Klima

Kocku von Stuckrad: Nach der Ausbeutung

Inhalt:
Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass sich die Erde in einem gewaltigen Transformationsprozess befindet. Die globale Klimakatastrophe hat einen Punkt erreicht, an dem die Lebensfähigkeit vieler Ökosysteme und Arten, auch das Überleben des Menschen, auf dem Spiel stehen. Zunehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass es eine radikale Veränderung im Verhältnis zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Welt geben muss, wenn wir eine lebendige Zukunft des Planeten sicherstellen möchten.

Wie können wir unser Wissen über die Welt erweitern und so gestalten, dass es die Verletzlichkeit des Lebens respektiert und den Menschen als Teil einer planetarischen Lebensgemeinschaft begreift? Welche Konsequenzen hat ein solcher Ansatz für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik? Das sind die Fragen, denen Kocku von Stuckrad in seinem neuen Buch nachgeht. (Klappentext)

Rezension:
Wissenschaft neu denken, in Bezug mit Kultur und Natur zu setzen und damit die Trennung von Geist und Materie aufzubrechen. Dies ist der Ansatz, den der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad verfolgt, um den Menschen in ein komplexes Beziehungsgeflecht mit der nichtmenschlichen Welt in Verbindung zu bringen und so den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Diese Wende,, die er „Mitweltethik“ nennt, soll konkrete Zukunftsperspektiven bieten und die Ausbeutungsregime von Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus überwinden. Das übergreifende Denkmodell beschreibt er nun in seinem neuen Sachbuch „Nach der Ausbeutung“, welches den Spagat wagt, zwischen Philosophie, Religion und den traditionellen Naturwissenschaften.

Der Ansatz dabei, wie wir Menschen an den Punkt gekommen sind, die Erde kurz vor einem Kollaps und damit selbst einen Fuß bereits im Abgrund stehen zu haben, ist nachvollziehbar. Säulenartig werden die Zustände, die er als Ausbeutungsregime zu benennen weiß, erläutert und zueinander in Bezug gesetzt, bevor der Autor dazu übergeht, zu erklären, wie Wissenschaft abweichend von traditionellen Pfaden bereits in Ansätzen neu gedacht wird, um sie zu überwinden. Die Erkenntnis, interdisziplinär arbeiten zu müssen und dabei auch ungewöhnliche Wege zu verfolgen, ist nicht neu, auch Naturobjekten eine Stimme zu verleihen, mit Hilfe von Kunst und Kultur, ist etwas, was man bereits in einigen Regionen der Welt verfolgt, doch geht von Stuckrad noch viel weiter.

Hier beginnt jedoch eine Problematik, die der Autor sich zwar wünscht aufzubrechen, aber von der alle Lesenden wissen, wie unrealistisch das ist. Wirtschafts- und politische Systeme werden sich nicht so ohne Weiteres umwandeln lassen, auch sind wir Menschen heute um einiges rationaler gestrickt, als es notwendig wäre, um sich auf dieses von ihm verfolgte Denkmodell einzulassen. Eine spannende philosophische Überlegung gleitet damit so weit ins Spiritistische ab, dass es schwer fällt, die ernstzunehmenden Punkte noch von den esoterischen zu trennen. Das tut im Übrigen auch dem Lesefluss nicht gut.

Ein komplexes Modell, welches in Ansätzen sich zwar verfolgen, ganzheitlich aber nicht umsetzen lassen wird, derart zu vertiefen, ist kaum nachzuvollziehen, zudem heute der Komplexität geschuldet, immer mehr fachübergreifende wissenschaftliche Projekte gibt, die im Maße ihrer Möglichkeiten genau das machen, was der Autor sich vorstellt, soweit es nicht ins quasi Religiöse abgleitet. In diesem Sachbuch fehlt mir die rationale Komponente zu sehr, so dass sich einige Fragen und damit Lücken ergeben, die einfach bestehen bleiben. Das mag der Profession von Stuckrads entsprechen, verfehlt aber das Ziel, die Lesenden voll und ganz mitzunehmen.

Autor:
Kocku von Stuckrad wurde 1966 in Kpandu/Ghana geboren und ist ein deutscher Religionswissenschaftler. Er studierte zunächst vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Judaistik in Bonn und Köln, und promovierte sowie habilitierte anschließend an der Universität Bremen. 2002 folgte eine Gastprofessur an der Universität Bayreuth, anschließend war er in Groningen tätig. Er ist Mitglied der Tierschutzpartei und Beisitzer in derer Berliner Landesverband.

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Bill McGuire: Treibhaus Erde

Inhalt:

Die Erde schwebt in akuter Gefahr. Unser einst lebensfreundlicher Planet ist auf dem besten Weg, zu einem sich selbst erhitzenden Treibhaus zu werden. Dieses Buch bietet eine fundierte Perspektive auf den Klimanotstand und zeigt, dass es praktisch unmöglich ist, die kritische 1,5°C-Marke noch zu halten.

Das Resultat: Der Kollaps unserer Ökosysteme lässt sich nicht mehr abwenden. Er wird unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten komplett auf den Kopf stellen. Bill McGuire, Professor für Geophysik und Klimafolgen, erklärt die wissenschaftlichen Hintergründe der Klimakrise und zeichnet ein unverblümtes, aber realistisches Bild der Welt, in der unsere Kinder alt werden.

Überschwemmungen, Dürren, Konflikte – so düster das Szenario auch sein mag, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Damit aus einer besorgniserregenden Zukunft keine katastrophale wird. (Klappentext)

Rezension:

Verdrängung und falscher Optimismus sind es, die den wissenschaftlichen Konsens seit Jahrzehnten nicht an die Oberfläche drängen lassen und die Luft zum Atmen nehmen. Dabei begegnen wir überall auf unserem Planeten immer sichtbareren Folgen der Klimakrise, welche sich in häufiger und ausufernden Extrem-Wetterereignissen äußert, die längst in verschiedenen Teilen der Welt dazu führt, dass unser Planet in einen Zustand gerät, in dem der Mensch keinen Platz finden wird.

Doch wie sehen sie aus, die Klimaänderung, mit denen wir in Zukunft zu rechnen haben und wie müssen wir ihr begegnen. Der britische Klimato- und Vulkanologie Bill McGuire beschreibt in seinem Werk ein ungeschöntes wissenschaftlich abgesichertes Szenario, welches zeigt, dass es längst nicht mehr darum gehen muss, dessen Folgen abzuwenden, sondern ihnen zu begegnen.

Gletscher verschwinden und Eisschilde sind instabil, der steigende Meeresspiegel bedroht schon jetzt verschiedene Inselstaaten, Permafrostböden tauen auf und geben Methan frei, während Dürren und Überschwemmungen zu Ernteausfällen, damit zu politischen Unruhen führen. Dies ist erst der Anfang, einer sich immer schneller drehenden Abwärtsspirale, in der wir uns gerade befinden. In diesem sehr kompakt gehaltenen Sachbuch werden wissenschaftliche Fakten für Laien verständlich aufgeschlüsselt, was vor allem heißt, genau erklärt, wie sich Veränderungen etwa das Überschreiten bestimmter Klima-Kipppunkte konkret auswirken.

