2017

Lois Pryce: Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren…

Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren... Book Cover
Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren… Lois Pryce Dumont/mairdumont Erschienen am: 25.09.2017 Seiten: 330 ISBN: 978-3-7701-6681-7 Übersetzerin: Monika Baark

Inhalt:

Eine Frau, ein Motorrad und die wagemutigste Reise ihres Lebens…

Eines Tages entdeckt Lois Pryce in London einen Zettel an ihrem weitgereisten Motorrad: Eine persönliche Einladung in den Iran, geschrieben von einem Fremden namens Habib. Die Neugier der Abenteuerin ist geweckt.

Dass Frauen im Iran offiziell gar kein Motorrad fahren dürfen… und alle Bekannten ihr dringend davon abraten… geschenkt! Ihre ebenso mutige wie überraschende Reise in den echten Iran kann beginnen: 5000 Kilometer mit Helm und Hidschab – und zahllosen unvergesslichen Begegnungen. (Klappentext)

Rezension:

Heutzutage kann man die großen Abenteuer immer dann erleben, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen. Oft passiert genau dann unerwartetes. Fur Lois Pryce beginnt dies mit einem Zettel, den ein Wildfremder an ihr Motorrad heftete. Mitten in der Londoner Innenstadt.

Es ist die Zeit des Tiefpunkts diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Iran, und doch bekommt Pryce eine Einladung, sich dieses Land anzuschauen.

Nun ist die Abenteuerin weit gereist und in Groß-Britannien keine Unbekannte, doch die Ungewissheit ist da. Was würde sie, abseits der Bilder, die in den Medien kursierten, erwarten? Ein, besonders in bezug auf Frauen, rückständiges Land oder etwas völlig anderes?

Lois Pryce macht sich auf den Weg. Mit Hidschab und Motorrad, es herauszufinden. Das größte Abenteuer ihres Lebens beginnt.

Es ist ein beeindruckender Reisebericht, den Lois Pryce hier vorlegt. Genau wie sie ins kalte Wasser geworfen wurde, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise zwischen den Kulturen und erlebt was passiert, wenn man hinter den Vorhang der internationalen Presse blickt.

Sie entdeckt den Iran abseits der Politik, der zwischen Tradition und Moderne schwankt. Dessen Waage zu Gunsten der letzteren zu kippen beginnt. Pryce entdeckt die wörtlich zu nehmende persische Gastfreundschaft, persisches Essen, eine große Vergangenheit und Fallstricke in den Beziehungen beider Länder, aber auch, was passiert, wenn man auf die Menschen zugeht, sie anhört.

Was übrig bleibt vom Bild der Medien ist nicht viel, ein völlig anderer Eindruck entsteht. Einfühlsam beschreibt die Autorin ihren kritischen Blick auf das Land und die Begeisterung für die Herzlichkeit der Menschen, die dort leben. Das Bild wandelt sich von Seite zu Seite, natürlich nicht kritiklos, doch ist die Autorin ganz Abenteuerin erst einmal ins Gelingen verliebt. Und dies geschieht auch.

Eine Annäherung zweier so gegensätzlicher Welten ist möglich, von den Iranern gewollt, von dessen Mächtigen gefürchtet, von der westlichen Welt kritisch beäugt. Der autoritäre Staat ist im Privatleben der iraner beriets durchlässig, rissig. Immer mehr Iraner streben nach westlichen Werten und trotzden den autoritären Mullahs.

Die Reise einer Frau in ein Land, dessen Zukunft gerade erst begonnen hat, gespalten zwischen den Welten religiöser Vorgaben und westlichen Sehnsüchten.

Spannend und nahbar erzählt, ein erstaunlicher Roadtrip durch eine wahrhaft faszinierende Landschaft und interessanten Begegnungen. Von heiklen Grenzübertritten in das Verkehrschaos Teherans bis hinein in die Stadt der Poesie. Und der Blick auf das Land der “Achse des Bösen” wird ein völlig anderer sein.

Autorin:

Lois Pryce wurde 1973 in Aberdeen geboren, wuchs in Bristol auf und ist eine britische Autorin und Journalistin. Sie ist Gründerin und Kuratorin des Adventure Travel Film Festivals:und verfasste mehrere Bücher über ihre Abenteuerreisen mit Motorrad.

Sie schreibt freiberuflich für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, nachdem Sie ihre sichere Stelle bei der BBC aufgab, um in der Welt Abenteuer zu erleben. Die britische Zeitung “The Telegraph” zeichnete sie als eine der “zehn größten Abenteuerinnen unserer Zeit” aus.

Seit 2002 lebt sie in London.

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Edward Brooke-Hitching: Atlas der erfundenen Orte

Atlas der erfundenen Orte Book Cover
Atlas der erfundenen Orte Edward Brooke-Hitching dtv Verlag Erschienen am: 13.10.2017 Seiten: 256 ISBN: 978-3-423-28141-6

Inhalt:

Kalifornien als Insel, versunkene Königreiche und das irdische Paradies – diese und andere gefühlten Fakten haben Kartografen quer durch die Jahrhunderte fein säuberlich in ihren Atlanten festgehalten.

Dabei hatten manche dieser Phantome ein erstaunlich langes Leben.

Nach einer im 17. Jahrhundert der Phantasie entsprungenen Insel im Golf von Mexiko etwa hat man bis 2009 gesucht. Dann gab man sich geschlagen. Wo nahm der Irrglaube seinen Anfang?

Warum wurden geografische Orte aufgezeichnet, die es gar nicht gab? Und was faszinierte die Menschen an all den bizarren Geschichten und Gestalten? Die hier vorgestellten historischen Karten präsentieren neben mancher tatsächlichen Entdeckung von Reisenden und Forschern vor allem Erfindungen und Irrtümer.

Zusammen mit spannenden Begleittexten ergeben sie ein amüsantes Buch zum Blättern, Staunen und Wundern. (Verlagstext)

Rezension:
Die Zeiten großer Entdeckungen sind vorbei. Die Suche nach einem Seeweg für den Handel mit Indien brachte Erkenntnisse über einen neuen Kontinent, mehrere Polarexpeditionen suchten freie Routen und kartografierten das ewige Eis.

Der Kontinent Australien gehörte zu den letzten großen Landmassen, die erforscht wurden. Küstenwinkel und Flussläufe wurden spätestens auf den Karten mit Hilfe von Satelliten korrigiert. Was also bleibt? Gibt es noch weiße Flecken in unseren Atlanten?

