Wörter

Sebastian Pertsch (Hrsg.): Vielfalt – Das andere Wörterbuch

Inhalt:

Diversität spiegelt sich in einer großen Anzahl von neuen Wörtern. Sie begegnen uns in Gesprächen, Diskussionen, in den Medien und sind Ausdruck unserer sich dynamisch verändernden Gesellschaft. Woher kommen diese Begriffe und wie werden sie verwendet?

Anhand von 100 Wörtern gibt dieses Buch nicht nur Auskunft über ihre Schreibung und Bedeutung. Es versteht sich als „anderes Wörterbuch“, indem es 100 namhafte Persönlichkeiten mit Diskussionsbeiträgen zu Wort kommen lässt.

Zusätzlich Orientierung und Hintergrundwissen bieten 29 Infografiken sowie mehr als 1100 Quellen und Medienhinweise. (Klappentext)

Rezension:

Entwicklung und Gebrauch der deutschen Sprache festzuhalten, dafür Hilfestellungen zu geben ist die große Aufgabe der Dudenredaktion. Dabei verändern sich die an sie gestellten Anforderungen, da Einflüsse auf das Deutsche immer vielfältiger werden, ebenso wie diejenigen, die es sprechen, andere Ansprüche an sie stellen.

Grund genug für eine Sammlung von Begriffen und Wörtern, die repräsentativ für diese, vielleicht nicht in allen Facetten, aber eben auch, neue Vielfalt stehen. Einhundert Menschen wurden für dieses Projekt ins Boot geholt, um eben dieser Rechnung zu tragen. Entstanden dabei ist, wie der Untertitel es schon benennt, ein etwas anderes Wörterbuch.

Wie ein thematisches Lexikon soll sich dieses Büchlein lesen und lädt in seiner kompakten Form zum stöbern ein. Nicht mehr als zwei Seiten pro Begriff sind es, die so eine größere Sammlung zu ermöglichen, die man hintereinanderweg lesen oder gezielt nach einzelnen Wörtern suchen kann.

Immer vorangestellt ist die eigentliche Begriffsdefinition des Duden oder seiner Online-Variante, danach haben die Schreibenden Gelegenheit zur Erklärung gehabt , sprachgeschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund zu erläutern, ebenso ihren Standpunkt einzubringen.

Dieser Freiraum bringt, abgesehen davon, wie man überhaupt eine Auswahl treffen kann, die zwangsläufig nie vollständig sein kann, eines der zentralen Schwachstellen des Werks mit. Lesenswert sind immer die Beiträge, die sich auf den gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext, sowie die Definition beschränken, bei Standpunkttexten schwingt allzu oft der erhobene Zeigefinger mit.

Der mag Diskussionen anstoßen können, Widerspruch herausfordern, ist jedoch nicht dienlich wenn andere Texte deutlich nüchterner gehalten sind. Entweder ein Debattenbuch als solches oder ein Lexikon, aufgrund der Vielzahl der Schreibenden fehlt hier jedoch diese klare Linie. Hier hätte eine Entscheidung zu Gunsten des Einen oder Anderen diesem Projekt gut getan.

Die neutral gehaltenen Texte in diesem Werk lassen sich dabei ungemein mit Gewinn lesen. Information und neues Wissen, auch Hintergründe, die man so gar nicht bisher erahnt hat, kommen da zum Tragen, doch sind von dieser Qualität eben nicht alle Beiträge, was die Lektüre so manches Mal schwergängig macht. Das ist schade. Hier wurde eine große Chance verpasst.

Davon abgesehen reicht natürlich die zwangsläufig sehr kurz gehaltene Information zu den jeweiligen Beitragsschreibenden nicht aus, um diese komplett einzuordnen, was auch hier eine gewisse Wertung schwierig macht. Das ist zwar immer Knackpunkt solcher Schreibkollektive, jedoch hier sehr auffällig.

Was bedeutet Experte, Creator oder Publizist? Was befähigt einen Aktionskünstler hier einen Beitrag zu schreiben? Sicher zu Recht ausgewählt, aber genaues weiß man eben hinterher nicht. Trotzdem ist eine Lanze zumindest für den Versuch zu brechen. Vieles ist erhellend.

Vielleicht macht dies aber auch die Beschäftigung mit der Thematik Vielfalt und vor allem der Sprachvielfalt aus? Streitbar, kontrovers und irgendwo findet man sich wieder. So auch in diesem Werk.