Zunächst beschreibt der Autor den Istzustand, bevor er auf die Geschichte klimatischer Veränderungen zu sprechen kommt und zeigt, wie schon jetzt und auch in Zukunft wir zum Spielball derer Geister werden, die wir einst gerufen haben. Eindrücklich warnt McGuire dabei vor Schwachstellen unserer menschlichen Zivilisation und schildert wie Klimakriege unser Zusammenleben, Gesundheit und Lebensqualität auf einem überhitzten Planeten sein werden, den wir unseren Kindern und Kindeskindern überlassen, aber auch selbst in naher Zukunft gegenüber stehen.

Einen Blick fürs Zuversicht verbietet sich da. Man möchte diese Denkschrift allen Klimaleugnern um die Ohren hauen, die politischen Eliten als verdammten Arbeitsauftrag zur klimagerechten Politik verpflichten, wie sie große Teile der Gesellschaft inzwischen fordern. Dieser Warnschuss ist nicht mehr der vor dem Bug. Längst sind zu viele Baustellen entstanden, die nicht mehr behoben werden können, doch zeigt McGuire, wie wir damit umgehen müssen. Die Zeit für Alternativen sind längst vorbei.

Dieses kompakt gehaltene, gut erklärende Sachbuch, mehr braucht man nicht, um zu verstehen, in welcher Welt wir uns befinden und schon bald befinden werden.

Autor:
Bill (William J.) McGuire wurde 1954 geboren und ist ein britischer Vulkanologe und emeritierter Professor für Geophysik und Klimagefahren am University College London. Er studierte zunächst Geologie, welche er später lehrte und beschäftigte sich in verschiedenen Forschungsgruppen mit Naturgewalten und Extremwetterereignissen. Zu seinen Forschungsgebieten gehört die Instabilität von Vulkanen, sowie die Art und Auswirkung geophysikalischer Ereignisse, sowie der Klimawandel und dessen Auswirkungen auf geologische Gefahren.

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Insa Thiele-Eich: Wirklich wichtiges Wissen von heiter bis wolkig

Inhalt:
In diesem Buch erfahren wir nicht nur, wie lange wir unser Frühstücksei auf der Zugspitze kochen müssen oder warum das Regenprasseln auf dem Zeltdach so entspannend ist, sondern auch, wo das Wasser auf unserem Planeten herkommt und wie lang der wirklich längste Dauerregen der Erdgeschichte gedauert hat – ganze 2 Millionen Jahre!

Denn die Meteorologin Insa Thiele-Eich weiß alles über das Wetter, und noch viel mehr. Klug und unterhaltsam erklärt sie, wie unser Wetter eigentlich entsteht, und zeigt, wie stark es unseren Alltag durchdringt – vor allem da, wo wir nie damit gerechnet hätten. Danach werden Gespräche über das Wetter garantiert nie wieder langweilig. (Klappentext)

Rezension:

Storm Hunter jagen Tornados hinterher und stellen spektakuläre Bilder ins Internet, während der eine oder andere fasziniert beim Anblick eines Regenbogens stehen bleibt oder ungewöhnliche Wolkenformen betrachtet. Unser Wetter sorgt nicht nur für steten Gesprächsstoff, sondern greift alltäglich in unser Leben ein. Kaum etwas anderes vermag so faszinieren.

Dabei ist Wetter nichts anderes als der Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, beschrieben durch Elemente wie Temperatur, Luftdruck oder Niederschlag, jedenfalls gar nicht immer trocken, wie die Meteorologin Insa Thiele-Eich zu berichten weiß. In ihrem amüsant gehaltenen Sachbuch verdeutlicht sie physikalische Zusammenhänge, ebenso einfach wie verständlich und zeigt, wer Klima und Klimawandel verstehen möchte, für jene lohnt es sich, sich zunächst mit den Wetter zu beschäftigen. Oder auf der Zugspitze ein Ei zu kochen.

In sehr kurzweilig gehaltenen Kapiteln geht es zunächst einmal rein um verschiedene Definitionen und Grundlagen, bevor einzelne Themenkomplexe erörtert werden. Vorwissen wird nicht verlangt, vermittelt die Autorin doch so anschaulich dieses Wissen, dass es Spaß macht, in die Materie einzutauchen.

Wir folgen dem Weg des Wassers, ebenso der Geschichte der Meteorologie, erfahren, welches Tier der bessere Vorhersager ist und welchen Einfluss das Wetter auf unseren Körper hat oder auch der Entwicklung von Sprache. Immer wieder geht die Autorin dabei auf gesellschaftshistorische Entwicklungen, sowie der Geografie des Wetters ein.

Beständig blitzt die Faszination Insa Thiele-Eichs für ihr Steckenpferd durch, aufgelockert werden Definitionen klar abgegrenzt von anschaulichen Erklärungen und Grafiken, was beinahe lehrbuchmäßig wirkt ohne im schlimmsten Sinne lehrbuchhaft zu sein. In diesem Bereich hat das eine hohe Qualität, zumal die ohne erhobenen Zeigefinger daherkommt.

Dazu tragen nicht nur Sachkenntnis und Humor bei, auch ein wahnsinniges lecker erscheinendes Cookie-Rezept hat es ins Buch geschafft. Natürlich mit der idealen dafür geeigneten Temperatur? So, und bei welcher kocht jetzt das Ei auf der Zugspitze? Nun, das müsst ihr selbst herausfinden.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autorin:
Insa Thiele-Eich wurde 1983 in Heidelberg geboren und ist eine deutsche Meteorologin und Anwärterin zur Astronautin. Zunächst studierte sie Meteorologie in Bonn und war dort als wissenschaftliche Koordinatorin tätig. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Untersuchung von Austauschprozessen, parallel dazu untersuchte sie für ihre Doktorarbeit die Auswirkungen des Klimawandels in Bangladesch. 2017 wurde sie Teil einer privat finanzierten Initiative, die erstmals eine Deutsche zur Astronautin machen möchte.

Für den Kurzzeitaufenthalt, der durch Spenden finanziert werden soll, überstand sie ein Auswahlprogramm und absolvierte eine theoretische und praktische Raumfahrt-Grundausbildung, sowie Parabelflüge und erwarb einen Flugschein. Politisch engagiert sie sich in der Königswinterer Wählerinitiative, für die 2021 in den Stadtrat nachrückte.

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Christian Linker: Boy from Mars

Inhalt:

Im Jahr 2099 lebt der dreizehnjährige Jonto mit seinem Großvater auf dem Mars. Als Opa Ben stirbt, muss Jonto sich auf den Weg zur Erde machen, zu seiner Mutter, die er seit zwölf Jahren nicht gesehen hat. Im Gepäck hat er das Tagebuch seines Opas voll rätselhafter Andeutungen auf eine spektakuläre Erfindung. Angeblich soll es eine Superwaffe zum Schutz des Klimas sein. Neugierig begeben Jonto und seine neuen Freunde sich auf die Suche danach. Doch sie sind nicht die Einzigen, die Interesse am Supergenerator haben … (Klappentext)

Rezension:

Das vorliegende Jugendbuch von des deutschen Autoren Christian Linker entführt uns in eine nicht allzu ferne Zukunft. Im Jahr 2099 leben Menschen nicht nur auf der Erde, auch der rote Planet ist besiedelt. In Kolonien auf den Mars leben die Pioniere und bauen dort eine neue Gesellschaft auf, nachdem die Zurückgebliebenen dabei sind, die Folgen der gerade erst beendeten Klimakriege zu überwinden. Jonto kennt kein anderes Leben als unter den Kuppeln der Marskolonien. Der Dreizehnjährige liebt seinen Großvater, mit dem er Wanderungen auf den Kratern des Planeten unternimmt und den populären Sport Gravity Dunk.