Oder gar Fehler, die die großen Entdecker und Forscher der Menschheit auf Papier zeichneten, veröffentlichten und die uns heute immer noch durch unser Leben begleiten, wo uns nahezu jeder Winkel der Welt offensteht?

Edward Brooke-Hitching begab sich auf die Suche. Herausgekommen ist eine spannende Reise durch Karten, Globen und Atlanten zu den phantastischen Auswüchsen der Geografie. Orte, die es gar nicht gibt. Es sind Legenden und Erzählungen, auf die kartografische Einträge beruhen, die sich oft erst Jahrhunderte später als Irrtümer erwiesen.

Es ist die Geschichte von mordenden Polarforschern, Hochstaplern und Schwindlern, aber auch von Forschern und Expeditionen, die Ruhm und Ehre für ihre Geldgeber einheimsen wollten und einfach Naturphänomenen aufgesessen sind.

Herausgekommen dabei sind unzählige Inseln, ganze Länder und Meere, die es nie gegeben hat, aber von den Menschen lange Zeit als real existent angesehen wurden. Die Geschichte einer Bergkette, die den gesamten afrikanischen Kontinent durchzieht ist ebenso spannend, wie die Vorstellungen von einem Meer inmitten der Trockenheit Australiens oder Kalifornien als Insel, vom restlichen Amerika getrennt.

Der Autor hat ausführlich recherchiert und sich auf die Suche begeben, nach diesen Geschichten, die die Geografie besonders spannend bereithält und Kartenmaterial zu etwas erstaunlich Lebendigen machen.

Ganze Inseln “wanderten” über die Jahrhunderte durch die Welt. Je größer der Wissensstand wurde, um so vielfältiger und genauer geografische Bestimmungen. Um so schwieriger wurde es jedoch auch, zwischen Lüge und Phantom, Wahrheit und Realität zu unterscheiden.

Sandy Island beispielsweise wurde erst 2012 vond en Landkarten getilgt, während die Royal Navy schon mal in den vergangenen Jahrhunderten 123 Inseln von ihren Seekarten strich, darunter auch noch drei existierende. Die dichte und ausführliche Recherche-Arbeit, das Interesse und die Faszination der Thematik merkt man dem Autor mit jeder Zeile an.

Reich bebildert, in hochwertiger Aufmachung, ist es Brooke-Hitching gelungen, ein staubtrockenens Thema auch Lesern näher zu bringen, die sich mit Geografie höchstens in der Form beschäftigen, wenn sie die Route zum Urlaubsort planen.

Doch, unsere Welt verbirgt spannende Geheimnisse, die es zu entdecken und Entdeckungen, die es zu hinterfragen gilt. Wir glauben, alles zu wissen oder zumindest wissen zu können, wissen dennoch so wenig. Wir vertrauen unseren Navis so viel mehr als unseren eigenen gesunden Menschenverstand, doch sind wir erschüttert, wenn sich geglaubte tatsachen als Täuschungen erweisen.

Der “Atlas der erfunden Orte”, hat einige davon versammelt. Brooke-Hitchings Werk sollte man auf jeden Fall in der Nähe seiner Atlanten griffbereit halten. Es lohnt sich auf den Globus zu schauen. Manchmal spielt das Auge uns, wie auch den vermeintlichen Entdeckern, einen Streich, manchmal sitzen wir Betrügern auf. Der “Atlas der erfunden Orte”, ermahnt uns, genauer hinzuschauen.

Noch sind nicht alle Entdeckungen gemacht und andere hinterfragt. Dazu ist die Welt eifnach zu groß und zu faszinierend.

Ansichten:

https://www.instagram.com/p/Ba4mfJKFSFX/?taken-by=findosbuecher

Autor:
Edward Brooke-Hitching ist Sohn eines Antiquars und arbeitete bei mehreren Zeitungen und am Theater, bevor er einen Abschluss in Filmwissenschaft an der University of Exeter machte. Als Dokumentarfilmer gewann er mehrere Preise.

Im Jahr 2016 wurde seine “Enzyklopädie der vergessenen Sportarten” veröffentlicht. Ausgangspunkt zu seiner Recherche geografischer phänomene war eine alte Landkarte im Familienbesitz. Brooke-Hitching sammelt Werke über englische Forscher und Entdecker und lebt in London.

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Alexandra Endres: Wer singt, erzählt – Wer tanzt, überlebt

Wer singt, erzählt - wer tanzt, überlebt Book Cover
Wer singt, erzählt – wer tanzt, überlebt Alexandra Endres mairdumont Erschienen am: 10.07.2017 Seiten: 281 ISBN: 978-3-7701-8284-8

Inhalt:

Von der Karibikküste über die Anden bis an den Pazifik – Alexandra Endres taucht ein in den Alltag und die Rhythmen Kolumbiens. Sie lauscht den Cantaoras von Cali und den Rappern von Medellin. Sie folgt den Spuren von Gabriel Garcia Marquez in Cartagena und begegnet den heiligen Männern der Arhuaco, die im Gebirge von Santa Marta das Gleichgewicht der Welt bewahren. Ein Reiseabenteuer für jeden, der Kolumbien in seiner ganzen Vielfalr verstehen möchte. (Klappentext)

Rezension:

International bestimmt der Drogenhandel oder der Raubbau an Gold und Kohle, der schlimmste Umweltzerstörungen hinterlässt, die Schlagzeilen, positive Meldungen berichten vorsichtig von den schwierigen Bemühen um Frieden in einem zerrüttelten Land.

Und doch ist die Bevölkerung sehr gastfreundlich und zugänglich, das positive Denken steht im Vordergrund und alle werden aufrecht gehalten durch die Klänge südamerikanischer Musik. Die Rede ist von Kolumbien, ein Land voller Gegensätze. Hier ist das Gefälle zwischen Arm und Reich, abgesehen vielleicht von Mexiko, besonders groß, doch wird hier nicht weniger als das Gleichgewicht der Welt bewahrt.

Alexandra Endres begibt sich auf Spurensuche, dieses Mal, nach allen kritischen Berichten, die sie über Politik, Wirtschaft und den Zustand des Landes geschrieben hat, die schönen Seiten Kolumbiens zu entdecken. Herausgekommen ist ein Länder-Portrait, welches umdenken lässt. Abseits der typischen Klischees beschreibt Alexandra Endres zielgerichtet ihre Eindrücke, die sehr facettenreich ein völlig anderes Bild ergeben, als das, welches man von Kolumbien in den Medien kennt.

Die Rede ist von Hoffnungsträgern und Menschenrechtlern, Planern und den Ureinwohnern dieses Landes, die Rede ist von Vergebung und Frieden, aber auch dem Überwinden von Grenzen in den Köpfen der Menschen.

