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Holger Kreymeier: Hashtag #DDR

Inhalt:

2023 im geteilten Deutschland. Der Widerstand in der DDR findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Netz. Die DDR-Führung strebt die strengere Kontrolle des Internets und Zerschlagung der Oppositionsgruppen an, braucht aber Milliardenhilfen in D-Mark, die ihr die Bonner Regierung in Aussicht stellt. Nachdem YouTube-Entertainer Lonzo den realen Zustand der DDR mit seinem Video “Die Zerstörung der DDR” entlarvt hat, bekommt er die Unterstützung der freien Presse der Bundesrepublik. Doch dann wird er zum Sicherheitsrisiko – für beide deutsche Staaten … (Klappentext)

Rezension:

Es ist eines der viel erzählten Szenarien der fiktiven Geschichtsforschung, sich die Frage nach dem “Was wäre wenn?” zu stellen, wenn sich Ereignisse nicht so wie tatsächlich, sondern in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hätten. Diese Gedankenspiele sind Grundlage für zahlreiche Erzählungen und manchmal sind diese uns erschreckend nah.

Der Schriftsteller Holger Kreymeier hat den Zeitstrahl verschoben. Nachdem Gorbatschow verunglückt ist, ist die deutsche Teilung immer noch knallharte Realität. Ihr, der großen Politik, stehen Social Media Influencer auf beiden Seiten entgegen und ebenso wie in unserer Welt stellen sie Weichen. Manchmal bringen sie dabei Lawinen ins Rollen, die sie kaum mehr aufhalten können. Oder wollen. Ein gefährliches Spiel beginnt.

Dystopische Szenarien haben ihre Schwächen. Oft genug merkt man, dass diese nicht konsequent ausgeführt werden. Die Welt, in der uns der Autor hier entführt, ist jedoch greifbar. Gleich eines Spielfilms sehen wir die Geschichte vor unserem inneren Auge auferstehen und begleiten die Figuren auf ihren Weg, der spannungsgeladener nicht sein könnte.

Die Vorstellung gelingt, da man sofort zu fast jeder Person ein reales Vorbild erkennen kann und auch sonst die Ecken und Kanten nachvollziehbar bleiben, etwa, wenn der eine deutsche Staat die innere Opposition gerne umfassend überwachen würde, dies jedoch an der Überalterung von Führungspersonen bis hin zum kaum vorhandenen technischen Know-how scheitert oder auf der anderen Seite der schwierige Balanceakt zwischen Diplomatie und Notwendigkeit austariert werden muss. Zudem sind auch die Protagonisten viel mehr Graubereichen zuzuordnen, als dem bloßen Schwarz und Weiß, was den kompakt gehaltenen Roman glaubwürdig erscheinen lässt. Das schnelle Erzähltempo tut sein Übriges dazu.

In einem Zeitraum von nur wenigen Wochen zwischen Ost und West wird die Geschichte erzählt. Holger Kreymeier hat es hierbei geschafft, zahlreiche Facetten des politischen Spektrums der damaligen Zeit in die Gegenwart hinein zu transportieren. Der Perspektivwechsel zwischen den Protagonisten trägt zum Fluss der Erzählung bei, Kurznachrichten a la Twitter unterstreichen das Gegenwartsgefühl.

Die Geschichte wirkt in sich schlüssig, über kleinere Sprünge wird man ob der spannungsreichen Erzählung gerne hinweg sehen, jedoch wäre die Ausformulierung mancher Szenarien, die teilweise doch knapp formuliert sind, wünschenswert gewesen. Auch das Ende der Erzählung reicht nicht ganz an den starken Auftakt heran, lässt jedoch Spielraum für eine Fortführung. Der Roman hat das Potenzial, weitererzählt zu werden. Man möchte das auch gerne lesen.

Bestimmte geschilderte Auswirkungen lassen ob der Realitätsnähe einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. In bestimmten Punkten gleicht der Roman einer Warnung a la Orwell. Hier merkt man die Erfahrungen Kreymeiers mit den Medien an und eine genaue Beobachtungsgabe, die einerseits durchaus kritisch betrachtet, andererseits Interesse an vorhandenen Möglichkeiten zeigt.

Die Erzählung ist für Geschichtsinteressierte gleichsam wie für Dystopie-Lesende eine weitere Ergänzung zur bestehenden Literatur. Die Nähe zu real existierenden Punkten der Vergangenheit und Gegenwart machen die Handlung greifbar. Manchmal fehlen Details, einige Male wünscht man sich etwas mehr Ausführlichkeit und den einen oder anderen Sprung. Für eine Fortsetzung wird man aber in jedem Fall zu haben sein.

