Zweiter Weltkrieg

Norman Eisen: Der letzte Palast von Prag

Der letzte Palast von Prag Book Cover
Der letzte Palast von Prag Norman Eisen Verlag: Propyläen Erschienen am: 02.11.2020 Seiten: 589 ISBN: 978-3-549-07497-8 Übersetzer: Nikolaus de Palezieux

Inhalt:

Gebaut von einem jüdischen Industriellen aus böhmen; durch einen Wehrmachtsgeneral vor der Zerstörug bewahrt; schließlich von Shirley Temple und anderen US-Botschaftern mit neuen Glanz versehen – das ist die Geschichte des Petschek-Palais, eines der berühmtesten Gebäude der Stadt Prag. Norman Eisen erzählt mit viel Charme die spannende Geschichte dieses Hauses, das den ersten und Zweiten Weltkrieg ebenso überdauerte, wie die Ära des Kommunismus und den Prager Frühling und schließlich die Rückkehr der Demokratie erlebte. (Klappentext)

Rezension:

Vergleichsweise wenig Kriegsschäden hatte Prag nach dem ende des Zweiten Weltkrieges zu verzeichnen und so erzählen die Gebäude der tschechischen Hauptstadt noch heute viel von der Geschichte, die sie prägten.

Besonders bemerkenswert dabei sind natürlich die Brücken oder die Prager Burg, doch auch abseits dieser lassen sich einige Bauten entdecken, die die Historie wiederspiegeln. dazu gehören die für die tschechische Industriellenfamilie Petschek vom Architekten Max Spielman entworfenen in jedem Fall dazu. Das berühmteste Gebäude dient heute den ansässigen US-Botschafter als Residenz. Einer hat die Geschichte des Hauses ergründet.

Architekturgeschichte als Sachbuch kann zuweilen trocken sein, funktioniert am besten aus der Betrachtung ihrer Bewohner heraus und in diesem vorliegenden Werk nimmt sich Norman Eisen, Ex-Präsident Obamas’ Mann für Tschechien, die Zeit, diese minutiös zu beleuchten. In wie weit spiegelt dieses architektonisch viel geachtete Gebäude die Geschichte und Geschehnisse der Stadt wieder, und wie haben die Bewohner, vom Erbauer bis zur legendären US-Botschafterin Shirley Temple gewirkt, um eben jenes zu erhalten?

Intensiv in Tagebüchern, Memoiren recherchiert, erschließt sich hier ein gewaltiges Stück Geschichte, welche aufgedröselt wird, so wie man ein Gebäude erbaut. Eben von den Fundamenten an bis zur Dachspitze. Mit leichten Längen wird erzählt, wie kleinste Gesten Geschichte machten, immer beäugt von den Prager Bürgern, nicht selten in den Händen der Bewohner des Hauses.

So umfangreich wie manche Personenbiografie zeigen sich die Rechercheergebnisse des Autoren, dessen Liebe zum Detail zu strapazieren vermag, im letzten Moment jedoch das lesende Publikum wieder einfängt, spätestens dann, wenn die kleinen und oft größeren Dramen dargestellt werden. Das muss man jedoch mögen. Sonst ist dies ein lesenswertes Werk.

Autor:

Norman Eisen wurde 1960 geboren und ist ein US-amerikanischer Politiker und Diplomat. Er studierte an der Harvard Law School und wurde im jahr 2009 zum Special Counsel for Ethics and Gevernment Reform in the White House ernannt. Von 2011 bis 2015 war er Botschafter der USA in Prag, arbeitete danach als Kommentator für CNN und schreibt regelmäßig für große amerikanische Zeitungen.

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Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Von Versailles bis Potsdam Book Cover
Von Versailles bis Potsdam Andre Francois-Poncet Rezensionsexemplar/Sachbuch Europaverlag Hardcover Seiten: 400 ISBN: 978-3-95890-286-2

Inhalt:

Andre Francois-Poncet ist nicht nur ein Freund der deutschen Kultur, kritischer Beobachter und Kommentator der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen. Er gestaltete sie zu einem Gutteil mit.

Als Diplomat, französischer Botschafter oder Hochkommissar wirkte er im Deutschen Reich und war Beteiligter bei der Vertragsunterzeichnung von Versailles, beobachtete den Aufstieg der Nazis bis zum Kriegsausbruch und setzte sich für die Beziehungen beider Länder als Hochkommissar und später wieder als Botschafter ein.

Zwei Jahre nach der Stunde Null skizzierte er den Weg Frankreichs und Deutschlands von Versailles bis hin zu den Potsdamer Konferenzen nach. Nun wurde dieses Werk neu aufgelegt. (eigene Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1983 (1)

Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Andre Francois-Poncet: Tagebuch eines Gefangenen (3)

[Einklappen]

Rezension:

In der Mitte Europa herrscht Frieden, was nicht zuletzt an den Beziehungen der großen Zwei liegt, die wirtschaftlich und politisch auf vielen Gebieten zusammenarbeiten. Ohne den deutsch-französischen Motor läuft nichts in der Staatengemeinschaft, doch bis zum heutigen Zustand war es ein weiter Weg.

Die kritischen Jahre der Konflikte, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hat dabei kein Geringerer als Andre Francois-Poncet bereits zwei Jahre nach Kriegsende nachgezeichnet. Dieses Werk wurde nun neu aufgelegt.

Andre Francois-Poncet war Freund der deutschen Kultur und Frankreichs Verbindung zum unberechenbaren Nachbarn. Als Diplomat, Botschafter und späterer Hochkommissar war er an beinahe allen Wendepunkten der Geschichte diplomatischer Beziehungen beider Länder beteiligt und stellte dar, warum sich ein näherer Blick darauf lohnt.