Herausgeber:

Sebastian Pertsch wurde 1981 geboren und ist ein freiberuflicher Journalist, Dozent, Autor und Sprecher. Er wurde mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik und dem Deutschen Stifterpreis ausgezeichnet. Er engagiert sich im sozialpädagogischen Bereich und analysiert die deutschsprachigen Medien in den sozialen Netzwerken. Er ist Mitbegründer der „Floskelwolke“, einem Open-Data-Projekt.

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Björn Stephan: Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau

Inhalt:

Sommer, 1994. Sascha Labude ist ein etwas verträumter 13-Jähriger, der einzigartige Worte sammelt. Sein Leben ist relativ ereignislos, also abgesehen davon, dass das alte Land untergegangen und Saschas Vater verstummt ist und sein bester Freund Sonny so berühmt werden will wie Elton John.

Doch dann zieht Juri in die Siedlung, ein Mädchen, das alles über das Universum weiß und ganz anders ist als Sascha – nämlich mutig. sogar so mutig, es mit den schlimmsten Schlägern der Siedlung aufzunehmen. (Klappentext)

Rezension:

Der Brief, er liegt schon länger auf dem Schreibtisch des einstigen Kindes, wird geöffnet. Erinnerungen durchfluten Jenni, die nun junge Frau, die bis dahin erfolgreich verdrängt hat, was damals passierte. Die Perspektive wechselnd, Leserin und Leserschaft reisen zurück, in eine Zeit, in der sich alles veränderte, nichts blieb, wie es vorher war.

Beinahe zu ruhig beginnt das Autorendebüt, was uns Leserschaft hier vorliegt und wird doch immer schneller, heftiger werden, mit jeder Zeile, die uns in die Geschichte einsaugt. Wir begleiten den Hauptprotagonisten, der sich selbst für nicht sichtbar für seine Umgebung hält, durch die Tage.

Selbst die Schläger, die im selben Treppenaufgang wohnen, wie er, beachten Sascha nicht. Dem verträumten Jungen, der noch blasser neben seinem besten Freund wirkt, ist dies nur Recht. Seinen größten Schatz hütet er in einem unscheinbaren Heft. Wörter, die es nur einmal auf der Welt in einer einzigen Sprache gibt und die nur dort eine bestimmte Bedeutung haben. Sascha sammelt sie, hält fest, um sich an etwas zu halten. So kann es bleiben.

Tut es nicht. Diesen Sommer wird sich das Lebend es Jungen schlagartig ändern, wie auch die Welt um ihn herum sich ändert. So beobachtet der/die Lesende den Hauptprotagonisten, der zunächst Beobachter, dann Akteur der Ereignisse ist.

Vielschichtig sind die Protagonisten um ihn herum, die Beschreibungen Björn Stephans tun ihr übriges, um sofort den typischen Geschmack des damals angesagten Kaugummis im Mund zu haben und die flirrende Umgebung der Plattenbauten zu spüren, die den Handlungsort prägen. Der Autor indes hat sich hier viel vorgenommen.

Er erzählt von der Zeit zwischen Kindheit und Jugend, von Freundschaft und erster Liebe, von Beobachtung und Irrtum, Angst, Mut und dem Erkennen, dass nichts ist, wie es scheint.

Stephan gelingt es kunstvoll, nicht nur Zeitsprünge zu verbinden, sondern auch Klippen des Kitsches zu umschiffen, einmal haarscharf, zudem mehrere Enden unterzubringen. Jeder Strang wird zu Ende erzählt. Lücken werden durch das Kopfkino gefüllt, besonders gegen Ende eine kleine Herausforderung für die Leserschaft.

Ein Roman, der auf vergleichsweise wenigen Seiten so viel zu erzählen hat und auf mehreren Ebenen die Lesenden nachdenklich zurücklässt, dabei sprachlich schön geschrieben ist, bleibt. So wie die Wörter in Saschas Heft.

Autor:

Björn Stephan wurde 1987 in Schkeuditz geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Aufgewachsen in Schwerin, studierte er zunächst in Berlin Geschichte und Politikwissenschaft und besuchte anschließend die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Er schreibt für die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, arbeitet als freier Reporter. Seine Texte und Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Sozialpreis und dem Reporterpreis. Im Jahr 2021 erschien sein erster Roman. Der Autor lebt in München.