Doch als sein Opa stirbt, muss er zurück, zu seiner Mutter, die er, wie auch den Planeten Erde, nur von Bildern kennt, ohne zu ahnen, dass das größte Abenteuer ihn noch bevorsteht. Eines, welches das Leben aller verändern könnte.

In einer Mischung aus moderner Zukunftsvision und Abenteuerroman folgen wir den jungen Protagonisten Jonto auf seiner Reise zur Erde, die dort in ein rasantes Abenteuer mündet. Der Dreizehnjährige hadert dabei zunächst mit sich selbst und den Gegebenheiten, denen er zunächst nichts entgegensetzen kann und gibt damit eine perfekte Identifikationsfigur ab, wie auch die Erzählung selbst aus eine Aneinanderreihung vieler Punkte besteht, die Jugendliche beschäftigen. Der Schriftsteller Christian Linker hat damit eine interessante Mischung geschaffen, sowohl die Konfrontation mit der harten Realität der Welt der Erwachsenen darzustellen, als auch die Ängste und Befürchtungen der jungen Generation in Bezug auf Klimaveränderungen und dem Leben in der Zukunft aufzunehmen.

Ohne unlogische Brüche funktioniert die Erzählung, derer wir in kompakten Kapiteln folgen, die Vision eines Autoren, der ein Szenario erschaffen hat, dem man gerne folgen möchte, zudem immer auch ein Hauch optimistischen Untertons mitschwingt. Dazu tragen die Figuren bei, deren Weg und Handlung nachvollziehbar gestaltet ist, welche schnell Konturen bekommen. Hier ist klar, wer Sympathieträger ist. Positiv ist aber zu erwähnen, dass auch die Gründe für das Handeln der Antagonisten glaubwürdig dargestellt werden. Das erzeugt einen Sog, den man sich nicht entziehen kann. Die Ausgestaltung dieser Welt, sowohl des roten als auch des blauen Planeten, wirkt mit jeder einzelnen Zeile.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Hauptprotagonisten, der erkennen muss, dass die Zukunft der Menschen in der Vergangenheit zu suchen ist und dabei mehr als einmal vor schwierigen Entscheidungen gestellt wird, die zu groß wirken für einen Dreizehnjährigen, selbst wenn einem eine Digi-Linse zum Durchblick verhilft. Linker hat seine Figur mit Ecken, Kanten, der rastlosigkeit und gelegentlichen Stimmungsschwankungen versehen, auch das macht Jonto zu einem glaubwürdigen Protagonisten.

Der Roman wirkt in sich schlüssig, die Welt greifbar. Linkers Stärken liegen nicht nur in der Ausgestaltung seiner Figuren, auch Landschaftsbeschreibungen erzielen ihre Wirkung. Actionreiche Szenen fühlen sich beim Lesen an, einstweilen wie im Film, trotzdem gibt es in „Boy from Mars“, auch sehr ruhige, einfühlsame Momente, die die Erzählung komplettieren.

Christian Linker hat mit diesen Roman für Jugendliche einen spannenden Einstieg in die Welt der Dystopien geschaffen, zugleich Ankerpunkte zu so vielen anderen Genres und einen sympathischen Protagonisten, dessen Weg mit seinen Freunden in diesem wirklich gut ausgestalteten Stand Alone man gerne verfolgt. Und vielleicht muss sich eines Tages wirklich ein Junge auf den Weg vom Mars zur Erde machen und dabei alles verändern.

Autor:

Christian Linker wurde 1975 in Leverkusen geboren und ist ein deutscher Jugendbuchautor. Zunächst studierte er Theologie in Bonn und arbeitete freiberuflich als PR-Redakteur und als Bildungsreferent in der außerschulischen Jugendbildung. Einige Jahre war er in Köln als hauptamtlicher Diözesanvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend tätig. Sein erstes Buch erschien 1999. Sein Roman „RaumZeit“ wurde 2003 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Die Bücher wurden teilweise für das Theater adaptiert. Es folgte 2018 der Jugendbuchpreis Goldene Leslie.

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John Ironmonger: Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen

Inhalt:

In dem gemütlichen Pub eines winzigen Fischerdorfes in Cornwall kommt es am Mittsommerabend zu einer folgenreichen Klimawette zwischen einem Studenten und einem Politiker. Werden bald auch die dreihundertsieben Bewohner des beschaulichen Dorfes zu spüren bekommen, wovor die Welt noch die Augen verschließt?

John Ironmonger erzählt von der dringensten Aufgabe unserer Zeit und von zwei schicksalhaft verbundenen Leben. Können aus Gegnern Verbündete werden, wenn es um unser aller Zukunft geht?
(Klappentext)

Rezension:

Fast scheint es, als ob das Genre des Klimaromans nun entgültig in die Buchhandlungen Einzug gehalten hat, ist doch die Frage, wie wir dem Wandel des Klimas begegnen, eine der drängensten unserer Zeit. Das arktische Eis schmilzt unaufhaltsam.

Die Fragen lauten nur noch, wie schnell, wie hoch wird das freigesetzte Wasser steigen und mit welchen Auswirkungen in Gang gesetzter Kettenreaktionen werden wir und künftige Generationen noch konfrontiert werden? Dies ist der gedankliche Überbau der hier vorliegenden Mischung aus Dystopie, Gesellschafts- und Politroman. Er beginnt mit einer Wette. Jene, die sie beschließen begleiten wir über ihre gesamte Lebensspanne. Wer wird am Ende Recht behalten und ist solch ein Sieg nicht gleichsam eine Niederlage?

Von Beginn an ist klar, wie die Erzählung schließen wird. Das Ende ist nicht überraschend. Spannend ist hier der Weg zum Ziel. Lesend wird man jedoch zunächst eingelullt, die Hauptprotagonisten werden vorgestellt, samt einiger sie umgebender Nebenfiguren. Die Atmosphäre des kleinen Dorfes, der als Touristenort sein Auskommen hat, ist förmlich zu greifen. Die Figuren schließt man schnell ins Herz, positioniert sich entsprechend.

Langsam kommt dann die geschichte ins Rollen, deren Handlungsfäden wir über die Jahrzehnte folgen. Zeitsprünge und Perspektivwechsel geben das Tempo vor, schließlich soll eine gesamte Lebensspanne erzählt werden. Für diese Form ist der Roman relativ kompakt, wenn auch der Autor an teilweise sehr schwülstigen Formulierungen nicht spart und mehrfach die Grenze zum Kitsch um mehr als eine Fußlänge bis ins Unglaubwürdige überschreitet. Da dies jedoch erst ab Mitte der Erzählung geschieht, kann man durchaus augenrollend darüber hinweg sehen.