Von Versailles bis hin zu den Potsdamer Konferenzen zeigt er auf, wie sich die beiden gegensätzlichen Pole immer wieder einander berührten und abstießen, schließlich, wie es zum Bruch und später dazu kam, ein neues Kapitel in der Historie aufzuschlagen.

Das Werk indes richtet sich vor allem an seine Landsleute, doch Francois-Poncet verlor zu Lebzeiten nie den Blick auf die deutschen Nachbarn. Vor Schulklassen hielt der Lieblingsdiplomat Hitlers (So genannt, weil er als einer der wenigen Botschafter mit Hitler auf Deutsch kommunizieren konnte.) nach Kriegsende Vorträge und war auch sonst um Verständigung bemüht.

Detailliert beschreibt er die Vorgänge von der Vertragsunterzeichnung in Versailles an, wirft einen kritischen Blick auf Sichtweisen der Politiker beider Länder zu jener zeit, spart dabei auch nicht Fehler aus, die auf beiden Seiten gemacht wurden und zum zweiten Weltenbrand führten, der Millionen Menschen das Leben kostete.

Ohne Gram und Bitterkeit berichtet der Franzose von den Wendepunkte, skizziert diese in logisch aufeinander handlichen Kapiteln so, dass diese Ereignisse und ihre Folgen Laien verständlich werden. Und das ist auch heute noch gut lesbar. Der Autor nimmt sich dort zurück, wo er nicht selbst beteiligt war.

Dies bleibt Anderen vorbehalten, entsprechend zu bewerten. Durchdrungen von der Liebe zur Sprache und Kultur des Nachbarlandes zeigt Francois-Poncet die komplexe Geschichte auf, die erst spät überwunden werden sollte. Nicht zuletzt seine Bemühungen halfen dazu, den Beginn eben dieses Kapitels aufzuschlagen.

In neutraler Tonlage berichtet Francois-Poncet von den Vorgängen im Hintergrund großer Ereignisse und zeigt, dass der Verlauf der Geschichte auch hätte anders sein können. Der Wunsch nach einer Zusammenarbeit und einem friedliebenden Europa schimmert dabei immer durch. Seine Anfänge sollte der Autor noch erleben.

Das komplexe, aber nicht ermüdende Sachbuch ist nun in neuer Auflage erschienen und für alle, die ein tieferes Verständnis für die Beziehungen und die Geschichte beider Länder erlangen möchten, die nicht getrennt voneinander betrachtet werden kann.

Als Abschluss seiner Reihe politischer Erinnerungen, die mit seinen Aufzeichnungen der Botschaftertätigkeit in Weimar und dem Dritten Reich begann, danach über seine Inhaftierung durch das NS-Regime wirft Andre Francois-Poncet einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft, die ohne ihre Vergangenheit nicht so gekommen wäre.

Der Autor ist zu Unrecht beinahe vergessen. Hoffentlich wird die Neuauflage einen gegenteiligen Effekt bewirken.

Autor:

Andre Francois-Poncet wurde 1887 in Frankreich geboren und war Germanist, Politiker und Diplomat, französischer Botschafter in Berlin und später in Rom. Nach dem Krieg begleitete er den Posten des französischen Hohen Kommissars in Deutschland von 1949-1955. Er wurde 1943 von den Deutschen verhaftet.

Nach der Befreiung begleitete er verschiedene diplomatische Posten und fungierte als Präsident des Französischen Roten Kreuzes 1955-1967, ab 1960 als Präsident des Rats der Europäischen Bewegung. Er starb 1978 in Paris.

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Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II.

Johannes Paul II. - Der Papst, der aus dem Osten kam  Book Cover
Johannes Paul II. – Der Papst, der aus dem Osten kam Matthias Drobinski/Thomas Urban C.H. Beck Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 336 ISBN: 978-3-406-74936-0

Inhalt:

Johannes Paul II. (1920-2005) war ein Jahrhundertpapst. Er begeisterte die Massen, und seine Besuche in Polen zeigten den Menschen im Ostblock: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als der kommunistische Staatsapparat.

Doch so sehr Karol Wojtyla in seiner Heimat stets die Reformer in der Kirche unterstützt hatte – als Papst regierte er selbst autoritär, beschnitt die Unabhängigkeit der Ortskirchen und maßregelte Theologen. Matthias Drobinski und Thomas Urban erzählen keine Heiligengeschichte, sondern porträtieren eine faszinierende Persönlichkeit, die Revolutionär und Reaktionär in Einem war. (Klappentext)

Rezension:

Im Jahr 1978 begann eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Karol Wojtyla, der sich fortan Johannes Paul II. nannte, wurde zum Papst gewählt und ließ die kommunistische Welt aufhorchen. Krisensitzungen im Moskauer Kreml und in Warschau folgten, hatte der Pole doch schon seit seiner Priesterweihe nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufmerksamkeit und Schwierigkeiten bei den Machthabern gesorgt.

Auch als Papst blieb er Hoffnungsträger für Hunderttausende. Doch, der Mann, der aus dem Osten kam, blieb sich treu und für viele auch hoch umstritten. Die kirchliche Ökomene förderte er, doch gegen Missbrauch in der Kirche unternahm er nichts, auch seine Einstellung gegenüber Frauen, Verhütung und Sexualität waren konservativ. Zu konservativ für eine sich im Umbruch befindliche Welt. Doch, wer war Karol Wojtyla eigentlich? Der Mann, der die katholische Kirche ins neue Jahrtausend führen sollte.

