Versteckt

Sid Jacobson/Ernie Colon: Das Leben der Anne Frank – Eine Biografie

Inhalt:

Menschen in aller Welt kennen Anne Frank, die 1929 als Kind jüdischer Eltern in Deutschland geboren wurde und später mit ihrer Familie vor dem Terror der nationalsozialisten in die Niederlande emigrierte, wo sie sich schließlich über zwei Jahre in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckte. Dort schrieb sie ihr bewegendes Tagebuch. Heute ist Anne Frank ein Symbol für Millionen von Juden geworden, die der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

In Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus in Amsterdam verfassten Ernie Colon und Sid Jacobson diese umfassende Biografie. In Form einer Graphic Novel. Beginnend bei der Heirat der Eltern bis hin zu Annes tragischen Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

(geänderter Klappentext)

Rezension:

Ihre Aufzeichnungen sind ein Symbol dessen, welches Potenzial der Welt durch das menschenverachtende und todbringende Wirken der Nationalsozialisten in Deutschland und den von ihnen im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern, entrissen wurde. Welche Chancen hätten sich Anne und so vielen anderen Kindern und Jugendlichen ergeben, wären sie unter normalen Umständen aufgewachsen und nicht einer zerstörerischen Vernichtungsmaschinerie zum Opfer gefallen?

Anne Franks Tagebuch gibt uns Einblick in die Seele einer Jugendlichen, die versteckt vor den Häschern der Nazis, in einem Amsterdamer Hinterhaus ausharren musste, so viele Hoffnungen und Träume hegte, aber auch Ängste ausstehen musste, bis das Schicksal auf’s Grausamste zuschlug. Ihr Leben endete kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

So viel zur Geschichte. Diese ist bekannt, nicht zuletzt durch verschiedene Versionen ihres Tagebuchs, welches 1947 erstmals in den Niederlanden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Verfilmungen folgten, inzwischen auch sekundärlektüre, die sich mit den Helfern etwa beschäftigt, Anne Franks Freundschaften aus Kindertagen oder den Verrat, den die Untergetauchten zum Opfer fielen. Auch dieses Werk reiht sich da ein, eine Graphic Novel, die die Zeit des Verstecktwerdens verbildlicht.

Da stellt sich natürlich zunächst die Frage, darf man das? Reicht nicht das Tagebuch in seiner ursprünglichen Form? Muss immer noch ein Medium genutzt werden, wo doch der Text des Mädchens, mit dem Wissen um ihr Schicksal, schon hart genug zu lesen ist? Kann eine Verbildlichung die Gefühle, das Denken der Portraitierten überhaupt annähernd und ausreichend transportieren? Muss das sein? Wie sehr kann man komprimieren, herausstellen und verdeutlichen, was schon zu lesen kaum zu fassen ist?

Die Zeichner Ernie Colon und Sid Jacobson haben diese Fragen für sich beantwortet und in jahrelanger Kleinarbeit dieses sehr sensible Projekt umgesetzt. Unterstützt durch das Anne Frank Haus in Amsterdam haben sie verdichtet einzelne Episoden, die die Jugendliche anne Frank in ihrem Tagebuch beschrieb zu einem Gesamtwerk grafisch aufbereitet, welches geeignet ist, neben Text und Verfilmungen zu wirken, nicht minder beeindruckend.

Die Farbgebung ist blass, doch wirkt sie gerade zu Beginn fröhlich, um dann kontrastreich in dunklere Töne zu wechseln. Schließlich war auch das Versteck von Annes Familie und ihren Freunden dunkel und beengt. Die Autoren haben dabei ihr Hauptaugenmerk zunächst allgemein auf das Familienleben, gelegt, danach nur noch aus der Perspektive von anne selbst erzählt, ihre inneren Konflikte, kleine Freuden und Hoffnungsschimmer jedoch ebenso dargestellt. Die Linienführung erinnert an alte Fotografien.