So turbulent wie das Leben verläuft, so ändern sich auch die Handlungsorte der Protagonisten. Hier hat John Ironmonger ein glückliches Händchen bewiesen, diese so zu beschreiben, dass man sie sich förmlich vorstellen kann. Eben ist man noch im dörflichen Pub, dann in der Umgebung einer kargen Forschungsstation, der Unwirklichkeit unbarmherzigen Eises ausgeliefert. Mit solchen Elementen gelingt es dem Autor eine Stimmung aufzubauen, die in Sicherheit wiegend, promt die nächste Überraschung bereithält, um dann in einem anderen Moment in trügerische Stille hineinzuwechseln.

Bis auf die beiden Protagonisten, die im Verlauf der Handlung ihre Ecken und Kanten bekommen, bleiben beinahe alle, hier wiederum auch nur bis auf eine, Nebenfiguren konturlos. Ironmonger konzentriert sich zumindest hier aufs Wesentliche und tut seiner Geschichte damit einen großen Gefallen, zudem dadurch Gegensätze bereits genug ausgestaltet werden. Klar wird an einigen Stellen sehr stark überzeichnet, doch gelingen auch Verbindungen. Steckt nicht in vielen von uns der Idealismus eines Tom Horsmith, aber auch das Zögern, die Inkonsequenz eines Monty Causley?

Die Zeitsprünge sind es, die die Geschichte so besonders machen, ohne größere Lücken entstehen zu lassen. Eher sind es Handlungsmomente, die unglücklich gesetzt sind, und die Erzählung manchmal ins Stocken geraten lassen. Zu Gute halten muss man dem Autoren, dass dieser sich mit der Thematik des Klimawandels ausgiebig beschäftigt hat.

Fazit, welches man ziehen könnte, es bringt nichts den Menschen von Folgen zu erzählen, die vielleicht irgendwo andere treffen werden oder von globalen Maßnahmen zu sprechen, auf die sich ohnehin nicht die gesamte Staatengemeinschaft einigen wird.

Was bedeutet der Klimawandel für mich, für meine Umgebung, für das Land, in dem ich lebe und was kann jeder Einzelne in kleinen Schritten tun? in großen Schritten denken die wenigsten, zumal kaum Politiker, die bereits die Umfragen für die nächsten Wahlen und den nächsten Karriereschritt im Blick haben.

Dem Schreibstil hätten eine gewisse Dynamik und Tempo gut getan. So reiht sich auch dieses Werk unter vielen einen, die durchaus interessant zu lesen sind, aber schnell unter „ferner liefen“ abgestellt werden können, zudem wenn man mehreres dieser Art bereits liest. Hier darf man die berechtigte Befürchtung äußern, dass der Roman untergeht, wie der vor sich hinschmelzende Eisberg. Liest man über die Thematik nicht so häufig einen Roman, hat dieser dennoch die Chance, im Gedächtnis zu bleiben.

Zu guter Letzt, die Titelfindung. Sperriger geht es kaum, zudem der Eisbär weder Auslöser noch Konsequenz ist.

Die Grundidee der Geschichte funktioniert, sowie auch die Figuren durchaus Identifikationspotential mit sich bringen, doch schießt der Autor öfter mit Formulierungen und der Ausgestaltung von Szenen übers Ziel hinaus, da helfen dann auch schöne Worte nichts. Wenn es aber hilft, den einen oder anderen, der thematische Überbau existiert ja, zum Nachdenken zu bringen, hat dieser Roman dennoch seine Berechtigung.

Autor:

John W. Ironmonger wurde 1954 in Nairobi, Kenia, geboren und ist ein britischer Schriftsteller. Zunächst studierte er Zoologie in Nottingham und Liverpool, bevor er an der Universität von Illorin, Nigeria, unterrichtete. Danach arbeitete er im Bereich der medizinischen Informatiok in Groß-Britannien. Im Jahr 1994 veröffentlichte er ein Sachbuch. 2012 folgte sein erster Roman. Seine Werke wurden mehrfach nominiert und ausgezeichnet.

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Benedikt Bösel: Rebellen der Erde

Inhalt:

Klimawandel, Artensterben und Bodendegeneration bedrohen unsere Existenz. Jede dieser Krisen ist mit den anderen verbunden und alle drei treffen sich in der Landwirtschaft. Einerseits gefährden sie diese, andererseits hat die Landwirtschaft selbst großen Anteil an der Verschärfung dieser Bedrohungen. Dass es nicht so weitergehen kann, ist offensichtlich. Die gute Nachricht: Die Transformation der Landwirtschaft könnte sie wieder zukunftsfähig, resilent machen und profitabel, gleichzeitig allen drei Megakrisen die Stirn bieten.

Benedikt Bösel, der das elterliche Gut in Brandenburg übernommen hat, zeigt, wie das funktionieren kann. In einer der landwirtschaftlich schwierigsten Gegenden Deutschlands, wo Dürre auf extrem sandigen Untergrund trifft.

(Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Buchtrailer Benedikt Bösel „Rebellen der Erde“ (Scorpio Verlag)

Spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die Transformation der Landwirtschaft Richtung Massenproduktion, um eine stetig wachsende, damals zudem hungrige Bevölkerung zu ernähren. Erst schleichend, dann in einem immer höheren Tempo wurden etwa Streuobstwiesen von Feldern riesiger Monokulturen verdrängt. Ein Phänomen, welches in unterschiedlicher Ausprägung weltweit zu beobachten war und deren Auswirkungen Landwirte überall zu spüren bekommen.

In der Welt und zunehmend auch unmittelbar bei uns. Extremwetterperioden vernichten Ernten, die mit immer weniger natürlichen Nährstoffen auf überdüngten Böden zurechtkommen müssen. Vielerorts wird versucht, mit Einsatz von Chemie und Pestiziden oder, wer sie sich leisten kann, teurer Technik, dagegen zu halten. Doch, wie lange geht das noch gut? Diese Frage, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, stellen sich immer mehr Landwirte. Jahr um Jahr geben immer mehr Höfe auf.

Praktisch vor der Situation bzw. der Frage, wie das elterliche Gut zukunfts- und überlebensfähig gemacht werden kann, stand Benedikt Bösel als er dieses übernahm, in einer der trockensten und damit landwirtschaftlich schwierigsten Gegenden Deutschlands. Technische Neuerungen, das war schnell klar, waren nicht zu finanzieren, von Pesitiden und Chemie wollte er sich nicht abhängig machen. Das Problem, Hitzeperioden und der nährstoffarme Boden. Könnte man zumindest an diesem arbeiten?

So viel sei schon mal verraten, dem Autor blieb keine andere Wahl als dies zu versuchen. Er beschreibt seinen Weg in die Landwirtschaft, der keineswegs vorherbestimmt und geradlinig war, doch voller Interesse und der Annahme von Herausforderungen, die sich dieser Tage stellen und zeigt, was mit Ideenreichtum und Austausch alles verwirklicht werden kann. Entstanden ist dabei ein Bericht ohne erhobenen Zeigefinger, in dem Bösel darstellt, wie etwa Forst- oder Weidewirtschaft, der Anbau von Pflanzen neu gedacht werden muss, damit auch in Zukunft landwirtschaftliche Betriebe bestehen können. Mit und trotz des Klimawandels.