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Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht

Was nicht mehr im Duden steht Book Cover
Was nicht mehr im Duden steht Peter Graf Duden Verlag Erschienen am. 12.08.2020 (neu) Seiten: 240 ISBN: 978-3-411-70405-7

Inhalt:

Immer wenn ein neuer Rechtschreibduden erscheint, fragen die Journalistinnen und Journalisten zunächst nach den Wörtern, die erstmals Einzug in DAS Wörterbuch der Deutschen gehalten haben. Anhand dieser Wörter lässt sich Zeitgeschichte erzählen. Das gilt aber auch für die Wörter, die gestrichen wurden.

Was sagen sie uns über die Zeit, in der sie im Duden standen, und was über die, in der sie gestrichen wurden? In dieser aktualisierten Ausgabe stehen in 21 Essays samt Anhängen nun also Wörter im Mittelpunkt, die einmal wichtig waren und die uns sozial-, kultur- und sprachgeschichtliche Einblicke in die letzten gut 100 Jahre gewähren. (Klappentext)

Rezension:

Es gleicht einer Sisyphusarbeit, die sich die Redaktion des Wörterbuchs der Deutschen stellt, schließlich ist unsere Sprache im ständigen Wandel begriffen. Neue Wörter werden aufgenommen, andere fallen raus und so kann der Verlag heute aus einem sog. „Dudenkorpus“ von über 5,6 Milliarden Wortformen schöpfen, von denen 148.000 Stück in der aktuellen 28. Auflage des Dudens zu finden sind.

Doch, wer wählt aus, was nicht mehr im wohl gebräuchlichsten aller Nachschlagewerke zu verzeichnen ist und wie schaffen es Wörter in den Duden hinein? Spannend ist sie, die Reise durch unsere Sprachgeschichte, seit 1880 Konrad Duden das erste „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ vorstellte. Der Autor Peter Graf nimmt die Leser mit auf eine Reise zu Wörtern, die es nicht mehr gibt.

Thematisch geordnet ist sie, diese Sprachreise, die mal amüsant, mal sehr bedrückend scheint. So vielfältig sind auch die Gründe, warum Wörter neu in unserem Alltag integriert werden, dann wieder sang- und klanglos verschwinden.

LeserInnen finden heraus, um welche Wörter uns Medizin und Naturwissenschaften einst bereicherten, welche Begriffe in Technik und Handwerk gebräuchlich waren, was der Kolonialismus und der Nationalsozialismus mit unserer Sprache und letztendlich mit dem heute gelben Nachschlagewerk machten.

Präsentiert wird eine Auswahl, wie auch der Rechtschreibduden als erster Band der vom Verlag ständig aktualisierten Reihe, nur eine Auswahl der gebräuchlichsten Wörter unserer Zeit darstellt. Nur führt uns diese Reise in die Vergangenheit.

Wer weiß schon, was einst Automatenrestaurants gewesen sind, wo sie doch von großen Fastfoodketten erst von der Straße, schließlich aus dem Wörterbuch verdrängt wurden? Wen schimpfte man einst einen deutschen Knollmichel und wann ersetzten die Begriffe Nichte und Neffe entgültig das veraltete Wort Schwesterkind?

So spannend und teilweise witzig ist kein Deutschunterricht, wenn man auch hier mit einigen Längen kämpfen muss. Immerhin kann man sich hier in handlichen Kapiteln zu den Themen Wörter anlesen, die einem interessieren. Wie viele Anglizismen gibt es in unserer Sprache wirklich und wie viele kommen tatsächlich davon zur Anwendung?

Welchen Unterschied machten die Auflagen in Ost und West vor der Wiedervereinigung? Und geht Liebe nicht nur durch den Magen, sondern auch durch den Wortschatz? Sehr sachlich, immer wieder unterhaltsam beschreibt der Autor, was im Duden beschrieben wird, und warum.

Beeindruckend die Schilderungen, wie die Duden-Redaktion nicht nur bei der Auswahl der Wörter des Jahres eine Auswahl treffen muss, sondern auch bei jeder neuen Auflage dieses sehr komplexen Werkes und weshalb unsere Sprache immer noch sehr lebendig ist.

Ein interessanter Streifzug durch die Geschichte von Konrad Duden über den Versuch, ein Wörterbuch zu erstellen, welches dem Wortschatz Goethes gerecht wird, bis hinein in unsere Zeit. Viel Spaß dabei.

Autor:

Peter Graf leitet die Verlagsagentur Walde und Graf und ist einer der Gründer des Verlags „Das kulturelle Gedächtnis“.

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