimmstmöglichen UmstĂ€nden etwas Positives erwachsen kann. (Inhaltsangabe Verlag)

Rezension:

“Wir sterben.” Mit letzter Kraft sind es diese Worte, die dem kleinen Hauptprotagonisten ĂŒber die Lippen kommen. Dann lange nichts. TatsĂ€chlich ist dieses DebĂŒt, welches mit einem lauten Knall beginnt, ein zutiefst mitfĂŒhlendes, auch verstörendes PortrĂ€t, eine ansonsten ruhige, dafĂŒr um so dĂŒstere ErzĂ€hlung, die nun aus der Feder Wiebke von Carolsfelds vorgelegt wird.

Hauptprotagonist und Mittelpunkt der Geschichte ist ein kleiner Junge, der unschuldiger nicht sein könnte und auf dessen kleinen Schultern nun die Last liegt, eines der schlimmsten Vorkommnisse innerhalb von Familien erlebt zu haben. Zuerst ist der Schmerz da. Sehr viel spÀter wird die Trauer folgen, doch Tom schweigt zunÀchst, lÀsst niemanden an sich heran. Warum denn auch? Ist doch eh alles vorbei.

Tom packte sich eine Tonscherbe, die von der Wand abgeprallt und direkt neben seinem Fuß gelandet war. Mama hatte diese Tasse geformt, hatte seinen Namen in den feuchten Ton geschrieben. Aber Tom konnte sich nicht mehr an die Konturen ihrer HĂ€nde erinnern. Angewidert schloss Tom seine Finger zur Faust und genoss den Schmerz, den der scharfe Splitter ihn bereitete. Je fester er drĂŒckte, je tiefer der Schnitt, desto besser.

Wiebke von Carolsfeld “Das Haus in der Claremont Street”

Herzzerreisend lesen sich die Zeilen, in klarer einnehmender Sprache geschrieben, um diese chaotische Familie, deren Zuhause in glĂŒcklichen Tagen ein liebevolles wĂ€re, doch nun versucht jeder Protagonisten das Unbegreifbare zu fassen. Nichts ist schwarz oder weiß in diesem Roman, mit jeder Zeile gleitet man tiefer in die Seelenleben der handelnden Personen, die wechselhaft sympathisch agieren, doch innerhalb des erzĂ€hlten Schicksallschlags völlig logisch, manchmal kopflos.

Wechselhaft ist die Perspektive, ĂŒber ein Jahr begleiten wir Tom und das, was von der Familie ĂŒbrig geblieben ist. Wie trauern wir? Wie gehen wir mit der Trauer anderer Menschen um? Wie können wir einander beistehen, nahe sein, wo wir doch vielleicht selbst Halt brauchen? Ist es möglich, einander zu verstehen? Zu begreifen? Heilt die Zeit alle Wunden?

Tom streckte seine Hand aus, um nĂ€her an die rot glĂŒhenden Kohlen zu kommen. Er wĂŒrde die Hand nicht zurĂŒckziehen, er wĂŒrde es schaffen, den Kurs zu halten und diese Sache hier zu Ende zu bringen, die er angefangen hatte.

Wiebke von Carolsfeld “Das Haus in der Claremont Street”

Fragen werden aufgeworfen, in diesem relativ kompakten Roman, die nicht einfach zu beantworten sind. Sofern dies ĂŒberhaupt möglich ist. daran entlang hangelt sich die Autorin und lĂ€sst ihre Protagonisten einen langen steinigen Weg gehen, der fĂŒr jeden von ihnen unterschiedliche Fallstricke bereithĂ€lt.

Mehr oder weniger geschickt, meistern diese das Bevorstehende, um das ZurĂŒckliegende zu begreifen. Der Lesende wird in die Handlung hineingezogen. Klare Sprache, in einem ruhigen und der Thematik angemessenen dĂŒsteren Handlungsrahmen.