Das dies nicht einfach war und Stellschrauben von Ideen anderer angepasst werden mussten, zeigt er anhand verschiedener Projekte, um seinen Betrieb, die er und sein Team im Laufe der letzten Jahre aufgebaut haben. Dargestellt werden die einzelnen Elemente moderner Landwirtschaft, die sich dort teilweise immer noch in einer Art Versuchsphase, wissenschaftlich begleitet befinden und was im Kleinen bereits funktioniert, wie die Zukunft aussehen kann. Klar ist, die traditionelle Landwirtschaft kann so wie bisher nicht mehr weitermachen, zudem immer mehr Menschen sensibler für das Klima werden und nicht zuletzt dafür, was auf ihre Teller kommt.

Bösel gelingt es, diese Geschichte von Lebensmitteln zu erzählen, die es künftig brauchen wird, zeigt, welche Ideen und Grundlagen bereits seit Jahrzehnten existieren, nur neu oder weitergedacht werden müssen für unsere Zeit. Dies tut er mit so viel Zugewandtheit und Begeisterungsfähigkeit, ohne Rückschläge oder Herausforderungen zu verheimlichen, dass sich nicht nur sein Betrieb von der Masse abhebt, sondern auch die Lektüre von der sonstigen Schwarzmalerei.

Natürlich ist das kein Patentrezept, aber immerhin eine Blaupause dessen, wie dezentrale Landwirtschaft bereits funktioniert und eine beeindruckende Wirkung innerhalb von wenigen Jahren entfalten kann. Kann es etwa gelingen, unsere Felder vielseitiger und doch profitabel zu gestalten? Wie müssen künftig landqwirtschaftliche Nutztiere in dieses System integriert werden? Kann man beinahe tote Böden helfen, sich selbstständig zu regenieren oder Wälder umbauen, dass die kranken Monokulturen auch dort der Vergangenheit angehören? Ja, sagen Bösel und sein Team und beschreiben in diesem Sachbuch das Wie.

Es ist die Verbreitung eines Konzepts gleichsam einer Zukunftsvision, die hier vorgelegt wird, jedoch nicht nur reine Theorie. Lektüretipps, die man getrost für den heimischen Garten im Kleinen anwenden kann, finden sich da ebenso wie die zahlreichen wunderbaren Illustrationen von Romina Rosa, die das Beschriebene visualisieren. So gelingt nicht nur die Mahnschrift, sondern eben auch viel Positives zu transportieren.

Mit jeder Seite Lektüre wird man beeindruckter, auch von diesem riesigen Projekt, in dem nicht nur der Autor selbst so viel Leidenschaft hineinsteckt. Inzwischen hat dies zu einer Ansammlung weiterer Projekte dort im brandenburgischen Madlitz geführt, die allesamt Landwirtschaft in ihren Facetten neu denken. Wenn dies im Kleinen so funktioniert, man stelle sich das überall in Deutschland vor. Bösel selbst hat diese Vorstellung schon. Wird sie flächendeckend real, wäre die Landwirtschaft nicht mehr Teil des Problems sondern ein großer Baustein der Lösung. Anfangen kann man dafür unbedingt mit der Lektüre.

Autor:

Benedikt Bösel wurde 1984 geboren und studierte Business Finance in Großbritannien, dann Agrarökonomik in Berlin. Er arbeitete zehn Jahre in der Finanzindustrie, übernahm später jedoch den ökologisch bewirtschafteten Hof seiner Eltern in Alt Madlitz. Die Erfahrungen aus der Wirtschaft gepaart mit den großen Herausforderung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nutzt er, um den Beweis anzutreten, dass die Landwirtschaft zum Schlüssel für uns und nachfolgende Generationen werden kann. Mit seiner Passion konnte Bösel inzwischen zahlreiche Partner und Mitstreiter anstecken, die sein Projekt zu einer beherzten Gemeinschaftsaktion machen.

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Franziska Tanneberger/Vera Schroeder: Das Moor

Inhalt:

Das Moor ist nicht nur neblige Sumpflandschaft, wo Vögel nisten, Schild oder Torfmoose wachsen. Auch eine grüne Wiese, auf der Kühe weiden, kann sich als Moor entpuppen, wenn man genau hinschaut. Eine berührende Lektüre über einen einzigartigen Lebensraum. (Klappentext)

Rezension:

In Film oder etwa Literatur sind die seltener werdenden Moorlandschaften vom Gefühl her negativ besetzt. Dunkel und Nebeligkeit, trostloses unnützes Land war dies jahrhundertelang, bis die Menschen begangen, es urbar zu machen, zu bewirtschaften, was vor allem hieß, es trocken zu legen und landwirtschaftlich zu bebauen. In unseren Breiten gibt es sie daher kaum noch, die natürlichen Moore, in denen seltene Moose oder Tierarten, wie der Seggenrohrsänger zu Hause sind.

Andere, wie das große Wasjugan-Moor in Sibirien sind für die Wissenschaft aufgrund der politischen Ereignisse derzeit in weite Ferne gerückt. Doch es gibt auch Hoffnung für die Moore, in Mitteleuropa und weltweit. Immer mehr Menschen erkennen die wichtige Rolle der Moore als Bestandteil nachhaltigen Klimaschutzes. Für die Ökologin Franziska Tanneberger ist dies nur eine von vielen faszinierenden Facetten, die uns die Moorlandschaften bieten. Nun hat sie diese, zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Vera Schroeder in einem für die Thematik einnehmenden Sachbuch veröffentlicht.

Werke, die sich mit den Kapriolen der Klimakatastrophe beschäftigen, zeichnen sich zurecht ob des menschengemachten Wahnsinns durch Schwarzmalerei, verbunden mit zahlreichen erhobenen Zeigefingern aus. Fast bekommt man beim Lesen den Eindruck, dass alles ohnehin zu spät ist, jeder Fetzen guter Wille eines Einzelnen vielleicht dazu geneigt ist, das eigene Gewissen zu beruhigen, ansonsten aber kaum Auswirkungen zu haben scheint.

Tanneberger, die über ihre Profession zum Klimaschutz gekommen ist, geht die Sache anders an und berichtet zunächst von den Bestandteilen und Arten der Moorlandschaften, bevor sie einzelne Beispiele zur näheren Erläuterung hervorhebt, sowie auf die Geschichte des Zusammenspiels zwischen Mensch und Moor eingeht. Darauf aufbauend hebt sie dann, mit wissenschaftlicher Expertise unterfüttert, die Bedeutung der Moore für den Klimaschutz hervor und warum es trotz der Gefährdung dieser Landschaften auch vielerorts positive Beispiele gibt, die aufzeigen, was bereits heute funktioniert und zukünftig mit den Mooren möglich sein kann.

Die positive, hier kaum melancholische Grundstimmung des typischen Nature Writing vermischt mit wissenschaftlicher Expertise ist dies, was das Werk so lesenswert macht. Handlich kompakte Kapitel laden dazu ein, sich mit einer sonst eher stiefmütterlich behandelten Thematik zu beschäftigen, ohne jetzt allzu sehr ins Theoretische abzugleiten. Man findet leicht dort hinein, um vielleicht beim nächsten Spaziergang mit anderen Augen die Umgebung zu betrachten, zumal für eine verkannte und hier selten gewürdigte Landschaftsform.