Die Autorin zeigt, wie die Bevölkerung die zarten Bande des Friedens knüpft, Angst jedoch hat, vor erneuten Terror und Zerstörung, jedoch auch, wie die Menschen versuchen, das es gelingt. Ein friedliches und zukunftsorientiertes Land für alle Einwohner Kolumbiens.

Feinfühlig beschreibt sie das Leben der Menschen, die sie trofft, was sie bewegt und antreibt, welche Hoffnungen und Wünsche, aber auch Ängste, sie haben. Wir reisen in die (teiilweise schwer) zugänglichen Regionen des Landes, erleben Gesang und Tanz, pure Lebensfreude und Männer und Frauen, die sich und andere noch lange nicht aufgegeben haben.

Ein Land auf schwierigen Pfaden. Aber, im Aufbruch. Der Leser begleitet die Autorin. Fast ist es, als stünde man neben ihr im überfüllten Überlandbus oder schwitze in der tropischen Hitze den letzten Tropfen Wasser aus seinem Körper, nur um das Kolumbien von heute zu erfahren und zu begreifen.

Diese Strapazen lohnen sich. Das lateinamerikanische Land ist so vielfältig wie überraschend. Gut recherchiert, mit interessanten weiterführenden Tipps und einem helfenden Glossar kolumbianischer Begrifflichkeiten, findet der Leser sich schnell ein, in einem Land, welches beschlossen hat, in Frieden zu leben. Der Leser wird danach ein völlig anderes Bild haben. Das, eines wahrhaft faszinierenden und interessanten Landes, welches sich lohnt, zu entdecken. Es unbeobachtet zu lassen, wäre fatal, denn Kolumbiens Zukunft, sie hat gerade begonnen.

Autorin:

Nachd er Schule studierte Alexandra Endres in Köln Volkswirtschaft in Kombination mit Realpolitik, bevor sie Redakteurin bei der FAZ wurde und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wirtschaftsgeographischen Institutes der Uni Köln.

Seit 2006 arbeitet sie für ZEIT Online und unternimmt immer wieder Reisen nach Südamerika. 2014 arbeitete sie als Gastredaktuerin für eine kololumbianische Zeitung.

Die südamerikanischen Länder (die sie immer wieder bereist), ihre Rohstoffe und Ressourcen, sowie Entwicklung und Menschenrechte gehören zu ihren Hauptthemen. 2016 bereiste sie Kolumbien erneut. Ihre erlebnisse veröffentlichte sie auf ihren Blog und ausführlich in Buchform.

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Virginia Macgregor: Der Junge, der mit dem Herzen sah

Der Junge, der mit dem Herzen sah Book Cover
Der Junge, der mit dem Herzen sah Virginia Macgregor Manhattan Verlag Erschienen am: 15.05.2017 Seiten: 413 ISBN: 978-3-442-48632-8

Inhalt:

Der neunjährige Milo leidet unter Retinitis Pigmentosa: Sein sehvermögen lässt immer stärker nach, irgendwann wird er vollständig erblinden. Noch aber sieht er die Welt – wenn auch nur wie durch ein Nadelöhr. Doch so bemerkt er Kleinigkeiten, die anderen entgehen.

Als seine 92-jährige Urgroßmutter dement wird und in ein Altenheim umziehen muss, fallen Milo dort seltsame Vorgänge auf. Die Erwachsenen interessieren sich für Milos Erkenntnisse nicht, und so bleiben ihm nur der Koch Tripi und sein Ferkel Hamlet, um ihm bei seiner Mission zu helfen.

Milo ist nämlich entschlossen, seine “Gran” wieder nach Hause zu holen, die Machenschaften der Heimleiterin offenzulegen und -vielleicht- seine Eltern zu versöhnen. (Klappentext)

Rezension:

Besondere Schicksale fördern besondere Begabungen und Geschichten. So auch die Krankheit Retinitis Pigmentosa. Weitgehend unbekannt, da selten, handelt es sich um eine Netzhautdegeneration, bei der die Photorezeptoren absterben.

Meist im Kindesalter mit den ersten Symptomen auftretend wird das Augenlicht immer weniger, bis der Betroffene schließlich vollständig erblindet. Selten genug ist dies, so dass man hieraus eine spannende Geschichte hätte schreiben können. Virginia Macgregor legt hier uns jedoch “Der Junge, der mit dem Herzen sah”, vor.

Der im deutschsprachigen Raum, im Manhattan-Verlag, erschienene Roman, ist so weichgespült, wie das bonbonblaue Cover vermuten lässt, gleichwohl man aus der Gestaltung heraus ja nie Schlüsse über die Geschichte ziehen sollte.

Tatsächlich ein schöner Schreibstil, der Hauptprotagonist einfach nur niedlich, ist die Handlung jedoch so vorhersehbar, dass es kaum Spaß macht, diese zu verfolgen. Die Protagonisten, im ersten Drittel sehr nervtötend, sind entweder zu kindisch oder im Falle des neunjährigen Milos, zu erwachsen handelnd.

Man darf zwar annehmen, dass Kinder in manchen Situationen schneller lernen müssen, wie Erwachsene zu funktionieren und bestimmte Abläufe einfach abspulen können, aber bitte nicht so, in diesem Übermaß.

Dekoriert mit einer Schicht Zucker erzählt die Autorin ein Krankheitsdrama, über die Auswirkungen falscher Berufswahl, den Pflegenotstand, Flüchtlingsdrama, Scheidungs- und Armutsgeschichte, und das ist einfach zu viel des Guten.

Als wollte man den Leser unbedingt darauf stoßen, unbeding die eine oder andere Träne zu vergießen. Das funktioniert so nicht. Die Handlungsstränge, einzeln für sich, hätten allesamt Stoff für eine gute Erzählung gegeben, in dieser Form jedoch passt das nicht zusammen.

Vor allem nicht, wenn man die Verantwortung auf die Schultern eines Kindes ablädt, der sowie so schon gestraft genug ist.

Die kurzgehaltenen Kapitel und der Schreibstil sind angenehm zu lesen, die Erzählstränge irgendwie logisch, kommen aber in dieser Form und Bündelung kaum beim Leser ein. Insgesamt zu viel des Guten.

Zwei drei Handlungsstränge weniger und hundert Seiten mehr, hätten diesen Roman zu etwas ganz Besonderen machen können, wie das Krankheitsbild etwas Besonderes ist.