Beitrag aus der Dokumentation “100 Jahre – Der Countdown”, 1981 – Schüsse auf den Papst.

Die Journalisten und Autoren Thomas Urban und Matthias Drobinski zeichnen das vielschichtige Porträt eines Menschen, der zuweilen so widersprüchlich ist, wie die Institution, der er sein Leben verschrieb. Auf relativ wenigen Seiten wird das längste Pontifikat seit mehreren Jahrhunderten dargestellt, aber auch der Weg dorthin minutiös aufgezeichnet.

Welche Wegsteine markierten die Biografie eines Mannes, der Geschichte schreiben und selbst eine solche werden sollte? Wie entwickelte Wojtyla, später als Papst Johannes Paul II., seine Ansichten und woran lag es, dass der einst so progressive Pfarrer, Bischof und Kardinal mit dem Alter immer konservativer wurde?

Beschrieben wird nicht nur der Lebensweg und die Schwierigkeiten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzungen, denen sich der “Reisepapst” ausgesetzt war, sondern immer wieder auch Momente, die Geschichte schrieben. Das Attentat auf den Papst gehört ebenso dazu, wie auch die Unterstützungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig, um Lech Walensa, Beginn des schleichenden Zusammenbruchs der kommunistischen Regime im Osten.

Ungeschönt wird das Bild wiedergegeben, welches sich schon zu Lebzeiten formte, auch die Debatte um die Stellung der Frau in der Kirche, die neuen Schwung aufnahm und in derer der Papst auch viele Gläubige enttäuschte, wird dargestellt.

Intensive Recherchearbeit in Archiven, die Sichtung von Interviews und Berichten gingen der Arbeit voran, in derer die Autoren darstellen, welchen Einfluss Papst Johannes II., der sich der Ökomene verschrieben sah und für den Frieden in der welt kämpfte, doch so voller Widersprüche war, auf die Kirche nahm. Sie zeigen, wie der Mann, der über ein Vierteljahrhundert lang, das Schicksal der Katholiken bestimmte, die Kirche über sein pontifikat hinaus bestimmte und welches Erbe er seinen Nachfolgern hinterlies.

Abgesehen von manchen Längen, die wohl alle Biographien aufweisen, ist diese hier leicht zu lesen, ist doch die Zeit, in der Karol Wojtyla voller hochspannender Ereignisse und Wendungen. Die Autoren zeichnen ungeschönt ein facettenreiches Bild mit all seinen Widersprüchen in handlichen Kapiteln.

Nachvollziehbar auch für die jenigen, die das Weltbild des Johannes Paul II. jetzt nicht vertretetn. Urban und Drobinski zeigen, welche Zeichen das Oberhaupt der Katholiken in die Welt sendete und was davon bleibt. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Der erste Medienpapst der Geschichte, der den Vatikan in kleinen Schritten veränderte und doch manche, vielleicht zu hoch an die Institution gestellten, Erwartungen enttäuschte, im Spiegel der Zeitgeschichte und an dessen Leben nicht nur die Katholiken bis zuletzt Anteil nahmen. Wie bewerten wir heute den Polen Karol Wojtyla und sein Pontifikat als Papst Joannes Paul II.?

Die Autoren mit dem Versuch einer sehr vielschichtigen Darstellung.

Autoren:

Matthias Drobinsi wurde 1964 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, begann danach eine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. 1993 begann er als redakteur für die Zeitung Publik-Forum, später für Die Woche zu arbeiten, auch recherchierte er für mehrere öffentliche Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 1997 arbeitet er für die Süddeutsche Zeitung als innenpolitischer Redakteur und ist dort für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig-

Thomas Urban wurde 1954 geboren, ist ebenfalls Journalist und Autor, studierte Romanistik, Slavistik und osteuropäische Geschichte. Nach mehreren Stationen arbeitete er zunächst beim Bundessprachenamt.

Nach einem besuch der Henri-Nannen-Schule war er für verschiedene Presseagenturen tätig, später wechselte er zur Süddeutschen Zeitung, wo er als Osteuropa-Korrespondent tätig wurde, sowohl aus Warschau und Moskau berichtete, als auch vom Abchasien- oder dem ersten Tschetchenienkrieg. 2012 übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid.

Beide sind Verfasser mehrerer Sachbücher.

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Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation

Die verdammte Generation Book Cover
Die verdammte Generation Christian Hardinghaus Europa Verlag Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 328 ISBN: 978-3-95890-297-8

Inhalt:

Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.

Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten.

Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen.

Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden.

In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.

Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint.

Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten.

Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.

Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen.

Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur.

Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.

So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren.

Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist.

Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.

In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird.

Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Bücher gegen das Vergessen #01

In zwölf Teilen soll es hier um besondere Bücher zu geschichtlichen Themen gehen, die gegen das Vergessen geschrieben und veröffentlicht wurden. Es ist eine unvollständige, vollkommen subjektive Auswahl und es gibt sicher noch viel mehr von dieser Sorte zu lesen. Diese Rubrik soll daher nur ein Anstoß sein, sich damit zu beschäftigen.

Dies ist Teil 1.

Die Tagebücher des Petr Ginz

Nicht wenigen dürften, zumindest als Schullektüre, “Die Tagebücher der Anne Frank” bekannt sein, die das jüdische Mädchen in ihrem Amsterdamer Versteck geschrieben hatte, worin sich die Familie vor ihrer Entdeckung durch die Nazis während der Besetzung der Niederlande im Zweiten Weltkrieg zurückziehen musste.