Angenehm ist die Herangehensweise der Wissenschaftlerin, die keine absolute Position bezieht, sondern in ihre Projekte immer auch die Menschen und deren unmittelbare Umgebung mitdenkt. Warum sollte ein Landwirt seine Äcker wieder vernässen? Wie damit wirtschaften? Taugt ein mit regionalen Unternehmen, Behörden und Landwirten entwickeltes Konzept auch anderswo? Wovon und wie sollen diese dann leben, zudem, wenn herkömmliche Maschinen auf einem moorastigen z. B. Kartoffelacker versinken und geeignete Technik eher Marke Eigenbau denn Serienreife sind?

Diese Arbeitsweise des Miteinander wird ebenso zwischen den Buchdeckeln verdeutlicht, wenn nicht nur anhand zahlreicher Beispiele Zusammenhänge erklärt werden, sondern auch Landwirte am Ende eines jeden Kapitels in Form eines Interviews zu Wort kommen, die hier und anderswo heute wirkliche Pionierarbeit leisten.

Ein Thema so zu transportieren und einmal zu zeigen, was bereits funktioniert und möglich ist, ja zum Teil schon umgesetzt wird, um so die Wichtigkeit zu unterstreichen, die für den Erhalt und der Wiedervenässung, nicht Renaturierung; warum dies der falsche Begriff ist, wird ebenso erklärt; ist unglaublich wohltuend und hebt dieses Sachbuch von so vielen anderen aus diesem Bereich ab. Ohne Moorleichen, dafür ganz viel Liebe für bisher verkannte Details.

Autorinnen:

Franziska Tanneberger studierte zunächst Landschaftsökologie und Naturschutz in Greifswald, arbeitete als Gutachterin bei Naturschutzprojekten in Polen und Belarus, sowie beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. 2012 kehrte sie an die Universität Greifswad zurück und leidet dort das hießige Moor Centrum. Sie forscht und berät zu wiedervernässten Mooren und wie wir sie nutzen können.

Vera Schroeder ist Journalistin und arbeitet im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung. Sie studierte Politik und Kommunikation. Bevor Sie bei der SZ 2021 begann, war sie Chefredakteurin von NEON und Nido, sowie Begründerin von SZ Wissen.

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Thore D. Hansen: Taupunkt

Inhalt:

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat Wissenschaftler Tom Beyer das auch im Weltklimarat umstrittene Phönix-Programm entwickelt, das schwerste Eingriffe in das gewohnte Leben der Menschen nach sich ziehen würde. Kein Wunder, dass die Regierungen der Welt nichts davon wissen wollen.

Frustriert zieht sich Tom nach Deutschland zurück, wo er mit seinem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit tritt. Damit löst er eine mediale Hetzjagd aus, die sogar sein Leben bedroht. Auch der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt mit Toms Bruder Robert spitzt sich zu. Robert ist Großlandwirt in Norddeutschland, sein Land leidet unter der Dürre, er sieht seine wirtschaftliche Existenz bedroht und verliert sich in Verschwörungstheorien.

Doch dann verändert eine nie da gewesene Hitzewelle den lauf der Geschichte. Alleingelassen auf Roberts Hof, kämpft Familie Beyer ums physische Überleben und muss sich ihren Dämonen stellen. Die Trümmer vor Augen, wissen alle, dass etwas geschehen muss … (Klappentext)

Rezension:

Unser Klima verändert sich in einem atemraubenden tempo. Irgendwann wird diese Geschwindigkeit so sehr überhand nehmen, dass wir laufen müssen, um nicht zurückzubleiben. Das erfordert schon heute Maßnahmen im Kleinen wie Großen.

Die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung, zumindest in den Industrienationen auch das dafür notwendige Know How und Geld. Nur, die politischen Entscheidungsträger agieren zu zögerlich, entweder da sie um die nächste Wiederwahl fürchten oder von Wirtschaft und Lobbyismus getrieben, praktisch wissend der Katastrophe entgegengehen. Nur, wozu führt das?

Der vorliegende Roman aus der Feder des Politikwissenschaftlers und Soziologen setzt einige Jahre danach an, nicht mehr weit, fürchtet man berechtigterweise beim Lesen und führt uns vor Augen, was es bedeutet, wenn alle notwendigen Maßnahmen soweit aufgeweicht wurden und zwangsläufig gescheitert sind, dass auch Mitteleuropa mit den unmittelbaren Wandel des menschengemachten Klimawandels zu kämpfen hat.

Kurzweilig und auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend entwirft der Autor ein Szenario, wie es eintreten könnte. Waldbrände an vielen Stellen in Deutschland gleichzeitig, dicht aufeinanderfolgende Dürreperioden, die auch hier Maßnahmen wie das Abstellen und Rationieren von Trinkwasser notwendig machen, flächendeckende Triage in Krankenhäusern, die aufgrund von dehydrierten Menschen vollkommen überlastet sind.

Dies ist der Raum in dem sich die Handlungsstränge dieser modernen Dystopie bewegen. Einerseits verfolgen wir hier dem Weg des Wissenschaftlers, der sowohl auf taube Ohren bei der Politik als auch bei der Öffentlichkeit stößt, die die Wahrheit nicht erträgt, andererseits mit den Dämonen der eigenen Familie. Toms Bruder ist als Landwirt direkt betroffen, bekommt die Auswirkungen unmittelbar zu spüren und leugnet dennoch, was er sieht.

In diesen Sphären bewegen wir uns im Laufe der Geschichte, in der Perspektive von Kapitel zu Kapitel wechselnd. Sehr sachlich ist das immer dann, wenn der Autor einem seiner Hauptprotagonisten praktisch „Fachvorträge“ in den Mund legt.

Die Dynamik in der Geschichte entsteht jedoch vor allem durch die Konfrontation der Gegensätze in Form der unterschiedlichen Ansichten der Figuren. Wohltuend ist es, dass sich der Autor nicht nur bemüht hat, eine Seite auszuformulieren. Man kann die Gründe für das Denken der Gegenseite, hier in Figur von Toms Bruder, dadurch zumindest nachvollziehen.

Das gleicht entstandene Längen aus, führt dazu, dass man die spannende Geschichte weiterverfolgt, die innerhalb eines Zeitraums von wenigen Wochen spielt.

Auch das Wechselspiel zwischen den handlungsorten, der weltpolitischen Bühne des Weltklimarats, der Großstadt Berlin und der ländlichen Einöde tragen maßgeblich dazu bei, dass die Erzählung nicht kippt, sondern immer neue Punkte hineinbringt, die auch konsequent weiterentwickelt werden.

Der Autor hat sich in diesem Roman auf wenige Figuren konzentriert, diese auszugestalten, und zeigt dennoch gleichermaßen damit die Dramatik im Großen wie Kleinen gleichermaßen auf, während Nebenfiguren relativ blass bleiben. Diese spielen jedoch auch keine so große Rolle, als dass das entscheidend wäre. Die eine gewichtige Rolle spielenden Gegensätze sind nicht nur anhand dieser aber sehr minutiös ausgearbeitet, gerade das macht die Handlung oder die Entscheidungen der Figuren jedoch glaubhaft.

Mit den Figuren wechselt auch die erzählerische Perspektive. Fakten werden innerhalb der eingearbeiteten Vorträge eingebracht. Alleine für dieses Zusammentragen von Informationen, der plastischen Beschreibung, was dies gerade für Deutschland bedeuten kann, muss man dem Autoren Respekt zollen.