So aber bleibt eine Geschichte, die an der Oberfläche bleibt und mit Ausnahme der Liebe eines Kindes zu seinen Mitmenschen, nicht tiefschürfender wird.

Autorin:

Virginia Macgregor ist in England, Deutschland und Frankreich aufgewachsen, studierte nach der Schule in Oxford. Neben ihren Beruf als Englisch-Dozentin und Hauslehrerin begann sie regelmäßig zu schreiben.

“Der Junge, der mit dem Herzen sah”, ist ihr erstes Buch. Inzwischen sind weitere Romane erschienen, die in verschiedenen Sprachen übersetzt wurden. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Berkshire.

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Joseph Joffo: Ein Sack voll Murmeln

Ein Sack voll Murmeln Book Cover
Ein Sack voll Murmeln Joseph Joffo Erfahrungsbericht Verlag ullstein Taschenbuch Seiten: 335 ISBN: 978-3-548-29026-3

Inhalt:
Zwei Jungen fliehen durch das kriegsversehrte Frankreich: Die beiden Brüder Joseph und Maurice sind zehn und dreizehn Jahre alt, als sie sich 1942 auf die Flucht aus Paris begeben.

Mit fünfzig Francs in der Tasche schlagen sie sich durch in die noch freie Zone, entkommen der Gestapo, verlieren ihre Familie – und nehmen sich in den trübsten Stunden Zeit für ein kleines Fußballmatch, zum Murmelspielen oder für trickreiche Schwarzmarktgeschäfte. Die einzigartige Geschichte zweier Jungen, die sich – um eine unbeschwerte Kindheit gebracht – immer ihren Galgenhumor bewahren. (Klappentext)

Rezension:
Ein Sack voll Murmeln wird eingetauscht gegen einen gelben Stern, den Joseph sich von seinem Hemd reißt. So verabschiedet sich der Zehnjährige von seinem besten Freund, ohne es zu wissen. Es ist einer seiner letzten Tage in Paris, einer der letzten seiner Kindheit. Die Vorzeichen richtig deutend, schickt der Vater seine Söhne alleine los, in die freie Zone, wo die Nazis noch keine volle Kontrolle haben. Mit fünfzig Francs in der Tasche machen sich die beiden Brüder auf eine Reise ins Ungewisse.

Im Nacken die Angst vor Enttarnung, Entdeckung und den Häschern der Nazis und Kollaborateuren. Die Flucht gelingt. Doch, auch die Tage der freien Zone sind gezählt. Bald finden sich Joseph und Maurice wieder, direkt in der Hölle. In den Fängen der Gestapo.

Erlebte Geschichte zählt zu den spannendsten Stücken, die es zu erzählen gibt, auch wenn man hier dem Autor wünschen würde, er hätte dies nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Doch, es ist seine und die seines Bruder Flucht vor den Nazis, von denen Joseph Joffo erzählt. Standartlektüre in französischen Schulen, die jetzt erneut für’s Kino adaptiert und neu übersetzt wurde.

Der Autor berichtet von den Ereignissen, die zu seiner Flucht von der besetzten Hauptstadt an der Seine führten, bishin zum sicher geglaubten Ziel, welches sich beinahe als tödliche Falle erweißen sollte. Mit nachdenklichen Ton berichtet er, aus Kindessicht, von menschlicher Grausamkeit, tiefer Angst und dem kleinen Glück inmitten von Terror und Zerstörung von Leben.

Menschen, die ihn Böses wollten, Menschen, die ihn aus unerfindlichen Gründen halfen, werden messerscharf und überlegt portraitiert.Der Leser nimmt beinahe die Stellung Joffos ein. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn der SS-Offizier den Zehnjährigen zum ersten, zweiten, dritten und vierten Verhör schleift, wenn der Zug für eine Razzia angehalten wird und es nicht die Jungs trifft, sondern eine bemitleidenswerte Frau, wenn mühsam aufgebautes Glück im nächsten Moment wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Den Tränen wird der Leser an manchen Stellen nah sein, an anderen sich das Lachen kaum verkneifen können. In dichter Abfolge sind die Ereignisse beschrieben, eben so wie diese in der Wahrnehmung des Kindes Joseph passierten.

Der einfühlsame Schreibstil, der sich an Erwachsene und jugendliche Leser gleichermaßen richtet, bringt diese besondere Kindheitsbiografie nahe, die sich einreiht in die schriftlichen Hinterlassenschaften etwa Anne Franks oder Petr Ginz’.
Diesmal in Romanform verpackt bleiben der Nachwelt erneut Erinnerungen an dunkle Zeiten erhalten, denen man sich nicht entziehen kann. Man lebt und leidet mit den Kindern Joseph und Maurice, möchte sie schützen und ihnen all das Leid und die Angst ersparen, die ihnen widerfährt.

Eine Kindheitsbiografie, welch Wort, gegen das Vergessen. Sie sticht heraus, da es sich hier um eine der wenigen französischen Erinnerungsaufzeichnungen handelt, die für den deutschsprachigen Markt übersetzt wurden. Wie in den Niederlanden und Deutschland Anne Frank hat Joseph Joffo für sein Land eine ähnliche Bedeutung. Diese sollten wir ihm auch hier messen.

Autor:
Joseph Joffo wurde 1932 in Paris geboren und floh als Kind vor den Häschern der Nazis in die freie Zone Frankreich, wo er nur knapp der Gestapo entkam.
Er schrieb 1971 seine Kindheitserinnerungen auf, die ein wenig später verfilmt wurden und auf den Bestsellerlisten Frankreichs zu finden waren. Für das Kino wurde das Buch erneut verfilmt, 2017, und ins Deutsche übersetzt. Seiner Familie gehören mehrere Friseursalons in Paris.

Verfilmung 2017:
Die Neuverfilmung ist dem Autoren, so schreibt er in einem Nachwort zur Neuauflage, lieber als die erste aus den 70er Jahren. Der Vater wird korrekter dargestellt, die Ereignisse sind ehrlicher, was heißt, härter dargestellt als im ersten Film.

Eben so, wie sie von Joseph Joffo wahrgenommen wurde. Es sei zudem gesagt, dass Christian Duguay für seinen Film einen großartigen Cast organisierte.
Allen voran Dorian Le Clerch als Joseoph Joffo spielt mühelos auf Augenhöhe mit den Erwachsenen, die nicht nur im französischen Kino bekannt sind.

Trailer zur Verfilmung “Ein Sack voll Murmeln”.

