Inhalt:
Ein entführtes Mädchen. Ein Grab im Wald. Und ein Dorf, das bis heute schweigt.
Oberbayern, 1981: Die zehnjährige Annika Schön ist mit dem Fahrrad auf dem Heimweg, doch sie kommt nie zu Hause an. Nach Tagen des qualvollen Wartens macht die Polizei einen erschütternden Fund…
In ihrem True-Crime-Roman, inspiriert von einem spektakulären Fall, der die Republik erschütterte, begibt sich Christa von Bernuth auf die Suche nach der Wahrheit. (Klappentext)
Rezension:
Als im Jahr 1981 ein kleines Mädchen auf ihrem Nachhauseweg entführt wurde, ahnte niemand, dass sich der Vorfall später zu einem der rätselhaften und unheimlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte entwickeln sollte. Das Kind wurde nur wenig später tot aufgefunden. Der Prozess der Aufarbeitung dauert bis heute an.
„Ich höre nichts außer meinem eigenen panischen Keuchen, einem kläglichen, heißeren Stöhnen, das nicht zu mir zu gehören scheint. Ich versuche mich zu bewegen und stoße mit dem Kopf, mit dem Rücken und mit der linken Schulter auf etwas Hartes, aber doch nicht so hart wie Beton. Holz.“
Christa von Bernuth: Tief in der Erde
Zu viele Personen haben sich an den Ermittlungen beteiligt. Noch immer gibt es ungeklärte Fragen oder zumindest solche, die Zweifel am Tatgeschehen erkennen lassen. Der Versuch, einen solch polarisierenden Fall zu fiktionalisieren, ist ein schmaler Grad, der selten genug gut gelingt.
Die Journalistin und Autorin hat dies dennoch gewagt und so ist aus der Idee einer Reportage um den Fall Ursula Herrmann ein packender Kriminalroman entstanden, der nicht nur seinen Protagonisten den Atem nimmt. Das Tatgeschehen abgeändert, die Personenanzahl verdichtet, entwickelte die Autorin einen spannenden Handlungsbogen, der über zwei Zeitebenen die Leserschaft mitnimmt.
Das unmittelbare Geschehen vor und nach der Entführung bildet das Grundgerüst der Geschichte und nimmt dabei die Lesenden mit in den kleinen Ort in Oberbayern, in dem danach nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.
Hier konzentriert sich die Autorin auf die aufreibende Ermittlungsarbeit, deren Schwierigkeiten und Fallstricke sie verarbeitet, wie auch die zum Himmel schreiende Verzweiflung der Angehörigen. Von Bernuth spielt gekonnt mit den Emotionen der Leserschaft. Man kann dies jedoch auch beinahe dokumentarisch lesen. Wer sich nur ein wenig mit dem Tatgeschehen auskennt, weiß Wahrheit und Fiktion mühelos zu unterscheiden.
Der darauf aufbauende Handlungsstrang verfolgt die Protagonistin Julia Neubacher, die als Gerichtsreporterin einer regionalen Zeitung den wieder aufgerollten Prozess zwanzig Jahre später verfolgt. Ihre Beobachtung und Interaktion mit dem inzwischen erwachsenen Bruder des Opfers treiben die Handlung beider Linien voran und verdichten sich zu einem immer schneller verlaufenden Geschehen, welches selbst Julia nicht unberührt lässt.
Hier sind vor allem die Parallelen zur Autorin Christa von Bernuth spannend, die selbst als Journalistin den Fall in einer Reportage aufarbeiten wollte und dabei alle Recherchemöglichkeiten nutzte, die ihr zur Verfügung standen.
Dies verwebt sie gekonnt in ihrem Roman, in dem selbst die Nebenfiguren nicht konturlos bleiben und gekonnt eingesetzt werden, um die Handlung voranzutreiben oder die Gefühlswelt und Verzweiflung zu verdeutlichen, in der die unmittelbare Umgebung des Opfers sich befindet.
„Hey Frosch.“
Christa von Bernuth: Tief in der Erde
Er ist zusammengezuckt, weil die Stimme wie aus dem Nichts kam.
„Hey Frosch. Glück gehabt.“
Im Genre True Crime ist „Tief in der Erde“ eine der Geschichten, die funktionieren und dabei einladen, selbst zu recherchieren. Was waren der Antrieb, das Motiv, die Beweggründe der Täter? Wer war das überhaupt? Was macht solch ein Schlag mit den Angehörigen? Bis hin zur Frage, wie Kompetenzgerangel die Ermittlungsarbeit zum Negativen beeinflussen kann, all dies berücksichtigt die Autorin in ihrem packenden Roman.
Ein Fall, der tiefe Wunden gerissen hat, die nie vollständig verheilen werden, wurde hier spannend verarbeitet und wird die Lesenden immer mehr für sich einnehmen. Das bleibt so, bis zur letzten Zeile. Eine unbedingte Leseempfehlung gibt es dafür.
Hintergrund:
Die Vorlage: Der Fall Ursula Herrmann (Wikipedia.de)
Autorin:
Christa von Bernuth ist eine deutsche Schriftstellerin und Journalistin. Sie wurde 1961 geboren und hat nach ihrem Abitur in Schondorf am Ammersee in München Germanistik und Französisch studiert, arbeitete nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München für diverse Zeitschriften und Magazin.
1999 veröffentlichte sie ihren ersten Kriminalroman. Mehrere ihrer Werke wurden bereits fürs Fernsehen verfilmt und in einige u. a. Ins Schwedische, Niederländische und Russische übersetzt. Zudem arbeitet von Bernuth für das Magazin Echte Verbrechen. Mit ihrer Familie lebt sie in München.