Beim Lesen hat man den Eindruck, dass Hansen immer wieder den Finger in die Wunde legen wollte, um aufzuzeigen, dass das, was heute gar nicht oder nur mit Lethargie angegangen wird, uns eines Tages auf die Füße fallen könnte, und nie dagewesene Maßnahmen erfordern würde. Und dafür ist ein Roman vielleicht die geeignetere Form. Einen solchen liest man eher als ein trockenes Sachbuch.

Der Roman ist mit all diesen Punkten sehr schlüssig, dazu spannend geschrieben. Interessant ist zudem das halboffene Ende, was zwar in seiner Ausgestaltung nicht verraten werden soll, aber auch hier wieder ein Fingerzeig des Autoren und vieler Wissenschaftler darstellt. So könnte es aussehen, wenn wir nicht aufpassen. Bei uns und nicht irgendwo anders auf der Welt, wo uns das „egal“ sein könnte. Das wirkt unglaublich stark.

Ab Mitte der Erzählung gewinnt der Roman zudem gehörig an Erzähltempo, welches einem noch mehr in dieses Szenario hineinzieht, als man das zu Beginn des Lesens vielleicht ahnt. So schnell wie die Kapitel hochzählen, passend in Grad Celsius angegeben, die Anzeige des Thermometers klettert unerbittlich, so fix scheinen sich die Befürchtungen des einen Protagonisten zu bewahrheiten, wie auch ein immer bedrohlicher werdender Unterton im Text den Raum einnimmt.

Da das alles in Deutschland spielt und nicht irgendwo anders kann man sich als hier lebender Lesender gut vorstellen, wissen wir doch um staubtrockene Böden in Ostdeutschland, stetig steigende Waldbrandgefahr im Hochsommer oder Niedrigpegel in Flüssen, die für die Binnenschifffahrt oder zum Betrieb von Kraftwerken wichtig sind. Auch wegen Hitze strapazierte Straßen gab es hierzulande ja schon.

Thore D. Hansens Szenario lässt nachdenklich zurück. Möchten wir wirklich so etwas wie dieses erleben oder sollten wir nicht endlich etwas tun, klein im Privaten, groß in der Gemeinschaft. Wer mit wissenschaftlichen Studien nichts anfangen kann, diese schwer zugänglich findet, ist mit diesem wissenschaftlich unterfütterten Roman gut bedient, um Ansätze zu finden, wegen des Warums. Danach ist es vielleicht einfacher, sachlich über das Wie zu diskutieren. Wenn dazu Thore D. Hansens Text beitragen kann, ist viel gewonnen.

Autor:

Thore D. Hansen wurde 1969 geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er studierte zunächst in Hamburg und Boston Politikwissenschaft und Soziologie, bevor er für verschiedene Tageszeitungen und Magazine in Europa zu arbeiten begann. Stationen waren u. a. Deutschland, Österreich und Spanien. Für das Magazin Tomorrow begleitete er den Aufstieg und Fall der New Economy 2001 als Wirtschaftsredakteur, bevor er als Pressesprecher verschiedener Banken arbeitete. Seit 2010 ist er vorwiegend als Schriftsteller tätig. Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland ist er seit 2019.

Nach verschiedenen Arbeiten, etwa zu den Geheimdiensten oder zur Hochfinanzkrise, veröffentlichte er 2017 die Einordnung der Biografie Brunhilde Pomsels, welche die Sekretärin Joseph Goebbels gewesen ist. Basierend auf 30 Stunden Interviewmaterial des gleichnamigen Dokumentarfilms („Ein deutsches Leben“) nimmt er in einen historischen Vergleich Analogien der Gegenwart auf.

Immer wieder verarbeitet Hansen so hochaktuelle und diskutierte Themen in seinen Werken.

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Vanessa Nakate: Unser Haus steht längst in Flammen

Inhalt:

Vanessa Nakate wächst in Uganda auf und erlebt, wie es Jahr für Jahr heißer wird, die Ernten immer kleiner werden, Armut und Hunger zunehmen. Als sie sich 2019 mit dem Klimawandel auseinandersetzt, wird ihr klar: Wenn sie nicht handelt, wer dann?

Doch während die Schulstreiks von Fridays for Future in Europa einem farbenfrohen Happening gleichkommen, droht Streikenden in Uganda Gefängnisstrafe. Vanessa schweigt nicht! Entgegen aller Widerstände nimmt sie den Kampf gegen die Klimaerhitzung auf.

(Inhaltsangabe Kurzform)

Rezension:

Als Vanessa Nakate die Berichte über die Klima-Proteste vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2020 zu Gesicht bekommt, traut sie ihren Augen kaum. Neben all den Aktivist*innen, die sich mit ihr für Klimagerechtigkeit und -schutz einsetzen, hätte sie auf den Bildern einer großen weltweit tätigen Presseagentur zu sehen sein müssen, doch wurde sie aus dem Bild getilgt, eine Praxis, wie man sie nur mehr von Diktaturen kennt. Wieder einmal ist Afrikas Stimme unter den Klimaprotesten damit unhör- und unsichtbar gemacht wurden.

Ein Jahr zuvor hat die Uganderin zum ersten Mal von den Protesten in der westlichen Welt erfahren, um sich daraufhin selbst über den Klimawandel zu informieren, und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, in ihrer Heimat sich für den Klimaschutz einzusetzen und die Menschen darauf aufmerksam zu machen. In Uganda ist dies mit vielen Hürden verbunden. Die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, Proteste nur bedingt möglich und der Willkür des Regimes ausgeliefert. Die traditionelle Rolle, die Frauen zugestanden wird, lassen kaum Entfaltungsmöglichkeiten zu. Dennoch wagt es die Autorin, zunächst nur mit Unterstützung einiger Familienmitglieder, auch in Uganda auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und ahnt dabei nicht, welche Steine sie ins Rollen bringt.

Inzwischen gibt es ganze Bücher und reihen über den Klimawandel und Porträts der bekanntesten Gesichter der Klimabewegung, was ungemein wichtig ist und den Regierungen allerorts immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden muss. Doch Stimmen aus anderen als den westlichen regionen der Erde, sind kaum hörbar. Woran liegt das?

Die Autorin berichtet von ihrem eigenen Weg hin zu den Protesten selbst, über die Situation der Menschen in ihrem Land und die Auswirkungen, die der Klimawandel schon jetzt in Uganda hat. Nakate ist dabei durchaus kritisch mit sich selbst, stellt jedoch auch dar, was selbst vermeindlich kleine Schritte bewegen können und wie vielgestaltig Aktivismus eben auch sein kann, in Gegenden, in denen man vorsichtig mit der eigenen Meinung hausieren gehen muss.

Nun in Buchform ist diese Stimme sichtbar und damit im Fokus der westlichen Welt, , was sich manchmal spannend wie ein Krimi liest, jedoch immer wieder vor Augen führt, dass es eben auch in Afrika Menschen gibt, die sich für den Klimawandel interessieren und dagegen kämpfen wollen, dass dies jedoch teilweise anders aussehen muss, als wir dies zuweilen auf den Schirm haben, jedoch nicht aus unserem Blickfeld geraten darf.