Wer das Tagebuch gelesen hat oder wem der Stoff in reiner Textform zu schwer erscheint, für den ist die Graphic Novel durchaus eine Variante, sich Zugang zur Thematik zu verschaffen. Die gefühle, die beim Lesen aufkommen, werden auch hier hervorgerufen, vielleicht sogar noch mehr, da natürlich einzelne Episoden, die Anne so ausführlich beschrieben hat, verdichtet werden mussten. Als Ergänzung zum tagebuch hat diese Graphic Novel somit in jedem Fall ihre Berechtigung und lohnt einer näheren Betrachtung.

Autoren:

Sid Jacobson wurde 1929 geboren und ist ein US-amerikanischer Comic-Zeichner. Zunächst war er Chefredakteur bei Harvey Comics und schuf verschiedene Figuren, u. a. Richie Rich oder Casper, danach arbeitete er für marvel Comics, ebenfalls als Chefredakteur. 2010 erschien seine grafische Biografie zu Anne Frank, zuvor über den Terroranschlag 9/11 und Amerikas Krieg gegen den Terror.

Ernie Colon wurde 1931 geboren und ist ein US-amerikanischer Zeichner, arbeitete ebenfalls zunächst für Harvey Comics, anschließend für DC Comuics und Marvel.

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Peter Wyden: Stella Goldschlag – Eine wahre Geschichte

Stella Goldschlag - Eine wahre Geschichte Book Cover
Stella Goldschlag – Eine wahre Geschichte Peter Wyden Sachbuch Steidl Verlag Hardcover Seiten: 384 ISBN: 978-3-95829-608-4

Inhalt:

Stella Goldschlag war blond, schön, intelligent, schlagfertig und vielseitig begabt. In einem anderen Land und zu einer anderen Zeit hätte sie eine glänzende Karriere gemacht, doch Stella war Jüdin und lebte in Deutschland. Um ihre Eltern vor den Deportationszügen zu bewahren, verriet sie untergetauchte Juden an die Gestapo, konnte sie nicht retten und machte dennoch weiter. Mörderisch effizient. Peter Wyden, eins Mitschüler Stellas an der privaten jüdischen Goldschmidtschule in Berlin sprach mit Überlebenden, Zeitzeugen, Historikern und Psychologen, nicht zuletzt, zwei Jahre vor ihrem Freitod, mit Stella selbst. Er urteilt nicht. Peter Wyden erzählt eine wahre Geschichte. (eigene Inhaltsangabe)

Inhalt:

Es ist noch gar nicht so lange her, da machte die Aufarbeitung der Geschichte um die jüdische Greiferin Stella Goldschlag durch Takis Würger Furore. Ein Aufschrei nach dem anderen erfolgte, als der Hanser-Verlag den Roman “Stella” veröffentlichte und zugleich begannen sich die Leser für die wirklichen Geschehnisse zu interessieren. Doch, während die englischsprachige Ausgabe antiquarisch zu haben war, war die 1999 erschiene Übersetzung längst vergriffen und nur noch zu Phantasiepreisen zu erwerben. So entschloss sich der Steidl-Verlag dieses Werk neu aufzulegen, welches hiermit vorliegt.

Worum geht es? Der Klappentext zusammengekürzt, verrät schon viel und gibt den Umriss eines besonderen Sachbuches. Natürlich kennen wir Leser alle die Berichte von Überlebenden des Nazi-Regims, sowohl der Opfer als auch der Täter, doch gab es natürlich auch Menschen, wie zu jeder Krisenzeit, die irgendwo dazwischen standen. Solch ein Mensch war Stella Goldschlag, die in die Gefänge der Gestapo geriet, und begann, um ihre Eltern und ihre eigene Haut zu retten, Berliner Juden zu verraten, die sich vor der Vernichtungsmechanerie der Nazis im Untergrund versteckt hielten.