Autor:

Holger Kreymeier wurde 1971 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Journalist und Medienunternehmer. Er studierte zunächst Soziologie an der Universität Hamburg, absolvierte währenddessen ein Praktikum bei OK Radio und bei der Zeitschrift Cinema. Anschließend war er bei einem Tochterunternehmen des Axel Springer Verlags tätig, arbeitete danach freiberuflich für verschiedene Medienunternehmen. Zwischen 2007 und 2018 betrieb er die Online-Magazinsendung Fernsehkritik-TV. “Hashtag #DDR” ist sein viertes Buch.

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Hala Kodmani: Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen

"Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen" Book Cover
“Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen” Hala Kodmani dtv Erschienen am: 29.03.2018 Seiten: 144 ISBN: 978-3-423-26183-8 Übersetzerin: Elisabeth Liebl

Inhalt:

Tagsüber war sie Lehrerin für Philosophie an einer Mädchenschule, abends schrieb sie zornige Kommentare auf Facebook: Ruqia Hassan lebte in Rakka und postete unter Pseudonym gegen Assad und den IS. Bis sie verraten und vom IS ermordet wurde.

Hala Kodmani erzählt Ruqias Geschichte und lässt Ruqia mit ihren Original-Facebook-Einträgen zu Wort kommen. Kodmani hat das Lebensumfeld von Ruqia genau recherchiert. So gelingt es ihr, Ruqias Ängsten, ihren Hoffnungen, ihrer Liebe zu ihrem Land und ihrer wachsenden Wut Ausdruck zu verleihen. (Klappentext)

Rezension:

Inzwischen ist es ein undurchsichtiger Kampf an vielen Fronten geworden. Die Nachbarstaaten ringen um Einfluss im zerrüttelten Krisengebiet, Großmächte diesseits und fernab der Grenzen ergreifen mal Partei für die eine, mal für die andere Seite. Örtliche Machthaber tun ihr Übriges, um das Land im Zangengriff zu halten.

Leidtragende sind die Bewohner Syriens. Eine von ihnen ist Ruqia, die sich unter den Pseudonym Nissan Ibrahim bemerkbar macht, und auf Facebook den Beginn und Zerfall des Arabischen Frühlings kommentiert, schließlich die Schreckensereignisse unter Assad, schließlich den IS, kommentiert.

Die schlaue junge Frau beobachtet ihre Umgebung sehr genau, fällt schließlich den Ereignissen selbst zum Opfer. Zurückbleibt eine Facebookseite als Mahnmal gegen die Unmenschlichkeit.

Hala Kodmani beschäftigt sich seit Jahren bereits mit der Situation Syriens und nimmt diese Geschichte zum Anlass, wachzurütteln. Stellvertretend für das Leben Tausender nimmt sie sich das Schicksal Ruqias vor, zeigt, wie die Ereignisse aus dem Ruder liefen, und vollzieht nach, wie dieses junge Leben mit Füßen getreten wurde.

Dabei herausgekommen ist ein eindrücklich halbdokumentarisches Portrait einer Frau, die wusste, was sie wollte, jedoch sich ob der schrecklichen Ereignisse nicht verwirklichen und leben konnte, wie sie wollte. Sensibel wird das Leben Ruqias dargestellt, nichts geschönt, was zeigt, wie hart und grausam der Alltag zu den Menschen in Syrien geworden ist, wo jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben ist.

Mehr gibt es dann auch nicht zum Inhalt zu sagen. Zu bedrückend ist diese Geschichte, diese biografische Kurzstück. Klar, in eindeutiger Sprache beschreibt Kodmani den Weg Ruqias in den syrischen Widerstand gegen Assad und den Terror des IS, zumindest der verbale auf Facebook, welches zum wichtigsten Austauschobjekt der syrischen Opposition wurde.

Anhand ihrer dortigen Einträge lässt sich der Leidensweg der Menschen im Spannungsfeld des Krieges nachvollziehen. Mehr braucht es nicht, um Wut und Verzweiflung zu verdeutlichen, der Weg, der in die Katastrophe führt.

Ein Augenzeugenbericht, die Biografie einer Zeitzeugin, die man nicht vergessen darf, deren Geschichte viel mehr verbreitet und bekannter werden muss. Stellvertretend für alle Menschen in Syrien ein Hilfeschrei, den man erhören sollte. Unbedingt lesenswert.

Autorin:

Hala Kodmani ist Mitglied der Internationalen Organisation für Frankophonie und ehemals Mitarbeiterin der Arabischen Liga in Paris. Als Redakteurin schreibt sie für “Liberation”, und beteilt sich an dokumentarische Arbeiten zum Nahen Osten.

Sie ist die Schwester der Mitgründerin des Syrischen Nationalrats (der syrischen Opposition in Paris). Im Mai 2011 gründete sie den Verband Souria houria, der sich für den Sturz von Assad einsetzt. 2013 wurde sie für ihre Berichterstattung zu Syrien ausgezeichnet.