So ist dieses Werk teils Biografie, Handreichung dafür, wie man selbst sich für Klima- und Umweltschutz einsetzen kann, egal, wie vermeintlich klein Mittel und Wege sind, aber auch Bericht der Entwicklung einer jungen Frau, die man für ihren Mut und Zielstrebigkeit nur bewundern kann. An mancher Stelle rutscht dies sehr ins Emotionale ab, was vielleicht nicht falsch ist, mich aber aus dem Lesefluss herausgebracht hat. Ich hätte mir zudem noch eine ausführlichere Erläuterung von Beispielen des Einsetzens von Klimaaktivist*innen in Afrika gewünscht, als sie die Autorin in ihrem Buch ausführt.

Dennoch ist es gut und richtig, jetzt auch diese Perspektive für alle sichtbar zu haben.

Autorin:

Vanessa Nakate wurde 1996 in Uganda geboren und ist eine ugandische Klimaschutzaktivistin, die sich u. a. für Fridays for Future engagiert. Sie wuchs in der ugandischen Hauptstadt Kampala auf und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Makerere-Universität, seit 2019 setzt sie sich für Klimaschutz ein und nahm an mehreren Aktionen der Klimaschutzbewegung teil, zudem initierte sie eigene Projekte, wie dem Ausstatten von Schulen in Uganda mit Solarzellen, sie hält zudem Vorträge und hilft anderen sich für den Klimaschutz vernetzen.

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Richard Powers: Erstaunen

Inhalt:
Wie kann eine Familie in einer unberechenbaren Welt überleben?

Vater und Sohn allein: Der hochbegabte Robbie mit Asperger-Zügen kann den Tod der Mutter nicht verwinden. In der Schule unverstanden, will er die Mission seiner Mutter vollenden: Er malt Plakate und demonstriert auf den Stufen des Kapitols, um die Natur zu retten.

Der verzweifelte junge Vater will ihm mit ungestümer Liebe alles geben. Als Astrobiologe sind ihm die Sterne nah, und auf Wanderungen entdecken sie, dass die Wunder vor ihren Füßen liegen und sie einander brauchen. Doch was geschieht, wenn die Welt schneller endet, als unsere Zukunft beginnt? (Klappentext)

Rezension:

Gleich zu Beginn ist die Verzweiflung zu spüren, die dem Protagonisten zu schaffen macht, beschäftigt sich der Wissenschaftler Theo mit nichts weniger als der Frage nach der Entstehung des Lebens in den unendlichen Weiten des Alls. Mit seinem Team entwickelt er Modelle um sich dem Unbegreiflichen zu nähern und scheitert doch schon im Kleinen, in seinen eigenen vier Wänden.

Dort, zu Hause, bringt ihn sein neunjähriger Sohn an Grenzen. Robbie ist anders als Kinder seines Alters, begreift schneller, hoch intelligent, unverstanden von einem System, in das er sich nicht einordnen lässt, traumatisiert vom frühen Tod seiner Mutter.

Das Leben der beiden nun auf sich Gestellten ist in eine Sackgasse geraten. Nur Wanderungen in der Natur und gedankliche Reisen auf die Planetenmodelle Theos helfen, dem Alltag zu bewältigen, während sie dem Abgrund auf Erden immer näher kommen.

Richard Powers stellt die großen Fragen. Wie auch sein Kollege Jonathan Safran Foer legt er die Finger in die offenen Wunden Amerikas und zeigt die Spaltung Amerikas anhand der Themen auf, denen wir uns alle stellen müssen.

Welche Welt wollen wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen? Gibt es eine Zukunft oder müssen wir uns dem Unvermeidlichen fügen? Sollten wir nicht einmal den vermeintlich Schwächsten unsere Aufmerksamkeit schenken, denen zuhören, die sich nicht in einem System einfügen können oder es wollen?

„Dad. Ich enwickle mich zurück. Das spüre ich.“

Richard Powers: Erstaunen

Verpackt wird dies in einem dicht geschriebenen Roman, der nur oberflächlich eine durch Gedankenspiele aufgelockerte Erzählung ist, eine Coming-of-Age-Geschichte, zugleich eine, in der der Vater bereit ist, alles für seinen unverstandenen Sohn zu geben, ohne ihn selbst wirklich begreifen zu können.

Es ist auch zugleich ein Zustandsbericht Amerikas, dessen Gräben schier unüberwindbar scheinen, zwischen Ideologie und Vernunft, Kurzsichtigkeit und langfristigen Denken.

Der Autor lehnt seine Protagonisten an reale Personen an, ohne sie konkret zu benennen, doch weiß jeder mit dem Lesen der ersten Zeilen, wer wann gemeint ist, wer die Vorbilder für den tönenden Politiker darstellt oder der Jugendlichen, die zum Gesicht des Kampfes um die Zukunft für ihre Generation wird.

Kapitelweise reiht Powers die großen Fragen unserer Zeit aneinander, lässt die klare Sicht des Kindes mit der der Erwachsenen aneinander prallen, bringt jeden Hoffnungsschimmer zum Verglühen, gleichsam den sterbenden Sternen im Weltall.

„Dad, ich vermassle dir dein ganzes Leben.“

Richard Powers: Erstaunen

Kunstvoll verwebt er Gesellschaftskritik mit Darstellungen der Wissenschaft und politischem Zeitgeschehen, positioniert sich dabei so klar, dass sofort ersichtlich ist, wer die Leserschaft in seinem Heimatland sein wird, wen er, wenn überhaupt nur oberflächlich erreichen wird.

Hierzulande ist „Erstaunen“ eine vielschichtige Geschichte voller Hoffnung, viel mehr Verzweiflung, Tragik und der Bitte, wenigstens es zu versuchen, zu verstehen, was schier unbegreiflich scheint.

Glaubwürdig erscheinen dabei die handelnden Protagonisten, der Wissenschaftler, der um den Erhalt seines Projektes kämpfen muss, gleichzeitig den Spagat zwischen beruflichem Erfolg und privaten Leben versucht, der Sohn, der begreift, dass er anders ist als der Schnitt seiner Altersgenossen und zugleich erste vorpubertäre Konflikte austrägt und eine Gesellschaft, die an die Grenzen dessen gerät, was den Kitt zusammenhält, wobei auch der Autor nicht umhin kann, eine zu sehr amerikanische Sichtweise durchscheinen zu lassen.

Sprachlich ist das nicht immer der große Wurf, doch Powers schafft es, seine Leserschaft versinken zu lassen, gleichwohl dazu anzuraten ist, dies sich nicht unbedingt zu Gemüte zu führen, wenn man sich selbst in einem tieferen Loch befindet.

Autor:

Richard Powers wurde 1957 geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Zunächst studierte er Physik, wechselte dann zu Literaturwissenschaften, um anschließend als Programmierer zu arbeiten. Im Jahr 1985 veröffentlichte er seinen ersten Roman, nahm später eine Lehrtätigkeit an der University of Illinois at Urbana-Champaign an und schrieb an weiteren Werken, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

2019 wurde „Die Wurzeln des Lebens“ zum Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Zehn Jahre zuvor hatte er eine Gastprofessur an der Freien Universität zu Berlin inne. Kennzeichen seiner Werke sind die Verarbeitung naturwissenschaftlicher und philosophischer Themen. Powers lebt in den USA.

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