Doch, auch andere Kinder schrieben das alltäglich Erlebte, das Grauen, auf, welches in besonderen Zeiten Aufsehen erregt hätte, jedoch ein Zustand wurde, mit denen sie versuchten, zurecht zu kommen. Viel davon ist beeindruckend zu lesen und bei Lektüre regelrecht erdrückend.

Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941-1942
Bloomsbury, 192 Seiten, ISBN: 978-3-8270-5245-2 (antiquarisch)

Das tschechische Äquivalent zu Anne Frank sind die Tagebücher des Prager Jungen Petr Ginz, der 1928 geboren wurde und als Zwölfjähriger begann, das Erlebte aufzuschreiben. Seine kleinere Schwester und er wuchsen liebevoll umsorgt in der tschechisch-slowakischen Hauptstadt auf, die mit als erste zu spüren bekam, was es bedeutete, von den Nationalsozialisten besetzt worden zu sein.

Petr zeichnete sich dabei durch eine sehr genaue und nachhaltige Beobachtungsgabe aus.

Juden müssen ein Abzeichen tragen. Auf dem Weg zur Schule habe ich 69 ‘Sheriffs’ gezählt, Mama hat über Hunderte gesehen.

Petr Ginz: Prager Tagebuch 1941-1942

Der Junge schrieb auf, was Alltag wurde. Anders als Anne Frank, kurz und knapp, fast journalistisch genau, ohne Gefühle ausführlich zu beschreiben, die nur hin und wieder durchscheinen. Es war ja ursprünglich nur für ihn selbst gedacht. Sicher dachte er nicht daran, dass einmal seine Erinnerungen veröffentlicht werden würden. Die Gefühle kommen dann eher in seinen zahlreichen Zeichnungen, kolorierten Linolschnitten oder Gedichten zum Vorschein. Ein feinfühliger, sensibler und mental starker Junge, so scheint es den heutigen Lesern.

Die Familie versteckte sich nicht. Seine Schwester Eva und er kamen später nach Terezin/Theresienstadt. Eva überlebte. Petr wurde nach Auschwitz deportiert und dort wie viele andere ermordet.

Nachdem Absturz der Raumfähre Columbia, in die der israelische Astronaut Ilan Ramon die Kopie einer Zeichnung von Petr Ginz mitgenommen hatte, die zeigte, wie sich der Junge die Mondlandschaft vorstellte, erhielt seine Schwester die Nachricht vom Fund seiner Tagebücher in Prag, zusammen mit anderen kreativen Werken Petrs.

Petr Ginz: Mondlandschaft

Im Jahr 2006 wurden sie erstmals veröffentlicht.

Derzeit ist die Ausgabe der Prager Tagebücher 1941-42 nur antiquarisch zu bekommen. Doch, wer Tschechien, insbesondere Prag besucht, findet überall Spuren, nicht nur den Stolperstein vor der ehemaligen Wohnadresse. In einer Prager Synagoge sind die Namen all der Hauptstadteinwohner aufgeführt, die den Holocaust nicht überlebten, in einer anderen findet man ein Bild, welches Petr im Tereziner Ghetto gezeichnet hatte.

Auch in Theresienstadt selbst, wo Petr und andere Jungen die Untergrundzeitung Vedem verfasste, gibt es Werke von ihm zu sehen.

Von Petr Ginz geschriebenes und von Nizza Thobi vertontes Gedicht.

Wer sich mit der Geschichte der Prager Juden beschäftigen möchte, wird unweigerlich auf die von Petr Ginz stoßen, der in anderer Zeit ein großer Journalist, Schriftsteller oder Wissenschaftler hätte werden können. Wer kann, besorge sich die antiquarische Ausgabe des Tagebuchs eines Jungen, der auch Geschichten im Stil von Jules Verne schrieb, den er bewunderte. Heute würde man von einer der ersten Fanfictions sprechen. Leider wurde diese bisher nicht übersetzt.

Seine Prager Tagebücher, die denen in der Beobachtungsgabe von Anne Frank in nichts nachstehen, jedoch schon. Sie seiem jedem zur Lektüre empfohlen.

Vzpominka na Prahu – Petr Ginz

Weiterführende Links:

Website über Petr Ginz – Mehr Informationen

The last flight of Petr Ginz

Schule – Judentum / Petr Ginz

Der virtuelle Spendenhut

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Jeremy Dronfield: Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte

Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte Book Cover
Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte Autor: Jeremy Dronfield Droemer Erschienen am: 30.12.2020 Seiten: 460 ISBN: 978-3-426-27804-8 Übersetzerin: Ulrike Strerath-Bolz

Inhalt:
Wien, 1938. Gustav Kleinmann und sein Sohn Fritz werden von den Nazis verhaftet, weil sie Juden sind. Im Konzentrations-lager Buchenwald beginnt für beide eine unvorstellbare Tortur, die mehrere Jahre dauern wird.

Doch der Liebe und dem Vertrauen zwischen Vater und Sohn kann die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie nichts anhaben: Als Gustav nach Auschwitz deportiert wird, beschließt Fritz, ihm zu folgen…

Aus nächster Nähe erzählt Jeremy Dronfield die erschütternde Geschichte zweier Holocaustüberlebender: von Hunger, Misshandlungen und ständiger Todesangst – aber auch von Freundschaft, Solidarität und tiefster Menschlichkeit im Angesicht des Unmenschlichen. (Klappentext)

Rezension:

Viel ist schon über den Holocaust, das größte Verbrechen der Menschheit, geschrieben wurden. Zahlreiche Erinnerungen wurden niedergeschrieben, Interviews veröffentlicht. Überall in Europa wird an die sechs Millionen Menschen erinnert, die den grausamen Terrorregime der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

Braucht es da noch eine weitere Veröffentlichung? Eine weitere Erinnerung, die für die Nachwelt aufbereitet und verbreitet wird? Beispiele wie der Anschlag in Halle und die immer noch schwelende Diskriminierung von zu vielen zeigen, dass dies notwendig ist.