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Veit Etzold: Dark Web

Dark Web Book Cover
Dark Web Thriller Droemer Taschenbuch Seiten: 569 ISBN: 978-3-426-30550-8

Inhalt:

Ein Ort ohne Grenzen. Größer als das Internet. Dunkler. Gefährlicher. Ein Ort ohne Gesetze. Wo du deine geheimsten Begierden ausleben kannst. Ein Ort ohne Gewissen. Wo du alles kaufen kannst: Waffen, Drogen, Killer und Maschinen. Dark Web. Du kannst es betreten. Doch alles, was du hast, hat irgendwann dich. (Klappentext)

Rezension:

In seinem Thriller “Skin” nahm Veit Etzold die Abgründe und den Erfolgsdruck in der Welt der Unternehmensberatung als Grundlage für eine äußerst spannende Geschichte. Nun ist, hoch aktuell, die Macht großer Internetkonzerne, Geheimdienste und die Umfassenheit moderner organisierter Kriminalität Etzolds Thema in seinem neuen Thriller “Dark Web”. Das Szenario: Praktisch aus dem Nichts, gleichsam eines amerikanischen Start-Ups taucht in Europa der Konzern Holos auf und wird von allen Politikern und Mächtigen als Europas neues, eigenes Google gepriesen, der es mit der übermächtigen Konkurrenz aus den USA problemlos aufnehmen soll.

Und mittendrin, Staaten die ihre hoheitlichen Aufgaben, wie die Bekämpfung organisierter Kriminalität sukzessive an private Konzerne abgeben, sich von diesen damit abhängig machen und um Erfolge zu haben, selbst nicht vor dunklen Machenschaften zurückschrecken, die russische Mafia, die ihrerseits Ziele und Interessen verfolgt und zwei erfolglose Geschäftsleute, die ihren Ausweg aus wirtschaftlichen Ungeschick in den illegalen Tiefen des verborgenen Teils des Internets suchen. Des Dark Web.

Dies sind die Grundlagen für einen äußerst spannenden, an manchen Stellen sehr technisch anmutenden Thriller, für den der Autor wieder einmal eine unglaubliche Vorleistung an Recherche geleistet haben und viel gesellschaftlich politisches Hintergrundwissen eingebaut haben muss.

So werden nicht nur die mysteriösen Morde mit dem chemischen Element Polonium durch russische Stellen thematisiert, sondern eben auch, was das Dark Web eigentlich ist und wie es in seinen Grundzügen funktioniert. Darum herum gespannt, die Protoagonisten, die allesamt nachvollziehbar handeln. Logikfehler sucht man hier. Alleine, ich habe keine gefunden. Der packende Schreibstil Etzolds und die kurzen Kapitel, die sich cliffhangerartig aneinander reihen, machen es leicht, in die Geschichte einzusteigen, wenn auch die Hintergrundinformationen, in die man sich einlesen muss, wahrscheinlich den einen oder anderen Leser abschrecken werden.

Für alle anderen ergibt sich ein gut recherchierter Spannungsroman, bei denen man betet, dass so wenig wie möglich davon wahr sein sollte, es aber im Grunde besser weiß. Dass die Staaten und die Politik sich immer abhängiger von Privatkonzernen machen, ist bekannt und das große Konzerne wie Google ihre Marktmacht gnadenlos ausnutzen und in alle lebensbereiche versuchen, auszudehnen, ist auch bekannt.

Und wo ausländische Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben, möchte man lieber gar nicht wissen.

Die aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Protagonisten erzählte Geschichte gruselt, weil sie sich in der Tat so auch abspielen könnte und man die Beweggründe jeder einzelnen Person, ob gut oder böse, absolut nachvollziehen kann. Veit Etzold gelingt es in kurzen Kapiteln, die sich dicht aneinander reihen mit prägnanten Sätzen, seine Leser zu fesseln und verbindet Geheimdienst-, Wirtschafts- und Politthriller zu einem großen Ganzen. Und der Leser wird künftig aufpassen, was er über sich im Internet verrät.

Denn, gelangen die Informationen vom Clear Web durch undurchsichtige Ströme in das, für den Großteil von uns verborgenen, Dark Web, werden wir zum Spielball nicht durchschaubarer Mächte, die sich unserer Kontrolle entziehen. Informationen sind heute und in der Zukunft ein immer wichtiger werdendes Wirtschaftsgut. Veit Etzolds Thriller macht dies zum Thema. Eines, mit denen wir uns unbedingt beschäftigen sollten.

Autor:

Veit Etzold wurde 1973 in Bremen geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Er studierte Anglistik, Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und General Management in Oldenburg, London und Barcelona.

Seine Dissertation beendete er im Jahr 2005. Während des Studiums arbeitete er für Medienkonzerne, Banken und Unternehmensberatungen, war zugleich in der Management-Ausbildung tätig. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er weiterhin als Vortragsredner und Unternehmensberater tätig. 2009 veröffentlichte er zusammen mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos sein erstes Sachbuch, ein Jahr darauf seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau, Rechtsmedizinerin, in Berlin.

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