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Michael Gruenbaum: Wir sind die Adler

Wir sind die Adler Book Cover
Wir sind die Adler Michael Gruenbaum/Todd Hasak-Lowy Rowohlt Kindler Erschienen am: 22.04.2017 Seiten: 346 ISBN: 978-3-463-40679-4 Übersetzer: Jan Möller

Inhalt:

Michael -Mischa- erlebt eine behütete Kindheit in Prag. Er spielt gern Fußball, der Vater ist ein erfolgreicher Anwalt. Doch als Mischa gerade acht Jahre alt ist, marschieren die Deutschen ein. Die Repressionen nehmen zu, bis zur Gründung des Prager Ghettos, in dem Mischa mit seiner Familie landet.

Aber das ist nicht die Endstation: 1942 wird er mit Mutter und Schwester ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort lebt er mit vierzig anderen Jungen in einem Schlafsaal unter der Leitung von Franta, der die Jungen heimlich unterrichtet – vaterfigur, Beschützer und Mentor zugleich.

Die Kinder bilden eine verschworene Gemeinschaft, viele wachsen Mischa ans Herz wie Brüder. Doch über allen schwebt stehts die Angst, in einem der Züge gesetzt zu werden, die an einen Ort namens Auschwitz fahren… (Klappentext)

Rezension:

Genreübergreifende Werke haben das Zeug dazu, etwas weiter oben auf den Bücherstapeln der Läden zu landen, gerade wenn sie eine beeindruckende Geschichte zur Grundlage haben. Und so liegt mit “Wir sind die Adler”, ein beeindruckendes Werk aus dem Kindler-Verlag vor, welches sowohl eine Kindheitsbiografie, Zeitgeschichte, Kriegsroman und Jugendbuch darstellt.

Eines, dass es in sich hat. In Romanform erzählt wird die Geschichte von Michael Gruenbaum, der als Junge in Prag aufwächst, seine Eltern gehören zu den angesehenen Familien der tschechoslowakischen Hauptstadt, als die Nazis einmarschieren.

Sofort gibt es überall Einschränkungen, Verordnungen, Verbote, die der anfangs achtjährige Junge nicht begreifen kann. Er ist Jude und damit plötzlich am Rande der Gesellschaft. Die Ausgrenzungen fangen beim Vebrot des betretens bestimmter Straßenzüge an, bishin zur Jagd über die selben durch Gleichaltrige.

Das Geld wird knapper, die Eltern verlieren ihre Arbeiten, schließlich wird der Vater mitgenommen. Mischa sieht später nur noch den Sarg auf der Beerdigung. Dann kommen Deportationsbescheide. Terezin, die große Unbekannte und auch dort wird das Leben ständig bedroht.

Der Junge findet sich schnell ein, zwangsläufig, doch spürt er, wie er immer mehr an den Rand des Todes rückt. Wahre Geschichte ist immer noch die eindrücklichste, besonders wenn sie in einem Zeitraum spielt, den wir nicht vergessen sollten.

Und, wenn sie gut erzählt ist. Michael Gruenbaums Kindheit aus den Erinnerungen aufgeschrieben, ausformuliert von einem der besten Jugendbuchautoren Amerikas, fesselt, fasziniert und stößt den Leser in die Abgründe menschlicher Grausamkeiten, die für die besetzten Völker Europas und besonders für die jüdischen Bürger der betroffenen Länder, Realität wurden.

Am Anfang nur Gerüchte, die kaum zu glauben waren, wurde bald den meisten Menschen klar, welches die Ziele der “Herrenmenschen” waren. Hasak-Lowy und Gruenbaum beschreiben dessen Erlebnisse aus Kindessicht auf.

Der Junge muss in einem viel zu kleinen Körper zu schnell erwachsen werden und handeln, um zu überleben. Mehr als einmal kommt er nur um Haaresbreite mit dem Schrecken davon.

Der Leser spürt all die Ängste, die Unsicherheiten, die Verzweiflungen, wenn wieder einmal Freunde verschwinden, schlechte Nachrichten aus anderen lagern eintreffen oder der Hunger übermäßig wird.

Hasak-Lowy merkt man die gute Schreibarbeit, selbst in der Übersetzung, an. Auch die Rechercheleistungen sind großartig. Wer einmal die Schauplätze in Prag und Terezin besichtigt hat, kann sich sofort hineinversetzen, wer diese Orte noch nicht betreten hat, wird den Wunsch verspüren, den Jungen aus dieser Hölle herauszuholen.

Michael Gruenbaum erinnert sich und Hasak-Lowy hat ergänzt, hat ereignisse rekonstruiert und so findet der Leser, der sich schon länger mit den Kindern von Theresienstadt beschäftigt, Jungen wie Petr Ginz oder Zdenek Taussig wieder, durchleidet deren Schicksale.

Kinder sagen immer die Wahrheit, nehmen die Welt mit ihren Augen neugierig auf, haben Hoffnungen und Träume, finden das kleine Glück auch in schwersten Zeiten. Dies gelingt den Autoren zu zeigen und zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Werk, welches für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen gut lesbar und beeindruckend ist.

Wieder ein Stück Personengeschichte, welches für die Nachwelt unbedingt bewahrt werden muss. Mit der Veröffentlichung im englisch- und deutschsprachigen Raum ist schon mal ein erster Schritt getan.

Michael Gruenbaum und den vielen anderen Kindern in Theresienstadt, besonders denen, die es nicht geschafft haben, ist es zu wünschen, dass dieses Buch viele Leser findet.

Autoren:

Michael Gruenbaum wurde 1930 in Prag geboren, wo er bis zu seiner Deportation nach Thersienstadt (Terezin) mit seiner Familie lebte. Nach der Befreiung des Ghettos wanderte er 1950 in die USA aus, wo er studierte und zwei Jahre in der US-Army diente.

Er arbeitete im öffentlichen Dienst, gründete eine Beratungsfirma und engagierte sich im Bereich Stadtplanung. Noch bis in die 2000er Jahre gab es Wiedersehenstreffen der überlebenden Jungen aus Theresienstadt.

Todd Hasak-Lowy ist Kinder- und Jugendbuchautor. Er promovierte in Vergleichende Literaturwissenschaft auf der University of California, Berkeley, war zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann außerordentlicher Professor für Hebräisch und Literatur an der University of Florida.

Er gab diese Position auf und schrieb Romane, wie “Dass ich ich bin, ist genau so verrückt wie die Tatsache, dass du du bist”. Für die Kindheitsgeschichte von Michael Gruenbaum fungierte er als Co-Autor. Er übersetzt hebräische Werke ins Englische und gibt Kurse in Kreatives Schreiben an der School of Arts Institute in Chicago.