Jeremy Dronfield hat nun die Erinnerungen von einer weiteren Familie ausformuliert, so dass auch diese nicht in Vergessenheit gerät. Der anerkannte Geschichtswissenschaftler führte Interviews mit Kurt Kleinmann, dessen Wiener Familie 1938 nach der Besetzung Österreichs ins Visir der Nazis geriet, sichtete Briefe und durchsuchte Archive.

Heraus kam ein erschütterndes Porträt. In der Form eines literarischen Sachbuchs hält sich der Autor streng an Fakten, konstruiert Begebenheiten und Gespräche anhand von Briefen und tagebucheinträgen, lässt so Kurts Geschwister, vor allem seinem älteren Bruder Fritz, Hauptprotagonist des Buches, wieder lebendig werden, sowie seinen Vater, der es schaffte, seinen Optimismus selbst in dunkelster Zeit beizubehalten.

Klatsch – er liegt auf allen Vieren,
doch der Hund will nicht krepieren!

Gustav Kleinmann

Erzählt wird praktisch aus der Vogelperspektive den einzelnen Lebenslinien der Familienmitglieder nach. Die eine Schwester schafft es etwa nach England, das jüngste Kind Kurt entkommt den Häschern nach Amerika.

Besonders beeindruckend jedoch die gemeinsame Geschichte von Fritz und Gustav, die in Angesicht des Todes zusammenhalten. Fortwährend. Erschütternd, wie in aller Ausführlichkeit das Leid der Lebenden beschrieben wird. Zeile für Zeile immer näher an den Abgrund heran.

Am Anfang hatten sie stehen müssen, aber nach ein paar Tagen waren so viele von ihnen vor Kälte gestorben, dass man sich setzen konnte. Die Leichen wurden am Ende des Waggons aufgestapelt, ihre Kleidung wurde verteilt, um die Lebenden zu wärmen.

Jeremy Dronfield “Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte”

Kaum auszuhalten ist das. Man möchte vor Verzweiflung aufschreien. Unvorstellbar das Leid, welches Menschen anderen Menschen antun können.

Gerade dies hat der Autor sehr schön herausgearbeitet, lässt jedoch ebenso seine Leser an die Momente der Menschlichkeiten in Zeiten des Terrors teilhaben, die den Haupt- und anderen Protagonisten zuteil werden, die ihnen half durchzuhalten. Nachdenklich wirken Schreib- und Erzählstil, durch wenige Fotos ergänzt.

Mahnend, dass sich so etwas nie wiederholen darf.

Bitte, unbedingt lesen.

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Christian Goeschel: Mussolini und Hitler

Mussolini und Hitler - Die Inszenierung einer faschistischen Allianz Book Cover
Mussolini und Hitler – Die Inszenierung einer faschistischen Allianz Christian Goeschel Rezensionsexemplar/Sachbuch Suhrkamp Hardcover Seiten: 476 ISBN: 978-3-518-42891-7

Inhalt:
Öfter als jedes andere Duo westlicher Staatschefs jener Zeit trafen sich Mussolini und Hitler, die Diktatoren an der Spitze Italiens und des Deutschen Reichs.

Die Inszenierung der Freundschaft sollte nach außen Einheit und Macht demonstrieren, nach innen Volksnähe vermitteln, doch war sie nur wenig mehr als ein Zweckbündnis, welches sich verselbstständigte.

Beide Männer konnten sich persönlich nicht leiden, waren zunehmend aneinander gebunden, stürzten schließlich Europa und sich selbst in den Abgrund.

Christian Goeschel analysiert die choreographierte Diktatorenfreundschaft im Zeitalter der Massenmedien und zeigt, was geschehen kann, wenn in der Politik Performance und Macht miteinander verschmelzen. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Kaum ein Ereignis hat in Folge seiner Aufarbeitung so viel Literatur hervorgebracht, wie die größte aller Katastrophen unserer Geschichte.

Um so schwieriger ist es, einen neuen Ansichtspunkt zu finden, der die Betrachtung lohnt, doch ein Blick in die Archive, in private und öffentliche Korrespondenzen fördert auch heute noch Interessantes und Erschreckendes zu Tage.

Der Historiker Christian Goeschel hat einen solchen Ansatz zu einer an sich bekannten Thematik gefunden. Ergebnis seiner Recherchen ist vorliegendes Werk.

Kein anderer Krieg war so zerstörerisch und so mörderisch, wie dieser. Als Europa in Trümmern lag, hatte dieser Millionen von Menschen das Leben gekostet. Heraufbeschworen hatten ihn Diktatoren, in deren Ländern der Weltenbrand, den sie einst ausgelöst hatten, nach sechs Jahren zurückkehrte.

Einer der Männer wurde erschossen und seine Leiche in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, der andere entzog sich der Verantwortung durch Selbstmord. Doch, wie konnte die Allianz von Hitler und Mussolini, die eine Freundschaft inszenierten, die es so nie gab, einen Kontinent in den Abgrund stürzen?

Welche Rolle spielten persönliche Sympathien, welche die Vorurteile der Diktatoren für dieses Bündnis, welches sich schnell außerhalb der Kontrolle beider verselbstständigen sollte?