Kleine Momente des GlĂŒcks blitzen auf. Mit Witz treten sie an der OberflĂ€che, um zunĂ€chst so schnell zu verschwinden, wie sie gekommen sind. Die Zeit bringt es mit sich, dass sie zahlreicher werden. Wird es ihnen am Ende gelingen, eine Art Abschluss zu schaffen?

Eine ErzĂ€hlung ĂŒber Trauer, Auseinandergehen und Zusammenhalt, Hilfe und Verarbeitung, darĂŒber, was Familie wirklich bedeuten kann. Schon alleine deshalb ist Wiebke von Carolsfelds Roman einer der ganz großen, die es verdient haben, bekannter zu werden.

Kinder sind am Anfang eines solchen Weges die SchwĂ€chsten, können jedoch, wenn alle UmstĂ€nde gĂŒnstig liegen, am stĂ€rksten aus einem solchen Schlag hervorgehen. Die Autorin zeigt das mit sehr viel EinfĂŒhlungsvermögen, so dass ich einen allzu kitschigen Absatz gegen Ende gern ĂŒberlesen habe. Unbedingt lesenswert.

Autorin:

Wiebke von Carolsfeld wurde 1966 in Deutschland geboren und lebt als Filmeditorin, Regisseurin und Drehbuchautorin in Montreal. Als Cutterin gewann sie zahlreiche Preise und gibt zahlreiche Kurse ĂŒber das Drehbuchschreiben, Filmemachen und den kreativen Prozess. 2002 wurde sie fĂŒr den besten Schnitt fĂŒr den Genie Award nominiert. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch machte sie zuvor eine Ausbildung zur Verlagskauffrau. Dies ist ihr erster Roman.

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Diana Johanssen/Percy Shakti Johannsen: Aussteigen, einsteigen, los!

Aussteigen, einsteigen, los! Book Cover
Aussteigen, einsteigen, los! Diana/Percy Shakti Johannsen Knaur Taschenbuch Erschienen am: 01.04.2020 Seiten: 224 ISBN: 978-3-426-79079-3

Inhalt:

Was brauchen wir wirklich?, fragt sich Familie Johannsen und wagt das, wovon viele Menschen bloß trĂ€umen, nĂ€mlich: kurzerhand alles hinschmeißen und dem lĂ€stigen Alltagstrott samt Hamsterrad an Verpflichtungen zu entfliehen.

Diana und Percy Johannsen und ihre drei Kinder geben alles auf: Jobs, Freunde, Familie und sogar ihren festen Wohnsitz, um in ihrem ausgebauten Mercedes-Bus um die Welt zu reisen. Ein alternatives Leben in absoluter Freiheit erwartet sie! (Klappentext)

Rezension:

Reiseberichte sind an sich immer interessant zu lesen. Was ist denn schöner als das Erkunden fremder LĂ€nder, sich in Gegenden und Sehnsuchtsorte hineinzutrĂ€umen und mit den Autoren die besonderen Momente einer Reise zu durchleben? Zumal, wenn die Art des Reisens besonders ist oder die Region, durch die die Autoren mit ihren Werken fĂŒhren.

Viele solcher Berichte gibt es, gleichsam von Familien, die aus verschiedenen GrĂŒnden den grauen Alltag hinter sich lassen, und dem Hamsterrad aus Trott und Stress enfliehen möchten. Das ist vollkommen legitim, genau so wie es richtig ist, zumindest zu versuchen, seine TrĂ€ume zu verwirklichen und sich auf den Weg ins große Unbekannte aufzumachen, davon dann schließlich zu erzĂ€hlen.

Und so haben Diana und Percy Shakti Johannsen ihre Erlebnisse nun uns Lesern zugĂ€nglich gemacht und beschreiben eine Reise, die noch lange kein Ende gefunden hat, deren Anfang aber gemacht werden musste. Gemeinsam mit Kindern und Hund brechen sie auf, mit den Minibus SĂŒdeuropa zu erkunden, Alltagstrott, Stress und durchaus erfolgreiche Jobs hinter sich zu lassen.