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Mirco von Juterczenka: Wir Wochenendrebellen

Wir Wochenendrebellen Book Cover
Wir Wochenendrebellen Sachbuch Benevento Verlag Hardcover Seiten: 242 ISBN: 978-3-7109-0017-4

Inhalt:

Wenn der Vater mit dem Sohne… Ursprünglich sollte es nur darum gehen, dem Jungen einen Lieblingsfußballverein zu suchen. Jason, geboren 2005, ist Asperger-Autost und seit seinem sechsten Lebensjahr mit seinem Vater Mirco unterwegs auf Groundhopping-Tour durch die Fußballstadien Deutschlands und des benachbarten Auslands. Das Buch ist Zeugnis einer ganz besonderen Vater-Sohn-Beziehung, ein humorvolles und lehrreiches Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man versteht, dass Lieben ein Verb ist. (Klappentext)

Rezension:

Um sich zu entscheiden, welcher Fußball-Verein es würdig ist, ein Lieblingsfußballverein zu sein, muss man von jedem Verein mindestens ein Spiel gesehen haben. Oder geht es am Ende einfach nur darum, als Vater und Sohn gemeinsam unterwegs zu sein, die stärken udn Schwächen des anderen näher kennen zu lernen, einander die Sicht auf die Welt zu erklären und zuzuhören?

Egal, Mirco von Juterczenko beschreibt seinen Alltag, sein Familienleben und ganz besondere Wochenenden, die er miot Sohnemann Jason verbringt und das voller Liebe und Einfühlbarkeit. Das ist nicht immer einfach. Für beide nicht.

Jason hat das Aspergersyndrom, eine Form von Autismus, die es in so vielfältiger Form gibt, dass man sie für jeden Betroffenen einzeln betrachten muss. Dabei ist Asperger gleichsam Behinderung im Alltag und Behilflichkeit. Das offenbaren uns der Autor und sein Sohn in diesem Buch, sowie sie es schon in ihren gemeinsamen blog und Podcats getan haben, oder auch in Jasons Wissenschaftsblog “Der Spektrograph”.

Schwierige Themen, für beide, werden dabei nicht ausgespart. Nichts wird bescönigt. Doch, der Vater immer bemüht um eine Lösung für seinen Sohn, um ihn im Alltag behilflich zu sein, gibt nicht auf. Und Jason ebenso wenig, seine Sicht der Dinge zu erklären.

Es ist kein hohes Stück Literatur, was hier im Benevento-Verlag erschienen ist, auch kein Sachbuch oder Ratgeber für Eltern mit autistischen Kindern. Dieser müsste erst einmal geschrieben werden, was schwierig ist, denn Asperger und autismus genießen noch nicht lange die Aufmerksamkeit der Forschungen und müsste überdies so vielfältig sein, wie die unterschiedlichen Formen bei Betroffenen selbst.

Vielmehr ist es eine Hommage, eine Erklärung, wie es dennoch gelingen kann, beiderseits Zuneigung zu empfinden und einander die Welt zu erklären. Und man unterstützt mit Kauf des Buches zudem einen guten Zweck.

Wer beiden in den Podcats zuhört oder die eindrücklichen Blog-Artikel beider liest, wenn mal wieder ein Fußballspiel in irgendeinen Provinznest besucht wurde, ein gesellschaftlich oder wissenschaftlich relevantes Thema besprochen wurde oder man per Interrail kreuz und quer durch Südosteuropa unterwegs ist, wird entdecken, dass ein etwas anderer Blick auf die Umgebung uns allen nicht schaden könnte, wie ihn diese beiden pflegen.

Wer sich nicht für Fußball interessiert, sollte es lesen, um mehr über Asperger-Autismus zu erfahren, wie Alltag und Umgang miteinander gelingen kann. Für alle anderen lässt sich ein liebevolles Vater-Sohn-Verhältnis entdecken, von welchen sich andere selbst im Normalzustand eine Scheibe abschneiden könnten. Doch, was ist schon normal?

Autor:

Mirco von Juterczenka wurde 1977 in Solingen geboren und arbeitet als Manager in der Gastronomie. Seit 2011 ist er mit seinem Sohn auf Groundhopping-Tour durch Fußballstadien unterwegs und Blog mit ihm regelmäßig über diese besuche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Themen. Sein Blog gewann den Grimme Online Award 2017 in der Kategorie “Kultur und Unterhaltung”.

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Daniel Magariel: Einer von uns

Einer von uns Book Cover
Einer von uns Daniel Magariel C.H. Beck Erschienen am: 19.09.2017 Seiten: 172 ISBN: 978-3-406-71183-1 Übersetzung: Sky Nonhoff

Inhalt:

Ein fesselnder, erschütternder Roman über zwei junge Brüder und ihren zugleich liebevollen und übergriffigen Vater. Die drei haben den “Krieg” gewonnen: So nennt der Vater seine bittere Scheidung und den Kampf ums Sorgerecht. Sie verlassen Kansas und fahren nach Albuquerque. um noch einmal neu zu beginnen.

Vor der kargerhabenen Kulisse der Landschaft New Mexicos erzählt Daniel Magariel in seinem Debüt mit bestechender Klarheit, wie die Jungen verzweifelt versuchen, die Familie zusammenzuhalten, sich gegenseitig schützen und helfen, und schließlich ums Überleben kämpfen. (Klappentext)

Rezension:

Familie ist ewig. Familie ist für immer. Was aber, wenn der Kreidekreis zerläuft und der Kampf um den Zusammenhalt verloren und die Gemeinschaft zerbrochen ist? Was, wenn die Reste des Familienlebens unter zwei Parteien aufgeteilt sind und die Kinder sich haben entschieden müssen, bei welchen Elternpart sie die nächsten Jahre ihres Lebens verbringen “wollen”?

Daniel Magariel erzählt in seinem atemraubenden Debüt nichts weniger als eine Geschichte voller Leid und Traurigkeit, die es in sich hat. Zunächst aus der Perspektive zweier Brüder, des Jüngeren zuerst, gelingt der Einstieg.

Die Figuren sofort zum Greifen nah, haben ihre spürsparen Schwächen und Stärken, gewinnen schnell an Konturen und vor allem, jeder einzelne Protagonist für sich, die Sympathie des Lesers.

Sprachlich einfach zu fassen, wird schnell das Dilemma der Figuren klar. Der Anschluss an die neue Heimat will nicht gelingen, weder der Vaterfigur im Beruflichen, noch den Jungs im schulischen Bereich, wo das Nesthäkchen der Familie, welches ausgerechnet vom Aussehen her den Vater an seine Exfrau erinnert, schon in der ersten Woche in ene Prügelei gerät und der große Bruder im Basketballteam seiner Schule ebenfalls keine Kontakte knüpfen kann.