In diesem Sachbuch stellt der Historiker Goeschel die Entwicklung eines Bündnisses dar, welches durch erstaunlich dünne Fäden zusammengehalten wurde.

Er analysiert die Gründe, welche die Diktatoren aneinander banden und gemeinsam in den Abgrund stürzten, wie auch sie ihre Länder und die halbe Welt in Schutt und Asche legten. Kühle Analyse trifft hier auf Logik, so dass die Thematik selbst dann zugänglich wird, wenn man sich nur rudimentär für diesen Teil der Geschichte interessiert.

Dennoch bekommt man durch die Lektüre eine Fülle von neuen Informationen oder anderen Blickwinkeln, die sich dann eröffnen.

Christian Goeschel weiß zu interessieren, beschränkt sich jedoch auf’s Wesentliche. Daran sollte man denken, wenn die unzähligen Treffen von Mussolini und Hitler in ihrer Ausführlichkeit detailliert beschrieben werden.

Gefühlt gibt dies Längen in der Lektüre, die jedoch die Komplexität der sich verselbstständigten Dynamik zweier Diktatoren aufzeigt und folgerichtig darstellt. Die Kapitel sind logisch gegliedert. Ein Bildteil dient der Veranschaulichung.

Grundlage bildet eine umfangreiche Recherche, wie das Quellenmaterial erschließen lässt und die Zusammenarbeit, der Austausch mit anderen renomierten Historikern. Diese trugen ungemein zum Gelingen bei.

Hitler und Mussolini im Hinblick ihrer inszenierten Freundschaft, die sich als Bild in den Köpfen der Menschen verselbstständigte und die Dynamik der daraus folgenden Prozesse, deren tödliche Spur sie noch gewollt verstärkten. Eine sehr interessante Analyse.

Autor:
Christian Goeschel wurde 1978 geboren und ist Historiker. Er lehrt an der Universität Manchester und forscht über Interaktion zwischen Politik, Kultur und Gesellschaft in der jüngeren Geschichte.

Zu seinem bemerkenswerten Arbeiten gehört die im Jahre 2011 erschiene Ausarbeitung “Selbstmord im Dritten Reich”. Er unterrichtet Europäische Geschichte.

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Christopher R. Browning: Ganz normale Männer

Ganz normale Männer Book Cover
Ganz normale Männer Christopher R. Browning Rowohlt Erschienen am: 01.09.1999 Seiten: 331 Übersetzer: Jürgen Peter Krause ISBN: 978-3-499-60800-1

Inhalt:
Im Sommer 1944 wurde ein Batallion der Hamburger Polizeireserve, etwa 500 Männer, die zu alt zum Dienst in der Wehrmacht waren, nach Polen zu einem Sonderauftrag gebracht.

Dort wurde ihnen eröffnet, dass sie die jüdische Bevölkerung in den polnischen Dörfern aufzuspüren, Arbeitsfähige auszusondern und die Übrigen, Alte, Frauen und Kinder, auf der Stelle zu erschießen hatten. Vor ihren Einsatz machte der Kommandabr den Männern ein Angebot.

Wer sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, könne sein Gewehr abgeben und würde für eine andere eingesetzt. Nur etwa 12 Männer traten vor. Wie ist es zu erklären, dass “ganz normale Männer” zu Massenmördern würden? (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Der Klappentext gibt genügend Auskunft über den Inhalt, so dass man darüber nicht weitere Worte verlieren muss. Eine, im Gegensatz zu anderen Einheiten, die an Massenmorden im Zweiten Weltkrieg beteiligt waren, dichte Quellenlage ist die Grundlage für das vorliegende Werk, welches jetzt nochmals als Taschenbuchversion aufgelegt wurde.

Detailliert schildert der Autor, der historischen Genauigkeit wegen, die Grausamkeiten des Krieges in Bezug auf ein Batallion der Hamburger Polizeireserve und behandelt damit die Frage, wie aus ganz normalen Männern, Massenmörder werden konnten.

Das teilweise sehr anstrengend kompliziert geschriebene Werk, keinesfalls leichte Lektüre, die man mal ebenso nebenher lesen kann, ist Gegensatnd eines Historikerstreits, der nach der Erstveröffentlichung folgte.

Goldhagen, der mit seinem Buch “Hitlers willige Vollstrecker” für Aufmerksamkeit sorgte, kritisiert den Autoren des vorliegenden Werks in dem Punkt, dass Browning den Einfluss der deutschen Kultur auf den Holocaust missachten würde.

Browning wirft seinem Kollegen widerum Doppelbödigkeit und Inkonsequenz in der Schlussfolgerung aufgrund dessen eigener Thesen vor. Klingt nicht einfach? Ist es auch nicht und so müssen, um sich ein klares Bild zu verschaffen, wohl beide Werke parallel gelesen werden.

Mit der Neuauflage ist dies gut möglich, da zunächst das eigentliche Buch vorliegt, dann in einem speziellen Nachwort der Autor auf Goldhagens Thesen, Analysen und Schlussfolgerungen eingeht. Die Wahrheit wird dann wohl irgendwo in der Mitte liegen, jedoch ist die Historie allemal interessant und erschütternd.

Besondere Zeiten schaffen Voraussetzungen für besondere Menschen, leider auch im Schlechten und kehren unsere schlimmsten Eigenschaften hervor.

Dazu Druck, Indoktrination und Vereinnahmung und schon sind wir dazu fähig, anderen Dinge anzutun, die wir uns vorher nicht hätten vorstellen können. Browning zeigt auf, wie ganz normale Männer zunächst mit Abscheu auf ihren Auftrag des Regimes reagierten und nach und nach zu willigen Handlangern der Nazis wurden.