Zu Beginn sehr interessant zu lesen, schildern die Beiden abwechselnd, auch ungeschönt von ihren Reiseerlebnissen, Schwierigkeiten und besonderen Momenten, als Familie auf engen Raum diese Chance zu ergreifen und die durchfahrenen Gegegenden zu erkunden. Eine Reise durch Europa und zu sich selbst.

“Ich will dich auch nicht ĂŒberzeugen.”

Aus im Buch geschilderten Dialog. Geteilig, das GefĂŒhl beim Lesen.

Das wĂ€re alles sehr kurzweilig zu lesen, wenn nicht spĂ€testens nach den ersten Abschnitten sich die erhobenen Zeigefinger hĂ€ufen wĂŒrden. Überhaupt nicht subtil drĂ€ngen die Autoren ihre durchaus lobenswerte ökologische Lebensweise den Lesern auf, dermaßen penetrant, dass man in einem GesprĂ€ch wohl schnell die Geduld als Zuhörer verlieren wĂŒrde.

So viele Post-its habe ich lange nicht mehr verwenden mĂŒssen.

Aber, man liest das ja und so fĂŒllen sich die Seiten mit augenrollend aufzunehmenden Stichworten, von denen man letztendlich so genervt ist, dass sie Einem nicht mehr erreichen. Die eigentlichen Reiseerlebnisse rĂŒcken dabei in den Hintergrund.

Man freut sich gar richtig, wenn die beiden Johannsens schildern, wie die nur fĂŒr die Ferien mitreisende große Tochter, dieses gemeinschaftliche Erlebnis frĂŒher als geplant abbricht, um wieder ihren Alltag leben zu können. Zum UnverstĂ€ndnis der Eltern natĂŒrlich.

“Es gibt ein Leben ohne Netz.” “FĂŒr dich vielleicht, Papa.”

Geschildert typischer Dialog im Buch “Austeigen, einsteigen, los!”.

Viel schlimmer als dieses ganze Getue um die ökologische Lebensweise, um alle Klischees zu erfĂŒllen, in freien Momenten mit Yoga gefĂŒllt, ist jedoch die ausfĂŒhrliche Schilderung um des Unfalls und der Krankheit des Sohnes, der die PlĂ€ne der Eltern gefĂ€hrlich ins Wanken gebracht hat.

NatĂŒrlich ist so etwas weder Kindern noch Eltern zu wĂŒnschen, doch scheinen die Autoren beide immer noch darĂŒber erschĂŒttert zu sein, dass ein alternativer Lebensstil vielleicht doch auch Grenzen hat, zumal in unserer Zeit, und das Globuli, Gebete und Yoga nicht in jeder verdammten Lebenssituation das Nonplusultra sind. Genau so, wie der sein Ziel verfehlende Reisebericht, der auch sonst in all seinen Zeilen mit Vorsicht zu genießen ist.

Es ist sicher nur eine Kleinigkeit, eine allergische Reaktion. Lukas wird die Globuli nehmen, und alles wird gut.

Diana Johannsen/Percy Shakti Johannsen “Austeigen, einsteigen, los!”

Es gibt interessante, vielschichtige und alle Seiten beleuchtende Reiseberichte, auch von Familien, die zeigen, wie ein Ausbrechen aus dem Alltag gelingen kann. Aufgrund der zahlreich erhobenen Zeigefinger gehört dieser nicht dazu.

Aufreger, AluhĂŒte und erhobene Zeigefinger.

Autoren:

Percy Shakti Johannsen wurde 1976 geboren und arbeitete als Produktionsleiter bei MTV. Dort lernte er seine spĂ€tere Frau kennen. Beide lebten in MĂŒnchen, grĂŒndeten ein Yogastudio und einen veganen Cateringservice. Inzwischen leben sie zwischen Deutschland und Portugal, haben KochbĂŒcher herausgegeben und geben weiterhin Yoga-Kurse.

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