Schwer depressiv versuchen die Protagonisten ihren Alltag, der immer mehr Risse bekommt, zu leben. Die Katastrophe ist schnell absehbar.

Ganz und gar nicht katastrophal ist jedoch die gesamte Geschichte, die ein Dilemma moderner Familienwelten greifbar macht, in der es kaum Gewinner gibt, aber viele Verlierer.

Magariel gelingt es auf wenigen Seiten, ohne überheblichen Schreibstil Konflikte glasklar darzustellen und Wege der Figuren vorzuzeichnen, denen man trotz oder gerade wegen ihrer Fehler kaum böse sein kann.

Man leidet mit dem Jüngsten, der die Düsternis zuerst kommen sieht, dem ältesn Jungen, der verantwortung übernehmen muss, ohne bereits stark genug dafür zu sein und der erwachsenen Person, der die Söhne bald charakterlich über den Kopf wachsen.

Im Grunde passiert ansonsten nicht viel, wenn auch hier eine eher typisch amerikanische Lösung zum Tragen kommt, was man aber mit Augendrücken durchgehen lässt.

Ansonsten trägt die Klarheit der Worte und dadurch aufgestellten Geschehnisse aber zu einem gelungenen Leseerlebnis bei. Eine Hommage an die Familie, den Zusammenhalt und das Für-einander-da-sein-in-schweren-Zeiten. Nicht mehr und nicht weniger.

Autor:

Daniel Magariel hat an der Columbia University, sowie an der Syracuse University studiert und in verschiedenen Staaten der USA gelebt. Derzeit lebt er mit seiner Frau in New York. “Einer von uns”, ist sein erster Roman.

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Maia Szalavitz: Clean – Sucht verstehen und überwinden

Clean - Sucht verstehen und überwinden Book Cover
Clean – Sucht verstehen und überwinden Maia Szalavitz mvg Verlag Erschienen am: 11.09.2017 Seiten: 416 ISBN: 978-3-8688-28504 Übersetzer: Martin Rometsch

Inhalt:

Alkohol, Drogen, verschreibungspflichtige Medikamente, Sex, Glücksspiel, Pornografie oder das Internet – heute gibt es mehr Menschen denn je, die von einer Sucht betroffen sind. Doch trotz der hohen medialen Aufmerksamkeit beruhen unser Erklärungsansatz und unsere Therapiemethoden auf veralteten Ideen und Annahmen.

Mit ihrem New York Times-Bestseller bietet Maia Szalavitz einen Denkansatz, der Sucht völlig neu definiert. Sie widerlegt, dass Süchtige ein »kaputtes Gehirn« oder eine »Suchtpersönlichkeit« haben, und betrachtet Süchte stattdessen als Entwicklungsstörungen.

Indem wir Sucht auf diese Weise betrachten, können wir nicht nur die Fehler herkömmlicher Therapiemethoden erkennen, sondern finden auch bessere Alternativen.

Es sind die persönlicheGeschichte, die Familie, Freunde, die Kultur sowie Chemikalien in der Umwelt, die eine Sucht auslösen. Wenn wir verstehen, wie diese Faktoren zusammenspielen und die Krankheit ausgelöst haben, liegt darin auch der Schlüssel zur Heilung. […] (Verlagstext)

Rezension:

Was wäre, wenn Drogen nicht mehr verteufelt, sondern, wie in Ansätzen in Neuseeland oder in den Niederlanden als Produkt der Gesellschaft und Bestandteil des menschlichen Lebens angesehen werden würde?

Was wäre, wenn wir uns darauf konzentrieren würden, Drogensüchtige nicht mehr als “nur” krank oder gar kriminell einzustufen, sondern als individuelle Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, als Personen mit Potential, denen man nur verschiedene Alternativen anbieten muss, zu denen sie nicht gezwungen werden dürfen, sondern, aus denen sie selbst wählen können, mit Setzung individueller Ziele?

Was wäre, wenn Therapien nicht mehr auf Zwängen bassieren würden, sondern auf Wertschätzung des Individuums?

Maia Szalavitz, selbst jahrelang drogensüchtig, engagiert sich für eine moderne Drogenpolitik, die sich auf die neuesten Forschungsergebnisse stützt, noch immer viel zu zögerlich angewandt wird, während die restriktive Politik der Kriminalisierung seit Jahrzehnten die verlierer unserer Gesellschaft produziert.

Herausgekommen dabei ist ein interessanter Denkansatz, den es zu diskutieren gilt.

In “Clean – Sucht verstehen und überwinden”, beschreibt die Autorin, gestützt auf eine breite Quellenlage aus Forschungsberichten und gesammelten Erfahrungen von Süchtigen, nicht zuletzt ihrer eigenen, Zusammenhänge des Gehirns und daraus entstehende Folgerungen. Wie entsteht Sucht? Was ist das überhaupt?

Kann Sucht erlernt, und im besten Falle wieder umgelernt werden? Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischend en chemischen prozessen im Gehirn eines Autisten und eines Süchtigen? Kann letzterer von dessen Erfahrungen profitieren?

Wo wirken heute noch gesellschaftliche Schranken so, dass sie die Sucht, worin auch immer sie besteht,. eher fördern als therapieren? Ist Therapie überhaupt ein richtiger Ansatz oder sollten wir uns hier nicht die Grundsätze moderner Pädagogik zu Eigen machen?

Aufgelockert durch ihre persönlichen Erfahrungen gelingt es der Autorin selbst schwierige Zusammenhänge für Laien verständlich zu erklären und die Welt der Süchtigen für “Gesunde” verständlich zu beschreiben.

Sachbücher in diesem Bereich haben oft den Nachteil entweder zu kompliziert oder zu einseitig zu bleiben, und wenn ein Überblick gegeben wird, ist dieser so grob, dass man darauf nichts weiter aufbauen kann. Ganz anders dieses Sachbuch, welches Szalavitz mit viel Engagement für die Thematik verfasst hat.

Gestützt auf einem breiten wissenschaftlichen Fundament argumentiert sie für mehr Menschlichkeit und Positivität im Umgang mit Suchtkranken, speziell im Bereich Drogen und gibt neue Denkansätze, über die es sich zu diskutieren lohnt.