Dieses Werk zeigt exemplarisch an einer Einheit, wie das NS-Regime funktionieren und seine grausame Ideologie umsetzen konnte, ist jedoch keine Lektrüe für Zwischendurch.

Zahlreiche in jedem Satz geseteckte Informationen, machen das Buch eher Lesern zugänglich, die sich bereits entweder Goldhagens Werk zu Gemüte geführt haben, der sich teilweise auf die gleichen Quellen stützt oder sich von vornherein für die Thematik interessieren. Für Jemanden mit “Erstkontakt” mit diesen Themen empfiehlt sich dieses Buch eher nicht.

Autor:
Christopher R. Browning wurde 1944 geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker. Er ist emeritierter Professor der University of North Carolina. Zunächst studierte er Geschichte, deren Professort er 1999 iin North Carolina erhielt, welche er bis 2014 ausübte.

Im Jahr 2006 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Bekanntheit erlangte er in der Auseinandersetzung Daniel Jonah Goldhagens (“Hitlers willige Vollstrecker”) mit seinem Werk “Ganz normale Männer”, welches 1992 errstmals veröffentlicht wurde.

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Claudia Weber: Der Pakt

Der Pakt Book Cover
Der Pakt Claudia Weber C.H. Beck Erschienen am: 18.07.2019 Seiten: 276 ISBN: 978-3-406-73531-8

Inhalt:
Im Zweiten Weltkrieg waren Nazideutschland und die Sowjetunion nicht nur erbitterte Gegner, sondern vorübergehend auch Verbündete.

Der Pakt war mehr als das politische Zweckbündnis, das Hitlers Überfall auf Polen erlaubte und den Krieg für die Sowjetunion hinauszögerte. Seine Wirkung blieb nicht nur auf Osteuropa beschränkt, auch wenn beide Mächte ihren Gewaltfuror dort entfesselten. Claudia Weber zeichnet nach, wie Hitler und Stalin einen ganzen Kontinent in weniger als zwei Jahren ins Verderben stürzten. (Klappentext)

Rezension:
Monate vor Kriegsbeginn horchte die Welt auf. Neben den offiziellen Meldungen machten Gerüchte die Runde. unglaublich und unerklärlich für die Völker Europas nicht zuletzt auch für die Deutschen und die Russen selbst.

Deren oberste politische Führungen, die sich ideologisch diametral gegenüber standen, gingen zum handschlag über und hatten einen Pakt geschlossen, den sich niemand ob der vergangenen feindlichen Rhetorik und entgegengesetzten Weltanschauungen erklären konnte. Was also, steckte dahinter?

Claudia Weber begibt sich auf Spurensuche in politischen und privaten Archiven, zwischen Moskau und Berlin. Die Professorin für Zeitgeschichte rekonstruiert die Ereignisse, die dem Schlimmsten aller Kriege vorausgingen, den es je gegeben hat.

Das vorliegende Werk ist das Ergebnis ihrer unermüdlichen Recherchearbeit, die dennoch nicht alle Geheimnisse aufdecken konnte. “Der Pakt”, zeigt dennoch auf, wie zwei Diktatoren Europa unter sich aufteilten und für Jahre in den Abgrund stürzten.

Im C.H. Beck Verlag erschienen, der sich hiermit wieder einmal der Aufarbeitung eines geschichtlichen Kapitels verdient gemacht hat, zeigt Claudia Weber auf, wie und warum die Bestandteile des Hitler-Stalin-Paktes beschlossen wurden, welche Gespräche und Überlegungen dem vorausgingen, welchen Nutzen und Vorteile sich die beiden Vertragspartner davon versprachen.

Die Historikerin zeigt, dass es hierbei nicht nur um die Aufteilung eines Kontinents ging, sondern auch um intensive wirtschaftliche Beziehungen, fernab aller Ideologien und strategischen Überlegungen.

Detalliert werden hier Konsultationen zwischen Deutschen und Sowjets geschildert, sowie die Interpretation ihrer direkten und indirekten Nachbarn, etwa den Polen oder den Briten.

Diese Ausgewogenheit ist notwendig zur zeitlichen Einordnung, gleichzeitig sehe ich einige Formulierungen, so wie sie zwischen den Buchdeckeln geschrieben stehen, kritisch, lenken sie doch die Sympathie manchmal auf die falsche Seite. Größtenteils gelingt es der Autorin jedoch, neutral zu sein, so dass dies nicht allzu sehr ins Gewicht fällt.

Kurzweilig und spannend wie ein Krimi liest sich die Historie zwischen den “two evils”, wie der damalige britische Premier Winston Churchill die Diktoratoren Hitler und Stalin bezeichnete, ihrem Streben nach Macht, Einfluss und territorialen Gewinnen, die Europa auf Jahrzehnte hinaus verändern sollten.

Insbesondere die von beiden Ländern vorab geknüpften, jedoch selten besprochenen, wirtschaftlichen Beziehungen werden hier haarscharf analysiert.

Aufgelockert durch zahlreiche Fotografien und Einbindung noch nicht zu häufig genutzten Quellenmaterials kann dieses Werk als Ergänzung und Vertiefung der Materie genutzt werden, zumal auch das Vertragsprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes selbst mit eingebunden ist, wie auch das geheime Zusatzdokument.

Claudia Weber schildert eindrucksvoll dieses Ereignis, welches dem Weltenbrand vorausging, der unmittelbare Folge davon zwingend sein musste. Trotz Abstrichen in manchen Formulierungen, sehr informativ geschrieben, empfehlenswert zu lesen.