Ersteres gelang nicht, doch um zumindest das zweite zu erreichen, machte sie weiter, als längst ihre Eltern deportiert werden. Peter Wyden ging nach dem Krieg der Frage nach, warum ausgerechnet Stella Goldschlag diesen Weg einschlug und welchen Lauf ihr Leben nahm, welches sie 1994 durch Selbstmord beendete. Wer war Stella Goldschlag, die “Greiferin”, das blonde Gift?

Es ist ein bemerkenswert differenziertes sachbuch, welches hier neu aufgelegt wurde, vor allem, wenn man um die tatsache weiß, dass sich Autor und Beschriebene seit ihrer Jugend kannten, dennoch so unterschiedliche Wege eingeschlagen hatten und einschlagen mussten. Peter Wyden wollte verstehen und recherchierte als Journalist und Privatmann jahrzehntelang zur Geschichte seiner ehemaligen Klassenkameradin.

Er stöberte in Archiven und Gerichtsakten, sprach mit Zeitzeugen, Opfern und Freunden von Stella Goldschlag, schließlich mit der Hauptperson selbst. Was muss ein Mensch durchmachen, um zu solchen Taten fähig zu sein? In welcher Extremsituation hätte man selbst vielleicht sich zu diesem schmählichen Verrat hinreißen lassen und wann genau kam es zum Knackpunkt, an dem Stella hätte aufhören müssen, wenn man das überhaupt gekonnt hätte? Wäre dies möglich.

Ohne zu werten zeichnet Wyden detailliert Stellas Weg nach, zeigt, wie sie so viele ihrer Mitmenschen an die Nazis verraten konnte und warum Geschichte und Taten sie nicht mehr los ließen, bis zu ihrem Ende. Zeitlos wirkt der Text, tatsächlich kann das Sachbuch auch heute noch gut gelesen werden und ist damit ein wichtiger Grundstein zur Geschichte der Verfolgung der Juden durch das NS-Regime in Berlin.

Im Stil des Journalisten, dem eine Geschichte begegnet und nicht loslässt, arbeitete der ehemalige und dann wiederholte Berliner an diesem Sachbuch, welches zeigt, dass es in besonderen Zeiten besondere Menschen gibt. Leider eben auch im schrecklichen Sinne. Das hat eine ungeheuerliche Qualität, die erdrückend wirkt, wobei Wyden seine journalistischen Fähigkeiten nicht nur in der Recherchearbeit selbst einzusetzen wusste.

Gegliedert, entlang der Lebens- und zeitlichen Abschnitte, durchsetzt mit zahlreichen Quellenangaben, doe vor allem aus Interviews mit Zeitzeugen bestehen, wie sie heute kaum mehr durchgeführt werden können, ist “Stella Goldschlag – Eine wahre Geschichte” ein zeitloses Sachbuch und eine Warnung zugleich. Was würden wir tun? Wie weit würde jeder Einzelne von uns gehen, um die eigene Haut zu retten?

Beten wir darum, dies nie erfahren zu müssen. Unabhängig von den Taten der Stella Goldschlag, so verachtenswert sie sind, hatte sie wohl kaum eine Wahl. Peter Wyden bewertet dies nicht, mit seinem Fazit bin ich dennoch nicht ganz glücklich. Davon abgesehen, gibt es hier eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Peter H. Wyden wurde als Peter Weidenreich 1923 in Berlin geboren und war ein deutsch-US-amerikanischer Journalist und Autor. Als Kind jüdischer Eltern besuchte er ab 1935 die jüdische Privatschule Dr. Goldtschmidt in Berlin und folh mit seiner Familie 1937 aus Berlin. Er studierte an der City University New York und diente anschließend in der US Army. Ab 1945 leitete er die Lokalredaktion Berlin der Allgemeinen Zeitung und arbeite als Reporter und Redakteur. Seit 1970 veröffentlichte er mehrere Bücher, 1992 auch über Stella Goldschlag, die als “Greiferin” untergetauchte Juden in Berlin an die Gestapo verriet. Das Buch wurde 2019 neu aufgelegt. Peter wyden starb 1998 in Ridgefield/Connecticut.

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