Selbst, wer nicht mit allen Thesen der Autorin übereinstimmt, wird zukünftig über die Betroffenen anders denken als zuvor. Gesellschaftlich hat der in “Clean – Sucht verstehen und überwinden”, beschriebene Ansatz noch keine Mehrheit, findet aber aus guten Gründen auf der ganzen Welt im wissenschaftlichen, medizinischen und therapeutischen Bereich immer mehr Anhänger.

Ansätze dafür sind in einigen Städten Amerikas, in Skandinavien, Neuseeland oder den Niederlanden bereits vorhanden und werden immer weiter ausgebaut.

Das Plädoyer von Maia Szalavitz stützt dies und steht ein für Mut, überholte Behandlungssysteme zu durchbrechen und einem freundlicheren Umgang mit den Betroffenen, diesen eine neue Chance zu geben.

Trotz Längen, in diesem Bereich eines der Bücher, welches man auf den Schirm haben sollte.

Autorin:

Maia Szalavitz ist eine der führenden amerikanischen Journalistinnen, in der Theamtik Sucht udn Drogen. Ihre Arbeiten erscheinen dabei in der New York Times und im Scientific American.

Sie war 2015 und 2016 Soros-Justice-Stipendiatin und erhielt von der amerikanischen psychologischen Gesellschaft, der Allianz für Drogenpolitik und dem amerikanischen College für Neuropsychopharmakologie wichtige Preise für ihre Arbeiten über Neurowissenschaft und Sucht.

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Stephen King: Es

Es Book Cover
Es Stephen King Heyne Erschienen am: 08.04.2011 Taschenbuch Seiten: 1543 ISBN: 978-3-453-50403-5

Inhalt:

Es. Das Böse in Gestalt eines namenlosen Grauens. In Derry, Maine, schlummert das Böse in der Kanalisation: Alle 28 Jahre wacht es auf und muss fressen. Sieben Freunde entschließen sich, dem Grauen entgegenzutreten und ein Ende zu setzen. Stephen Kings Meisterwerk über die Mysterien der Kindheit und den Horror des Erwachsenseins.

(Klappentext)

Rezension:

Wenn es so etwas wie ein Urwerk des modernen Schauer- oder Horror-Romans gibt, ist es sicherlich die Erzählung “Es”. Geschrieben vom Großmeister des Horror-Genres selbst, Stephen King. Zum 70. Geburtstag und zum Auftakt der Neuverfilmung des Klassikers, der in den 90er Jahren für Furore sorgte, hat der Heyne-Verlag dem Roman ein neues Cover spendiert und lässt eine neue Generation den Gruselklassiker neu erleben.

Das umfangreiche und ausschweifende Werk erzählt die Geschichte einer Gruppe von Kindern, die allesamt in Außenseiter-Rollen gedrängt, ums physische und psychische Überleben kämpfen.

Egal, ob nun der Brillenträger, Asthmatiker oder Übergewichtige, sie alle haben ihr Päkchen an Schmähungen zu tragen, die ihnen von der Erwachsenenwelt, mehr noch aber von ihren Altersgenossen entgegen gebracht werden. Dies bessert sich nicht, als im Jahrer 1958 plötzlich Kinder und Jugendliche verschwinden. Darunter Georgie, der kleine Bruder des stotternden aber charismatischen Bill, der später einmal ein erfolgreicher Schriftsteller sein wird.

Bill und seine Freunde begeben sich auf Spurnsuche und begegnen einem Grauen, welches ihre schlimmsten Alpträume zum Leben erweckt. 28 Jahre später, der Kampf beinahe vergessen, längst sind aus den Kindern von einst gestandene Frauen und Männer geworden, holt sie der Schrecken wieder ein.

Es ist immer noch lebendig und gefährlich. Bill und seine Freunde schicken sich an, dem Monster erneut entgegen zu treten. Wird es gelingen, Es erneut zu besiegen?

Sprunghaft erzählt, in einander fließenden Abschnitten, wechselt die Erzählung zwischen den Jahren und den Charakteren hin und her. Ein stilmittel, was für Spannung sorgt und diese auch bis zur letzten Seite hält, insgesamt aber über Gebühr benutzt wird und zur Verwirrung beitragen kann.

Wer sich jedoch auf die Geschichte einlässt, erlebt eine wundersame Erzählung, in der es Stephen King Zeile für Zeile gelingt, den Gegensatz zwischen Kindehit und Erwachsenen-Welt im Detail herauszuarbeiten und die Charaktere fortlaufend zu entwickeln.

Der Leser, auch der, der keine der beiden Verfilmungen vor Augen hat, spielt die Geschichte vor eben diesen ab und kann sich der Faszination von Pennywise nicht entziehen, ebenso wenig wie die Kinder, die ihrem Verderben entgegen gehen und dagegen ankämpfen müssen.

Ein klarer Schreibstil, durchsetzt mit, trotz des Genres oder gerade deswegen, unglaublich viel Witz und Humor, lassen einem die Charaktere ans Herz wachsen, die alle vielschichtig beschrieben werden.

Auch Nebenprotagonisten kommt ein hoher Stellenwert zu, der diese manchmal noch interessanter scheinen lässt, als es die Hauptfiguren tun. Der Autor beschreibt auch die Umgebung sehr anschaulich, fast als stünde man selbst in einer verstaubten aber dennoch lebendigen amerikanischen Kleinstadt der 1950er bzw. 1980er Jahre.

Freunde des Horrorgenres kommen wahrscheinlich nicht umhin, dieses Großwerk zu lesen, doch sollte man dies vielleicht, trotz seines Umfangs als Einstieg in diese Welt verwenden. Ansonsten könnte das Ende leicht enttäuschen, welches nicht so stimmig passen möchte, wie der überwiegende Part der Geschichte. Tatsächlich ist es beinahe zu abgedreht und unwirklich, wo doch die Geschichte sonst sehr harmonisch im Stil wirkt.

Dennoch, die Phantasien der Kindheit, Alpträume in vielerlei Gestalt, liebenswert, teilweise auch herrlich verrücke Protagonisten (Piep-Piep!) machen den Wälzer zu einem Kleinod des Horror-Romans, den man durchaus frönen sollte.

Autor:

Stephen Edwin King wurde 1947 in Portland, Maine, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Unter verschiedenen Pseudonymen und unter seinem eigenen Namen verfasste er vor allem Horror-Literatur, aber auch zahlreiche Kurzromane.

Seine Bücher wurden in über 50 Sprachen übersetzt, womit King zu den meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart zählt. Nach der Schule studierte er Englisch, unterrichtete in diesem Fach und arbeitete in verschiedenen Berufen, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte.

Sein Werk „Carrie“ erschien 1974 in deutscher Übersetzung als erstes Werk von King. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt.

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