Autorin:
Claudia Weber wurde 1969 geboren und ist eine deutsche Historikerin. Seit 2014 ist sie Professorin für Europäische Zeitgeschichte in Frankfurt/Oder. Zunächst studierte sie Lehramt in Leipzig, danach Südslavistik, Politik- und Osteuropawissenschaften.

Nach mehreren Zwischenstationen sind ihre Forschungsschwerpunkte die Gewalt- und Diktaturengeschichte des 20. Jahrhunderts, die Kulturgeschichte des Kalten Krieges, sowie die vergleichende Imperiengeschichte. Sie veröffentlicht reglmäßig Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.

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Michaela Küpper: Der Kinderzug

Der Kinderzug Book Cover
Der Kinderzug Rezensionsexemplar/Roman Droemer Hardcover Seiten: 348 ISBN: 978-3-426-28218-2

Inhalt:
Im jahr 1943 begleitet Barbara, Lehrerin, eine Gruppe Mädchen im Rahmen der sog. Kinderlandverschickung. Angst, gespannte Unruhe, begleitet die Gedanken der Kinder, die nicht wissen, was sie erwartet.

Eine Odyssee beginnt, die nicht nur die Kinder, sondern auch Barbara an ihre Grenzen führt. Immer mehr werden die Realität und die grausamen Methoden der Nationalsozialisten deutlicht. Schließlich verschwindet eines der Mädchen und ein polnischer Zwangsarbeiter wird verdächtigt. Barbara muss sich entscheiden. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Im Jahr 1943 bekamen die Deutschen entgültig die Auswirkungen des von ihnen verursachten Weltkrieges zu spüren. Städte wurden zerbombt, Lebensmittel waren schon längst rationiert, die Armeen an allen Fronten befanden sich auf den Rückzug.

Um Zugriff auf die Kleinsten zu haben, aber auch um sie zu schützen, wurden hunderte Kinder im Rahmen der sog. Kinderlandverschickung von ihren Eltern getrennt und beinahe schulklassenweise in vermeintlich sichere, zumeist ländliche, Gebiete verteilt. Ein großer Umbruch im Leben der Kinder und Jugendliche, die später diese als schönste oder schlimmste zeit ihres Lebens empfinden würde, ganz abhängig vom Erlebten.

So viel zur wahren Geschichte und zum Szenario, welches sich Michaela Küpper für ihren neuesten Roman “Der Kinderzug” vorgenommen hat. Der Leser begleitet eine Gruppe von Kindern, doch vor allem eine ihr zugeteilte Lehrkraft quer durch die Lande und erlebt die Schrecken dieser Zeit praktisch hautnah mit.

Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, in Form der Draufschau eines Tagebucheintrages etwa oder und vor allem durch die Ich-Erzählerin, die junge Lehrerin, Barbara, die als Identifikationsfigur dient.

Zum Greifen nah ist die Spannung der Ungewissheit sonderbarer Zeit und das Abwiegen zwischen der Notwendigkeit, einen gewissen Alltag zu leben und sich der sonderbaren Lage anzupassen. Letzteres vor allem, wenn Erwachsene und Kinder mit den Auswirkungen der großen Politik konfrontiert und von deren schlimmster Sorte zum Spielball degradiert werden.

Wie weit darf, muss man mitgehen, wann Haltung bewahren oder Kompromisse machen, um sich selbst und seine Schutzbefohlenen zu schützen? Michaela Küpper hat sich diesen Spannungsbogen vorgenommen und erzählt, zunächst langsam, was auch beim Lesen einige Längen verursacht, dann in einem immer schnelleren Tempo, die Geschichte.

Erzählt wird von den Auswirkungen einer menschenverachtenden ideologie auf das Leben der Jüngsten, die später einmal unsere Groß- und Urgroßeltern werden sollten, in Romanform.

Zur Geltung kommt aber auch das Engagement vieler Lehrkräfte, die sich für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendliche bis hinein in den letzten Kriegstagen einsetzten. In kurzweiligen Kapiteln, nur anfangs stört ein etwas flacher Erzählstil das gesamte Bild, gibt sich dann jedoch später, orientiert sich Michaela Küpper am roten Faden der Geschichte und erzählt die von ihr gesponnene.

Mit zunehmender Seitenzahl findet die Autorin mittel und Wege zu beschreiben, Emotionen aufkeimen und wirken zu lassen und wird von Zeile zu Zeile stärker.

Die große Politik und die Auswirkungen des Krieges, die die Welt in eine Katastrophe stürzte, wird hier geschickt in eine gut nachvollziehbare Romanhandlung verpackt. In allen Perspektiven.

Unterstützt wird der Roman durch ein starkes Nachwort der Autorin, ebenso wie ein Quellenverzeichnis, welches in Auszügen die Recherchearbeit im Vorfeld des Schreibens verdeutlicht. Bitte mehr von solchen Romanen und auch von Michaela Küpper, von der ich gespannt wäre, noch mehr zu lesen.

Autorin:
Michaele Küpper ist eine deutsche Autorin. Nach einer Jugend in Bonn, studierte sie in Marburg Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Nach einem Volontariat war sie als Projektmanagerin für einen Verlag tätig. Heute arbeitet sie als freie Autori und Illustratorin.

Im Jahr 2011 wurde sie für den NordMordAward nominiert, ein Jahr zuvor erhielt sie die Nominierung für den Krimipreis der Stadt Frauenfeld (Schweiz). Neben Kurzgeschichten schrieb sie bereits mehrere Romane. Heute lebt sie wieder mit ihrer Familie im Rheinland.

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